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<strong>DOGMATIK</strong><br />

Grundkurs I: Christus in Auseinandersetzung<br />

um Heil und Wahrheit<br />

SS 10<br />

o. Univ.-Prof. Hw. Dr. Józef Niewiadomski<br />

Katholisch-Theologische Fakultät Innsbruck<br />

nicht autorisierte Hörermitschrift von Hannes M. <strong>Braito</strong>


Inhaltsverzeichnis<br />

0 PROLEGOMENA ........................................................................................................................................ 1<br />

1 DAS INNSBRUCKER MODELL ZUR DEUTUNG DER AUSEINANDERSETZUNG UM HEIL<br />

UND WAHRHEIT: DARSTELLUNG DES 5-AKTE-HEILSDRAMA ........................................................... 2<br />

1.1 INHALTLICHER RAHMEN ZUR EINORDNUNG VON LEBENS- UND GLAUBENSGESCHICHTEN: DER RAHMEN<br />

DES CHRISTLICHEN GLAUBENSBEKENNTNISSES UND AUCH DES DOGMAS ........................................................... 2<br />

1.1.1 Problem der Reduktion dieser Botschaft und Auflösung ................................................................... 2<br />

1.1.2 die entscheidenden Fragen ................................................................................................................ 3<br />

1.2 DAS THEOLOGISCHE DILEMMA DER LETZTEN JAHRZEHNTE .................................................................... 3<br />

Exkurs ............................................................................................................................................................. 3<br />

1.3 DAS DRAMA JESU ................................................................................................................................... 4<br />

1.3.1 erster Akt: Basileiabotschaft ............................................................................................................. 4<br />

1.3.2 zweiter Akt: Gericht als Selbstgericht ............................................................................................... 6<br />

1.3.3 dritter Akt: Transformation der Gerichtsbotschaft im Kreuzesgeschehen ........................................ 8<br />

1.3.4 vierter Akt: österliches Urteil des Vaters ........................................................................................ 11<br />

1.3.5 fünfter Akt: die Erfahrung des Hl. Geistes ...................................................................................... 12<br />

1.3.6 Zusammenfassung der Bedeutung der Akte ..................................................................................... 13<br />

1.4 CHRISTOLOGISCHES DRAMA ALS VERDICHTUNG DES BIBLISCHEN RINGENS UM HEIL UND WAHRHEIT 13<br />

1.4.1 Struktur der dramatischen Geschichte zwischen Jhwh und seinem Volk ........................................ 13<br />

1.4.2 Heils- und Wahrheitsfrage .............................................................................................................. 14<br />

1.4.3 Verhältnis von AT zu NT ................................................................................................................. 15<br />

1.4.4 Verhältnis von Monotheismus und Trinitätslehre ........................................................................... 16<br />

1.4.5 Substitutionsthese – illegitime Auflösung des dramatischen Ringens zu einer statischen Klarheit. 16<br />

2 DOGMENGESCHICHTLICHE PRÄZISIERUNG DES CHRISTOLOGISCHEN DRAMAS IN<br />

DER JEWEILIGEN GEGENWART ................................................................................................................ 17<br />

2.1 DAS RINGEN UM WAHRHEIT DES EINEN GOTTES .................................................................................. 17<br />

2.1.1 der zornige oder der liebende Gott ................................................................................................. 17<br />

2.1.2 Irenäus von Lyon und die Auslegungsmethoden ............................................................................. 19<br />

2.1.3 Rückgewinnung der dramatischen Perspektive durch Martin Luther ............................................. 20<br />

2.2 DER EINSAME ODER KOMMUNIKATIVE GOTT: BEGRIFFLICHE PRÄZISIERUNG IM KONFLIKTIVEN PROZESS<br />

21<br />

2.2.1 mittelplatonische und stoische Logoslehre ...................................................................................... 21<br />

2.2.2 das Konzil von Nizäa 325 (NR 155f) ............................................................................................... 23<br />

2.2.3 der Kampf um das Konzil ................................................................................................................ 24<br />

2.2.4 Integrationsfigur: Athanasius von Alexandrien .............................................................................. 24<br />

2.2.5 die subordinatianistische Logik der Pneumatomachen (Geistbekämpfer) ...................................... 26<br />

2.2.6 Konstantinopel I 381 (NR 250) ....................................................................................................... 26<br />

2.2.7 Identität und Differenz .................................................................................................................... 26<br />

2.3 DAS RINGEN UM DIE WAHRHEIT DES EINEN GOTT-MENSCHEN: BEGRIFFLICHE PRÄZISIERUNG IM<br />

KONFLIKTIVEN PROZESS .................................................................................................................................... 27<br />

2.3.1 alexandrinische vs. antiochenische Tradition: Einheit in Christus aus der Perspektive des<br />

göttlichen (fleischgewordenen) Logos vs. Unterschied im Christus (Eigenwert menschlicher Seele Christi)<br />

28<br />

2.3.1.1 Apollinaris und das Konzil von Ephesus 431 (NR 158f) ........................................................................ 28<br />

2.3.2 der unglückliche Vermittler Nestorius im Streit der Priester/Mönche und der Eifer des Cyrill von<br />

Alexandrien .................................................................................................................................................. 29<br />

2.3.3 Konzil von Ephesus 431 (NR 160-163, 167, 172) ............................................................................ 30<br />

2.3.3.1 polemische Dogmatisierung in Ephesus ................................................................................................. 30<br />

2.3.3.2 Eutyches und die Räubersynode 449 ...................................................................................................... 31<br />

2.3.4 geglückte Vermittlung aus Rom: Papst Leo I. (NR 173-177) .......................................................... 31<br />

2.3.5 Chalcedonisches Wunder 451 (NR 178) .......................................................................................... 32<br />

2.3.6 der Monophysitismus und die Faszination des Mythos – II. Konstantinopoletanum (NR 183f, 186)<br />

34<br />

2.3.7 Einigungsversuche angesichts des voranschreitenden Islams......................................................... 35<br />

2.3.8 Entmythologisierung durch Maximus Confessor ............................................................................ 36<br />

2.3.9 III. Konstantinopoletanum............................................................................................................... 37<br />

2.4 DAS CHRISTOLOGISCHE DRAMA IN DER GEGENWART ........................................................................... 37<br />

Katholisch-Theologische Fakultät Innsbruck<br />

nicht autorisierte Hörermitschrift von Hannes M. <strong>Braito</strong>


3 DOGMENGESCHICHTLICHE PRÄZISIERUNG DER FRAGE NACH DEM HEIL ODER DIE<br />

WAHRHEIT DES KREUZES ........................................................................................................................... 39<br />

EINSTIEG: ZUR EIGENGESETZLICHKEIT DER PROJEKTIONSMECHANISMEN ......................................................... 39<br />

Exkurs: mimetische Gesetzmäßigkeiten bei der Kultivierung der profundior et universalior appetitio ....... 39<br />

3.1 RELEVANZ ALTKIRCHLICHER MOTIVE: ERLÖSUNG ALS BEFREIUNG VON DER MACHT DES TEUFELS ... 41<br />

3.1.1 der Satan in der biblischen Tradition .............................................................................................. 41<br />

3.1.2 patristische Lehre ............................................................................................................................ 42<br />

3.1.3 Systematik: zum Wesen des diabolos ............................................................................................... 42<br />

3.2 RELEVANZ ALTKIRCHLICHER MOTIVE: STERBLICHKEIT UND DAS VERGEHEN ..................................... 46<br />

3.2.1 Über die Menschwerdung des Wortes Gottes.................................................................................. 46<br />

3.2.1.1 Sünde ist Abwendung vom Logos und Zuwendung zum Nichts ............................................................ 46<br />

3.2.1.2 Folgen der Sünde .................................................................................................................................... 46<br />

3.2.1.3 Menschwerdung des Logos (Analyse der Rettung) ................................................................................ 47<br />

3.2.1.4 soteriologisches Paradigma .................................................................................................................... 48<br />

3.2.1.5 Martyrium der Christen .......................................................................................................................... 48<br />

3.3 RELEVANZ MITTELALTERLICHE MOTIVE: STREIT UM HEIL UND WAHRHEIT ........................................ 48<br />

3.3.1 Wiederherstellung der rechten Ordnung durch Satisfaktion ........................................................... 48<br />

3.3.1.1 Einheit vom Glaubensprimat und Vernunftvertrauen ............................................................................. 48<br />

3.3.1.2 Notwendige Gründe für die Menschwerdung ......................................................................................... 49<br />

3.3.1.3 satisfactio ................................................................................................................................................ 49<br />

3.3.1.4 tesaurus ecclesiae (der Gnadenschatz der Kirche) .................................................................................. 50<br />

3.3.1.5 Wahrheit des Heils ................................................................................................................................. 51<br />

3.4 RELEVANZ MITTELALTERLICHER MOTIVE: DIE ANTWORT AUF DEN GOTT DES ZORNS: LUTHER .......... 51<br />

3.4.1 erkenntnistheoretischer Horizont .................................................................................................... 52<br />

3.4.1.1 Erlösungskonzept ................................................................................................................................... 52<br />

3.4.1.2 Einheit der Schrift vom Christusgeschehen ............................................................................................ 52<br />

3.4.1.3 Logik einer sich immer mehr intensivierenden Identifizierung Gottes mit den Menschen vs. radikales<br />

Zurückdrängen menschlicher Freiheit ........................................................................................................................ 53<br />

3.4.1.4 deus absconditus (verborgen) vs. deus revelatus (offenbarend) .............................................................. 53<br />

3.4.1.5 Folgen des Kampfes für den Menschen: simul iustus et peccator .......................................................... 54<br />

3.4.1.6 Wahrheit des Heils ................................................................................................................................. 54<br />

3.5 MODERNE ABLEHNUNG DER WAHRHEIT DES KREUZES ........................................................................ 55<br />

3.5.1 Infragestellung der Stellvertretung im Kontext des Autonomiedenkens .......................................... 55<br />

3.5.1.1 Versagen rationalistischer Theologien im Kontext der Kriege des 20. Jahrhunderts .............................. 56<br />

3.5.1.2 liberale „Abschaffung“ des Opfers, Opferkritik in der katholischen Theologie ..................................... 56<br />

3.5.1.3 Suspendierung der Wahrheitsfrage (gerade im Kontext von Leid) ......................................................... 56<br />

3.6 RADIKALISIERUNG DER ERKENNTNIS DER WAHRHEIT DES KREUZES IN DER THEOLOGIE DES 20.<br />

JAHRHUNDERTS: KREUZ ALS ERLÖSUNG VON DER HÖLLE ................................................................................ 57<br />

3.6.1 Karl Barths Kritik an den Extremen ................................................................................................ 57<br />

3.6.1.1 Gnadenwahl durch Gott .......................................................................................................................... 58<br />

3.6.1.2 Widerspruch in Gott ............................................................................................................................... 59<br />

3.6.2 Hans Urs von Balthasar: Kritik an der gängigen Denkform der Theologie ................................... 60<br />

3.6.2.1 Unterwanderung der Sünde durch Gott, „Theologie der drei Tage“ ....................................................... 61<br />

4 TRINITARISCHE LIEBE ALS BEDINGUNG DER ERLÖSUNG VON DER HÖLLE (ZUR<br />

FRAGE NACH DER IDENTITÄT VON HEIL UND WAHRHEIT) ............................................................ 63<br />

4.1 RÜCKGRIFF AUF DIE FRAGE: DER EINSAME ODER KOMMUNIKATIVE GOTT ........................................... 64<br />

4.1.1 Augustinus ....................................................................................................................................... 65<br />

4.1.2 Präzisierung des Personenbegriffes durch Richard von St. Victor ................................................. 65<br />

4.1.2.1 Plausibilität des Trinitätsdogmas aufgrund der Analyse mitmenschlicher Erfahrungen der Liebe: amor<br />

mutuus ↔ condilectio ................................................................................................................................................ 66<br />

4.1.2.2 beinhaltet diese Liebe auch die Erfahrung des Liedes? .......................................................................... 66<br />

4.2 TRADITIONELLE UNTERSCHEIDUNGEN ................................................................................................. 67<br />

5 GASTVORTRAG: AUF DEN SPUREN VON MATTEO RICCI: EIN BLICK IN DIE<br />

WERKSTATT DER CHRISTLICH-CHINESISCHEN THEOLOGIE, VON P. ALOISIUS GUTHEINZ<br />

SJ 68<br />

5.1 AUF DEN SPUREN VON MATTEO RICCI (* 6.10.1552 † 11.5.1610) ........................................................ 68<br />

5.1.1 die Geschichte des Christentums in China in fünf Phasen .............................................................. 68<br />

5.1.2 die Pionierarbeit von Matteo Ricci: Grenzgänger zwischen Kulturen ............................................ 69<br />

5.1.2.1 „Über die Freundschaft“ – der Weg des Menschen ................................................................................ 69<br />

5.1.2.2 „Die wahre Idee Gottes“ – ein präevangelischer Dialog mit Konfuzianern ............................................ 69<br />

5.1.3 drei Wahrheiten ............................................................................................................................... 70<br />

5.2 EIN BLICK IN DIE WERKSTATT DER CHRISTLICH-CHINESISCHEN THEOLOGIE ........................................ 70<br />

Katholisch-Theologische Fakultät Innsbruck<br />

nicht autorisierte Hörermitschrift von Hannes M. <strong>Braito</strong>


5.2.1 Was ist bereits geschaffen? ............................................................................................................. 70<br />

5.2.1.1 die Glaubensreflexion in der chinesischen Welt (Taiwan, China, Hongkong, Macao, …) ..................... 70<br />

5.2.1.2 Die Theologie der theologischen Fakultäten (katholisch und protestantisch) ......................................... 70<br />

5.2.2 Schwerpunkte heutiger christlich-chinesischer Theologie .............................................................. 71<br />

5.2.2.1 Theologie im Kontext des Konfuzianismus und Daoismus: „Einheitskategorie“ und „Yin-Yang-He“<br />

Theologie, mit konkreten theologischen Folgerungen ............................................................................................... 71<br />

5.2.2.2 Theologie im sozio-politischen Kontext: „Homeland Theology“ (Taiwan) und „Theologie der<br />

Lebensqualität“ (ökumenische TARGTI Studiengruppe) .......................................................................................... 71<br />

5.2.3 vier Projekte der „Fu Jen Theological Publications Association“ (seit 1969) ............................... 72<br />

5.2.3.1 das „Theological Dictionary“ (1985-1996): 712 Artikel, von 26 Theologen .......................................... 72<br />

5.2.3.2 das „Theological Lexion“ (1996-2005): Terms and Persons .................................................................. 72<br />

5.2.3.3 „Denzinger” (2005-2010): 43. Auflage, mit protestantischen Credos im Anhang .................................. 72<br />

5.2.3.4 eine „Ein-Band-Bibelenzyklopädie“ (2010-2015): Was ist die Bibel? ................................................... 73<br />

Katholisch-Theologische Fakultät Innsbruck<br />

nicht autorisierte Hörermitschrift von Hannes M. <strong>Braito</strong>


Dogmatik I<br />

0 Prolegomena<br />

- zur Prüfung: da die neue Studienordnung leitgebend ist, sind auch die meisten der alten<br />

Studienordnung Nutznießer<br />

o die Zusatzliteratur muss nicht sein (da man ja nur die wenigeren ECTS angerech<strong>net</strong><br />

bekommt), aber Athanasius muss sein<br />

- Athanasius: über die Menschwerdung des Logos<br />

- Dogmen sind Grenzsteine, sie zeigen Wege<br />

- der Logos ist eines Wesens mit dem Vater<br />

o aufgrund der Erfahrung mit Christus wissen wir etwas über Gott, er ist im Grunde –<br />

philosophisch gesprochen – differenziert<br />

o er ist desselben Wesens mit dem Vater<br />

- Jesus ist wahrer Gott und wahrer Mensch<br />

o nicht Vermischung<br />

o authentisch Mensch und authentisch Gott – unvermischt<br />

- das christologische Bekenntnis, Christus sei wahrer Gott und wahrer Mensch; weil es als<br />

Dogma qualifiziert wird, wird es kulturell angefochten, weil das Dogma selbst als<br />

einschränkend wahrgenommen wird<br />

o die Kirche sei dogmatische Kirche, also so etwas wie ein imperialistischer Tyrann<br />

o die Religion wird dämonisiert, die dogmatisch geprägte Religiosität wird als<br />

fundamentalistisch hingestellt<br />

o → fundamentalistische Religiosität ist jene, die ihren Wahrheitsanspruch mit Gewalt<br />

durchsetzen will; hier ist der Terminus „Fundamentalismus“ sinnvoll<br />

o die Ausweitung dieses Begriffes auf alle dogmatischen Wahrheiten bedeuten eine<br />

Verunmöglichung eines sinnvollen Diskurses<br />

o aber Religion wird auch banalisiert, als Konsumgut für Liebhaber<br />

- all das ist in der Gegenwart beheimatet; wir alle fördern undogmatisches Verhalten; die<br />

Kultivierung wurde verdrängt<br />

o das heißt Verhalten im Grunde ohne Grundsätze<br />

o wer Dogmen mit Engstirnigkeit verwechselt sollte Gilbert Chesterton, Ortodoxie,<br />

lesen<br />

o wenn wir von extremen Liberalismus reden (freies Spiel der Kräfte), dann ist das<br />

vielmehr die Herrschaft des Starken<br />

o Autonomie ohne soziale Absicherung, ohne minimalste Schranken ist in kürzester Zeit<br />

ein Todesschlag<br />

- Gegentrends sind notwendig, es muss durchaus von Leitplanken, Wegweisern oder<br />

Schranken geredet werden<br />

o zB Vinzenz von Lerin: Dogma wäre ein Hinweis, ein Wegweiser, verbunden mit<br />

Wegsteinen, mit Grenzsteinen, die die Grenze eines Weges anzeigen<br />

o heute sind wir von Dogmen oft enttäuscht, weil es den Versuch einer axiomatischen<br />

(dh unanzweifelbar, gewiss) Dogmatik gab<br />

war der Versuch, die Glaubenslehre analog zu einem Geometriehandbuch zu<br />

schreiben<br />

ausgehend davon, dass alles mit allem irgendwie verbunden wird, versuchte<br />

man die Grundsätze von den abgeleiteten Sätzen zu unterscheiden<br />

die Bemühung um eine Glaubenslehre, die in sich stimmig ist<br />

aber weil sie in sich stimmig sein sollte, war sie abstrakt und fürs Leben<br />

ungeeig<strong>net</strong><br />

weil die Dogmatik abstrakte Wahrheiten erzählte, gab es die spirituelle<br />

Theologie, welche die Dogmen spirituell aufpeppelte<br />

im Buchhandel findet man immer wieder aktualisierte Fassungen von Ott,<br />

Grundliste der Dogmatik<br />

o Vatikanum II hat aber Abschied von dieser Dogmatik genommen, va in Optatam<br />

totius; der Begriff „heilsgeschichtliche Dogmatik“ wurde aufgenommen<br />

- 1 -


Dogmatik I<br />

orientiert an der biblischen Tradition soll das Leben des Volkes Gottes<br />

verbunden werden mit der dogmatischen Wahrheit<br />

kurze Zeit sah es auf den Universitäten so aus, als würde die dogmatische<br />

Kultur aufgelöst<br />

inzwischen geschah wohl die Rehabilitierung des Faches; es braucht diese<br />

Fächer: Geschichten brauchen einen Rahmen, sonst sind sie blind; der<br />

Rahmen der dogmatischen katholischen Tradition ist sehr weit, darin hat sehr<br />

viel Platz → vom Prinzip her ist der Rahmen sehr weit, aber es gibt eben<br />

einen Rahmen<br />

vergleiche auch in diesem Kontext Skriptum Dogmatik III, Ausführung zu<br />

den Bildern von Chagall unter „Prolegomena“<br />

- Rahmen für die Geschichten der biblischen Offenbarung, für die Alltagsgeschichten, für<br />

die Geschichten der Kulturen<br />

o dieser Rahmen wird in IBK mit dem Prädikat „dramatisch“ versehen<br />

o es geht um die Frage, ob Heil und Wahrheit von vornherein festgeschrieben und klar<br />

sind; ist es nicht so in der Geschichte, dass das, was ich als Heil und Wahrheit<br />

bezeichne, sich im Nachhinein als Unheil entpuppt, weil Täuschung, Verführung,<br />

Verschleierung, …?<br />

o man findet zu Heil und Wahrheit nur durch dramatische Auseinandersetzungen, wo<br />

alles Platz haben muss<br />

o Begreifen der systematischen Theologie: IBK versucht es zu betreiben aus der<br />

dogmatischen Zuordnung von LG (über die Kirche) und GS (über die Kirche in der<br />

modernen Welt)<br />

beide sprechen von Wahrheit und Heil<br />

va in GS wird viel davon gesprochen, dass der Mensch gespalten ist, dass<br />

seine Situation alles andere als heil ist<br />

zum Verständnis des Dramas: Institutsprofil der Systematik<br />

1 das Innsbrucker Modell zur Deutung der<br />

Auseinandersetzung um Heil und Wahrheit: Darstellung<br />

des 5-Akte-Heilsdrama<br />

1.1 inhaltlicher Rahmen zur Einordnung von Lebens- und<br />

Glaubensgeschichten: der Rahmen des christlichen<br />

Glaubensbekenntnisses und auch des Dogmas<br />

- Gott nimmt in der Geschichte Gestalt an (in der dogmatischen Sprache: Selbstmitteilung des<br />

dreifaltigen Gottes)<br />

o zuerst in der Gestalt seines Sohnes, er wird Mensch, er fällt den Menschen zum<br />

Opfer<br />

o in der Gestalt des Heiligen Geistes bleibt er wirkend in der jeweiligen Gegenwart<br />

1.1.1 Problem der Reduktion dieser Botschaft und Auflösung<br />

- der Rahmen um das zu deuten heißt Drama<br />

o nicht Reduzierung auf einen Begriff: Geschichte kann nicht auf einen Begriff<br />

reduziert werden; es geht also um Geschichte, in dieser soll Identifikation oder auch<br />

Distanzierung erfolgen<br />

o auch nicht Auflösung der Botschaft zu einer narrativen Logik von vielen<br />

Geschichten<br />

- in der Theologie der neueren Zeit (20. Jh.) wurde der Begriff Drama von Hans Urs von<br />

Balthasar eingeführt<br />

- 2 -


Dogmatik I<br />

o zuerst Jesuit, der dann den Orden verließ<br />

o sein zentrales Werk heißt „Theodrama“<br />

o Schwager hat den Begriff aber primär von Roland Barth (französischer Strukturalist)<br />

und übernommen als Hilfsmittel zur Deutung des Verhältnisses des Ordensgründers<br />

Ignatius zur Kirche<br />

- Begriffsbestimmung: die Einheit der Kirche vollzieht sich in der Begegnung von Menschen,<br />

zwischen denen alle Momente wie in einem Drama (Entwicklung, Auseinandersetzung,<br />

Spannung, Krise, Niederlage und letztlich Versöhnung) spielen können, ja sogar spielen<br />

müssen<br />

o Tragödie, Vorherbestimmung; Christentum bringt den Aspekt des Dramas; Drama ist<br />

keine Tragödie: wie in der Tragödie gibt es Auseinandersetzung und Konflikt, den<br />

Freiheitsaspekt<br />

o die Dramatik ist keine Tragik sondern belebt von der sicheren Hoffnung auf die<br />

letzte Versöhnung<br />

o wo der Mut zu dieser Dramatik fehlt und die Versöhnung vorschnell gesucht wird,<br />

dort dürfte nicht mehr der allumfassende Geist am Wirken sein, sondern eher eine<br />

götzenhafte Verabsolutierung sichtbarer Strukturen sich abzeichnen<br />

1.1.2 die entscheidenden Fragen<br />

- Welche Rollen werden mir (im Leben) aufgedrängt? Zu welchen Rollen werde ich erwählt?<br />

Welche Rollen übernehme ich? …<br />

- befragt man Menschen in ihrem Selbstverständnis wird man von sich als autonomer Täter<br />

ausgehen; der autonome Täter der frei ist und aus dieser Freiheit heraus handelt<br />

- sehr oft, wenn nicht meistens, sind wir jedoch Opfer von Zwängen, anderen Menschen,<br />

Rationalisierungsprozessen, des Bolognaprozesses, …<br />

- wir haben erfahren, dass wir nicht nur die Rollen wählen und uns frei für Rollen entscheiden,<br />

sondern dass uns auch Rollen aufgedrängt werden und wir Rollen übernehmen müssen<br />

o ob dadurch, dass wir von Krankheit heimgesucht werden, einen Unfall haben oder<br />

Konsequenzen von irgend welchen Entscheidungen ausbaden müssen, …<br />

- man kann unser Leben und das unserer Gesellschaft auch in den Kategorien des Dramas sehen<br />

- in Bezug zur biblischen Botschaft:<br />

o zu welcher Rolle wurde ich erwählt → Berufung; Gott hätte für jeden Menschen<br />

eine unverwechselbare Rolle sich ausgedacht (nicht determiniert!)<br />

1.2 das theologische Dilemma der letzten Jahrzehnte<br />

- Dilemma bei der Deutung des Bekenntnisses (Ansatz bei der Botschaft von der<br />

Gottesherrschaft oder bei der kirchlichen Erlösungslehre) als Ausdruck intellektualistischer<br />

Verkürzung der komplexen Wirklichkeit der atl und ntl Heilsgeschichte<br />

- in den letzten Jahrzehnten ist dieses Bekenntnis von vornherein in schablonenhaften<br />

Kategorien eingeteilt<br />

Exkurs<br />

- Aufklärung war von einem ungeheuren Optimismus geprägt und von der Kirchenkritik<br />

getragen, das Christentum habe das Leben madig gemacht<br />

o die Erde sei das Jammertal, jenseits sei das wahre Leben<br />

- Vorwurf: Christentum vertröste auf das Jenseits<br />

- statt dieser Vertröstung nun Fortschrittsglaube in der Geschichte; Fortschrittsglaube ersetze<br />

den Glauben an das Heil in Jesus Christus<br />

- diejenigen, die nicht so ohne weiteres Christentum über Bord werfen wollten, versuchten eine<br />

Neudefinition dessen, was Christentum sein sollte und könnte:<br />

o Immanuel Kant: als der Pate des modernen Christentums; er versucht, als Aufklärer,<br />

die irdischen Erwartungen (Fortschritt, sittliche Vervollkommnung, …) mit der<br />

- 3 -


Dogmatik I<br />

Botschaft Jesu zu verbinden und bringt die epochenmachende Antwort auf die Frage<br />

nach dem Reich Gottes: die sittliche Kraft des Reiches Gottes sei das entscheidende,<br />

sprich das Reich Gottes ist in jedem Menschen, meine Fähigkeit zu ethischer<br />

Anstrengung sei der entscheidende Punkt des Christentums<br />

- Kirche auf ihre Ethik zu reduzieren ist ein neuzeitliches Phänomen, eines, dem sich der<br />

Protestantismus fast ganz ausgeliefert hat<br />

- auf diesem Hintergrund ist die liberale Theologie zu sehen, wie sie va im 19. Jh. aufblühte<br />

und im 20. Jh. vollendet wurde; jene, die mit einem Werk auf den Begriff gebracht werden<br />

kann: die Predigt Jesu vom Reiche Gottes<br />

o Christus hat vom Reich Gottes gepredigt, seine Bergpredigt ist eine sittliche<br />

Herausforderung für den Menschen<br />

- der Fortschrittsglaube gerät spätestens im 20. Jh. in die Krise<br />

o der Ausbruch des 1. Weltkrieges wurde als Krise der liberalen Theologie gesehen<br />

o Karl Barth: eine Theologie die den Krieg unterstützt muss eine falsche sein<br />

danach begründet er eine neue Art des Theologietreibens: dialektische<br />

Theologie<br />

und er setzt beim Kreuz an, nicht bei der Predigt Jesu<br />

- diese Auseinandersetzung, die im dt. Sprachraum unheimlich wichtig war, findet auf ihre Art<br />

und Weise in der katholischen Kirche im 20. Jh. auch statt, als Auseinandersetzung zwischen<br />

den progressiven und konservativen Kräfte (va im Konzil und danach)<br />

- die nachkonziliaren Jahre waren davon bestimmt, wo der Schwerpunkt der christlichen<br />

Verkündigung liege<br />

o Progressive: Christ ist derjenige, der sich der Botschaft von Gottes Herrschaft<br />

(Basileiabotschaft)<br />

ging so weit, dass einzelne Systematiker sagten, das wahre Christentum finde<br />

man nur in den Reden Jesu<br />

o Konservative: immer wieder Erinnerung an das Opfer mit dem Kreuz<br />

Vorwurf: Verkürzung des Christentums durch über Bord werfen des Kreuzes<br />

1.3 das Drama Jesu<br />

- der Ernst des Rufes zur ethischen Umkehr<br />

- hat nicht immer die notwendige Konsequenz (überhören, nicht wahrnehmen,<br />

bekehrungsunwillig, …)<br />

- Schwager folgert, dass das Auftreten Jesu einen qualitativen Neubeginn bringt und steht<br />

damit in der Tradition der atl Prophetie<br />

1.3.1 erster Akt: Basileiabotschaft<br />

- 1. Akt: Basileiabotschaft: Botschaft der zuvorkommenden Güte allen Menschen<br />

gegenüber<br />

o Konturen des jesuanischen Gottesbegriffes: Gottes Feindesliebe und die daraus<br />

folgenden Konsequenzen fürs menschliche Verhalten: zuvorkommendes Verzeihen,<br />

Ethos und Bergpredigt<br />

- die Botschaft der zuvorkommenden Güte allen Menschen gegenüber<br />

o Gott nimmt einen an wie man ist, egal wer man ist und was man tut und was man über<br />

Gott denkt<br />

o darin zeigt sich geradezu die Vollkommenheit Gottes: in der Bergpredigt sagt Jesus<br />

deutlich, man soll vollkommen sein wie der Vater im Himmel, denn er lässt die Sonne<br />

über Gut und Böse aufgehen → legt Gleichgültigkeit nahe, aber nein, Gott wendet<br />

sich dem Menschen auch in dessen Versagen zu, ohne auf vorauseilende Buße zu<br />

pochen<br />

- der Modus der Liebe Gottes besteht in der Feindesliebe, dh Gott liebt auch den Sünder<br />

- das ist der logische und biographische Zugang zum Glauben<br />

- 4 -


Dogmatik I<br />

o Diskurs über Gott und sein Verhältnis zu den Menschen setzt nicht bei<br />

Unterscheidung gläubig-ungläubig, sündig-gerecht, … an, nein, der logische Diskurs<br />

setzt bei der Integration/Inklusion aller Menschen an<br />

o GS 22: Christus hat sich in seiner Menschwerdung mit allen Menschen vereinigt<br />

o der Ansatzpunkt hier ist der universale Heilswille Gottes; Heilsuniversalismus;<br />

Integration aller (psychologisch: Gott ist kein Konkurrent des Menschen)<br />

- biographischer Zugang<br />

o jene Religionspädagogik die mit „pass auf“ anfängt, ein Gott der alles sieht und auch<br />

handeln wird<br />

o wird Gott als Konkurrent zum Menschen und zum Kind eingeführt, wird das dem<br />

jesuanischen Gottesbegriffes nicht gerecht<br />

- aus diesen Zugängen wird der Gottesbegriff Jesu zu schärfen sein<br />

o ein toleranter Gott, dessen Toleranz eine qualitative ist (keine laissez-faire-Toleranz –<br />

Gott ist ein schlechter Fundamentalist)<br />

o was das soll: die jesuanische Pädagogik ist im Unterschied zur prophetischen eine,<br />

die nicht mit Angst arbeitet; die Beziehung wird von ihm her geknüpft und die<br />

Folge dieser Beziehung müsste eigentlich die Aufnahme der Beziehung sein<br />

→ weil ich dich beschenke und weil mein Schenken dir gegenüber dich<br />

kontinuierlich verwandelt, wirst du irgendwann auch selber dazu fähig sein,<br />

dass du schenkst; weil ich dich liebe, müsste meine Liebe dich verwandeln,<br />

sodass du selber liebensfähig bist; weil ich dir bedingungslos vergeben habe,<br />

müsstest du auch dazu fähig sein<br />

man denke an das Gleichnis, wo ein Herr einen Schuldner trifft und die<br />

Schulden verlangt, der Herr aber lässt ihm die Schuld nach weil der nicht<br />

zahlen kann; dann trifft der dem vergeben wurde einen, der ihm weniger<br />

schuldet, den aber wirft er ins Gefängnis und peinigt ihn<br />

o Inklusion soll wachsen<br />

o das Vertrauen, die Zuneigung, das Gute, … pflanzt sich fort<br />

- auf diesem Hintergrund der Ethos der Bergpredigt: Menschen die erfahren haben, dass sie so<br />

von Gott begnadet, angenommen und geliebt werden sollen das weiterschenken<br />

o nach außen mag das nach Verzicht aussehen<br />

o der Hinweis auf das Gleichnis mit dem, der die Schuld nicht nachlässt zeigt deutlich,<br />

dass die jesuanische Gottesverkündigung und Gottespraxis, sein Zugehen auf Sünder,<br />

nicht von Erfolg gekrönt wurde<br />

o Jesus ist mit seiner Predigt gescheitert<br />

o Menschen haben anders reagiert als man es voraussah: sie ließen sich nicht lieben, sie<br />

ließen sich nicht bedingungslos vergeben<br />

nichts ist so schwer im Leben, als die Bedingungslosigkeit zu akzeptieren<br />

Exkurs: zum Papstbrief an die Katholiken in Irland<br />

- die Kirche ist erneuerungsbedürftig; die Sünde in der Kirche ist gegenwärtig<br />

- die einzig relevante Frage jetzt ist nicht mehr die Empörung, sondern wie wir mit Schuld<br />

umgehen<br />

o der Papst hat gesagt, wir müssen mit Schuld vor Gott und den Menschen umgehen,<br />

auch vor der weltlichen Gerichtsbarkeit<br />

o das Problem ist, ob damit die Schuldfrage geklärt wird<br />

o wenn es einen unersetzbaren Wert des Christentums gibt, dann ist dieser Wert nicht<br />

daraus zu ermitteln ob die Kirche eine moralische Anstalt sei oder nicht<br />

o wenn es einen Mehrwert gibt, der durch nichts in der Gesellschaft zu ersetzen ist,<br />

dann liegt der im Umgang mit der Schuld; und ist der nicht verständlich zu machen ist<br />

es schlecht mit der Humanität bestellt<br />

o denn der Umgang mit der Schuld hat mit dem Zentrum der christlichen Botschaft zu<br />

tun<br />

- 5 -


Dogmatik I<br />

- Konturen des jesuanischen Gottesbegriffes → Gottes Feindesliebe und die daraus<br />

folgenden Konsequenzen für das menschliche Verhalten: zuvorkommendes Verzeihen, Ethos<br />

der Bergpredigt<br />

o „Die Zeit ist erfüllt, glaubt an das Evangelium“ – was heißt das?<br />

o ist das Evangelium ein Konsumartikel?<br />

o transkultureller Umgang mit der Schuld: wenn ich schuldig bin und Angst vor<br />

Strafe habe werde ich so lange wie möglich wegerklären; oder ich werden<br />

Umkehrbemühungen zeigen, bereuen, damit mir die Schuld nachgesehen, vergeben<br />

wird; oder ich zahle Restitution<br />

o diese transkulturelle Konstante wird zugespitzt durch die abendländische<br />

Aufklärungstradition, der der Religion nichts anderes als einen praktischen Wert im<br />

Umgang mit Moralität abgewinnen konnte; der Mensch ist der einzige Täter in der<br />

Geschichte, der sich bewusst verschulden kann, und deshalb muss er zur Rechenschaft<br />

gezogen werden<br />

- das zentrale Problem, das das Christentum im Kontext von Religion zu einer<br />

Herausforderung werden lässt ist das Verhältnis Gottes zum Sünder<br />

o der Mensch muss einen Schritt setzen, er muss erkennen, dass er etwas falsch<br />

gemacht hat, er muss ein Opfer bringen, dann wird er von Gott anerkannt und es wird<br />

ihm verziehen → sieht man es so, ist es schwer eine Trennung zu einem Therapeuten<br />

zu finden<br />

man hat sich verfehlt, man muss den ersten Schritt setzen …<br />

diese Strategie hat immer etwas mit Schuldabschiebung und Verleumdung zu<br />

tun (ich hätte anders handeln/sein können …)<br />

o Jesus aber dreht das um: er verkündigt eine schon vollzogene Vergebung<br />

o Gott vergibt bedingungslos – die Vergebung geht zeitlich und logisch der Umkehr<br />

voraus<br />

banal gesagt: wer etwas falsch gemacht hat wird zuerst einmal akzeptiert, es<br />

wird das Vertrauen geschenkt (Integration), annehmen wie man ist<br />

Akzeptanz des Menschen in seinem Versagen<br />

o Jesus wollte die Menschen an seiner eigenen Gotteserfahrung teilhaben lassen;<br />

überall wo Menschen bedingungslose Annahme erfahren, müsste sie zu Selbigem<br />

befähigt werden<br />

Zweck dessen ist, dass ich mich selber annehme wie ich bin<br />

o das ist ein Zusammenhang, von dem unsere Gegenwart nicht genug haben kann<br />

o wenn die Menschen sich also darauf einlassen so geschehen Wunder – ich wurde<br />

bedingungslos angenommen und im Erlebnis dessen findet eine Umkehr/Bekehrung<br />

statt<br />

das transkulturelle Verhältnis: man erwartet von Anderen sie sollen sich<br />

besser damit sie sich bessern; Jesus nimmt an damit es Konsequenzen hat<br />

1.3.2 zweiter Akt: Gericht als Selbstgericht<br />

- der moderne Mensch tut sich schwer mit Bedingungslosigkeit<br />

o wie schwierig es schon ist, sich von jemanden wirklich lieben zu lassen, so wie man<br />

ist<br />

o Opfer sind keine besseren Menschen wenn es darum geht, menschliches<br />

Zusammenleben zu gestalten; gerade auch weil ein Opfer ein Opfer ist, machen sie oft<br />

gleich spiegelbildlich ihre Täter nach („Revolution fängt an ihre Kinder zu fressen.“)<br />

o diese Tatsache lässt daran zweifeln, dass sie sich durch bedingungslose Liebe<br />

integrieren ließen<br />

o Und was ist mit den Jüngern? Petrus versagt schlimmer als Judas, denn Petrus hat tief<br />

verraten – wie schnell zerreißt diese Überzeugung über eigene Stärke, eigene<br />

Selbstgerechtigkeit<br />

o die Botschaft der zuvorkommenden Güte, die eine konkrete Gestalt vor Augen hat<br />

