Das eine Geheimnis - Missionszentrale der Franziskaner
Das eine Geheimnis - Missionszentrale der Franziskaner
Das eine Geheimnis - Missionszentrale der Franziskaner
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In diesem Heft<br />
Vorwort<br />
Stephan Ottenbreit OFM<br />
|<br />
Interreligiöser Dialog<br />
in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong><br />
Religiosität<br />
Volney Berkenbrock OFM<br />
|<br />
Franziskus und <strong>der</strong><br />
Interreligiöse Dialog |<br />
Aldir Crocoli ofmcap<br />
Bekenntnis im Dialog |<br />
Francis X. D’Sa S.J.<br />
ISSN 1618-9264<br />
I/2007 G21131F<br />
99<br />
Berichte<br />
Dokumente<br />
Kommentare<br />
<strong>Das</strong> <strong>eine</strong><br />
<strong>Geheimnis</strong><br />
und die<br />
vielen Religionen<br />
missionszentrale<br />
<strong>der</strong> franziskaner
Foto: wDsign<br />
missionszentrale<br />
<strong>der</strong> franziskaner<br />
2007<br />
<strong>Das</strong> <strong>eine</strong><br />
<strong>Geheimnis</strong><br />
und die<br />
vielen Religionen
Impressum<br />
Die Grüne Schriftenreihe „Berichte – Dokumente – Kommentare“<br />
erscheint vierteljährlich und kann abonniert werden.<br />
Herausgeber: <strong>Missionszentrale</strong> <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong> e.V.<br />
ISSN: 1618-9264<br />
Verantwortlich für Redaktion und Übersetzung:<br />
Pfarrer Norbert Arntz<br />
Layout und Satz: Jakina Ulrike Wesselmann, wDsign<br />
Redaktion missionszentrale <strong>der</strong><br />
und Anschrift: franziskaner<br />
Albertus-Magnus-Str. 39<br />
53177 Bonn<br />
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Telefax: 02 28 / 9 53 54-40<br />
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Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhalt<br />
Vorwort 5<br />
Stephan Ottenbreit OFM<br />
Interreligiöser Dialog in <strong>der</strong> 7<br />
Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
Zehn Thesen<br />
Volney J. Berkenbrock OFM<br />
Franziskus und 21<br />
<strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
Aldir Crocoli ofmcap<br />
Bekenntnis im Dialog 43<br />
Zur Ortsbestimmung des<br />
interreligiösen Dialogs im<br />
heutigen interkulturellen<br />
Kontext<br />
Francis X. D’Sa S.J.<br />
Bisher erschienene Titel 54
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Vorwort<br />
Den Dialog <strong>der</strong> religiösen Erfahrung<br />
zu wagen – zu diesem Unterfangen wollen<br />
die Artikel dieses Heftes anregen. Damit<br />
ergänzen wir die Aspekte, die im Heft<br />
100 unter dem Titel „Zum Dialog berufen“<br />
erschienen sind. Werden sich alle,<br />
die den Dialog <strong>der</strong> Religionen wünschen,<br />
auf <strong>eine</strong> Stärke besinnen können, die sich<br />
aus <strong>der</strong> Selbstbeschränkung, also aus <strong>der</strong><br />
Einsicht in die „Schwäche“ ergibt? Es ist<br />
kein unerlaubter Relativismus, wenn sich<br />
Christen nicht als Besitzende <strong>der</strong> Wahrheit<br />
verstehen und behaupten, son<strong>der</strong>n als<br />
Hörende des Wortes und Pilgernde zu<br />
jenem <strong>Geheimnis</strong>, aus dem wir kommen<br />
und zu dem wir gehen. Nur unvollendete,<br />
suchende und pilgernde Menschen<br />
können miteinan<strong>der</strong> im Sinne <strong>eine</strong>s einfühlsamen<br />
Dialogs kommunizieren.<br />
Ein Dialog könnte also paradoxerweise<br />
über die bestehenden Identitätsgrenzen<br />
hinaus gelingen, wenn sich die am<br />
Dialog Beteiligten nicht einfach nur im<br />
Namen von Religionen ansprechen, son<strong>der</strong>n<br />
als religiös bewegte Menschen, die<br />
mit an<strong>der</strong>en religiös bewegten Menschen<br />
insGesprächkommenunddabeidieGrenzen<br />
ihrer Identität durchaus aufs Spiel setzen.<br />
<strong>Das</strong> hieße nicht notwendigerweise,<br />
dass man dann s<strong>eine</strong>n Glauben aufgeben<br />
müsste. Im Gegenteil, das Problem<br />
wird sich erst gar nicht stellen, wie Volney<br />
Berkenbrock aus religionssoziologischer<br />
Sicht und Francis D’Sa aus missionstheologischer<br />
Perspektive uns darlegen und<br />
Vorwort<br />
P. Stephan Ottenbreit OFM<br />
Pfarrer Norbert Arntz<br />
wie Aldir Crocoli am historischen Beispiel<br />
des Franziskus aufweist. Menschen, die in<br />
verschiedenen religiösen Traditionen verwurzelt<br />
sind, sprechen über ihren spirituellen<br />
Reichtum, indem sie sich die Gründe<br />
ihresGlaubensundTunsmitteilenundihre<br />
Erfahrungen in Gebet und Kontemplation<br />
austauschen. Diese Art des Gespräches<br />
über Ausdrucksformen und Wege des Suchens<br />
nach Gott bzw. nach dem „absoluten<br />
<strong>Geheimnis</strong>, das wir Gott nennen“<br />
(K. Rahner) kann zu gegenseitiger fruchtbarer<br />
Bereicherung führen und tiefe geistliche<br />
Ideale o<strong>der</strong> Werte ans Licht bringen.<br />
Auchangesichtsmanchmalschmerzlicher<br />
Gegensätze muss ein solcher Dialog nicht<br />
aufhören. Denn gerade das Fremde, das<br />
uns vielleicht zunächst nur abschreckt,<br />
kann ein Bild für die Begegnung mit dem<br />
unergründlichen Gott sein.<br />
Der indische Jesuit Sebastian Painadath,<br />
<strong>der</strong> ein Zentrum für indische Spiritualität<br />
begründet hat, weiß aus eigener<br />
Erfahrung: „Durch <strong>eine</strong> Kultur des Dialogs<br />
werden die tief in den Religionen sich entfaltenden<br />
konvergierenden Spuren <strong>der</strong><br />
Spiritualität deutlicher wahrnehmbar. In<br />
<strong>eine</strong>m gemeinsamen Einsatz mit an<strong>der</strong>en<br />
glaubenden Menschen für Gerechtigkeit,<br />
Frieden und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
wird das befreiende Potential je<strong>der</strong> Religion<br />
wirksam. Der religiöse Mensch <strong>der</strong><br />
Zukunft wird ein interreligiöser Mensch<br />
sein. Tief verwurzelt in <strong>der</strong> Kernerfahrung<br />
des eigenen Glaubens versucht er, sich zu
den an<strong>der</strong>en Religionen auszustrecken<br />
um von ihnen bereichert zu werden.“<br />
Der interreligiöse Dialog zielt letzten<br />
Endes auf jene umfassenden Fragen, die<br />
am Anfang des Konzilsdokuments „über<br />
das Verhältnis <strong>der</strong> Kirche zu den nichtchristlichen<br />
Religionen“ (Nostra Aetate<br />
Nr. 1) erinnert werden und <strong>der</strong>en letzte<br />
lautet: „Was ist jenes letzte und unsagbare<br />
<strong>Geheimnis</strong> unserer Existenz, aus dem<br />
wir kommen und wohin wir gehen?“ Auf<br />
dieses <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> verweisen die vielen<br />
Religionen.<br />
Bonn-BadGodesberg,12.März2007,<br />
am 30. Jahrestag <strong>der</strong> Ermordung von<br />
P. Rutilio Grande/ El Salvador<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Interreligiöser Dialog in <strong>der</strong> Perspektive<br />
<strong>der</strong> Religiosität – Zehn Thesen –<br />
Vorbemerkungen<br />
Gestatten Sie mir einige Anmerkungen<br />
zum Dialog im heutigen religiösen<br />
Kontext, bevor ich mich dem eigentlichen<br />
Thema zuwende.<br />
a) Wirlebenin<strong>eine</strong>rZeit,in<strong>der</strong>esnicht<br />
einfach ist, vom Dialog zu sprechen. <strong>Das</strong><br />
gilt nicht nur für den religiösen Kontext,<br />
in dem sofort <strong>der</strong> Gedanke an Fundamentalismus<br />
und Fanatismus aufkommt,<br />
son<strong>der</strong>n auch für Politik und Wirtschaft.<br />
In diesen Bereichen erleben wir weltweit,<br />
dass man eher geneigt ist, Positionen zu<br />
Wir leben in <strong>eine</strong>r Zeit, in <strong>der</strong> es<br />
nicht einfach ist, vom Dialog zu<br />
sprechen.<br />
bestimmen und durchzusetzen, Identitäten<br />
zu definieren bzw. definieren zu<br />
lassen und Gruppen bzw. Nationen zu<br />
klassifizieren (z.B. Terroristen, „Achse des<br />
Bösen“), als sich füreinan<strong>der</strong> zu öffnen<br />
und einan<strong>der</strong> näher zu kommen.<br />
b) Auch im Christentum selbst nimmt<br />
<strong>der</strong> Dialog offenbar k<strong>eine</strong>n vorrangigen<br />
Platz ein. Auf institutioneller Ebene tritt<br />
<strong>der</strong> ökumenische Dialog seit Jahrzehnten<br />
auf <strong>der</strong> Stelle. Die bilateralen Dialog-Kommissionen<br />
zwischen den verschiedenen<br />
Kirchen entwickelten sich zu diplomatischen<br />
Instanzen, zu „Außenministerien“,<br />
anstatt Orte <strong>der</strong> Begegnung und Annä-<br />
Berkenbrock – Interreligiöser Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
Volney J. Berkenbrock OFM,<br />
Prof. für Fundamentaltheologie<br />
am Theologischen Institut <strong>der</strong><br />
<strong>Franziskaner</strong> in Petrópolis/Brasilien<br />
herung zu sein. Dabei ist zu beobachten,<br />
dass es wichtiger ist, die eigene Identität<br />
zu betonen, als den Dialog zu suchen. In<br />
Brasilien hat <strong>der</strong> Zuwachs <strong>der</strong> Pfingstkirchen<br />
geradezu die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit dem An<strong>der</strong>en verschärft, anstatt den<br />
Dialog mit ihm zu för<strong>der</strong>n. <strong>Das</strong> gilt auch<br />
für die meisten an<strong>der</strong>en Kirchen.<br />
c) Und was ist zum Dialog innerhalb<br />
des Katholizismus zu sagen? Die Öffnungsbewegung<br />
mit ihren Folgen, die<br />
vor allem durch das II. Vatikanum ausgelöst<br />
wurde, hat ansch<strong>eine</strong>nd bereits<br />
ihren Höhepunkt überschritten. Wir leben<br />
wie<strong>der</strong> in <strong>eine</strong>r Zeit des Rückzugs.<br />
Gehorsam, Betonung <strong>der</strong> Hierarchie,<br />
Standardisierungen bestimmen schon<br />
seit Jahrzehnten den Ton in <strong>der</strong> katholischen<br />
Kirche. Für Dialogbemühungen<br />
zwischen Gläubigen verschiedener Religionen<br />
hat man die Bezeichnung „interreligiöser<br />
Dialog“ gewählt. Begegnung<br />
und Dialog zwischen den Gläubigen <strong>der</strong><br />
verschiedenen christlichen Konfessionen<br />
wird als „Ökumenismus“ definiert. Doch<br />
für den Dialog innerhalb des Katholizismus<br />
ist nicht einmal ein Begriff festgelegt<br />
worden. Vielleicht lässt sich schon daran<br />
erkennen, dass es sich um <strong>eine</strong>n äußerst<br />
schwierigen Sachverhalt handelt.<br />
d) Möglicherweise ließe sich für<br />
dieses Dilemma des Dialogs ein Ausweg<br />
finden, indem man vom interreligiösen<br />
Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
redet? Wäre sie vielleicht das „neue“ Feld<br />
für den Dialog? Nein. Ich möchte die Re-
ligiosität nicht als ein „neues“ o<strong>der</strong> „an<strong>der</strong>es“<br />
Dialogfeld vorstellen. Vielmehr<br />
möchte ich einige ganz bescheidene Anmerkungen<br />
zum interreligiösen Dialog<br />
anbieten, <strong>der</strong> m<strong>eine</strong>r Meinung nach bereits<br />
seit langem auf dem Gebiet <strong>der</strong> Religiosität<br />
stattfindet. Ich möchte lediglich<br />
auf <strong>eine</strong>n Bereich aufmerksam machen,<br />
in dem <strong>der</strong> Dialog längst schon vollzogen<br />
wird, ohne dass man sich dabei zwangsläufig<br />
um ihn Sorgen macht. M<strong>eine</strong> Darlegung<br />
wird in zwei Schritten erfolgen:<br />
In <strong>eine</strong>m ersten Schritt halte ich es für<br />
wichtig zu beschreiben, was man unter<br />
„Religiosität“ versteht; in <strong>eine</strong>m zweiten<br />
Schritt werde ich in zehn Thesen Anmerkungen<br />
zum interreligiösen Dialog in <strong>der</strong><br />
Perspektive <strong>der</strong> Religiosität formulieren.<br />
1. Religiosität<br />
<strong>Das</strong> Wort „Religiosität“ wird häufig<br />
mit dem Zusatz „Volks...“ verwendet<br />
und dementsprechend verstanden. Als<br />
„Volksreligiosität“ bezeichnet man <strong>eine</strong><br />
Reihe von religiösen Praktiken und Glaubensweisen<br />
des „einfachen Volkes“, die<br />
ihren Platz eher am Rande <strong>der</strong> Institution,<br />
wenn nicht gar außerhalb <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Institution<br />
gefor<strong>der</strong>ten und gelebten „Religion“<br />
haben. Einige Kreise gebrauchen<br />
das Wort „Volksreligiosität“ mit <strong>eine</strong>r Art<br />
Vorurteil, weil sie darin <strong>eine</strong> Mischung aus<br />
Aberglauben, religiöser Einfalt und Ignoranz<br />
sehen. An<strong>der</strong>e Kreise verstehen unter<br />
dem Begriff <strong>eine</strong> Art religiöser Unverfälschtheit,<br />
weil sie den „wahren Kern“<br />
religiöser Überzeugung in ihr erkennen.<br />
Ich verstehe das Wort „Religiosität“<br />
nicht in dieser Weise und werde es im Folgenden<br />
auch nicht im Sinne von „Volksreligiosität“<br />
verwenden, was auch immer<br />
man darunter verstehen mag.<br />
Ich werde das Wort „Religiosität“ im<br />
Sinne des persönlich gelebten und erlebten<br />
Glaubens gebrauchen. Religiosität<br />
in diesem Sinne legt den Akzent auf die<br />
Glaubensüberzeugung und das religiöse<br />
Erleben des Menschen. Weil <strong>der</strong> Mensch<br />
<strong>eine</strong>n Glauben hat (vielleicht wäre es besser<br />
zu sagen „vom Glauben überzeugt<br />
ist“), praktiziert er auch ein religiöses<br />
Verhalten, das sich in Handlungen, Riten,<br />
Verhaltensweisen und Weltanschauung<br />
manifestiert, kurzum in Weisen des eigenen<br />
Verhaltens und des Umgangs mit<br />
an<strong>der</strong>en. <strong>Das</strong> Empfinden, das <strong>der</strong> subjektiven<br />
Seite aller dieser „religiösen“ Seinsweisen<br />
zugrunde liegt, bezeichne ich als<br />
Religiosität. Sie bedeutet also Ausdruck<br />
des Gefühls, <strong>der</strong> Seins- und <strong>der</strong> Lebensweise<br />
des Subjekts, ausgehend von <strong>der</strong><br />
Religion. Die so verstandene Religiosität<br />
ist unabhängig von <strong>der</strong> religiösen Institution,<br />
an die sich <strong>der</strong> Mensch gebunden<br />
fühlt. Sie ist unabhängig, weil sie sich<br />
we<strong>der</strong> für noch gegen das von <strong>der</strong> religiösen<br />
Institution vertretene Verständnis<br />
ausspricht. Die so verstandene Religiosität<br />
ist in <strong>der</strong> Person verwurzelt, im Menschen,<br />
<strong>der</strong> glaubt, ohne auf die Gültigkeit<br />
<strong>der</strong> religiösen Vorstellungen <strong>eine</strong>r Institution<br />
festgelegt zu sein. Der Mensch hat<br />
o<strong>der</strong> empfindet Religiosität unabhängig<br />
davon, ob er sie im Kontext <strong>eine</strong>r verfassten<br />
religiösen Institution als gültig erfährt<br />
o<strong>der</strong> nicht.<br />
Der Mensch hat o<strong>der</strong> empfindet<br />
Religiosität unabhängig davon,<br />
ob er sie im Kontext <strong>eine</strong>r<br />
verfassten religiösen Institution<br />
als gültig erfährt o<strong>der</strong> nicht.<br />
Wo ist denn nun aber persönliche Religiosität<br />
verwurzelt o<strong>der</strong> geachtet, wenn<br />
nicht in irgend<strong>eine</strong>r religiösen Institution?<br />
Nach m<strong>eine</strong>m Verständnis ist sie in <strong>der</strong> religiösen<br />
Erfahrung verwurzelt. Religiosität<br />
legitimiert sich zuallererst aus <strong>der</strong> Erfahrung,<br />
aus dem „religiösen Empfinden“,<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Foto: KNA<br />
bevor sie durch irgend<strong>eine</strong> religiöse Institution<br />
akzeptiert und interpretiert wird.<br />
Es erhebt sich dann die Frage: Was könnte<br />
denn dieses „religiöse Empfinden“, diese<br />
religiöse Erfahrung sein? Um dafür <strong>eine</strong><br />
Erklärung zu finden, beziehe ich mich<br />
auf den von dem Religionswissenschaftler<br />
Mircea Eliade verwendeten Begriff Hierophanie.<br />
Laut Mircea Eliade beschreibt<br />
<strong>der</strong> Begriff Hierophanie „die Erfahrung<br />
des Heiligen“. Diese Erfahrung ereignet<br />
sich - laut Eliade - in <strong>der</strong> mentalen<br />
Welt dessen, <strong>der</strong> glaubt. Selbst wenn <strong>der</strong><br />
Mensch verschiedenartige Hierophanien<br />
(als Phänomene) haben kann, so behalten<br />
sie stets die gleiche Struktur <strong>der</strong> Erfahrung<br />
des Sakralen für den Glaubenden.<br />
Eben deshalb ist jede Hierophanie stets<br />
wirklich und wahr. Dies vorausgesetzt,<br />
erklärt sich die Charakterisierung <strong>eine</strong>r<br />
Erfahrung als „religiös“ von selbst: sie<br />
wird als religiös empfunden und bedarf<br />
Berkenbrock – Interreligiöser Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
k<strong>eine</strong>r Instanz, die sie als religiös qualifiziert<br />
o<strong>der</strong> klassifiziert. Religiosität, wie ich<br />
sie hier verstehe, hat also solcherart religiöse<br />
Erfahrung zur Grundlage. Sie vollzieht<br />
sich und wird aufgebaut auf dieser<br />
Erfahrung, sie wird durch sie legitimiert<br />
und verifiziert, das heißt bewahrheitet.<br />
Wenn die Religiosität auf <strong>der</strong> religiösen<br />
Erfahrung gründet, dann ist auch nicht<br />
die religiöse Institution ihr Bezugspunkt,<br />
son<strong>der</strong>n das persönliche Empfinden, das<br />
in <strong>der</strong> Erfahrung s<strong>eine</strong> Grundlage hat. Damit<br />
wird die religiöse Erfahrung <strong>der</strong> Referenzpunkt,<br />
von dem aus das Subjekt s<strong>eine</strong><br />
Religiosität entwickelt.<br />
Wenn hier vom Bezugpunkt für die<br />
Religiosität gesprochen wird, so sei ein<br />
weiterer Begriff eingeführt, <strong>der</strong> in diesem<br />
Kontext wichtig ist. Man redet viel von<br />
religiöser Identität, davon, wie wichtig es<br />
sei, religiöse Identität zu denken, zu klären<br />
9
10<br />
und gegenwärtig zu haben. Religiöse Institutionen<br />
sorgen sich auch um die Weitergabe,<br />
die Erhaltung und Verteidigung<br />
dessen, was sie als ihre religiöse Identität<br />
begreifen. Unter dem Gesichtspunkt<br />
<strong>eine</strong>r Religiosität, die religiöse Erfahrung<br />
zur Grundlage hat, halte ich es für besser,<br />
von religiöser Identifikation als von religiöser<br />
Identität zu sprechen. Der Begriff<br />
religiöse Identität vermittelt den Eindruck<br />
<strong>eine</strong>r statischen Größe, die man anstrebt<br />
und beibehält. Religiöse Identifikation dagegen<br />
ist <strong>eine</strong> dynamische Größe, die auf<br />
Grund <strong>der</strong> Erfahrung stets neu bestimmt<br />
wird. So wird auch die Religiosität aus<br />
<strong>der</strong> persönlichen religiösen Erfahrung,<br />
mit <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> glaubende Mensch identifiziert,<br />
stets neu konstituiert. An<strong>der</strong>s gesagt:<br />
Sobald bestimmte Erfahrungen als<br />
religiös empfunden werden, geschieht<br />
durch sie religiöse Identifikation. Konkret<br />
kann das ein Ritual, ein Erlebnis, ein Inhalt,<br />
ein Wort, ein Ort u. a. m. sein.<br />
Sobald bestimmte Erfahrungen<br />
als religiös empfunden werden,<br />
geschieht durch sie religiöse<br />
Identifikation.<br />
An dieser Stelle soll auch auf die Tatsache<br />
hingewiesen werden, dass sich das<br />
Verständnis von Ort und Bedeutung <strong>der</strong><br />
persönlichen religiösen Erfahrung verän<strong>der</strong>t.<br />
Die persönliche religiöse Erfahrung<br />
wird für das mo<strong>der</strong>ne und post-mo<strong>der</strong>ne<br />
Subjekt immer mehr zur Instanz für religiöse<br />
Verifikation. Etwas ist dann in religiösen<br />
Begriffen wahr, wenn es als solches<br />
empfunden bzw. erfahren wird und nicht<br />
mehr dann, wenn es irgend<strong>eine</strong> Institution<br />
für wahr erklärt. Die religiöse Institution<br />
hat für das Subjekt weitgehend die<br />
Fähigkeit eingebüßt, religiöse Wahrheit<br />
definieren zu können. Die Verantwor-<br />
tung für die religiöse Wahrheit – mehr im<br />
Sinne <strong>eine</strong>r Überzeugung als im Sinne <strong>eine</strong>r<br />
Lehraussage – hat sich für das Subjekt<br />
von <strong>der</strong> Institution auf s<strong>eine</strong> eigene Erfahrung<br />
verlagert.<br />
2. Zehn Thesen<br />
zum interreligiösen Dialog<br />
in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong><br />
Religiosität<br />
1. These: Der interreligiöse Dialog<br />
auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Religiosität<br />
ist ein viel älterer Prozess als das Bewusstsein<br />
<strong>der</strong> religiösen Institution<br />
über Bedeutung und Ort des interreligiösen<br />
Dialogs.<br />
Religiöser Austausch unter dem Gesichtspunkt<br />
von Religiosität ereignet sich<br />
als Prozess seit den frühesten Zeiten <strong>der</strong><br />
Menschheit. Von dem Moment an, da<br />
irgendein religiöses Handeln (ein Ritual,<br />
ein Opfer, ein Tempel etc.) etwas für jemanden<br />
bedeuten kann, das heißt, <strong>eine</strong><br />
religiöse Erfahrung sein kann, wird es mit<br />
ihm <strong>eine</strong> Identifikation geben. Es wird<br />
zum Bezugspunkt. So werden schließlich<br />
sehr unterschiedliche „religiöse Bräuche“<br />
verschiedenartigster Herkunft von an<strong>der</strong>en<br />
Gruppen übernommen, sofern sie <strong>eine</strong><br />
religiöse Bedeutung haben, das heißt,<br />
<strong>eine</strong> religiöse Erfahrung - und damit <strong>eine</strong><br />
Identifikation - vermitteln.<br />
Dank des Dialogs auf dieser Ebene<br />
gibt es in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Religionen<br />
viele Beispiele religiösen Austausches,<br />
von denen einige hier erwähnt werden<br />
sollen. Die Geschichte hinduistischer religiöser<br />
Traditionen ist voller Gottheiten,<br />
<strong>der</strong>en Kulte vereinigt wurden; voller Rituale,<br />
die aus an<strong>der</strong>en religiösen Gruppen<br />
stammen, voller neu gedeuteter Rituale<br />
etc. Die Bibel ist ein weiteres interessantes<br />
Beispiel dafür, wie die Erinnerung<br />
an diesen Dialog <strong>der</strong> Religiositäten in <strong>der</strong><br />
jüdischen Tradition bewahrt wird. In ihr<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
lesen wir von <strong>eine</strong>r Fülle verschiedener Riten,<br />
Kulte und religiöser Handlungen, die<br />
sozusagen nebeneinan<strong>der</strong> existieren. Es<br />
gibt Berichte über Rituale zur Opferung<br />
<strong>der</strong> Erstlingsgaben, <strong>der</strong> ersten Früchte <strong>der</strong><br />
Erde. Solche Rituale sind eindeutig agrarischen<br />
Ursprungs. Viele an<strong>der</strong>e Berichte<br />
handeln von <strong>der</strong> Opferung von Tieren,<br />
die über Steinhaufen verbrannt werden.<br />
Solche Rituale stammen aus Hirtenkulturen.<br />
O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Berichte erzählen<br />
von religiösen Handlungen auf Berggipfeln.<br />
Solche Rituale stammen aus Traditionen,<br />
die Gottheiten personalisierten<br />
und ihnen ganz bestimmte, oft schwer<br />
zugängliche Orte als Wohnungen zuwiesen.<br />
Die Bibel selbst bezeugt die Schwierigkeiten,<br />
mit denen man konfrontiert<br />
war, als man versuchte, den Kult um den<br />
Tempel von Jerusalem zu vereinheitlichen,<br />
ein Prozess, <strong>der</strong> mehr Spaltung als<br />
Einheit mit sich brachte. Noch zur Zeit Jesu<br />
fragte ihn die Samaritanerin, wo man<br />
den richtigen Gottesdienst feiere, ob auf<br />
diesem Berg o<strong>der</strong> in Jerusalem. Um noch<br />
ein weiteres Beispiel anzufügen: Auch die<br />
Geschichte des Christentums ist voll von<br />
Momenten des Dialogs, <strong>der</strong> sich mit den<br />
sogenannten heidnischen Kulten ereignete.<br />
Dank dieses Dialogs wird ein Datum<br />
für das Weihnachtsfest fixiert, indem man<br />
das Datum <strong>eine</strong>s römischen Kultes übernimmt.<br />
Dank dieses Dialogs findet <strong>der</strong><br />
Weihnachtsbaum, <strong>der</strong> aus germanischen<br />
Kulten kommt, Eingang ins Christentum.<br />
<strong>Das</strong> sind nur zwei Beispiele aus <strong>der</strong> Geschichte<br />
des Christentums.<br />
Wenn man über die lange Geschichte<br />
von Austausch und Dialog zwischen<br />
den verschiedenen religiösen Traditionen<br />
nachzudenken beginnt, wird klar,<br />
dass die Sorge seitens <strong>der</strong> religiösen Institution<br />
um die Bedeutung und den Ort<br />
des interreligiösen Dialogs erst ganz am<br />
Anfang steht. Der interreligiöse Dialog<br />
im Bewusstsein <strong>der</strong> religiösen Institution<br />
Berkenbrock – Interreligiöser Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
– und s<strong>eine</strong> Respektierung – steckt noch<br />
in den Anfängen; er könnte viel lernen<br />
von dem Jahrtausende alten Weg, den<br />
<strong>der</strong> Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
schon zurückgelegt hat.<br />
2. These: Auch wenn die religiöse<br />
Institution den interreligiösen<br />
Dialog als ihre Aufgabe betrachtet<br />
– und dafür Kommissionen, Foren<br />
und Strukturen schafft, so bedeutet<br />
das nicht automatisch <strong>eine</strong>n Fortschritt<br />
für den Dialog. Die offiziellen<br />
Instanzen für den interreligiösen<br />
Dialog werden eher zu „Außenministerien“<br />
als zu Orten des Dialogs.<br />
Sie werden eher zu Orten, an denen<br />
sich die repräsentierte Institution<br />
verteidigt, als zu Orten, an denen<br />
<strong>der</strong> Austausch erleichtert wird.<br />
<strong>Das</strong>s <strong>der</strong> interreligiöse Dialog von<br />
<strong>der</strong> Institution als Aufgabe angenommen<br />
wird, ist in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Religionen<br />
erst ein ganz junger Prozess und daher<br />
noch längst nicht in allen Institutionen<br />
etabliert. In <strong>der</strong> katholischen Kirche zum<br />
Beispiel geschah dies erst beim II. Vatikanischen<br />
Konzil durch das Dokument Nostra<br />
aetate.<br />
Für die religiöse Institution ist die Einsicht<br />
in die Notwendigkeit des interreligiösen<br />
Dialogs und die daraus folgende<br />
Schaffung von Instanzen und Organismen,<br />
die ihn voranbringen, zweifellos ein<br />
großer Fortschritt. Für den Prozess des<br />
Austauschs und des Dialogs jedoch muss<br />
dieses Faktum deshalb noch kein qualitativer<br />
Sprung nach vorn sein. Sobald<br />
<strong>eine</strong> bestimmte religiöse Institution den<br />
interreligiösen Dialog als ihre Aufgabe<br />
ansieht, schafft sie normalerweise dafür<br />
Strukturen. Verantwortliche für den Dialog<br />
werden ernannt, Kommissionen für<br />
den Dialog geschaffen, Versammlungen,<br />
