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Mitglieder-Brief Nr. 85 19. März 2009 - freudlacan

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Trotz aller Bewunderung hinterlässt<br />

Palmiers Buch ein zwiespältiges Gefühl. Der<br />

Autor führt mit sicherer Hand durch ein Laby‐<br />

rinth – aber nicht mehr hinaus. Bei aller An‐<br />

gemessenheit im Einzelnen hat die Monumen‐<br />

talität des Ganzen angesichts der einen Person,<br />

um die bzw. um deren Werk es geht, etwas<br />

Unmäßiges.<br />

Jean‐Michel Palmier: Walter Benjamin. Lumpensammler, En‐<br />

gel und bucklicht Männlein. Ästhetik und Politik bei Walter<br />

Benjamin. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen<br />

von Florent Perrier. Aus dem Französischen von Horst<br />

Brühmann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. <strong>2009</strong>, 1372 Seiten,<br />

64 Euro.<br />

Aus: Frankfurter Rundschau<br />

vom 16.‐17. Januar 2010, S.34‐35.<br />

‒ Jean-Luc Nancy: Blick auf die wahre Demokratie<br />

Christian Schlüter: Die Freiheit des Menschen<br />

ist seine Unbestimmtheit ‐ Jean‐Luc Nancy<br />

sucht die „Wahrheit der Demokratie”<br />

In unruhigen Zeiten wie diesen bekommt<br />

man es immer wieder mit Tabubrechern zu<br />

tun, solchen intellektuellen Dienstleistern also,<br />

denen die allgemeine Ratlosigkeit ein will‐<br />

kommener Anlass ist, der Menschheit ganz<br />

allgemein mit ihren gefährlichen Gedanken<br />

auf die Sprünge zu helfen. In der Regel läuft<br />

dies, was die wirklich bedenkenswerten Inhal‐<br />

te angeht, auf bloße Schaumschlägerei hin‐aus,<br />

wie wir zuletzt bei den Herren Sloterdijk und<br />

Bolz beobachten durften. Doch wollen wir<br />

nicht ungerecht sein: Die Abwesenheit von be‐<br />

denkenswert‐bedenklichen Inhalten ist nicht<br />

allein dem Unvermögen der Autoren geschul‐<br />

det, sondern auch dem beinahe vollständigen<br />

Fehlen von Tabus.<br />

Eigentlich ist alles erlaubt. Etwas zugespitzt<br />

ließe sich sagen, dass heute nur noch auf zwei‐<br />

erlei Weise ein Tabu zu brechen ist: Entweder<br />

man kündigt die öffentliche Hinrichtung sei‐<br />

nes Dackels oder Wellensittichs an, oder man<br />

stellt öffentlich die Demokratie in Frage. Was<br />

letzteres Tabu angeht, haben in letzter Zeit ei‐<br />

nige Philosophen die Provokation gesucht, al‐<br />

len voran Alain Badiou, Slavoj Zizek und Toni<br />

Negri. Und nun präsentiert uns auch noch der<br />

Franzose Jean‐Luc Nancy seine Version:<br />

„Wahrheit der Demokratie” heißt sie, ein<br />

schmales Buch von gerade mal 102 Seiten.<br />

Während seine Kollegen ganz brachial,<br />

wenn auch gut begründet die Demokratie ih‐<br />

rer Bütteldienste für das Kapital wegen ab‐<br />

schaffen wollen, geht Nancy etwas behutsamer<br />

vor. Ihm ist es nicht so sehr um die Abschaf‐<br />

fung zu tun als vielmehr um das Bestreiten ei‐<br />

nes zentralen Geltungsanspruches: Die Demo‐<br />

41<br />

MB der AFP <strong>Nr</strong>. <strong>85</strong>/<strong>März</strong> 2010<br />

kratie „ist nicht eine politische Form unter an‐<br />

deren, im Unterschied dazu, was sie für die<br />

Antike war. Sie ist überhaupt keine politische<br />

Form, oder sie ist zumindest nicht zuerst eine<br />

politische Form”. Damit möchte Nancy aller‐<br />

dings den Ansprüchen nicht nur des Politi‐<br />

schen, sondern auch des Religiösen, Ästheti‐<br />

schen, Ökonomischen oder Szientistischen eine<br />

klare Absage erteilen.<br />

Dergleichen Einzeldisziplinen folgen doch<br />

nur den Kalkülen der Aneignung und Unter‐<br />

werfung, nicht zuletzt der Ausbeutung und<br />

Stillstellung einer dem Menschen eigenen Un‐<br />

ruhe. Demokratie, so Nancy, habe im Unter‐<br />

schied dazu dem Menschen zu dienen, indem<br />

sie ihn „als Risiko und Chance ,seiner selbstʹ<br />

einsetzt, als ,Tänzer über dem Abgrundʹ, um es<br />

auf paradoxe und absichtlich nietzscheanische<br />

Weise zu sagen”. Der Mensch, das nicht fest‐<br />

gestellte Tier: Nancys Projekt ließe sich auch<br />

als das Paradox beschreiben, aus der negativen<br />

Anthropologie eines Helmuth Plessners oder,<br />

was beinahe dasselbe ist, aus dem ontologi‐<br />

schen, vor allem in „Sein und Zeit” vorgeführ‐<br />

ten Sprachspiel eines Martin Heideggers einen<br />

normativen Begriff des Politischen gewinnen<br />

zu wollen.<br />

In ihrer gegenwärtigen politischen<br />

Schwundstufe wäre die Demokratie demnach<br />

zu einer Versicherungsagentur für risiko‐<br />

scheue Investoren geworden – mit der ideolo‐<br />

gisch von der „bürgerlichen Mitte” vorbereite‐<br />

ten Zumutung, für die Schadenssummen die<br />

Allgemeinheit aufkommen zu lassen. Und der<br />

Fehler des Systems bestünde darin, den Men‐<br />

schen in seiner Unruhe und Unbestimmtheit<br />

nicht sein zu lassen.<br />

Jean‐Luc Nancy: Wahrheit der Demokratie. A. d. Frz. v. Richard<br />

Steurer. Passagen Verlag , Wien <strong>2009</strong>, 104 Seiten, 12,90 Euro.<br />

Aus: Literatur‐Rundschau der Frankfurter Rundschau vom 8.<br />

Dezember <strong>2009</strong>, S.A10.<br />

‒ Jean-Luc Nancy und die nationale Identität<br />

Nancy und die Kirchturmpolitik ‐ Der Philosoph<br />

erinnert daran, dass individuelle oder nationale<br />

Identität pluralisch ist<br />

Angesichts der von einem Minister in Gang<br />

gesetzt wurde, der es verstand, nationale Iden‐<br />

tität mit Immigration zu vermengen, kann der<br />

Philosoph Jean‐Luc Nancy nur seine Bestür‐<br />

zung äußern. Tieferliegende und weitgehende<br />

Gründe spielen hier eine Rolle: Gegen eine<br />

Philosophie, die das Subjekt als eine Abge‐<br />

schlossenheit auf sich selbst betrachtet, kann<br />

Nancys gesamtes Werk wahrlich zeigen, dass<br />

jedes Subjekt «auf einzigartige Weise plural»

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