(Jesus von Nazaret), wird meistens erstmals abgelehnt<br />

- 6 -


Dogmatik I<br />

- die Botschaft von der bedingungslosen Anerkennung scheitert, und Jesus reagiert darauf mit<br />

der Gerichtspredigt<br />

o heißt das, wer nicht hören will muss fühlen?<br />

o Ablehnung provoziert gerne Hass – ist das das Modell, das man auf Gott überträgt?<br />

- „Apokalypse“ und „Hölle“ als Folge und Thema des zweiten Aktes<br />

- Jesus predigt das Gericht in der vom AT vorgezeigten Linie, nämlich das Gericht ist<br />

Selbstgericht<br />

o Gott richtet nicht, indem er mit Gewalt die Menschen erniedrigt und den Sünder<br />

zerstört, sondern Gott überlässt die lügnerische Menschheit der Folge ihrer eigenen<br />

Taten (das ist paulinische Rede)<br />

- Gerichtpredigt ist nicht eine solche eines beleidigten Predigers; es ist so etwas wie die<br />

Aufklärungsarbeit eines Therapeuten; Konfrontation mit dem Ausmaß der Verlorenheit<br />

o die Deutung der jesuanischen Predigt als Selbstgericht<br />

o das ethische Subjekt ist überfordert<br />

o man kann sich nicht selber befreien, wenn man nicht fähig ist sich lieben zu lassen,<br />

wird man zu Grunde gehen<br />

o die Ablehnung der zuvorkommenden Güte durch die selbstgerechte Menschheit<br />

(Universalität) der Ablehnung: da in jesuanischer Botschaft und seinem Leben sich<br />

der universale Heilswillen Gottes konkretisiert/verdichtet, steht diese konkrete<br />

Ablehnung für die Universalität der Exklusion Jesu<br />

da sich in jesuanischer Botschaft und in seinem Leben der universale<br />

Heilswille verdichtet, steht diese konkrete Ablehnung der jesuanischen<br />

Predigt symbolisch für die Universalität der Ablehnung; es gibt keinen unter<br />

den Menschen, der sich wirklich auf diese Botschaft eingelassen hätte<br />

Universalität der Exklusion: Jesus der von allen abgelehnt wird; auch da soll<br />

diese Redeweise davor warnen, dass sich einer über den anderen stellt und<br />

von sich sagt, dass er besser sei<br />

o wenn die Sünde als incurvatio des Menschen in sich selbst gedeutet wird (homo<br />

incurvatus), dann ist das Abbruch und Negation der Beziehung<br />

die sündige Situation heißt nichts anderes als zunehmende Zerstörung und<br />

Isolation des Menschen<br />

Vergleich des Sünders mit einer Faust: wer in Sünde verhaftet ist gleicht einer<br />

geballten Faust; er ist dazu verurteilt, sich selbst zu zerstören<br />

das sind Bilder, mit denen Apokalypse und Hölle arbeiten<br />

- Apokalypse heißt Inferno der Gewalt, Kultur der Zerstörung (Offenbarung der faktische<br />

Situation)<br />

o Apokalypse ist eine Botschaft über die faktische Verfasstheit einer lügnerischen<br />

und gewaltverfallenen Welt<br />

o wo ist der Ort der Apokalypse im christlichen Denken? Wenn man sich die<br />

synoptischen Evangelien vergegenwärtigt und die adventlichen Texte bedenkt (Tage,<br />

in denen sich ein Volk gegen das andere erhebt, wo Zerstörungsbilder geschildert<br />

werden), und diese Texte als apokalyptische Texte gedeutet werden (Katastrophen,<br />

Kriege), dann sind das Worte, die in jesuanischen Predigten auftauchen (hier im<br />

zweiten Akt); das sind keine Texte am Ende des Evangeliums<br />

o das Verfallen des Selbstgerichtes ist aber nicht das letzte Wort – der Ort der<br />

Apokalypse ist, das ist der zweite Akt, also inhaltlich vor dem Karfreitag und vor dem<br />

Kreuz<br />

o Inhalt: Predigt sagt gar nichts über Gott aus, denn Gott lässt die Zerstörung zu, die der<br />

Mensch selbst verantwortet; die Menschen die an Lüge und Gewalt verhaftet sind<br />

o Apokalypse ist also mit dem Selbstgericht in Verbindung zu bringen<br />

- Hölle: die Hölle (Sartre: die Hölle sind die Anderen) – diese so verdächtig glaubwürdige<br />

Formulierung schwimmt ein Schuss Selbstgerechtigkeit zurück; wenn ich mich dort finde,<br />

wurde ich quasi als Opfer hingebracht<br />

o Girard mit einer Korrektur dieses Diktums: jeder glaubt sich allein in der Hölle<br />

und das ist die Hölle;<br />

- 7 -


Dogmatik I<br />

o hat Gott die Hölle geschaffen? Nein, Hölle ist Folge des menschlichen Handelns; der<br />

in sich selbst versponnene Mensch, hoch überforderte Mensch, der jede Hilfe und die<br />

Beziehung ablehnt, dieser Mensch bewegt sich kerzengerade auf das zu, was Hölle ist<br />

- der ganze zweite Akt soll sensibilisieren, dass Ethik zwar sehr wichtig ist, aber alleine<br />

immer scheitert<br />

o „Der Weg zur Hölle ist mit den besten Vorsätzen gepflastert.“<br />

o weil der Mensch ein gebrechliches Wesen ist, weil er immer in einer konkreten<br />

Situation lebt, in der er von Lüge, Gewalt und Sünde infiziert ist, hilft auch das beste<br />

ethische System nicht, im Gegenteil, Revolutionen die scharf auf die Ethik setzten<br />

verwandeln sich unter der Hand in totalitäre Systeme (Terror der Tugend)<br />

o wer mit Gewalt das Böse vertreiben will ist ok, aber wo ist die Grenze?<br />

o wenn es den Mehrwert der Unersetzbarkeit eines jeden Menschen gibt, dann ist er im<br />

Umgang mit dem konkreten Sünder zu suchen<br />

- scheiternde Ethik? → Ethik als ein Programm, das der Mensch aus eigener Kraft realisieren<br />

müsste;<br />

o die moderne Diskussion, die ständig Ethik betont und auch die Kirche darauf<br />

reduzieren möchte<br />

o Ethik alleine ist aber zu wenig<br />

o der Mensch muss in eine Erfahrungswelt eingebettet werden<br />

o Ethik als Inbegriff von Geboten und Verboten – ich tue genau das Gegenteil von dem<br />

was ich mir vorgenommen habe und frage mich dann warum<br />

o natürlich muss die Kirche ethische Maßstäbe setzen, aber das ist wohl kaum das<br />

Ureigene der Kirche<br />

o das Problem, was sich bei Religionen stellt ist, was passiert, wenn Versagen passiert;<br />

- 1. Akt: bedingungslose Akzeptanz des Menschen; 2. Akt: Konfrontation angesichts der<br />

Ablehnung (Gerichtspredigt als Selbstgericht); demgemäß hieße es, Menschen die sich nicht<br />

lieben lassen, werden sich früher oder später selbst zerstören<br />

o der Mensch, der die Integration durch Gottes Liebe ablehnt wird sich selbst<br />

irgendwann destruieren<br />

1.3.3 dritter Akt: Transformation der Gerichtsbotschaft im<br />

Kreuzesgeschehen<br />

- die Menschen sind nicht übereinander hergefallen<br />

- auch der sich systematisch nicht lieben lassende Mensch wendet sich zuvor noch gewaltsam<br />

gegen deinen Dritten<br />

- das Kreuzesgeschehen – ist das Christentum identisch mit der Basileiabotschaft oder mit dem<br />

Kreuz? – beides ist im Christentum drin, weil es ein dramatisches Geschehen ist;<br />

o bedingungslose Annahme als der Zugang, Kreuz als die von Jesus selbst gelebte<br />

Bergpredigt<br />

- Karl Barth: „Der Richter wird gerichtet“; Ablehnung der Wahrzeit<br />

o die Menschen richten sich nicht gegenseitig, zuerst geht dem eine Zusammenrottung<br />

gegen einen Dritten voraus<br />

o das Kreuz ist von außen betrachtet nichts anderes als jeder beliebige<br />

Sündenbockakt<br />

o hier gegen ein Opfer, das die Botschaft vom Selbstgericht gepredigt hat<br />

o Was hat das aber mit Gott zu tun? Sind die Menschen Instrumente Gottes? Hat Gott<br />

Menschen erwählt damit sie Jesus kreuzigen? Handelt Gott in der Geschichte<br />

destruktiv?<br />

im Lichte der Akte 1 und 2 muss man „nein“ sagen, denn die Menschen sind<br />

keine Instrumente Gottes; es sind die Menschen, die Jesus ablehnen und ihn<br />

kreuzigen; es ist die Allianz von Gegnern und Feinden und Gleichgültigen;<br />

die Jünger die auch versagen; Jesus wird viktimisiert<br />

- 8 -


Dogmatik I<br />

o Jesus wird im Kreuz zum Opfer iSv victima, er wird zum Opfer gemacht – analog zu<br />

allen victimae in der Geschichte, denn Jesus ist an dieser Viktimisierung eigentlich<br />

unschuldig → äußere Seite des Kreuzes/der Viktimisierung<br />

etwas, das sich ständig und überall ereig<strong>net</strong><br />

- entscheidender Punkt: was ist nun die innere Seite? Der spezifische Inhalt der christlichen<br />

Botschaft? Die innere Seite des Kreuzes?<br />

o Polemik der Gegenwart: Kreuze als Symbole der Gewalt; insofern unterscheidet sich<br />

das Kreuz von außen nicht von anderen Viktimisierungen<br />

o Jesus aber lässt sich treffen, er lässt sich zum Opfer machen und als solches steht er<br />

dem Täter gegenüber, wie in jedem Viktimisierungsvorgang<br />

o was sich aber in seinem Sterben ereig<strong>net</strong>, ist schwer rekonstruierbar: Verwandlung<br />

der Viktimisierung ins Sacrifitium<br />

es gab Menschen, die Folter seelisch unbeschadet überstanden<br />

was der Henker von seinem Opfer will: er will es nicht nur malträtieren, er<br />

will das Opfer qua Opfer total kontrollieren; radikale (Neu)Bestimmung<br />

lässt sich das Opfer darauf ein, so hat der Henker sein Ziel erreicht; zB durch<br />

den Hass, denn auch der Hass ist Kommunikation; es entsteht dann ein<br />

sadomasochistischer Kreis, der nicht mehr durchbrochen werden kann; ein<br />

Kreis in dem auch Rollentausch vorkommt, denn Opfer wird spiegelbildlich<br />

dem Henker in seinem Hass identisch<br />

aber es gibt Opfer, die keine Sekunde mit dem Henker kommunizierten, sie<br />

kommunizierten vielmehr mit dem lebendigen Gott; es gibt ein radikales sich-<br />

Entziehen;<br />

o auf diesem Hintergrund lässt sich das Kreuzesgeschehen von der inneren Seite her<br />

erklären; Jesus ist genauso victima wie es jeder andere Mensch auch ist<br />

o Jesus entzieht sich aber den Tätern, weil er sich als Person, getragen von Gott, dem<br />

Vater hingibt → die Hingabe geht nicht an den Täter, sondern an die lebendige<br />

Gestalt des Vaters<br />

über den Vater bittet er: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie<br />

tun.“; das heißt nicht „ich vergebe dir“, sondern es geht über den Vater<br />

→ solange man den Täter hasst lässt man sich von ihm kontrollieren<br />

Opfer ist kein Identitätsmerkmal; Opfersein ist vergleichbar mit einem<br />

Parasitentum: es lebt an einem und zerstört letzten Endes<br />

in der Gegenwart eine verfängliche Tendenz der Verherrlichung der Opfer<br />

o eigentlich gibt es keinen anderen Weg aus der Opferrolle, außer durch die<br />

Vergebung, aber eben nie direkte Konfrontation<br />

o Christus lässt sich also treffen, als victima steht der den Tätern gegenüber, er entzieht<br />

sich aber denen; wir sprechen vom Opfer als sacrifitium<br />

oft wird die Sakrifizierung in der Kommunikation zwischen Opfer und Täter<br />

gesehen, das ist aber Perversion<br />

- der unersetzbare Wert des Christentums im dritten Akt heißt, dass Opfer nicht sein muss,<br />

freiwillige Viktimisierung nein; aber was ist mit schon vorhandener Viktimisierung?<br />

o wenn Opfer da sind, welche Möglichkeiten haben wir, mit diesem Dasein fertig zu<br />

werden? – Anklagen, Selbstanklage, aber das reicht nicht weit, es gibt nichts, was mir<br />

die verlorene Integrität zurückgeben könnte<br />

o es gibt keinen anderen Weg als den, dass auf krummen Zeilen immer noch gerade<br />

geschrieben werden kann<br />

o Viktimisierung ist eine krumme Zeile; die Hoffnung darauf gerade schreiben zu<br />

können rechtfertigt die Viktimisierung nicht<br />

o → aus der Kraft der Hingabe kann Jesus den Vater um Verzeihung für die Täter<br />

bitten, und zwar weil (was heißt „sie wissen nicht was sie tun“): Jesus als victima<br />

sieht in den Tätern nicht die Henker (was sie auch in ihrem Handeln ihm gegenüber<br />

sind), sondern er sieht in den Tätern auch Opfer: als Opfer sieht er in ihnen letzten<br />

Endes wieder Opfer; Opfer ihrer Tat, Opfer ihrer Umgebung, Opfer ihrer<br />

Lebensgeschichte<br />

- 9 -


Dogmatik I<br />

weil es letzten Endes auch nur victimae sind, wissen sie nicht, was sie tun; sie<br />

„können“ nicht anders handeln<br />

o das ist, was man „Transformation“ nennen kann, Verwandlung der Opferrolle;<br />

eine Verwandlung, die nicht jene Prozesse ersetzt, für die die Gerichtsbarkeit<br />

zuständig ist;<br />

- das ist theologisch wichtig, weil dadurch im Kreuzesgeschehen die apokalyptische Klarheit<br />

von Täter und Opfer stückweise aufgebrochen wird; apokalyptische Klarheit (vgl. Mt 25,<br />

Weltgerichtsgleichnis; die Guten und die bösen) heißt: diese Klarheit fängt an zu wackeln,<br />

schon aufgrund des Ortes wo in der Bibel davon berichtet wird (nicht am Ende des<br />

Evangeliums, sondern es steht unmittelbar vor der Kreuzigung);<br />

o die Folge des Kreuzes für dieses Gleichnis: die Menschen haben sich gegen Jesus<br />

gerichtet, und er hat ihnen über den Vater Vergebung zugesprochen und sah in ihnen<br />

letzten Endes die Opfer ihrer Taten<br />

o Fazit: im Lichte des Kreuzesgeschehen würde es heißen: als Gegner Christi stehe<br />

ich immer im Bereich der für die Täter da steht (ich bin der Bock); sofern sich<br />

Christus mit mir identifiziert (über den Vater), bin ich im Bereich seiner erlösenden<br />

Kraft<br />

christlich gesprochen geht die Trennung zwischen den Böcken und den<br />

Schafen nicht zwischen zwei Lagern, sondern durch den Menschen hindurch<br />

(man ist Gegner Christi [eigener Wille, bedingungsloses Liebenlassen,<br />

Abschieben von Schuld])<br />

- so gesehen ist das Kreuzesgeschehen nicht etwas anderes als der erste Akt, sondern eine<br />

konsequente Fortschreibung desselben durch Jesus selber<br />

o Karfreitag, Karsamstag, Osternacht: ist nicht ein beliebiges Wochenende und ein<br />

beliebiger Feiertag, sondern es steht für Christen als das Fest, das die tiefste Weisheit<br />

über das menschliche Leben andeutet, nämlich es gibt im Leben nie eine Situation, in<br />

der in sich selbst verkrümmte Mensch, hoffnungslos ist; und zwar deswegen, weil<br />

Christus selbst all das transformiert hat, und deshalb betrachten die Christen unerlöste<br />

Situationen mit österlichen Augen: das nimmt den faktischen Viktimisierungen nicht<br />

den Schmerz, aber trotzdem, die Christen erstarren nicht vor der Viktimisierung und<br />

versuchen sie zu bewältigen indem sie neue victimae schaffen, sondern indem sie<br />

immer wieder neu die Sprache von Versöhnung üben<br />

- Christus als Opfer identifiziert sich bedingungslos mit mir sofern ich Opfer bin und<br />

handelt auch an meiner Stelle, selbst dort, wo ich nicht mehr handeln kann<br />

o er stiftet dort Versöhnung, wo ich dazu nicht bereit bin<br />

o dadurch werden die festgefahrenen Fronten aufgebrochen<br />

- das Kreuzesgeschehen ist nicht etwas das zusätzlich zur Basileiabotschaft kommt, es ist die<br />

konsequente Folge der Basileiabotschaft, gelebt und durchgelitten durch Jesus; Jesus und<br />

seine Hingabe sind Verwirklichung der Bergpredigt in der Geschichte<br />

- der Wert der Kirche ist in ihrer Glaubenslogik zu suchen; dh die Kirche sprengt die<br />

Banalität von Aufstieg und Fall, weil sie dieser Banalitäten einen tieferen Sinn verleiht,<br />

indem sie die Passion des menschgewordenen Gottes feiert und diesen Gott auf der Kreuzung<br />

beider Sackgassen verkündet<br />

o dadurch verwandelt sie das in das lebensspendende Kreuz<br />

o wir glauben, dass der menschgewordene Gott (und das ist Inhalt der ersten beiden<br />

Akte) sowohl im Aufstieg wie auch im Fall mit den Menschen verbunden bleibt –<br />

Menschwerdung Gottes als Infragestellung der Einsamkeit des Menschen<br />

o im christlichen Glauben ist niemand eine einsame Insel, ja kann niemand so eine sein<br />

– wir leben von Relation<br />

o momentan erliegt unsere Kultur einem Irrtum: man meint die Lebenskraft aus dem<br />

eigenen Aufstieg, dem der Kinder, dem der Stars, … schöpfen zu können; kein<br />

Mensch vermag sein Leben lang den Sinn des Lebens aus der Kraft der Träume und<br />

Skandale zu gewinnen<br />

- 10 -


Dogmatik I<br />

o christlich gesprochen: der Sinn des Lebens liegt darin, und das ist der tiefere Sinn<br />

des Glaubens, zu glauben, dass der lebendige Gott mit mir den Weg des Aufstiegs und<br />

des Falls geht → bedingungslose Zuwendung Gottes<br />

1.3.4 vierter Akt: österliches Urteil des Vaters<br />

- ist Ostern nur eine Wiederbelebung? Offenes Grab? → es ist Wiederaufnahme von<br />

Beziehungen<br />

- Ostern als Urteil im Unterschied zu menschlichen Urteil zugunsten des Sohnes<br />

- verständlich auf Hintergrund des Gleichnisses vom Weinbergbesitzer – nicht so handelte der<br />

himmlische Vater am Ostermorgen<br />

o er sandte den Auferweckten zu denen die versagten mit einem Friedensgruß<br />

o normalerweise sind die Urteile des Opfers immer ident mit einem Urteil zu Ungunsten<br />

der Täter<br />

o hier aber bricht diese Logik: das Opfer wird auferweckt, dem Opfer wird<br />

Gerechtigkeit zuteil, aber auch den Tätern, denen die versagten, wird ihr Recht zuteil,<br />

und zwar in einem Geschehen der Vergebung und der Friedensstiftung<br />

o die Folge davon ist das, was man Schuldfähigkeit des Menschen nennen kann; weil<br />

ich die Schuldvergebung durch das Friedensangebot erfahre oder weil ich mich in der<br />

Dimension des Tätersein angenommen fühle bin ich fähig einzusehen, dass ich Schuld<br />

auf mich geladen habe<br />

o es findet eine systematische Erklärung und Schuldabschiebung statt – weil in einem<br />

Kontext von Aufstieg und Fall Schuldannahme automatisch empfunden wird als etwas<br />

Katastrophales; schuldfähig zu sein vermag nur jener, der sich bewusst ist, dass ihm<br />

Schuld vergeben wird, dass Schuldurteil nicht Auslöschung der Identität ist<br />

o → Bild von El Greco, die Tränen Petri; Petrus lebt in der Dimension des Versagens<br />

(er war unter den Jüngern wohl der größte Versager; er versagte sogar in gewisser<br />

Weise schlimmer als Judas, denn der hat sich nicht eingebildet etwas anderes zu tun,<br />

Petrus dachte das schon, aber er ist der erste der die Treue bricht); auf diesem Bild<br />

schaut er in eine hellere Sphäre, schaut in ein Licht mit österlichen Augen, er sieht mit<br />

seinen Augen das offene Grab, von dem Maria von Magdala am Ostermorgen<br />

weggeht, er sieht die Auferweckung und nimmt sie gewissermaßen vorweg; bei Lk<br />

steht „da schaute Jesus Petrus an“ – was sah Petrus dort? Vorwurf? Spott?<br />

Enttäuschung? Frustration? – all das wären die menschlichen Reaktionen;<br />

zurückgeblendet auf den 1. Akt sah er wohl bedingungslose Annahme (Frieden sei mit<br />

dir), nicht von oben herab; Petrus kann zu seiner Schuld stehen („Er ging und weinte“<br />

– o felix culpa);<br />

- anstatt Selbstdestruktion (besteht auch in der Verdrängung der Schuld; Verhärtung) und<br />

Fremddestruktion (Sündenbockmechanismus) wird die Schuld und das Fragmentarische<br />

angenommen und in die eigene Biographie integriert<br />

o die Kirche entsteht aus der Erfahrung der Schuldvergebung, dh aus der Befähigung<br />

zur Annahme seines eigenes Versagens<br />

o Papst Johannes Paul II. veranstaltete im Jahre 2000 einen Bußgottesdienst; faktisch ist<br />

dieser Gottesdienst eine einzelne Schwalbe gewesen (welche ja bekanntlich keinen<br />

Sommer macht)<br />

- die österliche Schuldvergebung als Punkt, wo der Christ zum Christ wird; aufgrund der<br />

Erfahrung von Ostern wird sich der Christ niemals über sich selbst skandalisieren, dh<br />

bestimmte Dimensionen der Biographie nicht wahrhaben wollen, man erschreckt vor sich<br />

selber<br />

o der Mensch, der in seinem Versagen von Gott angenommen wird, kann sein Versagen<br />

zu einem Teil seiner Biographie machen und damit leben<br />

o die Gestalt des im Guten Verhärteten braucht keine Vergebung, vergibt aber auch die<br />

anderen nicht, jener aber der vergibt wird barmherzig<br />

o auf diesem Hintergrund wäre nachzudenken was es heißt getauft zu sein zur<br />

Vergebung der Sünden und zum Mitsterben und Mitauferstehen in Christus<br />

- 11 -


Dogmatik I<br />

- Ostern ist damit nichts anderes als Bestätigung des 1. Aktes: der menschgewordene Sohn<br />

Gottes, der Feindesliebe glaubwürdig lebt, sogar durch den Tod hindurch (nicht Divinisierung,<br />

dh Jesus, ein normaler Mensch der durch ethische Vollkommenheit quasi zu Gott wird); und<br />

die inkarnatorische Logik ist somit Befreiung vom ethischen Stress alles selber machen zu<br />

müssen (übersetzte man das in die Divinisierung: Jesus der zu einem übermenschlichen Status<br />

kommt, verwandelt man das Christentum zu einem ethischen und spirituellen Terror)<br />

- Ostern stellt auch die erlösende Antwort auf Apokalypse und Hölle<br />

o das altkirchliche Bekenntnis, Christus ist zur Hölle abgestiegen und hat deren Pforten<br />

gesprengt<br />

er sprengt die Hölle der Isolation aber einfach dadurch, indem er da ist<br />

man kann den homo incurvatus mit Gewalt nicht befreien, nur zerstören<br />

das ganze Drama setzt hier an: Jesus versucht mit bedingungsloser Annahme<br />

einer geballten Faust zu begegnen, aber er wird erschlagen<br />

es gibt nur einen Weg wie man die geballte Faust öffnen kann: die Faust eines<br />

anderen in die eigene Hand nehmen und die eigene Hand darunter legen und<br />

nichts tun; nach einer gewissen Zeit wird der Mensch die Faust zwangsläufig<br />

öffnen (physiologisch: Nerven erschlaffen irgendwann)<br />

mit diesem Bild kann man viel von den fünf Akten wahrnehmen<br />

o was es bedeutet tiefer zu fallen als je ein Mensch: in seinem Kreuz fällt er eine Stufe<br />

tiefer als ein Mensch je in seinem Leben fällt und hält mich dort, er bekehrt mich nicht<br />

mit Gewalt, er ist einfach da (nicht einfach so, er ist haltend da)<br />

o Antwort auf die Hölle: Auferweckung<br />

o Christus steigt in die tiefste Gottlosigkeit und Kommunikationslosigkeit, ist eine<br />

Stufe drunter und hält den isolierten Menschen eine Ewigkeit lang<br />

der tiefste Sinn des Kreuzes ist jene Dimension, es geht um das letzte<br />

Geheimnis des Menschen in seiner Spaltung in Täter und Opfer; die<br />

Versuchung ist, sich in seinem Opfersein zu verschließen, und zum Täter zu<br />

werden der nur noch verletzen kann<br />

o das christliche Erlösungsverständnis: in diese Tiefen steigt Gott hinab um diese<br />

Sackgassen zu sprengen; nicht wie ein deus ex machina; Sprengung der Hölle und<br />

dort Stiftung von Kommunikation<br />

o Antwort auf Apokalypse: selbst die größte Selbstzerstörung kann eingebettet werden<br />

in das Handeln das Christus am Kreuz tat, indem er sich dem Spiel entzog<br />

1.3.5 fünfter Akt: die Erfahrung des Hl. Geistes<br />

- systematischer Mehrwert: Geist heißt Anwalt; der Geist Christi ist der Anwalt, der Anwalt<br />

der Wahrheit, des Mitleides und der Opfer<br />

o jene personale Beziehung die Gott zu mir aufnimmt um mich in meiner<br />

Opferdimension ausdrücklich anzusprechen und mich daraus herauszuführen<br />

o der Geist ist gleichzeitig der Modus der Anwesenheit des Dramas post resurrectum;<br />

Gott wirkt in uns Menschen durch seinen Heiligen Geist<br />

- im Geist geschieht: das Drama wird ausgeweitet aus der engen Dimension des erwählten<br />

Volkes Israels bis an die Grenzen der Erde, wobei diese Ausweitung die gleichen Aspekte<br />

kennt die wir im Drama hatten (guter Wille, Bemühung, Versagen, Verrat); diese Ausweitung<br />

geschieht auch in der Perspektive der Perversion des ganzen Dramas (Offb: die Kirchen sind<br />

lau)<br />

- Martyrium als zugespitzte Haltung des sacrifitiums in einer pervertierten Welt der Lüge und<br />

Gewalt<br />

- 12 -


Dogmatik I<br />

1.3.6 Zusammenfassung der Bedeutung der Akte 1<br />

„Die fünf Akte sind mehr als ein historisches Drama. Sie umschreiben die grundsätzlichen<br />

Dimensionen des Heilswirken Gottes, das sich auf offene oder verborgene Weise in allen<br />

Menschen vollzieht. Der Vater Jesu Christi ist von seinem tiefsten Wesen her ein Gott der<br />

Feindesliebe und der Gewaltfreiheit, der seinen Feinden nie mit Zorn begeg<strong>net</strong>, sondern um<br />

sie wirbt, wie vor allem die Basileia-Botschaft Jesu und Ostern zeigen. Dennoch verliert das<br />

Gericht nichts von seiner Strenge. Niemand darf sich selbstgerecht über jene Menschen<br />

erheben, die Jesus abgelehnt haben. Seine Verwerfung macht deshalb deutlich, wie sehr alle<br />

Menschen dazu neigen, sich in eine Welt des Bösen einzuschließen, eine Welt, die immer<br />

gottferner wird und zur Hölle tendiert. Gerade von dieser gewalttätigen Menschheit hat sich<br />

Jesus aber freiwillig treffen lassen und sich mit seinen Gegnern, insofern sie selber Opfer des<br />

Bösen sind, identifiziert. Er will folglich allen, die bereits auf dem Weg der Verlorenheit sind,<br />

nochmals ganz nahe kommen und um das Herz jener, die einem machtvollen Gott Widerstand<br />

leisten, in der Gestalt eigener Schwäche und Ohnmacht werben. Durch seinen Tod will er den<br />

vom Verderben Bedrohten nochmals einen Weg zum Heil öffnen. Dieses kann auf Erden<br />

beginnen - in der Versöhnung der Menschen mit Gott und untereinander dank des<br />

Pfingstgeistes. Es bleibt hier aber Stückwerk, weil es immer wider auf den Widerstand der<br />

massiven Mächte der Lüge und Gewalt stößt. Zum vollen Heil bedarf es deshalb einer neuen<br />

Schöpfung durch Tod und Auferweckung. Real-symbolisch wird das endgültige Heil dennoch<br />

bereits hier auf Erden gegenwärtig, nämlich in den liturgischen Feiern der Kirche und vor<br />

allem in der Eucharistie, wenn die betende Gemeinde sich der vergangenen Heilsereignisse in<br />

Jesus Christus erinnert und um deren Vergegenwärtigung im Hl. Geist bittet.“<br />

1.4 christologisches Drama als Verdichtung des biblischen<br />

Ringens um Heil und Wahrheit<br />

- es gibt einen letzten Horizont für die gesamte Menschheit<br />

o die Geschichte ist nicht nur eine Ansammlung von Partikulargeschichten<br />

o ein allerletzter normativer Horizont für alle – das ist der universale Heilswille Gottes<br />

o dieser Horizont wird aber partikulär vermittelt<br />

o Universalität und Partikularität in einem Atemzug<br />

o geschichtlich partikulär vermittelt erst durch ein Volk, dann durch eine Person<br />

1.4.1 Struktur der dramatischen Geschichte zwischen Jhwh und seinem<br />

Volk<br />

- „persona“ ist im Altlateinischen jene Maske, die ein Schauspieler aufsetzte um eine Rolle zu<br />

spielen<br />

o die späteren Rabbiner haben von der „Schechina“ gesprochen, die Gestalt Gottes<br />

- diese biblische Geschichte ist nichts anderes als das Drama: er nimmt Gestalt an, erwählt<br />

Menschen und Gruppen, vergewissert sie der Heilszusage, er bindet sich an das Volk damit<br />

dieses Volk für andere zum Segen wird<br />

o Reaktion darauf: Versagen, Abfall und Katastrophe; die ganze Hl. Schrift ist<br />

geprägt von vielen Schriften des Versagens<br />

und das ist Eigenart der Bibel: die heiligen Schriften anderer Religionen<br />

blenden diesen Aspekt entweder aus oder unterstellen es Anderen<br />

es ist Sondergut bzw. Qualitätszeichen des AT, dass die Propheten auch das<br />

eigene Volk anmahnen<br />

o echte Prophetie ist Mahnen des eigenen Versagens<br />

1 siehe hierzu: S 4, Zusammenfassung der Bedeutung der Akte durch Raymund Schwager<br />

- 13 -


Dogmatik I<br />

o Gott wendet sich nicht ab, nein, er bindet sich an das Volk, und das durch das<br />

Versagen hindurch<br />

deswegen ist das Bild der Hurerei (hat mit Sexualität zunächst nichts zu tun)<br />

öfters anzutreffen<br />

auch das Bild des Propheten der deine Hure heiraten muss<br />

o Gott nimmt also Gestalt an<br />

man kann die Gestaltwerdung Gottes erzählen, man kann bei Abraham<br />

anfangen und irgendwo bei den letzten Propheten aufhören – Geschichten der<br />

Gestaltwerdung Gottes mitten unter Menschen<br />

o aber auch Idolatrie der Menschen (Götzendienst, Abfall, Untreue); Menschen<br />

wurden erwählt um für andere da zu sein, sie interpretieren das aber als Selbstprivileg<br />

Gottes Reaktion: biblische Gerichtspredigt, die aber nichts anderes ist als<br />

Offenbarung des Selbstgerichtes (man selber erleidet die Folgen dessen was<br />

man tat); durch das Gericht hindurch sich immer stärker abzeichnende<br />

Identifizierung Gottes mit dem Volk<br />

Grundnerv der atl Geschichte: Gott wendet sich nicht vom Volk ab iSv<br />

vergessen sondern identifiziert sich noch stärker mit dem idolatrischen Volk,<br />

bis hin zur Menschwerdung<br />

- → das Drama Jesu ist im Grunde eine Anwendung dieses Geschehens auf eine Person<br />

1.4.2 Heils- und Wahrheitsfrage<br />

- sind Heil und Wahrheit identisch?<br />

o die moderne Konsumkultur neigt tatsächlich dazu Wahrheit mit dem zu assoziieren,<br />

was theologisch „Heil“ ist<br />

o wir wissen aber im Rückblick, dass es Erfahrungen gab, die vordergründig<br />

Heilserfahrungen waren, im nachhinein aber Unheilserfahrungen geworden sind<br />

- wir neigen dazu, unmittelbar Guttuendes mit Heil zu identifizieren<br />

- aus der biblischen Geschichte kann man lernen, dass Heil und Wahrheit auch weit<br />

auseinander geraten können<br />

o man nennt diese Logik polytheistische Struktur<br />

o auf weiten Strecken hat die atl Geschichte durchaus eine polytheistische Strukur; eine<br />

die nahelegt, dass Gott sich fast synkretistisch mit den Bedürfnissen des Menschen<br />

verbindet<br />

o die Tatsache, dass der atl Kanon mit den Geschichten der Patriarchen beginnt ist eine<br />

tiefe Weisheit – Gott offenbart sich als einer, der sich ganz konkret an ganz konkrete<br />

Menschen richtet und ihnen hilft<br />

o abstrakt: Bedürfnis nach Heil fast synkretistisch gedacht<br />

- 1. Akt: Identifizierung von Heil und Wahrheit<br />

- 2. Akt: Transformation dieses Zugangs in Individualgeschichten, ganz groß im Exil<br />

(Gefühl, Heil und Wahrheit treten radikal auseinander)<br />

o was bisher als Heil erfahren wurde, wird als Lüge sichtbar, und deshalb<br />

Auseinandersetzung nach den wahren Propheten<br />

o es tritt das Ganze auseinander<br />

o Folge dieses Auseinandertretens: nicht eine Abstraktion (dh zuerst glaubte man,<br />

Besitz des Landes = Heil; jetzt ging das Land verloren; in der Bibel geht man durch<br />

die schmerzhaften Erfahrungen hindurch und findet zu ganz konkreten neuen Bildern<br />

[Themen Land, Nachkommenschaft, werden transformiert wiederaufgenommen])<br />

o pluralistische Theologie der Religionen: geht davon aus: weil wir begrenzte<br />

Erfahrungsmöglichkeiten haben und Gott eine universale Wirklichkeit ist, müssen wir<br />

von unseren begrenzten Erfahrungen immer weiter zurück abstrahieren zu Begriffen,<br />

die keine Anschauungen mehr haben – philosophisch legitim, theologisch<br />

problematisch, weil das ergibt eine Gottesvorstellung, die für eine Frömmigkeit nichts<br />

mehr hergibt<br />

o biblisch wird die Konkretheit der Erfahrung wahrgenommen<br />

- 14 -


Dogmatik I<br />

- das letzte Bild der atl Botschaft: wenn dem letzten glimmenden Docht Gerechtigkeit<br />

widerfahren wird, dann sind Heil und Wahrheit identisch<br />

o wenn Heil nicht auf Kosten von Dritten oder Opfern geschieht, wenn partikulare<br />

Interessen nicht auf Kosten eines anderen erfüllt werden, erst dann sind Heil und<br />

Wahrheit identisch<br />

o nicht der abstrakte Begriff steht am Ende der prophetischen Büchern, sondern eine<br />

Vision universaler Gerechtigkeit: Völkerwallfahrt, Festmahl am Zion, Tränen<br />

werden getrock<strong>net</strong> … → es gibt niemanden mehr der leidet, der den Preis zahlen muss<br />

o diese Bilder sind von der eschatologischen Logik her geprägt (vgl. auch Dogmatik III)<br />

- erst bei Deuterojesaja eigentlicher Monotheismus: es gibt einen einzigen Gott für die<br />

gesamte Menschheit; diesen einen Gott gibt es nur, wenn die Menschen zur Proexistenz fähig<br />

sind, wenn sie also für andere da sind<br />

- der Weg der Menschenrechte – was ist das?<br />

o Weg des Anspruchs? – das ist Weg des Bürgertums<br />

o als Weg des Evangeliums heißt, eben denjenigen, denen die Rechte vorgehalten<br />

werden (geknicktes Rohr, glimmender Docht), ihnen zum Recht zu verhelfen<br />

- ∑: Identität von Heil und Wahrheit? → der universale Heilswille Gottes als letzter<br />

normativer Rahmen für die Menschheit<br />

o hat mit universaler Gerechtigkeit zu tun<br />

o ist nur durch Proexistenz möglich (nicht einklagen „meiner“ Rechte [führt zu<br />

Spaltung])<br />

o dächten alle so, löste sich das ganze Rätsel auf<br />

o fällt zusammen in der Idee von Himmel<br />

o wichtig ist die Grundstruktur:<br />

1) Gott identifiziert sich<br />

2) Menschen versagen<br />

3) Gott identifiziert sich stärker bis hin zur Menschwerdung – das ist das ntl<br />

Bekenntnis<br />

1.4.3 Verhältnis von AT zu NT<br />

- in Christus verdichtet sich diese Geschichte Gottes mit Israel<br />

o man kann auch von Gestaltwerdung Gottes in Jesus von Nazaret sprechen<br />

o aber nicht nach dem Prinzip einer Partikularität oder Pluralität (quasi als „Teil<br />

Gottes“)<br />

Offenbarungsreligion erhebt keinen abstrakten Wahrheitsbegriff<br />

AT erzählt Geschichten, das kann plural verstanden werden (jeder erkennt<br />

einen Teil, und das widersprüchlichst)<br />

in der prophetischen Botschaft (vom christlichen Selbstverständnis her) wird<br />

etwas angedeutet, wo verschiedene Perspektiven zusammenkommen<br />

nicht von einer Perspektive dass man von einer Leiter nach unten blickte, in<br />

seiner ganz konkreten Leidenserfahrung erschreibt Deuterojesaja über seine<br />

Erfahrungen darüber, wann diese Geschichten eine einzige werden, und zwar<br />

wenn für alle ein Gott da sein wird (einer und einziger Gott) und wenn<br />

Proexistenz möglich ist<br />

o viele widersprüchliche Erfahrungen mit einem Gott verdichtet zu einer Person<br />

- was ist dann mit der Geschichte mit Israel?<br />

o viele Ansichten ja, nach dem Schema Verheißung-Erfüllung (AT-NT), und mit<br />