Foren, Treffen etc. organisiert. Die Erfah-<br />
11
12<br />
rung einiger Jahrzehnte beweist jedoch,<br />
dass diese Strukturen schließlich eher <strong>eine</strong><br />
Rolle als „Außenministerium“ spielen<br />
und weniger als Raum des Austausches<br />
gelten. Diese Strukturen sind eher dafür<br />
da, die jeweilige Position <strong>der</strong> von ihnen<br />
repräsentierten Institution klarzustellen<br />
und zu verteidigen, als in <strong>eine</strong>n offenherzigen<br />
Dialog einzutreten. Schließlich hat<br />
man dann <strong>eine</strong> Struktur „religiöser Diplomatie“<br />
geschaffen, über die sich die<br />
Institutionen gegenseitig zu bestimmten<br />
Daten Botschaften zusenden, die jeweiligen<br />
Verantwortlichen Grußworte schicken<br />
o<strong>der</strong> sich „diplomatische“ Besuche<br />
abstatten.<br />
Wenn <strong>der</strong> interreligiöse Dialog von <strong>eine</strong>r<br />
religiösen Institution geleitet wird,<br />
spielen die Darlegung und Verteidigung<br />
<strong>der</strong> von „ihr vertretenen religiösen<br />
Wahrheit“ stets <strong>eine</strong> große Rolle.<br />
Wenn <strong>der</strong> interreligiöse Dialog von<br />
<strong>eine</strong>r religiösen Institution geleitet wird,<br />
spielen die Darlegung und Verteidigung<br />
<strong>der</strong> von „ihr vertretenen religiösen Wahrheit“<br />
stets <strong>eine</strong> große Rolle. <strong>Das</strong> versteht<br />
sich von selbst, denn die religiöse Institution<br />
kann sich nicht allzu sehr von ihrer<br />
religiösen Wahrheit entfernen; an<strong>der</strong>nfalls<br />
würde sie sich von ihrer eigenen<br />
Identität lösen und damit zum Teil ihren<br />
<strong>Das</strong>einsgrund einbüßen. Für den Dialogprozess<br />
spielt dieses Faktum also mehr<br />
die Rolle <strong>eine</strong>s Kristallisationspunktes als<br />
<strong>eine</strong>s Motors <strong>der</strong> Entwicklung.<br />
<strong>Das</strong> ist nur <strong>eine</strong> Feststellung und nicht<br />
in erster Linie <strong>eine</strong> Kritik o<strong>der</strong> gar <strong>eine</strong><br />
Abwertung <strong>der</strong> Dialogstrukturen religiöser<br />
Institutionen und ihrer Handlungen.<br />
Nein, auch sie haben ihre Bedeutungen<br />
und ihre Rechtfertigung, aber man muss<br />
klar sehen, dass sie qualitativ und quantitativ<br />
nur geringe Erfolge erzielen, bzw.<br />
dass ihr Handlungsspielraum und ihre<br />
Wirkungen relativ begrenzt sind.<br />
3. These: Die Logik des interreligiösen<br />
Dialogs auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Religiosität<br />
unterscheidet sich deutlich<br />
von jener des interreligiösen<br />
Dialogs auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> religiösen<br />
Institution. Vereinfacht gesagt: Die<br />
Logik <strong>der</strong> Identifikation - die Fähigkeit,<br />
sich mit etwas Gemeinsamem<br />
identifizieren zu können - ist ein<br />
entscheiden<strong>der</strong> Faktor für den Dialog<br />
in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität,<br />
während für den Dialog,<br />
<strong>der</strong> von <strong>der</strong> religiösen Institution<br />
aus denkt, die Logik <strong>der</strong> institutionellen<br />
Identität bestimmend ist.<br />
Selbst wenn beide den Begriff interreligiöser<br />
Dialog verwenden, folgen sie<br />
völlig verschiedenen Logiken. <strong>Das</strong> heißt<br />
nicht, dass die Logiken im Gegensatz<br />
o<strong>der</strong> im Wi<strong>der</strong>spruch zueinan<strong>der</strong> stehen<br />
müssen. Man muss nur klar sehen,<br />
dass sie sich erheblich voneinan<strong>der</strong> unterscheiden<br />
und daher nicht verwechselt<br />
werden dürfen.<br />
Unter Religiosität – siehe oben – verstehe<br />
ich das Empfinden und die daraus<br />
folgenden Handlungsweisen, also das Erleben,<br />
das von <strong>der</strong> religiösen Erfahrung<br />
ausgeht. Der interreligiöse Dialog in <strong>der</strong><br />
Perspektive <strong>der</strong> Religiosität findet s<strong>eine</strong>n<br />
Konvergenzpunkt in <strong>der</strong> religiösen Erfahrung.<br />
Die Identifikation mit <strong>eine</strong>r bestimmten<br />
religiösen Erfahrung bzw. mit<br />
einzelnen Aspekten dieser Erfahrung ist<br />
<strong>der</strong> Punkt, um den sich <strong>der</strong> Dialog dreht,<br />
über den sich <strong>der</strong> Austausch ereignet.<br />
Die Identifikation ist k<strong>eine</strong> direkte Konsequenz<br />
<strong>eine</strong>s Willensaktes. Sie geschieht<br />
o<strong>der</strong> geschieht nicht. Sie leitet sich her<br />
aus <strong>eine</strong>r Empfindung. Und die Annäherung<br />
an diese religiöse Empfindung ist<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
<strong>der</strong> Pfad, dem <strong>der</strong> Dialog folgt und <strong>der</strong><br />
ihn möglich macht. Je näher man dieser<br />
Empfindung kommt, je intensiver man in<br />
<strong>der</strong> Empfindung übereinstimmt, umso<br />
größer ist die Chance des Dialogs. <strong>Das</strong><br />
Zentrum, <strong>der</strong> Dreh- und Angelpunkt für<br />
den Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> so verstandenen<br />
Religiosität sind also nicht die<br />
am Dialog Beteiligten, son<strong>der</strong>n das, was<br />
sie zusammenführt: sich mit etwas Gemeinsamem<br />
identifizieren zu können, einan<strong>der</strong><br />
nahe zu sein im religiösen Empfinden,<br />
Erleben und Erfahrungen zu teilen.<br />
Der von <strong>der</strong> Logik <strong>der</strong> Institution<br />
her gedachte interreligiöse Dialog dagegen<br />
gründet mehr auf <strong>der</strong> jeweils eigenen<br />
Identität <strong>der</strong> Dialogpartner. Wer an<br />
diesem Dialog beteiligt ist, nimmt daran<br />
nicht teil, weil er ein gemeinsames o<strong>der</strong><br />
ähnliches Empfinden mit dem an<strong>der</strong>en<br />
teilen will – auch wenn es das geben kann<br />
und es sogar gut wäre, wenn es das gäbe<br />
–, son<strong>der</strong>n weil er als Vertreter <strong>der</strong> Institution<br />
daran teilnimmt. Als Sprecher <strong>der</strong><br />
jeweiligen Institution sprechen die Dialogbeteiligten<br />
nicht im eigenen Namen,<br />
son<strong>der</strong>n im Namen <strong>der</strong> Institution, die<br />
sie vertreten und die ihre Teilnahme legitimiert.<br />
Die Identität ist also legitimiert<br />
und entsteht nicht erst durch die Erfahrung<br />
<strong>der</strong> Dialogbeteiligten. Dementsprechend<br />
entwickelt sich auch die Logik, die<br />
diese Art des Dialogs bestimmt: es ist <strong>eine</strong><br />
Logik des Bewahrens, um nicht zu sagen:<br />
<strong>der</strong> Verteidigung <strong>der</strong> Identität, die man<br />
vertritt. In diesem Kontext ist es üblich<br />
davon zu sprechen, dass es im interreligiösen<br />
Dialog wichtig sei, Klarheit über die<br />
eigene religiöse Identität zu haben. Diese<br />
Klarheit ist zwar wichtig, aber es ist auch<br />
wichtig zu wissen, dass es eindeutig die<br />
Institution und ihre Bedürfnisse sind, die<br />
diese Klarheit verlangen. Folglich ist <strong>der</strong><br />
Konvergenzpunkt für diese Art des Dialogs<br />
<strong>der</strong> Wille, aus sich herauszugehen<br />
und dem an<strong>der</strong>en zu begegnen. In dieser<br />
Bewegung gibt es zumindest zwei Identi-<br />
Berkenbrock – Interreligiöser Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
täten, die einan<strong>der</strong> begegnen und darum<br />
bemüht sind, eindeutig zwei zu bleiben.<br />
Der Konvergenzpunkt besteht nicht in<br />
<strong>eine</strong>m Dritten, zu dem beide sich hingezogen<br />
fühlen und das beiden gemeinsam<br />
ist und daher in beiden ein Empfinden <strong>der</strong><br />
Identifikation hervorrufen kann.<br />
4. These: Ein weiterer entscheiden<strong>der</strong><br />
Faktor für den interreligiösen<br />
Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong><br />
Religiosität ist „die Logik des gemeinsamen<br />
Zieles“, das heißt, <strong>der</strong><br />
Dialog kommt zustande, weil die<br />
Ziele sich einan<strong>der</strong> annähern, und<br />
nicht auf Grund <strong>der</strong> Identität, aus<br />
<strong>der</strong> man stammt.<br />
Diese These schließt sich gedanklich<br />
an die vorherige an. Ein entscheiden<strong>der</strong><br />
Faktor für den interreligiösen Dialog ist<br />
<strong>der</strong> impulsgebende Faktor. Im Fall <strong>eine</strong>s<br />
Dialogs ist es jener Faktor, <strong>der</strong> zur Konvergenz<br />
führt. So könnte man vereinfacht<br />
sagen, dass die Logik des gemeinsamen<br />
Zieles die Grundlage für den interreligiösen<br />
Dialog bildet. Was ich als religiöses<br />
Empfinden, als religiöse Erfahrung, als<br />
religiöses Erleben o<strong>der</strong> einfach als Religiosität<br />
bezeichnet habe, treibt den interreligiösen<br />
Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong><br />
Religiosität voran. Ich habe dafür den<br />
Begriff Identifikation gewählt und m<strong>eine</strong><br />
damit: in dem übereinkommen können,<br />
was bewegt. Im Falle des Dialogs ist es<br />
das, was die Teilnehmenden übereinstimmend<br />
o<strong>der</strong> ähnlich empfinden und was<br />
sie daher gemeinsam bewegt. Ein erhellendes<br />
Beispiel für den interreligiösen Dialog<br />
in dieser Perspektive ist <strong>der</strong> religiöse<br />
Synkretismus. Gerade <strong>der</strong> religiöse Synkretismus<br />
ist <strong>eine</strong> <strong>der</strong> bekanntesten historischen<br />
Konsequenzen aus <strong>der</strong> Interaktion<br />
zwischen den Religiositäten. Der<br />
Synkretismus ist ein bedeutsamer Dialogprozess<br />
auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Religiosität.<br />
Im Synkretismus gab es <strong>eine</strong>n Austausch,<br />
13
1<br />
<strong>eine</strong>n Dialog mit Konsequenzen, auf <strong>der</strong><br />
Basis <strong>eine</strong>r Empfindung von Identifikation<br />
mit <strong>eine</strong>m gemeinsamen Ziel. Als Beispiel<br />
kann <strong>der</strong> Weihnachtsbaum dienen. Er<br />
weckt die Empfindung für das entstehende<br />
Leben, <strong>eine</strong>s Lebens, das nicht stirbt,<br />
son<strong>der</strong>n Wi<strong>der</strong>stand leistet; auf <strong>der</strong> Basis<br />
dieser Logik des gemeinsamen Zieles, <strong>eine</strong>r<br />
gemeinsamen Identifikation, wurde<br />
<strong>der</strong> Baum akzeptiert und mühelos in die<br />
christliche Tradition eingeglie<strong>der</strong>t.<br />
An<strong>der</strong>s verhält es sich mit <strong>der</strong> Logik<br />
des interreligiösen Dialogs auf <strong>der</strong> Basis<br />
<strong>der</strong> religiösen Institution. Sie definiert<br />
sich durch die Herkunft <strong>der</strong> am Dialog<br />
Beteiligten. Die religiöse Identität, ihre<br />
Darlegung, Erhaltung und Rechtfertigung<br />
ist hier <strong>der</strong> entscheidende Faktor.<br />
In dieser Logik <strong>der</strong> Herkunft gibt<br />
es k<strong>eine</strong> Konvergenz. Die Herkunftslogik<br />
hält durch die jeweilige Eigendynamik<br />
<strong>der</strong> Institution und ihrer Interessen<br />
an den Unterschieden fest.<br />
5. These: <strong>Das</strong> „Angebot von religiösen<br />
Dienstleistungen“, das allgemein<br />
ein Angebot ist, um Erfahrungen<br />
zu machen, ist heutzutage<br />
zum privilegierten Ort für den interreligiösen<br />
Dialog in <strong>der</strong> Perspektive<br />
<strong>der</strong> Religiosität geworden.<br />
Mehrfach wurde hier bereits von Religiosität<br />
als von etwas gesprochen, das<br />
das Erleben des persönlichen Glaubens,<br />
die religiöse Erfahrung zur Grundlage<br />
hat. Ebenso davon, dass <strong>der</strong> interreligiöse<br />
Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
sich dann in <strong>der</strong> Konvergenz ereignet, in<br />
<strong>der</strong> Identifikation mit an<strong>der</strong>en religiösen<br />
Erfahrungen. Ich habe auch bereits darauf<br />
hingewiesen, dass diese Identifikation<br />
ein entscheiden<strong>der</strong> Faktor für den<br />
Dialogprozess in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
ist. Nun möchte ich auf einige<br />
Spuren aufmerksam machen, durch die<br />
man das Beschriebene in unserer Realität<br />
beobachten kann.<br />
Ich habe auch auf den Unterschied<br />
zwischen den Logiken <strong>der</strong> beiden Dialogformen<br />
– des Dialogs auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Religiosität<br />
bzw. auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> religiösen<br />
Institution – hingewiesen, dass nämlich<br />
<strong>der</strong> Dialog seitens <strong>der</strong> religiösen Institution<br />
leicht Gefahr läuft, zu religiöser Diplomatie<br />
zu werden. Folglich wäre das<br />
Milieu <strong>der</strong> Institution nicht so sehr <strong>der</strong><br />
privilegierte Ort, um den interreligiösen<br />
Dialog unter dem Gesichtspunkt <strong>der</strong> Religiosität<br />
zu praktizieren. Dieser vollzieht<br />
sich eher in an<strong>der</strong>er Umgebung als in <strong>der</strong><br />
religiösen Institution selbst.<br />
M<strong>eine</strong>r Ansicht nach geschieht dieser<br />
Dialog heutzutage häufig durch das,<br />
was ich – vorsichtig formuliert – das „Angebot<br />
<strong>eine</strong>r religiösen Dienstleistung“<br />
nennen würde. Dabei kann man sehr<br />
unterschiedliche Phänomene beobachten.<br />
Zum <strong>eine</strong>n gibt es die Angebote<br />
von Begegnungen, Seminaren, Workshops,<br />
Kursen etc. religiösen Charakters;<br />
Kurse für religiöse Tänze, Meditationserfahrungen,<br />
Entspannungsmethoden,<br />
ritualisierte Anwendungen von Gesundheitstherapien.<br />
Die tatsächliche Flut von<br />
Angeboten in dieser Hinsicht lässt darauf<br />
schließen, dass hier wirklich <strong>eine</strong> große<br />
Nachfrage vorliegt. Nicht immer präsentieren<br />
sich diese Aktivitäten als ausdrücklich<br />
religiös, son<strong>der</strong>n z. T. auch als<br />
solche, die die Weisheit irgend<strong>eine</strong>r religiösen<br />
Tradition wie<strong>der</strong> aufleben lassen<br />
wollen. Sie schöpfen in <strong>der</strong> Tat aus den<br />
religiösen Erfahrungen von Traditionen,<br />
die vor Jahrhun<strong>der</strong>ten entstanden sind<br />
und seitdem weitergegeben und erlernt<br />
wurden. Ebendeshalb verfügen sie über<br />
<strong>eine</strong>n hohen Grad an Effektivität (in dem<br />
Sinne: „es funktioniert“!), was dieser Art<br />
von Angeboten mit ihren erlebnis- und<br />
erfahrungsorientierten Ansätzen gemeinsam<br />
zu sein scheint. Es geht nicht nur um<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Foto: KNA<br />
Berkenbrock – Interreligiöser Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
1
1<br />
etwas, das „gesagt“ wurde, son<strong>der</strong>n um<br />
etwas, das „gesagt und getan wurde“.<br />
Zum an<strong>der</strong>n kann man feststellen,<br />
dass „im Angebot von religiösen Dienstleistungen“<br />
auch Einzelmenschen <strong>eine</strong><br />
Rolle spielen, die in verschiedenen Lebensumständen<br />
als Mittler aufgesucht<br />
werden: bei Krankheit, Missgeschick,<br />
Unfall, Schicksalsschlägen, Beratungen<br />
in Liebesangelegenheiten und beim Tod<br />
von Menschen, aber auch im Falle von Investitions-<br />
und Unternehmertätigkeiten,<br />
bei Verlobungen und Hochzeiten. Solche<br />
Menschen legen die Hände auf, verrichten<br />
Gebete, heilen, vollziehen Riten o<strong>der</strong><br />
lassen sie vollziehen, geben Ratschläge<br />
und sagen die Zukunft voraus. Oftmals<br />
sind solche Menschen sogar mit irgend<strong>eine</strong>r<br />
religiösen Institution verbunden, wie<br />
z. B. ein „pai-de-santo“ (Anm. d. Red.:<br />
höchste religiöse Autorität im afro-brasilianischen<br />
Kult), <strong>der</strong> dazu anhält, Riten zu<br />
vollziehen, ein Pastor, <strong>der</strong> ein wirksames<br />
Gebet lehrt, ein Pater, <strong>der</strong> die Hände<br />
auflegt, o<strong>der</strong> <strong>eine</strong> Nonne, die Tees „verschreibt“.<br />
Auch wenn diese Personen <strong>eine</strong>r Institution<br />
angehören, so vollziehen sie die<br />
Handlungen doch häufig am Rande <strong>der</strong><br />
Institution. Im Rahmen dieses Angebots<br />
von religiösen Dienstleistungen ließe sich<br />
noch vieles mehr sagen. Doch sollen diese<br />
beiden Hinweise genügen, um auf das<br />
Anliegen aufmerksam zu machen.<br />
In den hier geschil<strong>der</strong>ten Arten des<br />
Austauschs werden vor allem zwei Faktoren<br />
sichtbar, die weiter oben bereits<br />
als unabdingbar für den interreligiösen<br />
Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
genannt wurden: die Logik <strong>der</strong> Identifikation<br />
und die Logik des Bemühens um<br />
ein gemeinsames Ziel. Menschen, die<br />
durch die religiösen Dienstleistungen<br />
Erfahrungen machen, suchen nach ihnen,<br />
weil sie gemeinsame Ziele erreichen<br />
wollen; sie suchen nach diesen Ange-<br />
boten, weil sie sich in irgend<strong>eine</strong>r Weise<br />
mit ihnen identifizieren. Dieses Bemühen<br />
und diese Identifikation wirken<br />
zusammen, so dass dort wirklich ein interreligiöser<br />
Dialog in <strong>der</strong> Perspektive<br />
<strong>der</strong> Religiosität stattfindet.<br />
6. These: Der interreligiöse Dialog<br />
in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
hat – da er sich um die institutionelle<br />
Struktur nicht kümmert<br />
- mehr den Charakter <strong>eine</strong>s Ereignisses,<br />
<strong>eine</strong>s Erlebnisses, <strong>eine</strong>s Momentes,<br />
als den <strong>eine</strong>s Bemühens<br />
um „Verantwortung“ bzw. um den<br />
„Aufbau von Strukturen“.<br />
Im Kontext <strong>eine</strong>r Religiosität, die auf<br />
<strong>der</strong> religiösen Erfahrung beruht, ist <strong>der</strong> interreligiöse<br />
Dialog, das heißt die Identifikation<br />
und <strong>der</strong> Austausch mit <strong>eine</strong>r an<strong>der</strong>en<br />
religiösen Erfahrung, charakterisiert<br />
durch das, was ihn auch hervorbringt,<br />
durch s<strong>eine</strong> erfahrungsbestimmte, erlebnisorientierte<br />
und momentane Gestalt.<br />
Da er sich auf dieser Ebene – zumindest<br />
anfangs – gar nicht um die institutionelle<br />
religiöse Struktur kümmert, verfügt er<br />
auch nicht über <strong>der</strong>en Schwerfälligkeit.<br />
Der Volksmund sagt: „Wer weiß, handelt.<br />
Wer nicht weiß, bildet <strong>eine</strong>n Arbeitskreis!“<br />
Den wahren Kern dieser scherzhaften<br />
Bemerkung kann man auf unser<br />
Thema übertragen. Die Institutionen,<br />
besorgt darum, den interreligiösen Dialog<br />
in Gang zu bringen, aber nicht genau<br />
wissend, wie man das machen könnte,<br />
berufen Kommissionen und ernennen<br />
Verantwortliche für dieses Anliegen. Diese<br />
wie<strong>der</strong>um veranstalten Treffen und<br />
Foren, bilden Studiengruppen und bilaterale<br />
Kommissionen mit dem jeweiligen<br />
Gegenüber an<strong>der</strong>er Institutionen, also<br />
mit den zu diesem Zweck von an<strong>der</strong>en Institutionen<br />
eingesetzten Kommissionen.<br />
In <strong>eine</strong>r solchen Umgebung betreibt man<br />
mehr Studien über den Dialog als den Di-<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
alog selbst. <strong>Das</strong> ist so, weil die Mitglie<strong>der</strong><br />
solcher Kommissionen auf ihren Schultern<br />
die Verantwortung tragen, ihre jeweilige<br />
Institution zu repräsentieren und<br />
klarzustellen, was Identität, Doktrin und<br />
Ansicht eben dieser Institution ausmachen.<br />
Gleichzeitig halten sie es für notwendig,<br />
Strukturen zu schaffen, die ihre<br />
Intention stützen; Statuten werden verfasst,<br />
Zeitpläne erstellt, Verantwortlichkeiten<br />
hierarchisch bestimmt und vieles<br />
an<strong>der</strong>e mehr. Um all das aufrecht zu erhalten,<br />
muss ebenfalls viel Zeit und Kraft<br />
aufgewendet werden.<br />
Beim interreligiösen Dialog, <strong>der</strong> sich<br />
auf Grund von Religiosität ereignet, kümmert<br />
man sich um diese Seite überhaupt<br />
nicht. Die am Dialog Beteiligten nehmen<br />
als Privatmenschen an <strong>der</strong> Dynamik teil.<br />
Es gibt k<strong>eine</strong> „Verantwortlichkeit vor jemandem<br />
o<strong>der</strong> vor etwas“. Es geht ganz<br />
einfach um Erleben und Erfahrung. Aber<br />
haben solches Erleben und solche Erfahrung<br />
k<strong>eine</strong> Konsequenzen? Auch wenn<br />
dies <strong>der</strong> Fall wäre, ist es in diesem Moment<br />
nicht von vorrangigem Interesse.<br />
7. These: Es wäre illusorisch<br />
zu glauben, <strong>der</strong> interreligiöse Dialog<br />
auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Religiosität<br />
sei stets ein Weg zu Verständigung<br />
und Einheit. Sowohl in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
als auch in <strong>der</strong> Gegenwart<br />
ist <strong>der</strong> interreligiöse Dialog in <strong>der</strong><br />
Perspektive <strong>der</strong> Religiosität immer<br />
wie<strong>der</strong> auch ein Mittel <strong>der</strong> Nicht-<br />
Identifikation. Er wird oft sogar als<br />
religiöser Fanatismus bzw. Fundamentalismus<br />
gesehen.<br />
Da ich den Dialog in <strong>der</strong> Perspektive<br />
<strong>der</strong> Religiosität recht positiv dargestellt<br />
habe, könnte <strong>der</strong> Eindruck entstehen,<br />
dass ich <strong>eine</strong>rseits ausschließlich diesen<br />
Weg für den Dialog als wertvoll erachte,<br />
und dass ich an<strong>der</strong>erseits diese Form des<br />
Dialogs als „die“ Lösung bei <strong>der</strong> Suche<br />
Berkenbrock – Interreligiöser Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
nach Verständigung und Einheit ansehe.<br />
Falls dies <strong>der</strong> Eindruck beim Lesen <strong>der</strong><br />
oben stehenden Reflexionen gewesen<br />
sein sollte, möchte ich klarstellen, dass<br />
die zweifellos positiven Aussagen über<br />
den interreligiösen Dialog in <strong>der</strong> Perspektive<br />
<strong>der</strong> Religiosität auf m<strong>eine</strong>r Überzeugung<br />
gründen, dass diese Dialogpraxis<br />
in <strong>der</strong> Vergangenheit bereits reichlich erprobt<br />
worden ist und fruchtbar war.<br />
Dennoch habe ich k<strong>eine</strong>swegs die<br />
Vorstellung, <strong>der</strong> Austausch auf <strong>der</strong> Basis<br />
<strong>der</strong> Religiosität sei stets ein Mittel <strong>der</strong><br />
Verständigung und <strong>der</strong> Herstellung von<br />
Einheit gewesen. In <strong>der</strong> Geschichte des<br />
interreligiösen Dialogs auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong><br />
Religiosität kann man verfolgen, dass<br />
<strong>der</strong> Austausch nicht in jedem Falle positiv<br />
war. Auch wenn die Identifikation für<br />
den Dialog in dieser Perspektive vielfach<br />
die Folge ist, so ist auch die Nicht-Identifikation<br />
<strong>eine</strong> mögliche Realität. Der Dialog<br />
muss nicht zwingend als Mittel <strong>der</strong><br />
Verständigung gedeutet werden. Er kann<br />
auch dem Missverständnis und <strong>der</strong> Distanzierung<br />
Vorschub leisten. Gerade<br />
weil <strong>der</strong> Dialog in dieser Perspektive <strong>eine</strong><br />
gute Dosis von Empfindungen und Emotionen<br />
einbezieht, kann das Missverstehen<br />
zu Fanatismen und schmerzhaften<br />
Trennungen führen, wofür es auch Beispiele<br />
gibt. An<strong>der</strong>s gesagt: so wie sich ein<br />
Prozess <strong>der</strong> Identifikation, <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s<br />
attraktiv ist, ereignen kann, so ist auch<br />
<strong>der</strong> Prozess <strong>der</strong> Nicht-Identifikation <strong>der</strong><br />
beson<strong>der</strong>s abweisend sein kann, <strong>eine</strong><br />
Realität. <strong>Das</strong> Phänomen <strong>der</strong> Nicht-Identifikation<br />
kann vielfach beson<strong>der</strong>s dort<br />
erfahren werden, wo jemand <strong>eine</strong> wesentlich<br />
an<strong>der</strong>e religiöse Erfahrung als früher<br />
macht und auf <strong>der</strong> Basis dieser neuen<br />
Erfahrung zu <strong>eine</strong>r an<strong>der</strong>en Einsicht über<br />
s<strong>eine</strong> religiöse Einstellung im Glauben<br />
gelangt. In solchen Fällen sind scharfe Distanzierungen<br />
von früheren Erfahrungen<br />
nicht selten. Die neue Erfahrung vor Augen,<br />
setzt man alles daran zu beweisen,<br />
1
1<br />
dass man sich nicht länger mit <strong>der</strong> vorhergehenden<br />
Erfahrung identifiziert. Der<br />
Aufbau <strong>eine</strong>r religiösen Identifikation auf<br />
Grund <strong>eine</strong>r neuen religiösen Erfahrung<br />
wäre sicher ein interessanter Gegenstand<br />
<strong>der</strong> Beobachtung, überschreitet aber den<br />
Rahmen m<strong>eine</strong>r Reflexion.<br />
8. These: Der interreligiöse Dialog<br />
in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
hat größere Chancen praktiziert<br />
zu werden, weil er sich nicht<br />
auf die unauflösbare Spannung religiöser<br />
„Zugehörigkeit“ einlassen<br />
muss. Die Institution hat das Problem<br />
(die Unsicherheit) <strong>der</strong> Zugehörigkeit,<br />
was den Dialog lähmt.<br />
Die religiöse Institution – namentlich<br />
in <strong>der</strong> christlich-kirchlichen Tradition<br />
– kümmert sich sehr intensiv um die „religiöse“<br />
Zugehörigkeit ihrer Mitglie<strong>der</strong>.<br />
Religiöse Gläubigkeit wird mehr im Sinne<br />
<strong>der</strong> Bindung an die Institution verstanden<br />
denn als persönlich empfundene Anhänglichkeit<br />
an das Heilige. Aus <strong>der</strong> Sicht<br />
<strong>der</strong> Institution ist <strong>der</strong> Glaube etwas, an<br />
das die Gläubigen glauben müssen. Für<br />
die Glaubenden dagegen ist <strong>der</strong> Glaube<br />
das, woran sie glauben, während die Institution<br />
zu diesem intimen, persönlichen<br />
Breich k<strong>eine</strong>n Zugang hat. Beide Bereiche<br />
müssen nicht im Wi<strong>der</strong>spruch zueinan<strong>der</strong><br />
stehen. Zum großen Teil stimmen sie<br />
sogar überein. Ja, und auf Grund dieser<br />
Übereinstimmung schafft die religiöse Institution<br />
Bindungen/Empfindungen von<br />
