02.03.2013 Aufrufe

Mitglieder-Brief Nr. 85 19. März 2009 - freudlacan

Mitglieder-Brief Nr. 85 19. März 2009 - freudlacan

Mitglieder-Brief Nr. 85 19. März 2009 - freudlacan

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Deutschland lockt. Mit der stolzen Summe von<br />

3,5 Millionen Euro über fünf Jahre ist die<br />

Humboldt‐Professur dotiert. Es ist ein großer<br />

Gewinn für die Universität Mannheim. Deren<br />

VWL‐Dekan Enno Mannen freut sich, nun ge‐<br />

linge „der Sprung in die Gruppe der führen‐<br />

den Zentren für empirische Wirtschaftsfor‐<br />

schung und Ökonometrie”. Aber es sei auch<br />

eine neue Erfahrung. „Die Uni muss sich erst<br />

einmal daran gewöhnen, dass es da jetzt eine<br />

Person mit sehr viel Geld und ohne Lehrver‐<br />

pflichtung gibt”, sagt van den Berg [Mann‐<br />

heim‐Karlsruhe‐Frankfurt am Main]. Seine ers‐<br />

te Professur erhielt er 1996 an der Freien Uni‐<br />

versität Amsterdam. Seitdem hat er sich inter‐<br />

national einen Ruf als stark mathematisch und<br />

empirisch ausgerichteter Ökonom gemacht.<br />

Nun ist er in Mannheim angekommen. Mit<br />

dem vielen Geld plant der Arbeitsmarktfor‐<br />

scher, einige „Post‐Docs” — also promovierte<br />

Mitarbeiter — einzustellen und zudem „ganz<br />

viele Daten einzukaufen”. Die Daten sind Basis<br />

großangelegter ökonometrischer Studien. Van<br />

den Berg hat dabei zwei Forschungsschwer‐<br />

punkte: die Wirkung von aktiver Arbeits‐<br />

marktpolitik und der Zusammenhang zwi‐<br />

schen Arbeitslosigkeit und Gesundheit der Be‐<br />

völkerung. So hat er nachgewiesen, dass Men‐<br />

schen, die in einer Rezession geboren wurden,<br />

ein signifikant höheres Risiko von Herzkrank‐<br />

heiten haben. Gründe dafür sind die schlechte‐<br />

re Ernährung und die schlechtere Hygiene in<br />

wirtschaftlich harten Zeiten. „Zudem verur‐<br />

sacht die Sorge der Eltern um ihren Job einen<br />

starken Stress den die Kinder offenbar schon<br />

vor der Geburt mitbekommen.” Rezessions‐<br />

kinder haben noch siebzig Jahre später ein<br />

deutlich höheres Herzinfarktrisiko oder leiden<br />

häufiger unter Kreislaufschwierigkeiten.<br />

Van den Bergs ökonometrische Studien zur<br />

Wirkung der deutschen Arbeitsmarktpolitik<br />

brachten ernüchternde Ergebnisse: „Die meis‐<br />

ten Maßnahmen des Staates funktionieren lei‐<br />

der nicht gut”, sagt er. Die Milliarden, die der<br />

Staat für Fortbildungskurse ausgibt, haben nur<br />

wenig direkte Effekte. In puncto Qualifikation<br />

bringen sie fast nichts, ergaben van den Bergs<br />

Untersuchungen. Es gibt aber unerwartete Ne‐<br />

benwirkungen: Hatten sie die Aussicht, an ei‐<br />

nem Kurs teilnehmen zu müssen, so beschleu‐<br />

nigte dies die Suche der Arbeitslosen nach ei‐<br />

ner Stelle. „Viele Leute haben offenbar keine<br />

Lust, noch mal einige Wochen in die Schule zu<br />

gehen, da suchen sie lieber intensiver nach ei‐<br />

45<br />

MB der AFP <strong>Nr</strong>. <strong>85</strong>/<strong>März</strong> 2010<br />

nem Job.” Ein fragwürdiger Erfolg, findet der<br />

Ökonom.<br />

PHILIP PLICKERT<br />

Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23,<br />

November <strong>2009</strong>.<br />

[Vgl. dazu auch oben: Medienschau, Abschnitt<br />

SOCIOLOGICA; d.sekr.]<br />

6.<br />

Jacques Lacan<br />

Welche Funktionen kann die Psychoanalyse<br />

in der Kriminologie erfüllen?<br />

Eine theoretische Einführung<br />

(1950) (I‐II)<br />

Vortrag auf der XIII. Konferenz der französisch‐<br />

sprachigen Psychoanalytiker (29. Mai 1950) in<br />

Zusammenarbeit mit Michel Cénac<br />

I. Auf dem Weg zur Wahrheit in den Humanwis‐<br />

senschaften<br />

Die Naturwissenschaften haben ihrer Theo‐<br />

rie nach niemals die Forderung nach ihrer in‐<br />

neren Kohärenz aufgegeben; dieses Ansinnen<br />

ist auch die Bedingung des Wegs der Erkennt‐<br />

nis selbst. Deshalb vermögen auch die Hu‐<br />

manwissenschaften der Frage nach ihrem Sinn<br />

nicht auszuweichen: sie können auch nicht da‐<br />

von absehen, dass die Antwort darauf sich der<br />

Frage der Wahrheit stellen muss; denn sie sind<br />

Teil des wirklichen Verhaltens ihres For‐<br />

schungsgegenstands.<br />

Dass die menschliche Wirklichkeit den Pro‐<br />

zess dieser Enthüllung in sich trägt, ist der<br />

Grund, weshalb einige Philosophen den Ge‐<br />

schichtsprozess als eine der Materie einge‐<br />

schriebenen Dialektik ansehen; kein «behavio‐<br />

ristisches» Schutzritual des Subjekts gegenüber<br />

seinem Forschungsgegenstand kann dieser<br />

Wahrheit diesen schöpferischen und vergäng‐<br />

lichen Stachel nehmen; jeder Wissenschaftler,<br />

der sich der «reinen» Erkenntnis verpflichtet<br />

sieht, zeichnet sich in allererster Linie durch<br />

seine Verantwortung hinsichtlich dieser<br />

Wahrheit aus.<br />

Niemand weiß das besser als der Psycho‐<br />

analytiker; im Wissen um das, was ihm sein<br />

Subjekt anvertraut, und in der Technik der Be‐<br />

handlung von konditionierten Verhaltenswei‐<br />

sen, übt er sein Handwerk aus auf der Basis<br />

der Erkenntnis, dass die Wahrheit allein Wir‐<br />

kung zeitigt.<br />

Ist aber die Suche nach Wahrheit anderer‐<br />

seits auf dem Gebiet der Jurisprudenz nicht

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!