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<strong>DOGMATIK</strong><br />
Grundkurs I: Christus in Auseinandersetzung<br />
um Heil und Wahrheit<br />
SS 10<br />
o. Univ.-Prof. Hw. Dr. Józef Niewiadomski<br />
Katholisch-Theologische Fakultät Innsbruck<br />
nicht autorisierte Hörermitschrift von Hannes M. <strong>Braito</strong>
Inhaltsverzeichnis<br />
0 PROLEGOMENA ........................................................................................................................................ 1<br />
1 DAS INNSBRUCKER MODELL ZUR DEUTUNG DER AUSEINANDERSETZUNG UM HEIL<br />
UND WAHRHEIT: DARSTELLUNG DES 5-AKTE-HEILSDRAMA ........................................................... 2<br />
1.1 INHALTLICHER RAHMEN ZUR EINORDNUNG VON LEBENS- UND GLAUBENSGESCHICHTEN: DER RAHMEN<br />
DES CHRISTLICHEN GLAUBENSBEKENNTNISSES UND AUCH DES DOGMAS ........................................................... 2<br />
1.1.1 Problem der Reduktion dieser Botschaft und Auflösung ................................................................... 2<br />
1.1.2 die entscheidenden Fragen ................................................................................................................ 3<br />
1.2 DAS THEOLOGISCHE DILEMMA DER LETZTEN JAHRZEHNTE .................................................................... 3<br />
Exkurs ............................................................................................................................................................. 3<br />
1.3 DAS DRAMA JESU ................................................................................................................................... 4<br />
1.3.1 erster Akt: Basileiabotschaft ............................................................................................................. 4<br />
1.3.2 zweiter Akt: Gericht als Selbstgericht ............................................................................................... 6<br />
1.3.3 dritter Akt: Transformation der Gerichtsbotschaft im Kreuzesgeschehen ........................................ 8<br />
1.3.4 vierter Akt: österliches Urteil des Vaters ........................................................................................ 11<br />
1.3.5 fünfter Akt: die Erfahrung des Hl. Geistes ...................................................................................... 12<br />
1.3.6 Zusammenfassung der Bedeutung der Akte ..................................................................................... 13<br />
1.4 CHRISTOLOGISCHES DRAMA ALS VERDICHTUNG DES BIBLISCHEN RINGENS UM HEIL UND WAHRHEIT 13<br />
1.4.1 Struktur der dramatischen Geschichte zwischen Jhwh und seinem Volk ........................................ 13<br />
1.4.2 Heils- und Wahrheitsfrage .............................................................................................................. 14<br />
1.4.3 Verhältnis von AT zu NT ................................................................................................................. 15<br />
1.4.4 Verhältnis von Monotheismus und Trinitätslehre ........................................................................... 16<br />
1.4.5 Substitutionsthese – illegitime Auflösung des dramatischen Ringens zu einer statischen Klarheit. 16<br />
2 DOGMENGESCHICHTLICHE PRÄZISIERUNG DES CHRISTOLOGISCHEN DRAMAS IN<br />
DER JEWEILIGEN GEGENWART ................................................................................................................ 17<br />
2.1 DAS RINGEN UM WAHRHEIT DES EINEN GOTTES .................................................................................. 17<br />
2.1.1 der zornige oder der liebende Gott ................................................................................................. 17<br />
2.1.2 Irenäus von Lyon und die Auslegungsmethoden ............................................................................. 19<br />
2.1.3 Rückgewinnung der dramatischen Perspektive durch Martin Luther ............................................. 20<br />
2.2 DER EINSAME ODER KOMMUNIKATIVE GOTT: BEGRIFFLICHE PRÄZISIERUNG IM KONFLIKTIVEN PROZESS<br />
21<br />
2.2.1 mittelplatonische und stoische Logoslehre ...................................................................................... 21<br />
2.2.2 das Konzil von Nizäa 325 (NR 155f) ............................................................................................... 23<br />
2.2.3 der Kampf um das Konzil ................................................................................................................ 24<br />
