Das eine Geheimnis - Missionszentrale der Franziskaner
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und gegenwärtig zu haben. Religiöse Institutionen<br />
sorgen sich auch um die Weitergabe,<br />
die Erhaltung und Verteidigung<br />
dessen, was sie als ihre religiöse Identität<br />
begreifen. Unter dem Gesichtspunkt<br />
<strong>eine</strong>r Religiosität, die religiöse Erfahrung<br />
zur Grundlage hat, halte ich es für besser,<br />
von religiöser Identifikation als von religiöser<br />
Identität zu sprechen. Der Begriff<br />
religiöse Identität vermittelt den Eindruck<br />
<strong>eine</strong>r statischen Größe, die man anstrebt<br />
und beibehält. Religiöse Identifikation dagegen<br />
ist <strong>eine</strong> dynamische Größe, die auf<br />
Grund <strong>der</strong> Erfahrung stets neu bestimmt<br />
wird. So wird auch die Religiosität aus<br />
<strong>der</strong> persönlichen religiösen Erfahrung,<br />
mit <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> glaubende Mensch identifiziert,<br />
stets neu konstituiert. An<strong>der</strong>s gesagt:<br />
Sobald bestimmte Erfahrungen als<br />
religiös empfunden werden, geschieht<br />
durch sie religiöse Identifikation. Konkret<br />
kann das ein Ritual, ein Erlebnis, ein Inhalt,<br />
ein Wort, ein Ort u. a. m. sein.<br />
Sobald bestimmte Erfahrungen<br />
als religiös empfunden werden,<br />
geschieht durch sie religiöse<br />
Identifikation.<br />
An dieser Stelle soll auch auf die Tatsache<br />
hingewiesen werden, dass sich das<br />
Verständnis von Ort und Bedeutung <strong>der</strong><br />
persönlichen religiösen Erfahrung verän<strong>der</strong>t.<br />
Die persönliche religiöse Erfahrung<br />
wird für das mo<strong>der</strong>ne und post-mo<strong>der</strong>ne<br />
Subjekt immer mehr zur Instanz für religiöse<br />
Verifikation. Etwas ist dann in religiösen<br />
Begriffen wahr, wenn es als solches<br />
empfunden bzw. erfahren wird und nicht<br />
mehr dann, wenn es irgend<strong>eine</strong> Institution<br />
für wahr erklärt. Die religiöse Institution<br />
hat für das Subjekt weitgehend die<br />
Fähigkeit eingebüßt, religiöse Wahrheit<br />
definieren zu können. Die Verantwor-<br />
tung für die religiöse Wahrheit – mehr im<br />
Sinne <strong>eine</strong>r Überzeugung als im Sinne <strong>eine</strong>r<br />
Lehraussage – hat sich für das Subjekt<br />
von <strong>der</strong> Institution auf s<strong>eine</strong> eigene Erfahrung<br />
verlagert.<br />
2. Zehn Thesen<br />
zum interreligiösen Dialog<br />
in <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong><br />
Religiosität<br />
1. These: Der interreligiöse Dialog<br />
auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Religiosität<br />
ist ein viel älterer Prozess als das Bewusstsein<br />
<strong>der</strong> religiösen Institution<br />
über Bedeutung und Ort des interreligiösen<br />
Dialogs.<br />
Religiöser Austausch unter dem Gesichtspunkt<br />
von Religiosität ereignet sich<br />
als Prozess seit den frühesten Zeiten <strong>der</strong><br />
Menschheit. Von dem Moment an, da<br />
irgendein religiöses Handeln (ein Ritual,<br />
ein Opfer, ein Tempel etc.) etwas für jemanden<br />
bedeuten kann, das heißt, <strong>eine</strong><br />
religiöse Erfahrung sein kann, wird es mit<br />
ihm <strong>eine</strong> Identifikation geben. Es wird<br />
zum Bezugspunkt. So werden schließlich<br />
sehr unterschiedliche „religiöse Bräuche“<br />
verschiedenartigster Herkunft von an<strong>der</strong>en<br />
Gruppen übernommen, sofern sie <strong>eine</strong><br />
religiöse Bedeutung haben, das heißt,<br />
<strong>eine</strong> religiöse Erfahrung - und damit <strong>eine</strong><br />
Identifikation - vermitteln.<br />
Dank des Dialogs auf dieser Ebene<br />
gibt es in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Religionen<br />
viele Beispiele religiösen Austausches,<br />
von denen einige hier erwähnt werden<br />
sollen. Die Geschichte hinduistischer religiöser<br />
Traditionen ist voller Gottheiten,<br />
<strong>der</strong>en Kulte vereinigt wurden; voller Rituale,<br />
die aus an<strong>der</strong>en religiösen Gruppen<br />
stammen, voller neu gedeuteter Rituale<br />
etc. Die Bibel ist ein weiteres interessantes<br />
Beispiel dafür, wie die Erinnerung<br />
an diesen Dialog <strong>der</strong> Religiositäten in <strong>der</strong><br />
jüdischen Tradition bewahrt wird. In ihr<br />
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – <strong>Das</strong> <strong>eine</strong> <strong>Geheimnis</strong> und die vielen Religionen