Erfüllung ist die Verheißung obsolet<br />

dieses Denkmodell ist eine Anmaßung<br />

die Bundesgeschichte ist dem Zeugnis des NT nach nicht außer Kraft gesetzt:<br />

Jesus selber ist Jude – man kann ihn nicht begreifen, wenn man ihn<br />

aus seinem jüdischen Kontext herausnimmt<br />

er nimmt uns also gem. Lk 2,32 („Ein Licht das die Heiden erleuchtet<br />

und Herrlichkeit für dein Volk Israel“)<br />

- 15 -


Dogmatik I<br />

die Christen sind gem. Röm 11 aufgepfropfte Zweige auf den<br />

erwählten Ölbaum<br />

man kann das AT in Bezug auf Christus interpretieren (unter dem Stichwort<br />

„Verdichtung“)<br />

- NT verdichtet die Logik des AT, es verdichtet sie und wendet sie auf die konkrete Person<br />

Jesus von Nazaret an; Verdichtung der Gestalt- und Menschwerdung Gottes<br />

1.4.4 Verhältnis von Monotheismus und Trinitätslehre<br />

- die Dynamik der biblischen Offenbarung (Gestaltwerdung Gottes in unterschiedlichen<br />

Situationen, die quasipolitheistische Struktur, die sich immer deutlicher abzeichnende<br />

Identifizierung Gottes mit den Menschen) macht das trinitarische Modell möglich<br />

- der Weg der Dogmatisierung ist nicht eine Verfälschung der biblischen Tradition, sondern<br />

dieser Weg bleibt der heilsgeschichtlichen Logik verpflichtet<br />

- der universale Heilswille des einen Gottes wird in der Geschichte konkret vermittelt durch<br />

das Volk Israel oder durch die Person Jesus Christus, durch seine Person und sein Geschick,<br />

und zu seinem Geschick gehören auch die Menschen, die mit ihm leben, ihn umbringen und<br />

durch ihn versöhnt werden (Gestalt des totus Christus, und das ist im Grunde Kirche)<br />

- das Heil wird Wirklichkeit indem sich Gott mit diesen Menschen immer wieder konkret<br />

verbindet, va aber durch Christus selber<br />

- das Bekenntnis zu Jesus impliziert die Vision aller Völker beim messianischen Mahl, auch<br />

die Integration der Toten<br />

o fünf Akte (3. und 4.) – Jesus steigt bis in die Hölle hinab – es gibt niemanden, den die<br />

christologische Vermittlung nicht anrühren würde<br />

o die Christen, und nur Christen, können bekennen: Gott ist die Liebe<br />

ein Jude wird aufgrund des AT sagen können, dass Gott sein Volk liebt, und<br />

deswegen kann er immer wieder Gestalt in diesem Volk annehmen<br />

Christentum geht weiter: Gott selber ist die Liebe, dh Gott ist eine Vielfalt,<br />

und eine diese Personen steigt herab<br />

Fangfrage: banalste Formel von Trinitätsbekenntnis: augustinisch und nach<br />

1 Joh: „Gott ist die Liebe“; Liebe setzt Pluralität voraus; in Gott selbst spielt<br />

sich das Geschehen der Liebe ab<br />

1.4.5 Substitutionsthese – illegitime Auflösung des dramatischen<br />

Ringens zu einer statischen Klarheit<br />

- bisher reden wir ständig von einem Prozess; wir sind unterwegs zur Erkenntnis, dass Gott für<br />

alle die Liebe ist<br />

- das gibt es nicht in statischer Klarheit, sondern immer wieder neu, äußerst mühsam<br />

- schon die erste Generation der Christen hat das Ringen aufgelöst mit dem Stichwort<br />

„Substitution“, was „Ersetzung“ heißt<br />

- die dramatische Logik des AT: Erwählung, Versagen, Selbstgericht, noch stärkere<br />

Identifizierung Gottes als Grundmovens des AT angewendet auf das NT; diese dramatische<br />

Logik wurde aufgelöst zu einem statischen Gebilde:<br />

o durch das Kreuz Christi wurde das dramatische Ringen beendet<br />

o das Versagen, Götzendienst, Idolatrie, sei Privileg des Judentums, der Synagoge<br />

o Erwählung, Gnade, sei das Privileg des Christentums und der Kirche<br />

- Substitution heißt, Christentum ersetzt Judentum (Kirche ersetzt Synagoge) in der<br />

Heilsgeschichte<br />

o Augustinus: Juden sind Zeugen ihrer Bosheit und unserer Wahrheit<br />

das ist Sündenbockmechanismus: das ist Selbstgerechtigkeit, Scheinheiligkeit;<br />

dh ein Versuch besser da zu stehen als ich bin, und das durch so schlechte<br />

Darstellung des Anderen, dass meine Fragmentarität nicht mehr sichtbar ist<br />

→ Logik der Negativfolie; das Gericht nur bei den anderen deutlich werden<br />

lassen<br />

- 16 -


Dogmatik I<br />

- die zweite Generation der Kirchenväter erliegt dieser Versuchung, indem sie die biblische<br />

Spannung auflösen und eine Negativfolie postulieren, Juden und nur Juden sind der Inbegriff<br />

der Abkehr von Gott (pervers, sündhaft, …) – wir und nur wir sind heilig<br />

o weil Juden vom Glauben Abrahams abgefallen sind gilt der Synagoge nur das Gericht,<br />

die Erlösung des Kreuzes ist höchstens im Strafmodus greifbar<br />

o Bild des lebenden Kreuzes: Christus selber am Kreuz, darunter zwei Gestalten (eine<br />

auf dem Esel, eine andere auf noblen Tieren [Symbol für Evangelisten]): Interessant<br />

ist, dass aus der Hand Jesu ein Schwert wächst, und mit diesem wird die Krone der<br />

Synagoge heruntergeschlagen (zusammen mit verbundenen Augen), der anderen Seite<br />

wird die Krone aufgesetzt (es gibt auch die Darstellung, da die Synagoge getötet wird)<br />

- diese Erfahrung der Negativfolie, die die Kirche immer wieder neu gelebt hat, die Sünde bei<br />

einem Anderen wahrzunehmen, an einem anderen anzuprangern und sich selbst dadurch in die<br />

Gnadenposition zu positionieren wurde in Vatikanum II radikal verändert<br />

o Substitution wurde radikal verworfen<br />

o das dramatische Ringen um Heil und Wahrheit darf nicht aufgelöst werden<br />

- die Logik der Selbstgerechtigkeit, die durch Verlagerung der Aufmerksamkeit auf Versagen<br />

von Anderen automatisch als gegeben erscheint<br />

- demgegenüber die Botschaft der Propheten: sie beschuldigten nicht die fremden Völker,<br />

sondern sie sagen klar, dass das Volk selber versagt hat<br />

2 dogmengeschichtliche Präzisierung des<br />

christologischen Dramas in der jeweiligen Gegenwart<br />

- wie kann Universalismus geschichtlich partikulär verständlich gemacht werden<br />

o natürlich auf dem Weg der Usurpation, der Eroberung – wenn ich genug Gewalt<br />

habe, kann ich das durchsetzten<br />

o das biblische Muster aber heißt Erwählung; Gott erwählt konkret, damit sich diese<br />

Gestalt im Modus der Proexistenz anderen Gestalten nähert<br />

o die meisten Menschen reagieren mit Versagen (Idolatrie)<br />

o Gott bewirkt dann das Heil aller, indem er Mensch wird, und deshalb kann er<br />

unmittelbar die menschliche Geschichte verändern<br />

2.1 das Ringen um Wahrheit des einen Gottes<br />

- Vielfalt der Widersprüchlichkeit:<br />

o der Erfahrungen mit Gott; jeder glaubt seinen eigenen Weg zu Gott zu haben, das ist<br />

aber nicht unser Privileg, das hatte auch die alte Kirche<br />

o daraus folgte Vielfalt der Widersprüchlichkeit der Gemeinde: je nach dem in<br />

welcher Kultur die Menschen lebten, thematisierten sie ihre Erfahrungen anders<br />

unterschiedliche Gemeinden; Gemeinden, die durch Vorsteher geleitet<br />

wurden aber auch frei existierenden (gnostische) – ein Wirrwarr sonder<br />

Gleichen – durchaus in Analogie zur Gegenwart<br />

o Widersprüchlichkeit der Schriften<br />

2.1.1 der zornige oder der liebende Gott<br />

- widersprüchliche Aussagen über Gott?<br />

- die alte Kirche wurde zu diesem Prozess herausgefordert durch Markion (85-160 nC), der<br />

Häretiker par excellence<br />

o diese Vielfalt der Aussagen und Geschichten vom liebenden und zornigen Gott kann<br />

doch unmöglich den gleichen Gott meinen, das muss doch zwei Quellen haben<br />

o er hatte die Idee zweier widersprüchlicher Götter<br />

- 17 -


Dogmatik I<br />

o fasziniert durch paulinische Aussagen über die Liebe und Barmherzigkeit<br />

systematisiert er<br />

o AT verkündet einen ganz anderen Gott als Jesus Christus – das war der<br />

Schöpfergott (Demiurg) – nicht besonders intelligent, ungeduldig, kriegerischer,<br />

kleinkariert → ein „kleiner Judengott“ (Markion war schwerer Antisemit!)<br />

o dann erscheint in Christus ein völlig neuer Gott, ein Gott der Liebe, ein ganz anderer<br />

Gott – dieser neue Gott, den Christus bringt, kann vom alten nichts annehmen; da er in<br />

einer materiellen Welt erscheint kann er keinen materiellen Körper haben (welcher ja<br />

wieder auf das Konto des Demiurgen ginge); er befreit vielmehr die Menschheit von<br />

der Bosheit des Demiurgen<br />

o Markion sucht diese Idee in den Schriften mit der Grundannahme, die Jünger hätten<br />

Jesus missverstanden, weshalb sie jesuanische Botschaft mit atl Lehren vermischt<br />

hätten<br />

o Christus hätte die Gefahr natürlich gesehen und Paulus gesehen – er wurde berufen<br />

um das Missverstandene zu korrigieren<br />

Paulus bringt das Ev unverfälscht, indem er es von judaisierenden Tendenzen<br />

befreit<br />

o da Markion annahm, Jesus hätte ein Ev geschrieben, und es wäre am ehesten hinter<br />

Lk greifbar, macht er sich zu dem, was man heute Zensor nennt<br />

er zensiert die im Umlauf befindlichen Schriften<br />

am Ende bleibt ein von ihm gereinigtes Lk-Ev übrig und einige Pauluszitate<br />

o und das ist so etwas wie ein erster „Kanon“ iSe authentischen Auswahl eines<br />

unverfälschten Wissens über Jesus<br />

o die Kirche reagiert: sie kann nicht schweigen;<br />

die erste große Exkommunikation 144 nC, da Markion durch seinen eigenen<br />

Vater exkommuniziert wird (der Bischof war)<br />

die Kirche trennt sich davon indem sie feststellt, dass das ein Irrweg ist (zwei<br />

Götter sind Irrweg, AT vs. NT ist ein Irrweg, authentische Aussagen Jesu in<br />

Reinkultur ist Irrweg)<br />

o Markion gründet dann seine eigene Kirche<br />

o was nennt man markionische Versuchung in der Theologie? –<br />

damit wird immer gemeint die Abwertung des AT, die Abwertung des<br />

Schöpfergottes zu einer zweitrangigen Größe<br />

Polarisierung und klare Aussage, der Gott des AT sei ein Gott des Zornes<br />

und der Gott des NT sei einer der Liebe<br />

antijudaistische Haltung<br />

o Reaktion der Kirche:<br />

Festhalten am AT<br />

Auswahl von Schriften über Jesus – dogmatische Antwort: aufgrund eines<br />

langen Prozesses, indem die Kirche versuchte mit der markionitischen<br />

Versuchung fertig zu werden:<br />

die Vorstellung Dan Browns etwa ist falsch (Kaiser Konstantin usw.)<br />

der Kanon geht zurück auf die Praxis des Vorlesens im Gottesdienst –<br />

jene Schriften die von einer Gemeinde zur anderen gingen und<br />

fortwirkend im Gottesdienst verlesen wurden<br />

die Überzeugung, die Schriften stammen von Aposteln oder<br />

Apostelschülern, spielte mit<br />

noch wichtiger war die Übereinstimmung inhaltlich mit dem, was<br />

man schon in der zweiten Generation Tradition nennen könnte<br />

(Tradition war jene mündlich überlieferte Lehre va in den Kirchen,<br />

die sich auf die Apostel zurückgeführt haben [Rom, Antiochien,<br />

Ephesus])<br />

alles was irgendwie leibfeindlich schmeckte wurde nach und nach<br />

ausgeschieden (zB EvThom; nicht weil solche Schriften „gefährlich“<br />

[→ Sensationsliteratur] wären, sondern weil Abwertung von Materie;<br />

Materie sei durch einen Demiurgen oder Dämon geschaffen; liest man<br />

- 18 -


Dogmatik I<br />

EvThom in Hinblick auf leibfeindliche Tendenzen, merkt man schnell<br />

den Unterschied zu anderen Ev)<br />

o die dramatische Auseinadersetzung um Offenbarung ist im Christentum anders zu<br />

sehen als im Koran oder Mormon (wo von vornherein gesagt wird, das Buch gehe auf<br />

direktes Diktat von Gott zurück oder ähnlich – das sind reine Buchreligionen)<br />

der Unterschied: im Juden- und Christentum liegt dem Buch etwas voraus,<br />

und zwar Erfahrungen; solche von Menschen, die sie mit Gott oder mit<br />

Christus gemacht haben, über diese Erfahrungen gesprochen und reflektiert<br />

haben, durch dieses Reden weitergaben, andere Menschen ansteckten<br />

dann erst kommt es zur Verschriftlichung<br />

deswegen steht die Kirche auf dem Standpunkt, man müsse die Schrift und<br />

den kirchlichen Vollzug (Tradition) gleichermaßen beachten<br />

Luther, der die traditio zugunsten der scriptura zurücksetzte, sieht<br />

auch die vorgelesene Schrift<br />

- hier entscheidet sich die Grundeinstellung zu dem, was man als Christentum und Kirche<br />

sieht: nicht die Fixierung auf einen Buchstaben, sondern ein dramatischer Vorgang lebendigen<br />

Glaubens<br />

o die endgültige Gestalt des Kanons ist eine recht späte Frage (schon bei Athanasius<br />

eine relative Aufzeichnung)<br />

o der katholische Kanon wird eigentlich erst beim Konzil von Trient definiert, vorher<br />

auch beim Konzil von Nizäa (Osterbrief des Athanasius)<br />

2.1.2 Irenäus von Lyon und die Auslegungsmethoden<br />

- die theologische Antwort auf Markion erfolgte durch Irenäus<br />

o Gott des Zorns vs. Gott der Liebe, der ntl Gott besiegt den atl Gott<br />

o Markionitische Versuchung die zwar überwunden wurde, aber die Kirche immer<br />

wieder begleitet<br />

o wie können die verschiedenen Aussagen gedeutet werden?<br />

o es handelt sich um ein Offenbarungshandeln, allerdings eines, das dem<br />

Fassungsvermögen des Menschen angepasst ist – Gott passt sich an<br />

- auch er hält an der Einheit des atl und ntl Gottes fest, weist den Dualismus von Schöpfung<br />

und Erlösung zurück; Gott als allumfassende Wirklichkeit (Monotheismus)<br />

- logische Kohärenz des Ganzen: wenn Gott die höchste Wirklichkeit ist, der allumfassende<br />

Horizont, dann kann er sich selber nicht mehr widersprechen, er muss alle Widersprüche in<br />

sich integrieren (gäbe es noch etwas größeres als Gott, müsste das Gott genannt werden) →<br />

Gott kann per definitionem nicht begrenzt werden<br />

o er versucht Gott analog zur Vernunft zu begreifen, würde man etwas Umfassenderes<br />

als Gott annehmen, ginge das Denken ins Uferlose; deshalb muss Denken doch am<br />

Widerspruchsprinzip festhalten und an einem letzten Maß<br />

o erst in der Postmoderne wurde das Denken populär, dass man hierauf verzichtete<br />

o Irenäus: es braucht das Allumfassende (vgl. Anselm von Canterbury: Gott ist<br />

dasjenige, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann) – der letzte<br />

universale Horizont, dogmatisch: Gottes universaler Heilswille<br />

- die entscheidende Folge dieser Grundannahme: wenn Gott allumfassend ist, dann kann er<br />

nichts Fremdes mehr begehren, und deshalb ist er neidlos<br />

o mit diesem Argument glaubte er, das markionitische Argument von zwei Göttern aus<br />

den Angeln zu heben<br />

- wenn es nun einen Gott gibt, der identisch ist mit Schöpfer und Erlöser, wie sind nun die<br />

unterschiedlichen Geschichten auszulegen (Irenäus als der Pate für typlogische Exegese):<br />

o der eine Gott, die vielen Widersprüche<br />

o Irenäus geht von einer inneren Einheit der Schriften aus, bestehend in der Ausrichtung<br />

auf Christus<br />

o die einzelnen Geschichten sind Typoi (Vorbilder, Schatten, Andeutungen)<br />

- 19 -


Dogmatik I<br />

- Notwendigkeit der Typoi: weil Ökonomie (als Erziehungsprozess) dh Gott der Ewige hat<br />

den Menschen als Kinder erschaffen; und so lernt die Menschheit im Verlauf der Geschichte<br />

und Gott passt sich in seinem Handeln dem Zustand des Menschen an<br />

o plakativ gesprochen: zum Kind spricht er in deren Sprache, mit Pubertierenden flirtet<br />

oder brüllt er, mit Erwachsenen argumentiert er<br />

o Gott passt sich den veränderten Umständen an und erzieht die Menschen – er redet<br />

immer wieder anders, aber immer von demselben um desselben Willen<br />

o die Konsequenz davon ist: Rekapitulation am Ende des Prozesses, und das ist in Jesus<br />

Christus<br />

- so ist das Modell von Irenäus für die nächsten Jh. vorgelegt: ein Gott passt sich in seinem<br />

Sprechen und Handeln dem Zustand des Menschen an und spricht unterschiedlich von<br />

demselben, weshalb man das auch möglicherweise gegeneinander ausspielen kann; um die<br />

Wahrheit zu finden muss ich zum Ende des Prozesses und der ist in Christus<br />

- mit diesem Modell hat Irenäus die Auslegungstradition für die nachfolgende Jh. geprägt<br />

(typogolische Exegese, Ökonomie, Rekapitulation)<br />

- auf die Frage nach dem Zorn Gottes bedeutet das: die Aussagen von Zorn sind zu Aussagen<br />

von Gerechtigkeit umzuinterpretieren<br />

o es ist ein pädagogisches Konzept: Gott zürnt, weil es ihm um Gerechtigkeit geht<br />

o Irenäus depotenziert die Aussagen Markions, aber eine Lösung ist es nicht<br />

o Gott versucht die Menschen in einem pädagogischen Prozess zum Ende zu führen<br />

o weil Gott auf die Sünde der Menschen reagiert, Gerechtigkeit als Begriff für<br />

göttlichen Zorn, müssen sowohl Aussagen über göttlichen Zorn als auch über<br />

göttliche Liebe auf ein und denselben bezogen und auf Christus zentriert werden<br />

- wenn Markion Gott in zwei Teile zerlegt, zerstört er in beiden die Gottheit, so Irenäus<br />

o käme der Tod nicht, würde das die Verewigung der Sünde bedeuten<br />

o Gott des AT begeg<strong>net</strong> den Menschen mit zeitlichen Strafen, der Gott des NT mit<br />

ewigen Strafen<br />

- Irenäus hat logisch das Problem gelöst, aber was ist mit jenen Aussagen, wo der Zorn Gottes<br />

dem Maßstab der Gerechtigkeit nicht entspricht? Wenn der Zorn der Gerechtigkeit entspricht,<br />

kann er nicht außerhalb des Maßstabes stehen; was ist, wo Gott schlachtet, Kinder und Greise<br />

vernichtet – ist das noch ein gerechter Richter? Gerade unter der Rücksicht der Pädagogik? Ist<br />

das nicht Sadismus?<br />

o das Modell bleibt bei Irenäus statisch, und deshalb verschwindet diese Problematik<br />

aus dem Blick der Kirche<br />

2.1.3 Rückgewinnung der dramatischen Perspektive durch Martin Luther<br />

- erst Martin Luther holt diese Problematik wieder zurück – die „Rückgewinnung des Zornes<br />

Gottes“<br />

- Luther, der in der augustinischen Tradition geschult wurde und die Sünde radikal als Verlust<br />

der Freiheit begreift; wenn der Mensch sich in der Sünde verirrt kann ihn nur ein Zorn Gottes<br />

treffen<br />

- seine Grundfrage war, wie er als sündiger Mensch dem gerechten Gott begegnen kann, denn<br />

wenn Gott gerecht ist muss der Mensch verloren sein<br />

- das Aha-Erlebnis ist die Entdeckung, dass die Gerechtigkeit Gottes keine iustitia distributiva<br />

(ausgleichend) ist sondern eine, die den Menschen gerecht macht<br />

- die Hauptunterscheidung zwischen Deus absconditus (verborgen; das nimmt der Mensch in<br />

seiner Sünde wahr) und Deus revelatus (offenbarend in Christus; macht den Mensch gerecht)<br />

o Deus revelatus: Gottvater überträgt die Sünde vom Sünder auf seinen Sohn (Gott ist<br />

derjenige der überträgt) und am Kreuz entlädt sich der göttliche Zorn über den zur<br />

Sünde gemachten Christus<br />

o gewisse Analogie zum dritten Akt (wer hat die Gewalt auf Christus übertragen? –<br />

Die Menschen; der Vater hält die Treue, die Sünder töten ihn); bei Luther ist es Gott<br />

selber der seinen Zorn entladen und ihn stillen muss<br />

- 20 -


Dogmatik I<br />

o der Mensch der auf Christus schaut, auf die Gerechtigkeit schaut, das ist die<br />

Gerechtigkeit Christi selbst, gilt als iustus, wenn er auf sich selber schaut bleibt er<br />

peccator<br />

o der Mensch ist Sünder und Gerechtfertigter zugleich<br />

o mit dieser Denkfigur hat Luther den Zorn Gottes wieder in die Mitte der christlichen<br />

Erfahrung hereingeholt<br />

2.2 der einsame oder kommunikative Gott: begriffliche<br />

Präzisierung im konfliktiven Prozess<br />

2.2.1 mittelplatonische und stoische Logoslehre<br />

- ist Gott einsam? Sind Gott und die Welt ein und dasselbe?<br />

- die Sprache des Dogmas – und das ist Zentrum der Christologie – ist am Punkt angelangt,<br />

wo beide Sprachen verbunden werden: philosophische Bibelkritik (unterschiedliche<br />

Aussagen) und die Frage nach der Bedeutung von Jesus Christus<br />

- der Ansatz für diese Problematik ist vor Christus zu suchen, in der Philosophie von Philo von<br />

Alexandrien<br />

o lebte in Alexandrien (Ägypten)<br />

o der aufgeklärte Stoiker und Mittelplatoniker versucht seinen griechischen Freunden zu<br />

beweisen, dass die Schriften des AT nicht widersprüchlich sind, dass Gott den<br />

Mustern der philosophischen Kritik gerecht wird: Leidensunfähigkeit und<br />

Unveränderlichkeit (Apateia)<br />

Veränderung ist wenn eine Möglichkeit zu einem Zustand wird (Bewegung)<br />

o Leidensfähigkeit wird als Bewegung der Seele gedeutet<br />

o Philo versucht, die atl Schriften demgegenüber durchzuziehen und betreibt<br />

philosophische Bibelkritik<br />

o auch er spricht von Anpassungen Gottes an das menschliche Begriffsvermögen<br />

(deshalb spricht Gott in Geschichten)<br />

o er führt jene Figur hinein, die für christliche Spekulationen von entscheidender<br />

Bedeutung sein wird: gemäß Philo geschieht die Offenbarung Gottes in der<br />

Geschichte bereits durch den Logos<br />

o der Logos sei Schöpfungsmittler, dh durch den Logos schafft Gott die Welt<br />

o Philo siedelt den Logos als Grenzscheide zwischen Schöpfer und Geschöpf an;<br />

Logos unterscheidet Geschöpf vom Schöpfer<br />

ist Fürsprecher des Sterblichen, andererseits Abgesandter des Herrschers<br />

weder als ein Ungeschaffener wie Gott noch wie die Menschen geschaffen,<br />

also in der Mitte<br />

o der wahrhafte Gott ist nur einer, der Begriff „Götter“ aber sind mehrere<br />

o deshalb hat auch die Hl. Schrift an der Stelle Gen 31,13 den in Wahrheit existierende<br />

Gott mit dem Artikel bezeich<strong>net</strong> und gesagt, „ich bin ‚der’ Gott“; ein Gott, der im<br />

uneigentlichen Sprachgebrauch bezeich<strong>net</strong> wird bezeich<strong>net</strong> man ohne Artikel<br />

ist eine grammatikalische Spitzfindigkeit<br />

wird zitiert, weil den gleichen hermeneutischen Schluss wird bald darauf<br />

Origenes ziehen zur Auslegung des Johannesprologs<br />

o Philo als der erste vorchristliche Autor, der das mittelplatonische Denkschema zur<br />

Deutung der biblischen Schriften verwendet und darin von einen alexandrinischen<br />

Kirchenvätern fruchtbar benutzt wird<br />

der erste Clemens von Alexandrien zB hat Philo gelesen und kann davon<br />

reden, es gäbe den Logos als Gedanke Gottes, der zu einer<br />

Hypostase/Substanz am Anfang der Schöpfung wird und dann wird dieser<br />

Logos mit jenem Fleisch verbunden, das aus Maria, der Jungfrau, geboren<br />

wird; und damit kann Clemens auf eine philosophische Art und Weise erste<br />

Ansätze einer Inkarnationsthese schaffen<br />

auch Justin und Tertullian denken ähnlich<br />

- 21 -


Dogmatik I<br />

- Origenes von Alexandrien, wohl der größte Gelehrte der damaligen Zeit<br />

o er übernimmt das mittelplatonische Weltbild und liefert als erster ein Schema, in<br />

dem das Christentum fortdauernd die biblische Tradition auslegen kann<br />

o er knüpft an Philo und an den Johannesprolog: er entdeckt, dass es im Prolog einen<br />

doppelten Sprachgebrauch gibt, und nur <br />

* Seele Jesu<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

1. Hierarchie der<br />

<br />

Engel<br />

2. Hierarchie der Engel<br />

Seelen der Menschen<br />

1. Erschaffung 3. Erlösung<br />

2. Fall 4. Apostasis<br />

<br />

Materie<br />

o in aller Ewigkeit, der absolute Ursprung, sonder gleichen, ist , in sich<br />

ruhend, als absolute Einheit, und dieser Gott entlässt in Ewigkeit aus sich heraus in<br />

Gedanken eine Größe die sich von ihm unterscheidet (der Gedanke/das Wort<br />

Gottes), und das ist der , und das ist <br />

o durch diesen Logos, und das ist die Grenzscheide; durch den Logos hindurch die<br />

erste Hierarchie der Engel, die zweite Hierarchie der Engel und dann die<br />

menschlichen Seelen; auch die Seele Jesu ist in diesem präexistenten (also vor der<br />

Schöpfung) Raum gegenwärtig<br />

o die mögliche Welt vermittelt durch den ersten Gedanken, abgestuftes Modell<br />

o das hat nur Sinn, wenn die Seelen auf den Logos schauen und der Logos schaut den<br />

Vater<br />

o nun sind die Seelen der Menschen in der Ewigkeit der Anschauung des Logos<br />

überdrüssig geworden oder sie wurden neugierig auf das, was unten ist, und die<br />

Folge war der große Abfall, und das ist der Punkt, wo die Schöpfung kommt, wo die<br />

Materie dazu kommt, wohin sich die Seelen als Seelenfunken hineinverirren<br />

o die Seele Jesu bleibt dem Logos treu<br />

o wir haben jetzt nun die Schöpfung der Materie mit den Seelenfunken aller<br />

Menschen (Erschaffung-Fall), und jetzt setzt Origenes mit seinem Programm der<br />

Erlösung ein: die Erlösung besteht: der Logos, der an der Grenzscheide steht, steigt<br />

herab, verbindet sich mit der Seele Jesu die dort blieb wo sie sein sollte, steigt nun<br />

bewusst in die Materie herab (die präexistente Seele Jesu in Verbindung mit dem<br />

Logos) nimmt Fleisch durch Maria (→ Fleischwerdung) an und sucht die<br />

Seelenfunken in der Materie<br />

o wenn sie die allerletzten Funken gefunden haben ist die Sache beendet, dh sie<br />

suchen bis zur Apokatastasis, dh Wiederherstellung, bis die letzten Funken wieder<br />

zurück auf die Stufe geraten, damit das Bild ist, wie es früher war<br />

- 22 -


Dogmatik I<br />

o die Seele Jesu wird für ihre Treue belohnt darin, dass die Verbindung mit dem<br />

Logos seinsmäßig verfestigt wird und die Seele Jesu darf in dieser<br />

wiederhergestellten Ordnung an die Stelle des Logos rücken<br />

o Origenes systematisiert viele biblische Impulse<br />

o dass das Ganze wieder passiert, ist möglich<br />

o dieses Denkmodell qua Denkmodell wurde abgelehnt, genauer die<br />

Wiederholbarkeit des Systems<br />

o das ist ein Präexistenz- und kein Seelenwanderungsmodell<br />

o das ist das Denkmodell, bei dem mit der Grenzscheide des Logos gearbeitet wird, ist<br />

der begriffliche Denkrahmen der Kirchenväter bis in die Mitte des vierten Jh., bis<br />

Athanasius der damit bricht<br />

→ Logos, identifiziert mit Sohn Gottes, sei eine Grenzscheide zwischen Gott<br />

und der Menschheit<br />

- zu einer großen Herausforderung kommt dieses Denkmodell durch einen Priester namens<br />

Arius von Alexandrien<br />

o Arius hat das origenische Denkmodell übernommen und als erster die Vorstellung<br />

der Grenzscheide infrage gestellt;<br />

o entweder ist Logos auf Seiten Gottes oder er ist auf Seiten der anderen Geschöpfe;<br />

entweder ungeschaffen und Gott oder ist geschaffen<br />

o Arius brachte das Fass zum überlaufen: „geschaffen“<br />

o es gibt keine Vermittlung, es gibt in alle Ewigkeit nur den wahren Gott, der ist<br />

eine geschlossene Einheit, unkommunikativ, der ungeschaffene Vater<br />

o zwischen dem ungeschaffenen Vater und der Welt gibt es keine Kommunikation<br />

o die Monade (dh das Einfache, nicht zusammengesetzt, unteilbar) entlässt zu<br />

Anbeginn der Zeit den Logos<br />

o Unterschied zu Origenes: bei Origenes ist der Logos ungeschaffen und ewig (wie<br />

auch alle anderen Seelen ungeschaffen und ewig sind, weshalb es ein und derselbe<br />

Prozess ist, Abstieg und Aufstieg), Arius zieht die Grenze und das erste und<br />

vornehmste Geschöpf heißt Logos<br />

o das ungeschaffene Eine, das ungezeugte Ureine sei das Urprinzip von Allem, es<br />

gibt keine Möglichkeit dieses Eine je zu erreichen<br />

o der Logos, der auf Seiten der Schöpfung steht ist kein Mittler und keine<br />

Grenzscheide, weil er geschaffen ist<br />

o das ist, was den Stein ins Rollen bringt<br />

o normalerweise wird Arius als Adoptianist verkauft, als einer, der die wahre<br />

Gottessohnschaft leug<strong>net</strong> und nur die adoptive Gottessohnschaft annimmt<br />

der Logos verbindet sich mit dem Fleisch und zur Belohnung wird Christus<br />

von Gott adoptiert<br />

da ist eine gewisse Analogie zu Origenes: die Seinseinheit sei eine Belohnung<br />

für die vorhergehende spirituell-ethische Reinheit<br />

o die große Herausforderung liegt bei der Abschaffung des Grenzmittlers und bei<br />

der klaren Entscheidung, dass der Logos geschaffen sei<br />

- das löst eine Krise aus die das Reich zu zerstören droht und Konstantin beruft das Konzil von<br />

Nizäa ein<br />

o Nizäa eine Stadt nicht weit von Konstantinopel<br />

o das Zentrum der Auseinandersetzung war Ägypten (Ägypten-Konstantinopel)<br />

o dieses Konzil ist das erste und wichtigste Konzil des Christentums, wird von allen<br />

christlichen Kirchen akzeptiert; die begriffliche Grundlage für das wird gelegt, was als<br />

begriffliche Trinitätslehre bezeich<strong>net</strong> wird<br />

2.2.2 das Konzil von Nizäa 325 (NR 155f)<br />

- das Konzil nimmt das Apostolicum und legt es aus und ergänzt es durch Formulierungen,<br />

die direkt gegen Arius gerichtet sind:<br />

o gezeugt aus der Wesenheit ↔ geschaffen durch den Willen (Wesensnotwendigkeit<br />

↔ Willensfreiheit): gezeugt, nicht geschaffen; dh alles was gemäß dem Willen<br />

- 23 -


☧<br />

Dogmatik I<br />

geschieht ist frei, kann sein, muss aber nicht; Gott hat die Welt frei geschaffen, dh<br />

es hat eine Zeit gegeben, wo es die Welt nicht gab;<br />

o wahrer Gott vom wahren Gott ↔ untergeord<strong>net</strong>er Gott (durch den wahren Gott)<br />

er ist nicht hierarchisch untergeord<strong>net</strong>, sondern auf derselben Stufe<br />

o gezeugt nicht geschaffen ↔ geschaffen<br />

Arius sagt, der Logos ist geschaffen, also ein freier Akt also eine Zeit da es<br />

den Logos nicht gab<br />

die Welt hingegen ist geschaffen, sie ist das Ergebnis göttlicher Freiheit<br />

zeugen widerspricht dem Axiom der Apateia<br />

Gott entlässt aus seinem Wesen, und dh es gab keine Zeit da es den Logos<br />

nicht gab<br />

„Vater“ ist als Begriff nur sinnvoll, wenn es den Sohn gibt, und deshalb ist<br />

Gott seit aller Ewigkeit Vater<br />

o wesenseins (→ ὁμοοúσιο) → unius substantiae cum Patre; die eine göttliche<br />

Ousia (essentia: Wesen) und Hypostase (substantia) des Vaters und des Sohnes<br />

– , das gleiche): Nizäa identifiziert die<br />

Begriffe essentia/Wesen und /substantia/Substanz, der<br />

Vater<br />

das Anliegen des Konzils ist es, die Identität der beiden auszusagen<br />

Schwierigkeit die Nizäa nicht löst, sondern nach Nizäa einen Kampf mit sich<br />

bringt: wie sind beide zu unterscheiden? Wenn sie selben Wesens und selber<br />

Substanz sind, sind sie identisch?<br />

deswegen auch 325 die Übersetzung mit „wesenseins“; ein paar Jahrzente<br />

später wird ὁμοοúσιο mit „wesensgleich“ übersetz, weil die beiden Begriffe,<br />

die identifiziert werden, in nachträglichen Auseinandersetzungen<br />

unterschieden, ja einander entgegengesetzt werden<br />

325 bedeutet ὁμοοúσιο Substanz, beim Konzil von Chalcedon aber Person;<br />

Person ist Frage von Relation, nicht Frage von Substanz<br />

2.2.3 der Kampf um das Konzil<br />

- → der Vater hat dasselbe numerische Wesen wie der Sohn; wie sind sie zu unterschieden?<br />

– Nizäa vernachlässigt die Differenz, legt deswegen für die Gegner des Konzils den<br />

Verdacht nahe, Nizäa wäre modalistisch (Modalismus, lat. modus, Art und Weise): die<br />

Anschauung – unabhängig von der arianischen Schwierigkeit – wer Vater, Sohn und Geist<br />

sind, nämlich ein und derselbe, nur um der Menschen Willen auf verschiedene Art und<br />

Weise offenbart unter verschiedenen Modi (einmal als Vater, einmal als Sohn, einmal als<br />

Geist)<br />

o modi sind bloß Masken (griech. , lat. personae)<br />

o der uns später gebrauchte Begriff Person zur Bezeichnung einer personalen Identität<br />

ist Ergebnis der christologischen Auseinandersetzung<br />

o was verdankt die Welt christologischer Auseinandersetzung? – den Begriff „Person“<br />

o dh die vorhandenen Worte, die es gab, aber etwas anderes bedeuteten, sind im Laufe<br />

der Zeit so transformiert worden, dass sie der Sache entsprechen, und so kam der<br />

Begriff Person für die personale Identität<br />

- danach: kulturpolitischer Umbruch; nachdem das Konzil Arius exkommuniziert und<br />

dogmatisch gegen ihn vorging und das Konzil zu Ende war, sind alle Bischöfe auf die andere<br />

Seite getreten (zur arianischen Partei), alle bis auf einen einzigen: Athanasius von<br />

Alexandrien<br />

2.2.4 Integrationsfigur: Athanasius von Alexandrien<br />

- als Einziger hielt er am Konzil fest, zT sogar stur<br />

- deswegen der Gegenpartei Öl ins Feuer gegossen hat<br />

- 24 -


Dogmatik I<br />

- Synode von Sardika, heute Sofia: Athanasius hat im fortschreitenden Streit durchgesetzt,<br />

dass beide Begriffe identisch sind und damit den Gegnern des Konzils zur Meinung<br />

verholfen, das Konzil wäre modalistisch gewesen (Gott wäre nur eine Monas die sich in<br />

unterschiedlichen Gestalten zeigt)<br />

- Athanasius hielt am Wortlaut fest, wurde vom Kaiser verfolgt, fünf Mal verbannt bis nach<br />

Trier<br />

- er war fähig einzusehen, dass die Gegner des Konzils ein legitimes Anliegen haben,<br />

nämlich das Konzil hat die Differenz nicht ausgesagt<br />

- wenn man ein Kriterium für kirchliche Wahrheit iSe Dogmas hat, dann ist ein Dogma<br />

dann erst eines, wenn das legitime Anliegen der Gegner in die Formulierung eingeht; also<br />

nicht eine sture Wiederholung der Formel, sondern Integration des Gegners (Vatikanum<br />

II: Wahrheit muss gewaltfrei sein)<br />

- Athanasius als die Integrationsfigur par excellence; das Dogma von Nizäa darf als Dogma<br />

gesehen werden, weil es nach der Formulierung zu Aussagen findet, wo Identität und<br />

