Mitglieder-Brief Nr. 85 19. März 2009 - freudlacan
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nur, dass schon einige von der ersten Etage<br />
aus über die Brüstung springen, und justament<br />
solche, deren Bedürfnisse sämtlich auf das<br />
richtige Maß zurückgeführt worden sind. Ne‐<br />
gative therapeutische Reaktion, nennen wir<br />
das. Gott sei Dank geht die Verweigerung<br />
nicht bei allen so weit. Das Symptom bricht<br />
ganz einfach wieder durch wie wildes Gras:<br />
Wiederholungszwang.“ 20 Aus diesen Worten<br />
Lacans hören wir, dass es uns nicht nur um ei‐<br />
ne Kritik der von gesellschaftlichen Instanzen<br />
kommenden Normierungstendenzen gehen<br />
kann, sondern um eine ständige Befragung un‐<br />
serer eigenen Arbeit. Nicht so selten stellen<br />
sich hartnäckig insistierende Symptome unse‐<br />
rer Analysanten oder gar bedrohliche acting<br />
outs als Folgen der Widerstände des Analyti‐<br />
kers dar, nicht zuletzt seinen Ideen von Nor‐<br />
malität. Die in Kontrollen, Supervision und<br />
klinischen Gruppen erfolgende Erforschung<br />
der Kur und der Interventionen des Analyti‐<br />
kers mit ihren Folgen ist ein besonders wichti‐<br />
ges Moment einer analytischen Qualitätssiche‐<br />
rung. Es geht dabei immer wieder um die vom<br />
Analytiker ausgehenden Widerstände und La‐<br />
can wurde nicht müde zu unterstreichen, dass<br />
„der Analytiker Widerstand leistet, wenn er<br />
nicht versteht, womit erʹs zu tun hat…“ 21<br />
Angesichts der vielfältigen Strebungen der<br />
Standardisierung der psychoanalytischen Pra‐<br />
xis und den Versuchen, das Ende einer analy‐<br />
tischen Arbeit festzulegen, erscheint mir be‐<br />
sonders wichtig, gerade dieser Frage weiter<br />
nachzugehen. Der Ruf nach Reglementierung<br />
wird vielleicht gerade dann lauter, wenn wir<br />
selber uns zu wenig über unsere Begriffe, un‐<br />
sere Theorie und die sich daraus ergebenden<br />
Konsequenzen im Klaren sind. Das heißt auch,<br />
Lacans düsteres Diktum ernst zu nehmen:<br />
„Das Abstumpfen der Technik durch fort‐<br />
schreitenden Theorieverlust kennt keine Gren‐<br />
ze.“ 22 So gibt es wichtige Fragen, die das Ende<br />
der Kur betreffen, an denen weiterhin zu arbei‐<br />
ten ist, zum Beispiel was wir unter einer ver‐<br />
änderten Libidoökonomie am Ende der Kur<br />
verstehen, was es heißt, wie Lacan es im XI.<br />
Seminar sagte, „den Trieb zu leben?“ 23 Diese<br />
20 Ibid., S.215.<br />
21Jacques, Lacan (1991): Das Seminar, Buch II: Das Ich in der<br />
Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse (1954/55),<br />
S.290.<br />
22 Lacan, J. (1996): Die Ausrichtung der Kur und die Prinzipien<br />
ihrer Macht..., S.199.<br />
23 Lacan, J. (1996): Das Seminar, Buch XI: Die vier Grundbegriffe<br />
der Psychoanalyse (1964)..., S.288.<br />
11<br />
MB der AFP <strong>Nr</strong>. <strong>85</strong>/<strong>März</strong> 2010<br />
Frage ist vermutlich auch für alle regulieren‐<br />
den Instanzen, wo immer sie lokalisiert sein<br />
mögen, eine Frage der Angst.<br />
Wir haben im Vorfeld der Tagung eine<br />
Sammlung von Fragen erstellt, die wir unseren<br />
Gästen vorgelegt haben. Ein jeder wird sich zu<br />
den ihm oder ihr besonders wichtigen Aspek‐<br />
ten zuerst in einem kurzen Statement äußern.<br />
Diese Fragen beziehen sich auf die in den un‐<br />
terschiedlichen Ländern (Deutschland, Frank‐<br />
reich, Großbritannien und Israel) geltenden<br />
gesetzlichen Regelungen für Psychoanalyse<br />
und Psychotherapie, ihren Einfluss auf die<br />
analytische Praxis und darauf, welche Konflik‐<br />
te sie für die Analytiker hervorrufen können.<br />
Wir interessierten uns aber auch dafür, welche<br />
anderen gesellschaftlichen Normierungspro‐<br />
zesse außerhalb staatlicher Regulierung Ein‐<br />
fluss auf die Kur nehmen könnten und wenn ja<br />
in welcher Weise. Nicht zuletzt wollten wir<br />
gerne wissen, welche Rolle bei diesen Schwie‐<br />
rigkeiten den analytischen Assoziationen,<br />
Schulen und anderen Gesellungen zukommt<br />
und wieweit in ihnen selbst Normierungspro‐<br />
zesse stattfinden.<br />
Ich freue mich also nun sehr über das, was<br />
wir aus den verschiedenen Ländern hören<br />
werden, auf den Austausch untereinander und<br />
mit Ihnen, die zu unserer Tagung gekommen<br />
sind.<br />
Michael Meyer zum Wischen, Köln/Paris<br />
‒ Gabrielle Devallet‐Gimpel<br />
Zur Lage der Psychoanalyse in Frankreich<br />
Fragen:<br />
1. Welche Wirkungen und welche Folgen<br />
haben Gesetze und gesetzliche Regelungen in<br />
Ihrem Land auf Ihre Tätigkeit als Psychoanaly‐<br />
tiker oder Psychotherapeut?<br />
Die gesetzliche Regelung der Ausbildung<br />
der Psychoanalytiker und der Ausübung der<br />
Psychoanalyse in Frankreich kann schwerwie‐<br />
gende Folgen haben: es hängt davon ab, ob die