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Trigonale 2012

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diesen 26 Motetten nden sich 23 auf alttestamentarische<br />

Texte komponierte Stücke, was der Sammlung den Namen<br />

gab. Übrigens allesamt kurz und knapp gehaltene Stücke,<br />

keines mehr als fünf Minuten dauernd. Die Textquellen, aus<br />

denen Schein schöpfte, sind die unversiegbaren »Brünnlein«<br />

der Psalmen Davids, der Bücher Mose, der Propheten, des<br />

Hohelieds Salomo und anderer Teile des Alten Testaments.<br />

Zwei Kompositionen, »Ach Herr, ach meiner schone« und<br />

»O, Herr Jesu Christe«, basieren auf freien Dichtungen, die<br />

höchstwahrscheinlich Schein selbst verfasste. Alle Stücke sind<br />

für fünf Stimmen gesetzt – ausgenommen das abschließende<br />

sechsstimmige Madrigal –, denen ein Basso continuo ad libitum<br />

zugeordnet wurde, wobei dieser den Charakter eines<br />

Basso seguente, also eines der vokalen Bassstimme folgenden<br />

Instrumentalbasses, hat. Das begegnet uns auch bei Monteverdi<br />

oder in Ludovico da Viadanas Sammlung der »Cento<br />

concerti ecclesiastici«, die 1619 in Frankfurt publiziert worden<br />

waren. Mag sein, dass diese Sammlung die erste Quelle<br />

war, durch die Schein mit dieser neuen Art zu komponieren in<br />

Berührung kam. Mag sein, dass aber auch der intensive Austausch<br />

mit dem ihm seit seiner Weißenfelser Zeit befreundeten<br />

Heinrich Schütz den Impuls setzte, denn Schein selbst<br />

hat Italien nie bereist. Wie auch immer, hier schließt sich<br />

der Bogen zu Printz und dessen Äußerung, Schein sei »fürtreich<br />

gewesen in dem Stylo Madrigalesco«, zumal derselbe<br />

in seinem umfänglichen Werktitel des »Israelis Brünnlein«<br />

dieses Charakteristikum selbst hervorhebt: »auf eine sonderbar<br />

Anmutige Italian-Madrigalische Manier« habe er sie<br />

komponiert.<br />

Scheins Sammlung besitzt solitären Charakter im deutschen<br />

Musikschaen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, was<br />

in erster Linie auf der extrem intensiven Wortbezogenheit<br />

seiner Musik, seiner bildhaft musikalischen Textdarstellung<br />

beruht. Ähnlich wie Heinrich Schütz in seiner »Geistlichen<br />

Chormusik« strebte auch Johann Hermann Schein eine Vermittlung<br />

zwischen der deutsch-niederländischen Motettentradition<br />

und der expressiven Tonsprache des modernen Madrigals<br />

Monteverdi'scher Prägung an, doch hat Schein in viel<br />

weiter reichendem Maße als Schütz expressive Elemente der<br />

Textausdeutung benutzt, sodass er die Stücke mit Recht als<br />

»Geistliche Madrigale« bezeichnen konnte. Walter Webeck attestiert<br />

ihm hier eine singuläre Meisterschaft. Durch virtuose<br />

Behandlung der fünf Singstimmen und des Generalbasses,<br />

ohne dass ein Übermaß an Virtuosität oder Vereinzelung<br />

der Stimmen auch nur im Ansatz entstünde, gelingen Schein<br />

Klangeekte und Farbkontraste, die auch für heutige Ohren<br />

unerhört und mitreißend sind. Keine Möglichkeit für einen<br />

expressiven Ausdruck bleibt ungenutzt, reiche Dramatik und<br />

kühne Harmonik überraschen, sind bis ins Detail der einzelnen<br />

Stimme zu verfolgen. Das alles ist ihm aber nicht Selbstzweck,<br />

denn seine Musik habe, so Johann Hermann Schein<br />

in der Vorrede seines »Banchetto musicale«, »Christlicher<br />

Andacht, bey verrichtung des Gottesdienstes und auch ziemlicher<br />

ergötzlichkeit bey ehrlichen Zusammenkünten, alternis<br />

vicibus zu dienen«. – Hohe Kunst, die ohne ihre Wurzeln<br />

nicht zu denken ist.<br />

Dr. Christina Siegfried war lange Jahre Dramaturgin und<br />

Pressesprecherin der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. Seit<br />

- 96 - <strong>Trigonale</strong> <strong>2012</strong> – Programm <strong>Trigonale</strong> <strong>2012</strong> – Programm - 97 -

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