„Zugehörigkeit“ in ihrer Beziehung zu<br />
den Gläubigen. Diese wie<strong>der</strong>um schaffen<br />
auch in den Gläubigen die Verbindung<br />
zur Institution. So weit ist das nicht neu.<br />
Sobald jedoch im interreligiösen Dialog,<br />
in dem es um den Kontakt zu an<strong>der</strong>en<br />
religiösen Deutungen geht, irgendein<br />
Austausch im Bereich religiöser Erfahrung<br />
stattfindet, entsteht für die Institution das<br />
Problem (bzw. die Unsicherheit) <strong>der</strong> re-<br />
ligiösen Zugehörigkeit. Wenn Gläubige,<br />
die <strong>eine</strong>r religiösen Institution verbunden<br />
sind, an religiösen Erfahrungen <strong>eine</strong>r an<strong>der</strong>en<br />
Tradition teilnehmen – unabhängig<br />
davon, auf welcher Ebene diese Teilnahme<br />
stattfindet – , empfindet die religiöse<br />
Institution, aus <strong>der</strong> sie kommen, diesen<br />
Akt als <strong>eine</strong> Art „Treulosigkeit“. Dieses<br />
Empfinden stammt genau aus dem Verständnis<br />
von „Zugehörigkeit“, das die Institution<br />
gegenüber „ihren“ Gläubigen<br />
hegt. Die Institution fürchtet, dass die<br />
Gläubigen sich <strong>eine</strong>r an<strong>der</strong>en Institution<br />
zuwenden könnten. Genauer formuliert:<br />
die Institution fürchtet die Konversion.<br />
Als ob die Institution die Möglichkeit habe,<br />
in diesen Intimbereich des Glaubens<br />
eindringen zu können. Diese Furcht wirkt<br />
sich lähmend auf den Dialog aus.<br />
In <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
stellt sich dieses Problem nicht. Auf <strong>der</strong><br />
Basis erfahrungsorientierter Identifikation<br />
ereignet sich <strong>der</strong> Austausch o<strong>der</strong> er<br />
ereignet sich nicht. Hier ist <strong>der</strong> persönliche<br />
Bereich involviert und nicht <strong>der</strong><br />
institutionelle. Und nach den Kategorien<br />
persönlichen Glaubens sind wir alle<br />
Pilger auf demselben Weg.<br />
9. These: Die meisten Religionen<br />
bilden sich, indem sie bereits vorhandene<br />
Religiositäten zusammenführen,<br />
einan<strong>der</strong> annähern und in<br />
Dialog miteinan<strong>der</strong> bringen. Die<br />
religiöse Erfahrung ist <strong>der</strong> Nährboden,<br />
aus dem stets Religion hervorgeht.<br />
Diese Aussage trifft nicht nur<br />
für die Vergangenheit zu, son<strong>der</strong>n<br />
beschreibt <strong>eine</strong> permanente historische<br />
Struktur.<br />
Viele Religionen bewahren liebevoll<br />
die Erinnerung und den Kontext ihres Ursprungs.<br />
Für viele haben diese Erinnerung<br />
und <strong>der</strong> Kontext des Ursprungs sogar institutionsbildenden<br />
und legitimierenden<br />
Charakter. Im geschichtlichen Verlauf<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
<strong>der</strong> Religion mit all ihren möglichen und<br />
denkbaren Entfaltungen werden Gründungsmomente,Grün<strong>der</strong>persönlichkeiten<br />
o<strong>der</strong> Gründungsereignisse als institutionsstiftende<br />
Autorität anerkannt.<br />
Historische Entwicklungen werden häufig<br />
mit Rückgriff auf diese Ursprünge legitimiert.<br />
Ausgehend von dieser Feststellung<br />
lässt sich erkennen, dass ein großer<br />
Teil <strong>der</strong> religiösen Institutionen in ihren<br />
Ursprung <strong>eine</strong> gewisse Aura „ursprünglicher<br />
Reinheit“ projiziert. Man schafft<br />
den „Mythos“ <strong>eine</strong>s „r<strong>eine</strong>n“ Moments<br />
bzw. <strong>eine</strong>s Referenzmoments, <strong>der</strong> noch<br />
nicht von irgend<strong>eine</strong>r an<strong>der</strong>en Quelle<br />
„kontaminiert“ ist. Im Vergleich mit <strong>der</strong><br />
„ursprünglichen Reinheit“ werden die historischen<br />
Verän<strong>der</strong>ungen, die die Religionen<br />
zweifellos durchlaufen, nicht selten<br />
als „Degeneration“ betrachtet.<br />
Mit etwas Abstand und Neutralität<br />
betrachtet, gibt es k<strong>eine</strong> einzige Religion,<br />
die an ihrem Ursprung irgend<strong>eine</strong>n „r<strong>eine</strong>n“,<br />
noch nicht „kontaminierten“ Moment<br />
gehabt hätte. Die religiösen Traditionen<br />
umfassen und ver<strong>eine</strong>n in sich<br />
viele „Religiositäten“ unterschiedlichen<br />
Ursprungs und bilden sich zum großen<br />
Teil auf <strong>der</strong> Basis von Verknüpfungen und<br />
Annäherungen heraus. Daher kann man<br />
sagen, dass die religiösen Traditionen teilweise<br />
in sich selbst bereits Resultate von<br />
interreligiösen Dialogen in <strong>der</strong> Perspektive<br />
<strong>der</strong> Religiosität sind.<br />
Auch diese Aussage bezieht sich k<strong>eine</strong>swegs<br />
nur auf die Vergangenheit. Der<br />
Dialog auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Religiosität, also<br />
auf <strong>der</strong> Basis religiöser Erfahrung, ist<br />
m<strong>eine</strong>s Erachtens <strong>eine</strong> permanente Struktur<br />
in <strong>der</strong> Religionsgeschichte und k<strong>eine</strong><br />
historische Ausnahme. Geschichte meint<br />
hierauchdiepersönlicheGeschichtejedes<br />
Menschen. Daher kann man sagen, dass<br />
Religion immer aus dem Nährboden religiöser<br />
Erfahrung entsteht. Und von daher<br />
ergibt sich die Folgerung, dass Religion<br />
Berkenbrock – Interreligiöser Dialog in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
immer in <strong>der</strong> Geschichte entsteht. Religiosität<br />
ist integrieren<strong>der</strong> Bestandteil <strong>der</strong><br />
menschlichen Geschichtlichkeit.<br />
10. These: Der interreligiöse Dialog<br />
in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Religiosität<br />
(<strong>der</strong> religiösen Erfahrung)<br />
ist <strong>eine</strong>r <strong>der</strong> Hauptfaktoren für die<br />
Evolution und Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Religion.<br />
Häresie ist die Chance von etwas<br />
Neuem.<br />
Um diese letzte These noch deutlicher<br />
zu formulieren: Der Dialog auf <strong>der</strong><br />
Basis <strong>der</strong> Identifikation mit <strong>der</strong> religiösen<br />
Erfahrung ist <strong>eine</strong>r <strong>der</strong> wichtigsten Faktoren<br />
<strong>der</strong> Evolution und Verän<strong>der</strong>ung<br />
von Religion in <strong>der</strong> Geschichte. Deutlicher<br />
formuliert: Der Dialog auf <strong>der</strong> Basis<br />
<strong>der</strong> Religiosität ist ein wichtiger Mechanismus<br />
dafür, dass Religion historisch<br />
konkret wird. Unabhängig von <strong>eine</strong>r religiösen<br />
Institution bleibt Religion immer<br />
gebunden an ein religiöses „Wesen“.<br />
Und dieses religiöse Wesen ist konkret, es<br />
„macht sich“, es „konstruiert sich“ auf historische<br />
Weise. Es ist nie ein für alle mal<br />
fertig. Da es sich hier um <strong>eine</strong> Struktur<br />
des Menschseins handelt, ist dieses „Sich-<br />
Machen“, „Sich-Konstruieren“ immer ein<br />
„Sich-Neu-Machen“, ein „Sich-Rekonstruieren“.<br />
Deshalb kann man – cum grano<br />
salis – behaupten, dass die Häresie die<br />
Chance des Neuen in sich birgt.<br />
Übersetzung aus dem bras. Portugiesisch:<br />
Norbert Arntz / Maria Schwabe<br />
19
20<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
Einführung<br />
Ist es nicht anachronistisch, über<br />
Ökumenismus und interreligiösen Dialog<br />
bei Franz von Assisi zu sprechen? Man<br />
könnte es m<strong>eine</strong>n, denn im 13. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
existieren diese Fragestellungen we<strong>der</strong><br />
im Denken noch in den Büchern <strong>der</strong><br />
Geistesschaffenden. Auch wenn scheinbar<br />
Franziskus nie etwas <strong>der</strong>artiges erwähnt<br />
hat, kann sein Leben unter dieser<br />
Thematik betrachtet werden.<br />
Gegen Ende des konstantinischen<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts beginnt die Kirche, sich als<br />
privilegierterOrganismus<strong>der</strong>Gesellschaft<br />
zu verhalten. Sie versteht sich als Stellvertreterin<br />
Christi auf Erden, als Vermittlerin<br />
des besten – wenn nicht sogar einzigen<br />
– Weges zum Heil. Als Bündnispartnerin<br />
<strong>der</strong> ökonomischen, kulturellen und religiösen<br />
Macht will sie, dass alle Völker ihren<br />
Glauben übernehmen. Wer diesem Glaubensverständnis<br />
nicht zustimmt, wird<br />
misstrauisch betrachtet o<strong>der</strong> gar dämonisiert<br />
und folglich bekämpft, auch mit Mitteln<br />
<strong>der</strong> Gewalt. Und da ist es Franziskus,<br />
<strong>der</strong> – frei von jedem Machtstreben und<br />
in <strong>der</strong> gelebten Überzeugung von <strong>der</strong><br />
Gleichrangigkeit aller Menschen und Geschöpfe<br />
– <strong>eine</strong> an<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong> Beziehung<br />
zu den „Ungläubigen“ entdeckt. Ihm gelingt<br />
es, zum ersten Mal in <strong>der</strong> Geschichte<br />
<strong>eine</strong> Methode zu entwickeln, sich den<br />
Anhängern an<strong>der</strong>er Glaubensweisen auf<br />
dialogische Weise zu nähert. Er war wirklich<br />
ein Prophet.<br />
Ich will das Thema „Franziskus, die<br />
ökumenische Bewegung und <strong>der</strong> Interreligiöse<br />
Dialog“ in drei Abschnitten ent-<br />
Crocoli – Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
Aldir Crocoli ofmcap,<br />
Prof. für Spiritualität am Theol-<br />
ogischen Institut <strong>der</strong> Kapuziner in<br />
Porto Alegre /Brasilien<br />
wickeln. Zunächst werden wir kurz den<br />
ideologischen und kulturell-religiösen<br />
Kontext s<strong>eine</strong>r Zeit betrachten, um die<br />
Bedeutung des Beitrags von Franziskus<br />
zu diesem Thema zu verstehen. Dabei<br />
sollten wir Folgendes bedenken: wenn<br />
Franziskus das, was er im 13. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
tat, heute tun würde, gäbe es überhaupt<br />
k<strong>eine</strong>n Grund, dies beson<strong>der</strong>s zu erwähnen,<br />
weil wir in <strong>eine</strong>r Zeit leben, die dem<br />
interreligiösen Dialog gegenüber viel aufgeschlossener<br />
ist.<br />
Im nächsten Abschnitt sollen einige<br />
Aspekte <strong>der</strong> dialogischen Lebensweise<br />
von Franziskus hervorgehoben werden.<br />
Man wird erkennen, dass er bei <strong>der</strong> Begegnung<br />
mit den Sarazenen ganz natürlich<br />
das fortsetzt, was er mit allen Menschen<br />
und allen Geschöpfen zu leben<br />
versuchte.<br />
Schließlich wird im letzten Abschnitt<br />
von dem die Rede sein, was als „<strong>eine</strong> Methodologie<br />
des interreligiösen Dialogs“<br />
Ihm gelingt es, zum ersten Mal<br />
in <strong>der</strong> Geschichte <strong>eine</strong> Methode<br />
zu entwickeln, sich den Anhängern<br />
an<strong>der</strong>er Glaubensweisen auf<br />
dialogische Weise zu nähert.<br />
bezeichnet werden kann. Diese beruht<br />
vor allem auf dem 16. Kapitel <strong>der</strong> nichtbullierten<br />
Regel, <strong>eine</strong>m richtungsweisenden<br />
Text für s<strong>eine</strong> Mitbrü<strong>der</strong>, <strong>der</strong> dem<br />
Ordensleben wirklich <strong>eine</strong> neue Orientierung<br />
gab. Ich hoffe, dass <strong>der</strong> Leser/die<br />
Leserin durch diese ersten Überlegungen<br />
21
22<br />
s<strong>eine</strong>/ihre Erkenntnisse erweitern und<br />
neue Dimensionen in den Beziehungen<br />
zu unseren Geschwistern mit an<strong>der</strong>en<br />
Glaubensweisen entdecken kann.<br />
1. Der historische Kontext<br />
Wie je<strong>der</strong> Mensch lebt auch Franziskus<br />
in enger Anbindung an s<strong>eine</strong>n historisch-gesellschaftlichen<br />
Kontext. S<strong>eine</strong><br />
wahre Größe wird uns bewusst, wenn wir<br />
uns klar machen, wie unabhängig er war<br />
in s<strong>eine</strong>m Handeln und Denken, mit dem<br />
er oft in direktem Gegensatz zu dem allgemein<br />
Üblichen in s<strong>eine</strong>r Zeit stand. Einige<br />
kurze Hinweise auf den historischen<br />
Kontext zu Lebzeiten von Franz von Assisi<br />
werden s<strong>eine</strong>n prophetischen Gestus<br />
im Hinblick auf den interreligiösen Dialog<br />
unterstreichen.<br />
... wie unabhängig Franziskus<br />
war in s<strong>eine</strong>m Handeln und Denken,<br />
mit dem er oft in direktem<br />
Gegensatz zu dem allgemein<br />
Üblichen in s<strong>eine</strong>r Zeit stand.<br />
Im Jahrhun<strong>der</strong>t von Franz und Klara<br />
steht die Christenheit im Zenith ihrer<br />
Macht. Während des Pontifikats von<br />
Papst Innozenz III. (1198-1216) kann die<br />
Kirche – trotz <strong>der</strong> Spannungen mit dem<br />
deutschen Kaiser – ihre politische und<br />
wirtschaftliche Macht im Okzident enorm<br />
entfalten. Sie versteht sich als Gegengewicht<br />
zur Macht <strong>der</strong> Mauren, die<br />
den Mittleren Orient beherrschen und<br />
ihre Macht nach Europa – im Osten sowohl<br />
wie im Westen auf <strong>der</strong> Iberischen<br />
Halbinsel – ausdehnen, ebenso im Norden<br />
Afrikas, in Zentralasien, in <strong>eine</strong>m<br />
großen Teil Indiens bis nach China. Beson<strong>der</strong>s<br />
erinnerungswürdig ist hier, dass<br />
die Araber das philosophische Erbe des<br />
Aristoteles aufbewahren, insbeson<strong>der</strong>e<br />
durch die Weisen Avicenna und Averroës.<br />
Thomas von Aquin macht den Aristotelismus<br />
zur Grundlage s<strong>eine</strong>r Philosophie<br />
und Theologie, und die Scholastik wird<br />
schließlich für mehr als 500 Jahre von ihm<br />
bestimmt. Handel und Diplomatie spielen<br />
<strong>eine</strong> große Rolle. Der Dinar, die arabische<br />
Münze, hat <strong>eine</strong>n dem heutigen<br />
Dollar vergleichbaren Status (Caspar,<br />
1995, S. 224). <strong>Das</strong> lässt erkennen welche<br />
Bedeutung die Handelstätigkeit mit<br />
den Europäern hatte. Die Araber waren<br />
den Christen in Mathematik, Astronomie,<br />
Medizin und Chemie weit überlegen. K<strong>eine</strong><br />
europäische Stadt hätte sich mit den<br />
kulturellen Zentren des Islam vergleichen<br />
können.<br />
Diese Überlegenheit <strong>der</strong> Araber, die<br />
eifrig über ihren Glauben an Mohammed<br />
wachen, übt <strong>eine</strong>n entscheidenden Einfluss<br />
auf die Beziehungen zu den Christen<br />
in Westeuropa aus. Diese fühlen sich von<br />
<strong>eine</strong>r fremden Großmacht bedroht. Die<br />
Kirche geht dazu über, den Islam hinsichtlich<br />
s<strong>eine</strong>r religiösen Dimension systematisch<br />
zu bekämpfen. Eindeutig sind auch<br />
an<strong>der</strong>e Interessen mit im Spiel. Es wird<br />
<strong>eine</strong> Verleumdungskampagne gegen den<br />
Glauben an den Koran und den Propheten<br />
Mohammed entfesselt, absurde Geschichten<br />
über Mohammed werden verbreitet.<br />
Man bezeichnet ihn als Betrüger,<br />
als neuen Arius, als die Bestie <strong>der</strong> Apokalypse,<br />
als Anti-Christ, als menschgewordenen<br />
Teufel (Caspar 1995, S. 227). Es<br />
ist <strong>eine</strong> Zeit gegenseitiger Vorurteile und<br />
Antipathien (Vadakkekara, 2003, S. 256).<br />
„<strong>Das</strong> gesamte Denken <strong>der</strong> Christen war<br />
nicht vom Verteidigungskrieg, son<strong>der</strong>n<br />
von <strong>eine</strong>m totalen Vernichtungskrieg<br />
gegen die Moslems beherrscht“ (Rossi,<br />
2001, S. 42).<br />
Die Organisation <strong>der</strong> „Kreuzzüge“ ist<br />
<strong>der</strong> beste Beweis für diese Art des Denkens.<br />
Zum ersten Mal werden sie von<br />
Papst Urban II. am 27. 11. 1095 proklamiert.<br />
Allein die Tatsache, dass man diese<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Kriege als „Kreuzzüge“ bezeichnet, lässt<br />
erkennen, dass man sie christlich mystifiziert<br />
begründen will. Ansch<strong>eine</strong>nd verfolgen<br />
die Kreuzzüge nur das Ziel, die<br />
heiligen Stätten, die mit den wichtigsten<br />
Ereignissen des Lebens Jesu verbunden<br />
sind, zu befreien. Die Kirche verspricht<br />
den Teilnehmern Nachlass aller Sünden<br />
und aller Sündenstrafen (Dozzi, 1989, S.<br />
72). Für den mittelalterlichen Christenmenschen<br />
ist dies ein verlocken<strong>der</strong> Preis,<br />
denn er fühlt sich stets von <strong>der</strong> Drohung,<br />
in <strong>der</strong> Hölle zu verbrennen, umgetrieben.<br />
Im Jahr nach <strong>der</strong> Proklamation durch Urban<br />
II. wird <strong>der</strong> erste Kreuzzug organisiert.<br />
Im April 1097 wird Jerusalem zum<br />
ersten Mal eingenommen. Mehr als 150<br />
Jahre wird Europa von diesen bewaffneten<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen beherrscht;<br />
hun<strong>der</strong>t Tausende Menschen sind darin<br />
verwickelt, enorme Summen Geldes<br />
werden verschwendet. Franziskus von<br />
Assisi kennt das ganze Klima aus eigener<br />
Erfahrung, weil er für etwa drei bis 4 Monate<br />
am fünften Kreuzzug im Jahr 1219<br />
teilnimmt, allerdings mit völlig an<strong>der</strong>er<br />
Zielsetzung.<br />
Der Beitrag von Franziskus wird deutlicher<br />
erkennbar, wenn man bedenkt,<br />
dass das feindselige Klima <strong>der</strong> Kirche sich<br />
gegen alles richtet, was sich außerhalb<br />
ihres geographischen und politischen<br />
Herrschaftsbereichs befindet und von<br />
ihr als böse angesehen wird. Die kriegerische<br />
Einstellung <strong>der</strong> mittelalterlichen<br />
Christenheit verteufelt alles, was nicht zu<br />
ihr gehört, insbeson<strong>der</strong>e aber die Gegner<br />
<strong>der</strong> Kirche (Franco, 1986, S. 160). Damit<br />
rechtfertigt man die tödliche Verfolgung<br />
von Häretikern 1 . Der heilige Dominikus,<br />
Grün<strong>der</strong> des Predigerordens und Zeitgenosse<br />
von Franziskus, verwendet die Predigt,<br />
um die häretischen Albigenser zu<br />
bekämpfen und zu besiegen, das heisst,<br />
sie davon zu überzeugen, dass sie im Irrtum<br />
leben. S<strong>eine</strong> Methode ist die disputatio,<br />
<strong>der</strong> theologische Disput mit dem<br />
Crocoli – Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
Ziel, den Gegner mit Hilfe <strong>der</strong> kirchlichen<br />
Lehre zu besiegen. Franziskus handelt<br />
völlig an<strong>der</strong>s, indem er jede Art von Debatte<br />
verbietet.<br />
<strong>Das</strong> IV. Laterankonzil im November<br />
1215, an dem Franziskus zusammen<br />
mit mehr als 800 Prioren sicherlich teilgenommen<br />
hat, verfolgte drei Ziele: das<br />
Ordensleben in <strong>der</strong> Kirche zu reorganisieren,<br />
die Häresien zu bekämpfen und zu<br />
<strong>eine</strong>m neuen Kreuzzug aufzurufen. Alle<br />
Prioren und die teilnehmenden 412 Bischöfe<br />
sollten nach <strong>der</strong> Rückkehr in ihre<br />
Städte und Klöster <strong>eine</strong> Kampagne beginnen,<br />
um für den „Heiligen Krieg“ zur<br />
Befreiung <strong>der</strong> von den Moslems geschändeten<br />
und entweihten Orte Finanzmittel<br />
zu sammeln und Kämpfer zu rekrutieren.<br />
Außer den materiellen Belohnungen<br />
durch Kriegsbeute wurden spirituelle Belohnungen<br />
von höchstem Wert versprochen.<br />
Es gibt allerdings k<strong>eine</strong> einzige<br />
Notiz darüber, dass Franziskus auch nur<br />
<strong>eine</strong>n Finger gerührt hätte, um diese Initiative<br />
zu unterstützen. Zwar hat er sich<br />
nicht öffentlich dagegen gewandt und er<br />
hat nicht als Militärkaplan 2 an diesem Unternehmen<br />
teilgenommen, son<strong>der</strong>n mit<br />
dem Ziel, die Christen vom Krieg abzuhalten<br />
und zum Friedensabkommen 3 mit<br />
dem Sultan zu finden.<br />
Diese kurzen Hinweise halte ich für<br />
ausreichend, um in groben Zügen das<br />
Umfeld anzudeuten, in dem Franziskus<br />
s<strong>eine</strong>n Beitrag zum „interreligiösen Dialog“<br />
geleistet hat. In den folgenden Ausführungen<br />
wird die Beziehung von Franziskus<br />
zu den Moslems als beispielhaft für<br />
s<strong>eine</strong>n Beitrag zum interreligiösen Dialog<br />
überhaupt herausgearbeitet.<br />
2. Franziskus –<br />
ein dialogischer Mensch<br />
Die dialogische Beziehung, die Franziskus<br />
zu Sarazenen hat, gehört in das<br />
breite Gefüge s<strong>eine</strong>r brü<strong>der</strong>lich-gesell-<br />
23
2<br />
schaftlichen Beziehungen zu an<strong>der</strong>en<br />
Menschengruppen und zu den Geschöpfen<br />
<strong>der</strong> Natur, die er als s<strong>eine</strong> Geschwister<br />
bezeichnet. Diese Lebenseinstellung<br />
ist die Voraussetzung für s<strong>eine</strong> Entwicklung<br />
hin zum interreligiösen Dialog. Daher<br />
möchte ich zunächst die dialogische<br />
Existenz von Franziskus ganz allgemein<br />
darlegen, um danach s<strong>eine</strong> Dialogbeziehung<br />
zu den Moslems als Paradigma für<br />
den weitergefassten interreligiösen Dialog<br />
zu prüfen.<br />
Welche Persönlichkeitsmerkmale bestimmen<br />
sein dialogisches Verhalten zum<br />
An<strong>der</strong>en? Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit<br />
zu erheben, möchte ich zwei<br />
<strong>der</strong> wichtigsten Prinzipien s<strong>eine</strong>r Lebenseinstellung<br />
benennen: Entäußerung und<br />
Respekt vor dem An<strong>der</strong>en.<br />
2.1. Entäußerung<br />
Weil es für den Glaubenden k<strong>eine</strong>n<br />
Zufall gibt, kann man sagen, dass Gott<br />
selbst das Herz des Franziskus aus den bestehenden<br />
Sicherheiten löst, um es so zu<br />
formen, dass es sich <strong>eine</strong>r zutiefst dialogischen<br />
Haltung öffnen kann. Es ist <strong>der</strong><br />
Prozess <strong>eine</strong>r ständig sich vertiefenden<br />
Entäußerung o<strong>der</strong> Entblößung, bis er s<strong>eine</strong><br />
ganze Sicherheit in Gott verankert.<br />
Dazu gehören drei Schritte:<br />
a) Der Verzicht darauf, ein Adeliger<br />
zu werden, Güter zu besitzen und<br />
gesund zu sein.<br />
Die Nie<strong>der</strong>lage im Krieg gegen Perugia<br />
im Jahre 1202, die Gefängnishaft in<br />
<strong>der</strong> Festung dieser Stadt, die Malariaerkrankung,<br />
die ihn seitdem physisch immer<br />
mehr schwächt und ihm nur <strong>eine</strong> geringe<br />
Lebenserwartung verheißt – dieser<br />
erste schwere Zusammenbruch ist m<strong>eine</strong>s<br />
Erachtens entscheidend für die existentielle<br />
Kehrtwende von Franziskus. Die körperliche<br />
Gebrechlichkeit zwingt ihn dazu,<br />
das Leben zu überdenken und ihm<br />
<strong>eine</strong> an<strong>der</strong>e Richtung zu geben; langsam<br />
wächst in ihm die Überzeugung, dass<br />
sein damaliges Lebensziel we<strong>der</strong> wahre<br />
Hoffnung noch überzeugende Sicherheit<br />
bietet. Er entledigt sich <strong>der</strong> materiellen<br />
Güter durch <strong>eine</strong> immer stärkere Hinwendung<br />
zu den Armen, so dass <strong>der</strong> Vater<br />
ihm <strong>eine</strong>n Prozess macht, weil er die Güter<br />
<strong>der</strong> Familie verschleu<strong>der</strong>e. Er entledigt<br />
sich auch s<strong>eine</strong>s Bestrebens zum Adel zu<br />
gehören, das er seit den frühen Lebensjahren<br />
in sich genährt hatte. Er entledigt<br />
sich sogar des Rechtes, überhaupt etwas<br />
zu besitzen, und akzeptiert, als „Enteigneter“<br />
zu leben.<br />
b) Der Verzicht auf Macht und Selbstgenügsamkeit.<br />
Hinter <strong>der</strong> Position des Adeligen und<br />
bedeutenden Kaufmanns – gestützt auf<br />
den Besitz von Gütern – verbirgt sich <strong>der</strong><br />
Wunsch, das Ego immer mehr zu vergrößern.<br />
Die Versuchung <strong>der</strong> Macht ist<br />
stets verschlagen und spitzfindig, weil sie<br />
sich in tausend verschiedenen Gestalten<br />
maskieren kann. Sie kann sich ebenso als<br />
Kampf um’s Überleben tarnen wie als<br />
Streben nach persönlicher Heiligung (Pelagianischer<br />
Selbsterlösungsglaube). Die<br />
Evangelisten haben nicht einmal Jesus<br />
von Nazareth davon dispensiert, dieser<br />
Versuchung, die zum Menschsein gehört,<br />
zu wi<strong>der</strong>stehen. Jean-Marc Charron4 analysiert<br />
den Bekehrungsprozess des Franziskus<br />
und kommt zu dem Schluss, dass<br />
Franziskus die Versuchung <strong>der</strong> Macht erst<br />
besiegt habe, als er zwei Jahre vor s<strong>eine</strong>m<br />
Tod die Stigmatisierungserfahrung auf<br />
dem Monte La Verna macht. S<strong>eine</strong> ganze<br />
Lebensgeschichte ist daher ein ständiger<br />
Kampf mit dieser Versuchung. Nur das<br />
tiefe Vertrauen in die Abhängigkeit von<br />
Gott Vater kann ihn von s<strong>eine</strong>m Streben<br />
nach Macht befreien (denn je<strong>der</strong> Mensch<br />
braucht Sicherheit und das Gefühl von<br />
Stärke). Es ist sehr schwierig, um nicht zu<br />
sagen unmöglich, sich ohne den Glauben<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Foto: KNA<br />
an Gott menschlicher und materieller Sicherheiten<br />
zu entledigen, ohne sich auf<br />
<strong>eine</strong> an<strong>der</strong>e Wirklichkeit stützen zu können,<br />
die selbst wenn sie unsichtbar bleibt,<br />
wahre Sicherheit verleiht. In diesem Sinne<br />
stellen die Evangelisten Jesus Christus dar<br />
als den, <strong>der</strong> sich ausschließlich auf das Projekt<br />
des Vaters stützt und in dessen Dienst<br />
Crocoli – Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
steht. „Er legte s<strong>eine</strong>n Willen in den Willen<br />
des Vaters“ wird Franziskus in s<strong>eine</strong>m<br />
Brief an die Gläubigen schreiben (BrfGl<br />
II,10). Franziskus ist höchst intensiv bemüht,<br />
jedes auftauchende Machtstreben<br />
sofort zu bekämpfen: er möchte, dass alle<br />
„Min<strong>der</strong>brü<strong>der</strong>“ genannt werden, dass<br />
man sich gegenseitig Gehorsam erweise<br />
2
2<br />
(horizontal), dass alle in <strong>der</strong> Haltung leben,<br />
einan<strong>der</strong> die Füße zu waschen, dass<br />
<strong>der</strong> Obere sich verhalte wie <strong>der</strong> Unterste,<br />
dass jede Form von Privilegien vermieden<br />
werde etc.<br />
Der Text, <strong>der</strong> als „Die wahre und<br />
vollkommene Freude“ bekannt ist 5 , zielt<br />
darauf, alle Formen <strong>der</strong> Macht zu bekämpfen.<br />
Im ersten Teil beschreibt er das<br />
Bemühen, Selbstbestätigung zu suchen<br />
durch wissenschaftliche Macht (Magister)<br />
o<strong>der</strong> durch politische und wirtschaftliche<br />
Macht (Könige) und sogar durch<br />
religiöse bzw. heilige Macht (Bischöfe,<br />
