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Abt Wilhelm von Hirsau und die St. Georgener Klostergründung

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erfragte er <strong>von</strong> <strong>die</strong>sen, ob sie <strong>von</strong> dem katholischen Glauben wüssten, ohne den niemand das<br />

ewige Heil erlangen könne. Sie bekannten einfach, dass sie ganz <strong>und</strong> gar den Glauben nicht<br />

kannten. Aber jener seufzte tief, <strong>und</strong> er hatte <strong>von</strong> ganzem Herzen Mitleid mit deren Elend. Er sagte:<br />

„Warum habt ihr Mangel an äußeren Dingen, <strong>die</strong> ihr im Herzen hungrig seid, alles im Überfluss<br />

zu genießen <strong>von</strong> Gott, der für uns sorgt?“ Dies sagte er <strong>und</strong> erklärte ihnen kurz den Glauben,<br />

soweit sie [<strong>die</strong>sen] erfassen konnten. Und sie wurden jetzt unterwiesen, <strong>und</strong> er fügte hinzu,<br />

dass sie ihm zu <strong>die</strong>ser Zelle folgen sollten. Später an jenem Tag kamen sie [dahin], <strong>und</strong> er empfing<br />

sie fre<strong>und</strong>lich. Lange Zeit behielt er sie fromm bei sich, er erleichterte ihre Lasten nicht unbeträchtlich.<br />

Und so ist es eine Tatsache, dass er ihren geistigen Mangel durch das Wort des heiligen<br />

Unterrichts milderte <strong>und</strong> das körperliche Elend freigebigst verminderte.<br />

18. Als er [<strong>Wilhelm</strong>] einmal im Herbst durch Bayern reiste, traf er zwei Arme, <strong>die</strong> <strong>von</strong> ihm gegen<br />

<strong>die</strong> Kälte Hilfe an Kleidung forderten. Er erinnerte sich bald an den heiligen Martin, der <strong>die</strong> Hälfte<br />

seines Mantels an den frierenden Armen schenkte. Er war mit einem Diener unterwegs, abgesondert<br />

<strong>von</strong> den [anderen] Reisenden. Und er teilte seinen Mantel, der ihn üblicherweise sowohl<br />

beim Reiten als auch beim Schlafen wärmte, in zwei Teile, <strong>und</strong> er gab jedem Armen ein <strong>St</strong>ück,<br />

wodurch sie vor der Kälte geschützt waren.<br />

19. Ich trage etwas über den seligen Mann vor, das zu tun hat mit der Reinheit <strong>und</strong> Einfachheit<br />

seiner Seele, <strong>die</strong> man anerkennen <strong>und</strong> lieben muss, <strong>und</strong> mit der zu verwünschenden <strong>und</strong> zu verdammenden<br />

Eitelkeit <strong>von</strong> vielen seines <strong>St</strong>andes. Ein gewisser <strong>Abt</strong> widmete sich kostbaren Kleidern<br />

weit mehr, als es solch einer Person <strong>und</strong> solch einer <strong>St</strong>ellung zustand. Diesen achtete der<br />

Mann Gottes wegen seiner vielen, ihm <strong>von</strong> Gott gegebenen guten Eigenschaften, aber er griff ihn<br />

darin [wegen dessen Kleidung] wegen des Eifers für Gott oft scharf an, wenn auch weniger nützlicher<br />

gewesen wäre. Zu irgendeiner Zeit brachte <strong>die</strong>ser <strong>Abt</strong> ihm für <strong>die</strong> [gottes<strong>die</strong>nstliche] Segnung<br />

eine kostbare Decke, <strong>und</strong> er fragte, ob er [<strong>Wilhelm</strong>] im Gedenken an <strong>die</strong> gegenseitige Zuneigung<br />

<strong>die</strong>s annehme. Dies nahm der <strong>von</strong> Gott erfüllte Mann in großer Einfalt an <strong>und</strong> achtete<br />

nicht auf <strong>die</strong> Gegenseitigkeit des Schenkens. Mit dem Geschenk hatte er [der <strong>Abt</strong>] darauf gezielt,<br />

dass er seine Eitelkeit hinsichtlich der kostbaren Kleidung ein wenig beschönigen könne, gleichwie<br />

wenn er [<strong>Wilhelm</strong>], lobenswert <strong>und</strong> in allem als Mönch vollkommen, <strong>die</strong>se [seine] Art zeige,<br />

jener dann nicht eben anders charakterisiert werden könne. Und jener <strong>Abt</strong> nämlich war einst Profess<br />

des Mannes Gottes <strong>und</strong> wurde <strong>von</strong> <strong>die</strong>sem zu einer solchen Ehre [als <strong>Abt</strong>] geführt. In einer<br />

