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FORMEN DES WIDERSTANDS - Stadtgespräche Rostock

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Zuhörerschaft. Er registrierte jede Abweichung vom verordneten<br />

Hass und jede Nachlässigkeit in der Anwendung möglicher<br />

Schärfe als eine Chance zum Luftholen - in vergifteter Atmosphäre.<br />

Dieses alles spielte sich ab in unserem Mecklenburg von damals,<br />

in Tessin, Bad Sülze und <strong>Rostock</strong>. Als die Eltern sich angesichts<br />

drohender Endlösung zur Taufe ihrer Kinder entschlossen<br />

hatten, fragte der Pastor die anmeldende Mutter im<br />

Gespräch zur Vorbereitung der Taufe, ob sie diese für ihre Kinder<br />

anstrebe, weil sie Jesus Christus als ihren Herrn über Tod<br />

und Leben anerkenne oder weil sie sich Vorteile davon verspreche.<br />

„Wenn sich daraus für meine Kinder ein Vorteil ergeben<br />

sollte, so will ich das als Gottes Fügung akzeptieren,“ lautete die<br />

Antwort - so rabbinisch wie jesuan. Auch die Frage lässt sich<br />

verstehen, wenn man will, hatte doch schon Heine die Taufe<br />

als Entreebillett in die bürgerliche Gesellschaft verstanden.<br />

Aber anders sind Zeit und Gesellschaft. In ihr gibt es viel<br />

schlimmere Dinge als die Frage (Kirchliche Amtshilfe. Die Kirche<br />

und die Judenverfolgung im „Dritten Reich“, Manfred Gailus<br />

(Hg.), 2008.) Es gab zeitgenössische Solidarität jenseits der<br />

Mehrheiten (z. B. M. Gailus, Mir aber zerriß es das Herz. Der<br />

stille Widerstand der Elisabeth Schmitz, 2010) und es gibt die<br />

späte aktuelle Solidarität: Im thüringischen Mühlhausen wird<br />

die jüdische Synagoge im Auftrag der Jüdischen Landesge-<br />

Wir sind an Peter und Paul 2009 in Toitenwinkel versammelt.<br />

Damit sind wir an einen Ursprungsort meiner Identität zurückgekommen.<br />

Denn von Mitte der sechziger Jahre an bis zu<br />

meiner Heirat 1973 habe ich mich jeden Sonntag zu Kaffee<br />

und Abendbrot aufgemacht ins Pfarrhaus Toitenwinkel, zunächst<br />

von Kritzkow, später von <strong>Rostock</strong>-Süd aus. Christel und<br />

Uwe Schnell haben das vielleicht nicht immer freudig, doch<br />

stets freundlich und vor allem geduldig ausgehalten.<br />

In Kritzkow bekam ich nach etwa einem Jahr Residenz einen<br />

Besuch von Landesbischof D. Dr. Beste DD, der mich daselbst<br />

auch Buß- und Bettag 1966 ordiniert hatte. Nach der Besichtigung<br />

von Hof und Garten setzten wir uns zu einem Gespräch<br />

ins Amtszimmer. Nach einiger Zeit erklärte mir unser Bischof:<br />

meinde von der Evangelischen Kirche betreut. In der <strong>Rostock</strong>er<br />

Synagoge wird zum Oktober ein schleswig-holsteinischer Pastor<br />

seine Ausstellung über Alltagsleben im biblischen Land<br />

aufbauen. Alles nicht zum Herausreden, aber zum Lernen.<br />

Lässt sich sagen, dass der Widerstand dieser Familie sich im<br />

Willen zu überleben zeigte? Der alte Herr erzählte von der<br />

Sorge des Schülers Hans-Ludwig, sich aus den alltäglichen Demütigungen<br />

zu erheben. Die Mühen der Ebenen und dann die,<br />

selbst in ungewöhnlichen Zeiten ungewöhnliche, Begegnung<br />

mit der untergetauchten Berlinerin Ingeborg Goldschmidt, die<br />

ihr Leben nur waghalsig retten konnte. Das alles war. Das alles<br />

wurde präsent.<br />

Am 20. Mai wird vor dem Haus im Patriotischen Weg ein neuer<br />

Gedenkstein übergeben. Es ist dort der vierte, insgesamt der<br />

siebenundzwanzigste, und er ist Ida Marchand gewidmet.<br />

Hans-Ludwig Levy hat ihn gestiftet. Widerspruch bleibt angesagt<br />

gegen das Vergessen, für uns Vergesser, gegen Verdränger<br />

und Vernebler. Heute muss man sich nicht verstecken. Heute<br />

muss man nicht schweigen. Hört Levy. Redet. Zeigt euch. ¬<br />

Autobiografische Sprüche aus 70 Jahren<br />

Das Öffentliche am Privaten: Erinnerungen im Freundeskreis<br />

JENS LANGER<br />

„Lieber Bruder, alles sehr schön. Aber der Garten! Hier fehlt<br />

eine tüchtige Pfarrfrau.“ Ich , überrascht und verlegen: „Bruder<br />

Beste, da müsste ich aber zuerst eine wissen.“ Er: „Ich wüsste da<br />

schon eine.“ Es gelang uns, das Gespräch im Unverbindlichen<br />

zu belassen. Meine spätere und jüngere Frau war immer an einem<br />

Garten interessiert, hatte meistens aber keinen.<br />

So viel Interesse für mein Leben war gar nicht selbstverständlich.<br />

Am Anfang schien es bedroht. In der Stunde Null im frühen<br />

Mai 1945 hörte unsere Familie in der unserer benachbarten<br />

Wohnung meiner Großmutter Anna Bull (Kasernenstr. 40,<br />

parterre links) zusammen mit einer Bekannten, wie sich die<br />

Reichspropaganda über Drahtfunk, siegesgewiss, wegen der<br />

zeitweisen Überlegenheit des Feindes, verabschiedete: „Wir

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