Prälaten und Wun<strong>der</strong>macht....). Die unheilvolle<br />
Seite <strong>der</strong> Macht verhin<strong>der</strong>t es,<br />
den Geringen und Gebrechlichen, <strong>der</strong><br />
nachts hungrig und frierend an die Pforte<br />
kommt, zu erkennen, und macht blind<br />
für die Werte, die sich unter s<strong>eine</strong>n Lumpen<br />
und unter den moralischen Vorurteilen<br />
verbergen. Die neue Sicherheit und<br />
Macht des Franziskus stammen jetzt aus<br />
dem Evangelium, <strong>der</strong> „höchsten Norm<br />
für das Leben“, und von dem, <strong>der</strong> es gelebt<br />
hat, Jesus Christus (Off. XV,7).<br />
c) Der Verzicht auf die Sicherheit<br />
emotional-familiärer Beziehungen.<br />
In <strong>der</strong> Lebensgeschichte des Franziskus<br />
ist dies <strong>der</strong> dritte Schritt. Sein erster<br />
Biograph, Thomas von Celano, deutet<br />
den Prozess <strong>der</strong> Entäußerung vor dem<br />
Bischof fast ausschließlich als Prozess <strong>der</strong><br />
Entäußerung von materiellen Gütern. Davon<br />
ist Franziskus jedoch längst befreit.<br />
Heute weisen einige Gelehrte darauf hin,<br />
dass zu den Motiven für den Prozess gegen<br />
Franziskus auch gehören: die Entehrung,<br />
die er <strong>der</strong> Familie wegen s<strong>eine</strong>r Entscheidung<br />
zufügt, als ein Armer zu leben,<br />
<strong>der</strong> Bruch mit den gesellschaftlichen Konventionen,<br />
die den Besuch von Leprosen<br />
untersagen, die demonstrative Verweigerung<br />
des Gehorsams gegenüber den<br />
Anordnungen des Vaters etc. Darüber<br />
hinaus gibt es auch noch <strong>eine</strong>n an<strong>der</strong>en<br />
Aspekt: den Ausschluss aus <strong>der</strong> Familie.<br />
In diesem Moment erlebt Franziskus die<br />
dritte Enteignung, den Verzicht auf die<br />
Sicherheit familiärer Beziehungen. Franziskus<br />
offenbart diese Einstellung, wenn<br />
er sagt: „Von jetzt an kann ich nur noch<br />
sagen ‚Vater unser im Himmel’ und nicht<br />
mehr ‚Vater Pietro Bernardone’“. Er hat<br />
k<strong>eine</strong>n irdischen Vater mehr. Er gehört<br />
nicht mehr zu s<strong>eine</strong>r Familie. Er lässt die<br />
Weltanschauung, die er in s<strong>eine</strong>r Familie<br />
angenommen und die beinahe heilige<br />
Bedeutung hatte, hinter sich. Dadurch<br />
s<strong>eine</strong>r Blutsfamilie beraubt, freut er sich,<br />
dass er bereits zu <strong>eine</strong>r an<strong>der</strong>en Familie<br />
gehört 6 – die Familie <strong>der</strong> Leprosen enthüllt<br />
ihm <strong>eine</strong> neue, viel schönere und<br />
tiefreichen<strong>der</strong>e Sicht menschlicher Beziehungen.<br />
7 Wer sich einmal mit klarer Einsicht<br />
an Jesus Christus und sein Evangelium<br />
gehängt hat, kann in <strong>der</strong> Tat auf Güter<br />
verzichten, auf das private Leben und auf<br />
die emotionalen Bindungen an die Familie<br />
8 . <strong>Das</strong> Evangelium bestätigt, dass<br />
die neue Familie nicht mehr durch Blutsbande,<br />
son<strong>der</strong>n von jenen gebildet wird,<br />
die den Willen des Vaters tun (Mk 3,33).<br />
Dieser dritte Verzicht ist <strong>der</strong> schwierigste,<br />
weil er den Menschen ansch<strong>eine</strong>nd ohne<br />
menschliche Unterstützung zurücklässt.<br />
Diese Formen des Verzichts, die das „enteignete<br />
Leben“ ausmachen, bilden die<br />
existentielle Voraussetzung dafür, dass<br />
Franziskus dahin findet, sich „mitten unter<br />
den an<strong>der</strong>en“ als ein Bru<strong>der</strong> unter Geschwistern<br />
zu fühlen, weil er jemand ist,<br />
<strong>der</strong> „sich und s<strong>eine</strong>n Leib dem Herrn Jesus<br />
Christus übergeben hat“ (vgl. NbReg<br />
16,10). Der aktive Aneignungstrieb ist<br />
stets daran interessiert, Menschen und Sachen<br />
zu verobjektivieren. <strong>Das</strong> zieht mit Sicherheit<br />
asymmetrische Beziehungen <strong>der</strong><br />
Macht und <strong>der</strong> Überlegenheit in Bezug<br />
auf die an<strong>der</strong>en nach sich. Unter solchen<br />
Umständen haben Geschwisterlichkeit<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
und Dialog nur geringe bzw. überhaupt<br />
k<strong>eine</strong> Chancen, sich zu realisieren. Diese<br />
erste Etappe bereitet den Boden; als <strong>eine</strong><br />
Etappe <strong>der</strong> Aszese und Reinigung ist sie<br />
die Bedingung dafür, den Aufstieg zu höheren<br />
Stufen beginnen zu können.<br />
2.2. Respekt vor dem An<strong>der</strong>en<br />
Sobald ein Mensch zu totaler Entäußerung<br />
bereit ist, entsteht das für geschwisterliche,<br />
symmetrische, gleichrangige<br />
Beziehungen geeignete Klima, das<br />
den Dialog möglich macht. Auch wenn<br />
Franziskus diese Problematik niemals<br />
ausdrücklich thematisiert, bietet er doch<br />
hilfreiche Orientierungen für den Dialog<br />
bzw. für den interreligiösen Dialog. Diese<br />
Orientierungen stammen aus s<strong>eine</strong>n persönlichen<br />
Erfahrungen und aus den Reflexionen<br />
<strong>eine</strong>r Gruppe von Brü<strong>der</strong>n aus<br />
den ersten Jahren <strong>der</strong> Bewegung. Man<br />
findet sie in <strong>der</strong> Lebensregel, die in den<br />
Kapiteln von Pfingsten und von Sankt Michael<br />
gemeinschaftlich erarbeitet wurde.<br />
Einige dieser Orientierungen werden im<br />
Folgenden genannt:<br />
a) „Milde, friedfertig, bescheiden<br />
und demütig sein“ (Bullierte Regel/<br />
BR 3,12).<br />
Es geht um das Verhalten, wie Schafe<br />
unter den Wölfen zu leben, das uns vom<br />
Evangelium nahegelegt wird. Ein Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong><br />
soll k<strong>eine</strong> an<strong>der</strong>e Haltung annehmen<br />
als die <strong>eine</strong>s „Min<strong>der</strong>wertigen“,<br />
<strong>eine</strong>s Kl<strong>eine</strong>n, selbst wenn er unter den<br />
„Großen“ verweilt. Er soll sich nicht selbst<br />
entwerten, wie man es uns in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
empfohlen hat. Im Gegenteil: Er<br />
soll fröhlich und dankbar sein für das, was<br />
<strong>der</strong> Herr in ihm wirkt, und ihn preisen für<br />
alles, was er in an<strong>der</strong>en Menschen bewirkt,<br />
denn alles Gute kommt von ihm<br />
her (vgl. Nichtbullierte Regel, 17,17-19).<br />
Der Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong> lebt aus <strong>der</strong> Freude<br />
über das Universum von Güte, das sich<br />
Crocoli – Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
vor s<strong>eine</strong>n Augen enthüllt. Die Großartigkeit<br />
<strong>der</strong> Wun<strong>der</strong>taten lässt ihn die reale Dimension<br />
s<strong>eine</strong>r Kleinheit erfahren. Die in<br />
allen Geschöpfen erfahrbare Güte macht<br />
es ihm unmöglich, auch nur die kleinste<br />
Manifestation des Lebens herabzusetzen,<br />
gering zu schätzen o<strong>der</strong> voreilig zu beurteilen.<br />
Er soll die Unschuld in allen Beziehungen<br />
leben. <strong>Das</strong> will sagen, er handelt<br />
auf <strong>eine</strong> Weise, die alles, was sein will,<br />
unbeschädigt lässt. Er soll sich „inmitten“<br />
<strong>der</strong> An<strong>der</strong>en mit ihren einzigartigen Gaben<br />
und Werten fühlen, im Angesicht <strong>der</strong><br />
Verschiedenheiten, die ebenfalls einzigartig<br />
und unwie<strong>der</strong>holbar sind.<br />
b) „Nicht richten, son<strong>der</strong>n<br />
Schweigen bewahren“ (vgl.<br />
Nichtbullierte Regel 12,2) 9 .<br />
<strong>Das</strong> Schweigen sollte vielleicht nicht<br />
verstanden werden als bloße Nichtverbalisierung<br />
<strong>eine</strong>s Urteils, son<strong>der</strong>n als die<br />
Bereitschaft selbst, auf jedes Richten zu<br />
verzichten. Urteilen offenbart stets <strong>eine</strong><br />
Haltung <strong>der</strong> Überlegenheit. Selbst wenn<br />
das Urteil nicht verbal geäußert wird, so<br />
kann die innere Bereitschaft dazu schon<br />
das Verhalten prägen. Praktisch geht es<br />
stets darum, den An<strong>der</strong>en herabzusetzen<br />
und das eigene Selbst zu bestätigen. Damit<br />
entsteht <strong>eine</strong> ungleiche Beziehung,<br />
die den wahren Dialog unmöglich macht.<br />
Dieser bedarf des Klimas <strong>eine</strong>r Beziehung<br />
von Gleichrangigen.<br />
Dieses „Nicht verurteilen, son<strong>der</strong>n<br />
Schweigen bewahren“ kann auch verstanden<br />
werden als die Bereitschaft, den<br />
An<strong>der</strong>en so anzunehmen, wie er ist. Jemanden<br />
beurteilen bedeutet stets, ihn<br />
vom eigenen Standpunkt aus und mit den<br />
eigenen Kriterien zu bewerten. Mit an<strong>der</strong>en<br />
Worten: es bedeutet, den An<strong>der</strong>en<br />
herabzusetzen und ihn auf das Maß dessen<br />
zu reduzieren, <strong>der</strong> das Urteil spricht.<br />
Zum Beispiel kann die Empfehlung, „zu<br />
essen, was es bei ihnen gibt“, wenn man<br />
2
2<br />
im Hause von an<strong>der</strong>en ist (Nichtbullierte<br />
Regel 14,2-3), in diesem Licht verstanden<br />
werden. Denn das Essen zurückzuweisen,<br />
in dem sich Kultur und ökonomische Lebensbedingungen<br />
des Gastgebenden<br />
ausdrücken, kann heißen, den An<strong>der</strong>en<br />
abzulehnen und die eigene Überlegenheit<br />
zu bestätigen.<br />
c) „We<strong>der</strong> Zank noch Streit beginnen“<br />
(Nichtbullierte Regel 16,6) 10 .<br />
Hier geht es darum, <strong>der</strong> Versuchung<br />
zu wi<strong>der</strong>stehen, den An<strong>der</strong>en mit <strong>der</strong> Rationalität<br />
zu bezwingen, ihn durch Argumentation<br />
zu besiegen. Franziskus desavouiert<br />
dieses Vorgehen, obwohl diese<br />
Praxis überall bekannt war und gepflegt<br />
wurde, vor allem in Religionsangelegenheiten.<br />
Ein solches Verhalten steht im Wi<strong>der</strong>spruch<br />
zur Dialogbereitschaft, denn<br />
statt die (kl<strong>eine</strong>n) positiven Aspekte des<br />
An<strong>der</strong>en wertzuschätzen, sucht es genau<br />
dessen Begrenztheit auszumachen<br />
– wenn nicht sogar s<strong>eine</strong> Argumente<br />
absichtlich zu verzerren – mit dem Ziel,<br />
ihn in Wi<strong>der</strong>sprüche zu verwickeln, bis er<br />
schließlich besiegt ist. Ein Unterlegener<br />
aber wird sich nicht als wirklicher Bru<strong>der</strong><br />
empfinden.<br />
d) „Um Gottes willen je<strong>der</strong> menschlichen<br />
Kreatur untertan sein“<br />
(Nichtbullierte Regel 16,6) 11 .<br />
Hier handelt es sich um die Haltung<br />
<strong>der</strong> kenosis (<strong>der</strong> Erniedrigung), die Franziskus<br />
in Inkarnation, Leben, Passion und<br />
Tod Jesu Christi entdeckt, im urchristlichen<br />
christologischen Hymnus aus dem<br />
Philipperbrief (Phil 2,6-11) wun<strong>der</strong>bar<br />
zusammengefasst. Diese Haltung steht<br />
im diametralen Gegensatz zur Haltung<br />
<strong>der</strong> Unterdrückermacht. Die Haltung,<br />
sich selbst untertan zu machen statt den<br />
An<strong>der</strong>en durch Unterdrückung zu nötigen,<br />
bringt den An<strong>der</strong>en dazu, sich wichtig,<br />
wertgeschätzt, geliebt, zutiefst ange-<br />
nommen und beglaubigt zu fühlen, statt<br />
sich als Knecht vorzukommen. In dieser<br />
Praxis findet sich <strong>eine</strong> Haltung, die es gestattet,<br />
zwar nicht den Ursprung, aber<br />
zumindest die Gewalt unterdrückerischer<br />
Macht zu beseitigen und sie in <strong>eine</strong>n zuvorkommenden<br />
Dienst am Leben des<br />
An<strong>der</strong>en zu verwandeln. Sie ist die Regel<br />
„Einer wasche des an<strong>der</strong>en Füße“ (Nichtbullierte<br />
Regel 6,4). Vielleicht haben nur<br />
wenige historische Persönlichkeiten sich<br />
so eifrig um die Haltung des Dienens bemüht<br />
wie Franziskus, insbeson<strong>der</strong>e wenn<br />
wir die Texte vor 1223 bedenken und jene<br />
mehr persönlichen Charakters.<br />
Diese kurzen Feststellungen weisen<br />
darauf hin, dass sich interreligiöser<br />
Dialog dort ereignet, wo angemessene<br />
menschliche Bedingungen existieren 12 .<br />
Der gute Wille zum interreligiösen Dialog<br />
reicht nicht aus. Verlangt ist vielmehr ein<br />
entsprechend bereitetes menschliches<br />
Terrain bzw. Klima. Franziskus kann den<br />
prophetischen Dialog nur leben, weil es<br />
in ihm diese menschliche Voraussetzung<br />
gibt, an <strong>der</strong> er selbst mühevoll und mit<br />
Hilfe <strong>der</strong> göttlichen Gnade gearbeitet hat.<br />
Deshalb ist <strong>der</strong> prophetische Dialog, wie<br />
er sich im Sonnengesang gegenüber allen<br />
Geschöpfen manifestiert, ebenso bedeutsam<br />
wie <strong>der</strong> prophetische interreligiöse<br />
Dialog des Franziskus mit den Sarazenen.<br />
Darin sind alle nicht mehr und nicht weniger<br />
Geschwister, als ob es zwischen allen<br />
Wesen des gesamten Universums <strong>eine</strong><br />
einzige Art von Blutsverwandtschaft gäbe.<br />
Solche „radikale“ Geschwisterlichkeit<br />
ist die Grundlage jeglichen Dialogs, auch<br />
des interreligiösen.<br />
Ich glaube, dass wir nach diesen<br />
kurzen Vorüberlegungen zum dritten Teil<br />
übergehen können, in dem wir uns dem<br />
eigentlichen Thema unserer Reflexion<br />
zuwenden, nicht so sehr um herauszufinden,<br />
was Franziskus dafür tat, den interreligiösen<br />
Dialog zustande zu bringen,<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
son<strong>der</strong>n mehr um inspiriert von s<strong>eine</strong>m<br />
Gestus heute in dieser Art missionarischer<br />
Verpflichtung voranzukommen, die sich<br />
als <strong>eine</strong>s <strong>der</strong> Zeichen Gottes für unsere<br />
Zeit darstellt.<br />
3. Franziskus und<br />
<strong>der</strong> interreligiöse Dialog<br />
Ich werde mich bei den folgenden<br />
Überlegungen nicht damit aufhalten,<br />
theologisch zu präzisieren, was interreligiöser<br />
Dialog ist und was nicht. Für unseren<br />
Zweck gehen wir aus vom allgem<strong>eine</strong>n<br />
Verständnis dieser Thematik und<br />
werden die Praxis des Franziskus nach<br />
den bekanntesten Kriterien analysieren.<br />
Im gesellschaftlichen Kontext des<br />
13. Jahrhun<strong>der</strong>ts hätte eigentlich ein religiöser<br />
Dialog beson<strong>der</strong>s und ausdrücklich<br />
mit den Anhängern des Propheten<br />
Mohammed nahe gelegen, mit jener Religion,<br />
die an Bedeutung mit dem Christentum<br />
rivalisierte. An<strong>der</strong>e Religionen<br />
verfügten nicht über ausreichende Freiheiten,<br />
um sich vernehmlich zu machen,<br />
selbst wenn sie in Europa und in den Län<strong>der</strong>n,<br />
die mit den europäischen Bevölkerungen<br />
in Verbindung standen, bekannt<br />
und präsent waren. Weil häretische Bewegungen<br />
wie die Albigenser und Waldenser<br />
in Frankreich, die Katharer, die überall<br />
in Italien und Europa lebten und sogar<br />
in Spoleto nahe bei Assisi <strong>eine</strong>n Bischofssitz<br />
hatten, in <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit waren, zogen<br />
sie die Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Historiker<br />
nicht auf sich. Zumindest geben sie uns<br />
k<strong>eine</strong> Kenntnis davon, ob Franziskus mit<br />
diesen Gruppen möglicherweise in Kontakt<br />
stand. Man könnte fragen: Warum<br />
hat Franziskus das, was er mit den Sarazenen<br />
praktizierte, die so weit von s<strong>eine</strong>m<br />
Heimatland entfernt lebten, nicht<br />
auch zum Beispiel mit den Katharern gepflegt?<br />
Es scheint, dass hier noch ernsthaftere<br />
Studien nötig sind. Dennoch wird<br />
immer wie<strong>der</strong> gesagt, dass Franziskus die-<br />
Crocoli – Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
se Bewegungen niemals direkt angriff. Er<br />
hat sie nie als Häretiker verurteilt, aber er<br />
machte stets s<strong>eine</strong> (unterschiedliche) Position<br />
als Katholik gegenüber den Positionen<br />
an<strong>der</strong>er Glaubensrichtungen klar.<br />
<strong>Das</strong> kann man im Testament erkennen,<br />
wenn er über das Leben in Heiligkeit <strong>der</strong><br />
Priester spricht. Im Verständnis <strong>der</strong> Katharer<br />
war das Leben in Heiligkeit <strong>eine</strong> Bedingung<br />
„sine qua non“ für die Gültigkeit<br />
<strong>der</strong> Sakramente. Franziskus dagegen<br />
zieht es vor, alle Priester zu respektieren<br />
und zu verehren, selbst wenn sie Sün<strong>der</strong><br />
sind. 13<br />
Sicher bedarf es auch noch genauerer<br />
Untersuchungen darüber, wie Franziskus<br />
den interreligiösen Dialog mit den<br />
kirchlichen Bewegungen gelebt hat, die<br />
– meist als häretisch verurteilt – ebenfalls<br />
christliche Armut und „apostolisches Leben“<br />
(Wan<strong>der</strong>schaft und Predigt) miteinan<strong>der</strong><br />
verbanden, wie die Katharer, die<br />
Waldenser und noch an<strong>der</strong>e wie die Humiliaten.<br />
Vielleicht gab es k<strong>eine</strong> Form des religiösen<br />
Dialogs mit ihnen, weil die franziskanische<br />
Bewegung <strong>eine</strong>n „modus vivendi“<br />
pflegte mit jenen, die ihrer Bewegung näher<br />
waren als <strong>der</strong> institutionellen Kirche?<br />
Im Jahre 1209, als Franziskus bereits Brü<strong>der</strong><br />
um sich versammelt hatte, bemühte<br />
sich bei s<strong>eine</strong>r ersten Reise nach Rom in<br />
<strong>der</strong> Tat <strong>der</strong> Kardinal Johannes von Sankt<br />
PaulmitallerMacht,ihnzuüberzeugen,in<br />
<strong>eine</strong>n bereits existierenden Orden einzutreten.<br />
Aber „Franziskus wi<strong>der</strong>setzte sich,<br />
so gut er konnte“ (1 Cel 33,2), mit dem<br />
Ziel, in <strong>eine</strong>r „forma vitae“ zu bleiben, die<br />
große (äußere) Ähnlichkeit mit den religiösen<br />
Volksbewegungen hatte, obwohl<br />
sie durch die Kirche verurteilt worden waren.<br />
Könnte man dies bereits als Teil <strong>eine</strong>s<br />
„interreligiösen Dialoges“ ansehen? <strong>Das</strong><br />
müsste man noch genauer untersuchen.<br />
In jedem Fall aber kann man behaupten,<br />
dass sein Verhalten hier dem entspricht,<br />
29
30<br />
was er später im Verhältnis zu den Moslems<br />
zeigt. Wir überlassen diese Analyse<br />
weiteren Studien und betrachten jetzt<br />
genauer die Beziehung des Franziskus zur<br />
islamischen Religion als Sinnbild für den<br />
Interreligiösen Dialog. Wir werden das in<br />
zwei Schritten tun. Zuerst werden wir uns<br />
die Geschichte <strong>der</strong> Begegnungen bzw.<br />
<strong>der</strong> Bemühungen um Begegnungen mit<br />
den Sarazenen und <strong>der</strong>en Ergebnisse vor<br />
Augen halten. Dann schauen wir genauer<br />
auf die Methodologie für ein friedvolles<br />
Zusammenleben und den interreligiösen<br />
Dialog im Kapitel 16 <strong>der</strong> Nichtbullierten<br />
Regel, dem bedeutsamsten Text <strong>der</strong> franziskanischen<br />
Bewegung, weil er kollektiv<br />
während mehr als <strong>eine</strong>s Lebensjahrzehnts<br />
verfasst wurde.<br />
3.1. Franziskus begegnet den<br />
Anhängern des Mohammed<br />
Drei Bemühungen des Franziskus<br />
um die Annäherung an die Mohammedaner<br />
sind überall anerkannt. Die erste<br />
ereignet sich höchstwahrscheinlich im<br />
Jahre 1212 14 . Zu diesem Zeitpunkt wurde<br />
ganz Europa mobilisiert, das Heilige<br />
Land durch <strong>eine</strong> religiös-militärische Bewegung<br />
zu befreien. Die einfachen Leute<br />
hofften beson<strong>der</strong>s auf die spirituelle Belohnung.<br />
Deshalb wurde das Unternehmen<br />
als „Kin<strong>der</strong>kreuzzug“, o<strong>der</strong> besser<br />
gesagt als „Kreuzzug <strong>der</strong> Armen“ bezeichnet.<br />
Daran waren we<strong>der</strong> Adelige<br />
noch Könige beteiligt. Viele bestiegen<br />
im Hafen von Venedig das Schiff, an<strong>der</strong>e<br />
wollten es im Hafen von Brindisi tun 15 .<br />
Franziskus gehörte zu diesen Armen. Er<br />
schiffte sich in Venedig ein, um Richtung<br />
Syrien zu fahren, und zwar nicht mit <strong>der</strong><br />
Absicht, spirituellen (vollkommenen Ablass)<br />
o<strong>der</strong> materiellen Nutzen (Beute) davon<br />
zu haben, son<strong>der</strong>n mit dem Wunsch,<br />
zum Frieden beizutragen und die Bekehrung<br />
<strong>der</strong> Muslime zu erreichen (Spoto,<br />
2002, S. 186) 16 . Thomas von Celano erwähnt<br />
nicht, dass es das Ziel war, den<br />
Frieden anzustreben, vielleicht weil er auf<br />
Anordnung des Papstes, dem obersten<br />
Kommandeur <strong>der</strong> Kreuzzüge, das Leben<br />
des Franziskus beschreibt und weil es sein<br />
Anliegen war, die Heiligkeit des Franziskus<br />
nachzuweisen. Er betrachtet kaum<br />
den Wunsch des Franziskus, die Sarazenen<br />
zu bekehren und als Märtyrer zu sterben<br />
(1 Cel 55,1-3). <strong>Das</strong> Schiff, das Franziskus<br />
in Venedig bestiegen hatte, wurde<br />
wenig später gegen die Inseln Slawoniens<br />
(des heutigen Kroatien) geschleu<strong>der</strong>t, so<br />
dass die Fortsetzung <strong>der</strong> Reise unmöglich<br />
wurde. Einige Wochen später gelang es<br />
Franziskus, nach Italien zurückzukehren.<br />
Weil er jedoch <strong>eine</strong>n starken Willen<br />
hat, unternimmt Franziskus im darauffolgenden<br />
Jahr <strong>eine</strong>n neuen Versuch. Er<br />
verlässt Assisi in <strong>der</strong> Absicht, zu Fuß über<br />
Spanien nach Marokko zu gelangen. So<br />
will er das Risiko <strong>eine</strong>s neuen Schiffbruchs<br />
umgehen. Von Assisi aus folgt er <strong>der</strong> traditionellen<br />
Route durch Florenz, Pisa,<br />
Lyon, übersteigt die Pyrenäen und gelangt<br />
nach Santiago de Compostela. S<strong>eine</strong><br />
physische Schwäche (er schleppt den<br />
Malaria-Virus mit sich, das periodisch auftretende<br />
Fieber, die häufigen Fieber-Krisen)<br />
zwingt ihn dazu, lange – vermutlich<br />
mehrere Monate – in Compostela zu verweilen.<br />
Belegt ist, dass er drei Tage lang<br />
nicht sprechen und nicht verstehen kann,<br />
was man ihm sagt; offenbar <strong>eine</strong> Art Delirium<br />
als Folge des Malaria-Fiebers und<br />
<strong>eine</strong>s kl<strong>eine</strong>n Infarktes 17 . Angesichts des<br />
Zustandes entscheiden er und Bernhard<br />
von Quintavalle, die Reise aufzugeben<br />
und nach Assisi zurückzukehren.<br />
1219 sieht Franziskus erneut <strong>eine</strong><br />
Gelegenheit, sein Bemühen um die Begegnung<br />
mit den Muslimen wie<strong>der</strong> aufzunehmen.<br />
Der fünfte Kreuzzug beginnt,<br />
<strong>der</strong> offiziell von Papst Innozenz III. beim<br />
IV. Laterankonzil im November 1215 ausgerufen<br />
worden war. Vier Jahre später also<br />
ist Franziskus wie<strong>der</strong> auf <strong>eine</strong>m Kreuzfah-<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
erschiff Richtung Ägypten, nach Damiette.<br />
Er befindet sich unter mehr als hun<strong>der</strong>ttausend<br />
christlichen Kämpfern mit<br />
12 Gefährten auf <strong>der</strong> Reise, unter ihnen<br />
Bru<strong>der</strong> Iluminatus, dem es gelang, einige<br />
Laute <strong>der</strong> ägyptischen Sprache „aufzuschnappen“<br />
(Spoto, 2002, S. 231).<br />
<strong>Das</strong>s Franziskus sich unter den Soldaten<br />
aufhielt, sahen die Kommandanten<br />
des Kreuzzugs gar nicht gerne. Nach Meinung<br />
des Bischofs von Akkon, Jakob von<br />
Vitry, beunruhige Franziskus o<strong>der</strong> „störe“<br />
gar. Ein an<strong>der</strong>er Fachmann für mittelalterliche<br />
Geschichte sagt, dass er „Verblüffung<br />
hervorrief und wie ein unpassendes<br />
Zeichen wirkte“. (Manselli, 1997, S. 205).<br />
Man kann sich leicht die Wirkung <strong>eine</strong>s Pazifisten<br />
auf dem Schlachtfeld vorstellen.<br />
Der Kardinal Pelagius Galvani, beauftragter<br />
Gesandter des Papstes für das christliche<br />
Heer, hatte verschiedene Friedensangebote<br />
des Sultans zurückgewiesen.<br />
Julio Bassetti-Sani berichtet, dass <strong>der</strong> Kardinal<br />
gerne den Satz wie<strong>der</strong>holte: „Der Islam<br />
entstand durch das Schwert, verbreitete<br />
sich durch das Schwert, jetzt soll er<br />
ausgemerzt werden durch das Schwert“<br />
(1993, S. 696). Franziskus wurde dieser<br />
Haltung gegenüber von tiefer Traurigkeit<br />
ergriffen und bot sich an, persönlich<br />
mit dem Sultan zu sprechen. Nachdem<br />
Kardinal Pelagius mehrfach das Angebot<br />
abgelehnt hatte, erlaubte er Franziskus<br />
Franziskus war davon überzeugt,<br />
dass man am besten mit<br />
gewaltlosen Mitteln den Frieden<br />
erreiche.<br />
schließlich, diese – wie er das Unternehmen<br />
nannte –„selbstmör<strong>der</strong>ische Mission“<br />
in die Tat umzusetzen. Denn im christlichen<br />
Heer ging die Bemerkung um, dass<br />
„<strong>der</strong> Soldat, <strong>der</strong> dem Sultan das Haupt<br />
<strong>eine</strong>s Christen überbringe, hoch belohnt<br />
Crocoli – Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
würde“ (LM 9,7,4). Franziskus s<strong>eine</strong>rseits<br />
war davon überzeugt, dass man am besten<br />
mit gewaltlosen Mitteln den Frieden<br />
erreiche. Mögen die Vorkommnisse<br />
auf Seiten <strong>der</strong> Sarazenen vielleicht sogar<br />
erfunden sein – so ist jedenfalls gewiss,<br />
dass Franziskus und Bru<strong>der</strong> Illuminatus einige<br />
Zeit bei den Muslimen gelebt und<br />
den besten Eindruck hinterlassen haben,<br />
wie arabische Dokumente bestätigen. 18<br />
Sie erkannten, dass die Muslime auch <strong>eine</strong>n<br />
tiefen Glauben an den einzigen Gott<br />
haben. Der Sultan Malik al-Kamil war offenbar<br />
tief beeindruckt von Bru<strong>der</strong> Franz<br />
und Bru<strong>der</strong> Illuminatus. Er wollte ihnen<br />
kostbare Geschenke überreichen, was sie<br />
jedoch höflich ablehnten. Aber sie akzeptierten<br />
<strong>eine</strong>n Schutzbrief, <strong>der</strong> ihnen gestattete,<br />
das Lager zu durchqueren, und<br />
sogar, wenn sie gewollt hätten, nach Jerusalem<br />
zu gehen.<br />
Am besten hilft uns das von Franziskus<br />
selbst verfasste Zeugnis, s<strong>eine</strong> dialogische<br />
Haltung zu den Muslimen – zu s<strong>eine</strong>n „ungläubigen<br />
Brü<strong>der</strong>n“, wie er sie auch nannte<br />
– zu verstehen. Nach s<strong>eine</strong>r Rückkehr<br />
aus Ägypten schrieb er <strong>eine</strong>n „Brief an die<br />
