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FORMEN DES WIDERSTANDS - Stadtgespräche Rostock

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cher dann aber nicht, wenn es sich um die Verwirkung so genannter<br />

gemeingefährlicher Straftaten handelt. Nach deutschem<br />

Recht verurteilt, hätten die beiden Personen also voraussichtlich<br />

2/3 der verhängten Strafe absitzen müssen. Das französische<br />

Recht hingegen ermöglicht, wie oben ausgeführt, ihre<br />

Entlassung nach weniger als der Hälfte der Verbüßung ihrer<br />

Strafe.<br />

Zwei zusätzliche Punkte möchte ich noch kurz ansprechen:<br />

Auf Bitten der französischen Ermittlungsrichterin hatte die<br />

Staatsanwaltschaft <strong>Rostock</strong> im Umfeld der beiden Personen in<br />

<strong>Rostock</strong> ermittelt. Es erstaunt schon, mit welchem unangemessenen<br />

Aufwand diese Ermittlungen in <strong>Rostock</strong> betrieben worden<br />

sind. Es wurden Wohnungen durchsucht, das soziale Umfeld<br />

ausgeleuchtet, Zeugen geladen und gegebenenfalls<br />

Zwangsgelder verhängt – kurz: es wurde sich nach bester deutscher<br />

Tradition gebärdet, als habe man Terroristen am juristischen<br />

Wickel. Ich wünschte mir, als Strafverteidiger, als Jurist<br />

wie als politisch denkender Mensch, dass die Aufmerksamkeit,<br />

die der „Linken“ zuteil wird, auch auf der anderen Seite des politischen<br />

Spektrums angewandt wird.<br />

Als langjährigem Beobachter der juristischen Szene fällt mir<br />

schon auf, welch hektische Aktivitäten bei Polizei und Staatsanwaltschaft<br />

ausgelöst werden, wenn der vermeintliche Feind<br />

„links“ steht, und mit welcher Nachsicht Rechte und Nazis behandelt<br />

werden: Sie bleiben weitgehend unbehelligt, treffen<br />

auf ungewöhnliche Milde bei Gericht und sind keiner Partei eine<br />

ernsthafte und nachhaltige politische Diskussion wert.<br />

Just wenige Tage vor dem Strafprozess in Strasbourg hat die<br />

„Frankfurter Rundschau“ einen Bericht veröffentlicht, der folgende<br />

Fakten nannte: Seit 1993 sind mehr als 140 Opfer rechter<br />

Gewalt gestorben. Todesopfer linker Gewalt sind nicht bekannt.<br />

Ich habe mir erlaubt, auch dem Strafgericht in Strasbourg<br />

diese Tatsachen nahe zu bringen, um den Aufwand, den<br />

die Staatsanwaltschaft <strong>Rostock</strong> in diesem Falle glaubte betreiben<br />

