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diesen 26 Motetten nden sich 23 auf alttestamentarische<br />
Texte komponierte Stücke, was der Sammlung den Namen<br />
gab. Übrigens allesamt kurz und knapp gehaltene Stücke,<br />
keines mehr als fünf Minuten dauernd. Die Textquellen, aus<br />
denen Schein schöpfte, sind die unversiegbaren »Brünnlein«<br />
der Psalmen Davids, der Bücher Mose, der Propheten, des<br />
Hohelieds Salomo und anderer Teile des Alten Testaments.<br />
Zwei Kompositionen, »Ach Herr, ach meiner schone« und<br />
»O, Herr Jesu Christe«, basieren auf freien Dichtungen, die<br />
höchstwahrscheinlich Schein selbst verfasste. Alle Stücke sind<br />
für fünf Stimmen gesetzt – ausgenommen das abschließende<br />
sechsstimmige Madrigal –, denen ein Basso continuo ad libitum<br />
zugeordnet wurde, wobei dieser den Charakter eines<br />
Basso seguente, also eines der vokalen Bassstimme folgenden<br />
Instrumentalbasses, hat. Das begegnet uns auch bei Monteverdi<br />
oder in Ludovico da Viadanas Sammlung der »Cento<br />
concerti ecclesiastici«, die 1619 in Frankfurt publiziert worden<br />
waren. Mag sein, dass diese Sammlung die erste Quelle<br />
war, durch die Schein mit dieser neuen Art zu komponieren in<br />
Berührung kam. Mag sein, dass aber auch der intensive Austausch<br />
mit dem ihm seit seiner Weißenfelser Zeit befreundeten<br />
Heinrich Schütz den Impuls setzte, denn Schein selbst<br />
hat Italien nie bereist. Wie auch immer, hier schließt sich<br />
der Bogen zu Printz und dessen Äußerung, Schein sei »fürtreich<br />
gewesen in dem Stylo Madrigalesco«, zumal derselbe<br />
in seinem umfänglichen Werktitel des »Israelis Brünnlein«<br />
dieses Charakteristikum selbst hervorhebt: »auf eine sonderbar<br />
Anmutige Italian-Madrigalische Manier« habe er sie<br />
komponiert.<br />
Scheins Sammlung besitzt solitären Charakter im deutschen<br />
Musikschaen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, was<br />
in erster Linie auf der extrem intensiven Wortbezogenheit<br />
seiner Musik, seiner bildhaft musikalischen Textdarstellung<br />
beruht. Ähnlich wie Heinrich Schütz in seiner »Geistlichen<br />
Chormusik« strebte auch Johann Hermann Schein eine Vermittlung<br />
zwischen der deutsch-niederländischen Motettentradition<br />
und der expressiven Tonsprache des modernen Madrigals<br />
Monteverdi'scher Prägung an, doch hat Schein in viel<br />
weiter reichendem Maße als Schütz expressive Elemente der<br />
Textausdeutung benutzt, sodass er die Stücke mit Recht als<br />
»Geistliche Madrigale« bezeichnen konnte. Walter Webeck attestiert<br />
ihm hier eine singuläre Meisterschaft. Durch virtuose<br />
Behandlung der fünf Singstimmen und des Generalbasses,<br />
ohne dass ein Übermaß an Virtuosität oder Vereinzelung<br />
der Stimmen auch nur im Ansatz entstünde, gelingen Schein<br />
Klangeekte und Farbkontraste, die auch für heutige Ohren<br />
unerhört und mitreißend sind. Keine Möglichkeit für einen<br />
expressiven Ausdruck bleibt ungenutzt, reiche Dramatik und<br />
kühne Harmonik überraschen, sind bis ins Detail der einzelnen<br />
Stimme zu verfolgen. Das alles ist ihm aber nicht Selbstzweck,<br />
denn seine Musik habe, so Johann Hermann Schein<br />
in der Vorrede seines »Banchetto musicale«, »Christlicher<br />
Andacht, bey verrichtung des Gottesdienstes und auch ziemlicher<br />
ergötzlichkeit bey ehrlichen Zusammenkünten, alternis<br />
vicibus zu dienen«. – Hohe Kunst, die ohne ihre Wurzeln<br />
nicht zu denken ist.<br />
Dr. Christina Siegfried war lange Jahre Dramaturgin und<br />
Pressesprecherin der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. Seit<br />
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