Differenz ausgesagt werden<br />

- Eusebius: das neuplatonische Weltbild eig<strong>net</strong> sich wunderbar als weltliche Herrschaft<br />

o Christus als Grenzscheide zum Vater, der Kaiser als Ikone Christi<br />

- Nizäa stellt eine Weltbildrevolution dar, weil Nizäa+Athanasius das Ende des<br />

neuplatonischen Weltbildes mit sich bringt<br />

o verglichen mit Arius: er dachte so, es gäbe keine Grenzscheide, es gibt den<br />

unkommunikativen ewigen Gott und die Geschöpfe, das vornehmste darunter ist<br />

der Logos<br />

o Nizäa ist in der Logik so, es gibt keine Grenzscheide, es gibt nur die<br />

Unterscheidung geschaffen-ungeschaffen, Christus ist nicht Grenzscheide, aber<br />

Logos/Christus gehört an die Seite des ewigen Vaters<br />

dh es ist ein Versuch, und die richtige Ausformulierung wird noch Jahre<br />

brauchen, Einheit und Vielfalt in einem Atemzug auszusagen<br />

→ beachte: unsere menschliche Sprache erlaubt den Unterschied eigentlich<br />

problemlos so auszusagen: ich unterscheide mich von jemand anderem, weil<br />

ich über oder unter ihm stehe (also hierarchischer Unterschied)<br />

das eine, und bei Arius sehr deutlich festgehalten, ungeteilte Wesen Gottes<br />

zuoberst und die große Vielfalt unten<br />

das christliche Gottesbild, das in Nizäa bezeugt wurde ist ein Versuch, Einheit<br />

und Vielfalt ohne die Hierarchie auszusagen; Gott ist in sich vielfältig, ohne<br />

dass hierarchische Unterschiede festgestellt werden, ja mehr noch, es gibt<br />

keine direkte Kommunikation von unten nach oben (keine Grenzscheide), dh<br />

der dreifaltige Gott kann unmöglich als Legitimationsfigur für irdische<br />

Herrschaft gelten!<br />

das dürfte Kaiser Konstantin bald bemerkt haben, dass das Werk des Konzil<br />

kontraproduktiv für politische Herrschaft war, weswegen er sich dem<br />

Arianismus zuwandte (→ Papst ist NICHT Stellvertreter Gottes [= Häresie],<br />

er vertritt den Menschen Jesus)<br />

- wenn die Moderne von der Gleichheit aller Menschen spricht ist das schwierig, wie kann<br />

gleich und unterschieden gehen? Gleichheit hieße ja es gäbe keine Differenzen<br />

o Trinität heißt, es gibt größte Gleichheit und größte Differenz, aber ohne hierarchische<br />

Zuordnung<br />

- ∑: Leistung von Nizäa: Schluss mit dem platonischen Weltbild (bis dahin gängig);<br />

entweder geschaffen oder ungeschaffen, Verlagerung der Differenz in den Begriff Gottes<br />

selbst<br />

o dh der Sohn/der Logos hat dasselbe Wesen wie der Vater<br />

o der eine Gott und zwei verschiedene gleiche Personen<br />

o wie steht es nun mit dem Geist?<br />

- 25 -


Dogmatik I<br />

2.2.5 die subordinatianistische Logik der Pneumatomachen<br />

(Geistbekämpfer)<br />

- haben zwar Nizäa anerkannt, der Geist sei aber nur ein Engel<br />

- das Konzil von Konstantinopel versucht die Problematik zu lösen, es vermeidet die<br />

Einführung von philosophischen Begriffen in das Glaubensbekenntnis sondern umschreibt:<br />

o der Geist wird mit dem Vater und dem Sohn angebetet (die Kultform die einzig Gott<br />

zukommt) und verherrlicht<br />

o er hat durch die Propheten gesprochen<br />

- die Diskussion lautete: ist das Wirken Gottes identisch mit dem Wirkend des Parakleten<br />

oder gibt es Unterschiede?<br />

o die Kirche findet mit der Zeit zu großen Unterschieden<br />

- sie sehen im Geist, was Arius im Logos gesehen hat – ein Geschöpf<br />

o einen der ersten geschaffenen Engel<br />

o das Modell, das die Pneumatomachen zur Deutung der Bibel vorlegen: der Sohn sei<br />

zwar wesensgleich, der Geist aber sei ein Geschöpf<br />

- gegen die Pneumatomachen treten die Kappadozier auf (Basilius der Große, Gregor von<br />

Nyssa und Gregor von Nazianz)<br />

o sie reden vom Geist als Gott<br />

o fordern dieselbe Verehrung: Anbetung<br />

2.2.6 Konstantinopel I 381 (NR 250)<br />

- diese Theologie wird 381 im Konstantinopoletanum I dogmatisiert, analog zu Nizäa wird die<br />

Gottheit des Hl. Geistes ausgesagt<br />

- aufgrund der Erfahrung mit Nizäa führt nun keine philosophische Definition zum Ziel,<br />

sondern die biblisch-liturgische Sprache<br />

o Gottheit des Hl. Geistes wird mit dem Begriff „Herr“, „Lebensspender“ (ein<br />

Geschöpf hat das Leben nur, weil es geschenkt wurde; der Geist ist kein Geschöpf<br />

weil er selber Spender des Lebens ist)<br />

o er geht vom Vater aus; für diesen Ausgang des Geistes vom Vater, für die Beziehung<br />

benutzt nun das Konzil keinen direkten Begriff, es wird nur vom Hervorgang aus<br />

dem Vater gesprochen<br />

o die spätere lateinische Tradition ergänzt es mit dem filioque, also er geht auch vom<br />

Sohn aus<br />

o spiratio, Hauchung (der Geist wird ausgehaucht)<br />

- die entscheidende Aussage zur Festlegung des Status des Geistes: er wird mit dem Vater<br />

und dem Sohn angebetet, dh sie sind auf derselben Ebene zu sehen und seine<br />

Heilgeschichtliche Rolle ist das Sprechen durch die Propheten<br />

- dadurch entsteht das Nizäno-Konstantinopolitanum, das Bestandteil der alten Liturgie war<br />

und auch der neuen Liturgie ist<br />

o das Glaubensbekenntnis dogmatisch gefüttert als Rahmen zur Auslegung der<br />

biblischen Geschichte<br />

o damit ist das dogmatische Ringen um die Wahrheit Jesu Christi, die nicht losgelöst<br />

werden kann von der Wahrheit des Hl. Geistes, abgeschlossen → klassische<br />

Trinitätslehre<br />

2.2.7 Identität und Differenz<br />

- Trinitätslehre ist nicht nur eine Aufzählung, sondern Benennung von Vater, Sohn und Geist<br />

und auch Reflexion, wie sie zusammengehören – Einheit und Differenz<br />

o sie haben das eine göttliche Wesen<br />

o sie sind unterschiedliche göttliche Personen<br />

- Gott der Ungeschaffene einerseits, die Welt geschaffen andererseits<br />

- Gott als der Inbegriff von Einheit und Differenz<br />

- 26 -


Dogmatik I<br />

- Nizäa macht klaren Unterschied zwischen geschaffen und ungeschaffen: das Absolute ist<br />

Einheit und Differenz zugleich<br />

o hier wird sowohl die Sprache als auch die Kulturgeschichte auf neue Bahnen gelenkt<br />

o – : die ursprünglichen Begriffe von Nizäa für die Einheit werden<br />

durch die Einheit der Kappadozier einander entgegengesetzt<br />

o der Begriff , der ursprünglich Substanz bedeutet, also der<br />

Naturphilosophie entspricht, wird durch eine kreative Neubildung jene Inhalte<br />

aufnehmen, die bis dahin der alte Begriff (persona, Maske) hatte<br />

o dieser Begriff wird dann mit dem Begriff verbunden, und der<br />

neue Begriff zur Bezeichnung der göttlichen Personen bedeutet beides:<br />

Selbststand (Beziehung) und auch Erscheinungsweise (Maske nach außen)<br />

o als so verstandene (Hypostase des Vaters, Hypostase des Sohnes und<br />

Hypostase des Geistes) stehen diese drei Begriffe der einen Gottes (dem<br />

einen Wesen) gegenüber<br />

- Gott eine Einheit und Differenz zugleich, und zwar eine Differenz, die unendlich ist, in der<br />

alles Mögliche einen Platz hat<br />

- damit könnte man sagen, sei die erste Auseinandersetzung beendet<br />

o Gott ungeschaffen, Einheit und Vielfalt, der offenbarungstheologisch Beziehung<br />

zur Menschheit aufnimmt und sich durch den Logos offenbart und durch ihn<br />

Mensch wird und durch den Geist spricht<br />

o der Logos ist wesensgleich mit dem Vater, wie steht es aber mit dem<br />

menschgewordenen Sohn? Wie ist die Identität des menschgewordenen Sohnes zu<br />

unterscheiden?<br />

2.3 das Ringen um die Wahrheit des einen Gott-Menschen:<br />

begriffliche Präzisierung im konfliktiven Prozess<br />

- was wir hier besprechen mündet im Konzil von Chalcedon, diese Frage betrifft liturgisch das,<br />

was die Kirche am 25.3. oder 25.12. feiert, nämlich Menschwerdung des Logos<br />

o bisher besprachen wir die Verhältnisse in der Ewigkeit<br />

o wir haben jetzt das Wesen des Logos, das hat mit Jesus von Nazaret zuerst gar nichts<br />

zu tun, sondern wie seit aller Ewigkeit das Wesen Gottes zu beschreiben ist (noch vor<br />

der Welt)<br />

o dieser Logos nun verbindet sich in der Geschichte mit einer historischen Existenz,<br />

Jesus von Nazaret<br />

- dass er wahrer Gott ist hat Nizäa bereits definiert<br />

- wahrer Mensch? – die Zeitgenossen hatten damit kein Problem<br />

- wegen der Herausforderung der Gnosis und des Doketismus (von griech. , zum<br />

Schein)<br />

o sehr bald nach Tod und Auferweckung Christi hat es aufgrund gnostischer<br />

Versuchungen die Anschauung gegeben, dass das Sichtbare an Christus ein göttliches<br />

Wesen sei, das zum Schein einen menschlichen Leib angenommen hat (Scheinleib)<br />

o der Doketismus, die Gnosis, extrem leibfeindlich, identifiziert das Unheil, die Sünde<br />

mit Materie und es ist für sie unvorstellbar, dass letzten Endes das Göttliche eine<br />

innere Verbindung mit dem Materiellen (dem Leib) eingehen kann<br />

o dem gegenüber das Bekenntnis des Christentums zur incarnatio, zur Fleischwerdung<br />

- diese Auseinandersetzungen sind sehr dramatisch, es gibt Widersprüche, Feindschaften,<br />

Konkurrenz, Hass, Sackgassen, aber schlussendlich auch Versöhnung<br />

o es geht hier nicht nur um theoretische Begriffe (kein Gelehrtenstreit), sondern um<br />

existentielle Deutungen jener Geschichten die mit Jesus von Nazaret verbunden sind<br />

o die politischen Konsequenzen, das bedeutet, dass die weltlichen und geistlichen<br />

Machtträger um den Vorrang rivalisierten<br />

- die Gegend wo sich das Ganze abspielt ist um das Mittelmeer, und die Zentren heißen<br />

Alexandrien, Antiochien – diese beiden Patriarchate sind wie Hund und Katz – und<br />

Konstantinopel<br />

- 27 -


Dogmatik I<br />

o Alexandrien: der Ort der großen Gelehrsamkeit; Origenes, Arius, Apollinaris; im<br />

heutigen Ägypten; Mönche haben Sehnsucht nach der Gottheit, ihre Perspektive ist<br />

Gottheit → Denken von der Gottheit (Askese, Wüste), Menschheit will man<br />

eigentlich überwinden; alexandrinische Position heißt Einigungschristologie (und es<br />

siegt die Gottheit)<br />

o Antiochien: zweites Patriarchat, heute in der Türkei; hauptsächlich Exegeten; sind<br />

differenziert, versuchen die Menschheit Jesu zu betonen und zu retten, um sich von<br />

den Alexandrinern zumindest zu unterscheiden<br />

o beide Schulen müssen gegen Konstantinopel bestehen: meistens kommt der<br />

Patriarch aus antiochenischen Kreisen; die Alexandriner haben in Konstantinopel<br />

ihre Klöster und Äbte, also die Auseinandersetzung verlagert sich in die Hauptstadt,<br />

und dort haben wir die Machtkonstellation: es gibt die alexandrinischen Äbte und<br />

den meist antiochenischen Patriarch<br />

der Ort der Auseinandersetzung ist entweder in Konstantinopel oder in der<br />

Nähe (Nizäa, Chalcedon)<br />

o dann gibt es noch, weit entfernt, Rom: irgendwann greift er vermittelnd ein; dieser<br />

Eingriff von Rom ist die Sternstunde der Dogmatik<br />

Rom<br />

<br />

Alexandrien Antiochien<br />

Konstantinopel<br />

<br />

- es geht jetzt nur noch um Jesus Christus: was nach Nizäa wesensgleich mit dem Vater ist wird<br />

aus Maria geboren<br />

2.3.1 alexandrinische vs. antiochenische Tradition: Einheit in Christus<br />

aus der Perspektive des göttlichen (fleischgewordenen) Logos vs.<br />

Unterschied im Christus (Eigenwert menschlicher Seele Christi)<br />

- die alexandrinische Schulde denkt aus der Perspektive der Einheit, und stärker ist die<br />

Gottheit, also sie denken von der Perspektive der Gottheit<br />

o Kurzformel: es geht um den fleischgewordenen Logos (Betonung auf Logos)<br />

- demgegenüber Antiochien: welche Bedeutung hat der Mensch Jesus von Nazaret?<br />

- NB: wichtige Namen Origenes (neuplatonisches Denkmuster), Arius (der Logos ist<br />

geschaffen), Athanasius (prägt und verteidigt Nizäa), Apollinaris<br />

2.3.1.1 Apollinaris und das Konzil von Ephesus 431 (NR 158f)<br />

- er hat ein Denkschema vorgelegt, dass im Grunde jeder versteht und die Christologie lange<br />

prägte: zB ein Glas Wasser: wenn das Glas voll ist und man gibt noch etwas hinein, dann<br />

schwappt es über – wenn das Gefäß voll ist kann etwas neues nur hinzukommen wenn etwas<br />

anderes geht<br />

- wie kann ein Gottmensch gedacht werden? Nur analog zu dem, wie der Mensch konstituiert<br />

ist, und der Mensch ist dreigliedrig konstruiert: / (Fleisch/Leib), (Seele;<br />

damit ist eine niedere Seele gemeint, was man heute die Sinnempfindungen nennt) und dann<br />

(die höhere Seele, der höhere Geist)<br />

- das Zentrum dessen, was den Menschen ausmacht, ist der höhere Geist, von dem alles<br />

Denken ausgeht, er regiert über die Sinne und das Fleisch, dh der Mensch ist Mensch weil er<br />

die Vernunftseele hat<br />

- wie ist dann Christus zu denken?<br />

o in Christus ist der Logos<br />

o der Logos kann nicht an die Stelle des Fleisches gesetzt werden, denn Christus hat<br />

gelitten und wurde ans Kreuz geschlagen<br />

- 28 -


Dogmatik I<br />

o hatte er, da er leiden musste, er muss auch haben, aber in Christus wird<br />

die menschliche Vernunftseele durch den Logos ersetzt; dh Jesus ist eine Mischung<br />

o also Christus:<br />

<br />

menschliche <br />

menschliches <br />

o → später kommen Denker die von Christus als „himmlisches Maultier“ sprechen<br />

o entscheidend ist der göttliche Logos, von dem alles ausgeht<br />

- man hat diese Position später Monophysitismus genannt (eine Natur), und zwar weil vom<br />

Logos sämtliche Tätigkeiten ausgehen, weil Logos die ganze sinnliche Seele und das<br />

Fleisch überblendet, ist Christus nichts anderes als eine fleischgewordene Natur, und zwar<br />

göttliche Natur (Kurzformel des Apollinaris: : eine fleischgewordene Natur)<br />

- diese Position Apollinaris’ erregt Anstoß bei einem Jerusalemer Patriarchen, und diese<br />

Formulierung () wird bei einer partikulären Synode in Rom als häretisch verurteilt<br />

o eine häretische Formel des Apollinaris, im Umkreis der Alexandriner<br />

o NB: bisherige Erzketzer: Markion, Arius, Apollinaris (Monophysitismus)<br />

- die Gegenposition vertreten die Nestorianer<br />

2.3.2 der unglückliche Vermittler Nestorius im Streit der Priester/Mönche<br />

und der Eifer des Cyrill von Alexandrien<br />

- Antiochien, große Schule der Exegeten, einer der berühmtesten war Theodor von<br />

Mopsuestia, der einen Schüler Namens Nestorius hat, der dann Patriarch wird, und Theodor<br />

muss Konsequenzen für seinen Schüler tragen<br />

- NB: diese Nestorianische Kirche breitete sich bis in die Mongolei und nach China aus; wäre<br />

die Auseinandersetzung etwas versöhnlicher gelaufen und hätte man Nestorius nicht als<br />

Sündenbock geopfert, wer weiß, wie die Weltkarte heute aussähe<br />

- der Patriarch von Alexandrien, Nestorius, ist konfrontiert mit einem fleißigen Prediger, der<br />

Marienpredigten hält, und darin spricht er ständig davon, dass Maria eine ἄνρωποτόκος<br />

(Menschengebärerin) war<br />

o Nestorius schlägt dem Prediger vor, er soll nicht von ἄρωποτόκος reden, sondern<br />

von (Christusgebärerin)<br />

o wer ist Christus? Wo der ewige Logos mit dem Jesus von Nazaret in Erscheinung<br />

getreten ist<br />

o Maria wäre also nicht Menschen- sondern Christusgebärerin<br />

o Nestorius sagt , der Patriarch von Alexandrien (Cyrill) sagt das sei<br />

Häresie, denn Maria sei vielmehr (Gottesgebärerin)<br />

o → eine fleischgewordene göttliche Natur<br />

- Wie denken wir über Jesus Christus? Eine Natur will sich gegen eine andere durchsetzen?<br />

Das wäre das apollinarische Modell, die göttliche Natur verdrängt etwas vom Menschen. Das<br />

Alexandrinische Modell hat eine subtile Rivaltiätsanfälligkeit; Nestorius versucht zu<br />

vermitteln in einem Streit<br />

- Cyrill drängt auf ein Konzil, die Patriarchen streiten, das Konzil wird nicht in Konstantinopel<br />

einberufen sondern in Ephesus<br />

- es gibt eine Identität des Sohnes, die zurück hinter die Schöpfung geht – dafür bürgt Nizäa,<br />

der ewig wesensgleiche Sohn: er wird in der Zeit geboren, aber geboren auf welche Weise<br />

und als wessen Sohn?<br />

o das Denkmodell das gleich da ist, ist die Frage nach der Mischung: ist es eine<br />

Kreuzung aus Mensch und Gott? Transformation des menschlichen Fleisches?<br />

o die Versuchung die Identität Christi so zu denken hat es gegeben, es gibt sie auch in<br />

verschiedenen Kirchen der alexandrinischen Tradition (→ die alexandrinische<br />

Versuchung);<br />

Kurzformel dieser Vermischung, die als „apollinarisch“ verurteilt wurde, eine<br />

fleischgewordene göttliche Natur<br />

- 29 -


Dogmatik I<br />

o die antiochenische Schule versucht zu unterschieden zwischen Gott und Mensch, die<br />

Gegner unterstellen ihnen eine Trennung, eine zwei-Söhne-Lehre;<br />

o der große Krach zwischen den beiden Schulen war dann die „Räubersynode“, wo sich<br />

dann mit Gewalt die Monophysiten durchsetzen (die eine , die etwas vom<br />

Menschen angenommen hat)<br />

o dann die Reaktion aus Rom: Tomus Adflavianum, der Brief Leos an den abgesetzten<br />

Patriarchen von Konstantinopel<br />

Leo nimmt die Entwicklung auf und versucht zu vermitteln<br />

dieser Brief an Flavian wird zur Grundlage dessen, was wir orthodoxe<br />

christologische Formel der alten Kirche nennen<br />

2.3.3 Konzil von Ephesus 431 (NR 160-163, 167, 172)<br />

- die Alexandriner und Antiochener reisen nach Ephesus, die Alexandriner waren schneller da<br />

- Cyrill mit seinen Getreuen kam an und nutzte die Gunst der Stunde und eröff<strong>net</strong>e das Konzil<br />

- das Konzil von Ephesus besteht eigentlich aus zwei Versammlungen: die Alexandriner halten<br />

Konzil ohne die anderen, sie exkommunizieren Nestorius und dogmatisieren ihre Position<br />

- vier Tage später kommen die Antiochener an und exkommunizieren die Alexandriner<br />

- aber auf welcher Seite steht nur der Kaiser?<br />

- Ergebnisse: NR 160-162: Maria als , das Wort der hat sich dem<br />

Fleisch nach geeint und es ist eine seinshafte Vereinigung<br />

o die Alexandriner haben die Position als Lehre von zwei Söhnen verstanden, nämlich<br />

den Sohn des Vaters (der in Ewigkeit aus dem Vater geboren ist) und den Sohn Mariä<br />

(der in der Ewigkeit aus Maria geboren wurde)<br />

- → zwei Versammlungen in Ephesus, sich gegenseitig exkommunizierend, jede Partei<br />

verzerrt die gegnerische Position bis zur Unkenntlichkeit<br />

- die Antiochener haben Recht wenn sie den Alexandrinern vorwerfen auf eine häretische<br />

(apollinarische) Weise zu reden, die Alexandriner werden den Antiochener eine zwei-Söhne-<br />

Lehre vorwerfen (was Nestorius nie gelehrt hat!)<br />

o NB: Nestorianismus ist eine häretische Position, aber Nestorius hat das nie gelehrt;<br />

Nestorianismus ist: zwei Söhne, der Sohn des Vaters und der Sohn Mariens, die sich<br />

voneinander nicht nur unterscheiden, sondern getrennt gedacht und nachträglich in<br />

eine Verbindung gebracht werden<br />

2.3.3.1 polemische Dogmatisierung in Ephesus<br />

- Fazit: Cyrill: Maria sei , denn das beseelte Fleisch Jesu hat seine Subsinstenz im<br />

ewigen Logos; Einheit in Christus: gemäß der und gemäß der <br />

o Einheit gemäß der Hypostase ist problematisch, weil Hypostase zu der Zeit noch<br />

mit der Physis identisch ist → also zu dieser Zeit monophysitismusverdächtig (ist<br />

also ein Extrem zu dieser Zeit)<br />

o Cyrill dogmatisiert das in Ephesus, die Gegenversammlung wird kaum gehört<br />

o der Kaiser aber pocht auf Versöhnung und zwei Jahre nachher kommt es zu einer<br />

Versöhnung<br />

- Integration der berechtigten Anliegen der Gegner (Versöhnung auf Kosten des<br />

Sündenbocks Nestorius) – man einigt sich auf Termini, und das war möglich, weil man die<br />

lebendige Rivalität ausschloss, im Klartext, dass Nestorius fallen gelassen wurde<br />

o vor der Versöhnung: Antiochener: Jesus sei ein (Maske), in der zwei<br />

Hypostasen und zwei Naturen sind;<br />

o die Rede der Alexandriner war anderes: Christus sei eine Natur und eine Hypostase,<br />

die Fleisch geworden ist<br />

- 30 -


Dogmatik I<br />

Antiochener Alexandriner<br />

1 Prosopon 1 Natur<br />

2 Hypostasen 1 Hypostase<br />

2 Naturen 2 Naturen<br />

- die Antiochener verzichten auf die Redeweise von zwei Hypostasen (menschlich und<br />

göttlich) in Christus, die Alexandriner verzichten auf jene Redeweise, die ausdrücklich als<br />

apollinarisch verurteilt war, nämlich von einer Natur (fleischgewordene Natur)<br />

- auf diese Art entsteht der neue Begriff 1 Hypostase, 1 Prosopon, 2 Naturen<br />

- also, neue Sprache wurde gefunden; man könnte sagen, das Problem sei erledigt – es war eine<br />

politisch korrekte Lösung (und das ist eine sprachliche Regelung, die aber nicht lebendige<br />

Konflikte löst)<br />

2.3.3.2 Eutyches und die Räubersynode 449<br />

- Cyrill ist weg, es kommt Eutyches der meint, die Sache weiter klären zu können und sagt, es<br />

hätte schon zwei Naturen gegeben, aber vor der Einigung, danach sei doch nur eine Natur<br />

übriggeblieben<br />

- er ist derjenige, der ausdrücklich das Bild vom „himmlischen Maultier“ verwendet<br />

- hier wird der Monophysitismus in Reinkultur gelehrt<br />

- → das ist die nächste Generation (erste Generation waren Cyrill und Nestorius)<br />

- hier ist Flavian in Konstantinopel Patriarch (kommt aus Antiochien)<br />

o er verurteilt den Eutyches woraufhin die aufgebrachten Alexandriner die so genannte<br />

„Räubersynode“ in Ephesus veranstalten,<br />

o sie setzen Flavian dort ab, sie rehabilitieren Eutyches<br />

o „Räuber“synode, weil Gewalt ausgeübt wurde, weil Menschen gezwungen wurden<br />

Dinge zu unterzeichnen, die sie nicht wollten<br />

- was klar bleiben muss sind die Positionen: wir sind unterwegs zu Formeln; eine dramatische<br />

Auseinandersetzung zwischen Parteinen die die Gottheit betonen, bzw. die die<br />

Menschheit betonen<br />

- der Patriarch von Konstantinopel wird also abgesetzt, Eutyches wird rehabilitiert (Jesus<br />

Christus ist ein himmlisches Maultier, vermischt)<br />

- auf diese Situation hin greift endlich Rom ein<br />

2.3.4 geglückte Vermittlung aus Rom: Papst Leo I. (NR 173-177)<br />

- dieser Eingriff aus Rom gilt in der Dogmengeschichtsschreibung als das Paradeexempel<br />

einer Vermittlungsaktion durch den Papst, der in einen lokalen Konflikt eingreift und<br />

Erfolgt hat<br />

- der Brief des Papstes Leo an Flavian (tomus Leonis), den abgesetzten Patriarchen von<br />

Konstantinopel, der den Patriarchen unterstützt, ist vermutlich das geglückteste Beispiel der<br />

dogmatischen Literatur<br />

- NR 173-177 ( für die Prüfung alles durchlesen!)<br />

- 173: der ewige Logos ist vom Hl. Geist und der Jungfrau geboren worden; das<br />

antiochenische Zerrbild (zwei Söhne, zwei Geburten) → Leo: ein und derselbe in der<br />

Ewigkeit und in der Zeit<br />

o hier wird das Modell der Rivalität ausgeschlossen<br />

- 174: Eigentümlichkeit beider Naturen, das Eine wird durch das Andere nicht ersetzt<br />

- 177: „Denn es wirkt jede der beiden Naturen in Gemeinschaft mit der anderen, was ihr<br />

eigen ist“ ( diesen Satz sollte man auswendig kennen)<br />

o nicht gegeneinander, sondern in Kooperation, in Gemeinschaft mit der anderen<br />

o Gretchenfrage: was wirkt das Wort? was verrichtet das Fleisch? Wort = , <br />

= menschliche Natur<br />

dogmatisch relevant ist, dass er gelitten hat, und zwar das Fleisch (die<br />

menschliche Natur) hat gelitten<br />

- 31 -


Dogmatik I<br />

das Wort, als Logos, ist eigentlich leidensunfähig<br />

o Idiomenkommunikation: ist eine sprachanalytische Regel dogmatischer Art, wie<br />

Eigentümlichkeiten einer Natur ausgesagt werden können über die einer Person –<br />

wer hat gelitten? – Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch? Streng genommen<br />

die menschliche Natur, trotzdem ist es sinnvoll, was die menschliche Natur erfahren<br />

hat von der ganzen Person auszusagen (→ ungetrennt und ungesondert)<br />

Eigentümlichkeiten können konkret ausgesagt werden<br />

- Leo der Große, von Gott erleuchtet:<br />

o ein und derselbe<br />

die ewige Geburt<br />

die zeitliche Geburt<br />

o Eigentümlichkeiten beider Naturen<br />

o in einer Person (persona)<br />

in der vollkommenen Natur eines wahren Menschen<br />

der wahre Gott geboren<br />

o Kooperation<br />

jede<br />

in der Gemeinschaft mit der anderen<br />

war ihr eigen ist<br />

o Idiomenkommunikation<br />

- der Brief des Papstes an Flavian: Identität und Unterschied von Mensch und Gott in Jesus<br />

Christus; Leo hat gelernt, dass man die Differenzen durch Unterscheidungen und nicht durch<br />

Trennungen aussagen kann<br />

o Antiochener haben Alexandrinern unterstellt sie trennten, sie lehren zwei Söhne<br />

2.3.5 Chalcedonisches Wunder 451 (NR 178)<br />

- NR 178 ( auch diesen Satz auswendig lernen): „Wir bekennen einen und denselben<br />

Christus, den Sohn, den Herrn, den Einziggeborenen, der in zwei Naturen unvermischt,<br />

unverwandelt, ungetrennt und ungesondert besteht.“ → der Eine und Selbe in zwei<br />

Naturen: unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert<br />

- Konzil findet statt angesichts der angespannten Lage<br />

- 450 stirbt Kaiser Theodosius, ihm folgt eine Kaiserin – das Konzil von Chalcedon ist das<br />

Werk einer Frau<br />

- es geht um eine neue Formel, eine Versöhnungsformel<br />

- die Formel, die dieses Konzil bringt, sammelt die Ergebnisse theologischer Diskussionen, sie<br />

bezieht nicht Stellung für eine Position; Flavian wird rehabilitiert, auch die antiochenische<br />

Schule (die bei der Räubersynode exkommuniziert wird)<br />

- das Konzil versucht ein Gleichgewicht zwischen Alexandrien und Antiochien zu finden, es<br />

findet also zu einer Formel, die die altkirchliche Christologie auf den Begriff bringt:<br />

hypostatische Union (dh Verbindung gemäß der Hypostase; Hypostase hieß zur Zeit von<br />

Nizäa Substanz [man landet bei den Alexandrien], zur Zeit von Chalcedon aber heißt der<br />

Begriff schon Person)<br />

o die Kurzformel: ein und derselbe in zwei Naturen, unvermischt und ungetrennt,<br />

NR 178<br />

o eine klare dogmatische Formulierung, die die bisherige Entwicklung rekapituliert,<br />

bestimmte Positionen aufsammelt und versucht den Mittelweg zu gehen<br />

o das ist an sich das Zentrum:<br />

gegen Nestorianismus (zu Unrecht mit Nestorius verbunden; eine Häresie die<br />

in den Köpfen der Gegner existiert) betont Chalcedon die Einheit der Naturen<br />

(gegen die Formulierung „einer und ein anderer“)<br />

gegen Monophysitismus (zu Deutsch eine Natur; zuerst Apollinaris, jetzt<br />

Eutyches) klar festgehalten die zwei Naturen (wahrer Gott und wahrer<br />

Mensch)<br />

die ewige Geburt aus Gott, die zeitliche Geburt aus Maria<br />

- 32 -


Dogmatik I<br />

man hat dem Nestorianismus unterstellt es gäbe zwei Personen, der<br />

Unterschied zu Chalcedon: ein und derselbe in zwei Naturen, und die<br />

beiden werden unterschiedlich beschrieben, die eine ewig aus Gott<br />

geboren, zwei verschieden Naturen in ein und demselben<br />

die Eigentümlichkeiten werden nicht vermischt/verwischt<br />

kann man Einheit denken, ohne dass Unterschiede aufgehoben werden?<br />

Chalcedon legt programmatisch ein Modell vor, Einheit ohne das Aufheben<br />

von Unterschieden<br />

unvermischt und unverwandelt gegen Apollinaris/Eutyches<br />

ungetrennt und ungesondert gegen Nestorianismus<br />

- warum das Ganze? → um uns und um unseres Heiles willen<br />

- Gehalt:<br />

o aus Nizäa: wahrer Gott und wesensgleich mit dem Vater<br />

o aus der Verurteilung Apollinaris: wahrer Mensch bestehend aus einer<br />

vernünftigen Seele, einem Leib und damit wesensgleich mit dem Mensch<br />

o aus Ephesus: Gottesgebärerin<br />

o aus dem Schreiben Leos: die eine Hypostase, die zwei Geburten, die Bewahrung<br />

der Eigentümlichkeiten der zwei Naturen<br />

- wir haben hier das zentrale Dogma der östlichen und westlichen Kirche, bis auf die<br />

monophysitischen Kirchen; es ist Basis der altkirchlichen kirchlichen Entwicklung<br />

- die Sprache des Dogmas ist die Sprache der Einheit<br />

o man muss bedenken, welche Positionen integriert wurden: Auseinandersetzungen<br />

Alexandrien-Antiochien<br />

- was ist von Chalcedon unberücksichtigt geblieben? Was gab Anlass für Streitigkeiten?<br />

o unberücksichtigt, und damit auch gleich nachfolgend Anlass zu Streitigkeiten und zu<br />

Verführung in Richtung einseitige monophysitische Interpretation, ist jene<br />

Formulierung von Leo „es wirkt jede Natur was ihr eigen ist“<br />

Chalcedon nahm die These von Leo, dass die Eigentümlichkeiten bestehen<br />

bleiben (Mensch: Hunger, Durst, Leid, Begrenzung, …)<br />

Leo sprach nicht nur von den Eigentümlichkeiten, sondern davon, dass jede<br />

Natur „wirkt“ was ihr eigen ist<br />

bei Leo ist ein klarer Hinweis, es geht auch um Wirken und Handeln, und das<br />

hat mit dem Willen zu tun; es gibt einen indirekten Hinweis auf den Willen<br />

Jesu: dass es zwei Naturen gibt, göttlich und menschlich, als Abwehr des<br />

Monophysitismus, aber was beinhaltet die Natur? Wie steht es mit dem<br />

Willen?<br />

bei Leo der Hinweis, dass jede Natur „wirkt“<br />

Chalcedon nimmt das „wirken“ nicht auf, um die extremen Monophysiten<br />

integrieren zu können, denn für sie ist das Stein des Anstoßes: die Angst, das<br />

Heil des Menschen könnte von menschlichem Wirken abhängig sein, und<br />

damit kontingent, erschreckte – es hätte so oder anders geschehen können<br />

die Mönche dachten radikal in der von Athanasius festgelegten Bahn: das<br />

Wort wurde Fleisch damit wir vergöttlicht werden – Gott ist der Handelnde<br />

um diese extremen monophysitischen Kreise zu gewinnen vermied das Konzil<br />

bewusst jene Anspielung, die schon im Text von Leo da ist<br />

die Folgen waren baldige Streitigkeiten<br />

o das Konzil klärt nicht auf, von welcher Art die Hypostase ist<br />

das Konzil hält fest: die beiden Naturen gehen in eine Person oder Hypostase,<br />

sagt aber nicht aus, was diese Hypostase sei<br />

in Chalcedon könnte man die Hypostase als einen formalen Begriff begreifen,<br />

Träger der Natur<br />

das war der Fortschritt: wenn zwei Streitparteien da sind, die einen sagen zwei<br />

Naturen und zwei Personen und die anderen eine Natur und eine Person, war<br />

die Vermittlung einen Begriff ins Zentrum zu stellen („eine“ Hypostase,<br />

„zwei“ Naturen), jeweils von einer der Parteien<br />

für die Beschlüsse des Konzils ist der Begriff Hypostase ein formaler Begriff<br />

- 33 -


Dogmatik I<br />

→ diese Klärung erfolgt beim II. Konstantinopoletanum<br />

- warum ist Chalcedon wichtig?<br />

o stellt eine Richtschnur für die kirchliche und theologische Entwicklung dar, leider<br />

zu wenig beachtet<br />

o Chalcedon ist der Akt, indem mythologisches Denken überwunden wurde<br />

mythologisches Denken vermischt<br />

mythologische Wesen sind Vermischungen, hybride Gestalten<br />

der spezifische Begriff von R. Girard: Mythos iSv Girard ist, sie vergöttlichen<br />

ihre Opfer – der auf dem Höhepunkt des Taumelns getötete Sündenbock (das<br />

Opfer) wird zur Projektionsfläche aggressiver Gewalt einer speziellen Gruppe<br />

(→ mysterium tremendum), kann aber auch Friedensbringer sein (→<br />

mysterium fascinosum)<br />

es ist der Mensch, der durch Projektionen zu göttlichen Attributen kommt<br />

Mythos vergöttlicht – der Mensch, dem göttliche Prädikate (zu Unrecht)<br />

zugeschrieben werden<br />

das wird zurechtgerückt auf der Ebene der Definition: Göttliches und<br />

Menschliches sei in Jesus unvermischt, verbunden und das so, dass es<br />

unverbunden ist<br />

→ das sind alles Negativformulierungen; Richtlinienaussagen, was auf jeden<br />

Fall falsch ist<br />

man kann unterscheiden und doch eine Einheit leben!<br />

o Überwindung des griechischen Denkens: wir sind auf dem Weg das kosmologische<br />

Denken durch das personale Denken zu ersetzen<br />

Christentum inkulturiert sich zwar in die griechische Umwelt, aber dies<br />

Inkulturation geschieht gerade so, dass eine neue, personale, Kultur<br />

herausgebildet wird („Person“ war kein Thema für das alte Denken)<br />

Chalcedon ist ein Meilenstein bei der Entwicklung des personalen Denkens<br />

Christologie und Trinitätslehre als Basis für dieses Denken; Person –<br />

– ergänzt durch relatio (Beziehung; ist für Aristoteles<br />

ein Akzidens, kann also sein, muss aber nicht damit das Seiende seiend ist)<br />

2.3.6 der Monophysitismus und die Faszination des Mythos –<br />

II. Konstantinopoletanum (NR 183f, 186)<br />

- die Klöster waren stark, es gelang ihnen immer wieder, die nachfolgenden Kaiser auf ihre<br />

Seite zu ziehen, denn diese waren nur recht lau, sie haben das Konzil nur recht lau unterstützt<br />

- die Gegner werfen dem Konzil vor, es wäre im Grunde nestorianisch gewesen und die Kirche<br />

begeg<strong>net</strong> dem damit, dass sie die nestorianischen Kirchen an den Rand drängte<br />

- zur Verschärfung kommt es, nachdem Kaiser Justinian an die Macht kommt, er ist so etwas<br />

wie der antike Joseph II.<br />

o er glaubt den Streit zwischen Chalcedonenser und Monophysiten schlichten zu<br />

können, er geht den Monophysiten entgegen, verurteilt selber, weil er sich als<br />

Theologe und Herr der Kirche fühlt, verurteilt die Antiochener deswegen, den<br />

Theodor von Mopsuestia<br />

o der Westen ist entsetzt, aber der Kaiser verschleppt den Papst nach Konstantinopel<br />

und zwingt ihm, der Verurteilung zuzustimmen<br />

o der Kaiser inszeniert nun das Konzil 553<br />

o damit das Konzil Gültigkeit erlangt muss der an sich unabhängige Bischof von Rom<br />

zustimmen, aber Vigilius ist in Konstantinopel<br />

o der Westen ist noch mehr entsetzt, der Kaiser drängt sogar auf die Exkommunikation<br />

des Vigilius, dazu kommt es aber nicht, weil Vigilius sich letzten Endes auf die<br />