zu müssen, ins rechte Licht zu rücken.<br />

Die beschriebenen Zahlen und Fakten sind in Frankreich wie<br />

anderswo leider unbekannt, aus einem einfachen Grunde: Die<br />

Verbrechen der Nazis, Neonazis und Rechtsextremen werden<br />

mit dem gnädigen Mantel des politischen Schweigens bedeckt.<br />

Wir kennen diese unselige Tradition in Deutschland seit Beginn<br />

der Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts; keiner<br />

hat sie bisher ernsthaft zu ändern versucht.<br />

Der andere Punkt betrifft die so genannte Unterstützer-Szene:<br />

So als seien die 70er Jahre wieder auferstanden, wurden die beiden<br />

Personen aus <strong>Rostock</strong> zu „politischen Gefangenen“ gemacht,<br />

die sie nie waren und als die sie sich auch nie begriffen<br />

haben. Ohne Rücksicht auf ihre Situation wurden Aktivitäten<br />

entfaltet, die sie nicht wollten, Zeitschriften zugesandt, die sie<br />

nicht interessierten, kurz, sie wurden den kruden Interessen<br />

dieser Szene unterworfen, die sie zu ihren eigennützigen Zwekken<br />

instrumentalisierte.<br />

Dieses Verhalten war dazu angetan, dem Ermittlungsverfahren<br />

eher zu schaden als zu nützen. Es hätte der Eindruck entstehen<br />

können, dass die beiden Personen der so genannten gewaltbereiten<br />

Szene angehörten, dass sie Mitglieder eines „schwarzen<br />

Blocks“ seien und gar aus Sicht der französischen Behörden in<br />

ein terroristisches Umfeld hätten gerückt werden können. Wie<br />

schnell dies geschieht und wie groß die politische Bereitschaft<br />

der Ermittlungsbehörden vor allem in Deutschland dazu ist,<br />

sollte eigentlich jeder einigermaßen politisch Interessierte gerade<br />

in Deutschland wissen.<br />

Von Solidarität mit den beiden Personen keine Spur, noch weniger<br />

von der notwendigen Zurückhaltung in Bezug auf ihre<br />

delikate Situation. Das interessierte offenbar niemanden.<br />

Hochstilisiert aus durchsichtigen Gründen zu politischen Gefangenen,<br />

blieb ihre Person wie ihre Persönlichkeit, blieben ihr<br />

sozialer Hintergrund und die Notwendigkeit einer besonnenen<br />

Verteidigung völlig außen vor.<br />

Es wurde versucht, die Verteidigungsstrategie mit zu bestimmen,<br />

es wurde gefaselt von „politischer Verteidigung“, ohne<br />

diese zu definieren. Es schien keinerlei Rolle zu spielen, wie<br />

sich die juristische Situation darstellte und welches Risiko einer<br />

sehr hohen Verurteilung für die beiden Personen bestand. Ich<br />

persönlich wurde mehrfach angegangen, die Arbeit der Verteidigung,<br />

von keinerlei Sachkenntnis getrübt, kritisiert. Es wurde<br />

versucht, auf beide Verteidiger Druck auszuüben. Beide Personen<br />

haben mir bei einem kürzlichen Zusammentreffen gar berichtet,<br />

es sei eine „Petition“ gegen mich verfasst und ihnen zugesandt<br />

worden mit der Bitte, diese „Petition“ zu unterschreiben<br />

- was beide nicht taten.<br />

Ich halte das alles für äußerst fragwürdig und jenseits dessen,<br />

was man eine solidarische Unterstützung nennen könnte. Ich<br />

bin froh, dass die beiden Personen relativ glimpflich davon gekommen<br />

sind, dass die französischen Ermittlungspersonen<br />

kein Kapital geschlagen haben zu ihren Lasten, aufgrund der<br />

durchaus suspekten Aktionen aus der Unterstützerszene, und<br />

dass die beiden voraussichtlich bereits in wenigen Monaten frei<br />

sein werden.<br />

Darauf, und nur darauf kommt es an. Das und nur das kann das<br />

Ziel einer professionellen Verteidigung sein. Die politische Diskussion<br />

kann und soll, wenn überhaupt, dann nach dem Ende<br />

aller Verfahren geführt werden. Ich bin gerne bereit, mich einer<br />

solchen Diskussion zu stellen, vorausgesetzt, ein Minimum an<br />

Rationalität ist sichergestellt und es besteht ein ernsthafter<br />

Wille zur politischen Auseinandersetzung. ¬<br />

---<br />

Anmerkung der Redaktion: Da Reinhard Kirpes nicht nur eine<br />

kritische Analyse der Gesamtsituation liefert, sondern auch die<br />

(<strong>Rostock</strong>er) Unterstützer-Szene deutlich attackiert, haben wir<br />

Vertreter der unterstützenden Gruppen ihrerseits um eine Stellungnahme<br />

gebeten. Diese wird, so das Ergebnis längerer Debatten<br />

innerhalb der Gruppe, jedoch erst erscheinen, wenn die Gefangenen<br />

auf freiem Fuß sind (was hoffentlich in wenigen Wochen<br />

der Fall ist) und damit keine Nachteile für sie zu befürchten<br />

sind. Wir bleiben mit den Beteiligten im Gespräch und werden<br />

weiter über die Angelegenheit berichten.

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