Das eine Geheimnis - Missionszentrale der Franziskaner

und Zeugnis bezüglich des Wahrheits-
Widerfahrnisses.
Allerdings sind Bekenntnis und ZeugnisprimärLebenshaltungen;nursekundär
sind sie Sprach-Ereignisse. Das heißt, Bekenntnis
und Zeugnis wie auch das Wahrheits-Widerfahrnis,
dem sie entspringen,
gestalten das Leben, in dem sie sich im
Leben ausdrücken und es umgestalten.
Das Leben gestalten heißt zunächst und
vor allem Einsatz für Gerechtigkeit, Gemeinwohl
und Frieden. Wo das fehlt,
bleiben Bekenntnis und Zeugnis lediglich
Wort-Hülsen, welchen die das Leben
gestaltende Dynamik fehlt. Das scheint
jedoch der gegenwärtige Zustand der religiösen
Traditionen zu sein.
Wo Bekenntnis und Zeugnis als
Lebenshaltungen am Werk sind,
da hat der Dialog der Religionen
eine wirkliche Chance.
Wo Bekenntnis und Zeugnis als Lebenshaltungen
am Werk sind, da hat
der Dialog der Religionen eine wirkliche
Chance. Kirchenleitung, Politiker und sogar
das einfache Volk sind alle besorgt,
dass heute die Religionen dabei sind, wieder
Grund für Zwistigkeiten, Unfrieden
und Konfrontation zu liefern. Selbstkritischen
Ansichten, die zugeben, dass unsere
Religionen mehr Schale mit wenig
Nuss, mehr Haut mit wenig Fleisch, mehr
Doktrin und weniger Bekenntnis, mehr
Routine und weniger Leben sind, begegnet
man leider Gottes selten. In solchem
Kontext hat das Dialog-Unterfangen keine
Aussicht auf Erfolg. Mit anderen Worten:
Dialog hat mit Leben, mit einer Lebenshaltung
zu tun und nicht mit einem
Aushängeschild.
2. Mission und Dialog: Der
Weg zur Person-Werdung
Man ist geneigt, die Aufgabe des Dialogs
den Experten zu überlassen, in der
irrigen Meinung, sie allein seien es, die
dafür zuständig wären und ihn bewerkstelligen
könnten. Das setzt ein falsches
Verständnis vom Dialog voraus. Mission
und Dialog gehören wesentlich zum Prozess
der Person-Werdung. Die Grundbewegung
von Mission ist primär ein “Aussich-heraus-Bewegen.“
Ihre Richtung ist
nach Außen, d.h. zentrifugal. Andererseits
ist das Merkmal des Dialogs die Begegnung,
das vorläufige Ziel von Mission.
Der Schritt nach Außen ermöglicht
eine Begegnung und diese Begegnung
ermöglicht die Entdeckung eines „Du“,
was seinerseits zur Entdeckung des eigenen
„Ich“ führt. Personsein ist das Widerfahrnis
von „Wir“ auf der Grunderfahrung
von „Ich“ und „Du“. Das gilt auch
für die Begegnung mit Religionen und
Kulturen.
Eine der sowohl wichtigsten wie auch
dringendsten Aufgaben für unsere Kulturen
heute ist der Prozess der Person-
Werdung. Aber unser Denken, Ausdenken
und Vorausdenken geht über den
Insel-Horizont von „Individuumsein“
nicht hinaus. Dabei ist Individuumsein
nur der Anfang des Prozesses der Person-
Werdung. Das Menschen-Verständnis unseres
Zeitalters betrachtet den Menschen
eher als Punkt, weniger als Person, die als
Knoten im Netzwerk der Beziehungen
steht, und die aus Beziehungen besteht.
Denn das Beziehungsnetzwerk besteht
aus Beziehungen zu Welt, Mensch und
dem großen Geheimnis. Das Merkmal
dieses Prozesses ist eine tiefere Offenheit
auf die drei Invarianten der kosmischen,
menschlichen und Tiefen-Dimensionen
der Wirklichkeit. Somit bedeutet eine
Verkürzung dieser Beziehungen eine Verkürzung
der Person. Konzentration auf
Grüne Schriftenreihe Nr. 99 – Das eine Geheimnis und die vielen Religionen