Gespräche einlässt<br />

o es wird eine Kirchenversammlung abgehalten mit einer klaren Lehre, die zuerst<br />

Chalcedon aufnimmt, wobei eine Interpretation stattfindet<br />

- 34 -


Dogmatik I<br />

um den Monophysiten entgegen zu kommen wird Schwerpunkt auf die<br />

Einheit in Christus gelegt, dh alles wird gelesen durch die Brille der<br />

ägyptischen Monophysiten<br />

- neu ist der Begriff der Hypostase bei der Hypostatischen Union:<br />

o Hypostase, die Chalcedon nicht definierte: die Hypostase um die es hier geht ist jene<br />

des Sohnes; es gibt keine weitere Hypostase, keine weitere Person<br />

o Hypostatische Union gemäß der Hypostase ist die Hypostase der zweiten Person<br />

in der Trinität<br />

o Klartext: es gibt keine menschliche Hypostase in Jesus Christus, keine<br />

menschliche Person<br />

o man spricht deswegen ab diesem Zeitpunkt von der Anhypostasie der menschlichen<br />

Natur – die menschliche Natur Christi existiert verankert in der göttlichen<br />

Hypostase und es gibt keine menschliche Hypostase<br />

o altkirchliches Modell: göttliche Natur + menschliche Natur → göttliche Person –<br />

diese göttlicher Person des Logos ist der göttlichen Natur identisch zuzuordnen – es<br />

gibt keine menschliche Person<br />

die Nestorianer wurde als zwei Naturen, zwei Personen gedeutet<br />

die orthodoxe altkirchliche Christologie: in der göttlichen Person des Logos<br />

sind unvermischt göttliche und menschliche Natur verbunden<br />

o was ist aber Natur? Erkennen und Wollen; was wir heute mit „Person“ verbinden, ist<br />

im alten Denken mit „Natur“ identisch, erkennen und wollen sind Vollzüge der<br />

Natur → in Christus gibt es menschliches Erkennen und Wollen<br />

o was ist dann die Person? Zur Zeit von Chalcedon ist das nur der Träger, ein formaler<br />

Begriff – ein inhaltsleerer Rahmen? Schon zu diesem Zeitpunkt musste gesagt<br />

werden, dass das Sohn-Sein (subsistierende Beziehung) Person ist<br />

o Rahner: Person Jesus von Nazaret ist die Beziehung vom Vater zu ihm und seine<br />

Beziehung zum Vater – im Unterschied zu uns, die wir fragmentarisch Kinder Gottes<br />

sind, lebte Jesus aus einer exklusiven Beziehung zum Vater<br />

hier ist nicht jener Personenbegriff der modern autonom gedacht ist und auch<br />

nicht jener Begriff, denn dann Boethius auf den Begriff gebracht hat<br />

Person also als Beziehung<br />

o Hypostatische Union heißt Einheit gemäß der Hypostase des Logos<br />

- der zweite Punkt: um den Monophysiten weit entgegen zu kommen beschließt die<br />

Versammlung, dass der Unterschied zwischen beiden Naturen nur theoretisch aufzufassen<br />

sei (NR 186)<br />

o die Vorstellung: es gibt die menschliche Natur in Christus, aber die sei etwa<br />

ähnlich dem Essigtropfen im Ozean: es gibt ihn zwar, aber auswirken tut er sich<br />

nicht<br />

o wenn schon Mensch, dann unwichtig<br />

o Satz von Leo: es wirkt jedes, was das ihrige ist, und es gibt also doch zwei Zugänge<br />

2.3.7 Einigungsversuche angesichts des voranschreitenden Islams<br />

- 630 gelingt zwar der Sieg über die Perser, aber 630 ist das Jahr, indem Mohammed von<br />

Medina nach Mekka zurückkehrt<br />

- dh die alte Kirche ist konfrontiert mit einer neuen geistigen Kraft<br />

- es waren 300 Jahre erbitterte Streitigkeiten zwischen Patriarchaten (Alexandrien, Antiochien,<br />

Konstantinopel, Mönche, …)<br />

o Ägypten als Bollwerk der Mönche die verstritten sind, aber gemeinsam gegen<br />

Konstantinopel vorgehen<br />

o 300 Jahre Streitigkeiten zur Christologie<br />

- die durch die Streitigkeiten ermüdete Kirche Ägyptens und Afrikas vermag der<br />

Herausforderung und der Einfachheit des Islams keinen Widerstand mehr zu leichten – es<br />

findet ein Paradigmenwechsel statt<br />

- 35 -


Dogmatik I<br />

o Islamisierung war nicht friedfertig, es waren Kriege, aber es gibt analoge<br />

Situationen in der Weltgeschichte; starke geistige Strukturen vermochten über<br />

Jahrzehnte geistigen Widerstand zu leisten<br />

o es hat mit der Schwäche des damaligen Christentums zu tun, einer Schwäche durch<br />

Streitigkeiten<br />

- angesichts dieser neuen Kraft gibt es einen letzten unseligen Vermittler, der zwischen den<br />

noch immer starken monophysitischen Kräften und den Chalcedonenser vermitteln will ist<br />

Patriarch Sergius, anders als Justinian<br />

o er knüpft bei jener Problematik an, die den Monophysiten Dorn im Auge war: der<br />

menschliche Wille – gab es in Christus menschlichen Willen oder nicht?<br />

o Sergius bezieht sich auf die Exegese in Mk 14,36 („Nicht mein Wille geschehe<br />

sondern dein Wille geschehe“)<br />

o Sergius liest daraus folgendes Schema ab:<br />

menschlicher Wille : nicht leiden<br />

göttlicher Wille : leiden<br />

menschlich göttlich<br />

deswegen: kein menschlicher Wille<br />

o damit glaubt Sergius die Monophysiten zu ködern: wenn es in Jesus nur den<br />

göttlichen Willen gibt, ist unser Heil allein in der Gottheit verankert und somit<br />

gesichert<br />

o er ist Patriarch von Konstantinopel, schreibt einen Brief nach Rom zu Papst Honorius<br />

und unter der atmosphärischen Stimmung der Bedrohung stimmt Honorius dieser<br />

Formel förmlich zu und der Kaiser Heraklius glaubt die Stunde der Versöhnung<br />

gefunden zu haben, er erhebt die Lehre zur offiziellen Staatslehre<br />

→ Fundamentaltheologie: kann der Bischof von Rom einer dogmatisch<br />

falschen Formel zustimmen?<br />

Papst Honorius ist jener Papst, der eigentlich einen dogmatischen Fehler<br />

begangen hat<br />

o Bedrohung – Vermittlungsversuch des Patriarchen – Zustimmung des Papstes –<br />

Kaiser macht daraus Staatslehre<br />

o es meldet sich ein einziger Zeuge: Maximus Confessor<br />

2.3.8 Entmythologisierung durch Maximus Confessor<br />

- nach Athanasius die zweitgrößte Gestalt der alten Kirche<br />

o Leo ist ein großer Vermittler, muss aber nicht unter Gefahr etwas bekennen –<br />

Athanasius wurde zwar kein Martyrer, aber er bürgte mit seiner Existenz für die<br />

Wahrheit<br />

- lebte 580-662, einer der großen Gelehrtengestalten, beinahe Martyrer<br />

- Maximus meldet gegen das Modell Sergius’ Widerspruch an und eb<strong>net</strong> dem nächsten Konzil<br />

den Weg und löst und schließt ab was orthodoxe Christologie wird:<br />

o im Gebet Jesu sind nicht nur zwei Willensäußerungen am Werk, sondern drei; er<br />

formuliert das „ich will nicht“ zu einem vormoralischem Instinkt<br />

vormoralischer Instinkt : nicht leiden<br />

göttlicher Wille : leiden<br />

menschlicher Wille : „Vater, …, aber dein Wille geschehe“<br />

o Maximus stellt die Frage, wer den ganzen Satz ausspricht, und das ist Christus in<br />

seiner menschlichen Natur; Christus als Mensch findet zu einer moralischen<br />

Willensäußerung die abwägt<br />

o Jesus stimmt frei als Mensch dem göttlichen Willen zu, und diese Zustimmung (nicht<br />

einander entgegengesetzt) sei Äußerung des menschlichen Willens Jesu<br />

o das ist ein analoges Denken, was in der Kirche später (explizit in Vatikanum II va bei<br />

Maria – sie stimmt frei zur Inkarnation zu) zur Anwendung kommt<br />

auch hier, schon im Altertum: Gott benutzt den Menschen Jesus nicht wie ein<br />

Instrument (das wäre die Vorstellung von Sergius, die Vorstellung mit der die<br />

Monophysiten gut leben könnten) – Jesus stimmt frei zu<br />

- 36 -


Dogmatik I<br />

- das ist eine Frage die sehr große politische Konsequenzen hat: wie geht Gott mit Menschen<br />

um? – Man kann es an seinem Sohn ablesen? Der Sohn erfüllt die Sendung, aber aufgrund<br />

einer klaren menschlichen Willensentscheidung – und das ist natürlich heikel<br />

o in dem Moment wo Maximus als Mönch diese Lehre verkündet, verstößt er gegen die<br />

offizielle Staatslehre<br />

- es gelingt Maximus Papst Martin (Nachfolger Honorius) zu überzeugen<br />

o Martin beruft eine römische Synode ein und diese beschließt die Lehre, dass es in<br />

Christus zwei Willen gibt, die einträchtig verbunden sind, sodass er durch jede<br />

seiner beiden Naturen durch freie Entscheidung gelitten hat<br />

o Martin wird verschleppt, Maximus wird gefoltert, damit er seine gottlose Lehre nicht<br />

mehr verkünden kann wird ihm die Zunge entfernt und damit er es nicht schreiben<br />

kann werden ihm die Hände abgehackt (→ daher Titel „Confessor“)<br />

o Maximus stirbt dann als Greis in Haft<br />

- die Muslime drängen immer mehr in den Westen, der Nachfolger Heraklius beruft ein<br />

weiteres Konzil ein<br />

2.3.9 III. Konstantinopoletanum<br />

- schließt das Reigen der christologischen Auseinandersetzungen<br />

- qualifiziert die das Gegenteil sagende als „ruchlose Irrlehrer“<br />

o ist das deutlichste Beispiel, wo ein Papst angeprangert wird (Honorius)<br />

- es wird jener Satz zitiert, den wir von Leo kennen und der im II. Konstantinopoletanum<br />

zurückgezogen wurde mit der Begründung, dass es nur hypothetisch sei<br />

- Christus ist eine Person in zwei Naturen und beide Naturen haben ihren je eigenen Willen,<br />

ihre je eigene Wirkweise, sie sind einander nicht entgegengesetzt<br />

- damit ist die klare richtungweisende Deutung der biblischen Tradition vorgegeben: Jesus ist<br />

auch als echter Mensch und die Bedeutung des Menschseins ist nicht Werkzeug zu sein<br />

sondern dass er die göttliche Sendung mit seinem freien Willen übernimmt: er handelt frei!<br />

- mit diesem Konzil ist das dogmatische Ringen um Heil und Wahrheit in der alten Kirche<br />

eigentlich abgeschlossen<br />

- was wurde erreicht:<br />

o mit dem Bekenntnis zu zwei Willen auch ein klares Bekenntnis zur Menschheit<br />

Christi<br />

o Inkulturation des Christentums in die griechische Kultur, gleichzeitig wurde die<br />

Sprache und die Kultur neu geprägt, va in Hinblick auf den Begriff „Person“ und<br />

„Beziehung“<br />

o die dogmatische Sprache ist scheinbar unauflöslich mit Gewalt verbunden<br />

Dogma und Sünde hängen oft zusammen, aber man kann lernen, wann<br />

Wahrheit behauptet werden kann: erst dann, wenn das legitime Anliegen des<br />

Gegners berücksichtigt wurde<br />

- die Tatsache, das der Islam so stark wurde wie er heute ist, geht auf die Schwäche der<br />

damaligen Kirche zurück<br />

o Mohammed kannte nur den Monophysitismus, und das widerte ihn an – er sah darin<br />

nichts anderes als Vergöttlichung eines Menschen<br />

o im Namen einer theologischen Gotteskritik lehnte er das Christentum ab<br />

o die monophysitischen Kreise waren zu schwach, um die islamische Infragestellung<br />

auch auf intellektueller Ebene zu begegnen<br />

2.4 das christologische Drama in der Gegenwart<br />

- zur Erinnerung: Christologie als Projektionsflächen<br />

o in der Gegenwart verstärkt sich das Problem: entgegen der Erwartungen der<br />

Religionssoziologen sind wir nicht in einem säkularen Zeitalter angelangt, vielmehr<br />

findet eine Remythologisierung statt<br />

- 37 -


Dogmatik I<br />

o diese Mechanismen sind da, für viele Menschen bietet die christologische Frage<br />

nichts Größeres als alle anderen Heldensagen<br />

o die Projektionsfläche für Ängste und Hoffnungen und die Frage, wie die Kirche<br />

darauf antwortet<br />

o die klassische Antwort, was Jesus Christus ist, ist die hypostatische Union<br />

in Jesus Christus haben wir die Identifizierung Gottes greifbar mit einem ganz<br />

konkreten Menschen, vom Ursprung dieses Menschen an<br />

der Jude Jesus von Nazaret als menschgewordene Zuwendung Gottes, keine<br />

Momentaufnahme sondern eine Lebensgeschichte<br />

darin kommt die ganze Heilsgeschichte<br />

Identifizierung nach dem Muster: ohne Gott gäbe es diesen Menschen nicht<br />

und ohne diesen Menschen gäbe es die Menschwerdung nicht → ungetrennt,<br />

aber auch unvermischt<br />

Menschwerdung Gottes: hineingeboren in die Zeit aus einer Frau ohne, dass<br />

daraus etwas menschliches zu kurz kommen wurde (unterschieden meint nicht<br />

trennen)<br />

- im dogmatischen Kontext nichts Neues mehr bis Vatikanum II<br />

- viele theologische Entwürfe, aber keinen inhaltlichen Impuls mehr<br />

- erst Vatikanum II, und interessanterweise in einem Dokument in dem man es nicht erwartete,<br />

bringt einen neuen Impuls: GS 22 („Christus, der neue Mensch“)<br />

o „… denn er, der Sohn Gottes, …, hat sich mit jedem Menschen vereinigt“ →<br />

Menschwerdung Gottes als Vereinigung mit jedem Menschen<br />

o der entscheidende Punkt: Klärung des Geheimnisses des Menschen, Verbindung<br />

Anthropologie-Christologie, das Geheimnis des Menschen klärt sich erst im Kontext<br />

der Christologie auf<br />

o in GS 9 wird das Geheimnis des Menschen mit den Worten „profundior et<br />

universalior appetitio“ beschrieben, also ein Wesen, das sich mit nichts zufrieden<br />

gibt, und diese appetitio wird in Christus zur Vollendung gebracht, einerseits<br />

Erfüllung der appetitio durch Verbindung durch Gott und homo perfectus aufgrund<br />

seiner Beziehungen<br />

o in der Christologie wird das moderne Beziehungsdenken aufgenommen (alt: Natur,<br />

Wesen, … das sind statische Begriffe; hier wird das moderne Beziehungsdenken<br />

aufgenommen: Relation)<br />

o er ist der perfekte Mensch, weil er sich in seiner Menschwerdung mit jedem<br />

Menschen verbunden hat<br />

Relation zu allen kann nur von Gott ausgesagt werden<br />

o hier wird in der Christologie jene göttliche Relation mit Christus verbunden,<br />

bezogen auf den Menschen<br />

hier werden zaghafte jene Spuren weiterverfolgt, die in der alten Kirche schon<br />

da waren (Gott wurde Mensch damit der Mensch vergöttlicht wird)<br />

die appetitio wird erst erfüllt, wenn der Mensch Gott teilhaftig wird<br />

das sind Kategorien die in den Bereich der Ontologie fallen<br />

o theologisch kann man über den Menschen nicht großartiger sprechen<br />

o Antwort der Kirche auf die Projektionslogik der Gegenwart: Gott nimmt<br />

menschliche Sehnsüchte ernst, macht sie sich zu eigen (auch Beziehungen leben von<br />

Projektionen), mehr noch, er wird zum Opfer menschlicher Wünsche, Sehnsüchte<br />

und Projektionen, denn Projektionen fordern Opfer<br />

o weil der ganze Prozess nicht frei ist von Projektionen folgt nun organisch ein neuer<br />

Akzent: die Aussage über die Wahrheit des Kreuzes als Überwindung von<br />

Projektionsmechanismen<br />

- 38 -


Dogmatik I<br />

3 dogmengeschichtliche Präzisierung der Frage nach dem<br />

Heil oder die Wahrheit des Kreuzes<br />

- gerade angesichts des modernen Befunds, dass die Gestalt Jesu den Gläubigen als<br />

Projektionsfläche dient oder aber – nicht nur von den Distanzierten/Gegner – durch andere<br />

Projektionsflächen ersetzt wird<br />

Einstieg: zur Eigengesetzlichkeit der Projektionsmechanismen<br />

- man streitet um die Wahrheit und unterstellt dem Gegner das Schlimmste<br />

- es scheint eine Eigengesetzlichkeit zu sein, dass selbst in rationalen Diskursen<br />

Dämonisierung geschieht<br />

- die Dämonisierungen sind kein Privileg der Christen, schon gar nicht jener vergangener<br />

Zeiten, auch heute wird dämonisiert und zwar in alle Richtungen<br />

- Dämonisierung findet auch dann statt, wenn entsprechende Bilder und Begriffe fehlen (die<br />

politisch korrekte Kultur scheitert spätestens hier: zu meinen, wir hätten die Gefahren der<br />

Projektionen dadurch gebannt die entsprechenden Begriffe zu tabuisieren ist ein Trugschluss)<br />

- dramatische Theologie verhilft sich mit einem anthropologischen Modell:<br />

Anknüpfungspunkt stellt GS 9 dar – der Mensch ist ein entgrenztes Wesen, nicht nur ein<br />

Geschöpf mit Leib und Seele, sein Begehren ist zwar instinktiv gesteuert, aber nicht durch<br />

Instinkte begrenzt<br />

- Begehren: unsere akademische Kultur in Europa steht seit Jahrhunderten unter dem Einfluss<br />

von aristotelischem und platonischem Denken, das den Schwerpunkt auf die Vernunft legt,<br />

im Grunde ist der Mensch Vernunftwesen wenn er den Leidenschaften entsagt (denen zu<br />

erliegen wäre eine Panne)<br />

- hier wird bei den Leidenschaften angesetzt, beim Begehren, das schwer zu zügeln ist; nicht<br />

Leidenschaften bedürfen einer Erklärung, sondern die Tatsache, dass Menschen mit einer<br />

appetitio sich nicht gegenseitig umbringen<br />

- der Mensch ist zwar gut erschaffen worden, aber erbsündhaft geschädigt, und deshalb ist<br />

Zivilisation eine Leistung und nicht wie Rousseau meinte etwas den guten Menschen<br />

Verderbendes<br />

- wenn Streit der Alltag ist, wenn Projektionen den Großteil des Lebens ausmachen, warum<br />

bringen wir uns dann nicht um? Wie werden Projektionen überwunden?<br />

Exkurs: mimetische Gesetzmäßigkeiten bei der Kultivierung der<br />

profundior et universalior appetitio<br />

- bedeutet Nachahmung, hier aneignende Nachahmung, was begehren die Menschen<br />

- wir begehren körperliche und ökonomische Güter aufgrund dessen, dass die anderen<br />

Menschen das begehren<br />

- das menschliche Begehren, und das meint mimetische Struktur, ist eine Dreiecksstruktur;<br />

nur selten begehrt der Mensch in einem dualen Kontext – wir begehren das was andere<br />

begehren, und deshalb kann es nie befriedigt werden (→ Kultur der Seitenblicke)<br />

- das erklärt auch, warum wir nie zufrieden sind<br />

- das Grundproblem ist nicht die Tatsache der mimetischen Struktur, sondern die damit<br />

gekoppelte Rivalität, die dazu führt, dass die Identität der Konfliktpartner sich verändert,<br />

und zwar hin zu Ähnlichkeit (was ist dann noch meine Identität)<br />

o Streitparteien werden im Streit einander ähnlicher<br />

o sie sind zwar überzeugt der Andere habe völlig unrecht, von außen beobachtet ist das<br />

aber spiegelbildlich gleich<br />

o alle Konflikte die zu Eskalation drängen neigen zu Spiegelbildlichkeit<br />

o mehr noch, man unterschiedet sich bald nicht mehr von der Umgebung<br />

- 39 -


Dogmatik I<br />

o die Identität, das was Menschen unterscheidet, droht in einem Konflikt zu<br />

verschwinden – wer bin ich noch in einem eskalierenden Skandal (Ehe, Partnerschaft,<br />

…)<br />

- ich begehre was andere begehren, ich will sein was der Andere ist → menschliches<br />

Begehren kopiert ein anderes Begehren, und das heißt identisch sein<br />

o unsere postmoderne Kultur: wir haben vordergründig viele Möglichkeiten, die dann<br />

doch irgendwie dasselbe sind<br />

- mimetische Rivalität: das Problem der Moderne: wenn das Begehren entfesselt wird, die<br />

grenzenlose Entfesselung des menschlichen Begehrens, führt nicht zu Differenzierungen<br />

sondern paradoxerweise zu immer größerer Homogenität<br />

o die Menschen leben auch systematisch in einem Rivalitätskonflikt<br />

o das führt zu vielen Aggressionen, zu diffusen Verhaltensweisen, zu<br />

Persönlichkeitsspaltungen, …<br />

o gibt es Versöhnung? Kann es eine Differenz geben?<br />

o Differenzen werden dadurch erzeugt, dass Menschen als Sündenböcke ausgestoßen<br />

werden und fallen<br />

- Versöhnung der Vielen auf Kosten des Sündenbocks<br />

o Sündenbockjagd als Differenzierung<br />

- Entfesslung des mimetischen Begehrens und entfesselte Sündenbockjagd als Ordnung<br />

o es gibt aber Katastrophen, die sich durch Sündenböcke nicht lösen lassen<br />

o das reale Problem kann durch eine Sündenbockjagd nicht gelöst werden, dennoch<br />

ist diese Spannung da<br />

- Ziel dieses Exkurses: Projektionen deren Ursprung oder Verstärkung im Kontext des<br />

mimetischen Verhaltens zu finden sind; Sündenbockjagd führt zu Dämonisierung<br />

o die vielen Dämonisierungen verhindern die Hexenjagd auf Einzelne, sie wird<br />

gebrochen<br />

- trotzdem gibt es auch große Dämonisierungen heute:<br />

o Dämonisierung der Religionen; unsere liberale Öffentlichkeit ist dabei, Religion<br />

ständig zu einem Sündenbock abzustempeln, Abschaffung der Religion würde Gewalt<br />

mindern<br />

o Dämonisierung der Kirche; was teilweise in der Öffentlichkeit entsteht (zB<br />

Missbrauchsskandal) ist nicht frei von Dämonisierung: die Hetze<br />

o Dämonisierung des Christentums wegen des Kreuzes: es sei menschenfeindlich,<br />

gewaltverherrlichend<br />

o → ausdrückliche Dämonisierung in einer Welt, die sich vom Teufel offiziell<br />

verabschiedet hat<br />

eine Kultur die Elektrizität und Aufklärung hat, kann die archaischen<br />

Geschichten nicht mehr tradieren<br />

zum selben Zeitpunkt hat die Unterhaltungsindustrie das Thema entdeckt<br />

es gibt so etwas wie eine Rückkehr des Teufels in die aufgeklärte Gesellschaft<br />

und, und das ist das Schwerste, es gibt die Lebendigkeit des Teufels weltweit<br />

wir haben unsere Augen verschlossen, dass „Hexe“ heute nicht eine<br />

Bezeichnung für eine emanzipierte Frau ist, sondern weltweit findet<br />

Verfolgung statt<br />

o im Kontext der Religiosität werden wohl jene Gruppierungen zunehmen, die diese<br />

Problematik ausdrücklich benennen (keine Banalisierung des Teufels)<br />

die Religiosität der südlichen Hemisphäre denkt hier anders: für viele<br />

christliche Kirchen in Afrika und Asien ist die Frage der Bekämpfung der<br />

Hexenverfolgung ein zentrales pastorales Problem<br />

- 40 -


Dogmatik I<br />

3.1 Relevanz altkirchlicher Motive: Erlösung als Befreiung von der<br />

Macht des Teufels<br />

- Jesus in der dramatischen Auseinandersetzung um Heil und Wahrheit, der Rahmen des<br />

chalcedonischen Dogmas (wahrer Gott und wahrer Mensch), Jesus von Nazaret der selber,<br />

obwohl von Gott getragen, angeklagt wird, er sei vom Teufel besessen und handle in dessen<br />

Namen<br />

3.1.1 der Satan in der biblischen Tradition<br />

- der Satan der vom Himmel fällt (Lk 10,18); die Stunde, in der der Herrscher dieser<br />

Weltzeit hinausgeworfen werde (Joh 14,30) → Ankläger, Versucher, Verführer,<br />

Herrscher dieser Weltzeit<br />

- eine sehr wichtige Rolle<br />

- man kann diese übersehen und das hat die Theologie der letzten Jahrzehnte getan, indem sie<br />

dies Aussagen als zeitbedingt depotenziert hat<br />

o Inkulturation muss neu gedacht werden, dh man muss alles, was in dieser konkreten<br />

Kultur Aussagekraft hat, berücksichtigen<br />

- Bibel unterscheidet die vielen Dämonen von denen Jesus befreit – sieht man das als einfache<br />

Krankheiten, bleibt doch der Satan übrig<br />

- Ankläger: Satan bei Ijob ist ein Prosopon, eine Maske, das mit Zweifel an einen konkreten<br />

Menschen verbunden ist<br />

o nicht ein Anwalt einer anderen Wahrheit, Satan ist ein Ankläger iSd Anschuldigung;<br />

Zweifel an der Rechtschaffenheit zu wecken, doch die Leiche im Keller suchen<br />

- Versucher: synoptische Evangelien: Jesus wird mimetisch versucht; Satan gebiert sich als<br />

Gott, er ist im Grunde ein Versucher im mimetischen Sinne, er treibt moderne Werbung<br />

- diese Aussagen haben wir en masse in der Bibel, die eine bestimmte Logik der<br />

zwischenmenschlichen Kommunikation umschreiben<br />

- Lk 10,18: „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz“ – eine Aussage, die selbst<br />

die kritischsten Kritiker als jesuanisch bezeichnen; man verbinde dies mit dem Prolog des<br />

Ijob: Sinn der jesuanischen Botschaft von Gott (1. Akt) ist ein Entmythologisierung des<br />

Gottesbildes; nicht einmal in der Umgebung Gottes geschweige denn in Gott selber gibt es<br />

eine satanische Macht (Gott ist kein Schnüffler), Gott ist kein Rivale (Ankläger) des<br />

Menschen, er will die Menschen nicht zu Fall bringen → Klärung des Gottesbildes<br />

o wenn der Satan, der Aspekt der Anschuldigung, vom Himmel wie ein Blitz fiel, wo ist<br />

er dann hingefallen? – Auf die Erde! Gott beschuldigt den Menschen nicht, er ist ihm<br />

kein Rivale, aber der Geist der Rivalität/Verführung ist eine Angelegenheit, die<br />

Menschen bestens beherrschen<br />

- Joh 14,30: „Ich werde nicht mehr viel zu euch sagen; denn es kommt der Herrscher der Welt.<br />

Über mich hat er keine Macht.“; Jesus sagt, in der Passion wird der Herrscher dieser Welt<br />

(Geist der Anschuldigung) bloßgestellt und hinausgeworfen, ja gerichtet<br />

o Jesus selber deutet das Kreuz als Infragestellung dieser Logik<br />

- Fazit dieser Überlegungen: die biblischen Geschichten kennen eine Figur (Prosopon –<br />

persona – Maske; ist noch keine Person – in der Christologie wurde „Person“ gebildet, dass<br />

sich Prosopon mit Hypostasis verband, eine Maske ergänzt durch eine lebendige Beziehung<br />

und ein Selbststand ergibt eine Person)<br />

o es gibt auch andere Prosopa in der Bibel: Ankläger, Beschuldiger – aber ist das<br />

eine Person?<br />

o wenn Joseph Kardinal Ratzinger von einer „Unperson“ sprach, trifft er es genau,<br />

denn Person hat mit Beziehung zu tun<br />

o am deutlichsten greifbar: in der Versuchung? Jein, da ist man stückweise<br />

Inkarnation dieser Maske; Aber wo wird der Versucher am deutlichsten greifbar? –<br />

Dort, wo aus den Mechanismen dieser Versuchung Opfer werden – Verfolgung Jesu –<br />

Jesus wird getötet<br />

gewaltsame Verfolgung<br />

- 41 -


Dogmatik I<br />

o hier geht es um Prozesse, um ein Drama, und da gibt es verschiedene Akteure, es<br />

gibt Masken und Personen; Trugschlüsse und Wirklichkeiten;<br />

die Lüge ist eine Art der Existenz der Wirklichkeit, stürzt aber zusammen,<br />

wenn die Wahrheit kommt<br />

aber die Opfer bleiben<br />

o die Bibel kennt also eine Figur des Anklägers, der sich in der gewaltsamen<br />

Verfolgung Jesu artikuliert, dort aber aus den Angeln gehoben wird (wie auch schon<br />

bei der Versuchung, wo er von Jesus abgelassen hat, weil er nicht ankam)<br />

3.1.2 patristische Lehre<br />

- bringt eine Dramaturgie in diese Sache hinein<br />

- die Väter überliefern Geschichten von Befreiung aus der Macht des Teufels, eine, die auf<br />

unterschiedliche Weisen stattfindet – Täuschung des Teufels (vgl. Cyrill von Jerusalem;<br />

Gregor von Nyssa: während er nach der Menschwerdung schnappte wurde er von der Gottheit<br />

durchbohrt; Luther: Angelhaken des Logos, Wurm der Menschheit)<br />

o tiefer betrachtet: aus der Logik der Kraft der humilitas (Menschwerdung) sei der Satan<br />

der Ankläger und in seiner Anklage der Übermütige zu Fall gebracht<br />

- Jesus steigt nach seinem Tod in die Unterwelt um dort zu predigen, aber auch jenen zu<br />

begegnen die schon gestorben sind und in der Macht des Teufels verhaften<br />

(Glaubensbekenntnis: descendit ad infernum)<br />

o die Laudes des Ostersonntags bringt das auf den Begriff<br />

o der betrogene Betrüger – Betrug oder Abstieg, Christus steigt ab auf die Ebene des<br />

Betrügers und befreit die Menschen<br />

- der gerechte Lösepreis: Gott will dem Menschen einen Lösepreis zahlen, Gott möchte den<br />

Betrüger nicht mit Gewalt überwinden (Gregor von Nyssa)<br />

o der Gewalttäter wird überwunden, indem ihm ein Lösepreis bezahlt wird<br />

o Güte und Gerechtigkeit müssen auch gegenüber dem Gegner ausbalanciert werden<br />

o ein Argument, das sofort Widerspruch erweckt hat, va bei der Frage, wie der<br />

Verführer zu seinem Recht kam<br />

Anselm von Canterbury hat das auf den Begriff gebracht: Wenn der Räuber<br />

nicht nur von Gott sondern sogar Gott selbst als Lösegeld erhält, so ist das<br />

schändlich<br />

3.1.3 Systematik: zum Wesen des diabolos<br />

- lebendige Lüge: verdrehende Wahrheit<br />

o sprachlich: Anschuldigung, Verleumdung, Prosopon des Verleumders<br />

o Lüge ist eine Handlung die mit Verfolgung zu tun hat<br />

o in diesen Zusammenhang gehört auch der Satz: „Das Wesen des Lügner besteht<br />

darin, dass er uns über seine Existenz täuschen will“<br />

o man müsste sagen, das Satanische möchte uns überzeugen, dass es das Wesen der<br />

Verführung des Satanischen nicht gibt; es täuscht uns also, dass alles, was an<br />

Verwirrung, Verleumdung, Verfolgung in unserer Umgebung geschieht, bloß<br />

Ergebnis des bewussten Handelns von Individuen ist, die wir bewusst verfolgen<br />

können → das Wesen des Satanischen besteht darin uns zu verführen zu glauben,<br />

dass alles, gar alles, was in unserem Leben als Verführung/Ungerechtigkeit da<br />

ist, reduzierbar auf das bewusste Handeln von Individuen reduzierbar ist, die<br />

wir deshalb verfolgen können<br />

indem wir sie verfolgen, in bestem Wissen und Gewissen, verfallen wir<br />

unsererseits wieder dem Geist der Verfolgung (→ Sündenbock)<br />

das nimmt nichts zurück von der bewussten Verantwortung des Individuums,<br />

aber man kann nicht sagen, dass ein Mensch die Ausgeburt des Bösen ist, dass<br />

ein Mensch mit dem Bösen ident ist (Theologie als Anwalt des<br />

interpersonalen Verführungszusammenhangs)<br />

- 42 -


Dogmatik I<br />

moderne Gesetzgebung, die auch Aspekte und Zurechenbarkeit verfolgt,<br />

durchaus ein kultureller Fortschritt, einer allerdings, der im Kontext der<br />

jüdisch-christlichen Offenbarungskultur entstanden ist (der abendländische<br />

Kontext ist ohne biblische Offenbarung und dort beheimateten<br />

Argumentationsfiguren nicht denkbar!)<br />

o es ist eine teuflische Verführung zu meinen, den eindeutigen Täter erwischt zu haben<br />

und damit „das Böse“ gelöst zu haben<br />

- die lebendige Lüge, man kann sie auch aufziehen indem der zweite theologische Aspekt zur<br />

Sprache kommt: satanischer Geist – Geist des Stolzes (Sein-Wollen wie Gott)<br />

o die biblische Fassung der Ursünde heißt: „ihr werdet sein wie Gott“ (das ist die<br />

Versuchung)<br />

o die Ausführung ist die Sündenbockjagd – kaum hat Adam der Versuchung<br />

nachgegeben schiebt er die Schuld auf Eva, die auf die Schlange – man verweist auf<br />

den Schuldigen und versucht den Kreis zu unterbrechen indem man die Dynamik auf<br />

Einen beschränken möchte<br />

o Sein-Wollen wie Gott, eine Versuchung, die in der konkreten Ausführung sich in der<br />

Sündenbockjagd ausdrückt; auch die moderne Ausführung (Nation von Herren oder<br />

Übermenschen) hat sich nicht anders ausgewirkt als in der Sündenbockjagd<br />

o die apokryphe Tradition hat den Luzifer zum Ursprung des Teuflischen gemacht,<br />

der Lichtträger, der sich von Gott abwendet und seinem eigenen Wesen zuwendet<br />

(Aspekt der incurvatio); mit Gewalt reißt er etwas an sich heran<br />

o dieser satanischen Versuchung (Sein-Wollen wie Gott) setzt die Bibel die humilitas<br />

Christi entgegen → Christus geht nicht hinauf sondern steigt hinunter<br />

kann der satanische Einfluss durch die Botschaft überwunden werden?<br />

o die Aussage „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz“ heißt, dass es in<br />

Gott nichts Satanisches gibt, wohl aber auf der Erde<br />

o das Problem der Moderne ist: die Moderne hat Satan und Gott mit einem<br />

problemlosen Impetus über Bord geworfen: Gott auf Ebene der Wellness, die<br />

Versuchung (das mimetische Begehren) hingegen zur Tugend gemacht<br />

Frage für das Überleben der Menschheit: werden sich es genug Gegenkräfte<br />

gegen die Teufelskreise wenden oder wird man sich in einem Inferno der<br />

Gewalt zerstören?<br />

die Augen, die mit Gewalt verstellt sind, können nur noch Apokalypse und<br />

Hölle wahrnehmen<br />

um diese – verführerische – Sicht aus den Angeln zu heben, braucht die<br />

Menschheit einen Blick in das Fenster des lieben Gottes<br />

die Faszination des Negativen ist so groß, dass es eine permanente<br />

Gegenposition braucht<br />

die kann nur durch das Wort ausgedrückt werden<br />

- die Kraft des diabolos<br />

o aus dem Durchgang durch die fünf Akte hat man gesehen, dass Christus nicht nur<br />

nicht angekommen ist, sondern sein Wort und Beispiel wurden pervertiert, er selber<br />

wurde angeklagt (er sei satanischer Geist) → zynische Aushöhlung oder<br />

Pervertierung der humilitas<br />

damit hat man im Alltag immer wieder zu tun<br />

wenn der beste Wille von jemandem oder die Zurücknahme der Ansprüche<br />

durch eine Konfliktpartei (Gewaltverzicht) in den Augen des Gegners als<br />

Gewaltprovokation und Täuschung interpretiert wird<br />

die Anwaltskultur unserer Zeit ist so weit, dass man bewusst<br />

Anschuldigungen und Forderungen hochschraubt, während wenn<br />

irgendjemand bewusst zurückrudern will, wird dem unterstellt, nicht mit<br />

sauberen Karten zu spielen<br />

o sowohl im Kontext des Glaubens an seine Macht als auch im Kontext der<br />

Überwindung des Satanischen werden Menschen zu Opfern<br />

- 43 -


Dogmatik I<br />

die Arbeitshypothese hinter dieser VO lautet: Satan ist ein trügerisches<br />

Wesen, womit noch nichts über sein ontologisches Wesen gesagt ist, er ist der<br />