2.2.4 Integrationsfigur: Athanasius von Alexandrien .............................................................................. 24<br />
2.2.5 die subordinatianistische Logik der Pneumatomachen (Geistbekämpfer) ...................................... 26<br />
2.2.6 Konstantinopel I 381 (NR 250) ....................................................................................................... 26<br />
2.2.7 Identität und Differenz .................................................................................................................... 26<br />
2.3 DAS RINGEN UM DIE WAHRHEIT DES EINEN GOTT-MENSCHEN: BEGRIFFLICHE PRÄZISIERUNG IM<br />
KONFLIKTIVEN PROZESS .................................................................................................................................... 27<br />
2.3.1 alexandrinische vs. antiochenische Tradition: Einheit in Christus aus der Perspektive des<br />
göttlichen (fleischgewordenen) Logos vs. Unterschied im Christus (Eigenwert menschlicher Seele Christi)<br />
28<br />
2.3.1.1 Apollinaris und das Konzil von Ephesus 431 (NR 158f) ........................................................................ 28<br />
2.3.2 der unglückliche Vermittler Nestorius im Streit der Priester/Mönche und der Eifer des Cyrill von<br />
Alexandrien .................................................................................................................................................. 29<br />
2.3.3 Konzil von Ephesus 431 (NR 160-163, 167, 172) ............................................................................ 30<br />
2.3.3.1 polemische Dogmatisierung in Ephesus ................................................................................................. 30<br />
2.3.3.2 Eutyches und die Räubersynode 449 ...................................................................................................... 31<br />
2.3.4 geglückte Vermittlung aus Rom: Papst Leo I. (NR 173-177) .......................................................... 31<br />
2.3.5 Chalcedonisches Wunder 451 (NR 178) .......................................................................................... 32<br />
2.3.6 der Monophysitismus und die Faszination des Mythos – II. Konstantinopoletanum (NR 183f, 186)<br />
34<br />
2.3.7 Einigungsversuche angesichts des voranschreitenden Islams......................................................... 35<br />
2.3.8 Entmythologisierung durch Maximus Confessor ............................................................................ 36<br />
2.3.9 III. Konstantinopoletanum............................................................................................................... 37<br />
2.4 DAS CHRISTOLOGISCHE DRAMA IN DER GEGENWART ........................................................................... 37<br />
Katholisch-Theologische Fakultät Innsbruck<br />
nicht autorisierte Hörermitschrift von Hannes M. <strong>Braito</strong>
3 DOGMENGESCHICHTLICHE PRÄZISIERUNG DER FRAGE NACH DEM HEIL ODER DIE<br />
WAHRHEIT DES KREUZES ........................................................................................................................... 39<br />
EINSTIEG: ZUR EIGENGESETZLICHKEIT DER PROJEKTIONSMECHANISMEN ......................................................... 39<br />
Exkurs: mimetische Gesetzmäßigkeiten bei der Kultivierung der profundior et universalior appetitio ....... 39<br />
3.1 RELEVANZ ALTKIRCHLICHER MOTIVE: ERLÖSUNG ALS BEFREIUNG VON DER MACHT DES TEUFELS ... 41<br />
3.1.1 der Satan in der biblischen Tradition .............................................................................................. 41<br />
3.1.2 patristische Lehre ............................................................................................................................ 42<br />
3.1.3 Systematik: zum Wesen des diabolos ............................................................................................... 42<br />
3.2 RELEVANZ ALTKIRCHLICHER MOTIVE: STERBLICHKEIT UND DAS VERGEHEN ..................................... 46<br />
3.2.1 Über die Menschwerdung des Wortes Gottes.................................................................................. 46<br />
3.2.1.1 Sünde ist Abwendung vom Logos und Zuwendung zum Nichts ............................................................ 46<br />
3.2.1.2 Folgen der Sünde .................................................................................................................................... 46<br />
3.2.1.3 Menschwerdung des Logos (Analyse der Rettung) ................................................................................ 47<br />
