Das eine Geheimnis - Missionszentrale der Franziskaner

Interreligiöser Dialog in der Perspektive
der Religiosität – Zehn Thesen –
Vorbemerkungen
Gestatten Sie mir einige Anmerkungen
zum Dialog im heutigen religiösen
Kontext, bevor ich mich dem eigentlichen
Thema zuwende.
a) WirlebenineinerZeit,inderesnicht
einfach ist, vom Dialog zu sprechen. Das
gilt nicht nur für den religiösen Kontext,
in dem sofort der Gedanke an Fundamentalismus
und Fanatismus aufkommt,
sondern auch für Politik und Wirtschaft.
In diesen Bereichen erleben wir weltweit,
dass man eher geneigt ist, Positionen zu
Wir leben in einer Zeit, in der es
nicht einfach ist, vom Dialog zu
sprechen.
bestimmen und durchzusetzen, Identitäten
zu definieren bzw. definieren zu
lassen und Gruppen bzw. Nationen zu
klassifizieren (z.B. Terroristen, „Achse des
Bösen“), als sich füreinander zu öffnen
und einander näher zu kommen.
b) Auch im Christentum selbst nimmt
der Dialog offenbar keinen vorrangigen
Platz ein. Auf institutioneller Ebene tritt
der ökumenische Dialog seit Jahrzehnten
auf der Stelle. Die bilateralen Dialog-Kommissionen
zwischen den verschiedenen
Kirchen entwickelten sich zu diplomatischen
Instanzen, zu „Außenministerien“,
anstatt Orte der Begegnung und Annä-
Berkenbrock – Interreligiöser Dialog in der Perspektive der Religiosität
Volney J. Berkenbrock OFM,
Prof. für Fundamentaltheologie
am Theologischen Institut der
Franziskaner in Petrópolis/Brasilien
herung zu sein. Dabei ist zu beobachten,
dass es wichtiger ist, die eigene Identität
zu betonen, als den Dialog zu suchen. In
Brasilien hat der Zuwachs der Pfingstkirchen
geradezu die Auseinandersetzung
mit dem Anderen verschärft, anstatt den
Dialog mit ihm zu fördern. Das gilt auch
für die meisten anderen Kirchen.
c) Und was ist zum Dialog innerhalb
des Katholizismus zu sagen? Die Öffnungsbewegung
mit ihren Folgen, die
vor allem durch das II. Vatikanum ausgelöst
wurde, hat anscheinend bereits
ihren Höhepunkt überschritten. Wir leben
wieder in einer Zeit des Rückzugs.
Gehorsam, Betonung der Hierarchie,
Standardisierungen bestimmen schon
seit Jahrzehnten den Ton in der katholischen
Kirche. Für Dialogbemühungen
zwischen Gläubigen verschiedener Religionen
hat man die Bezeichnung „interreligiöser
Dialog“ gewählt. Begegnung
und Dialog zwischen den Gläubigen der
verschiedenen christlichen Konfessionen
wird als „Ökumenismus“ definiert. Doch
für den Dialog innerhalb des Katholizismus
ist nicht einmal ein Begriff festgelegt
worden. Vielleicht lässt sich schon daran
erkennen, dass es sich um einen äußerst
schwierigen Sachverhalt handelt.
d) Möglicherweise ließe sich für
dieses Dilemma des Dialogs ein Ausweg
finden, indem man vom interreligiösen
Dialog in der Perspektive der Religiosität
redet? Wäre sie vielleicht das „neue“ Feld
für den Dialog? Nein. Ich möchte die Re-