Inbegriff der Lüge (lebendige Lüge)<br />

o wenn wir von Erlösung als Befreiung aus der Macht des Satans reden und<br />

ausdrücklich das Geheimnis des Kreuzes reflektieren ist das der Zusammenhang:<br />

wie ist im Kreuz ein Teufelskreis unterbrochen worden? Kann ein Teufelskreis der<br />

aus der gelebten Lüge, dh dass Menschen zu Opfern gemacht werden, entsteht<br />

aufgelöst werden?<br />

Teufelskreis der gelebten Lüge wird meist nur unterbrochen, indem<br />

irgendjemand den Preis zahlt, also dass der Mangel aufgefüllt wird oder<br />

geradegebogen wird<br />

und das heißt: 3. Akt, dramatisches Erlösungsmodell; Christus unterbricht es<br />

indem er auf frontale Gewalt anders reagiert (→ Entziehen und sich dem<br />

Vater übergeben)<br />

sel. Marianna Popieluszko (polnischer Priester): „Ich kämpfe gegen das Böse<br />

und nicht gegen die Opfer des Bösen“ → im Gegner nicht die Inkarnation des<br />

Bösen zu sehen, höchstens ein Opfer dessen<br />

Jesus wird vorgeworfen, er sei des satanischen Geistes, weil er sich als<br />

Mensch selber zu Gott mache; das trifft aber jemanden, der sich nicht zu Gott<br />

macht, dessen Wesen vielmehr humilitas ist – gerade er wird angegriffen, er<br />

sei stolz; nicht nur beliebig stolz, er habe den Geist des Stolzes – er möchte<br />

sein wie Gott<br />

daraus lesen wir, das ist der geheime Wunsch eines jeden Menschen (deshalb<br />

ist Hochmut auch die erste der Todsünden)<br />

in der Anschuldigung Jesu wird dieser Wunsch greifbar als Anklage; Anklage<br />

gegen jemanden, der Inbegriff der Bodenständigkeit ist<br />

o in einer von Lüge und Gewalt verstellten Situation wird alles pervertiert<br />

o faktische Ablehnung und Tötung: gewaltsame Projektion: ein Akt, der weit über<br />

das individuelle Wollen und erkennen hinausgeht<br />

Jesus lässt es eskalieren (Haltung des Therapeuten der seinen Patienten<br />

konfrontiert): er attestiert seinen Gegnern auch den satanischen Geist:<br />

Joh 8,37-47<br />

- Erlösung im Kreuz<br />

o Überwindung der gewaltsamen Projektion: die Entladung bringt entweder<br />

Erlösung oder verfestigte Fronten<br />

o die Christen glauben, dass die Entladung der Gewalt im Kreuz Jesu Überwindung<br />

dieser gewaltsamen Projektionen war → Überwindung des Teufels im Kreuz<br />

dadurch, dass Christus die auf ihn projizierte Gewalt auf eine bestimmte Art erleidet;<br />

dass durch diese Haltung die lebendige Lüge überwunden wurde<br />

o nicht durch ethisches Verhalten: die Logik von Geboten und Verboten und die<br />

rigorose Logik der Bergpredigt scheitern (→ Übergang 2. zu 3. Akt, Katastrophe der<br />

Ethik); das Geheimnis Erlösung aus den Projektionen, es handelt sich hier nicht um<br />

einen Vorgang der nach ethischen Maßstäben zu beurteilen ist<br />

o gerade weil Ethik versagt hat braucht es eine Radikalisierung einer radikaleren<br />

Antwort, und diese Antwort ist das, was man mit humilitas Christi auf den Begriff<br />

brachte, wobei diese keine Grenzen kennt – Christus lebt die Haltung die er schon<br />

im Leben gelebt hat<br />

o humilitas als Gegenbegriff zum Hochmut; Christus lebt diese humilitas auch im<br />

Sterben<br />

zur Erinnerung an den 3. Akt: weil Jesus von Anfang an den Vater als<br />

Bezugspunkt hat, weil der Sohn seine Identität aus der Geheimnis des Vaters<br />

hat ist Christus nicht auf Projektionszusammenhänge angewiesen<br />

wir alle beziehen unsere Identität durch Projektionszusammenhänge, positiv<br />

durch Nacheifern, negativ durch Ersetzen-Wollen eines Anderen im Sinne der<br />

Rivalität<br />

- 44 -


Dogmatik I<br />

weil Christus seine Identität aufgrund seines Status hat ist er nicht auf<br />

Projektionszusammenhänge angewiesen<br />

der ambivalente Martyrer, der glaubt durch den Akt des Tötens ein Martyrer<br />

zu werden, aber gerade weil er sich töten will ist er in einem<br />

Projektionszusammenhang mit den Henkern – der christliche Martyrer<br />

entzieht sich seinen Henkern<br />

Christentum glaubt, dass es aufgrund einer Gnadengabe möglich ist, und<br />

indem wir einzelne Martyrer verehren bekennen wir, dass es so ist<br />

der Martyrerkult darf nicht seinerseits Quelle des Hasses gegen seine Mörder<br />

werden, denn wenn er Quelle der Vergeltung wird ist etwas falsch daran<br />

o bei Christus glauben wir, dass er sich seinen Gegner entzogen hat und sich dem<br />

Vater im Sterben übergibt<br />

er sieht in seinen Gegnern nicht das Böse sondern nur die Opfer des Bösen<br />

und vergibt ihnen<br />

o hier hat man die Spitze des Eisberges im christlichen Umgang mit Konflikten:<br />

gelebte Feindesliebe angesichts der gewaltsamen Ablehnung, Tötung; gelebte<br />

Feindesliebe als Überwindung der Mechanismen des Teuflischen und der<br />

Projektion<br />

o aber nicht nur die Haltung Jesu hat diesen erlösenden Charakter, sondern die Haltung<br />

des Vaters oder das radikal neue Handeln Gottes<br />

Gott vernichtet die Gegner nicht sondern er weckt den Sohn auf, er schafft<br />

neues Leben, und schickt den Sohn mit der Botschaft der Versöhnung zurück<br />

zu jenen die versagt haben<br />

das heißt im Klartext: der Ausstieg oder die Versöhnung im Kontext der<br />

Mechanismen des Bösen die sich ausgetobt und ein konkretes Opfer gebracht<br />

haben<br />

o vom Christentum zu reden, auch von der radikalen Feindesliebe, heißt, das Leben<br />

durch den Tod hindurch zu glauben, und das nicht als billige Vertröstung, dh dass<br />

das Opfer des Bösen eine Zukunft hat, aber nicht eine beliebige, auch nicht eine im<br />

Kontext von Vergeltungsmechanismen, das christliche Geheimnis heißt:<br />

Auferweckung und Zurückschicken in die Geschichte<br />

o → das Urteil des Vaters zugunsten des Sohnes und zugunsten der Gegner<br />

o der Heilige Geist: der Inbegriff der Infragestellung des satanischen Geistes; wenn<br />

der satanische Geist Anklage/Lüge ist, so ist der Hl. Geist der Geist der Wahrheit<br />

und advocatus der zugrunde gegangenen Opfer (vgl. Offb 12,7-9)<br />

die Macht des Satanischen wird durch die Martyrer überwunden<br />

- Wahrheit des Kreuzes<br />

o Wahrheit des Kreuzes: Überwindung der Mechanismen von Lüge und Gewalt,<br />

und das sind Mechanismen die auch die Moderne prägen, dadurch, dass sich die<br />

Macht der Projektionen an konkreten Opfern austobt und diese Opfer aber nicht<br />

zurückschlagen und nicht die lügnerische Situation nochmals eskalieren lassen,<br />

sondern gewaltfrei erleiden, und das heißt auch ohne Hass und ohne Bedürfnis nach<br />

Rache und Vergeltung aus der Kraft des bedingungslos vergebenden gewaltfreien<br />

Gottes<br />

o das mitteleuropäische Christentum hat übersehen, dass weltweit tausende von<br />

Christen tagtäglich ein Martyrium erleiden<br />

o die Tatsache, dass wir im 21. Jh. den Schwerpunkt des Christentums im Süden erleben<br />

werden, wo Dinge wie Dämonisierung am laufenden Band stattfindet lädt ein, hier<br />

mehr nachzudenken<br />

o Papst Johannes Paul II. wurde nie müde zu betonen, was die eigentliche Kraft des<br />

Glaubens sei: Menschen werden zu gewaltüberwindenden Individuen<br />

o das eigentliche religiöse Zeugnis in einer pluralistischen Kultur ist dort, wo aus<br />

Religion Gewaltüberwindung stattfindet<br />

- Befreiung im Kreuz<br />

o wenn das Kreuz auf mich zukommt stellt sich nur die Frage, in welchem Geist ich es<br />

erleide<br />

- 45 -


Dogmatik I<br />

3.2 Relevanz altkirchlicher Motive: Sterblichkeit und das Vergehen<br />

- Athanasius: Verteidiger des Konzils von Nizäa, fünf Mal verbannt, ist Person ein Geschöpf<br />

oder Gott, ὁμοοúσιο, dieselbe Wesenheit, dieselbe Substanz ( , )<br />

o er korrigiert seine Position zugunsten: dasselbe Wesen, mehrere Hypostasen<br />

o das war die große theologische Leistung des Athanasius<br />

3.2.1 Über die Menschwerdung des Wortes Gottes<br />

- im Kontext seiner Schrift über die Menschwerdung des Logos (Klassiker der altkirchlichen<br />

Literatur, Pflichtlektüre für die Prüfung)<br />

o vertieft die Erlösungslehre im Hinblick auf die Frage nach Vergänglichkeit und<br />

Sterben<br />

o es handelt sich um die Problematik ob das etwas Banales ist, die Banalität des<br />

Alltags?<br />

o moderne Natwi: Vergänglichkeit und Sterben hat mit Evolution zu tun, mit dem<br />

Stoffwechsel, also doch eine naturwissenschaftlich verdichtete Banalität<br />

o er bietet in seiner Schrift so etwas wie Gesamttheologie, er denkt Zusammenhänge<br />

Schöpfung-Sünde-Erlösung-Vollendung in einem geschlossenen Denkmodell<br />

o er lehnt das platonische Mittelwesen ab (der Logos als Grenzscheide)<br />

o die Schöpfung denkt er als creatio ex nihilo, der erste Kirchenvater der diese Formel<br />

systematisch ernst nimmt<br />

sie (die Erde) wird zwar aus dem Nichts geschaffen, wird aber gemäß dem<br />

Logos<br />

Gott, der die Schöpfung ex nihilo gebracht hat, erhält sie im Sein durch die<br />

Kraft des Logos<br />

die Schöpfung aus dem Nichts kann den Bestand nicht in sich selber haben<br />

weil aus dem Nichts entstanden tendiert die Schöpfung ständig zum Nichts<br />

zurück<br />

sie ist aber gemäß dem Logos geschaffen, der Mensch muss sich also erheben<br />

und den Logos schauen<br />

∑: weil die Schöpfung aus dem Nichts da ist, weil sie gemäß dem Logos<br />

geschaffen wurde, weil der Mensch Bild des Logos ist, darf und muss der<br />

Mensch sich über alles Sinnenfällige erheben; tut er es nicht fängt die<br />

Tragödie an<br />

3.2.1.1 Sünde ist Abwendung vom Logos und Zuwendung zum Nichts<br />

- hier hat die Sünde noch keine moralischen Konnotationen (wie bei Anselm von Canterbury:<br />

Sünde als Beleidigung Gottes)<br />

- hier wird Sünde theologisch umfassend beschrieben: Abwendung von der mich tragenden<br />

Kraft<br />

- beschreibt man den Logos als Sonne kann der Mensch nur der Sonne zugewandt leben und nur<br />

in der Zuwendung kann er das Licht erblicken, wenn der Mensch sich vom Logos abwendet<br />

ist er im Schatten<br />

- die Folge der Sünde ist, und das ist die radikalste Logik: weil ich die mich tragende Kraft<br />

des Logos verloren habe, fängt der Verfall, der Tod, ja die Anihilation an<br />

3.2.1.2 Folgen der Sünde<br />

- durch die Sünde des Menschen verwandelt sich die Schöpfung wieder ins Nichts zurück;<br />

Gott kann das nicht zulassen<br />

- der Verfall setzt ein: wenn sich der Mensch über alles Sinnenfällige erheben soll, so erleidet<br />

der Mensch, der dem Nichts zugewandt ist, im Bereich seiner Erkenntnis die Verzehrung<br />

seiner Erkenntnis<br />

- 46 -


Dogmatik I<br />

- die Menschen haben gesündigt, sind dem Zustand der Anihilation verfallen – die moderne<br />

Frage: was erreicht Athanasius mit einer solchen Perspektive?<br />

- er diskutiert die Frage der Sünde auf dem Hintergrund der Schöpfungsproblematik; der<br />

Mehrwert davon: das Übel ist nicht nur ein Problem der Natur; theologisch ist das Übel<br />

zwar mit der Natur verbunden, das Übel stellt aber auch ein Problem der verkehrten<br />

Verantwortung der Menschen auf dem Hintergrund der Hinfälligkeit dar<br />

- falsche Bewertung, Götzendienst, Projektionsvorgänge – die Dynamik des Bösen entfesselt<br />

– der Mensch ist versucht Gott dafür verantwortlich zu machen (das ist wiederum<br />

Projektion)<br />

3.2.1.3 Menschwerdung des Logos (Analyse der Rettung)<br />

- Gott lässt sich auf die verhängnisvolle Rettung ein<br />

- Göttlichkeit in der Schöpfungswirklichkeit (nicht aufgrund menschlicher Anstrengungen)<br />

- Menschwerdung heißt, Gott steigt in jene Wirklichkeit hinein, die vom Menschen durch<br />

seine Abkehr verlassen wurde<br />

- Konsequenz davon: eine größere Abkehr ist nicht mehr möglich<br />

- von Athanasius kann man lernen: weil der Logos Mensch wurde, weil der Logos in die<br />

gefallene Schöpfung hineingekommen ist kann es für die Christen und für die Welt von<br />

morgen keine gottlose Welt geben<br />

o bei Origenes war es theoretisch noch denkbar: neuplatonisches Abstiegsschema<br />

- mit Athanasius haben wir jenen Typus der Erlösungslehre vor uns, der den inhaltlichen<br />

Schwerpunkt bei der Menschswerdung hat, die Rettung geschieht durch die<br />

Menschwerdung<br />

- Kreuz ist damit nicht ausgeschlossen, ist aber, streng gedacht, eigentlich nicht mehr<br />

notwendig – das Aufhalten des Verfalls geschieht durch die Menschwerdung des Logos<br />

o jene Erlösungslehre, die den Schwerpunkt bei der Menschwerdung setzt<br />

- warum dann Kreuz und Tod?<br />

o als Beweis für die Überwindung der Macht des Todes<br />

o die Rettung erfolgt durch die Menschwerdung<br />

o das Kreuz, der Tod und die Auferweckung Christi sind nur Erweis dessen, was<br />

schon in der Menschwerdung stattfindet<br />

- sein ganzes theologisches Lebenswerk soll zeigen: durch die Menschwerdung ist der Tod<br />

überwunden und wir können es am Beispiel von Tod und Auferweckung sehen<br />

- er denkt sich nun x Alternativen aus um glaubwürdig zu zeigen, dass der Menschgewordene<br />

die schlimmstmögliche Art des Todes erleiden musste<br />

o deswegen: im besten Alter muss er sterben, unehrenhaft und gewaltsam um durch<br />

diesen Tod zeigen zu können, dass er die Macht über jegliche Art des Todes zu<br />

haben<br />

o am Kreuz muss er sterben weil: Athanasius bedient sich einer Logik, die man<br />

Plausibilitätslogik nennen wird:<br />

Selbsttötung wird ausgeschlossen, weil das nicht nur ethisch unehrenhaft wäre<br />

sondern gar nicht in Frage kommt, denn Logos, das Leben selbst, kann sich<br />

selber nicht töten<br />

zersägen oder enthaupten wäre nicht möglich, denn der Leib Christi muss<br />

ungeteilt sein, denn mit dem Leib Christi ist auch seine Kirche gemeint<br />

(würde der Leib Christi bei seinem Tod geteilt werden, würden die Feinde der<br />

Kirche einen Vorwand darin sehen Kirchenspaltungen zu betreiben)<br />

in der Luft: weil dort die Dämonen zuhause sind (damit die Dämonen<br />

überwunden werden) – hängen geht nicht, denn seine Arme musste er<br />

ausbreiten, weil sein Leib (seine Kirche) sich von einem Ende der Erde bis<br />

zum anderen sich erstreckt<br />

o so schöne Plausibilitätsargumente; er stirbt in der Öffentlichkeit, damit alle sehen<br />

dass er gestorben ist und wird auferweckt am dritten Tag, weil würde er sofort<br />

auferweckt könnte man sagen, er sei gar nicht gestorben; hätte es länger gedauert<br />

- 47 -


Dogmatik I<br />

könnte man behaupten, er wäre in einem anderen Leib auferstanden (die Identität des<br />

Leibes macht es nötig, die kluge Zeitspanne von drei Tagen zu nehmen)<br />

3.2.1.4 soteriologisches Paradigma<br />

- Soteriologie ist die theologische Lehre vom Erlösungswerk Christi<br />

- Überwindung des Todes, weil Logos hereingekommen ist: der Logos wird Mensch, damit<br />

wir vergöttlicht werden<br />

o eines der dicta, die man sich gut einprägen kann: Gott wurde Mensch damit wir<br />

vergöttlicht werden (jener Zustand, der dem Menschen zukäme, hätte er nicht<br />

gesündigt)<br />

3.2.1.5 Martyrium der Christen<br />

- Christen fürchten den Tod nicht, er hat seine erkenntnistheoretische Macht verloren<br />

- Martyrium heißt nicht nur den Tod nicht fürchten sondern auch den Tod nicht begehren<br />

3.3 Relevanz mittelalterliche Motive: Streit um Heil und Wahrheit<br />

- Anselm von Canterbury als Inbegriff dessen, was Erlösungslehre ist<br />

3.3.1 Wiederherstellung der rechten Ordnung durch Satisfaktion<br />

- von lat. satis facere, genugtun<br />

o Genugtuung notwendig, damit die rechte Ordnung wiederhergestellt wird<br />

3.3.1.1 Einheit vom Glaubensprimat und Vernunftvertrauen<br />

- er denkt sicher nicht von den Begriffen die in der Moderne Mode sind: anything goes<br />

o wir können unzählige Erzählungen haben, aber es ist wie wenn man auf Wolken malt<br />

o wir brauchen einen festen Grund, und den kann man nur in der Wahrheit haben<br />

- Wahrheit als Zentrum der Erkenntnis<br />

- weil die menschliche Vernunft Abbild Gottes ist, ist sie erkenntnisfähig → ratio als imago<br />

Dei<br />

- wenn wir glauben, können wir den Glauben auch verstehen; Glaubensprimat und<br />

Vernunftdenken – ich glaube um zu verstehen; nicht Irrationalität und auch kein<br />

Rationalismus (Gründe um zu glauben), denn Glaube ist Primat, aber wenn ich glaube muss<br />

ich mich auch um die Vernunft bemühen<br />

- die Einheit von Glaubensprimat und Vernunft kommt va bei seinem Gottesbegriff zur<br />

Sprache<br />

o Gott: id quo maius cogitari nequit (Gott ist das, worüber hinaus nichts Größeres<br />

gedacht werden kann)<br />

Gott als höchster Begriff überhaut<br />

könnte ich etwas Höheres denken wäre das Gott, also der Grenzbegriff<br />

weil zu diesem höchsten Begriff notwendigerweise Existenz gehört glaubt<br />

Anselm damit die Existenz Gottes bewiesen zu haben<br />

o Wahrheit: mit dem Geist allein erfahrbare rectitudo (Geradheit, Richtigkeit)<br />

das ganze Denken muss eine Ordnung haben, ansonsten ist es chaotisch<br />

die Wahrheit sei abgestützt durch rectitudo; sie sei das über den Geist allein<br />

erfahrbare rectitudo<br />

o Gerechtigkeit: Willensrectitudo um ihretwillen<br />

- auf dem Hintergrund dieser harmonischen Erkenntnistheorie, die klar logisch aufgebaut<br />

ist (das Denken darf nicht Widersprüchlich sein) will nun Anselm die notwendigen Gründe<br />

für die Menschwerdung eruieren<br />

- 48 -


Dogmatik I<br />

3.3.1.2 Notwendige Gründe für die Menschwerdung<br />

- man beachte Analogien aber auch Unterschiede zu Athanasius: beide behandeln dieselbe<br />

Fragen, aber zwischen ihnen stehen Welten<br />

o so wie Athanasius aus dem Zugang der Inkarnation steht, so wird Anselm für jene<br />

Soteriologie Pate stehen, die Tod und Kreuz ins Zentrum rücken<br />

- die erste Voraussetzung ist die Grundannahme, dass der Mensch zur Seligkeit berufen ist<br />

o eine Seligkeit, die er im Leben nicht erreichen kann, weil der Zugang dazu durch<br />

die Sünde gestört wurde<br />

- Sünde<br />

o bei Athanasius: Abwendung vom Logos und Hinwendung zum Nichts<br />

o bei Anselm: Störung der rechten Ordnung<br />

o was ist die rechte Ordnung?<br />

o für die rechte Ordnung steht der Begriff der Ehre Gottes (die Sünde ist Beleidigung<br />

der Ehre Gottes)<br />

- Gott kann in seiner Ehre an sich nicht beleidigt werden, wohl aber die äußere Ehre<br />

Gottes, die rechte Ordnung<br />

o Gott der die Schöpfung (man denke an den Hintergrund: Wahrheit und rectitudo)<br />

rational erschaffen hat wird „beleidigt“, seine Ehre wird in den Schmutz gezogen<br />

wenn die rechte Ordnung gestört wird<br />

o die Störung der rechten Ordnung legt auch die Logik fest, mit der die Ordnung<br />

repariert werden muss: aut satisfactio aut poena (entweder Genugtuung oder<br />

Strafe)<br />

o wir sind im MA, dieses Denkmodell ist bestens inkulturiert zu dieser Zeit<br />

o der moderne Mensch soll nicht allzu schnell darüber lächeln, denn im Grunde<br />

entspricht das den menschlichen Bedürfnissen (→ ungestraft kommt keiner davon!)<br />

o die große Herausforderung die sich in unserem Kontext stellt: was ist mit der<br />

Predigt der Güte Gottes? Was ist mit dem 1. Akt? Kann man das über Bord werfen?<br />

o Anselm trifft eine folgeschwere Entscheidung: reine Güte ist letzten Endes Gottes<br />

unwürdig, Gott muss über die rechte Ordnung wachen (Quelle einer heute noch<br />

verbreiteten Vorstellung)<br />

3.3.1.3 satisfactio<br />

- der Mensch muss die satisfactio leisten, kann es aber nicht – Gott könnte, muss es aber<br />

nicht<br />

o der Mensch muss, kann nicht<br />

o Gott könnte, muss nicht<br />

o Gott-Mensch: als Gott kann er, als Mensch will er<br />

- deswegen braucht es einen Gottmenschen, der als Gott kann und als Mensch will<br />

o → das wäre Anselm auf einen Satz gebracht<br />

- der Mensch muss es leisten weil er gesündigt hat, er ist derjenige, der die Ehre Gottes<br />

beleidigt hat; er kann aber nicht: Anselm misst die Schwere der Sünde nicht so wie die<br />

spätere Moraltheologie nach der Materie (schwere und leichte Sünde) sondern nach der<br />

Würde desjenigen, dessen Ehre beleidigt ist, und weil Gott unendlich ist, ist alles, was sich<br />

gegen Gott richtet, in einem Ausmaß von unendlicher Schwere zu sehen (→ Sünde als<br />

Verhältnisbegriff)<br />

o der Mensch kann zwar die unendliche Schuld auf sich ziehen, kann aber unmöglich<br />

unendliche Wiedergutmachung leisten<br />

o damit steckt der Mensch in der Sackgasse, nur lösbar dadurch dass Gott, der es<br />

könnte, die Aufgaben des Menschen übernimmt<br />

o Jesus muss aber nicht, denn er hat nicht gesündigt; die Tatsache, dass Jesus<br />

sündenrein ist, ist systemkonstituierend: er muss es nicht tun, aber er will es; und<br />

weil er es will erwirbt er unendliche Verdienste, und deshalb muss er dafür belohnt<br />

werden, und jetzt steckt Gott in der Sackgasse, und Gott muss es ihm ausgleichen,<br />

kann es aber nicht, denn er (Gott) hat ja schon alles<br />

- 49 -


Dogmatik I<br />

- Sünde als Störung der rechten Ordnung<br />

o in die Tradition ging die andere Bezeichnung ein: Sünde als Beleidigung der Ehre<br />

Gottes<br />

o da Anselm, im Unterschied zur späteren Moraltheologie, die Schwere der Sünde nicht<br />

an der Materie, sondern an der Würde des Beleidigten misst, ist im Grunde jede<br />

Störung dieser Ordnung eine unendlich große Sünde, die vom Menschen her der<br />

satisfactio unterworfen werden muss (aut satisfactio aut poena [poena: Anihilation,<br />

ewiger Tod; Gott kann nicht die Schöpfung der Anihilation ausliefern; Ausweg der<br />

Rechtfertigung, satisfactio])<br />

o notwendige Gründe: eine unlösbare Situation, ein Dilemma: da die Sünde<br />

unendlich groß ist muss die Satisfaktion von unendlichem Wert sein<br />

o der Mensch, das Geschöpf ist zu einer solchen Satisfaktion unfähig, er kann sie<br />

nicht leisten<br />

o Gott könnte es, da er unendlich ist, er muss es aber nicht, da er die Störung nicht<br />

verantwortete (es ist der Mensch, der verantwortlich ist, deshalb muss er satisfactio<br />

leisten)<br />

o deswegen deduziert (dh fortführen) Anselm in Cur Deus homo: er deduziert einen<br />

Gottmenschen, der als Gott es könnte und als Mensch es nicht machen muss, da<br />

Jesus als Mensch der Einzige ohne Sünde ist<br />

o Anselm ist einer der ersten, der die Sündenfreiheit Jesu als konstitutives Element<br />

berücksichtigt – Jesus ist ohne Sünde, deshalb muss er die Satisfaktion nicht leisten<br />

o er will es aber tun, und diese freie Entscheidung hat einen ungeheuer großen<br />

moralischen Wert: er kann es tun als Gott, er will es als Mensch<br />

o deshalb erwirbt er sich unendliche Verdienste<br />

3.3.1.4 tesaurus ecclesiae (der Gnadenschatz der Kirche)<br />

- Gott muss dem menschgewordenen Sohn diesen unendlichen Verdienst, die freie<br />

Entscheidung zur satisfactio, lohnen, ansonsten wird Gott als ungerecht erscheinen<br />

- er steckt aber in der Sackgasse: was kann der Menschgewordene noch bekommen das er<br />

nicht schon hätte? Ein paar größere Lichtstrahlen? Aber was ist das schon verglichen mit<br />

dem unendlichen Verdienst?<br />

- deshalb deduziert Anselm den tesaurus ecclesiae<br />

o da zwischen Christus und Kirche eine mystisch-organische Einheit besteht,<br />

überträgt Christus, das Haupt, die Dienste die er erworben hat – er gründet eine<br />

„Bank“, diese Verdienste sprudeln bis an das Ende der Menschheitsgeschichte<br />

o aus diesem Gnadenschatz wird nun die Kirche Gnaden austeilen<br />

o entscheidender Wert im MA im Kontext der Ablasslehre; Ablässe zur Verkürzung<br />

oder Beendigung zeitlicher Strafen im Fegefeuer<br />

- Gott überträgt die Verdienste Christi an die Kirche die es dann verteilen darf<br />

- so glaubt Anselm, die Wahrheit des Kreuzes erkannt zu haben (Ausbalancierung der<br />

Gerechtigkeit und Barmherzigkeit)<br />

o in der Satisfaktionslehre wird die Gerechtigkeit Gottes so gedacht, dass sie nicht<br />

größer gedacht werden kann und auch die Barmherzigkeit Gottes wird so gedacht,<br />

dass sie nicht größer gedacht werden kann<br />

o mit dieser Zuordnung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes stellt sich eine<br />

Analogie zum ontologischen Gottesbeweis (dasjenige, über das hinaus nichts<br />

gedacht werden kann)<br />

o mit der Deduktion des Gottmenschen der Satisfaktion leistet obwohl er nicht muss<br />

– die reine Güte Gottes wäre für Anselm unmoralisch – mit der Satisfaktion ist der<br />

Gerechtigkeit genüge getan<br />

o weil es ein Stellvertretungsgeschehen (Christi anstelle der Menschen) ist, ist es die<br />

Barmherzigkeit, die nicht größer gedacht werden kann<br />

- Akt, den der Gottmensch zu vollbringen hat:<br />

- 50 -


Dogmatik I<br />

o als Mensch ist er ein Geschöpf; als Geschöpf schuldet dieser Gottmensch Gott alles<br />

wie jedes Geschöpf (Gehorsam, Anbetung, Leben in der ordentlichen Art und Weise,<br />

…)<br />

o das Einzige das Jesus Gott nicht schuldet ist der Tod, weil er nicht gesündigt hat →<br />

weil er der Sündenreine ist schuldet er den Tod nicht, müsste ihn nicht erleiden<br />

altes Diktum der Kirchenväter: Tod als Folge der Sünde<br />

o → deshalb leistet der Tod die Satisfaktion<br />

o Erlösung durch den Tod (vgl. Athanasius: die Menschwerdung ist ausschlaggebend;<br />

die Schöpfung, die sich vom Logos abgewandt hat und sich deshalb ontologisch<br />

geschädigt hat, zu Anihilation tendiert, wird durch die Menschwerdung gerettet → bei<br />

Anselm erfolgt die Satisfaktion durch das Kreuz)<br />

o diese beide Traditionen bestehen nebeneinander in der Tradition<br />

Karl Rahner steht mehr im Kontext der athanasianischen Logik; auch wenn er<br />

über Kreuz redet ist für ihn die Erlösung im Kontext der Menschwerdung zu<br />

denken<br />

H.U.v. Balthasar wäre mehr auf der anselmianischen Schiene<br />

Raymund Schwager haut aufgrund der Zuspitzung im deutschen Sprachraum<br />

(Position aus der Exegese, die im Kontext der Inkarnation die christliche<br />

Erlösungslehre sah und die Dimension des Opfers ablehnte) sein ehrgeiziges<br />

Projekt realisiert: er glaubt beide Aspekte in seinem dramatischen Modell zu<br />

verbinden und zu versöhnen (1. Akt mehr Inkarnation, 3. Akt mehr Kreuz)<br />

3.3.1.5 Wahrheit des Heils<br />

- der Vater spricht zum Sünder: „Nimm meinen eingeborenen Sohn und gib ihn für dich“<br />

o eine Aufforderung, die in der Eucharistiefrömmigkeit des MA wichtig wurde<br />

- der Sohn selber: „Nimm mich und erlöse dich“<br />

o das steht fast auf dem Höhepunkt der mittelalterlichen Theologie, Befreiung der<br />

Freiheit<br />

o was du selber nicht machen konntest habe ich für dich gemacht, ergreife es, sei nicht<br />

untätig sondern erlöse dich<br />

o wenn man den Gandenschatz aus dieser Perspektive betrachtet kommt etwas völlig<br />

anderes heraus als wenn man ihn lutherisch diffamiert (→ „Wenn das Geld im Kasten<br />

klingt …“)<br />

o jene Alternative, die der Westen kaum überwinden konnte: entweder Gott oder<br />

Mensch<br />

o im Stellvertretungsdenken ist ein Versuch der Ausbalancierung: das Göttliche<br />

und Menschliche wirken zusammen, nicht auf Kosten des Anderen<br />

- damit ist die katholische Position bis in die Neuzeit auf den Punkt gebracht<br />

o Thomas zB der im Grunde dieselbe Position hat, nur die ursprüngliche Idee aut<br />

satisfactio aut poena verschiebt er zugunsten von beides ist nötig (Strafe als leiblicher<br />

Tod)<br />

o deswegen ist Anselm durch die Leistung von Trient hindurch in die Volkskatechismen<br />

gegangen und wurde bis Vatikanum II gelehrt, mit all den Verzeichnungen die es<br />

dann gab: Schwerpunktsetzung auf den beleidigten Gott<br />

o dass die Sünde den sozialen Zusammenhang in dem die Menschheit lebt stört, das<br />

geriet in Vergessenheit, im Vordergrund stand der beleidigte Gott; Gott der auf das<br />

Opfer seines Sohnes pocht<br />

3.4 Relevanz mittelalterlicher Motive: die Antwort auf den Gott des<br />

Zorns: Luther<br />

- Luther dramatisiert die theologische Diskussion im MA indem er zurück auf Augustinus<br />

geht, die auf Ratio ausgerichtete Scholastik wird von ihm verworfen, und versucht jene<br />

- 51 -


Dogmatik I<br />

Aspekte der Wirklichkeit, die verloren gegangen sind, wiederzufinden und eine Antwort auf<br />

den Gott des Zornes zu finden<br />

o wir haben sowohl in der biblischen als auch in der spirituellen Tradition zwei<br />

Stränge in der Erfahrung mit Gott: Gott der Güte und Gott des Zornes<br />

Markion: löste das durch die gnostische Idee von zwei Göttern (der böse<br />

Schöpfergott wird durch den liebenden Gott Christi überwunden)<br />

der Weg der Spaltung in zwei Götter ist für die Kirche<br />

ausgeschlossen, alles muss von ein und demselben Gott ausgesagt<br />

werden<br />

Irenäus: Einheit von Schöpfer- und Erlösergott; Gott passt sich in seinem<br />

Offenbarungshandeln dem Verstehensvermögen des Menschen an<br />

(); die Wahrheit und damit die Vermittlung beider Aussagen ist<br />

vom Schluss her zu betrachten, daher die Rekapitulation der Heilsgeschichte<br />

in Christus; die Aussagen vom Zorn (und diese Tradition geht bis in die<br />

Gegenwart) sind als Aussagen seiner Gerechtigkeit zu interpretieren, und das<br />

machte auch Anselm<br />

ungenügende Antwort auf Markion mit der Reduktion auf die<br />

Gerechtigkeit; → wie können die Aussagen von der blutigen Rache<br />

Gottes, von einem unterschiedslos niedermetzelndem Gott als<br />

Aussagen von Gerechtigkeit ausgelegt werden → dieser Gott wäre im<br />

Grunde unmoralisch<br />

der Autor der diese Aufgabe zur Hauptaufgabe macht ist Martin<br />

Luther<br />

- Luther, nicht nur Hermeneutiker sondern auch systematischer Theologe, der spirituelle<br />

Erfahrungen in den Griff zu bekommen trachtet, lebt in panischer Angst vor jener<br />

Gerechtigkeit Gottes, die ihn verurteilt<br />

o er erfährt sich als schwacher und sündiger Mensch, erleidet ungeheure Ängste und<br />

findet erst Frieden im Herzen, als er eine neue Vorstellung von der Gerechtigkeit<br />

Gottes bekommt: nicht austeilende Gerechtigkeit sondern eine den Menschen<br />

gerecht machende Gerechtigkeit<br />

3.4.1 erkenntnistheoretischer Horizont<br />

3.4.1.1 Erlösungskonzept<br />

- entschiedene Voraussetzung ist, dass Luther sich angewidert von der rationalistischen<br />

Scholastik abwendet (Misstrauen der Vernunft gegenüber)<br />

- die Vernunft sei eine Hure, die sich instrumentalisieren lässt<br />

- wenn ich mich nicht auf die Vernunft einlassen kann, wo habe ich halt um kritische Urteile<br />

zu fällen? – in der Schrift<br />

- Luther gewichtet: nicht die Auslegung der Schrift im Lichte der Vernunft (= Moderne),<br />

sondern genau umgekehrt: die Schrift kritisiert die Vernunft<br />

- die Schrift ist aber vielfältig und widersprüchlich – kann etwas Sinnvolles ausgesagt<br />

werden?<br />

3.4.1.2 Einheit der Schrift vom Christusgeschehen<br />

- die Schrift spricht immer von ein und demselben in unterschiedlichsten Geschichten, und<br />

das ist das Christusgeschehen selbst<br />

- sowohl das AT als auch das NT sind auszulegen auf Christus hin, mehr noch: Christus<br />

selbst ist der eigentliche Sprecher in der Schrift<br />

- Luther macht das deutlich in der Auslegung der Psalmen: wer ist der Beter? wer spricht? –<br />

immer Christus<br />

o doch was soll es bedeuten, wenn der Psalmenbeter betet „In Sünde bin ich geboren“<br />

- 52 -


Dogmatik I<br />

o die hermeneutische Grundregel: Christus spricht in der Schrift mal in eigenem<br />

Namen, mal im Namen seiner Glieder<br />

o Christus spricht als Haupt oder als die Glieder (in persona ecclesiae), je nachdem was<br />

gesagt wird<br />

o Übertragung zwischen Christus und Kirche<br />

- Luther belebt die Lehre vom vierfachen Schriftsinn und macht sie sich zu eigen: Littera<br />

gesta docet, quid credas allegoria, moralis quid agas, quid speres anagogia (der Buchstabe<br />

lehrt das Geschehene; was zu glauben ist, die Allegorie; der moralische Sinn was zu tun ist;<br />

was zu hoffen ist, die Anagogie)<br />

o zB literarischer Sinn: kommt das Wort „Jerusalem“ vor, ist die Stadt gemeint<br />

o allegorischer (typologischer) Sinn: was es zu glauben gibt; die Stadt Jerusalem ist<br />

allegorisch betrachtet die Kirche (dogmatischer Sinn, andere Ebene)<br />

o moralischer Sinn: bezogen auf die Moral des Menschen, auf die Seele hin, was ergibt<br />

sich aus der Betrachtung des Bildes: Jerusalem als Stadt, als Allegorie für die Kirche<br />

wird tropologisch für die menschliche Seele als moralisches Subjekt<br />

o anagogischer Sinn (Hoffnung): worauf hin zielt das Ganze, welche Hoffnung:<br />

Jerusalem wird zum Inbegriff des himmlischen Reiches (himmlisches Jerusalem)<br />

3.4.1.3 Logik einer sich immer mehr intensivierenden Identifizierung Gottes mit<br />

den Menschen vs. radikales Zurückdrängen menschlicher Freiheit<br />

- Luther bedient sich dessen und kann in zwei Richtungen interpretieren: von Christus zur<br />

Kirche und von der Kirche zu Christus<br />

o im Unterschied zu anderen religiösen Traditionen ist der biblische Gott anders, er<br />

identifiziert sich mit konkreten Menschen, mit einem konkreten Volk, und wenn<br />

das Volk versagt wendet er sich nicht ab; durch die Sackgasse des Abfalls wird die<br />

Identifizierung immer mehr gesteigert; die biblische Dynamik und Dramatik stellt<br />

sich als ständig steigende Identifizierung Gottes mit seinem treulosen Volk dar<br />

- aufgrund seines Misstrauens gegenüber der Vernunft, aufgrund seiner Zurückdrängung<br />

der Freiheit: nach Luther ist der Mensch radikal unfrei<br />

o aufgrund der Sünde des Adams werden Menschen entweder von Gott oder vom<br />

Teufel geritten<br />

o der Mensch eigentlich nur noch Werkzeug<br />

- die menschliche Position ist in der lutherischen Theologie bedeutungslos und blass<br />

o Folgen: diese Art von Theologie erliegt leicht der Gefahr der Projektion<br />

- so gesehen wird bei Luther der Mensch, und der Mensch heißt konkret Christus, nur noch zu<br />

einem passiven Werkzeug göttlichen Handelns, denn auch der Mensch Christus hat keine<br />

Freiheit<br />

- damit haben wir ein völlig anderes Konzept als bei Anselm<br />

o bei Anselm ist Christus ein frei handelndes Subjekt als Mensch, er handelt, er<br />

fordert den Menschen auf zu handeln („Nimm mich und erlöse dich“)<br />

o bei Luther ist die menschliche Natur Christi nur noch ein passives Werkzeug, mit<br />

dem Gottvater handelt und wir werden sehen, auch der andere Mensch spielt im<br />