3.2.1.4 soteriologisches Paradigma .................................................................................................................... 48<br />
3.2.1.5 Martyrium der Christen .......................................................................................................................... 48<br />
3.3 RELEVANZ MITTELALTERLICHE MOTIVE: STREIT UM HEIL UND WAHRHEIT ........................................ 48<br />
3.3.1 Wiederherstellung der rechten Ordnung durch Satisfaktion ........................................................... 48<br />
3.3.1.1 Einheit vom Glaubensprimat und Vernunftvertrauen ............................................................................. 48<br />
3.3.1.2 Notwendige Gründe für die Menschwerdung ......................................................................................... 49<br />
3.3.1.3 satisfactio ................................................................................................................................................ 49<br />
3.3.1.4 tesaurus ecclesiae (der Gnadenschatz der Kirche) .................................................................................. 50<br />
3.3.1.5 Wahrheit des Heils ................................................................................................................................. 51<br />
3.4 RELEVANZ MITTELALTERLICHER MOTIVE: DIE ANTWORT AUF DEN GOTT DES ZORNS: LUTHER .......... 51<br />
3.4.1 erkenntnistheoretischer Horizont .................................................................................................... 52<br />
3.4.1.1 Erlösungskonzept ................................................................................................................................... 52<br />
3.4.1.2 Einheit der Schrift vom Christusgeschehen ............................................................................................ 52<br />
3.4.1.3 Logik einer sich immer mehr intensivierenden Identifizierung Gottes mit den Menschen vs. radikales<br />
Zurückdrängen menschlicher Freiheit ........................................................................................................................ 53<br />
3.4.1.4 deus absconditus (verborgen) vs. deus revelatus (offenbarend) .............................................................. 53<br />
3.4.1.5 Folgen des Kampfes für den Menschen: simul iustus et peccator .......................................................... 54<br />
3.4.1.6 Wahrheit des Heils ................................................................................................................................. 54<br />
3.5 MODERNE ABLEHNUNG DER WAHRHEIT DES KREUZES ........................................................................ 55<br />
3.5.1 Infragestellung der Stellvertretung im Kontext des Autonomiedenkens .......................................... 55<br />
3.5.1.1 Versagen rationalistischer Theologien im Kontext der Kriege des 20. Jahrhunderts .............................. 56<br />
3.5.1.2 liberale „Abschaffung“ des Opfers, Opferkritik in der katholischen Theologie ..................................... 56<br />
3.5.1.3 Suspendierung der Wahrheitsfrage (gerade im Kontext von Leid) ......................................................... 56<br />
3.6 RADIKALISIERUNG DER ERKENNTNIS DER WAHRHEIT DES KREUZES IN DER THEOLOGIE DES 20.<br />
JAHRHUNDERTS: KREUZ ALS ERLÖSUNG VON DER HÖLLE ................................................................................ 57<br />
3.6.1 Karl Barths Kritik an den Extremen ................................................................................................ 57<br />
3.6.1.1 Gnadenwahl durch Gott .......................................................................................................................... 58<br />
3.6.1.2 Widerspruch in Gott ............................................................................................................................... 59<br />
3.6.2 Hans Urs von Balthasar: Kritik an der gängigen Denkform der Theologie ................................... 60<br />
3.6.2.1 Unterwanderung der Sünde durch Gott, „Theologie der drei Tage“ ....................................................... 61<br />
4 TRINITARISCHE LIEBE ALS BEDINGUNG DER ERLÖSUNG VON DER HÖLLE (ZUR<br />
FRAGE NACH DER IDENTITÄT VON HEIL UND WAHRHEIT) ............................................................ 63<br />
4.1 RÜCKGRIFF AUF DIE FRAGE: DER EINSAME ODER KOMMUNIKATIVE GOTT ........................................... 64<br />
4.1.1 Augustinus ....................................................................................................................................... 65<br />