Nacht aber benutzte der Mann Gottes jene Decke. Einer <strong>von</strong> den Brüdern, ihm in Gehorsam ergeben,<br />

dass er ihm heimlich half, ermahnte ihn am folgenden Tag, dass er überlistet werden solle.<br />

Nachdem er <strong>die</strong>se unglaubliche Aussage gehört hatte, entsetzte er sich <strong>und</strong> erschauderte,<br />

<strong>und</strong> bald gab er jene im Bösen empfangene Decke an zehn Arme. Jener, geliebt durch Gott, besaß<br />

<strong>die</strong>s[e Decke] [bis dahin] in lobenswerter <strong>und</strong> würdiger Weise mit seinem anderen Besitz.<br />

Wenn er nämlich <strong>von</strong> irgendeinem Menschen irgendetwas Gutes zur Ermahnung hörte oder<br />

wenn er etwas <strong>von</strong> Gott geschickt bekam, empfing er <strong>die</strong>s mit aller Demut. Ich bin gezwungen,<br />

den Hochmut <strong>und</strong> den Übermut vieler zu beweinen. Ich bin gezwungen auszurufen: „O Zeiten, o<br />

Sitten!“ [Cicero, Catilina I,1] Er [<strong>Wilhelm</strong>] war ein Mann der Tugenden, ein Spiegel ganzer Ehrlichkeit,<br />

er wählte <strong>von</strong> jedem Menschen statt des Tadels <strong>die</strong> Gerechtigkeit <strong>und</strong> ehrte in jedem<br />

Menschen <strong>die</strong> Wahrheit.<br />

20. Ein sowohl natürliches wie heftiges Mitleid war aber in ihm, das sich nicht allein auf <strong>die</strong> Menschen,<br />

sondern auch auf <strong>die</strong> stumpfsinnigen Tiere bezog. Es begab sich, dass in irgendeinem<br />

Winter, als aus dem Überfluss an Schnee heraus <strong>die</strong> Kraft der Kälte über das Gewöhnliche hinauswuchs,<br />

derselbe Vater [<strong>Wilhelm</strong>], bewegt vom Herzen der Frömmigkeit, nachdem er den<br />

Propst herbeigerufen hatte, <strong>die</strong>sem mit klagender <strong>St</strong>imme sagte: „Das Geflügel stirbt an Kälte<br />

<strong>und</strong> Hunger. Sammle eine Hand voll Hafer <strong>und</strong> ramme eine Umzäunung ein, damit sie das finden,<br />

was sie ernährt.“ Aber jener antwortete: „Herr, es fehlen uns <strong>die</strong> Garben Hafer.“ Diesem<br />

sagte jener: „Hast du Garben an Weizen?“ Er sagte: „Ich habe [solche].“ Dann sagte der fromme<br />

Vater: „Also verkaufe jene <strong>und</strong> kaufe Hafer.“ Jener gehorchte dem Befehl <strong>und</strong> sprach zu seinem<br />

Helfer, dass er am Morgen zum Hof gehe <strong>und</strong> das Befohlene erfülle. In der Nacht, auf der der<br />

Morgen folgen sollte, wurde durch <strong>die</strong> Gnade Gottes, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Güte seines Dieners vergalt, <strong>die</strong><br />

Kälte des Eises infolge der sanften Temperatur der Luft gemindert. Endlich besuchte er [<strong>Wilhelm</strong>]<br />

demütig <strong>die</strong> Armen mit Almosen <strong>und</strong> krank daniederliegende Bauern <strong>und</strong> wärmte sie mit frommen<br />

Belehrungen. Zuletzt übergab er <strong>die</strong> Verstorbenen mit Sorgfalt dem Grab. Er lehnte aber keinen<br />

ab <strong>von</strong> denen, <strong>die</strong> an einer Geisteskrankheit litten. Mit dem ganzen Konvent der Brüder sang er<br />

nämlich Psalmen <strong>und</strong> Lobpreisungen für jene oder sättigte sie mit Hilfe der Brüder, <strong>die</strong> dafür bestimmt<br />

waren. Und sie kehrten durch <strong>die</strong> Barmherzigkeit Gottes ges<strong>und</strong> an Geist <strong>und</strong> Körper sowie<br />

fröhlich zu den eigenen Leuten zurück.<br />

21. Auch der klösterliche Gottes<strong>die</strong>nst, der in den deutschen Gebieten fast daniederlag bei denen,<br />

<strong>die</strong> eine solche Lebensweise vorgaben, fing an durch den Eifer des seligen Vaters zu ges<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> Bedeutung zu erlangen. Nicht allein <strong>die</strong> Einrichtung der Klöster machte durch seinen<br />

Michael Buhlmann, <strong>Abt</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>von</strong> <strong>Hirsau</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>St</strong>. <strong>Georgener</strong> <strong>Klostergründung</strong> 10

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