Kontext des Handelns keine Rolle<br />

3.4.1.4 deus absconditus (verborgen) vs. deus revelatus (offenbarend)<br />

- deus absconditus, der verborgene Gott, der Angst und Schrecken verursacht – der Gott der<br />

mich als Sünder eigentlich zerstören müsste<br />

o der Sünder erfährt Gott als den verborgenen Gott, als Gott des Zornes<br />

o dieser Gott ist nichts anderes als Antwort auf die menschliche Schwäche und Sünde<br />

o wenn Christus selber am Kreuz die Gottverlassenheit erfährt, so erfährt er jenen deus<br />

absconditus<br />

o Markion: zwei verschiedene Götter<br />

o Luther: zwei Gesichter ein und desselben Gottes<br />

- 53 -


Dogmatik I<br />

- deus revelatus, ein sich offenbarender Gott, der sich in Christus offenbart und der ermöglicht<br />

es, dass man seine Angst vor dem Zorn Gottes bändigt<br />

o Luther nimmt Paulus beim Wort und spricht ausdrücklich vom dramatischen Kampf<br />

am Kreuz<br />

o das Kreuz als hochdramatisches Geschehen in dem mehrere Akteure beteiligt sind<br />

o am Kreuz nimmt der Vater die Sünden vom sündigen Menschen und überträgt diese<br />

auf den zum Sünder werdenden Sohn – Christus ist eigentlich ein Werkzeug an dem<br />

gehandelt wird, er hat keine Freiheit – der Vater ist der Agierende, er nimmt die<br />

Sünden und überträgt sie auf den damit zur Sünde werdenden Christus – Christus<br />

wird zum Sünder, ja zur Sünde<br />

o göttlicher Zorn: nachdem diese Übertragung stattfindet entlädt sich der göttliche<br />

Zorn über Christus<br />

o Folgen dieses Denkens: der Zorn entlädt sich nun nicht mehr über dem Menschen,<br />

sondern über Christus, man erfährt sich stückweise als gerechtfertigt<br />

o → simul iustus et peccator (Gerechtfertigte und Sünder zugleich)<br />

3.4.1.5 Folgen des Kampfes für den Menschen: simul iustus et peccator<br />

- wenn der Mensch auf Christus schaut kann er sich als iustus erleben, aber nicht weil er<br />

selber gerecht ist, das wird er niemals werden (Grundbild: Mensch unfrei, Inbegriff des<br />

Sünders)<br />

- sofern ich auf mich selber blicke (modern: homo incurvatus der nur auf sich selbst pocht) ist<br />

Sünder und bleibt Sünder<br />

- eine Spannung im Menschen, die eigentlich nie aufgelöst werden kann<br />

- im Blick auf den Gekreuzigten erfährt man sich als gerecht, verliert man diesen Blick<br />

erfährt man sich als Sünder<br />

- warum das Kreuz eine so fundamentale Bedeutung in der evangelischen Tradition hat: das<br />

Kreuz auch als Symbol; am Kreuz spielt sich der dramatische Kampf ab, am Kreuz ereig<strong>net</strong><br />

sich der „fröhliche Wechsel und Streit“ zwischen der sündigen Seele des Menschen und dem<br />

unsere Gerechtigkeit seienden Christus<br />

3.4.1.6 Wahrheit des Heils<br />

- bedeutet Vertrauen; in diesem Vertrauen auf Christus erlebe ich meine Gerechtigkeit, selber<br />

bin ich aber vor Gott niemand<br />

- Erlösungslehre heißt im Klartext: Gottvater ist der Agierende, er macht Christus zum<br />

Sünder (erste Stellvertretung), über diese Sünde entlädt sich der göttliche Zorn (zweite<br />

Stellvertretung) und wenn ich auf Christus schaue darf ich an seiner Gerechtigkeit Anteil<br />

haben<br />

o Analogie zum Fünf-Akte-Modell von Raymund Schwager:<br />

der wichtigste Unterschied betrifft die Frage wer handelt: bei Schwager die<br />

Menschen die Christus ausstoßen, ihn zu einem Sündenbock machen, nicht<br />

aber Gott<br />

es ist Christus selber der handelt, getragen durch die Liebe des Vaters<br />

vgl. Maximus Confessor: Mensch Jesus mit einem Freiheitsakt<br />

bei Luther ist das Menschliche ausgeblendet, reduziert auf ein passives<br />

Werkzeug; Gott selber handelt<br />

in Christus ist der Ort des fröhlichen Spiels von Wechsel und Streit<br />

- mit diesem Modell merkt man, dass da ganz andere Weltbilder vorhanden sind, was Gott ist,<br />

was Mensch ist, was Kooperation oder Rivalität ist<br />

o in diesen theologischen Bildern verdichtet sich das, was kulturell selbstverständlich<br />

wurde<br />

- 54 -


Dogmatik I<br />

o trotz des einheitlichen mittelalterlichen Systems ist die Einheit der Ordnung<br />

längst zerbrochen: Menschen leben zwar im selben Gebiet, aber das was Neuzeit ist,<br />

ist längst eingebrochen, Vormarsch der subjektiven Erfahrungen<br />

o Luther findet zu seiner Theologie, weil er sich mit sich selber auseinandersetze (die<br />

scholastischen Gelehrten hingegen lasen andere Werke)<br />

- mit Luther zerbricht die Welt in zwei Weisen des Begreifens von Heil und Wahrheit<br />

- Reformation fokussiert sich auf Sünde, auf Verlust von Freiheit – den Menschen kennt sie<br />

eigentlich nicht<br />

o auf diesem Hintergrund wird verständlich, dass gerade in der evangelischen Tradition<br />

es mit der Zeit zu einer Infragestellung der Stellvertretung kam<br />

- man verdeutliche sich<br />

o barocke Kirche: wunderschöne aber anders gestaltete Kirchen der Reformation<br />

(düster, konzentriert auf Kanzel, auf die Schrift und sonst nichts)<br />

o verschiedene Zugänge der Welt<br />

3.5 moderne Ablehnung der Wahrheit des Kreuzes<br />

3.5.1 Infragestellung der Stellvertretung im Kontext des<br />

Autonomiedenkens<br />

- was wir bisher als Wahrheit des Kreuzes analysierten war immer ein Geschehen, das in der<br />

Logik der Stellvertretung betrachtet wurde<br />

- damit besteht jetzt der Inbegriff des Heils darin, dass jemand für mich etwas tut<br />

- Kant, und damit endet eine Epoche: Autonomie, dh niemand kann an die Stelle eines anderen<br />

treten, das höchste Ideal ist das autonome Subjekt<br />

o er wird zu einer fundamentalen Herausforderung der evangelischen Tradition, weil<br />

er die Wahrheit des Kreuzes vernichtet<br />

o heißt das aber, dass die Wahrheit des Christentums und das Heil in Christus aus den<br />

Angeln gehoben sind? Nein, Kant bleibt Christ<br />

o mit Kant kommt jenes Modell zur Diskussion, das kulturell heute geistert: Heil =<br />

Moral<br />

o als Menschenfreund brachte er das Ideal der moralischen Vollkommenheit<br />

o Christus als der ideale Mensch, als Vorbild, der Autonomie am besten verwirklichte<br />

o weil er das tat, kann er nicht an meiner Stelle etwas verwirklicht haben, das wäre<br />

contradictio in se (Widerspruch in sich selbst)<br />

o es geht um ein gottgefälliges Leben, das im Menschen grundgelegt ist<br />

o er greift auf Lk 17,21: „Das Reich Gottes ist in euch“, im innersten Kern des<br />

moralischen Subjektes<br />

o das neuzeitliche protestantische Christentum, das damit seinen Anfang nimmt,<br />

verwandelt die Religion zu Ethik, es ist ein moralisches Christentum, eines, das<br />

letzten Endes auf neue Art und Weise rationalistisch wird (jene Tradition die sich auf<br />

die Reformation beruft – wenn bei Luther Kreuz und Gekreuzigter im Zentrum stehen<br />

verschwindet das bei Kant; das Kreuz wird zu einem Kultursymbol), Freiheit,<br />

Vervollkommnung des menschlichen Subjektes, das Reich Gottes im Menschen, die<br />

bürgerliche Tugend als Inbegriff sittlicher Religiosität – all das war eine radikale<br />

Revolution der Tradition<br />

o was wir heute als radikale Krise erleben, diese Verunsicherung, ist zuerst Krise des<br />

neuzeitlichen moralisierenden Christentums<br />

- dogmatisch gesehen das entscheidende Stichwort: Infragestellung der Stellvertretung;<br />

das Kreuz hat keine Bedeutung<br />

o was an Christus bedeutsam war muss sich in Kategorien der Ethik übersetzen lassen<br />

o auf diesem Hintergrund der deutsche Protestantismus mit seinen großen Gestalten<br />

(Kant, Fichte, Hegel, … alle diese waren mal Theologen)<br />

o Aufklärung, Auszug aus der Unmündigkeit des Dogmas (va das kirchliche Dogma der<br />

Erlösung in Christus)<br />

- 55 -


Dogmatik I<br />

3.5.1.1 Versagen rationalistischer Theologien im Kontext der Kriege des 20.<br />

Jahrhunderts<br />

- dieser Kulturprotestantismus erlebt eine ungeheure Krise mit dem Ausbruch des I.<br />

Weltkrieges<br />

- Karl Barth: eine Theologie, die zu Kriegshetze wird, muss eine falsche Theologie zu sein<br />

o man muss die Kriegsbegeisterung zu Beginn des I. Weltkrieges bedenken<br />

o die deutschen liberalen Theologen waren Kriegshetzer<br />

o Karl Barth bringt den deutschen Protestantismus in eine fundamentale Glaubenskrise<br />

weil er wieder zu Luther zurückkehrt<br />

3.5.1.2 liberale „Abschaffung“ des Opfers, Opferkritik in der katholischen<br />

Theologie<br />

- das Kreuz als Fokussierung der Opferhaltung gerät ins Kreuzfeuer der Kritik (68er!)<br />

- politisch gesehen war es eine Zeit da man von Opferminimierung sprach, man hat Opfer<br />

übersehen, minimalisiert<br />

- nach und nach kehrte aber die Opfermentalität zurück<br />

o heutige Problematik: wie oft Opfer auftaucht, da staunt man, wie weit man<br />

gesamtgesellschaftlich verblendet sein kann<br />

o nicht zuletzt Missbrauchsdebatte: geschah genau in einer Zeit, da man glaubte keine<br />

Opfer mehr zu haben; das entsprach nicht dem gängigen Schema (Verurteilung zur<br />

Sprachlosigkeit)<br />

- das ist ein analoger Begriff: unabhängig davon wie man das Opfer bestimmt: Ablehnung<br />

einer Sicht der Wirklichkeit wo man sagt, Stellvertretung habe eine Bedeutung<br />

o der Traum des autonomen Menschen ist es niemanden mehr zu brauchen<br />

- das Problem um das es hier geht: kann es ein Lebens- und Glaubensmodell geben, das nicht<br />

auf Stellvertretung beruht?<br />

o man merkt, dass sich die Kultur zu Ende des 20. Jh. in eine kulturelle Sackgasse<br />

verirrte<br />

3.5.1.3 Suspendierung der Wahrheitsfrage (gerade im Kontext von Leid)<br />

- hinzu kommt, dass auf dem Höhepunkt dieser Auseinandersetzung gerade in der Theologie<br />

die Wahrheitsfrage in Misskredit geraten ist<br />

- Wahrheit wurde an den Rand gedrängt, das ist etwas, das die Menschen vernichtet<br />

- Heil hingegen tut dem Menschen gut, und zwar die Mentalität in pluralistischen<br />

Theologien: jedem Menschen seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und seinen<br />

eigenen Weg dorthin, es gibt ja mehrere Fenster und keiner kann Anspruch auf den richtigen<br />

haben<br />

o trotzdem die Frage: rechtfertigt das die Suspendierung der Wahrheitsfrage?<br />

Damit ist gemeint, es gäbe keine gemeinsamen Hintergründe, die letzten Endes<br />

einen normativen Charakter zu Gemeinsamkeit haben<br />

o wenn das der Fall ist, ist radikaler Individualismus die Folge und damit verbunden<br />

radikale Einsamkeit<br />

o so menschenfreundlich sich pluralistische Modelle auch anhören mögen, man muss<br />

sie bis zum Ende durchdenken, und da landet man immer beim autarken Wesen<br />

das auf Andere nicht angewiesen ist<br />

- Christologie als Horizont, es geht nicht um Macht oder Hegemonie<br />

o Christologie als Denkfigur<br />

o sie sagt nicht mehr, als dass das letzte Geheimnis der Wirklichkeit doch in<br />

Stellvertretung geschehen ist<br />

Christologie heißt: vieles können wir tun, aber das Entscheidende im Leben<br />

widerfährt uns, weil das letzte Geheimnis der Wirklichkeit ein personales<br />

Geheimnis ist, das das Böse wandelt oder erleidet und das tut was wir selber<br />

nicht vermögen<br />

- 56 -


Dogmatik I<br />

3.6 Radikalisierung der Erkenntnis der Wahrheit des Kreuzes in der<br />

Theologie des 20. Jahrhunderts: Kreuz als Erlösung von der<br />

Hölle<br />

- das heißt nicht, dass die Umwege im evangelischen Kontext über Kant ein Irrtum waren, das<br />

waren geschichtliche Ausprägungen einer bestimmten Lebensweise, trotzdem ist damit<br />

wohl kaum der Wahrheit letzter Schluss erreicht<br />

3.6.1 Karl Barths Kritik an den Extremen<br />

- einer der nicht nur eine Schule begründet hat, sondern das ganze geistige Klima veränderte<br />

- als Gemeindepfarrer war er schockiert über das was im I. Weltkrieg passierte<br />

- er nahm die Bibel, schlug den Römerbrief auf und fing an selber Kommentare zum<br />

Römerbrief zu schreiben<br />

o wurde zu einem solchen Schlager, dass über Nacht Karl Barth zu einem der<br />

herausragendste theologischen Gestalten in der deutschen Kirche wurde<br />

o er hat nie promoviert, er wurde von einer mutigen Universität aufgrund dieses<br />

Kommentars zum Professor berufen, gleich hat ihn die Universität Bonn geholt, da hat<br />

er akademisch sich entfaltet und die Weichen anders gestellt wodurch er gefährlich<br />

wurde<br />

o als Hitler an die Macht kam wurde er aus Deutschland ausgewiesen, hat sein Leben in<br />

Basel weitergelebt<br />

o sicher die größte Gestalt des Protestantismus im 20. Jahrhunderts<br />

- Augustinus, der Vater der Prädestinationslehre hat gerade im Rückgriff auf bestimmte<br />

biblische Aussagen aber auch aufgrund seiner Erfahrung geurteilt: Gott erbarmt sich<br />

wessen er sich erbarmen will und er verstockt diejenigen die er verstocken möchte<br />

(Röm 9,18: Aufgriff von Mal, „Jakob habe ich geliebt, Esau aber habe ich gehasst.“)<br />

o Gott erbarmt sich, und dies grundlos, des Jakob (di ein Teil der Menschheit), wie<br />

Gott Esau (ein anderer Teil der Menschheit) das Erbarmen vorenthält<br />

o Dogmatik III: weil die Menschheit in der massa damnata lebt wird das, was mit<br />

Esau gemeint ist, der Verdammnis anheim fallen<br />

o Gott erbarmt sich in seinem unermesslichen Ratschluss jener Menschen, die er<br />

erwählt, und er erwählt eben nicht alle, sondern nur die Wenigen (es sind die<br />

Wenigen, die den Weg durch das enge Tor schaffen)<br />

o dass diese Aussage des Paulus keine über die ewige Verdammnis ist ist klar, ein<br />

Großteil der Tradition legte Röm auch anders aus, dennoch hat die<br />

Prädestinationslehre von Augustinus eine ungeheure Faszination ausgeübt<br />

in katholischen Kreisen weniger, es war va die Reformation<br />

Luther, ein Augustiner, hat diese Lehre neu belebt, va aber Jean Calvin<br />

Calvin machte diese Lehre geradezu zum Schlüsselbegriff seines<br />

theologischen Systems und spitzte Augustinus sogar zu: wo Augustinus vom<br />

„Nichterwählen“ sprach (nicht aktives Verwerfen), vollzieht Calvin den<br />

Schritt zur aktiven Verwerfung (Gott als absolutes Souverän erwählt einige<br />

und verwirft andere mit einem positiven Willensakt)<br />

überflüssig zu sagen, dass das Prädestinationsdenken nicht nur ein christliches<br />

Privileg ist: der ganze Islam ist im Grunde eine Prädestinationsreligion (Gott<br />

bestimmt den menschlichen Willen vorher)<br />

Calvin: Gott bestimmt die Menschen zur ewigen Seligkeit und zur ewigen<br />

Verdammnis – zu welcher Gruppe gehöre ich?<br />

Augustinus verweigerte sich dieser Logik (auch wenn er überzeugt war<br />

erwählt zu sein)<br />

für Luther: der Mensch ist zwar Sünder und bleibt Sünder, aber mit dem Blick<br />

auf das Kreuz Christi – extra nos liegt unser Heil; jeder Blick auf Christus<br />

kann mich in der gläubigen Gewissheit stärken gerettet zu werden<br />

- 57 -


Dogmatik I<br />

bei Calvin: psychologische Aspekte spielen eine Rolle; einer der Punkte am<br />

Rande ist die Frage des äußeren Erfolgs (Bewähren und Erfolg im Leben) –<br />

dieser Mensch darf diesen Erfolg rückinterpretieren als Zeichen der<br />

Erwählung<br />

eine der berühmtesten Thesen über den Zusammenhang Theologie-Ökonomie<br />

von Max Weber: Calvinismus, der Gedanke der Prädestination, sei der<br />

entscheidende Impuls zur Entwicklung des Kapitalismus (Selbstbestätigung<br />

zu den Erwählten zu gehören) – Max Weber: am Ursprung des Kapitalismus<br />

steht ein theologisches Denkmodell, die calvinistische Prädestinationslehre<br />

- zwei große Herausforderungen der Neuzeit:<br />

o Schwelle zur Neuzeit, und die systematische Theologie präsentiert sich: überlieferter<br />

Glaube und radikale Infragestellung des zentralen Gedankens der Stellvertretung<br />

dieser Gedanke va durch die Aufklärung infrage gestellt (Kant: keiner kann<br />

anstelle eines anderen etwas tun) – was bedeutet dann Jesus Christus<br />

für die evangelische Theologie dann: das Heil Christi ist im Grunde die<br />

Wahrheit der Pädagogik, des Modells; Christus als Modell des sittlichen und<br />

guten Lebens, eine exemplum<br />

Religion und Ethik rücken nahe aneinander, fast zur Unkenntlichkeit<br />

verschmelzen sie<br />

das kantische Erbe zuerst im deutschen Protestantismus, dann auch weltweit:<br />

Religion als Ethik<br />

in diesem Kontext: Stellvertretung ist moralisch unzulässig; der Gedanke der<br />

Erlösung in Christus verblasst, hat keinen kulturpolitischen Stellenwert mehr<br />

o Kritik der Opfermentalität:<br />

Höhepunkt in der 68er-Mentaltiät; unsere Kultur schafft den Sprung<br />

(kultureller Sprung), dass das öffentlich zugemutete Sacrifitium wird nicht<br />

nötig sein, denn wir kommen in einen Zustand, der gerecht sein wird<br />

3.6.1.1 Gnadenwahl durch Gott<br />

- Barth beeinflusst durch Calvin (Vorherbestimmung und Verwerfung)<br />

- Barth, der seine Studien im Kontext der liberalen Theologie macht<br />

- er erlebt den Zusammenbruch: die von ihm gelernte Theologie sei falsch<br />

- Barth, der das klassische Prädestinationsschema aus den Angeln hebt; insofern hat er<br />

konfessionsübergreifend eine Bedeutung<br />

- gehört sicher zu den größten theologischen Gestalten des 20. Jh.<br />

- Bedeutung von Karl Barth: Wiedergewinnung der Dimension der Stellvertretung für die<br />

Theologie<br />

o er setzt dort an, wo Calvin ansetzte, bei der Gnadenwahl Gottes<br />

o das letzte oder erste oder zentrale Wort der Erlösungslehre (evangelisch:<br />

Versöhnungslehre), die zentrale gute Nachricht, ist die Gnadenwahl durch Gott<br />

o alles entscheidet sich bei diesem decretum (Entscheidung) Gottes, die er in alle<br />

Ewigkeit trifft, nur diese Entscheidung wird von Barth radikal mit Jesus Christus<br />

verbunden<br />

o die Gnadenwahl Gottes besteht in der Gnadenwahl Christi: Jesus ist der Mensch,<br />

der von Gott erwählt wird<br />

o in Jesus Christus kommen der erwählende Gott und der erwählte Mensch<br />

zusammen– man erkennt eine gewisse Analogie zum anselmianischen Denken<br />

o es kann deswegen auch keinen verborgenen Willen Gottes geben<br />

Schluss mit der Figur eines deus absconditus – Gott kann nicht anders sein als<br />

jener, der sich uns offenbart<br />

eine analoge Denkfigur hatte zur selben Zeit auch Karl Rahner<br />

die ökonomische Trinität ist die immanente – Gott kann in seinem Wesen<br />

nicht anders sein als der, der sich offenbart<br />

- 58 -


Dogmatik I<br />

o Inhalt der Prädestinationslehre: In der Erwählung Jesu Christi hat Gott den<br />

Menschen die Erwählung und das Leben, sich selbst aber die Verwerfung und<br />

den Tod zugedacht<br />

o in Jesus Christus gilt den Menschen die Erwählung, das Leben; in Jesus Christus gilt<br />

dem menschgewordenen Gott die Verwerfung und der Tod<br />

o damit ist Christus Erwählter und Verworfener zugleich an unserer Stelle<br />

o Barth bringt die Prädestinationsfigur aus ihrer Verankerung: es gibt göttliche<br />

Entscheidung die in alle Ewigkeit von Gott getroffen wurde, aber keine<br />

Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Menschen, sondern zu Gunsten<br />

und Ungunsten des einen Jesus Christus – er ist Erwählter und Verworfener, weil<br />

er stellvertretend für uns die Verwerfung erleidet – und dies wird im Kreuz konkret<br />

o Ursprung jenes Diktums, das in der Vorstellung der fünf Akte im 3. Akt auftauchte:<br />

Christus, der Richter, ist gerichtet<br />

o phänomenal bei Barth: er widmet über hundert Seiten der Gestalt des Judas, dieser<br />

wird zum Prototyp Christi, in der Form des Verräters, desjenigen der verwirft (jene<br />

theologischen Gedanken, die in der deutschen Publizistik später Walter Jens<br />

literarisch fruchtbar gemacht hat)<br />

o damit wird die Erwählungslehre zur Lehre von der Rechtfertigung des Sünders<br />

o der Mensch kann diese Art der Rechtfertigung mit seiner Sünde unmöglich<br />

rückgängig machen<br />

o mit diesem Denkschema hat Karl Barth die Dimension der Stellvertretung neu in die<br />

Theologie hineingebracht<br />

3.6.1.2 Widerspruch in Gott<br />

- viele der Arbeiten über Barth ackern sich ab an dem Problem: wird damit der Widerspruch<br />

der Sünde nicht in Gott selbst verlagert?<br />

- hat Barth durch seine Gnadenwahl, eine, die Christus als den Erwählten und Verworfenen<br />

thematisiert, philosophisch nicht den Widerspruch gut-böse, Sünde-Gnade, in Gott selbst<br />

verlagert?<br />

- zugespitzt: wenn de facto das Verwerfen gleich ursprünglich ist wie das Erwählen, wenn<br />

das zwei Seiten ein und derselben Wirklichkeit sind, ist das nicht nur eine neue Auflage jenes<br />

alten Dilemmas, das uns mit dem janusköpfigen Gott begeg<strong>net</strong>, dass Gott widersprüchlich<br />

ist?<br />

- Barths Dilemma: je stärker man die Inkarnation im Kontext des Kreuzes sieht desto<br />

stärker gerät man in Gefahr, einen Widerspruch in Gott anzunehmen<br />

o die Annahme eines Widerspruchs in Gott wäre aber – so Barth – eine Lästerung<br />

o deswegen hat Barth sich sein Leben lang gesträubt den „Schritt in die Ewigkeit“ zu<br />

tun<br />

o die Gefahr hat er gesehen und zugegeben, aber immer bestritten, dass es einen<br />

Widerspruch in Gott gibt<br />

- diesen Schritt hat aber die reformatorische Theologie nach Barth gemacht, der bekannteste<br />

Autor ist Jürgen Moltmann<br />

o Auschwitzdebatte: man kann nach Auschwitz beten weil in Auschwitz gebetet wurde<br />

o er lies sich davon inspirieren, er war selber Soldat<br />

o er macht diese Diskussion für die systematische Theologie fruchtbar, in dem er jene<br />

Erzählung aufnimmt und auswertet, die wohl die bekannteste theologische<br />

Kurzerzählung in der Auschwitzdebatte ist: Eli Wiesel: „Gott hängt am Galgen“<br />

Christen verstanden das bald christologisch<br />

diese Aussage stammt aber von einem Juden – das sagt eigentlich etwas für<br />

Juden Unmögliches aus<br />

diese Aussage ist für einen Juden fast blasphemisch<br />

o Moltmann verband diese Aussage mit der christlichen Trinitätslehre<br />

- die ganze Tradition hat klar und eindeutig verstanden: dieses Kreuz betrifft die menschliche<br />

Natur Jesu Christi<br />

- 59 -


Dogmatik I<br />

o Christus als Mensch leidet und stirbt am Kreuz, und Gott ist natürlich auf eine Art<br />

und Weise anwesend<br />

- Moltmann spitzt zu und sagt: diese klassische Auslegung war verharmlosend<br />

o nicht was Metz fragte („Wo war Gott in Auschwitz“) ist theologisch relevant, sondern<br />

„Ist Auschwitz in Gott“<br />

o Gott selber leidet → ehe das Kreuz auf Golgota aufgerichtet wurde stand es in<br />

Ewigkeit im Herzen der Trinität<br />

seit Ewigkeit ist das Kreuz, metaphorisch, im Herzen der Trinität<br />

alles Leiden und alle Sünde, die Hölle (und damit auch Auschwitz), ist im<br />

Herzen Gottes integriert<br />

der Vater ist die kreuzigende Liebe, der Sohn die gekreuzigte Liebe und der<br />

Hl. Geist die Kraft<br />

Kritik: sadomasochistisches Projektionsschema<br />

o er hat dann in späteren Werken seine Aussagen abgemildert<br />

- wichtig: es hat im 20. Jh. zugespitzt die Position gegeben, die den Widerspruch in Gott<br />

selber verlagert hat, Leiden in Gott selber<br />

- der Inbegriff des göttlichen Lebens ist Zerrissenheit und Widerspruch<br />

- das war der Schritt Barth (der den Stellvertretungsgedanken neu rettet und eine große<br />

Problematik auftut) und Moltmann (der diesen Sprung nachvollzieht und die Kritik an dieser<br />

Position)<br />

3.6.2 Hans Urs von Balthasar: Kritik an der gängigen Denkform der<br />

Theologie<br />

- studiert Germanistik und Literatur in Wien, entscheidet sich nachher in den Jesuitenorden<br />

einzutreten, absolviert die ordensübliche Ausbildung, hat Kontakte zu den großen Geistern der<br />

jesuitischen Tradition des 20. Jh., Karl Rahner ist ein Kollege (nicht unwichtig; Kollege,<br />

Gesprächspartner und lebenslang eine positive Herausforderung)<br />

- er gelangte zur Überzeugung, dass es eine göttliche Berufung gibt (für ihn: einen neuen Weg<br />

einschlagen, einen, wo Priester und Laien zusammen einen christlicheren Weg gehen sollen)<br />

o damit hat er sich seinen Oberen anvertraut<br />

- Skandal für die damalige Zeit: der schon bekannte von Balthasar tritt aus dem Jesuitenorden<br />

aus, ohne kirchenrechtlich abgesichert zu sein (vier Jahre war er kirchlich unbehaust)<br />

o damit löst er eine Debatte aus über Gehorsam und Lebensentwürfe, und das lange vor<br />

Vatikanum II<br />

o nach vier Jahren entscheidet sich der Bischof von Chur ihn aufzunehmen als<br />

Diözesankleriker<br />

o Balthasar als Pendant zu Rahner, beide sind sicher die zwei größten katholischen<br />

Theologen des 20. Jh.<br />

o sein Einfluss in der Kirche nimmt va indirekt über Henri de Lubac seinen Lauf<br />

o Papst Johannes Paul II. ernennt H.U.v. Balthasar zum Kardinal, er stirbt zwei Tage<br />

vorher<br />

- das Revolutionäre für die katholische Theologie:<br />

o auf seine Art und Weise fügt er sich in die Diskussion, was das Heil angesichts einer<br />

entchristlichten Welt bedeutet, angesichts der Übermacht der Sünde<br />

o er ist der Überzeugung, dass die gängige Form der Theologie, die va durch Logik<br />

und Philosophie arbeitet, diese Fragen nicht adäquat zu beantworten vermag, dass<br />

also eine grundsätzlich neue Denkform (Gestalt) notwendig sein<br />

o eine Gestalt, die nicht nur sich einseitig von der philosophischen begrifflichen<br />

Schärfung prägen lässt, sondern durch Literatur, Kunst und Theater beeinflusst wird;<br />

die so etwas wie dramatische Elemente integriert<br />

o „Dramatik“ – wenn in Ibk von der dramatischen Theologie gesprochen wird gibt es<br />

eine Verbindung zu Balthasar<br />

o „Theodramatik“ als eines seiner Werke: denken in dramatischen Kategorien;<br />

wichtig: Rolle, Geschichte, Theater<br />

- 60 -


Dogmatik I<br />

die Vision der Weltgeschichte als ein großes Drama, wo Gott „Rollen“<br />

verteilt<br />

Rollenidentität; der Rollenbegriff vom Theater her: Rolle – Maske – Prosopon<br />

– Persona; wir spielen verschiedene Rollen<br />

die Frage nach der Identität von Person und Rolle<br />

bei Christus ist Rolle und Person identisch; bei allen anderen ist es eine<br />

lebenslängliche Aufgabe seine Rolle zu suchen<br />

o → Vorstellung des Lebens als Drama; Gott als Autor und Regisseur, der aber dem<br />

Schauspieler Freiheit lässt, wie er seine Rolle wahrnimmt und entdeckt<br />

3.6.2.1 Unterwanderung der Sünde durch Gott, „Theologie der drei Tage“<br />

- Balthasar ist der Erste, der die Wahrheit im Kontext der Unterwanderung der Sünde<br />

durch Gott denkt<br />

- Gott nimmt die Sünde ernst, unterwandert aber ihre Logik<br />

- damit glaubt er Augustinus (der von der Faszination der Hölle fasziniert wird) und Origenes<br />

(Traum von Apokatastasis) gerecht zu werden<br />

- konsequent durchdacht und ausgeführt und zum ersten Mal deutlich greifbar in seinem<br />

Aufsatz „Theologie der drei Tage“<br />

o abgedruckt im Entwurf der heilsgeschichtlichen Dogmatik („mysterium salutis“)<br />

o erschien nach dem Konzil<br />

o im Rahmen dieses Werkes: es geht um die liturgischen drei Tage (Karfreitag,<br />

Karsamstag und Ostersonntag)<br />

3.6.2.1.1 hierbei wichtige Punkte<br />

Achtung! Hier handelt es sich um eine Theologie die durch Privatoffenbarung beeinflusst ist!<br />

- Menschwerdung als radikale Kenose (Entäußerung) des Sohnes; wie ist die Entäußerung zu<br />

denken?<br />

o normalerweise wurde der Philipperhymnus so gedacht: Logos wird Mensch, das hat<br />

aber keine Konsequenzen für das Verständnis des Logos<br />

o traditionell wir das christliche Gottesbild gedacht als Inbegriff der Relationen<br />

zwischen Vater und Sohn und Hl. Geist<br />

o der Geist hat seinen Ursprung von Vater und Sohn, ist den beiden quasi<br />

untergeord<strong>net</strong><br />

o Menschwerdung: Balthasar denkt bildhaft, räumlich, dramatisch: Menschwerdung<br />

des Sohnes heißt Entäußerung des Sohnes schon im Kontext des trinitarischen<br />

Lebens; bedeutet: der Sohn hinterlegt seine Gottgestalt beim Vater und ord<strong>net</strong> sich<br />

dem Geist unter (ontologisch kann er nicht aufhören Sohn zu sein, er verzichtet aber<br />

auf seine Privilegien, auf seine Attribute), dh: der menschgewordene Sohn wird vom<br />

Geist geführt<br />

o das hat seine Bedeutung: der menschgewordene Sohn ist im Hinblick auf die Frage<br />

der Gotteserkenntnis uns allen zuerst gleich<br />

- Menschwerdung als radikale Kenose – Hinterlegung der Gottgestalt beim Vater<br />

o → trinitarische Inversion; Veränderung der Beziehungen in der Trinität<br />

o wichtig weil: man denke an Hippies: sie gingen auf Wiesen, verließen die Familien<br />

aber jeder hatte seine Kreditkarte behalten – die Kritik war: der Menschgewordene<br />

läuft durch die Welt mit dem Rucksack der Gottheit auf dem Rücken<br />

diese Kritik gibt es immer wieder<br />

Balthasar versucht damit aufzuräumen indem er von radikaler Entäußerung<br />

spricht<br />

o er muss sich vom Geist führen lassen, und er lässt sich führen auf die Stunde hin<br />

(johanneischer Begriff), das Kreuz<br />

o es ist nicht so, dass der Menschgewordene von Anfang an weiß wie sein Leben<br />

aussieht, er lässt sich führen auf die Stunde hin, auf das Kreuz<br />

- 61 -


Dogmatik I<br />

- der Menschgewordene schafft durch sein Kreuzesleiden am Karfreitag die Hölle (die<br />

reine Substantialität der Sünde)<br />

o beeinflusst durch den radikalen Existentialismus wagt Balthasar eine These, die auf<br />

den ersten Blick irrsinnig anmutet: am Karfreitag entstand die Hölle<br />

o Balthasar macht aufmerksam, dass gemäß der atl. Offenbarung das Jenseits zwar<br />

Schëol kennt (Menschen die Gott nicht loben können), die Hölle sei theologisch der<br />

Zustand der reinen Negativität<br />

o wie ist aber reine Negativität in einer durch den guten Gott erschaffenen Welt<br />

möglich? – Antwort von Balthasar: durch sein Leiden am Kreuz trennt Jesus die<br />

Sünde vom Sünder<br />

wir hatten eine analoge Denkfigur bei Luther: der Vater überträgt die Sünde<br />

vom Sünder zu Christus<br />

hier: durch das Kreuzesleiden wird die Sünde vom Sünder getrennt<br />

der Sünder qua Sünder wird gerettet, die reine Sünde, die reine Substantialität<br />

der Sünde ist das, was man Hölle nennen kann<br />

am Karfreitag entsteht also die Hölle als reine Substantialität der Sünde<br />

o damit ist aber das triduum paschale nicht beendet; das eigentliche Drama fängt erst<br />

jetzt an<br />

- am Karsamstag erleidet der „tote Sohn“ die Hölle<br />

o hier greift er auf Visionen von Adrienne von Speyer zurück; er selber schreibt,<br />

Adrienne habe das miterlebt<br />

o Adrienne erlebte am Karsamstag, sie sei mit dem toten Christus in die Hölle<br />

abgestiegen; Ebene, wo Visionen gegeneinander ausgespielt werden<br />

o das sind die 50er, jene Zeit, wo in der katholischen Frömmigkeit die Visionen von<br />

Fatima eine ungeheure Rolle spielen (die Hölle ist bis an den Rand voll und<br />

deswegen ist es um die Welt schlecht bestellt) – das prägt Breiten der katholischen<br />

Bevölkerung<br />

o diese Mystikerin wandert in die Hölle, sie sagt dort sei keiner außer Christus, und –<br />

das ist entscheidend – sie hat in der Hölle all das gesehen, was die Menschen durch<br />

die Sünde verloren haben<br />

dh was Christus in der Hölle findet ist das, was der Mensch von seiner<br />

Personalität im Leben an die Sünde verloren hat (effigien, Abdrücke)<br />

Adrienne begleitet den toten Christus auf seinem Gang durch die Hölle<br />

o Christus erleidet (!) die Hölle, er schaut das Ergebnis seines Leidens; Adrienne<br />

begleitet Christus und Christus löscht diese effigien aus<br />

er durchleidet<br />

der soteriologische Mehrwert: die Sünde ist etwas so radikales und großes,<br />

dass es den Menschgewordenen im Innersten trifft<br />

die Sünde ist nicht etwas banales<br />

der tote Sohn, der erst in diesem Zustand in das Geheimnis seiner Identität<br />

eingeweiht ist – wer er ist, erfährt Christus eigentlich erst nach seinem Tod<br />

o mit diesen modernisierten Bildern/Theorien glaubt Balthasar das altkirchliche<br />

Bekenntnis des Abstiegs zu sehen, aber auch das der Auferstehungsikonen der<br />

Ostkirche (der tote Christus steigt zur Hölle und befreit die Väter)<br />

o die Hölle als reine Substantialität der Sünde, an die sich die Menschen verlieren,<br />

Christus, der Tote, durchwandert und durchleidet die Hölle<br />

- damit fällt der menschgewordene Sohn tiefer als der Sünder je zu fallen vermag<br />

o bei Balthasar ist das Denken sehr stark trinitätstheologisch geprägt: er versucht die<br />

Sackgassen von Barth zu vermeiden<br />

- ∑: spiritueller Mehrwert des Ganzen hier: Glauben und Vertrauen, dass der<br />

menschgewordene Sohn Gottes durch die Kenosis (Entäußerung, Abstieg) existentiell<br />

gesprochen tiefer fällt als der Mensch in seinem Leben je zu fallen vermag<br />

o es gibt keine Situation im Leben, die nicht vom menschgewordenen Sohn Gottes<br />

aufgefangen werden kann, denn er ist immer noch ein Stück tiefer gefallen<br />

- 62 -


Dogmatik I<br />

o wenn Christus Gottverlassenheit erlitten hat, dann hat er es als unsere<br />

Gottverlassenheit erlitten<br />

o Gott kann in alle Ewigkeit die Verdammten tragen und ertragen, im<br />

soteriologischen Sinn, dafür das Bild der geschlossenen Faust<br />

der Mensch gleicht von Natur aus einer offenen Hand<br />

die Sünde ist die ständige Tendenz zur incurvatio, und das heißt sich<br />

verkrampfen und das ist eine geballte Faust<br />

auch diese Fast kommuniziert, indem sie schlägt: Beziehungen der Gewalt<br />

Frage ist, wie Gott, der offene Hände haben will, die geballten Fäuste öff<strong>net</strong>,<br />

und das ist die Frage nach der Erlösung – mit Gewalt? Mit Tricks?<br />

es gibt nur eine Methode wie man die offene Faust öff<strong>net</strong>: die eigene<br />