Lenker <strong>der</strong> Völker“. Für unser Thema ist<br />
<strong>der</strong> Brief aus zwei Gründen von Interesse:<br />
a) Er ermahnt alle Amtsträger <strong>der</strong><br />
Welt, materiellen Interessen nicht den<br />
Vorrang vor den Werten des Evangeliums<br />
zu geben; denn wenn die weltlichen Interessen<br />
Vorrang gewinnen o<strong>der</strong> übertrieben<br />
werden, führen sie früher o<strong>der</strong><br />
später zu Gewalt und Krieg, weil sie<br />
sich <strong>der</strong> Ungerechtigkeit und Unterdrückung<br />
bedienen, um ihre Ziele zu erreichen.<br />
S<strong>eine</strong> Kriegserfahrung in <strong>der</strong> Jugend<br />
und alles das, was sie nach sich zog,<br />
bestätigte diese Logik des Franziskus.<br />
b) Er bittet darum, dass dem Volk an<br />
allen Abenden ein Zeichen gegeben werde,<br />
das an das Gebet erinnern solle. <strong>Das</strong><br />
31
32<br />
ist <strong>der</strong> erste Impuls zur Entwicklung des<br />
Angelus-Gebetes geworden mit den Glockenzeichen<br />
um 6, 12 und 18 Uhr. Bereits<br />
25 Jahre nach dem Tode des Franziskus<br />
soll praktisch in <strong>der</strong> Christenheit von ganz<br />
Westeuropa diese Praxis mohammedanischer<br />
Frömmigkeit eingeführt worden<br />
sein. Wichtig ist es, Ursprung und Motive<br />
s<strong>eine</strong>r Initiative zu begreifen: Als er sich<br />
bei den Muslimen aufhielt, bemerkte er,<br />
dass das Volk fünfmal am Tag, wenn die<br />
Muezzins die Minarette bestiegen und die<br />
Trompete bliesen, sofort s<strong>eine</strong> Aktivitäten<br />
unterbrach, sich gegen Mekka wandte<br />
und zu Allah betete. Dieser Gestus beeindruckte<br />
Franziskus so tief, dass er ihn<br />
auch bei den Christen einführen wollte.<br />
Merkwürdigerweise konsultiert er bezüglich<br />
dieser Initiative die kirchlichen Autoritäten<br />
nicht und, obwohl er sich stets als<br />
klein und Knecht aller bezeichnet, zögert<br />
er hier nicht, allen Lenkern <strong>der</strong> Welt <strong>eine</strong><br />
Art „Befehl“ zu erteilen, sogar mit harten<br />
und drohenden Worten. 19 Dieser Brauch<br />
des Islam erschien ihm so schön und gut,<br />
dass er nicht zögerte, ihn <strong>der</strong> Christenheit<br />
zu empfehlen, ja sogar vorzuschreiben,<br />
könnte man sagen, nicht im Sinne <strong>eine</strong>s<br />
autoritären Drucks von außen, wohl aber<br />
im Sinne <strong>eine</strong>r tiefen, klaren und starken<br />
Überzeugung, die er nicht für sich allein<br />
behalten konnte.<br />
Im September 1219 kehrte er nach<br />
Italien zurück. Am 16. Januar 1220 erfuhr<br />
er vom Martyrium s<strong>eine</strong>r fünf Brü<strong>der</strong><br />
(Bernhard und s<strong>eine</strong>r vier Gefährten). Als<br />
man ihm berichtete, wie sie sich gegenüber<br />
den Muslimen verhalten hatten und<br />
wie sie zu Tode gekommen waren, hätte<br />
er ausgerufen: „Jetzt kann ich sagen, dass<br />
ich wirklich fünf Brü<strong>der</strong> habe“. Dennoch<br />
hat er, im Rückgriff auf s<strong>eine</strong> persönliche<br />
Erfahrung und ohne das Verhalten s<strong>eine</strong>r<br />
Brü<strong>der</strong> zu missbilligen, die in gutem<br />
Glauben und entsprechend <strong>der</strong> vorherrschenden<br />
Mentalität gehandelt hatten,<br />
<strong>eine</strong> friedliche Methode zur Evangelisie-<br />
rung <strong>der</strong> Sarazenen aufgeschrieben, ein<br />
bisdahingänzlichunerhörtesundwirklich<br />
prophetisches Vorgehen. Diese Methode<br />
finden wir in jenem Text, den wir heute<br />
als das 16. Kapitel <strong>der</strong> Nichtbullierten<br />
Regel bezeichnen. Er soll jetzt als Methodologie<br />
für Evangelisierung und interreligiösen<br />
Dialog analysiert werden. Der<br />
Text reflektiert auf unzweideutige Weise<br />
<strong>eine</strong> zutiefst dialogische Haltung gegenüber<br />
dem „An<strong>der</strong>en“, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>s ist. In<br />
diesem spezifischen Fall handelt es sich<br />
sogar um den völlig An<strong>der</strong>en und „Verteufelten“,<br />
an dem sich nur schwerlich<br />
Positives o<strong>der</strong> gar bewun<strong>der</strong>ungswürdige<br />
Werte entdecken lassen, auf Grund<br />
<strong>der</strong>er sich die Chance böte, <strong>eine</strong>n interreligiösen<br />
Dialog zu beginnen, <strong>der</strong> <strong>eine</strong>n<br />
gegenseitigen Lernprozess einschließt.<br />
3.2. Franziskus im Dialog<br />
mit den „Ungläubigen“<br />
Die verschiedenen Erfahrungen mit<br />
Kriegen, die Erlebnisse auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n,<br />
all das existentielle Gepäck, das<br />
Franziskus in s<strong>eine</strong>r geschwisterlichen<br />
Beziehung zu allen Menschen, zu den<br />
Tieren und zu den übrigen Geschöpfen<br />
zusammengetragen hatte, ermöglichte<br />
... im Wi<strong>der</strong>spruch zum<br />
Empfinden <strong>der</strong> gesamten<br />
damaligen Christenheit <strong>eine</strong><br />
wirklich dialogische Haltung<br />
auch den Sarazenen gegenüber ...<br />
es ihm, im Wi<strong>der</strong>spruch zum Empfinden<br />
<strong>der</strong> gesamten damaligen Christenheit <strong>eine</strong><br />
wirklich dialogische Haltung auch den<br />
Sarazenen gegenüber einzunehmen. Diese<br />
Haltung ist gleichsam <strong>eine</strong> Methodologie<br />
für den interreligiösen Dialog, die<br />
erkennbar wird, wenn man die verschiedenen<br />
Schritte für den Dialog in den in-<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
terreligiösen Beziehungen analysiert, die<br />
sich aus dem 16. Kapitel <strong>der</strong> Nichtbullierten<br />
Regel ergeben 20 .<br />
a) <strong>Das</strong> Wissen um die enormen<br />
Schwierigkeiten für den Beginn<br />
des Dialogs<br />
Der Text beginnt mit <strong>der</strong> Erinnerung<br />
an Worte des Evangeliums: „Seht, ich<br />
sende euch wie Schafe mitten unter die<br />
Wölfe“. Seid daher „klug wie die Schlangen<br />
und einfältig wie die Tauben“ (Mt<br />
10,16). Dieser biblische Abschnitt, <strong>der</strong><br />
die Reflexion über das Verhältnis <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong><br />
zu „unseren ungläubigen Brü<strong>der</strong>n“<br />
einleitet, scheint folgende Absicht zu haben:<br />
<strong>Das</strong> Bewusstsein dafür zu schärfen,<br />
dass es sich um <strong>eine</strong> schwierige und riskante<br />
Aufgabe handelt. Der einleitende<br />
Satz macht den Missionar mit dem Kontext<br />
<strong>der</strong> schwierigen Bedingungen dieses<br />
Verhältnisses vertraut, als ob es sich um<br />
<strong>eine</strong> Analyse <strong>der</strong> aktuellen Lage handele.<br />
Der folgende Text macht es unmöglich<br />
zu denken, die Problematik sei auf die<br />
Bosheit <strong>der</strong> An<strong>der</strong>en zurückzuführen, als<br />
seien sie gefährlich „wie die Wölfe“, <strong>eine</strong><br />
Vorstellung, die <strong>der</strong> erste biblische Satz<br />
nahe legen könnte. Die Aufgabe wird in<br />
Wahrheit hart und schwierig wegen <strong>der</strong><br />
kriegerischen Atmosphäre, die sich durch<br />
die Sünde bei<strong>der</strong> Seiten ergeben hat.<br />
Die Konsequenzen sind nicht zu übersehen:<br />
Der Heilige Krieg ist im Gang; beide<br />
Seiten sind daher füreinan<strong>der</strong> Feinde.<br />
Wer sich unter diesen Umständen daran<br />
macht, wirklich aufzubrechen, ist gewiss<br />
vom Geist Gottes getrieben. Er darf<br />
folglich nicht daran gehin<strong>der</strong>t werden,<br />
sobald er genügend Gründe dafür hat.<br />
An<strong>der</strong>erseits soll das biblische Zitat auch<br />
begründen, warum es notwendig ist, sich<br />
des eigenen Lebens zu enteignen. Wer<br />
sich uneingeschränkt dem Herrn überlässt,<br />
nichts mehr hat, um es für sich zu<br />
behalten o<strong>der</strong> zu verteidigen, wird radikal<br />
offen für den An<strong>der</strong>en, sogar für den,<br />
Crocoli – Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
<strong>der</strong> ganz an<strong>der</strong>s ist. Daher gehört es für<br />
Franziskus dazu, dass <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> sich<br />
auf das Abenteuer dieser Mission einlässt,<br />
auch die Möglichkeit des Martyriums<br />
nicht ausschließt. Der Schluss, fast<br />
die Hälfte des Textes (VV 10-21), spricht<br />
von Verfolgung, Misshandlung, Verleumdung<br />
und Martyrium:<br />
10 Und alle Brü<strong>der</strong>, wo auch immer sie<br />
sind, sollen sich zu Herzen nehmen, dass<br />
sie sich dem Herrn Jesus Christus übergeben<br />
und ihm ihre Leiber überlassen haben.<br />
11 Und um s<strong>eine</strong>r Liebe willen müssen<br />
sie sich den sichtbaren wie den unsichtbaren<br />
Feinden aussetzen; denn <strong>der</strong> Herr<br />
sagt: „Wer sein Leben um m<strong>eine</strong>twillen<br />
verliert, wird es retten“ (vgl. Lk 9,24) „zum<br />
ewigen Leben“ (Mt 25,46).<br />
12 „Selig, die Verfolgung leiden um<br />
<strong>der</strong> Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das<br />
Himmelreich“ (Mt 5,10).<br />
13 „Wenn sie mich verfolgt haben, werden<br />
sie auch euch verfolgen“ (Joh 15,20).<br />
14 Wenn sie „euch in <strong>eine</strong>r Stadt<br />
verfolgen, flieht in <strong>eine</strong> an<strong>der</strong>e“ (vgl. Mt<br />
10,23).<br />
15 „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen<br />
hassen (Lk 6,22) und euch schmähen<br />
und verfolgen (vgl. Mt 5,11) und euch<br />
ausstoßen und verhöhnen und euren<br />
Namen als böse verwerfen (Lk 6,22) und<br />
wenn sie euch alles Schlechte fälschlich<br />
nachsagen um m<strong>eine</strong>twillen (Mt 5,11).<br />
16 Freut euch an jenem Tage und frohlocket<br />
(Lk 6,23), denn reich ist euer Lohn im<br />
Himmel“ (vgl. Mt 5,12).<br />
17 Und ich sage „euch, m<strong>eine</strong>n<br />
Freunden: Lasst euch von diesen nicht erschrecken<br />
18 und fürchtet jene nicht, die den<br />
Leib töten“ (Mt 10,28) „und darüber hinaus<br />
nichts haben, was sie tun könnten“<br />
(Lk 12,4).<br />
33
3<br />
19 „Seht zu, dass ihr nicht in Verwirrung<br />
geratet“ (Mt 24,6).<br />
20 Denn in eurer Geduld werdet ihr eure<br />
Seelen besitzen (Lk 21,19).<br />
21 Und „wer ausharrt bis ans Ende, <strong>der</strong><br />
wird gerettet werden“ (Mt 10,22; 24,13).<br />
Neben <strong>der</strong> völligen Selbstlosigkeit<br />
empfiehlt <strong>der</strong> Text die Klugheit <strong>der</strong><br />
Schlangen und die Einfalt <strong>der</strong> Tauben.<br />
Klugheit und Einfachheit erleichtern die<br />
Annäherung. Die erste Tugend, die Klugheit,<br />
verbunden mit Mut, macht aufmerksam<br />
auf die Vorsicht, die in <strong>eine</strong>m<br />
konfliktiven Ambiente geboten ist, auf<br />
die notwendige Zurückhaltung, etwas zu<br />
beurteilen, zu kritisieren o<strong>der</strong> zu missbilligen.<br />
Die zweite Tugend, die Einfachheit,<br />
appelliert an Transparenz, Ehrlichkeit, Liebe<br />
zur Wahrheit, Integrität <strong>der</strong> Lebensführung<br />
etc. Dieses menschliche Fundament<br />
ist unverzichtbar, wenn man offen,<br />
wohlwollend und respektvoll dem an<strong>der</strong>en<br />
begegnen will; dies ist das fruchtbare<br />
Terrain, auf dem <strong>der</strong> Dialog gedeihen<br />
kann. <strong>Das</strong> scheint die Bedeutung <strong>der</strong> hier<br />
zitierten biblischen Texte zu sein.<br />
b) „Von den Brü<strong>der</strong>n, die unter die<br />
Sarazenen und an<strong>der</strong>e Ungläubige<br />
gehen wollen“<br />
3 Daher soll je<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> [auf<br />
göttliche Eingebung hin] unter die Sarazenen<br />
und an<strong>der</strong>e Ungläubige gehen will, mit<br />
<strong>der</strong> Erlaubnis s<strong>eine</strong>s Ministers und Dieners<br />
gehen [...]<br />
5 Die Brü<strong>der</strong> aber, die hinausziehen,<br />
können in zweifacher Weise unter ihnen<br />
geistlich wandeln (Nichtbullierte Regel 16,<br />
3.5).<br />
Interessant ist, dass dieser erste mittelalterliche<br />
Text, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Evangelisierung<br />
„<strong>der</strong> Ungläubigen“ und vom<br />
interreligiösen Dialog handelt, in <strong>eine</strong>r<br />
Ordensregel enthalten ist und <strong>eine</strong> Spra-<br />
che verwendet, die wir als sehr fortschrittlich<br />
bezeichnen könnten. Er spricht davon<br />
„unter die Sarazenen zu gehen“.<br />
Wenn er stattdessen davon gesprochen<br />
hätte, „zu den Sarazenen zu gehen“, wäre<br />
die geistige und physische Distanz zu<br />
den Adressaten klar gewesen. Die Christenheit<br />
damals war kulturell nicht nur<br />
auf diese Distanz eingestellt, die sich in<br />
Unkenntnis und Gleichgültigkeit hätte<br />
nie<strong>der</strong>schlagen können, son<strong>der</strong>n organisierte<br />
sich dafür, „gegen die Sarazenen<br />
vorzugehen“. Die Kreuzzüge sind <strong>der</strong> beste<br />
Beweis für diese Einstellung. Franziskus<br />
spricht beson<strong>der</strong>s weitsichtig davon:<br />
„unter die Sarazenen (zu) gehen“. Hier<br />
scheint er das <strong>Geheimnis</strong> <strong>der</strong> Inkarnation<br />
anklingen zu lassen: „Er hat unter uns<br />
gewohnt“, er nahm unsere menschliche<br />
Gebrechlichkeit auf sich (2 Fi 4), wie Vadakkekara<br />
(2003, S. 260) vorschlägt, wenn<br />
er sich auf die Ausdrucksweise von Franziskus<br />
bezieht. Eine solche Einstellung<br />
setzt den Verzicht auf jede Form von<br />
Macht und Überlegenheit voraus. Später<br />
spricht Franziskus sogar von <strong>der</strong> Notwendigkeit,<br />
allen untertan zu sein. Ein Dialog<br />
hat zur Bedingung, dass zwei Menschen<br />
sich gleichrangig begegnen, dass sie sich<br />
mindestens gleichen Rang zuerkennen<br />
und dass sie voneinan<strong>der</strong> lernen können.<br />
„Mission darf we<strong>der</strong> offen noch versteckt<br />
erobern wollen. Sie darf auch nichts erzwingen<br />
wollen, nicht einmal maskiert<br />
durch die intellektuelle Überlegenheit<br />
des Missionars. Sie verwirklicht sich nur<br />
durch den Dialog.“ (Comblin, 2005, S.<br />
20-21)<br />
Ich halte es für wichtig, auf das Adverb<br />
„geistlich“ aufmerksam zu machen,<br />
das in diesem Satz das Verb „wandeln“<br />
qualifizieren soll. Eine Untersuchung<br />
des Bru<strong>der</strong>s Optato van Asseldonk über<br />
dieses Thema weist nach, dass „geistlich<br />
wandeln“ meint: „dem Geist Gottes“<br />
bzw. dem heiligen Geist entsprechend<br />
zu leben. 21 Franziskus beruft sich auf die<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Autorität des Heiligen Geistes, wenn er<br />
geschwisterliches Verhalten und gleichrangiges<br />
Zusammenleben mit jenen<br />
vorschlägt, die <strong>der</strong> allgem<strong>eine</strong> Zeitgeist<br />
– von dem auch Menschen <strong>der</strong> Kirche infiziert<br />
werden können – ganz unten ansiedelt,<br />
weil er sie „verteufelt“. Hier trifft <strong>der</strong><br />
Poverello die klare Option, dem „Heiligen<br />
Geist als Generalminister“ (2 Cel 193,4)<br />
o<strong>der</strong> dem Geist des Evangeliums mehr<br />
zu gehorchen als je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en menschlichen<br />
Institution, denn das Evangelium<br />
ist die höchste Norm, <strong>der</strong> alle Institutionen<br />
gehorchen müssen. Der Heilige<br />
Geist Gottes, <strong>der</strong> in vielen Ausdrucksformen<br />
und Bil<strong>der</strong>n als Wasser, Feuer,<br />
Wind und Taube erscheint, ist <strong>der</strong> Garant<br />
für Verschiedenheit und Pluralität.<br />
c) Wichtiger als theologische Debatten<br />
und Streitigkeiten ist die<br />
Bereitschaft, allen untertan zu sein<br />
6 Eine Art besteht darin, dass sie we<strong>der</strong><br />
Zank noch Streit beginnen, son<strong>der</strong>n „um<br />
Gottes willen je<strong>der</strong> menschlichen Kreatur“<br />
(1 Petr 2,13) untertan sind und bekennen,<br />
dass sie Christen sind.<br />
Nachdem die Voraussetzungen für<br />
den Dialog geklärt sind, sagt Franziskus<br />
mit wenigen Worten das für ein fruchtbares<br />
Zusammenleben Wesentliche: statt<br />
zu streiten o<strong>der</strong> zu disputieren, statt eigene<br />
Positionen einzunehmen und unablässig<br />
zu behaupten, sollen die Brü<strong>der</strong> je<strong>der</strong><br />
menschlichen Kreatur untertan sein, ohne<br />
auf das Bekenntnis des eigenen Glaubens<br />
zu verzichten, „bekennen, dass sie<br />
Christen sind“. Franziskus scheint sich <strong>der</strong><br />
in Mode befindlichen Methode im Umgang<br />
mit Häretikern und „Ungläubigen“<br />
bewusst zu sein: sie durch Argumentation<br />
schlagen, ihnen den Teppich ihrer Sicherheit<br />
unter den Füßen wegziehen, sie vor<br />
<strong>der</strong> Öffentlichkeit demaskieren, sie zur<br />
Anerkennung ihres Irrtums zwingen und<br />
zum Schweigen bringen. Die Gewalt <strong>der</strong><br />
Crocoli – Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
Argumentation,dieMachtdesGedankengangs<br />
sollte den An<strong>der</strong>en davon überzeugen,<br />
dass er sich im Irrtum befindet. Positionen<br />
und Thesen des An<strong>der</strong>en wurden<br />
nur zu dem Zweck studiert und verbreitet,<br />
um sie zunichte zu machen. Wenn<br />
diese Strategien nicht reichten, griff man<br />
zur Gewalt des Schwertes, wie es mit den<br />
Albigensern in Frankreich geschah, o<strong>der</strong><br />
wie es zu diesem Zeitpunkt mit den Sarazenen<br />
geschah o<strong>der</strong> danach Jahrhun<strong>der</strong>te<br />
lang mit den Häretikern, als man<br />
sie auf den Scheiterhaufen verbrannte.<br />
„Wesentlich war es, dieser Art und Weise<br />
und dieser Zeit durch das Zeugnis <strong>eine</strong>s<br />
tugendhaften und heiligmäßigen Lebens<br />
zu begegnen, <strong>eine</strong>s Lebens in Demut,<br />
Armut, Geduld und wahrhaftiger Liebe,<br />
damit zu <strong>eine</strong>m Zeitpunkt, den nur Gott<br />
kennt, die Herzen und das Denken <strong>der</strong><br />
Muslime geöffnet würden“ (Basetti-Sani,<br />
1993, S. 694)<br />
Bekannt ist, dass die franziskanische<br />
Bewegung schon sehr bald diese kostbare<br />
Empfehlung des Franziskus preisgab.<br />
Vadakkekara (2003, S. 266) gibt zu,<br />
„dass die Übereinstimmung zwischen<br />
päpstlicher Politik und minoritischer Auffassung<br />
immer weniger Raum ließ, die an<strong>der</strong>sartige,<br />
alternative Missionsmethode<br />
des Franziskus zu praktizieren. Die Brü<strong>der</strong><br />
machten sich immer mehr zu Sprechern<br />
<strong>der</strong> offiziellen Kirchenpolitik, auch bezüglich<br />
des Islam“. Diese Kirchenpolitik wurde<br />
von <strong>der</strong> Machtspitze aus bestimmt.<br />
Daraus ergab sich zwangsläufig, dass das<br />
franziskanische Anliegen des friedlichen<br />
Zusammenlebens und des gegenseitigen<br />
„Untertanseins“ immer weniger beachtet<br />
wurde.<br />
Die zutiefst dialogische Haltung in<br />
<strong>der</strong> Methode des Franziskus besteht darin,<br />
die Brü<strong>der</strong>, die unter den Sarazenen<br />
und an<strong>der</strong>en „Ungläubigen“ leben<br />
wollen, zu bitten, genau das Gegenteil<br />
von dem zu tun, was man üblicherwei-<br />
3
3<br />
se dachte: auf die Behauptung <strong>der</strong> eigenen<br />
theologischen Thesen zu verzichten<br />
und zu akzeptieren, dass <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e im<br />
Frieden s<strong>eine</strong> Glaubensüberzeugung leben<br />
kann. Mehr noch: „Um Gottes willen<br />
Eindrucksvoll ist, wie häufig <strong>der</strong><br />
Heilige <strong>der</strong> institutionalisierten<br />
Kirche den Gehorsam<br />
verweigert, um noch tiefer dem<br />
Geist Jesu Christi gehorsam<br />
sein zu können<br />
je<strong>der</strong> menschlichen Kreatur untertan“ zu<br />
sein. Hier steht Franziskus wie<strong>der</strong> einmal<br />
in offenem Wi<strong>der</strong>spruch zum allgem<strong>eine</strong>n<br />
Denken <strong>der</strong> Kirche. <strong>Das</strong> IV. Laterankonzil<br />
hatte den Kanon <strong>der</strong> vorherigen Konzilien<br />
wie<strong>der</strong> aufgegriffen, <strong>der</strong> den Christen<br />
verbot, sich <strong>eine</strong>r nichtchristlichen Autorität<br />
zu unterstellen, ob sie nun jüdisch<br />
o<strong>der</strong> moslemisch sei. (Basetti-Sani, 1994,<br />
S. 694-95). Eindrucksvoll ist, wie häufig<br />
<strong>der</strong> Heilige <strong>der</strong> institutionalisierten Kirche<br />
den Gehorsam verweigert, um noch tiefer<br />
dem Geist Jesu Christi gehorsam sein<br />
zu können, <strong>der</strong> das Herz <strong>der</strong> Kirche selbst<br />
ist. Deshalb zögert er auch nicht, sich den<br />
Heiden zu unterstellen und damit präzisen<br />
Anweisungen zuwi<strong>der</strong>zuhandeln. Für<br />
Franziskus hat die Verän<strong>der</strong>ungskraft des<br />
Evangeliums Vorrang vor je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Norm. Die Logik <strong>der</strong> Liebe gebietet es,<br />
klein zu werden, herabzusteigen und<br />
da zu sein, um dem An<strong>der</strong>en zu dienen,<br />
denn dies ist die Logik des Liebesgebotes.<br />
<strong>Das</strong> hat er von Jesus Christus gelernt, <strong>der</strong><br />
– obwohl reich – arm geworden ist, sich<br />
entäußerte, wie ein Sklave wurde und am<br />
Kreuz starb, aber deshalb auch über alle<br />
Namen erhoben wurde (Phil 2, 5-11). Diese<br />
göttliche Transdeszendenz, (diese im<br />
Abstieg erkennbare Transzendenz, Anm.<br />
d. Übers), bringt am besten Solidarität,<br />
Liebe, Respekt, Freundschaft, Ehrerbie-<br />
tung, Wertschätzung und Zuwendung<br />
zum Ausdruck.<br />
d) Sobald die Bedingungen dafür da<br />
sind, verkündigt das Wort Gottes<br />
7 Die an<strong>der</strong>e Art ist die, dass sie, wenn<br />
sie sehen, dass es dem Herrn gefällt, das<br />
Wort Gottes verkünden: sie sollen glauben<br />
an den allmächtigen Gott, den Vater<br />
und den Sohn und den Heiligen Geist, den<br />
Schöpfer aller Dinge, an den Sohn, den Erlöser<br />
und Retter, und sie sollen sich taufen<br />
lassen und Christen werden; denn „wenn<br />
jemand nicht wie<strong>der</strong>geboren wird aus dem<br />
Wasser und dem Heiligen Geiste, kann er<br />
nicht in das Reich Gottes eingehen“ (vgl.<br />
Joh 3,4).<br />
Drei Aspekte aus diesem Vers <strong>der</strong><br />
nichtbullierten Regel sollen bedacht werden.<br />
Zuerst <strong>der</strong> Ausdruck „wenn sie sehen,<br />
dass es dem Herrn gefällt“. Wie<br />
sollte man ihn verstehen? Wenn Gott das<br />
Heil aller will, ist es dann nicht auch sein<br />
Wunsch und Wille, dass alle sofort vom<br />
wahren Weg zum Heil erfahren, weil es ja<br />
„außerhalb <strong>der</strong> Kirche kein Heil gibt“? 22<br />
Franziskus scheint diese offizielle Sicht<br />
nicht zu übernehmen. Er glaubt, dass<br />
Gott niemals jemanden mit Gewalt zu<br />
etwas verpflichtet. Vielmehr bietet er<br />
Chancen an: „Wenn du willst...“ sagt Jesus<br />
häufig. Wenn Jesus auf solche Weise<br />
verfährt, warum sollte sich die Kirche an<strong>der</strong>s<br />
verhalten? Warum hat Jesus den Tod<br />
am Kreuz und damit scheinbar das totale<br />
Fiasko s<strong>eine</strong>r Sendung vorgezogen, statt<br />
als Erlösermessias herrschaftlich aufzutreten?<br />
Wenn also Gott nichts anordnet,<br />
dann tut er es, weil er an<strong>der</strong>e Alternativen<br />
<strong>der</strong> Erlösung wählt. Die Weisheit Gottes<br />
ist unerforschlich. Auf diese Weisheit soll<br />
auch <strong>der</strong> Missionar vertrauen. Aber wenn<br />
das Warten Jahrhun<strong>der</strong>te dauert! Dann<br />
hängt das von unserer mangelnden Übereinstimmung<br />
mit den Werten des Evangeliums<br />
ab. Deshalb ist es für Franziskus<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
wichtiger auch „unter den Ungläubigen“<br />
Buße zu tun, als Proselyten zu machen, so<br />
wie wir auch unter denen, die Jesus Christus<br />
bekennen, ein Leben <strong>der</strong> Buße führen<br />
sollen. Die Fehler und Sünden, die an<strong>der</strong>e<br />
möglicherweise haben können, sind<br />
eher Motiv, die eigenen Sünden besser zu<br />
erkennen und zu überwinden. 23<br />
Der zweite Aspekt besteht in <strong>der</strong> Verkündigung<br />
„des Wortes Gottes“ 24 . Es<br />
geht also nicht darum, Kirche o<strong>der</strong> Tradition<br />
zu präsentieren. Vielmehr soll das<br />
Wort Gottes vorgestellt werden, o<strong>der</strong> mit<br />
an<strong>der</strong>en Worten, <strong>der</strong> Prozess, durch den<br />
sich Gott in <strong>der</strong> Geschichte offenbart. <strong>Das</strong><br />
lässt sich auch verstehen als „Rückkehr<br />
zu den Quellen“. Dieser Aspekt stellt den<br />
Gesprächspartner eher vor Gott als vor<br />
die Tradition <strong>der</strong> Kirche. <strong>Das</strong> erleichtert<br />
den Dialog sehr, insofern kulturelle Seiten<br />
<strong>der</strong> Kirche, die sie im Laufe ihres Weges<br />
durch die Geschichte aufgenommen hat,<br />
als sekundär bezeichnet werden; das geschah<br />
auch beim ersten Konzil in Jerusalem<br />
(Apg 15).<br />
Schließlich <strong>der</strong> dritte Aspekt: „Sie sollen<br />
glauben an den allmächtigen Gott,<br />
den Vater und den Sohn und den Heiligen<br />
Geist“. Der Glaube an den dreifaltig<strong>eine</strong>n<br />
Gott gehört zum Kernbestand unseres<br />
Glaubens. Franziskus hat selbst den<br />
Glauben <strong>der</strong> Muslime an den höchsten<br />
Gott konkret erfahren. In diesem Punkt<br />
gab es Übereinstimmung im Glauben.<br />
Aber mit s<strong>eine</strong>m Scharfsinn führt Franziskus<br />
<strong>eine</strong>n delikaten Punkt des Gottesverständnisses<br />
an, die heiligste Dreifaltigkeit,<br />
für uns ein zentrales <strong>Geheimnis</strong> des Glaubens.<br />
Dieses Dogma bedarf <strong>eine</strong>r angemessenen<br />
Grundlage, damit die Muslime<br />
esakzeptierenkönnen,weilesfürsieetwas<br />
völlig Neues darstellt. In <strong>der</strong> Islamischen<br />
Religion ist ein menschgewordener und<br />
gekreuzigter Gott nicht vorstellbar. Für<br />
sie kann ein erhabener, absoluter Gott<br />
nicht leiden, wie die Christen es von Je-<br />
Crocoli – Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
sus Christus glauben. In ihrem Verständnis<br />
ist die göttliche Transzendenz unvereinbar<br />
mit <strong>der</strong> Gebrechlichkeit, die Jesus<br />
Christus aufweist. 25<br />
Luis Massignon meint, dass Franziskus<br />