4.1.2 Präzisierung des Personenbegriffes durch Richard von St. Victor ................................................. 65<br />
4.1.2.1 Plausibilität des Trinitätsdogmas aufgrund der Analyse mitmenschlicher Erfahrungen der Liebe: amor<br />
mutuus ↔ condilectio ................................................................................................................................................ 66<br />
4.1.2.2 beinhaltet diese Liebe auch die Erfahrung des Liedes? .......................................................................... 66<br />
4.2 TRADITIONELLE UNTERSCHEIDUNGEN ................................................................................................. 67<br />
5 GASTVORTRAG: AUF DEN SPUREN VON MATTEO RICCI: EIN BLICK IN DIE<br />
WERKSTATT DER CHRISTLICH-CHINESISCHEN THEOLOGIE, VON P. ALOISIUS GUTHEINZ<br />
SJ 68<br />
5.1 AUF DEN SPUREN VON MATTEO RICCI (* 6.10.1552 † 11.5.1610) ........................................................ 68<br />
5.1.1 die Geschichte des Christentums in China in fünf Phasen .............................................................. 68<br />
5.1.2 die Pionierarbeit von Matteo Ricci: Grenzgänger zwischen Kulturen ............................................ 69<br />
5.1.2.1 „Über die Freundschaft“ – der Weg des Menschen ................................................................................ 69<br />
5.1.2.2 „Die wahre Idee Gottes“ – ein präevangelischer Dialog mit Konfuzianern ............................................ 69<br />
5.1.3 drei Wahrheiten ............................................................................................................................... 70<br />
5.2 EIN BLICK IN DIE WERKSTATT DER CHRISTLICH-CHINESISCHEN THEOLOGIE ........................................ 70<br />
Katholisch-Theologische Fakultät Innsbruck<br />
nicht autorisierte Hörermitschrift von Hannes M. <strong>Braito</strong>
5.2.1 Was ist bereits geschaffen? ............................................................................................................. 70<br />
5.2.1.1 die Glaubensreflexion in der chinesischen Welt (Taiwan, China, Hongkong, Macao, …) ..................... 70<br />
5.2.1.2 Die Theologie der theologischen Fakultäten (katholisch und protestantisch) ......................................... 70<br />
5.2.2 Schwerpunkte heutiger christlich-chinesischer Theologie .............................................................. 71<br />
5.2.2.1 Theologie im Kontext des Konfuzianismus und Daoismus: „Einheitskategorie“ und „Yin-Yang-He“<br />
Theologie, mit konkreten theologischen Folgerungen ............................................................................................... 71<br />
5.2.2.2 Theologie im sozio-politischen Kontext: „Homeland Theology“ (Taiwan) und „Theologie der<br />
Lebensqualität“ (ökumenische TARGTI Studiengruppe) .......................................................................................... 71<br />
5.2.3 vier Projekte der „Fu Jen Theological Publications Association“ (seit 1969) ............................... 72<br />
5.2.3.1 das „Theological Dictionary“ (1985-1996): 712 Artikel, von 26 Theologen .......................................... 72<br />
5.2.3.2 das „Theological Lexion“ (1996-2005): Terms and Persons .................................................................. 72<br />
5.2.3.3 „Denzinger” (2005-2010): 43. Auflage, mit protestantischen Credos im Anhang .................................. 72<br />
5.2.3.4 eine „Ein-Band-Bibelenzyklopädie“ (2010-2015): Was ist die Bibel? ................................................... 73<br />
Katholisch-Theologische Fakultät Innsbruck<br />
nicht autorisierte Hörermitschrift von Hannes M. <strong>Braito</strong>
Dogmatik I<br />
0 Prolegomena<br />
- zur Prüfung: da die neue Studienordnung leitgebend ist, sind auch die meisten der alten<br />
Studienordnung Nutznießer<br />
o die Zusatzliteratur muss nicht sein (da man ja nur die wenigeren ECTS angerech<strong>net</strong><br />
bekommt), aber Athanasius muss sein<br />
- Athanasius: über die Menschwerdung des Logos<br />
- Dogmen sind Grenzsteine, sie zeigen Wege<br />
- der Logos ist eines Wesens mit dem Vater<br />
o aufgrund der Erfahrung mit Christus wissen wir etwas über Gott, er ist im Grunde –<br />
philosophisch gesprochen – differenziert<br />
o er ist desselben Wesens mit dem Vater<br />
- Jesus ist wahrer Gott und wahrer Mensch<br />
o nicht Vermischung<br />
o authentisch Mensch und authentisch Gott – unvermischt<br />