Hand (eines anderen Menschen) unter die geballte Faust legen und<br />

tragen – es dauert eine Zeit und dann öff<strong>net</strong> sich die Faust von selber,<br />

weil die Faust kein natürlicher Zustand ist<br />

das ist kein liberales Halten, das ist nicht laissez-faire, das ist ein<br />

aufmerksames Tragen<br />

o damit verbunden das Bild der Christologie: alte Bilder sind<br />

Hilfskrückenantworten (Anselm, Athanasius) die den Aspekt andeuten wollen, dass<br />

ein Anderer etwas tut<br />

ein moderner Mensch, der das nicht zulassen will<br />

o die Anwesenheit eine Stufe tiefer, unaufdringlich und doch da<br />

o auf diesem Hintergrund: Erlösung von der Hölle würde heißen, Gott ist göttlich<br />

genug, dass er den Sünder, der sich verschließt, eben liebevoll tragen kann in der<br />

Hoffnung, dass dieser sich irgendwann aufmacht<br />

o damit die göttliche Liebe auch das tun kann, muss sie selber als eine Liebe die ohne<br />

Ambivalenz ist begriffen werden<br />

o Hinweis auf Trinitätslehre: ist die göttliche Liebe eine ambivalente, eine von<br />

Widersprüchen oder eine reine Liebe?<br />

4 trinitarische Liebe als Bedingung der Erlösung von der<br />

Hölle (zur Frage nach der Identität von Heil und<br />

Wahrheit)<br />

- die Wahrheit des menschlichen Lebens hat fundamental mit Beziehungswahrheit zu tun<br />

o Beziehung (vgl. Aristoteles Kategorien), relatio ist ein Akzidens; Beziehung kann<br />

sein, muss aber nicht sein (modern etwa ein Hobby)<br />

o auch philosophisch: in der großen metaphysischen Reflexion ist Beziehung im<br />

Bereich der Akzidenzien<br />

o wir müssen etwas neu entdecken, was im Christentum lange verdrängt wurde: was ist<br />

das Bild des dreifaltigen Gottes? → Durchkreuzung unserer Rationalität!<br />

o hier ist es nicht Akzidens, hier ist es personenbindend; man steht und fällt als<br />

Person; die Dreifaltigkeit steht und fällt mit ihrer Beziehung<br />

- kulturelle Chance des Christentums in einer Welt die scheinbar alles hat: die Menschen<br />

ersticken am Reichtum und andererseits verhungern und verdursten Menschen<br />

o fundamentaler kultureller Mangel: zunehmende Einsamkeit die durchaus etwas<br />

mit der Philosophie des Singles zu tun hat, und das ist die Zuspitzung des Traumes<br />

von Autonomie<br />

o dem zunehmend an der Einsamkeit erstickenden Menschen des 21. Jh. präsentiert<br />

das Christentum das letzte Geheimnis der Wirklichkeit, nämlich das Geheimnis<br />

Gottes, das identisch mit dem Geheimnis der Liebe ist, das nicht zum Egoismus zu<br />

Zweit degeneriert, weil sich diese Liebe auf andere öff<strong>net</strong>, auf göttliche Personen und<br />

auf durch Liebe geschaffene Wesen<br />

o das letzte Geheimnis der Wirklichkeit ist Beziehung und wir haben Anteil daran<br />

- 63 -


Dogmatik I<br />

o wir sind Teil der Geschichte, und das nur deswegen, weil wir geliebt werden<br />

o Kontrast zu gängigen kulturellen Schemata: nicht „ich werde geliebt“, sondern „was<br />

kann ich tun“<br />

4.1 Rückgriff auf die Frage: der einsame oder kommunikative Gott<br />

- vgl. Konzil von Nizäa<br />

- die Revolution, die das Christentum in die Welt bringt, Gott sei keine unkommunikative<br />

Einsamkeit sondern eine kommunikative Gemeinschaft, persongewordene<br />

Kommunikation<br />

- Gott sei Trinität, und diese trinitarische Beziehung ist Bedingung dessen, dass wir die<br />

Erlösung radikal als Erlösung von der Hölle denken können<br />

o theologisch fokussiert: was ist die Hölle? Jeder glaubt sich allein in der Hölle und<br />

das ist sie; Hölle als absolute Isolation, als Getrenntsein von jeder Beziehung;<br />

Inbegriff des Abbruchs<br />

o existentiell gewendet: absolute incurvatio; radikales auf sich selbst bezogen sein das<br />

letzten Endes destruktiv ist<br />

o wie kann eine solche Hölle existentiell, im Leben und auch im Tod, als die radikale<br />

Einsamkeit sein?<br />

o wenn Christentum von Erlösung spricht, Erlösung heißt Beziehung herstellen<br />

o auch die verborgenen Existenzen, auch die incurvati, können Zweckallianzen<br />

herstellen indem sie sich gegen einen Dritten wenden (vgl. 3. Akt)<br />

o Beziehung kann nur entstehen, wenn noch größere Liebe, größere Beziehung da ist<br />

- das christliche Grunddogma im Hinblick auf die Frage nach Kommunikation in Gott: Nizäa,<br />

die Leistung des Athanasius, fundamentale Unterscheidung zwischen Geschaffenem und<br />

Ungeschaffenem, damit eine Schneise in das neuplatonische Weltbild<br />

- die Vermittlung zwischen Einheit und Vielfalt ist nicht Vermittlung zwischen einem Gott<br />

und der vielfältigen Welt, sondern schon der Bereich des Ungeschaffenen ist vielfältig, dh es<br />

gibt keine Reduktion auf Eins, das letzte Geheimnis der Wirklichkeit ist Vielfalt, die<br />

Vielfalt der Personen im Kontext des Ungeschaffenen<br />

o wie soll man das inhaltlich aussagen und begrifflich klar fassen? und<br />

<br />

o aus den Begriffen die Substanz und Wesen aussagen und miteinander identifiziert<br />

werden, wird im Zuge der Reflexion über die Bedeutung Christi (wer ist er eigentlich?<br />

Nur Modell? Reicht die Logik seiner Person so tief hinein, dass sie die Grenze bis ins<br />

Ungeschaffene bricht? Wer ist er dort? Legat, Beamter, niederer Gott, Engel? –<br />

Bekenntnis von Nizäa: seine und seine seien identisch mit Gott)<br />

gesprochen<br />

o der Begriff Maske (, persona) scheint hilfreich zu sein<br />

o kreative Verschmelzung der Begriffe und zur Geburt dessen, was wir den<br />

Personenbegriff nennen (unser Personenbegriff ist ein christlicher Begriff! Er wurde<br />

geboren im Zuge der christologisch-trinitarischen Streitigkeiten)<br />

o der Begriffsinhalt kommt aus , und dem was man später als<br />

Relation bezeich<strong>net</strong><br />

o also lateinisch persona zuerst Maske, von kommt Selbststand (nicht nur<br />

Maske die irgendwo lagert, sondern Maske mit Maskenträger,<br />

) und vor allem relatio<br />

o damit ist der Personenbegriff geboren, der die spätere Geschichte prägt: Person ist<br />

konkrete Erscheinung, Selbststand (nicht flüchtig oder ein Gespenst)<br />

o Vielfalt in Gott als Vielfalt von Personen<br />

- Was beinhaltet diese Vielfalt in Gott?<br />

o beinhaltet sie auch Leiden? Ist Leiden etwas das Relation ausdrückt?<br />

o die moderne Zeit hat den Begriff „Opfer“ sehr aufgewertet, und wie ist es mit dem<br />

Opfer? Ist Viktimisierung nicht eine Beziehung? Ist Zufügung von Leiden Relation,<br />

ist Erleiden von Leiden Relation?<br />

- 64 -


Dogmatik I<br />

es hat Zeiten gegeben wo man das selbstverständlich annahm; es gab<br />

Frömmigkeiten: je mehr Leiden desto tiefer die Beziehung zu Christus<br />

4.1.1 Augustinus<br />

- die Vielfalt in Gott kann nur an den Beziehungen abgelesen werden; es sind konstante und<br />

unveränderbare Beziehungen<br />

- Person und Relation sind faktisch identisch<br />

- Augustinus trifft erste klassische Formulierung der Namen mit ihrem Inhalt (Vater und Sohn<br />

angesichts des Bekenntnisses von 1 Joh 4,7-16 „Gott ist Liebe“; Juden können sagen „Gott<br />

liebt sein Volk“; um zu sagen „Gott ist liebe“ muss ich voraussetzen, dass Gott auch ohne<br />

Welt Beziehung sein kann (aber nicht nur die Engel, „Gott ist Liebe“):<br />

o Liebender (Gott), Geliebter (Sohn) und vinculum amoris (Liebensband; Geist)<br />

o der Vater liebt den Sohn und der Sohn lässt sich lieben<br />

o der Geist erhält die Beziehung lebendig und öff<strong>net</strong> diese Beziehung<br />

o vinculum amoris ambivalent verstanden: vinculum kann schließen, aber auch öffnen<br />

o dogmatisch: das Einfallstor in die Trinität ist der Hl. Geist (durch ihn sind wir in<br />

die trinitarische Liebe aufgenommen)<br />

4.1.2 Präzisierung des Personenbegriffes durch Richard von St. Victor<br />

- angesichts der nachaugustinischen Herausforderung: Boethius ist Vater des klassischen<br />

Personenbegriffes (persona est naturae rationalis individua substantia; Person als<br />

individuelle Substanz der allgemeinen vernunftbegabten Natur → prägte uns)<br />

- Verbindung zu Augustinus’ Analyse der Liebe, mit dem was christliche Trinitätslehre ist →<br />

man landet beim Tritheismus: drei Substanzen, also drei Götter<br />

o Boethius’ Begriff findet keine Anwendung in der Trinität<br />

o dass die göttlichen Personen keine Hypostasen iSv Substanz ist sagten die<br />

Kappadozier<br />

- angesichts dieser Hersausforderung schafft Richard von St. Victor eine Präzision, die wohl<br />

eine der geeig<strong>net</strong>ste Begriffe ist<br />

o persona divina est divinae naturae incommunicabilis existentia (die unmitteilbare<br />

Existenz der göttlichen Natur)<br />

o existentia wird abgeleitet von ex sistere, also von einem anderen her in sich selbst<br />

sein<br />

ich bin der ich bin weil ich von einem anderen her als das was ich bin gesetzt<br />

worden bin<br />

schlicht und einfach: ich habe mich nicht selber als der ins Dasein gesetzt der<br />

ich bin, sondern ich wurde von einem Anderen her gesetzt<br />

„existentia“ macht darauf aufmerksam, dass das Dasein von woanders gesetzt<br />

ist<br />

o incommunicabilis: weil nicht einmal ich selber über das verfügen kann dass ich ins<br />

Dasein gesetzt wurde, ich kann mich nicht ungeschehen machen (wenn ich meinem<br />

Leben ein Ende mache habe ich den Akt mit dem ich ins Dasein kam nicht<br />

aufgehoben) – der Aspekt der Unvefügbarkeit<br />

nicht einmal ich selber verfüge über das was meine Personalität ist,<br />

geschweige denn die Anderen<br />

das ist unmitteilbar<br />

die tiefste Dimension der Unmittelbarkeit entsteht bei der Implikation des<br />

Gottesbegriffes: wer entscheidet darüber was eine Person ist? Auf dem<br />

Hintergrund Boethius’: wir haben Föten oder Frühgeburten wo man mit 100<br />

Prozent sagen kann, dass die rationalis natura nicht entwickelt werden wird<br />

also ist das keine Person (Personalität wird an die ratio gebunden)<br />

die Bestimmung dessen was Person ist, ist unheimlich brisant<br />

- 65 -


Dogmatik I<br />

nicht die katholische Kirche will den Fortschritt verhindern: es gehört zu den<br />

Grundlagen der christlichen Weltanschauung: Bestimmung des<br />

Personenbegriffes, wo der schwerste Akzent auf der Unverfügbarkeit liegt<br />

Ursprungsbeziehung, Ursprungsrelation als entscheidend für die Bestimmung<br />

dessen was Personsein heißt<br />

weil sich niemand selbst setzen kann, weil sich niemand selbst generieren<br />

kann, kann im Grunde auch niemand darüber entscheiden ob jemand eine<br />

Person ist oder nicht<br />

die Christen halten – unabhängig vom bürgerlichen Gesetzt – daran fest, dass<br />

das unverfügbar ist<br />

4.1.2.1 Plausibilität des Trinitätsdogmas aufgrund der Analyse<br />

mitmenschlicher Erfahrungen der Liebe: amor mutuus ↔ condilectio<br />

- er unterscheidet zwei Arten von Liebe: amor mutuus (wechselseitige Liebe) und condilectio<br />

(Mitgeliebtsein)<br />

o Richard von St. Victor korrigiert Augustinus mit seiner Bestimmung (Liebender,<br />

Geliebter und vinculum amoris)<br />

o hier Schwerpunkt auf dem Hl. Geist: vinculum amoris wird verändert zu<br />

condilectus<br />

Vater als diligens (Liebender), Sohn als dilectus (Geliebter) und jetzt neu:<br />

condilectus (der Mitgeliebte, oder der liebend Mitgeliebte)<br />

o im Grunde definiert er die Trinität wie eine Dreiecksbeziehung: nicht Rivalität<br />

sondern man liebt sich mit der Liebe, mit der der jeweils andere dich liebt; da das ein<br />

Verschiedener ist, wird der Dritte doppelt verschiedentlich geliebt in der Position des<br />

Anderen – Preisgabe seines eigenen Anspruchs<br />

o ∑: der Vater liebt den Sohn und der Sohn wird vom Vater geliebt (=<br />

wechselseitige Liebe, amor mutuus) → diese wechselseitige Liebe kann immer noch<br />

zu einem Egoismus zu Zweit werden; die Öffnung zum Mitgeliebtsein (condilectio)<br />

geschieht indem der Vater den Geist liebt mit jener Liebe, mit der der Sohn den<br />

Geist liebt und der Sohn den Geist liebt mit jener Liebe, mit der der Vater den<br />

Geist liebt<br />

sich Lieben lassen als Inbegriff dessen was bereits Liebe ist<br />

V<br />

G<br />

S<br />

V (diligens)<br />

S (dilectus)<br />

G (condilectus)<br />

o Personenbegriff von einem Anderen her<br />

o traditionelle Theologie: sprach immer davon: in aller Ewigkeit zeugt der Vater den<br />

Sohn und der Geist wird in alle Ewigkeit gehaucht<br />

4.1.2.2 beinhaltet diese Liebe auch die Erfahrung des Liedes?<br />

„Wem nie geschah von Liebe Leid,<br />

dem geschah auch Lieb von Liebe nie.<br />

Liebe und Lied, wann ließen die im Lieben je sich scheiden.“<br />

(Gottfried von Straßburg, Tristan und Isolde)<br />

- Erfahrung hiermit: wenn du mich liebst dann leide für mich, dann stirb für mich<br />

o bei Tristan und Isolde, dem mittelalterlichen Epos ist nie klar ob sich die beiden lieben<br />

oder sterben<br />

o Isoldes Liebestod: Ertrinken, versinken, höchste Lust unbewusst – Verschmelzung?<br />

- 66 -


Dogmatik I<br />

- die Frage ist: für wen ist das Leiden ein Beweis der Liebe? Es gibt keine größere Liebe als<br />

wenn einer für den Anderen sein Leben hingibt – ist das eine Aussage, die die letzte<br />

trinitarische Wirklichkeit betrifft oder unter der Voraussetzung ob es Sünde gibt? – Streitfrage<br />

der letzten 2.000 Jahre<br />

o Großteil der Tradition: trinitarische Liebe ist eine ohne Ambivalenzen, dass die<br />

göttlichen Personen in alle Ewigkeit sich aufeinander öffnen, dass Liebe in Gott<br />

ewig ist aber das Leiden nicht beinhaltet (→ das Leiden ist nicht verewigt; Leiden<br />

hängt mit der sündhaften geschöpflichen Wirklichkeit zusammen)<br />

o es gibt andere Versuche: Verewigung des Leidens; die romantische Vorstellung<br />

von Liebe wird auch für Gott angenommen, va die Bilder des Gnadenstuhls, wo<br />

Gottvater in seinen Armen das Kreuz Christi trägt; oft werden diese Bilder verstanden<br />

als Bilder vom inneren Wesen Gottes – das Kreuz im inneren Wesen Gottes – ist<br />

das Kreuz ein Thema der Trinitätslehre? – Nein, es ist ein Thema der Christologie,<br />

betrifft die Identität Christi als menschgewordenen Sohn Gottes, die historische<br />

und geschöpfliche Wirklichkeit;<br />

4.2 traditionelle Unterscheidungen<br />

- opera trinitatis ad extra (Schöpfung, Menschwerdung, Vollendung der Welt) und opera<br />

trinitatis and intra („generatio“, „spiratio“)<br />

o Zeugung des Sohnes und Hauchung des Geistes als Vorgänge, die<br />

innertrinitarisch zu sehen sind, sind nicht identisch mit dem, wie Gott nach außen<br />

– geschaffene Wirklichkeit – wirkt<br />

o dh die Menschwerdung des Menschen ist nicht mit der generatio identisch (vgl.<br />

Leo d. Große: Geburt des Vaters aus der Ewigkeit verschieden von der Geburt aus<br />

Maria in der Zeit)<br />

Geburt aus dem Vater = generatio, Geburt aus der Zeit = Menschwerdung →<br />

die beiden haben einander nichts weggenommen oder hinzugefügt<br />

- Wert dessen: Verhinderung der Rückprojektion; weil der Menschgewordene am Kreuz<br />

stirbt kann nicht zurückgeschlossen werden, dass das Kreuz den Inhalt dessen ausmacht, was<br />

das Leben der Trinität ausmacht<br />

- Sinn dieser Unterscheidung: trinitarische Liebe existiert bereits vor der Perspektive der<br />

geschöpflichen Begrenzung und noch mehr der Sünde<br />

o letztes Geheimnis der Wirklichkeit sind trinitarische Beziehungen, sie existieren<br />

vor der Perspektive von Begrenzung und Sünde, sind als Liebe beschrieben<br />

o nur wenn man auf diese Art und Weise denkt kann man folgern was von zentraler<br />

Bedeutung ist: weil der Sohn Inbegriff der Liebe ist (ohne Ambivalenzen), weil der<br />

Sohn der Geliebte und der liebend Geliebte (weil er den Geist liebt) ist, weil er<br />

nichts anderes ist als die Erfahrung der Liebe, kann er Mensch werden, kann er in<br />

die geschöpfliche Wirklichkeit herabsteigen, der Erfahrung von Sünde, Gewalt und<br />

Tod ausgesetzt werden<br />

o vgl. 3. Akt: warum kann Jesus mit ihn dämonisierenden Feinden auf dieses Übermaß<br />

an Hass und Ausgrenzung mit einer vergebenden Liebe reagieren, eine über den<br />

Umweg des Vaters? Er kann das tun weil er nicht mimetisch auf die Beziehungen<br />

mit seinen Gegner angewiesen ist, dh weil seine Identität woanders verankert ist<br />

o existentiell gesprochen würde das banal heißen: Menschen die über eine starke<br />

Identität verfügen, Menschen die aufgrund ihrer Lebenserfahrung die Gnade haben,<br />

dass sie sich aufgehoben und getragen fühlen, diese Menschen vermögen in den<br />

höllischen Situationen übermenschliches zu leisten<br />

o der Abstieg in die Hölle, in die reine Sünde, ist nur möglich, weil der Inbegriff der<br />

Identität dieses Sohnes reine Liebe ohne Ambivalenz ist<br />

o aus diesem Grund: das Geheimnis des dreifaltigen Gottes ermöglicht jene Logik,<br />

von der die biblische Botschaft getragen ist (je mehr sich der Mensch in die Sünde<br />

abfällt umso stärker ist die Identifizierung Gottes mit diesen Menschen)<br />

diese Logik kann sadomasochistisch verstanden werden, dann müsste Gott<br />

aber ambivalent sein, dann wäre Liebe und Leiden in alle Ewigkeit identisch,<br />

- 67 -


Dogmatik I<br />

oder diese radikale Identifikation hat gar nichts mit Leiden zu tun sondern ist<br />

vielmehr die Frucht der reinen Liebe, und kann somit durch den Tod hindurch<br />

als Liebe existieren<br />

das ist jene Stelle, die ungemein schwierig ist: aus welcher Motivation steigt<br />

Gott herab? Es gibt das Charisma, es gibt die Gnade and er reinen Liebe<br />

Gottes partizipieren zu können und aus der Kraft dieser Liebe ohne Angst vor<br />

dem Verlust der Identität zu leben<br />

o Hingabe ja, aber nicht Leiden<br />

o Urteil: alle Aussagen über Leiden in Gott sind im Grunde Projektionen<br />

Christus stirbt am Kreuz, er gibt sich seinen Vater hin, der Vater liebt den<br />

Sohn auch oder gerade in seinem Leiben, aber Gott selber bewirkt dieses<br />

Leiden nicht (sondern die Menschen), der Vater rettet den Gekreuzigten (4.<br />

Akt)<br />

o Leid ist eine Wirklichkeitserfahrung, die der geschöpflichen und nicht der<br />

göttlichen Wirklichkeit angehört<br />

o nur so ist es möglich dem christologischen Drama den Stachel der Tragödie zu<br />

nehmen – Christentum sprengt die Tragödie<br />

es gibt auch Leben ohne Leiden, nämlich die communio sanctorum, das<br />

Leben bei Gott<br />

göttliche Liebe öff<strong>net</strong> sich zwar auf die geschöpfliche Wirklichkeit,<br />

produziert aber selber kein Leiden<br />

5 Gastvortrag: Auf den Spuren von Matteo Ricci: Ein Blick<br />

in die Werkstatt der christlich-chinesischen Theologie,<br />

von P. Aloisius Gutheinz SJ<br />

5.1 Auf den Spuren von Matteo Ricci (* 6.10.1552 † 11.5.1610)<br />

5.1.1 die Geschichte des Christentums in China in fünf Phasen<br />

- 1. Phase: Missionare der östlichen Kirche<br />

o geht zurück auf die Missionare der östlichen Kirchen (syrische und koptische Kirche)<br />

die im 8. Jh. nach China kamen<br />

o Beweis ist eine Stele in der alten Hauptstadt Sian (dort wo die Tonsoldaten stehen) auf<br />

der eingeritzt stehen, dass da Missionare kamen und die Botschaft von Jesus und<br />

seiner Mutter Maria gebracht haben, dann wiederum ein gewisser Niedergang des<br />

Christentums in China<br />

- 2. Phase: Franziskanermission im 13. Jh.<br />

o die Missionare kamen in der Mongolenherrschaft (1227-1368), also eine ausländische<br />

Dynastie in China<br />

o als diese Dynastie zusammenfiel verschwindet auch praktisch die Gegenwart der<br />

christlichen Missionare<br />

- 3. Phase: Zeitalter der Entdeckungen<br />

o katholischerweise gestützt von den Arbeiten des Konzils von Trient<br />

o in dieser dritten Phase die Ankunft der katholischen Missionare in der Form von<br />

Jesuitenmissionaren<br />

o Franz Xaver (?) starb vor den Toren Chinas<br />

o in diesem Jahr (1552) wurde Matteo Ricci geboren<br />

o Allessandro Valiniano (?) SJ sah genau, dass nach Franz Xavers Tod China ungemein<br />

intensive intellektuelle Arbeit verlangt und er berief den außerordentlich begabten<br />

Matteo Ricci von Goya (?) über Indien nach Macao<br />

o jetzt beginnt dieser demütige Jesuit Chinesisch zu studieren<br />

- 68 -


Dogmatik I<br />

o Matteo Ricci: „Liebe Mitbrüder, ich hinterlasse euch ein offenes Tor zu China“; mit<br />

diesen Worten starb er<br />

o Schwierigkeiten im Ritenstreit, wo es zwei Grundpositionen gab:<br />

(a) These der offenen Missionare (hauptsächlich Jesuiten, Dominikaner und<br />

Franziskaner): wir können Konfuziusverehrung, Ahnenverehrung und den<br />

Gottesnamen auf chinesische Weise ausdrücken, kein Widerspruch mit dem<br />

Christentum<br />

(b) Konfuzius- und Ahnenverehrung und der chinesische Gottesname sind<br />

nicht vereinbar mit der christlichen Religion<br />

o → These (b) wurde 1742 mit päpstlicher Autorität fixiert, und so mussten alle<br />

Missionare den Eid ablegen, keine Verehrungen durchzuführen und den chinesischen<br />

Gottesnamen nicht zu verwenden<br />

o dieses Dekret von 1742 wurde 1939 erst aufgehoben<br />

- 4. Phase: Kolonialphase im 19. Jh.<br />

o erstmals kommen auch Protestanten auf die chinesische Bühne, und damit eine<br />

Pluralität der christlichen Gegenwart<br />

o Vielfalt ist schön, aber als Missionar ist das ein großer Schmerz, dass die Christen<br />

getrennt sind – der Chinese fragt „Was wollt ihr? Ihr sprecht von einem Christus und<br />

von einer Liebe Gottes, seid untereinander aber getrennt.“ – ein Skandal für das<br />

moderne China<br />

- 5. Phase: Beginn der Volksrepublik 1949<br />

o intensive und beinharte Verfolgung aller Religionen (vorsichtig gesagt wurden bis<br />

heute 50 Mio. Menschen von der kommunistischen Regierung getötet!)<br />

o faszinierend ist, dass in dieser härtesten Verfolgung ein intensives Interesse für das<br />

Christentum da ist, sodass heute etwa 10-12 Mio. Katholiken und 30-40 Mio.<br />

Protestanten gläubig sind<br />

5.1.2 die Pionierarbeit von Matteo Ricci: Grenzgänger zwischen Kulturen<br />

5.1.2.1 „Über die Freundschaft“ – der Weg des Menschen<br />

- Matteo Ricci hatte die Gnade und Demut zu lernen; begabt mit einem außerordentlichen<br />

Gedächtnis: er konnte eine Seite chinesischer Schriftzeichen einmal lesen und dann von hinten<br />

her nochmals rezitieren<br />

o das hat ihm die Herzen der Mandarine geöff<strong>net</strong><br />

- tiefe Freundschaft mit intellektuellen Chinesen hat ihm den Weg nach China geöff<strong>net</strong><br />

5.1.2.2 „Die wahre Idee Gottes“ – ein präevangelischer Dialog mit<br />

Konfuzianern<br />

- er versuchte, den chinesischen Freunden die wahre Idee Gottes zu erklären<br />

- das ist ein Versuch, dem suchenden Menschen darzulegen, wie wir Christen Gott sehen<br />

- der Hauptinhalt steht in acht Kapiteln:<br />

1. die Schöpfung und Erhaltung aller Dinge durch Gott<br />

2. Erklärung von falschen Ideen über Gott<br />

3. die menschliche Seele und ihre Unsterblichkeit (verschieden von den Tieren)<br />

4. Widerlegung der Reinkarnation<br />

5. moralische Dimension des Menschen<br />

6. endgültige Belohnung oder Strafe<br />

7. Betonung, dass die menschliche Natur gut ist<br />

8. Beschreibung westlicher Gebräuche, Gesichte des Zölibats, warum der Erlöser nicht<br />

in China geboren ist, Abriss der Heilsgeschichte, Gottheit Christi und Bedingungen<br />

zum Eintritt in die Kirche<br />

- 69 -


Dogmatik I<br />

5.1.3 drei Wahrheiten<br />

- wir lernen aus der ganzen Geschichte drei Wahrheiten:<br />

1. keine Macht in dieser Welt, und sei sie noch so grausam (wie zB kommunistische<br />

Verfolgung) kann das Christentum auf der Erde auslöschen<br />

2. das Reich der Mitte verlangt eine tiefgehende Inkulturation des Christentums<br />

3. wir Christen haben eine heilige Pflicht dem aufsteigenden Riesen China durch das<br />

christliche Zeugnis bleibende Werte des Menschseins zu vermitteln<br />

5.2 ein Blick in die Werkstatt der christlich-chinesischen Theologie<br />

- wir versuchen, dass die christlichen Werte langsam einfließen in das moderne China, sodass<br />

man nicht mehr von der „gelben Gefahr“ sprechen muss<br />

5.2.1 Was ist bereits geschaffen?<br />

5.2.1.1 die Glaubensreflexion in der chinesischen Welt (Taiwan, China,<br />

Hongkong, Macao, …)<br />

- es vollzieht sich, noch nicht schriftlich sichtbar, eine intensive Glaubensreflexion in den<br />

katholischen Priesterseminaren, in Bibelkursen, in Exerzitien, …<br />

- es vollzieht sich eine vortheologische Reflexion unseres Glaubens<br />

- es vollzieht sich eine tiefgehende Glaubensreflexion in der chinesischen Welt, auch unter den<br />

Auslandschinesen (etwa 30 Mio!)<br />

- es stellt sich die Frage, wie man im heutigen Vakuum der geistlichen Vision, Christentum<br />

einführen kann<br />

- viele Millionen Menschen erleben eine existentielle Angst, weil der Kommunismus, in dem<br />

sie aufgewachsen sind, zerfallen ist und die tiefen Fragen der Menschen nicht mehr<br />

beantworten kann<br />

- in dieses Vakuum hinein möchten wir die christlichen Werte und die Vision der christlichen<br />

Offenbarung einbringen<br />

5.2.1.2 Die Theologie der theologischen Fakultäten (katholisch und<br />

protestantisch)<br />

- in Taiwan und China gibt es nicht wenige theologische Fakultäten<br />

- in Taipeh besteht die einzige katholische Fakultät mit Doktoratsgraden seit 1985<br />

- seit 1968 gibt es Theologie in chinesischer Sprache (Mandarin), vorher in Latein und Englisch<br />

5.2.1.2.1 Die „Collectanea Theologica Fu Jen“: bereits mehr als 180 Hefte<br />

- seit 1969 gibt es diese Zeitung<br />

5.2.1.2.2 die Fu Jen Serie „Theologische Monographien“: bereits 78 Bände<br />

- 70 -


Dogmatik I<br />

5.2.2 Schwerpunkte heutiger christlich-chinesischer Theologie<br />

5.2.2.1 Theologie im Kontext des Konfuzianismus und Daoismus:<br />

„Einheitskategorie“ und „Yin-Yang-He“ Theologie, mit konkreten<br />

theologischen Folgerungen<br />

- da ist die Idee „Einheitskategorie“:<br />

o der Chinese ist Buddhist, weil es von Indien kam<br />

o die ursprünglichen Religionskräfte sind Konfuzianismus und Daoismus<br />

o sie haben eine gemeinsame Tendenz: sie versuchen die gesamte Wirklichkeit als eine<br />

Einheit zu sehen, als ein Ganzes; nicht so sehr Schöpfergott und dann die geschaffene<br />

Welt sondern primär eine Einheitssicht (→ Kategorie der Einheit)<br />

- es geht ganz konkret um Sakramententheologie, insbesondere Ordination<br />

o herkömmlich ist das Wesen des Sakramentes des Priesteramtes in der Handauflegung<br />

des Bischofs und im Weihegebet<br />

o die Kategorie der Einheit sagt, dass wir das vollständiger, der Wirklichkeit<br />

entsprechender sagen müssen, und dh in diesem Weihegeschehen, va der<br />

Weihekandidaten, mit seiner ganz persönlichen Geschichte, muss die Geschichte des<br />

Kandidaten besser zum Ausdruck kommen<br />

- ein anderer Versuch: China denkt sehr wesentlich von früh bis spät im Modell von Yin-Yang-<br />

He<br />

o Yin, das eher Weibliche, das Empfangende, und die chinesische Kultur ist wesentlich<br />

gezeich<strong>net</strong> von diesem Yin<br />

o das Yang ist das Gebende und Prägende (menschlich: Frau und Mann)<br />

o und das He ist das Einende<br />

o Idee Chinas: wenn wir das Geheimnis des dreifaltigen Gottes (schenkende,<br />

empfangende und einende Liebe) weitertragen und sehen und glauben, dass im<br />

göttlichen Geheimnis die zweite göttliche Person der vom Vater gesandte ist, der<br />

empfangende Teil (empfangende Liebe), in unserer menschlichen Gesellschaft, in der<br />

Geschichte, eine Gemeinschaft um sich bildet die wir Kirche nennen, dann könnte<br />

doch in dieser Gemeinschaft eine Frau, die das Yin in besonderer Weise vertritt, auch<br />

Jesus Christus in dieser Gemeinschaft vertreten<br />

5.2.2.2 Theologie im sozio-politischen Kontext: „Homeland Theology“ (Taiwan)<br />

und „Theologie der Lebensqualität“ (ökumenische TARGTI<br />

Studiengruppe)<br />

- „Heimattheologie“: Taiwan, diese kleine Insel, will nicht vom Festland, von der<br />

Volksrepublik, beherrscht werden; die Taiwanesen wollen selbstständig regieren; nicht<br />

unbedingt ein unabhängiger Staat, aber dennoch eigenständig<br />

o kommt aus der protestantischen Sicht<br />

o dazu kommt ein Versuch über die Theologie der Lebensqualität, wo es um ein<br />

menschliches, reifes und schönes Leben auf dieser Insel geht, in dieser Bioregion<br />

Taiwans<br />

o eine Forschungsgruppe (Taiwan Area Research Group on Theological Issues –<br />

TARGTI) ergab zB folgendes Ergebnis: im heutigen Bewusstsein der taiwanesischen<br />

Bevölkerung ist das Individuum sehr stark tragend und im Vordergrund, wohingegen<br />

in China die einzelne Person im Hintergrund stand<br />

heute sieht man, dass der einzelne Mensch in Taiwan sich selber ganz neu<br />

erfährt in seiner Würde<br />

die Volksrepublik wird noch einen langen Weg gehen müssen, weil nach<br />

kommunistischer Ansicht der Einzelne nicht gilt<br />

teilweise geht das aber auch in Individualismus und Egozentrismus<br />

- 71 -


Dogmatik I<br />

5.2.3 vier Projekte der „Fu Jen Theological Publications Association“<br />

(seit 1969)<br />

- mit dem Ziel gegründet, den christlichen Gemeinschaften theologische Werke in die Hand zu<br />

legen<br />

- zB das „Gesetz Christi“ von Bernhard Häring wurde übersetzt<br />

5.2.3.1 das „Theological Dictionary“ (1985-1996): 712 Artikel, von 26 Theologen<br />

- seit 1985 wurde elf Jahre lang an dem theologischen Wörterbuch gearbeitet<br />

- 712 Artikel über heutige Theologie<br />

- man verteilt diese 712 Artikel auf 26 Autoren, katholisch wie auch evangelisch (auch<br />

buddhistisch)<br />

- da geht es um die Darstellung heutiger Theologie (um 2000) in der weltweiten Kirche, auch<br />

zwei drei Artikel über chinesische Theologie über die Einheitskategorie<br />

- sieben Artikel müssen für die Festlandversion herausgenommen werden, wie etwa<br />

Kommunismus, Sozialismus, Homeland-Theology, also solche, die Kommunismus und<br />

Sozialismus beschreiben<br />

o diese Artikel sind am Festland nicht so notwendig<br />

o was geschieht: wenn man 712 Artikel hat, da bleibt doch ein Vakuum wenn man<br />

sieben Artikel herausnimmt<br />

o Shanghai: der frei gewordene Raum wird genommen, um christliche Bilder<br />

einzufügen<br />

5.2.3.2 das „Theological Lexion“ (1996-2005): Terms and Persons<br />

- über Begriffe und Personen<br />

- dem chinesischen Menschen zu erklären, was zB Gnade, Hl. Schrift zu erklären, wer zB<br />

Bonhoeffer, Ratzinger ist<br />

- es wird erklärt, etwa in einer halben Spalte, Namen, die Hauptarbeit, Konfession,<br />

Schwerpunkte und Hauptwerke<br />

- so hat der chinesische Theologiestudent ein Instrument, das ihm viel Zeit spart, und das war<br />

von Anfang an eine Idee: man muss dem dortigen Student helfen, Zeit zu sparen, dass er diese<br />

Begriffe und Namen auf einem Raum zusammen findet<br />

o diese Suche in Bibliotheken kann ja zermürbend sein<br />

5.2.3.3 „Denzinger” (2005-2010): 43. Auflage, mit protestantischen Credos im<br />

Anhang<br />

- Heinrich Denzinger war ein Weltpriester, Ende 19. Jh. in Deutschland, und hatte die Idee, die<br />

wichtigen Dokumente des christlichen Lehramtes zu sammeln, und das in einem Band, weil<br />

viele Studenten suchten und suchten und suchten<br />

- wichtigste Dokumente über Glaube und Moral in Auswahl von den ersten Jh. bis zu den drei<br />

Enzykliken Papst Benedikt XVI.<br />

- zB Hylemorphismus anhand der sieben Sakramente:<br />

o jedes Sakrament hat eine Materie (etwas Greifbares) und eine Form<br />

o Taufe: Wasser über die Stirn gegossen und dazu die Taufformel<br />

o Firmung: Handauflegung mit Chrisam und die Salbungsworte<br />

o Beichte: bekannte Sünden und Lossprechung<br />

o Ehe: freie und bewusste Einstellung eines Partners frei zu sein (Materie) und das<br />

hörbare Bereitsein zur Hochzeit (Form)<br />

o usw.<br />

- um ein ökumenisches Instrument zu haben, sind auch im Anhang wichtige protestantische<br />

Credos beigefügt, zur Information, dass man auch sieht, wie Protestanten ihren Glauben<br />

ausdrücken<br />

- 72 -


Dogmatik I<br />

5.2.3.4 eine „Ein-Band-Bibelenzyklopädie“ (2010-2015): Was ist die Bibel?<br />

- es geht da nicht um Kommentare der einzelnen Bücher der Hl. Schrift, die gibt es in Fülle,<br />

sondern darum, dem Chinesen zu erklären, was die Hl. Schrift eigentlich ist, was das für ein<br />

Buch ist, warum es „Buch der Bücher“ ist, was Inspiration ist, wie das Verhältnis zu den<br />

anderen Traditionen ist, wer authentisch interpretiert, …<br />

- das soll ein Band werden, eine Enzyklopädie, wo man sehen kann, dass dieses Werk, diese<br />

Bibel, in der Geschichte der Religionen der Menschheit seinen einmaligen Platz einnimmt und<br />

dass man mit größerem Vertrauen diese Bibel auch in die Hand nimmt und keine Angst vor<br />

Falschinterpretation hat<br />

- man wird darin auch lesen können, dass die Kirche zum Gesamtverständnis des Wortes Gottes<br />

hilft<br />

- 73 -

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