an dieser Stelle s<strong>eine</strong>n „muselmanischen<br />
Freunden“ helfen könne, diese<br />
Wahrheit anzunehmen. Die Wunden<br />
Christi, die er an s<strong>eine</strong>m Körper trug,<br />
könnten <strong>eine</strong> sichtbare Demonstration<br />
dieser Realität für die Sarazenen sein. Die<br />
Christuserscheinung von La Verna wäre<br />
demnach auch <strong>eine</strong> Antwort an die Muslime<br />
und nicht nur <strong>eine</strong> Antwort auf die<br />
Sehnsucht des Franziskus, <strong>der</strong> Gott um<br />
die Gnade gebeten hatte, dieselbe Liebe<br />
und denselben Schmerz wie Jesus Chri-<br />
Die Fehler und Sünden, die an<strong>der</strong>e<br />
möglicherweise haben können, sind eher<br />
Motiv, die eigenen Sünden besser zu<br />
erkennen und zu überwinden.<br />
stus empfinden zu können. Selten beachten<br />
wir die Christuserscheinung, weil wir<br />
auch kaum ein Wun<strong>der</strong> von Franziskus<br />
zu sehen bekommen. In dieser Episode<br />
von la Verna offenbart sich Jesus Christus,<br />
<strong>der</strong> Sohn Gottes, die zweite Person <strong>der</strong><br />
Trinität und Offenbarung Gottes, als Gekreuzigter<br />
mitten unter den Leidenden,<br />
auch um zu sagen, dass Gott solidarisch<br />
mit dem menschlichen Leiden mitleidet<br />
und uns von diesem Leiden befreien will.<br />
Weil Franziskus verstand, dass die „ungläubigen<br />
Brü<strong>der</strong>“ Schwierigkeiten hätten,<br />
diese fundamentale Wahrheit des<br />
christlichen Glaubens zu begreifen, sollte<br />
dieses <strong>Geheimnis</strong> erst dann verkündet<br />
werden, wenn die Bedingungen dafür da<br />
sind. Diesen Zeitpunkt nicht zu respektieren,<br />
würde dazu führen, den Dialogprozess<br />
zu belasten und zu erschweren, statt<br />
ihn zu för<strong>der</strong>n.<br />
3
3<br />
e) Die Früchte des Dialogs<br />
Nach Luis Massignon hat Franziskus<br />
nach s<strong>eine</strong>r Erfahrung von Damiette stets<br />
für „die muselmanischen Brü<strong>der</strong>“ gebetet.<br />
Er empfand großen Schmerz darüber,<br />
wie man sie behandelte und welche<br />
vorgefertigten Urteile man über sie fällte.<br />
Sein „Denken war auf den Orient ausgerichtet“<br />
(Basetti-Sani, 1993, S. 698).<br />
Er wusste, „dass er selbst <strong>eine</strong>m zutiefst<br />
frommen und friedfertigen Menschen<br />
(Malik al-Kamil) begegnet war, <strong>der</strong> auch<br />
an den einzigen Gott glaubte“ (Spoto,<br />
2002, S. 239), und <strong>eine</strong>m Volk, das s<strong>eine</strong>n<br />
Glauben wahrhaftig leben wollte. Er fühlte<br />
sich als erster in <strong>der</strong> Geschichte dazu<br />
gedrängt, <strong>eine</strong> Methode <strong>der</strong> Begegnung<br />
und des Dialogs mit den Muslimen zu entwickeln<br />
(NbR 16). S<strong>eine</strong> Methode wird<br />
sicherlich unpassend als Evangelisierung<br />
<strong>der</strong> Muslime bezeichnet, da er viel mehr<br />
an <strong>eine</strong>m friedlichen und harmonischen<br />
Zusammenleben interessiert war bei aller<br />
Respektierung ihrer kulturellen und religiösen<br />
Unterschiede, als sie im engeren<br />
Sinne zu bekehren, auch wenn dieses<br />
S<strong>eine</strong> Methode wird sicherlich<br />
unzutreffend als Evangelisierung<br />
<strong>der</strong> Muslime bezeichnet.<br />
Ziel k<strong>eine</strong>swegs fehlte. Dies bedenkend<br />
begreift man die Tragweite des Textes,<br />
<strong>der</strong> die Lebensregel enthält. Gleichzeitig<br />
gestattet es, angemessen s<strong>eine</strong> Initiative<br />
zu würdigen, durch die er die Lenker <strong>der</strong><br />
Völker – durch ein Schreiben – bittet, dem<br />
Volk ein Zeichen zu geben, das es an das<br />
Beten erinnert. Er freute sich an <strong>der</strong> muslimischen<br />
Sitte, von den Trompeten <strong>der</strong><br />
Muezzins zusammengerufen zu werden,<br />
innezuhalten, sich in Richtung Mekka<br />
nie<strong>der</strong>zuwerfen und zu Gott Allah zu beten.<br />
Franziskus stellt unter Beweis, dass er<br />
von jenen etwas gelernt hat, die üblicher-<br />
weise verteufelt wurden. Diesen Wert <strong>der</strong><br />
„Ungläubigen“ hat Franziskus in <strong>eine</strong>m<br />
Gestus des echten interreligiösen Dialogs<br />
unter den Christen eingeführt, jedoch<br />
ohne s<strong>eine</strong> Herkunft zu deklarieren.<br />
Schluss<br />
Zwei kurze Bemerkungen möchte<br />
ich zum Schluss anfügen.<br />
a) Erstens wurde im Verlauf unserer<br />
Reflexion deutlich, dass wir mit dem Thema<br />
Ökumenismus und interreligiöser Dialog<br />
noch ganz am Anfang stehen. Es erweist<br />
sich in diesem Zusammenhang als<br />
dringend notwendig, die Beziehung des<br />
Franziskus zu den religiösen Armutsbewegungen<br />
zu erforschen, von denen er mehr<br />
gelernt zu haben scheint als von den an<strong>der</strong>en<br />
zeitgenössischen Ordensgemeinschaften.<br />
Insofern die meisten Armutsbewegungen<br />
von <strong>der</strong> Kirche verurteilt<br />
o<strong>der</strong> zumindest misstrauisch betrachtet<br />
wurden, sollte es da mit ihnen überhaupt<br />
k<strong>eine</strong> Art interreligiösen Dialogs gegeben<br />
haben? Und dass er niemals die Katharer<br />
o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sogenannte „häretische“<br />
Gruppen angegriffen hat, bedeutet das<br />
nicht <strong>eine</strong> Fähigkeit zu geschwisterlicher<br />
„ökumenischer“ Beziehung, selbst wenn<br />
er sich nicht darüber im klaren war, wie<br />
wir das heute sein können? Worin besteht<br />
<strong>der</strong> große Unterschied zwischen dem,<br />
was er damals tat und dem, was wir heute<br />
am Beginn des dritten Jahrtausends im<br />
„ökumenischen Kreuzzug“ tun, <strong>der</strong> uns<br />
auf den Weg zu <strong>eine</strong>m religiösen Pluralismus<br />
zu bringen scheint, wie unter an<strong>der</strong>en<br />
José Maria Vigil o<strong>der</strong> Raimon Panikkar<br />
m<strong>eine</strong>n? Ihrer Überzeugung nach<br />
können wir alle Religionen als – autonome<br />
– Wege <strong>der</strong> Erlösung verstehen. Vor<br />
kaum <strong>eine</strong>m Jahrhun<strong>der</strong>t erst haben die<br />
christlichen Kirchen diesen Prozess <strong>der</strong><br />
Öffnung und des Dialogs begonnen, ohne<br />
zu leugnen, dass es hier und da in <strong>der</strong><br />
Vergangenheit bereits schöne Zeugnisse<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
dieser Annäherung gegeben hat. Franziskus<br />
scheint <strong>eine</strong> dieser Gestalten zu sein.<br />
b) Zweitens sind sowohl <strong>der</strong> Ökumenismus<br />
wie <strong>der</strong> interreligiöse Dialog in<br />
<strong>der</strong> Praxis Früchte <strong>eine</strong>r neuen Spiritualität,<br />
selbst wenn wir das niemals wörtlich<br />
so gesagt haben. Man kann nur an <strong>eine</strong><br />
geschwisterliche, herzliche Beziehung in<br />
gegenseitigem Lernprozess und wechselseitiger<br />
Wertschätzung glauben, wenn<br />
man vom Geist Gottes erfüllt ist, <strong>der</strong> sich<br />
in <strong>der</strong> Schöpfung mit all ihrer notwendigen<br />
Verschiedenheit und mit ihrer biologischen<br />
Vielfalt ablesen lässt. Damit<br />
ein Mensch losgelöst von sich selbst leben<br />
kann, ohne sich den an<strong>der</strong>en aufzudrängen,<br />
und ihre an<strong>der</strong>sartigen und ihm<br />
fremdem Werte bewun<strong>der</strong>n kann, bedarf<br />
er <strong>eine</strong>r grundlegenden Bekehrung und<br />
Lebensän<strong>der</strong>ung, in <strong>der</strong> Gott und sein<br />
Anliegen die Lebensrichtung bestimmen.<br />
Existentiell ist es unmöglich, sich von<br />
allem zu lösen, auch nicht vom eigenen<br />
Leben, wenn man s<strong>eine</strong> Mitte nicht in <strong>der</strong><br />
Sicherheit findet, die Gott ist. Es geht also<br />
nicht darum, religiöse Praktiken transparent<br />
zu leben, wohl aber einzutauchen<br />
in die Dynamik Gottes, <strong>der</strong> die Liebe ist<br />
und nicht auf die Person sieht. Dafür ist<br />
wesentlich, was auch Edward von Sinner<br />
(2005, S. 18) in <strong>der</strong> gleichen Perspektive<br />
wie Franz von Assisi sagt, <strong>eine</strong> fundamentale<br />
Offenheit zu besitzen und zu pflegen,<br />
die im Geiste Gottes selbst begründet<br />
ist. Wir sind davon überzeugt, dass <strong>eine</strong><br />
Spiritualität, die wahrhaft dem Evangelium<br />
entspricht, zugleich auch <strong>eine</strong> ökumenische<br />
und dialogische Spiritualität<br />
ist. <strong>Das</strong>selbe gilt für die <strong>Franziskaner</strong>: Eine<br />
wahrhaft franziskanische Spiritualität<br />
wird stets auch <strong>eine</strong> ökumenische Spiritualität<br />
sein, die für den Dialog mit an<strong>der</strong>en<br />
Religionen offen ist.<br />
Übersetzung aus dem bras. Portugiesisch:<br />
Norbert Arntz / Maria Schwabe<br />
Crocoli – Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
Literaturhinweise:<br />
BASETTI-SANI, G. Sarracenos. In:<br />
MOVIMENTO FRANCESCANO ASSISI.<br />
Dicionário Franciscano. Petrópolis: Cefepal-Vozes,<br />
1993, S. 691-700.<br />
BERKENBROCK, V. A atitude Franciscana<br />
no Diálogo Inte-Religioso. In: MO-<br />
REIRA, A. da S. (org). Herança Franciscana.<br />
Petrópolis: Vozes, 1996, S. 308-338.<br />
CASPAR, R. Para una visión cristiana<br />
del Islam. Santan<strong>der</strong>: Ed. Sal Terrae,<br />
1995.<br />
COMBLIN, José. Quais os desafios<br />
dos temas teológicos atuais? São Paulo:<br />
Paulus, 2005.<br />
DOZZI, D. Il Vangelo nella Regola<br />
non Bollata di Francesco d’Assisi. Roma:<br />
IstitutoStorico dei Cappuccini, 1989.<br />
FRANCO Jr, H. A Idade Média, nascimento<br />
do Ocidente. São Paulo: E. Brasiliense,<br />
1986.<br />
ROSSI, P. Francescani e Islam. I primi<br />
cinque martiri. Anghiari, 2001.<br />
SPOTO, D. Francisco de Assis, o santo<br />
relutante. Rio de Janeiro: Ed. Objetiva,<br />
2002.<br />
Von SINNER, R.E. Diálogo Inter-Religioso:<br />
Dos “cristãos anônimos” às teologias<br />
das religiões. Coleção: Ca<strong>der</strong>nos de<br />
Teologia Pública. São Leopoldo: Unisinos,<br />
Ano II, no 9, 2005.<br />
VADAKKEKARA, B. Lo spirito di minorità<br />
nella vita missionária francescana.<br />
Dalla RnB XVI (1221) alle Costituizioni<br />
Cappuccine XII (1638). In: ISTITUTO<br />
FRANCESCANO DI SPIRITUALITÀ. Minori<br />
et subditi omnibus. Roma: Co-ed. Col.<br />
San Lorenzo da Brindisi e Laurentianum,<br />
2003, p. 255-272.<br />
39
0<br />
Endnoten<br />
1. <strong>Das</strong> Kapitel „Denkstrukturen“ im Werk von Hilario<br />
Franco Junior, S. 149-169, ist hier beson<strong>der</strong>s aufschlussreich.<br />
2. Im Jahre 2005 hat ein dem Vatikan verbundener Journalist<br />
– Vittorio Messori – zum ersten Mal in <strong>der</strong> Geschichte<br />
die Information verbreitet, Franziskus sei als<br />
„Militärkaplan“ am Kreuzzug beteiligt gewesen. <strong>Das</strong><br />
scheint jedoch je<strong>der</strong> sicheren historischen Begründung<br />
zu entbehren, denn er war nicht einmal Priester, um<br />
<strong>eine</strong> solche Funktion ausüben zu können.<br />
3. In <strong>der</strong> Vergangenheit erwähnte man häufig, dass<br />
Franziskus am Kreuzzug teilgenommen habe, um das<br />
Martyrium zu erlangen. In letzter Zeit revidieren die<br />
Historiker diese Position, weil sie den Inhalt des Kapitels<br />
16 <strong>der</strong> nichtbullierten Regel und das Verhalten des<br />
Franziskus beim Kreuzzug präsent haben.<br />
4. Charron, Jean-Marc. De Narcise à Jésus. La quete de<br />
l’identité chez François d’Assise. Montreal : E. Paulines,<br />
1992<br />
5. vgl. Die Schriften des heiligen Franziskus von Assisi.<br />
Franziskanische Quellenschriften, Bd 1. Hrsg. Lothar<br />
Hardick OFM und Engelbert Grau OFM. Coelde-Verlag,<br />
Werl 1991, S. 150 (Anm. des Übersetzers: Alle<br />
Zitate aus den Schriften des heiligen Franz werden<br />
mit den entsprechenden Stellenangaben nach diesem<br />
Text zitiert.)<br />
6. Im Testament bekennt er diese Erfahrung, wenn er<br />
sagt: „.... da [...] wurde mir das, was mir bitter vorkam,<br />
in Süßigkeit <strong>der</strong> Seele und des Leibes verwandelt.“<br />
(Test 3; Schriften S. 142)<br />
7. Diese Logik scheint auch die For<strong>der</strong>ungen für die<br />
Nachfolge Jesu im ersten Kapitel <strong>der</strong> nichtbullierten<br />
Regel zu bestimmen: Es beginnt mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung<br />
nach Verzicht auf materielle Güter, dann <strong>der</strong> Verzicht<br />
auf das selbständige leben und schließlich <strong>der</strong> Verzicht<br />
auf familiäre Bindungen. Aber nach diesen drei<br />
Etappen öffnet sich ein Horizont größerer Fülle – das<br />
Hun<strong>der</strong>tfache des Evangeliums.<br />
8. Vgl. BOFF Leonardo, Zärtlichkeit und Kraft. Franz von<br />
Assisi mit den Augen <strong>der</strong> Armen gesehen, Düsseldorf,<br />
1998<br />
9. In zwei Abschnitten <strong>der</strong> Nichtbullierten Regel (NbR<br />
9,12 und 11,10) und in zwei weiteren <strong>der</strong> Bullierten<br />
Regel (BR 2,18 und 3,11), außerdem in den Ermahnungen<br />
(26,2) verlangt Franziskus von den Brü<strong>der</strong>n<br />
ausdrücklich, an<strong>der</strong>e nicht zu richten. Aus diesen fünfmaligen<br />
Wie<strong>der</strong>holungen kann man schließen, dass es<br />
sich nicht um <strong>eine</strong>n zufälligen Gedanken handelt. Im<br />
Gegenteil: die Insistenz und <strong>der</strong>en Bedeutung in den<br />
legislativen Texten macht in <strong>der</strong> Tat die Haltung, über<br />
an<strong>der</strong>e nicht zu richten, zu <strong>eine</strong>m charakteristischen<br />
Element des Min<strong>der</strong>bru<strong>der</strong>-Seins.<br />
10. Auch in <strong>der</strong> Nichtbullierten Regel 11,1; Bullierte Regel<br />
3,11<br />
11. Im Text „Gruß an die Tugenden“ (14-18, Schriften<br />
S. 75) drückt sich Franziskus noch radikaler mit diesen<br />
Worten aus: „Der heilige Gehorsam macht alles<br />
leibliche und fleischliche Verlangen zuschanden und<br />
hält s<strong>eine</strong>n Leib abgetötet, damit er dem Geist gehorche<br />
und s<strong>eine</strong>m Bru<strong>der</strong> gehorche; und <strong>der</strong> Mensch ist<br />
untergeben und untertan allen Menschen, die in <strong>der</strong><br />
Welt sind, und nicht nur allein den Menschen, son<strong>der</strong>n<br />
auch allen wilden und ungezähmten Tieren, damit sie<br />
mit ihm tun können, was nur immer sie wollen, soweit<br />
es ihnen von oben herab, vom Herrn gegeben ist.“<br />
12. Vgl. Berkenbrock 1996, S. 324<br />
13. “Danach gab und gibt mir <strong>der</strong> Herr <strong>eine</strong>n so großen<br />
Glauben zu den Priestern, die nach <strong>der</strong> Vorschrift <strong>der</strong><br />
Römischen Kirche leben, wegen ihrer Weihe, dass ich,<br />
wenn sie mich verfolgen würden, bei ihnen Zuflucht<br />
suchen will. Und wenn ich so große Weisheit hätte,<br />
wie Salomon sie gehabt hat, und fände armselige<br />
Priester dieser Welt – in den Pfarreien, wo sie weilen,<br />
will ich nicht gegen ihren Willen predigen. Und diese<br />
und alle an<strong>der</strong>en will ich fürchten, lieben und ehren<br />
wie m<strong>eine</strong> Herren. Und ich will in ihnen die Sünde<br />
nicht sehen, weil ich den Sohn Gottes in ihnen erblicke<br />
und sie m<strong>eine</strong> Herren sind. Und deswegen tue ich das,<br />
weil ich leiblicherweise von ihm, dem höchsten Sohn<br />
Gottes, in dieser Welt nichts sehe als s<strong>eine</strong>n heiligsten<br />
Leib und sein heiligstes Blut, das sie selbst empfangen<br />
und sie allein den an<strong>der</strong>en darreichen. Und diese heiligsten<br />
<strong>Geheimnis</strong>se will ich über alles hochgeachtet,<br />
verehrt und an kostbaren Stellen aufbewahrt wissen.“<br />
(Test 6-11; Schriften S. 142/143)<br />
14. Einige Autoren datieren dieses Ereignis im Jahr 1213.<br />
Aber man muss bedenken, dass Thomas von Celano<br />
selbst schrieb „Im sechsten Jahr nach s<strong>eine</strong>r Bekehrung“<br />
(1 Cel 55,2), und wissen, dass Bekehrung<br />
und Entkleidung vor dem Bischof, die im Jahr 1206<br />
geschieht, für Celano ein und dasselbe sind. Darüber<br />
hinaus findet auch „<strong>der</strong> Kreuzzug <strong>der</strong> Armen“ im Jahr<br />
1212 statt. Deshalb ziehen wir diese Datierung <strong>der</strong><br />
von 1213 ebenso vor wie <strong>der</strong> von 1211, die in <strong>der</strong><br />
brasilianischen Edition <strong>der</strong> Neuen Quellenschriften<br />
vorgeschlagen wird.<br />
15. Tatsächlich hat <strong>der</strong> Bischof <strong>der</strong> Stadt, als er sah, dass<br />
Kin<strong>der</strong> aus nördlichen Län<strong>der</strong>n kommend in den Krieg<br />
ziehen wollten, sie zurückgeschickt, denn viele von<br />
ihnen waren bereits auf dem Weg hierher gestorben.<br />
Sie waren von <strong>der</strong> spirituellen Belohnung und vom<br />
Wunsch nach kostbaren Beutestücken angezogen<br />
worden. Alle, die darauf bestanden, in den Krieg zu<br />
ziehen, starben o<strong>der</strong> wurden als Sklaven verkauft.<br />
16. Nach Spoto (2002, S. 184-186) verbindet kein zeitgenössischer<br />
Chronist diese Initiative des Franziskus mit<br />
dem Kreuzzug <strong>der</strong> Armen, „um ihn nicht mit <strong>eine</strong>m<br />
so fruchtlosen Unternehmen zusammenzubringen“.<br />
Dennoch ist es unmöglich, dass Franziskus von dieser<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Bewegung nichts gewusst hätte; denn die Karawanen<br />
zogen über die italienischen Straßen zu den Häfen<br />
von Venedig und Brindisi. Er würde sich also dieser Bewegung<br />
<strong>der</strong> Armen angeschlossen haben im Glauben,<br />
dass die Armen mehr aus <strong>der</strong> Kraft des Evangeliums<br />
leben als von den Waffen. Auch noch interessant ist<br />
die Tatsache, dass die Mehrheit <strong>der</strong> Historiker diesen<br />
Kreuzzug wegen s<strong>eine</strong>s Fiaskos nicht in die offizielle<br />
Kreuzzugsliste aufnimmt. Er wird zwischen dem 4.<br />
und 5. Kreuzzug platziert.<br />
17. Spoto (2002, S, 208) gründet die Hypothese <strong>eine</strong>s<br />
Infarktes auf dem Symptom des Sprachverlustes für<br />
drei Tage. Aber auch die Krise durch ein mögliches<br />
Magengeschwür wird nicht ausgeschlossen, ebenfalls<br />
<strong>eine</strong> Folge <strong>der</strong> Malaria, die alle inneren Organe des<br />
Menschen angreift.<br />
18. Julio Basetti-Sani (1993, S. 696-698) berichtet, dass<br />
Franziskus begleitet von 12 Brü<strong>der</strong>n am 24. Juni 1219<br />
in Ancona das Schiff bestieg und in den letzten Tagen<br />
des Monats in Damiette ankam. Den ganzen Monat<br />
Juli verbrachte er im christlichen Heer. Ende des Monats<br />
bzw. Anfang August erhielt er zusammen mit<br />
Bru<strong>der</strong> Illuminatus die Erlaubnis des Kardinals und<br />
riskierte es, das Niemandsland zwischen den beiden<br />
Heeren zu durchqueren, um mit dem Sultan zu sprechen.<br />
Über die Zwischenfälle, die sie bis zur Ankunft<br />
beim Chef des feindlichen Heeres zu erleiden hatten,<br />
berichten zeitgenössische Quellen (1 Cel 57; LM Kapitel<br />
9 und an<strong>der</strong>e mehr). Wie oft er sich mit dem Sultan<br />
getroffen hat, ist schwer zu sagen. Die Indizien<br />
in <strong>der</strong> arabischen Literatur über die Begegnung des<br />
Franziskus mit dem Sultan werden von Fahr al-Din<br />
Muhammad Ben Ibrahim Farisi berichtet. Franziskus<br />
soll gemeinsam mit mehr als 6000 christlichen Soldaten<br />
zwischen dem 14. und 19. September 1219 die<br />
Rückreise nach Italien begonnen haben.<br />
19. „Daher bitte ich euch in Ehrfurcht, so gut ich kann,<br />
ihr möchtet doch nicht wegen <strong>der</strong> Sorgen und dem<br />
geschäftigen Treiben dieser Welt, die ihr habt, den<br />
Herrn <strong>der</strong> Vergessenheit anheimfallen lassen und von<br />
s<strong>eine</strong>n Geboten abweichen; denn alle jene, die ihn <strong>der</strong><br />
Vergessenheit anheimfallen lassen und von s<strong>eine</strong>n Geboten<br />
abweichen, sind verflucht und werden von ihm<br />
<strong>der</strong> Vergessenheit überantwortet werden. Und wenn<br />
<strong>der</strong> Tag des Todes kommt, wird ihnen alles, was sie<br />
zu haben glaubten, weggenommen werden. Und je<br />
weiser und mächtiger sie in dieser Welt gewesen sind,<br />
desto größere Qualen werden sie in <strong>der</strong> Hölle erdulden.“<br />
(BrLenk 3-5; Schriften S. 33)<br />
20. Vgl. Schriften S. 121<br />
21. Dieser Ausdruck erscheint auch in NbR 2,4; 4,2;<br />
5,4.5.11; 7,15 und in BR 10,5<br />
22. Diese Position finden wir z.B. in <strong>der</strong> Bulle „Cantate<br />
Domino“ des Konzils von Florenz (1442) „[Die Kirche]<br />
glaubt fest, bekennt und verkündet, dass „niemand,<br />
<strong>der</strong> sich außerhalb <strong>der</strong> katholischen Kirche befindet,<br />
nicht nur k<strong>eine</strong> Heiden“, son<strong>der</strong>n auch k<strong>eine</strong> Juden<br />
o<strong>der</strong> Häretiker und Schismatiker, des ewigen Lebens<br />
Crocoli – Franziskus und <strong>der</strong> Interreligiöse Dialog<br />
teilhaft werden können, son<strong>der</strong>n dass sie in das ewige<br />
Feuer wan<strong>der</strong>n werden, „das dem Teufel und s<strong>eine</strong>n<br />
Engeln bereitet ist“ [Mt 25,41], wenn sie sich nicht<br />
vor dem Lebensende ihr angeschlossen haben[...] Und<br />
niemand kann, wenn er auch noch so viele Almosen<br />
gibt und für den Namen Christi sein Blut vergießt,<br />
gerettet werden, wenn er nicht im Schoß und in <strong>der</strong><br />
Einheit <strong>der</strong> katholischen Kirche bleibt“.<br />
23. Hier kann man an die Feuerprobe erinnern, die laut<br />
Bonaventura Franziskus dem Sultan unterbreitet:<br />
„Versprichst du mir für dich und dein Volk, du werdest<br />
den Glauben an Christus annehmen, wenn ich unversehrt<br />
durchs Feuer gehe, dann will ich allein hineingehen.<br />
Werde ich verbrannt, dann rechne dies m<strong>eine</strong>n<br />
Sünden an; beschützt mich aber Gottes Macht, dann<br />
erkennt, dass Christus, Gottes Kraft und Weisheit,<br />
wahrhaft Gott und Herr, <strong>der</strong> Erlöser aller Menschen<br />
ist“ (LM 9,8,12-13). Hinter dieser mittelalterlichen<br />
Redeweise verbirgt sich die Einsicht, dass die Sünde<br />
das größte Hin<strong>der</strong>nis für die Bekehrung <strong>der</strong> „Ungläubigen“<br />
darstellt.<br />
24. Ohne die Verse 8 und 9 detailliert analysieren zu<br />
wollen, sch<strong>eine</strong>n sie auf die Bedeutung des vorangehenden<br />
Verses zu verweisen, dessen Inhalt die Verkündigung<br />
<strong>der</strong> Trinität ist. Diese Worte stammen aus<br />
<strong>der</strong> persönlichen Erfahrung dessen, <strong>der</strong> verstanden<br />
hat, wie groß die Schwierigkeiten für die Sarazenen<br />
sind, das katholische Verständnis des dreifaltigen und<br />
menschgewordenen Gottes zu akzeptieren. Trotzdem<br />
besteht Franziskus darauf, nicht eher davon zu reden,<br />
bis es die Bedingungen erlauben, um nicht den Vorwurf<br />
des Evangeliums hören zu müssen: 8 Dieses und<br />
an<strong>der</strong>es, was dem Herrn wohlgefällig ist, können<br />
sie ihnen und an<strong>der</strong>en sagen, denn <strong>der</strong> Herr sagt<br />
im Evangelium: „Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> mich vor den Menschen<br />
bekennen wird, den werde auch ich vor m<strong>eine</strong>m<br />
Vater bekennen, <strong>der</strong> im Himmel ist“ (Mt 19,32).<br />
9 Und: „Wer sich m<strong>eine</strong>r und m<strong>eine</strong>r Worte<br />
schämt, dessen wird sich auch <strong>der</strong> Menschensohn<br />
schämen, wenn er in s<strong>eine</strong>r und des Vaters und <strong>der</strong><br />
Engel Herrlichkeit kommen wird“ (vgl. (Lk 9,26).<br />
25. In dieser Perspektive kann die Christuserscheinung<br />
vom Monte La Verna (ein Engel mit sechs Flügeln,<br />
<strong>der</strong> die Wunden des Gekreuzigten trägt) nach Luis<br />
Massignon, <strong>der</strong> dieses Problem gründlich erforschte,<br />
verstanden werden als <strong>eine</strong> Antwort durch Franziskus<br />
an die Muselmanen, dass es dem höchsten Gott sehr<br />
wohl möglich ist, in Menschengestalt zu ersch<strong>eine</strong>n,<br />
wie es sich mit <strong>der</strong> zweiten Person <strong>der</strong> Trinität ereignete,<br />
dem Wort, in Jesus von Nazareth. (vgl. Basetti-<br />
Sani, 1993, S. 699)<br />
1
2<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen<br />
Foto: KNA
Bekenntnis im Dialog<br />
Zur Ortsbestimmung des interreligiösen<br />
Dialogs im heutigen interkulturellen Kontext<br />
0. Einführung<br />
Es war ein reicher Mann, <strong>der</strong> kleidete<br />
sich in Purpur und f<strong>eine</strong>s L<strong>eine</strong>ngewand<br />
und hielt alle Tage glänzende Gottesdienste<br />
und bewegende Predigten über<br />
das Reich Gottes und s<strong>eine</strong> Gerechtigkeit.<br />
Vor s<strong>eine</strong>r Tür lag ein armer Heide namens<br />
Lazarus, mit Geschwüren ganz bedeckt.<br />
Tagein, tagaus zerbrach sich <strong>der</strong> Reiche<br />
den Kopf über die Heilsmöglichkeiten<br />
von Nicht-Christen wie Lazarus. Denn diese<br />
wollten sich nicht taufen lassen. Der<br />
reiche Mann bemühte sich mit allen Mitteln,<br />
dem Lazarus die bedingungslose<br />
Liebe und die alles umfassende Fürsorge<br />
und Vorsehung des himmlischen Vaters<br />
beizubringen. Aber <strong>der</strong> arme Lazarus kapierte<br />
dies nicht und saß still und schweigend<br />
da. Und während die Hunde kamen<br />
und an s<strong>eine</strong>n Geschwüren leckten, dachte<br />
er über die Vergänglichkeit des Leides<br />
und des Lebens nach.<br />
Da starb <strong>der</strong> Arme und wurde von<br />
den Engeln in den Schoß Abrahams getragen.<br />
Doch auch <strong>der</strong> Reiche starb und<br />
ward begraben. Als er s<strong>eine</strong> Augen erhob,<br />
sah er entgeistert in <strong>der</strong> Ferne Abraham<br />
und in dessen Schoß den Lazarus. Da rief<br />
er: „Vater Abraham! Wie hast du nur den<br />
Lazarus hereingeschmuggelt?“ Abraham<br />
jedoch erwi<strong>der</strong>te: „Kind, Du erinnerst<br />
Dich, was Du über die bedingungslose<br />
Liebe unseres himmlischen Vaters gepredigt<br />
hast? Bedenke, Dir ist es in D<strong>eine</strong>m<br />
Leben gut ergangen, dem Lazarus hinge-<br />
D‘Sa – Bekenntnis im Dialog<br />
