0.36 __ //// REZENSION Gerechtigkeit <strong>Rostock</strong>er Erinnerungsarbeit JENS LANGER Mit Hingabe fasst Arvid Schnauer Ergebnisse und Beobachtungen des <strong>Rostock</strong>er Gerechtigkeitsausschusses aus der Zeit 1989/90 zusammen. Ein zweiter Teil über die Jahre Ende 1990-1994 soll folgen. Schon der Untertitel zeigt die unterschiedliche Art der Quellen an, auf die das Buch zurückgreift. Nach einleitenden Bemerkungen widmet sich fast ein Drittel der Darstellung der Entstehung und Konsolidierung des GA durch erste Regelungen und Vereinbarungen. Der GA wurde noch von der SED-geführten Stadtverordnetenversammlung gegründet. Der Vorschlag dazu kam gruseligerweise vom OIBE Wolfgang Schnur (hier als IM bezeichnet). Also ein changierendes Gründungsorakel, das Druck von der Staatsmacht nehmen sollte. Hat es wohl auch getan, wie es ihn ebenso erhöhen konnte. Das alles führte zu Unsicherheiten und Anlaufschwierigkeiten. Nicht dazu gehörte die Unfähigkeit des zugeteilten Sekretärs, die Schreibmaschine zu bedienen („oder das gehörte nicht zu seinen Aufgaben“, S. 42). Trotz aller Gängelungen setzt sich der Emanzipationswille der authentischen GA-Mitglieder durch. Alles in allem Sysiphusarbeit, die den Verfasser heute an Überschätzung der Kräfte denken lässt. Im dritten Abschnitt des Buches stellt er Beispiele aus der Arbeit vor: Immobilienverkäufe und Waffenhandel, die komfortable Politikkulisse im Hotel „Neptun“ und darum herum, die mit rechtsstaatlichen Korrekturen erst vor wenigen Jahren durch die ehrenvolle Verabschiedung von Direktor Wenzel in den Ruhestand endete. Da Schnauer mit Recht insgesamt die engagierte Mitarbeit von evangelischen Kirchenleuten betont, wäre es hier der komplexen Interessenlage angemessen gewesen, die Rolle von Evangelischer Kirche und Wolfgang Schäuble beim Untertauchen des Hotelgastes Schalck-Golodkowski in der BRD wenigstens zu erwähnen. Dieser Schalck, Vorfahr der globalisierten Ökonomie, war systemrelevant und schutzwürdig. Zu den behandelten Anliegen gehören auch Rehabilitationsverlangen aus Schule und Universität sowie der Umgang mit Seefahrtsbüchern als politischem Druckmittel. Dazu kommt schließlich die Überprüfung von Wahlfälschung aus dem Mai 1989. Das vierte Kapitel befasst sich mit der möglichen Einflussnahme des MfS auf den GA. „Meine aktuellen Recherchen (...) haben ergeben, dass im November 1989 keines der GA-Mitglieder als inoffizieller Mitarbeiter des MfS tätig war. Es gab allerdings einige Mitglieder, deren vorübergehende IM-Tätigkeit thematisiert worden ist bzw. durch Aktenfunde öffentlich wurde.“ (S.100) Der (vorläufig) abschließende Teil bringt Resümees einzelner GA-Mitglieder. Sie äußern sich erfreulich differenziert und gehen auch auf Rechtsunsicherheiten ein. „Neid und Missgunst haben zu mancher Überspitzung geführt. […]Insgesamt war die Arbeit des GA vom Ergebnis her unbefriedigend.“ (S. 114). Der Verfasser selbst äußert in seinem umfassenden Abschlußbericht vom 27.10.1990 vor der Bürgerschaft: „Sie haben sicher aus meinen Worten herausgehört, dass wir ziemlich resigniert sind darüber, dass die wirklich brisanten Fälle, die, um derentwillen wir einmal angefangen hatten zu arbeiten, nicht gelöst oder zu einem Abschluss gebracht werden konnten.“ (S. 140) Einigermaßen überrascht es, dass die Mitglieder des GA eine rückwirkende kollektive Aufwandsentschädigung von zusammen 10.000 Mark erhielten. War das noch das Neue Denken oder schon das ganz neue? Dem Band ist eine zweite Auflage zu wünschen. Für das dann nochmals nötige Lektorat fallen mir einige Aufgaben ein, z.B.: Die Namensnennung handelnder Personen sollte einheitlich erfolgen, sofern nicht juristische Bedenken bestehen. Hans Rentmeister war nicht Regierungsbeauftragter für die MfS- Auflösung im Bezirk <strong>Rostock</strong>, sondern für die Rettung systemrelevanter Strukturen überhaupt zuständig und Ende 1989 bereits der zweite Mann in dieser Funktion (Anm. 28, S. 43). Frau Nichtweiß war bekennende evangelische Christin (S.65). ¬ --- Arvid Schnauer: Zur Arbeit des <strong>Rostock</strong>er Gerechtigkeitsausschusses. Teil 1: 1989/90. Erinnerungen. Notate. Dokumente. Hrg.: Die Landesbeauftragte für MV für die Unterlagen des MfS, Schwerin 2009. 157 S. 978-3-933255-30-3
WIDERSTAND GEGEN SCHNÄPPCHENJAGD Qualität entsteht durch verwendete Materialien und aufgewandte Zeit. Wenn wir also nach Preiswertem suchen, entwerten wir nicht nur die Arbeitskraft, sondern billigen ausdrücklich schlechte Arbeitsbedingungen und gefährliche Arbeitsmittel. Konsequenz: Wertvoll vor Ort kaufen oder Selbermachen. Nähkurs! FOTO: TOM MAERCKER