Francis X. D’Sa S.J.,<br />
Prof. für Missionstheologie an<br />
<strong>der</strong> Universität Würzburg<br />
gen schlecht. Jetzt wird er hier getröstet.<br />
Du aber wirst nicht gepeinigt, denn Gott<br />
ist größer als unser jüdisch-christliches<br />
Herz!“<br />
Ist es nicht verwun<strong>der</strong>lich, dass trotz<br />
des Näherrückens <strong>der</strong> Kulturen wir nach<br />
wie vor immer nur von <strong>der</strong> Perspektive<br />
unserer eigenen Kultur her alles betrachten?<br />
Ist es nicht noch verwun<strong>der</strong>licher,<br />
dass wir uns in <strong>eine</strong>r Zeit <strong>der</strong> Begegnung<br />
bzw. Konfrontation <strong>der</strong> Kulturen dieser<br />
Tatsache nicht einmal bewusst sind, und<br />
dass wir deshalb aneinan<strong>der</strong> vorbei reden?<br />
Zwar lernen wir die Sprachen, die<br />
Geschichte, die Wirtschaftsentwicklung<br />
und die Politik an<strong>der</strong>er Kulturen. Noch<br />
mehr: Wir lernen auch die Religionen an<strong>der</strong>er<br />
Menschen kennen – und dennoch,<br />
wenn es um Wichtiges geht, nämlich<br />
um Werte und Visionen frem<strong>der</strong> Menschen<br />
und Kulturen, verstehen wir herzlich<br />
wenig. Nicht nur verstehen wir sie<br />
nicht, meistens verstehen wir sie falsch.<br />
<strong>Das</strong>s auch die an<strong>der</strong>en Kulturen im selben<br />
Boot sitzen und dass auch sie uns falsch<br />
verstehen, ist kein großer Trost.<br />
Kulturen benehmen sich, als ob sie<br />
wasserdicht wären. Sie bilden sich routinemäßig<br />
ein, dass ihr Wahrheits- und<br />
Wirklichkeits-Verständnis das Wahrheitsund<br />
Wirklichkeits-Verständnis aller Kulturen<br />
ist. Wir formulieren dies nicht thematisch.<br />
Tatsache aber ist, dass wir so<br />
tun, als ob unsere Kultur, unsere Werte,<br />
3
und unser Verständnis von Gott, Welt und<br />
Mensch universal sind o<strong>der</strong> sein sollten.<br />
Tatsache aber ist, dass wir so tun,<br />
als ob unsere Kultur, unsere<br />
Werte, und unser Verständnis von<br />
Gott, Welt und Mensch universal<br />
sind o<strong>der</strong> sein sollten.<br />
M<strong>eine</strong> Thesen sind folgende: Mission<br />
verstehe ich als <strong>eine</strong> Bewegung von Innen<br />
nach Außen, die nicht menschlichem<br />
Willen, son<strong>der</strong>n <strong>eine</strong>m Wi<strong>der</strong>fahrnis des<br />
Wahren o<strong>der</strong> Schönen o<strong>der</strong> Guten o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Liebe entspringt und daher auf <strong>eine</strong><br />
Begegnung mit <strong>eine</strong>m „Du“ aus ist.<br />
Diese Begegnung ist <strong>der</strong> Anfang des Dialogs.<br />
Nur im Dialog kann durch <strong>eine</strong>n<br />
Austausch das Wahre usw. zur Geltung<br />
kommen und so nach Ganzheit streben.<br />
Mission und Dialog gehören als wesentliche<br />
Komponenten zum Prozess <strong>der</strong> Person-Werdung.<br />
1. Mission: <strong>Das</strong> Wahrheitsverständnis<br />
und sein<br />
universaler Anspruch<br />
Mission hat mit dem eigenen Verständnis<br />
<strong>der</strong> Wahrheit und s<strong>eine</strong>m universalen<br />
Anspruch zu tun, und Dialog ist<br />
<strong>eine</strong>rseits <strong>der</strong> Weg zur Vermittlung dieses<br />
Wahrheits-Anspruchs, und an<strong>der</strong>erseits<br />
<strong>der</strong> Weg zur Aneignung des Wahrheits-<br />
Verständnisses des Dialog-Partners. Der<br />
Grundsatz von Mission und Dialog lautet:<br />
Die an<strong>der</strong>en verstehen, wie sie sich<br />
verstehen, damit sie uns verstehen, wie<br />
wir uns verstehen. Man beachte, dass es<br />
sich hier um ein interkulturelles Verständnis<br />
handelt. Dazu folgendes Beispiel:<br />
Ein amerikanischer Missionar bemühte<br />
sich jahrelang s<strong>eine</strong>n afrikanischen<br />
Schützlingen beizubringen, sie sollten<br />
sich Klei<strong>der</strong> anziehen aber natürlich<br />
wie zu erwarten war, ohne Erfolg.<br />
Endlich sagte <strong>der</strong> Missionar entrüstet:<br />
„Seht ihr nicht, dass ihr nackt seid?“<br />
Nach <strong>eine</strong>m langen Schweigen antwortete<br />
<strong>der</strong> Häuptling: „Aber auch ihr<br />
Gesicht ist nackt!“<br />
Worauf <strong>der</strong> Missionar meinte: „<strong>Das</strong> ist<br />
aber nur mein Gesicht!“<br />
Darauf erwi<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Häuptling: „Wir<br />
sind Gesicht überall!“<br />
In allen Kulturen ist ein Wirklichkeitsund<br />
Wahrheits-Verständnis zu finden, das<br />
<strong>der</strong> Kultur zu Eigen und in den Menschen<br />
<strong>der</strong> jeweiligen Kultur am Werk ist. Dazu<br />
kommt <strong>eine</strong> stillschweigende aber unberechtigte<br />
Annahme hinzu, dass eben<br />
dieses Verständnis universal ist und in<br />
allen Kulturen Gültigkeit hat und haben<br />
muss. Konkret ausgedrückt: <strong>Das</strong> eigene<br />
Wirklichkeits- und Wahrheits-Verständnis<br />
hat, so die Annahme, nicht nur <strong>eine</strong>n universalen<br />
Anspruch, son<strong>der</strong>n auch universale<br />
Gültigkeit.<br />
Es gilt nun in diesem Teil m<strong>eine</strong>r Überlegungen,<br />
den Weizen <strong>der</strong> Wahrheit des<br />
universalen Anspruchs von <strong>der</strong> Spreu <strong>der</strong><br />
Unwahrheit <strong>der</strong> universalen Gültigkeit zu<br />
trennen. Es geht darum, die Diktatur des<br />
Relativismus von <strong>der</strong> Dynamik <strong>der</strong> Relativität<br />
o<strong>der</strong> Relationalität zu son<strong>der</strong>n.<br />
1.1 Die Eigenart <strong>der</strong> Kulturen<br />
Die Eigenart <strong>der</strong> Kulturen besteht darin,<br />
dass ihnen <strong>eine</strong> beson<strong>der</strong>e Perspektive<br />
zu Eigen ist. Diese Perspektive zeigt<br />
sich auf Schritt und Tritt und drückt sich<br />
in <strong>eine</strong>r einzigartigen Kosmovision aus.<br />
Dadurch wird nicht nur die Welt an<strong>der</strong>s<br />
erlebt und <strong>der</strong> Mensch an<strong>der</strong>s verstanden,<br />
son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Zugang zum Sinn<br />
des Lebens ist wesentlich ein an<strong>der</strong>er. <strong>Das</strong><br />
Ganze drückt sich verschiedentlich aus:<br />
In <strong>der</strong> Verschiedenheit des Wahrheits-,<br />
Gottes-, Welt-, und Menschen-Verständnisses.<br />
Heil und Unheil im Christentum<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Foto: KNA<br />
bedeuten nicht dasselbe wie im Hinduismus<br />
o<strong>der</strong> im Buddhismus; so auch das<br />
Welt- und Menschen-Verständnis. Kein<br />
Wun<strong>der</strong>, dass jede Religion fest an ihre<br />
eigene Offenbarung glaubt und sie auf<br />
ihre Weise auslegt und ausdrückt.<br />
<strong>Das</strong> ist <strong>eine</strong> Tatsache, die am Anfang<br />
je<strong>der</strong> Theologie von Mission und Dialog<br />
stehen sollte. Dies würde dann von vornherein<br />
den Weg zur Mission und zum Dialog<br />
eröffnen. Darüber hinaus würde dies<br />
auch Mission fruchtbar machen. <strong>Das</strong> ist<br />
<strong>eine</strong> Sicht, die uns erst das Näherrücken<br />
<strong>der</strong> Kulturen und Religionen eingebracht<br />
hat.<br />
Selbst Konzils-Aussagen wie „Die katholische<br />
Kirche lehnt nichts von alledem<br />
ab, was in diesen Religionen wahr und<br />
heilig ist“ zeigen guten Willen und Offenheit,<br />
die an<strong>der</strong>erseits ungenügendes<br />
Gespür für die Tatsache zeigen, dass das,<br />
was uns wahr und heilig ist, unterschiedlich<br />
von den an<strong>der</strong>e Religionen und Kulturen<br />
betrachtet und beurteilt wird. Für<br />
die gläubigen Hindus ist nicht nur die<br />
Kuh heilig, son<strong>der</strong>n auch die Bäche, Berge<br />
und Bäume sind es, auf die Heiligkeit<br />
<strong>der</strong> Tierwelt und <strong>der</strong> kosmischen Wesen<br />
D‘Sa – Bekenntnis im Dialog<br />
sei an dieser Stelle nicht näher eingegangen.<br />
Solche Konzilsaussagen, so großzügig<br />
wie sie auch auf dem Hintergrund <strong>der</strong><br />
Wirkungs-Geschichte <strong>der</strong> eigenen Heilsüberzeugung<br />
ersch<strong>eine</strong>n mögen, sind in<br />
<strong>der</strong> Tat einseitig und dialogunfähig.<br />
Die an<strong>der</strong>en verstehen, wie sie sich<br />
verstehen, damit sie uns verstehen,<br />
wie wir uns verstehen.<br />
Heißt das also, dass wir unsere Heilsund<br />
Wahrheits-Überzeugung aufgeben<br />
sollten? Ganz und gar nicht! K<strong>eine</strong> Tradition<br />
darf das. <strong>Das</strong> wäre kein Dienst auf<br />
dem Weg <strong>der</strong> Mission, noch weniger auf<br />
dem des Dialogs. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />
hat jede Tradition die Aufgabe, ja die Mission,<br />
ihre Heilsüberzeugung so auszudrücken,<br />
dass sie dialogfähig und dialogför<strong>der</strong>nd<br />
wirkt.<br />
Vorerst aber <strong>eine</strong> Vorbemerkung:<br />
Zum jetzigen Zeitpunkt, wo das Dialog-Unterfangen<br />
kaum noch begonnen<br />
hat und sich sozusagen nicht einmal in<br />
den Kin<strong>der</strong>schuhen befindet, ist es nicht<br />
möglich, dass wir <strong>eine</strong> theologische Spra-
che entwickeln, die alle Heilstraditionen<br />
in Betracht zieht. Unsere Religionsgeschichte<br />
ist zu sehr von Verschlossenheit<br />
und Ver-Inselung geprägt. Wir können zu<br />
diesem Zeitpunkt <strong>der</strong> Menschheits-Geschichte<br />
nicht gleichzeitig mit mehreren<br />
Traditionen Dialog führen.<br />
1.2 Die Wahrheit und ihr<br />
universaler Anspruch<br />
Wenn wir also unsere Heilsüberzeugung<br />
ausdrücken wollen, haben wir die<br />
Aufgabe, sie in <strong>eine</strong>r Sprache auszudrücken,<br />
die fähig ist, <strong>der</strong> religiösen Tradition<br />
Verständnis zu vermitteln, mit <strong>der</strong><br />
wir Dialog halten. Es ist gleichsam <strong>eine</strong><br />
missionarische Aufgabe aller Dialog-Partner,<br />
dass sie ihre Verkündigungs-Sprache<br />
dialogisch entwickeln, damit sie sich gegenseitig<br />
verstehen. Dadurch wird <strong>der</strong><br />
universale Anspruch <strong>der</strong> Offenbarungs-<br />
Wahrheit anerkannt. Denn Wahrheit hat<br />
immer und überall <strong>eine</strong>n universalen Anspruch.<br />
Es kann we<strong>der</strong> <strong>eine</strong> private Wahrheit<br />
noch <strong>eine</strong> Wahrheit für <strong>eine</strong> auserwählte<br />
Gruppe geben. Den grundsätzlich<br />
universalen Anspruch <strong>der</strong> Wahrheit zu<br />
begrenzen, hieße, <strong>der</strong> Diktatur des Relativismus<br />
zu verfallen. Wahrheit ist immer<br />
absolut, und nur das Absolute ist voll und<br />
ganz und unbedingt wahr.<br />
AberdamitsindunsereÜberlegungen<br />
über Wahrheit nicht zu Ende. Denn Wahrheit<br />
ist <strong>eine</strong> Sache und <strong>der</strong> Ausdruck <strong>der</strong><br />
Wahrheit <strong>eine</strong> an<strong>der</strong>e. Die erste gehört zur<br />
Seinsebene, die zweite zur Sprachebene.<br />
Obwohl sie nicht identisch sind, hängen<br />
sie aufs Engste miteinan<strong>der</strong> zusammen.<br />
Ohne den sprachlichen Ausdruck haben<br />
wir k<strong>eine</strong>n Zugang zur Wahrheit. Jede<br />
Erfahrung <strong>der</strong> Wahrheit wird nur durch<br />
die Sprache vermittelt. Einerseits ist das<br />
Göttliche <strong>Geheimnis</strong> von raum-zeitlichen<br />
und kulturellen Bedingungen frei. An<strong>der</strong>erseits<br />
ist die sprachliche Vermittlung<br />
geschichtlich, das heißt, raum-zeitlich<br />
und kulturell bedingt. Die Sprache ist<br />
immer schon ein kulturelles Phänomen.<br />
Der Anspruch <strong>eine</strong>s Wahrheits-Ausdrucks<br />
ist raum-zeitlich und kulturell bedingt. Er<br />
kann unmöglich universale Geltung haben,<br />
da er geschichtlichen Bedingungen<br />
ausgesetzt ist.<br />
Dies aber ist nicht nur negativ zu<br />
betrachten. Die geschichtlichen Bedingungen<br />
haben <strong>eine</strong> gewisse Bedeutung,<br />
Denn Wahrheit ist <strong>eine</strong><br />
Sache und <strong>der</strong> Ausdruck <strong>der</strong><br />
Wahrheit <strong>eine</strong> an<strong>der</strong>e.<br />
die <strong>eine</strong> bestimmte Bedeutsamkeit hervorruft.<br />
Bedeutung und Bedeutsamkeit<br />
zusammen verleihen <strong>der</strong> Glaubenswelt<br />
<strong>eine</strong>r Kultur ein einzigartiges Kolorit, das<br />
die Eigenart <strong>der</strong> Kultur darstellt und das<br />
aber den Außenstehenden entgeht. Meistens<br />
ist die Eigenart <strong>eine</strong>r Kultur nicht<br />
leicht feststellbar. Selbst im Austausch<br />
<strong>der</strong> Kulturen, wo man sich <strong>eine</strong>r gemeinsamen<br />
Sprache bedient, trügt <strong>der</strong> Schein,<br />
denn hinter <strong>der</strong> phonetisch selben Sprache<br />
steht jeweils ein an<strong>der</strong>es Bedeutungs-<br />
Universum. <strong>Das</strong>selbe Wort “Kuh“ eröffnet<br />
verschiedene Welten für den Christen<br />
und den Hindu. So verhält es sich auch<br />
mit Ausdrücken wie ‚Gott’ o<strong>der</strong> ‚Welt’<br />
o<strong>der</strong> ‚Mensch.<br />
Sinn und Bedeutsamkeit <strong>eine</strong>r Kultur<br />
sind zuhause nur in <strong>der</strong> jeweiligen Kultur-Welt.<br />
Sie können nicht ohne weiteres<br />
extrapoliert werden. So können Sinn und<br />
Bedeutsamkeit <strong>der</strong> Inkarnation nicht in<br />
<strong>der</strong> Glaubens-Welt <strong>der</strong> Hindus und Sinn<br />
und Bedeutsamkeit des Avatara (d.h. des<br />
Herabstiegs des Höchsten <strong>Geheimnis</strong>ses<br />
in die Welt) nicht in <strong>der</strong> Glaubens-Welt <strong>der</strong><br />
Christen gefunden werden. Sie beziehen<br />
sich zuerst und vor allem auf ihre jeweilige<br />
Kultur-Welt. Diese Relation zwischen<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Sinn bzw. Bedeutsamkeit und Kultur-Welt<br />
stellt die Dynamik <strong>der</strong> Relativität dar. Die<br />
Beziehung stimmt nur in Bezug auf ihre<br />
Kultur-Welt. Denn diese Kultur-Welt<br />
ist <strong>der</strong> Ort, <strong>der</strong> die Wi<strong>der</strong>spiegelung des<br />
Absoluten empfängt. Solche Empfängnis<br />
aber findet stets in <strong>eine</strong>m geschichtlich<br />
bedingten Empfänger statt. Die Relation<br />
zwischen dem Absoluten (-Sen<strong>der</strong>) und<br />
dem geschichtlich bedingten Empfänger<br />
mittels <strong>der</strong> jeweiligen Kultur-Welt macht<br />
die Dynamik <strong>der</strong> Relativität aus. Einerseits<br />
setzt diese Dynamik voraus, dass die<br />
Wahrheit immer absolut ist; an<strong>der</strong>erseits<br />
wird sie [die Dynamik] durch die Tatsache<br />
nicht beeinträchtigt, dass ihre Rezeption<br />
relativ ist.<br />
1.3 Die Inter-Relativität<br />
<strong>der</strong> Glaubens-Welten<br />
M<strong>eine</strong>n wir es ernst mit <strong>der</strong> Absolutheit<br />
<strong>der</strong> Wahrheit und <strong>der</strong> Relativität<br />
ihres Sprach-Ausdrucks, dann können wir<br />
nicht umhin, die Beziehungen zwischen<br />
den Glaubens-Welten näher festzustellen.<br />
Sie können nicht <strong>eine</strong>rseits verschiedene<br />
Wi<strong>der</strong>spiegelungen <strong>der</strong> <strong>eine</strong>n absoluten<br />
Wahrheit sein und an<strong>der</strong>erseits k<strong>eine</strong> Beziehung<br />
zueinan<strong>der</strong> haben. Es muss <strong>eine</strong><br />
Beziehung zwischen den diversen Glaubens-Welten<br />
bestehen. Diese ist die Beziehung<br />
des gemeinsamen Ursprungs.<br />
Vielleicht hat <strong>der</strong> heilige Ambrosius etwas<br />
von dieser Wahrheit gespürt als er<br />
behauptete: Quidquid verum a quocumque<br />
dicatur a Spiritu Sancto. Eine Wahr-<br />
Eine Wahrheit, egal wer sie<br />
ausspricht, entspringt dem<br />
Heiligen Geist.<br />
heit, egal wer sie ausspricht, entspringt<br />
dem Heiligen Geist. Auch Augustinus und<br />
Thomas von Aquin übernehmen vom heiligen<br />
Ambrosius dieses Prinzip.<br />
D‘Sa – Bekenntnis im Dialog<br />
Die Annahme des gemeinsamen Ursprungs<br />
<strong>der</strong> Wahrheit[en] <strong>der</strong> Religionen<br />
wird dadurch bestätigt, dass k<strong>eine</strong> Religion<br />
Grund hat, sich für besser o<strong>der</strong> höher<br />
als die an<strong>der</strong>en zu halten. Alle behaupten<br />
– auf ihre Weise – ihre Beson<strong>der</strong>heit und<br />
Einmaligkeit. Jede ist <strong>der</strong> Überzeugung,<br />
dass ihr Heils-Weg richtig ist. In <strong>der</strong> Tat<br />
aber hat k<strong>eine</strong> Religion <strong>eine</strong>n höheren<br />
o<strong>der</strong> besseren Anspruch, <strong>der</strong> imstande<br />
wäre, die Ansprüche <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Religionen<br />
zu wi<strong>der</strong>legen o<strong>der</strong> sie nicht ernst<br />
zu nehmen.<br />
Unter diesen Umständen hat die Suche<br />
nach <strong>der</strong> Interrelation zwischen den<br />
Glaubens-Welten über den Weg von<br />
Mission und Dialog zu gehen: Mission<br />
als Bekenntnis des Wahrheits-Wi<strong>der</strong>fahrnisses<br />
<strong>der</strong> eigenen Tradition; und Dialog<br />
als Austausch und Verständigung über<br />
solche Bekenntnisse. Denn Bekenntnis<br />
ohne Dialog bleibt einseitig und steril,<br />
und Dialog ohne Bekenntnis wird formal<br />
und belanglos. Ein Bekenntnis für sich allein<br />
genommen kann nicht zur Geltung<br />
kommen. Nur im Zusammenspiel <strong>der</strong><br />
Bekenntnisse können ihre verschiedenen<br />
Töne – ähnlich den einzelnen Orchesterstimmen<br />
– in Harmonie gebracht werden.<br />
Denn <strong>eine</strong> Welt des Bekenntnisses wird<br />
ohne dialogische Beziehung zu an<strong>der</strong>en<br />
Bekenntnis-Welten einseitig und gefährlich,<br />
weil sie Missverständnisse hervorrufen<br />
wird. Mission als Bekenntnis vom<br />
Wi<strong>der</strong>fahrnis <strong>der</strong> Wahrheit gehört zum<br />
Wesensgut <strong>eine</strong>r Tradition. Eine Tradition,<br />
die sich ihrer Mission nicht bewusst<br />
ist o<strong>der</strong> sie vernachlässigt, wird im Laufe<br />
<strong>der</strong> Zeit dogmatisch und nimmt ideologische<br />
Züge an. Die fundamentalistische<br />
und defensive Haltung, die sich unter den<br />
Religionsgemeinschaften zurzeit wie ein<br />
Waldbrand verbreitet, bestätigt dies. Mit<br />
Mission ist nicht die aggressive „Missionierung“<br />
gemeint, möglichst viele Menschen<br />
in die eigene Tradition hereinzulocken.<br />
Vielmehr meint Mission Bekenntnis
und Zeugnis bezüglich des Wahrheits-<br />
Wi<strong>der</strong>fahrnisses.<br />
Allerdings sind Bekenntnis und ZeugnisprimärLebenshaltungen;nursekundär<br />
sind sie Sprach-Ereignisse. <strong>Das</strong> heißt, Bekenntnis<br />
und Zeugnis wie auch das Wahrheits-Wi<strong>der</strong>fahrnis,<br />
dem sie entspringen,<br />
gestalten das Leben, in dem sie sich im<br />
Leben ausdrücken und es umgestalten.<br />
<strong>Das</strong> Leben gestalten heißt zunächst und<br />
vor allem Einsatz für Gerechtigkeit, Gemeinwohl<br />
und Frieden. Wo das fehlt,<br />
bleiben Bekenntnis und Zeugnis lediglich<br />
Wort-Hülsen, welchen die das Leben<br />
gestaltende Dynamik fehlt. <strong>Das</strong> scheint<br />
jedoch <strong>der</strong> gegenwärtige Zustand <strong>der</strong> religiösen<br />
Traditionen zu sein.<br />
Wo Bekenntnis und Zeugnis als<br />
Lebenshaltungen am Werk sind,<br />
da hat <strong>der</strong> Dialog <strong>der</strong> Religionen<br />
<strong>eine</strong> wirkliche Chance.<br />
Wo Bekenntnis und Zeugnis als Lebenshaltungen<br />
am Werk sind, da hat<br />
<strong>der</strong> Dialog <strong>der</strong> Religionen <strong>eine</strong> wirkliche<br />
Chance. Kirchenleitung, Politiker und sogar<br />
das einfache Volk sind alle besorgt,<br />
dass heute die Religionen dabei sind, wie<strong>der</strong><br />
Grund für Zwistigkeiten, Unfrieden<br />
und Konfrontation zu liefern. Selbstkritischen<br />
Ansichten, die zugeben, dass unsere<br />
Religionen mehr Schale mit wenig<br />
Nuss, mehr Haut mit wenig Fleisch, mehr<br />
Doktrin und weniger Bekenntnis, mehr<br />
Routine und weniger Leben sind, begegnet<br />
man lei<strong>der</strong> Gottes selten. In solchem<br />
Kontext hat das Dialog-Unterfangen k<strong>eine</strong><br />
Aussicht auf Erfolg. Mit an<strong>der</strong>en Worten:<br />
Dialog hat mit Leben, mit <strong>eine</strong>r Lebenshaltung<br />
zu tun und nicht mit <strong>eine</strong>m<br />
Aushängeschild.<br />
2. Mission und Dialog: Der<br />
Weg zur Person-Werdung<br />
Man ist geneigt, die Aufgabe des Dialogs<br />
den Experten zu überlassen, in <strong>der</strong><br />
irrigen Meinung, sie allein seien es, die<br />
dafür zuständig wären und ihn bewerkstelligen<br />
könnten. <strong>Das</strong> setzt ein falsches<br />
Verständnis vom Dialog voraus. Mission<br />
und Dialog gehören wesentlich zum Prozess<br />
<strong>der</strong> Person-Werdung. Die Grundbewegung<br />
von Mission ist primär ein “Aussich-heraus-Bewegen.“<br />
Ihre Richtung ist<br />
nach Außen, d.h. zentrifugal. An<strong>der</strong>erseits<br />
ist das Merkmal des Dialogs die Begegnung,<br />
das vorläufige Ziel von Mission.<br />
Der Schritt nach Außen ermöglicht<br />
<strong>eine</strong> Begegnung und diese Begegnung<br />
ermöglicht die Entdeckung <strong>eine</strong>s „Du“,<br />
was s<strong>eine</strong>rseits zur Entdeckung des eigenen<br />
„Ich“ führt. Personsein ist das Wi<strong>der</strong>fahrnis<br />
von „Wir“ auf <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong>fahrung<br />
von „Ich“ und „Du“. <strong>Das</strong> gilt auch<br />
für die Begegnung mit Religionen und<br />
Kulturen.<br />
Eine <strong>der</strong> sowohl wichtigsten wie auch<br />
dringendsten Aufgaben für unsere Kulturen<br />
heute ist <strong>der</strong> Prozess <strong>der</strong> Person-<br />
Werdung. Aber unser Denken, Ausdenken<br />
und Vorausdenken geht über den<br />
Insel-Horizont von „Individuumsein“<br />
nicht hinaus. Dabei ist Individuumsein<br />
nur <strong>der</strong> Anfang des Prozesses <strong>der</strong> Person-<br />
Werdung. <strong>Das</strong> Menschen-Verständnis unseres<br />
Zeitalters betrachtet den Menschen<br />
eher als Punkt, weniger als Person, die als<br />
Knoten im Netzwerk <strong>der</strong> Beziehungen<br />
steht, und die aus Beziehungen besteht.<br />
Denn das Beziehungsnetzwerk besteht<br />
aus Beziehungen zu Welt, Mensch und<br />
dem großen <strong>Geheimnis</strong>. <strong>Das</strong> Merkmal<br />
dieses Prozesses ist <strong>eine</strong> tiefere Offenheit<br />
auf die drei Invarianten <strong>der</strong> kosmischen,<br />
menschlichen und Tiefen-Dimensionen<br />
<strong>der</strong> Wirklichkeit. Somit bedeutet <strong>eine</strong><br />
Verkürzung dieser Beziehungen <strong>eine</strong> Verkürzung<br />
<strong>der</strong> Person. Konzentration auf<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Foto: KNA<br />
die materiellen o<strong>der</strong> menschlichen Bedingungen<br />
allein führt zu <strong>eine</strong>r solchen<br />
Engführung.<br />
Aber trotz Rückschlägen in dieser<br />
Hinsicht zeichnet sich unser Zeitalter<br />
auch durch positive Entwicklungen<br />
im Bereich <strong>der</strong> Beziehungen aus. Diese<br />
Entwicklungen sind ablesbar z. B. an Bewegungen<br />
bezüglich Menschenrechte,<br />
Frauenrechte, Flüchtlingssorge, Kin<strong>der</strong>-<br />
Arbeit und Kin<strong>der</strong>-Soldaten, Entmilitarisierung,<br />
Friedensinitiativen, den verschiedenen<br />
Arten des Umweltschutzes<br />
usw., usw. <strong>Das</strong> sind positive Zeichen. Person-Werdung<br />
ist nun k<strong>eine</strong> private nur<br />
den einzelnen Menschen betreffende<br />
Angelegenheit. Eher ist sie <strong>eine</strong> politische<br />
und gesellschaftliche Angelegenheit, die<br />
nach <strong>der</strong> ganzheitlichen Entwicklung von<br />
Menschsein-in-<strong>der</strong>-Welt bestrebt ist. Sie<br />
ist deshalb <strong>eine</strong> strukturelle Begebenheit.<br />
Dementsprechend hat Personsein strukturelle<br />
Voraussetzungen und Folgen. In<br />
diesem Kontext schlage ich vor, dass zur<br />
Dynamik des Prozesses von Person-Werdung<br />
Mission und Dialog, wie ich sie verstehe,<br />
wesentlich dazu gehören. Zum<br />
Grundgerüst m<strong>eine</strong>s Arguments gehört<br />
D‘Sa – Bekenntnis im Dialog<br />
das Menschsein-in-<strong>der</strong>-Welt, dessen Beschaffenheit<br />
dreidimensional ist. Die<br />
ganzheitliche Entwicklung vom Menschsein-in-<strong>der</strong>-Welt<br />
über das Individuum zur<br />
Person hin bedarf <strong>der</strong> doppelten Dynamik<br />
von Mission und Dialog.<br />
Vor etwa fünfzehn Jahren hat <strong>der</strong><br />
Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog<br />
zusammen mit <strong>der</strong> Kongregation für<br />
die Evangelisierung <strong>der</strong> Völker <strong>eine</strong>n äußerst<br />
hilfreichen Vorschlag unterbreitet.<br />
<strong>Das</strong> Dokument Dialog und Verkündigung<br />
spricht von vier Ebenen des Dialogs: Dialog<br />
des Lebens, Dialog des gemeinsamen<br />
Engagements, Dialog <strong>der</strong> Experten und<br />
Dialog des spirituellen Austausches. Der<br />
Dialog des Lebens und <strong>der</strong> Dialog des gemeinsamen<br />
Engagements sind grundlegend,<br />
weil sie erstens gegenseitiges Vertrauen<br />
schaffen und weil sie zweitens auf<br />
diese Weise zur Bildung <strong>eine</strong>r politisch<br />
engagierten Gemeinschaft beitragen,<br />
die sich für Gerechtigkeit und <strong>eine</strong> neue<br />
Weltordnung einsetzt. Ohne Vertrauen<br />
und das Engagement für gemeinsame<br />
Anliegen werden die beiden an<strong>der</strong>en Dialog-Ebenen<br />
wenig Frucht bringen.<br />
9
0<br />
Dialog beginnt mit und im Leben.<br />
<strong>Das</strong> Leben ist <strong>der</strong> Garten, wo Vertrauen<br />
und Aufgeschlossenheit gedeihen o<strong>der</strong><br />
aber Misstrauen und Verstocktheit wuchern.<br />
Die jeweiligen Samen werden<br />
durch die Alltagshandlungen gesät. Vorurteile<br />
sind überall im Alltag am Werk.<br />
Dialog beginnt mit und im Leben.<br />
<strong>Das</strong> Leben ist <strong>der</strong> Garten,<br />
wo Vertrauen und Aufgeschlossenheit<br />
gedeihen o<strong>der</strong> aber Misstrauen und<br />
Verstocktheit wuchern.<br />
Nur Vertrauen kann diesen entgegenwirken.<br />
Wo Vertrauen fehlt, nehmen die Vorurteile<br />
zu. Wo Vertrauen wächst, wächst<br />
auch die Offenheit. Daraus entsteht <strong>eine</strong><br />
Gemeinschaft, in <strong>der</strong> gemeinsame Anliegen<br />
lokalisiert werden und gemeinsames<br />
Engagement möglich wird.<br />
<strong>Das</strong> ist die eigentliche Grundlage für<br />
den wichtigen Dialog des spirituellen Austausches.<br />
Dabei kann dann <strong>der</strong> Dialog <strong>der</strong><br />
Experten große Dienste leisten, indem er<br />
Missverständnisse beseitigt und richtiges<br />
Verständnis för<strong>der</strong>t. In allen vier Arten<br />
von Dialog spielt die Missions-Dynamik,<br />
nämlich die Grund-Bewegung nach Außen,<br />
<strong>eine</strong> wesentliche Rolle. Der Grund<br />
für die Benennung „Missions-Dynamik“<br />
besteht darin, dass die Bewegung nach<br />
Außen <strong>eine</strong> Sendung ist, die aus dem<br />
zentrifugalen Drang ihres Wahrheits-Wi<strong>der</strong>fahrnisses<br />
entsteht. Im Dialog des Lebens<br />
leistet jede Gemeinschaft, getrieben<br />
von <strong>eine</strong>m inneren Drang, ihren Beitrag<br />
zur Erweckung von Vertrauen. Vertrauen-Erwecken<br />
ist nicht möglich ohne die<br />
Grund-Bewegung nach Außen. Teilnehmen<br />
am Dialog des Lebens, heißt aus sich<br />
herausgehen. <strong>Das</strong> ist eben die Missions-<br />
Dynamik.<br />
Ähnlich verhält es sich mit dem Dialog<br />
des gemeinsamen Engagements, wo<br />
die Gemeinschaften sich zusammentun,<br />
um gemeinsame Probleme wie Ungerechtigkeit,<br />
Gewalt und Krieg zu lösen.<br />
Denn gemeinsamer Einsatz impliziert immer<br />
<strong>eine</strong> zentrifugale Bewegung, ein aus<br />
sich Herausgehen.<br />
Die dritte Dialog-Ebene, nämlich <strong>der</strong><br />
Dialog <strong>der</strong> Experten bedarf <strong>der</strong> Missions-<br />
Dynamik. Denn die Aufgabe <strong>der</strong> Klärung<br />
und Beseitigung von Missverständnissen<br />
entspringt ebenfalls dem Wahrheits-<br />
Drang.<br />
Die Missions-Dynamik ist am Eindeutigsten<br />
beim Dialog des spirituellen Austausches.<br />
Diese Ebene des Dialogs stellt<br />
den Höhepunkt von Mission und Dialog<br />
dar. Hier legen die Teilnehmer thematisch<br />
Zeugnis von ihrer Erfahrung <strong>der</strong> Wahrheit<br />
ab. <strong>Das</strong> ist Zweck und Ziel <strong>der</strong> Missions-<br />
Dynamik. Sie ermöglicht den Teilnehmern<br />
und Teilnehmerinnen, gegenseitig<br />
<strong>eine</strong>n Blick auf und vielleicht sogar <strong>eine</strong>n<br />
Eintritt in die spirituelle Welt des Dialog-<br />
Partners zu gewinnen. Erst hier wird die<br />
Beschaffenheit des Unterfangens von<br />
Mission und Dialog ganz deutlich, denn<br />
im gegenseitigen Austausch ereignet sich<br />
das, was man communicatio in sacris (Teilnahme<br />
am Heiligen) nennen könnte. Ein<br />
authentischer Austausch stellt <strong>eine</strong> echte<br />
Begegnung dar, in <strong>der</strong> <strong>eine</strong> Brise von <strong>der</strong><br />
„Wir“ Erfahrung, wo „Ich“ und „Du“ sich<br />
in <strong>der</strong> Tiefe begegnen, möglich wird.<br />
Ein junger Mann fährt im Bus mit<br />
<strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>n Kind auf den Armen.<br />
<strong>Das</strong> Kind schreit und weint und ist<br />
gar nicht zu beruhigen. Der Mann<br />
aber scheint an<strong>der</strong>swo im Gedanken<br />
zu sein und kümmert sich überhaupt<br />
nicht um das Kind. Schließlich reißt<br />
den Mitfahrenden die Geduld und sie<br />
konfrontieren ihm, „Warum kümmern<br />
Sie sich nicht um das Kind?“<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Wie vom Schlaf erweckt, kommt <strong>der</strong><br />
Mann zu sich und entschuldigt sich.<br />
Ganz leise spricht er:<br />
„Verzeihen Sie, ich komme gerade<br />
vom Spital, wo m<strong>eine</strong> Frau soeben gestorben<br />
ist. Ich fahre nach Hause, um<br />
Geld zu holen. Ich muss die Spitalrechnungen<br />
begleichen.“<br />
In dem Moment des persönlichen<br />
Zeugnisses än<strong>der</strong>t sich die Stimmung<br />
im Bus. Einige Passagiere kümmern<br />
sich um das Kind; an<strong>der</strong>e trösten den<br />
jungen Vater.<br />
In solcher Begegnung geschieht etwas,<br />
das über menschliche Planung und<br />
Berechnung hinausgeht. Dieser Faktor ist<br />
es, <strong>der</strong> wie bei <strong>eine</strong>m Spiel die Dynamik<br />
desAustauschesleitetundbegleitet.Communicatio<br />
in sacris besagt, dass, wenn wir<br />
uns im Dialog dem Sacrum, dem großen<br />
<strong>Geheimnis</strong> des Lebens übergeben, dann<br />
dieses <strong>Geheimnis</strong> die Führung bei <strong>der</strong><br />
Kommunikation übernimmt. In diesem<br />
Fall leitet und begleitet uns sein Geist.<br />
Eben das geschieht auf den Ebenen, auf<br />
denen gemeinsame Anliegen und Visionen<br />
verfolgt werden. Denn trotz unserer<br />
verschiedenen Visionen verbindet<br />
uns etwas, das über unsere Kräfte hinausgeht.<br />
So setzen zum Beispiel übergreifende<br />
Bewegungen für „Gerechtigkeit und<br />
Frieden“ o<strong>der</strong> die „Ökologie“ bzw. „Ökosophie“<br />
<strong>eine</strong> vereinigende Vision voraus,<br />
die befähigt, verschiedene und vor allem<br />
an<strong>der</strong>s denkende Gruppen zusammenzubringen.<br />
3. Relevanz dieser<br />
Überlegungen<br />
Man kann sich des Eindrucks nicht<br />
erwehren, dass die Entwicklung in unserer<br />
Zeit dem Prozess <strong>der</strong> Person-Werdung<br />
in mancher Hinsicht nicht gerade<br />
för<strong>der</strong>lich ist. Die zunehmende Instrumentalisierung<br />
von allen und allem, die<br />
D‘Sa – Bekenntnis im Dialog<br />
mit verheerenden Folgen einhergehende<br />
Ver-Inselung des Menschen und die weit<br />
verbreitete Erfahrung <strong>der</strong> Sinnlosigkeit –<br />
das alles sind Faktoren, die sich auf den<br />
Prozess <strong>der</strong> Person-Werdung katastrophal<br />
auswirken. In allen drei Instanzen<br />
fehlt es an Offenheit – Offenheit in Bezug<br />
auf Welt, auf Mensch und auf das große<br />
<strong>Geheimnis</strong>. Weil die Welt nur einäugig<br />
betrachtet und die darin wirkende Tiefen-<br />
Dimension vernachlässigt wird, vollzieht<br />
sich ohne weiteres ihre Instrumentalisierung.<br />
So verhält es sich auch mit dem<br />
Menschen; er wird lediglich als Einzel-<br />
Wesen verstanden, und nicht als <strong>eine</strong> im<br />
Netzwerk <strong>der</strong> Beziehungen stehende Person.<br />
Und was das große <strong>Geheimnis</strong> angeht:<br />
Es wird entwe<strong>der</strong> ignoriert o<strong>der</strong> mit<br />
<strong>der</strong> Sinnsuche und Sinnerfüllung nicht in<br />
Verbindung gebracht.<br />
An dieser Stelle setze ich unsere Diskussion<br />
über die Dynamik von Missionund-Dialog<br />
fort. Die erste Phase, die ich<br />
als die Dynamik <strong>der</strong> Mission bezeichnet<br />
habe, treibt uns aus uns heraus. <strong>Das</strong> ist<br />
kein blin<strong>der</strong> Trieb, <strong>der</strong> uns nach Außen<br />
drängt, weil hinter diesem Treiben ein<br />
Wi<strong>der</strong>fahrnis steht – ein Wi<strong>der</strong>fahrnis von<br />
<strong>der</strong> Wahrheit o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schönheit o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Güte und <strong>der</strong> Liebe. Sie alle entstehen aus<br />
dem inneren Feuer. Es ist dieses Wi<strong>der</strong>fahrnis,<br />
das uns aus uns herausreißt und<br />
zur Begegnung treibt. <strong>Das</strong> Wahre, das<br />
Schöne, die Güte und die Liebe sind in<br />
<strong>der</strong> Tat die anspornenden Kräfte. Die Dynamik<br />
nach Außen entspringt sozusagen<br />
<strong>eine</strong>m “Sen<strong>der</strong>”, sei es Wahrheit, Schönheit,<br />
Güte o<strong>der</strong> Liebe. Deswegen nenne<br />
ich sie “Missions“-Dynamik. Diese Dynamik<br />
hat <strong>eine</strong> Mission. Solche Mission<br />
kann nicht umhin, sich auf ein “Du” zu<br />
beziehen und deshalb drängt sie zu Begegnung<br />
und Dialog. Nur in <strong>der</strong> Begegnung<br />
und im Dialog kommen Wahrheit,<br />
Schönheit, Güte o<strong>der</strong> Liebe zur Geltung,<br />
indem sie beginnen, die Einseitigkeit ihrer<br />
Formulierungen zu verlieren. Wahrheit<br />
1
2<br />
drängt zur Bestätigung hin, Schönheit<br />
zur Anerkennung, Güte zu Bekenntnis<br />
und Liebe zur Erwi<strong>der</strong>ung. All das ist Teil<br />
<strong>der</strong> Person-Werdung. Sie bedarf <strong>der</strong> Begegnung,<br />
bei <strong>der</strong> im dialogischen Austausch<br />
Bereicherung und Berichtigung<br />
möglich sind.<br />
Wirkungsgeschichtlich sind Mission<br />
und Dialog Teil des theologischen Gebrauchs<br />
gewesen. <strong>Das</strong> ist gut so, aber beileibe<br />
nicht genug. Ihre Tragweite schließt<br />
den ganzen Bereich von Person und Person-Werdung,<br />
die heute gefährdet sind,<br />
mit ein. Die Welt ist kein Ding und noch<br />
weniger ein Sammelsurium von Dingen.<br />
Der Mensch ist k<strong>eine</strong> Insel, son<strong>der</strong>n <strong>eine</strong><br />
Person, die wie ein Knotenpunkt im Netzwerk<br />
<strong>der</strong> Beziehungen steht. Und das<br />
Große <strong>Geheimnis</strong>, Ursprung und Erfüllung<br />
unseres Sinn-Horizonts, übersteigt<br />
jedwede menschliche Vorstellung. Letztlich<br />
entspringt die Dynamik von Mission<br />
und Dialog diesem <strong>Geheimnis</strong>, in dem<br />
wir immer schon leben und uns bewegen.<br />
Dieses <strong>Geheimnis</strong> ist es, das uns sendet<br />
– zu den Menschen und zur Welt.<br />
<strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> offenbart sich immer,<br />
überall, unaufhörlich und vor allem<br />
verschiedentlich. <strong>Das</strong> ist <strong>der</strong> Lebensort<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Offenbarungen. Nur<br />
aus diesem <strong>Geheimnis</strong> leben alle Religionen<br />
und Kulturen. Dieses <strong>Geheimnis</strong> ist<br />
über alle Namen hinaus und kein Name<br />
kann das ganze <strong>Geheimnis</strong> ausschöpfen<br />
und es zum Ausdruck bringen. Jedoch<br />
sind Offenbarungen k<strong>eine</strong> Teil-Offenbarung,<br />
son<strong>der</strong>n <strong>eine</strong> Offenbarung des<br />
ganzen <strong>Geheimnis</strong>ses. Totum sed non<br />
totaliter. Ganz aber nicht gänzlich.<br />
Dieses <strong>Geheimnis</strong>, das uns Christen<br />
in Jesus geoffenbart wurde, nennen und<br />
bekennen wir als den Christos. Raimon<br />
Panikkar hat diesen Christos, <strong>der</strong> uns in<br />
Jesus geoffenbart wurde, den kosmotheandrischen<br />
Christus genannt, weil Er das<br />
Real-Symbol von Gott, Mensch und Welt<br />
ist. Er ist <strong>der</strong> Zugang zum Kosmos, Theos<br />
und Aner (Welt, Gott und Mensch). Den<br />
an<strong>der</strong>en aber ist dieses <strong>Geheimnis</strong> an<strong>der</strong>s<br />
geoffenbart worden und daher haben sie<br />
an<strong>der</strong>e Namen für dieses <strong>Geheimnis</strong>.<br />
Dieser kosmotheandrische Christus<br />
ist es, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Ursprung von Mission und<br />
<strong>der</strong> Inhalt von Dialog ist. Er allein ist <strong>der</strong><br />
Urheber von Mission und das Ziel und Erfüllung<br />
von Dialog.<br />
4. Mission und Dialog:<br />
Ein Gleichnis<br />
Es war einmal ein reicher Mann, <strong>der</strong><br />
sich in Purpur und L<strong>eine</strong>n kleidete und<br />
jeden Tag glänzende Gelage hielt.<br />
Aber er war nicht glücklich. Er machte<br />
sich Gedanken über die Herkunft und<br />
Herstellung von Purpur und L<strong>eine</strong>n,<br />
weil er hörte, dass dahinter sehr viel<br />
Gewinnsucht steckte. Beson<strong>der</strong>s wegen<br />
s<strong>eine</strong>r Gelage, die s<strong>eine</strong>m Stand<br />
entsprachen, machte er sich Vorwürfe,<br />
weil er wusste, dass das, was<br />
er am Tische ausbreitete, die Frucht<br />
von Ausbeutung, Unterernährung<br />
und Verzweifelung war. Aber er fand<br />
k<strong>eine</strong> Antwort auf diese Probleme.<br />
Vor s<strong>eine</strong>r Tür saß ein Armer namens<br />
Lazarus. Regelmäßig bekam er vom<br />
reichen Mann etwas zum Essen, und<br />
war damit zufrieden. Er litt we<strong>der</strong> unter<br />
Leistungsdrang noch unter <strong>eine</strong>m<br />
Min<strong>der</strong>wertigkeitskomplex. Angeblich<br />
störte ihn nichts, am wenigsten <strong>der</strong><br />
Reiche in Purpur und L<strong>eine</strong>n.<br />
Eines Tages fragte sich <strong>der</strong> Reiche.<br />
„Der Lazarus ist arm und er scheint<br />
doch glücklich und zufrieden zu sein.<br />
Ich werde ihn nach <strong>der</strong> Ursache s<strong>eine</strong>s<br />
Glücks fragen.“<br />
So ging er zu Lazarus hinunter und<br />
setzte sich zu ihm und fragte ihn nach<br />
dem <strong>Geheimnis</strong> s<strong>eine</strong>r Zufriedenheit.<br />
Lazarus antwortete ihm: „Ich habe<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Foto: KNA<br />
nichts, worüber ich mir den Kopf zerbrechen<br />
müsste und außerdem bekomme<br />
ich von dir, was ich zum Leben<br />
brauche. M<strong>eine</strong> Zeit verbringe ich damit,<br />
über die Vergänglichkeit von Leid<br />
und Leben zu meditieren.“<br />
„Schön und gut“, sagte <strong>der</strong> reiche<br />
Mann, „aber macht es Dir wohl nichts<br />
aus, dass das, was Du isst, eigentlich<br />
das Ergebnis von Unterdrückung<br />
und Hunger zahlloser Menschen ist?<br />
Macht es Dir nichts aus, dass, gerade<br />
weil wir uns das leisten können,<br />
Millionen von Menschen verhungern<br />
müssen? Bilden nicht Ungerechtigkeit<br />
und künstlich erzeugte Bedürfnisse<br />
das Fundament und das Dach unseres<br />
Systems? Bist Du nicht verzweifelt darüber,<br />
wenn Du siehst, dass wir mit<br />
unserem Konsumdenken die Umwelt<br />
zerstören?“<br />
Darauf hatte auch <strong>der</strong> arme Lazarus<br />
k<strong>eine</strong> Antwort. Aber auf einmal<br />
D‘Sa – Bekenntnis im Dialog<br />
erwachte er wie aus <strong>eine</strong>m langen<br />
Schlaf. Diese Fragen hatten Funken<br />
<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung in s<strong>eine</strong>m Herz entfacht.<br />
Er dachte an s<strong>eine</strong> verarmte<br />
Familie, s<strong>eine</strong> unterdrückten Freunde<br />
und an die vergewaltigte Umwelt.<br />
Er machte sich auf und suchte an<strong>der</strong>e,<br />
die sich für ähnliche Anliegen einsetzten.<br />
Der reiche Mann aber wurde nachdenklich.<br />
„Glück hängt nicht vom Geld<br />
ab“, sagte er leise, „und Gerechtigkeit<br />
bedarf mehr als Gedanken. Mein Leben<br />
ist hohl und leer. Ich müsste achtsamer<br />
leben und in die Tiefe gehen.<br />
Ich muss mich selber finden.“<br />
Und so machten sie sich beide auf den<br />
Weg. Erfüllt und getrieben vom gleichen<br />
Geist, je<strong>der</strong> auf s<strong>eine</strong> Weise, aber<br />
entfacht von <strong>eine</strong>r an<strong>der</strong>en Flamme<br />
<strong>der</strong>selben Mission.<br />
3
Bisher erschienene Titel zu den Themen …<br />
Befreiungstheologie<br />
Nr. 1, Leonardo Boff OFM,<br />
PUEBLAS HERAUSFORDERUNG AN DIE FRANZISKA-<br />
NER<br />
Nr. 5, Bernhardino Leers OFM (vergriffen),<br />
KIRCHLICHE BASISGEMEINDEN<br />
Nr. 6, L. Boff OFM/U. Zankanella (vergriffen),<br />
KIRCHLICHE BASISGEMEINDEN IM DIALOG<br />
Nr. 14, Honorio Rito OFM,<br />
THEOLOGIE DER BEFREIUNG - Eine kritische Wertung<br />
aus franziskanischer Sicht<br />
Nr. 27, Alosio Lorschei<strong>der</strong>, Paulo Evaristo Arns, Leonardo<br />
und Clodovis Boff,<br />
BEFREIUNG UND THEOLOGIE – Beiträge zur aktuellen<br />
Diskussion<br />
Nr. 30, Kardinal Paulo Evaristo Arns,<br />
VOLK GOTTES VON SAO PAULO – Auf dem Weg zu<br />
s<strong>eine</strong>r Befreiung<br />
Nr. 31, Dom Valfredo Tepe, Clodovis und Leonardo<br />
Boff,<br />
ROM UND DIE BEFREIUNGSTHEOLOGIE – Schritte zur<br />
Verständigung<br />
Nr. 43,* ENDE EINER HOFFNUNG –<br />
Dokumentation des Konfliktes um das CLAR-Projekt<br />
„Wort und Leben“<br />
Nr. 57,* ARBEITERPASTORAL –<br />
Gottes befreiende Botschaft<br />
Nr. 62,* ANNÄHERUNG AN DIE ANDEREN –<br />
Befreiungstheologische Sommerschule<br />
Nr. 71,* QUO VADIS, KIRCHE IN AMERIKA? –<br />
Römische Bischofssynode - Hoffnungen und Enttäuschungen<br />
Nr. 82,* HOFFNUNGSTRÄGER BASISGEMEINDEN –<br />
<strong>Das</strong> 10. Treffen <strong>der</strong> brasilianischen Basisgemeinden im<br />
Juli 2000<br />
Nr. 89,* WENN LEBEN, GLAUBEN UND DENKEN EINS<br />
SIND ... –<br />
Befreiungstheologie aktuell<br />
Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
Nr. 3, Englischsprachige Konferenz <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong>,<br />
FRANZISKUS UND DER NEUE MATERIALISMUS –<br />
Eine franziskanische Antwort auf die Umweltkrise<br />
Nr. 26, Jan Groot Wassink,<br />
FRANZISKANISCHE BRUDERSCHAFT IN NATUR UND<br />
GESELLSCHAFT – Ausweg aus den Irrwegen <strong>eine</strong>r wissenschaftlich-technischen<br />
Kultur<br />
Nr. 38,* UMKEHR ZUM LEBEN –<br />
Franziskanische Positionen zur atomaren Bedrohung<br />
Nr. 46,* UNSERE MUTTER ERDE –<br />
Lebensraum für alle<br />
Nr. 50,* INDIO-FRANZISKANISCHE UTOPIEN –<br />
Zur Strategie des Überlebens<br />
Nr. 65,* MUTTER ERDE - NEUE ERDE –<br />
Reflexionen und Texte aus Lateinamerika<br />
Nr. 70,* WENN LEBEN VERFÜGBAR WIRD –<br />
Überbevölkerung, Geburtenkontrolle und an<strong>der</strong>e<br />
Fragen<br />
Evangelisierung<br />
Nr. 8, Claudio Schnei<strong>der</strong> OFM, Brasilien,<br />
FRANZISKANISCHE GEMEINSCHAFTEN: EIN DIENST<br />
AN DER KIRCHE<br />
Nr. 11, Hermann Schalück OFM,<br />
SENSIBILITÄT UND SOLIDARITÄT – Impulse zur franziskanischen<br />
Evangelisation<br />
Nr. 19, Ordensrat OFM,<br />
DAS EVANGELIUM FORDERT UNS HERAUS – Überlegungen<br />
zur Evangelisierung in Bahia 1983<br />
Nr. 21,* DAS LEBEN TEILEN –<br />
Franziskanischer Dialog in Asien<br />
Nr. 24, Anselm Moons OFM,<br />
EVANGELISIERUNG ALS LERNPROZESS – Auswertung<br />
und Dokumentation<br />
Nr. 29, Kilian Holland OFM,<br />
AFRIKAS DILEMMA – Betteln o<strong>der</strong> das eigene Brot<br />
backen<br />
Nr. 33, Andreas Müller (Hrsg.),<br />
EVANGELISIERUNG FÜR EINE NEUE MENSCHHEIT<br />
UND EINE NEUE GESELLSCHAFT – Internationaler Missionsrat<br />
<strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong>, Nairobi 1987<br />
Nr. 37,* WORT UND LEBEN –<br />
500 Jahre Evangelisierung Lateinamerikas,Umkehr und<br />
Neubesinnung<br />
Nr. 39,* DAS WORT BERUFT DAS GOTTESVOLK –<br />
Erste Etappe des Projektes „Wort und Leben“ <strong>der</strong> lateinamerikanischen<br />
Ordensleute<br />
Nr. 42,* 1992 KEIN GRUND ZUM FEIERN –<br />
Die Kirche und die Eroberung <strong>eine</strong>s Kontinents<br />
Nr. 44,* DEIN WORT IST LEBEN –<br />
Bibelmeditationen Iateinamerikanischer Ordensleute<br />
Nr. 45,* 500 JAHRE INDIOWIDERSTAND –<br />
500 Jahre Evangelisierung in Lateinamerika<br />
Nr. 47,* DEIN WORT IST LEBEN / 2 –<br />
Bibelmeditationen lateinamerikanischer Ordensleute<br />
Nr. 48,* 500 - 1492 – 1992<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Nr. 49,* 1492 – 1992,<br />
500 JAHRE - Gold und Gott<br />
Nr. 51, P. Enrique Rosner, <strong>Missionszentrale</strong> <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong><br />
(Hrsg.),<br />
NACH 500 JAHREN - NEUENTDECKUNG AMERIKAS<br />
– Zeugnisse vom Indio-Wi<strong>der</strong>stand<br />
Nr. 52,* DEIN WORT IST LEBEN /3 –<br />
Bibelmeditationen lateinamerikanischer Ordensleute<br />
Nr. 53,* DEIN WORT IST LEBEN /3 (2. Teil) –<br />
Bibelmeditationen lateinamerikanischer Ordensleute<br />
Nr. 54,* DEIN WORT IST LEBEN /3 (3. Teil) –<br />
Bibelmeditationen Iateinamerikanischer Ordensleute<br />
Nr. 55,* SANTO DOMINGO 1992 –<br />
IV. Generalversammlung <strong>der</strong> Lateinamerikanischen<br />
Bischofskonferenz, Werden – Verlauf - Wertung<br />
Nr. 64,* FRANZISKANISCHE SPIRITUALITÄT UND<br />
EVANGELISATION -<br />
Dokumente <strong>der</strong> XIV. UCLAF<br />
Nr. 79,* 500 JAHRE BRASILIEN -<br />
Für die „Entdeckten <strong>eine</strong> schlimme Entdeckung“<br />
Nr. 83,* AUF DEM WEG ZU EINER INDISCHEN KIRCHE<br />
Facetten <strong>eine</strong>r Studienreise<br />
Nr. 92,* PFINGSTEN STATT BABEL -<br />
Zur Mystik und Spiritualität im Weltsozialforum<br />
Nr. 94,* „LÖSE DIE FESSELN VON DEINEM HALS“ (Jes<br />
52,2) –<br />
<strong>Das</strong> Exodus-Motiv als Leitfaden für <strong>eine</strong> Bibelwerkstatt<br />
Nr. 96,* OSCAR ARNULFO ROMERO – ZUM 25. JAH-<br />
RESTAG SEINER ERMORDUNG.<br />
„Anti-imperiale“ Spiritualität<br />
Nr. 97,* IHR KÖNNT NICHT GOTT DIENEN UND<br />
DEM KAPITAL –<br />
Lateinamerikanische Bibelwerkstatt<br />
Franz und Klara von Assisi<br />
Nr. 17, Anton Rotzetter OFMCap,<br />
IMPULSE FÜR EINE FRIEDENSSTRATEGIE BEI FRANZ<br />
VON ASSISI<br />
Nr. 22,* FRANZ VON ASSISI IM KONTEXT DER KUL-<br />
TUREN<br />
Nr. 56,* 800 JAHRE KLARA –<br />
Die weibliche Wurzel <strong>der</strong> franziskanischen Familie<br />
Nr. 87,* FRANZISKUS DER SCHARNIERMENSCH<br />
<strong>Franziskaner</strong>orden<br />
Nr. 7, Vinzenz Bohne OFM,<br />
FRANZISKANISCHE JUGEND, Brasilien<br />
Nr. 23,* DIE ZEICHEN DER ZEIT –<br />
Standortbestimmung für <strong>eine</strong>n Orden<br />
Nr. 25,* STREIFLICHTER –<br />
<strong>Franziskaner</strong> auf neuen Wegen<br />
Bisher erschienene Titel<br />
Nr. 63,* FRANZISKANER IM OSTEN – Verantwortung<br />
für <strong>eine</strong> neue Wirklichkeit<br />
Frieden<br />
Nr. 41,* AKTIVE GEWALTFREIHEIT –<br />
Eine franziskanische Initiative<br />
Nr. 61,* BURUNDI -<br />
Paradies im Untergang?<br />
Nr. 68,* SPIRITUALITÄT DER GEWALTFREIHEIT –<br />
Eine Grundpflicht des franziskanischen Charismas<br />
Nr. 69,* AUSWEG AUS DEM TRAUMA –<br />
Bosnien und Kroatien zwischen Machtpolitik und<br />
Glaubenskampf<br />
Nr. 85,* FÜR FRIEDEN UND DIALOG DER RELIGIONEN<br />
<strong>Das</strong> Engagement <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong> in Mindanao /<br />
Philippinen<br />
Nr. 90,* GEWALTFREI MIT FRANZISKUS -<br />
gewaltfrei durch Franziskus<br />
Nr. 98,* EUROPA FRANZISKANISCHE BEWEGEN<br />
Gerechtigkeit<br />
Nr. 18,* ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT<br />
– Franziskanische Menschen stellen sich <strong>der</strong> Armut<br />
Nr. 32,* DEN HUNGERNDEN DAS LAND –<br />
Die Kirche Brasiliens im Konflikt um die Landreform<br />
Nr. 35,* INTERNATIONALE VERSCHULDUNGSKRISE<br />
Nr. 40,* BERGPREDIGT ODER SACHZWÄNGE – T<br />
heologische Anfragen an die Eigengesetzlichkeit <strong>der</strong><br />
Ökonomie<br />
Nr. 66,* NEOLIBERALISMUS –<br />
<strong>Das</strong> neue Kreuz des Südens<br />
Nr. 67,* MENSCHENRECHTE –<br />
Unsere Anwaltfunktion für die Entrechteten<br />
Nr. 74,* EIN „GNADENJAHR“ 2000 –<br />
Initiativen und Kampagnen für <strong>eine</strong>n Schuldenerlaß<br />
zur Jahrtausendwende<br />
Nr. 75,* WOHNUNG, NAHRUNG, BILDUNG –<br />
... wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte<br />
schützen!<br />
Nr. 80,* DAS ERLASSJAHR 2000 DARF NICHT STERBEN<br />
Plädoyer aus dem Süden<br />
Nr. 81,* COLLOQUIUM 2000 –<br />
Glaubensgemeinschaften und soziale Bewegungen im<br />
Streit mit <strong>der</strong> Globalisierung<br />
Nr. 84,* VERSCHWUNDEN IN ARGENTINIEN –<br />
Neue Wege gegen Straflosigkeit und Vergessen<br />
Nr. 86,* „PORTO ALEGRE“ IN AFRIKA –<br />
Alternativen zur neoliberalen Globalisierung im Südlichen<br />
Afrika<br />
Nr. 88,* VISION UND WIDERSTAND IM GLOBALISIE-<br />
RUNGSPROZESS<br />
Nr. 91,* BÜNDNIS GEGEN HUNGER –
Nr. 93,* GRUNDLEGENDE RECHTE INDIGENER VÖL-<br />
KER STÄRKEN: BEITRITT ZUR ILO-KONVENTION 169!<br />
– Materialien zur Kampagne in Deutschland<br />
Nr. 95,* VERTRIEBEN IM EIGENEN LAND –<br />
„Demokratische Sicherheit“ in Kolumbien<br />
Interreligiöser Dialog<br />
Nr. 20,* MIT ANDEREN AUGEN SEHEN –<br />
Erfahrungen und Impulse zum Religionsdialog<br />
Nr. 60, P. Enrique Rosner, <strong>Missionszentrale</strong> <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong><br />
(Hrsg.),<br />
DER TRAUM VON EINER INDIANISCHEN KIRCHE<br />
– Versuch <strong>eine</strong>r lnkulturation<br />
Nr. 73,* DIALOG DER RELIGIONEN –<br />
Wege zur Wahrheit<br />
Nr. 76,* INTERRELIGIÖSE BASISGEMEINDEN IM IN-<br />
DISCHEN KONTEXT<br />
Nr. 85,* FÜR FRIEDEN UND DIALOG DER RELIGIONEN<br />
<strong>Das</strong> Engagement <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong> in Mindanao /<br />
Philippinen<br />
Nr. 99,* DAS EINE GEHEIMNIS UND DIE VIELEN<br />
RELIGIONEN<br />
Nr. 100,* ZUM DIALOG BERUFEN - Jubiläumsausgabe<br />
zum franziskanischen Auftrag in unserer Zeit<br />
Mission<br />
Nr. 4, KOMM HERÜBER UND HILF UNS –<br />
Franziskanische Predigten zur Dialogmission<br />
Nr. 2, Andreas Müller OFM,<br />
10 JAHRE MISSIONSZENTRALE DER FRANZISKANER<br />
Nr. 9, Killian Holland OFM,<br />
MIT DEN MASSAI UNTERWEGS<br />
Nr. 10, Anselm Moons OFM,<br />
FRANZISKANISCHE SENDUNG HEUTE – Skizzen zum<br />
gewandelten Missionsverständnis<br />
Nr. 13, Peter Amendt OFM,<br />
DEM EVANGELIUM HEUTE BEGEGNEN – Notizen vom<br />
Missionskongreß in Mainz/Juni 1981<br />
Nr. 15,* DEN AUFBRUCH WAGEN –<br />
Die missionarische Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong><br />
heute<br />
Nr. 16,* SCHWESTERN OHNE KLOSTERMAUERN –<br />
<strong>Franziskaner</strong>innen inmitten <strong>der</strong> Armen<br />
Nr. 28, Karl Möhring OFM,<br />
MISSIONSLAND DEUTSCH-LAND – Erfahrungen und<br />
Reflexionen <strong>eine</strong>s <strong>Franziskaner</strong>s aus dem Arbeitermilieu<br />
Nr. 34,* DIE ARMEN HABEN MICH BEKEHRT –<br />
Porträt des Erzbischofs von Fortaleza Kardinal Aloisio<br />
Lorschei<strong>der</strong><br />
Nr. 58,* DER FRANZISKANISCHE MISSIONSAUFTRAG<br />
IN EINER VERÄNDERTEN WELT –<br />
Erinnerung und Erneuerung<br />
Nr. 59,* DIE SUCHE NACH GANZHEIT –<br />
Die feminine Dimension des franziskanisch-missionarischen<br />
Charismas<br />
Ökumene<br />
Nr. 36,* FRANZISKANER IN SKANDINAVIEN –<br />
Öffnung zur Ökumene<br />
Nr. 72,* DIE NEUEN HEILSBRINGER –<br />
Ein Beitrag zur Sektenproblematik<br />
Alle mit *) gekennzeichneten Ausgaben: <strong>Missionszentrale</strong><br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen
Bisher erschienene Titel
Schluss Punkt<br />
Eine Wahrheit,<br />
egal wer<br />
sie ausspricht,<br />
entspringt<br />
dem Heiligen Geist.“<br />
Ambrosius von Mailand