- das christologische Bekenntnis, Christus sei wahrer Gott und wahrer Mensch; weil es als<br />
Dogma qualifiziert wird, wird es kulturell angefochten, weil das Dogma selbst als<br />
einschränkend wahrgenommen wird<br />
o die Kirche sei dogmatische Kirche, also so etwas wie ein imperialistischer Tyrann<br />
o die Religion wird dämonisiert, die dogmatisch geprägte Religiosität wird als<br />
fundamentalistisch hingestellt<br />
o → fundamentalistische Religiosität ist jene, die ihren Wahrheitsanspruch mit Gewalt<br />
durchsetzen will; hier ist der Terminus „Fundamentalismus“ sinnvoll<br />
o die Ausweitung dieses Begriffes auf alle dogmatischen Wahrheiten bedeuten eine<br />
Verunmöglichung eines sinnvollen Diskurses<br />
o aber Religion wird auch banalisiert, als Konsumgut für Liebhaber<br />
- all das ist in der Gegenwart beheimatet; wir alle fördern undogmatisches Verhalten; die<br />
Kultivierung wurde verdrängt<br />
o das heißt Verhalten im Grunde ohne Grundsätze<br />
o wer Dogmen mit Engstirnigkeit verwechselt sollte Gilbert Chesterton, Ortodoxie,<br />
lesen<br />
o wenn wir von extremen Liberalismus reden (freies Spiel der Kräfte), dann ist das<br />
vielmehr die Herrschaft des Starken<br />
o Autonomie ohne soziale Absicherung, ohne minimalste Schranken ist in kürzester Zeit<br />
ein Todesschlag<br />
- Gegentrends sind notwendig, es muss durchaus von Leitplanken, Wegweisern oder<br />
Schranken geredet werden<br />
o zB Vinzenz von Lerin: Dogma wäre ein Hinweis, ein Wegweiser, verbunden mit<br />
Wegsteinen, mit Grenzsteinen, die die Grenze eines Weges anzeigen<br />
o heute sind wir von Dogmen oft enttäuscht, weil es den Versuch einer axiomatischen<br />
(dh unanzweifelbar, gewiss) Dogmatik gab<br />
war der Versuch, die Glaubenslehre analog zu einem Geometriehandbuch zu<br />
schreiben<br />
ausgehend davon, dass alles mit allem irgendwie verbunden wird, versuchte<br />
man die Grundsätze von den abgeleiteten Sätzen zu unterscheiden<br />
die Bemühung um eine Glaubenslehre, die in sich stimmig ist<br />
aber weil sie in sich stimmig sein sollte, war sie abstrakt und fürs Leben<br />
ungeeig<strong>net</strong><br />
weil die Dogmatik abstrakte Wahrheiten erzählte, gab es die spirituelle<br />
Theologie, welche die Dogmen spirituell aufpeppelte<br />
im Buchhandel findet man immer wieder aktualisierte Fassungen von Ott,<br />
Grundliste der Dogmatik<br />
o Vatikanum II hat aber Abschied von dieser Dogmatik genommen, va in Optatam<br />
totius; der Begriff „heilsgeschichtliche Dogmatik“ wurde aufgenommen<br />
- 1 -
Dogmatik I<br />
orientiert an der biblischen Tradition soll das Leben des Volkes Gottes<br />
verbunden werden mit der dogmatischen Wahrheit<br />
kurze Zeit sah es auf den Universitäten so aus, als würde die dogmatische<br />
Kultur aufgelöst<br />
inzwischen geschah wohl die Rehabilitierung des Faches; es braucht diese<br />
Fächer: Geschichten brauchen einen Rahmen, sonst sind sie blind; der<br />
Rahmen der dogmatischen katholischen Tradition ist sehr weit, darin hat sehr<br />
viel Platz → vom Prinzip her ist der Rahmen sehr weit, aber es gibt eben<br />
einen Rahmen<br />
vergleiche auch in diesem Kontext Skriptum Dogmatik III, Ausführung zu<br />
den Bildern von Chagall unter „Prolegomena“<br />
- Rahmen für die Geschichten der biblischen Offenbarung, für die Alltagsgeschichten, für<br />
die Geschichten der Kulturen<br />
o dieser Rahmen wird in IBK mit dem Prädikat „dramatisch“ versehen<br />
o es geht um die Frage, ob Heil und Wahrheit von vornherein festgeschrieben und klar<br />
sind; ist es nicht so in der Geschichte, dass das, was ich als Heil und Wahrheit<br />
bezeichne, sich im Nachhinein als Unheil entpuppt, weil Täuschung, Verführung,<br />
Verschleierung, …?<br />
o man findet zu Heil und Wahrheit nur durch dramatische Auseinandersetzungen, wo<br />
alles Platz haben muss<br />
o Begreifen der systematischen Theologie: IBK versucht es zu betreiben aus der<br />
dogmatischen Zuordnung von LG (über die Kirche) und GS (über die Kirche in der<br />
modernen Welt)<br />
beide sprechen von Wahrheit und Heil<br />
va in GS wird viel davon gesprochen, dass der Mensch gespalten ist, dass<br />
seine Situation alles andere als heil ist<br />
zum Verständnis des Dramas: Institutsprofil der Systematik<br />
1 das Innsbrucker Modell zur Deutung der<br />
Auseinandersetzung um Heil und Wahrheit: Darstellung<br />
des 5-Akte-Heilsdrama<br />
1.1 inhaltlicher Rahmen zur Einordnung von Lebens- und<br />
Glaubensgeschichten: der Rahmen des christlichen<br />
Glaubensbekenntnisses und auch des Dogmas<br />
- Gott nimmt in der Geschichte Gestalt an (in der dogmatischen Sprache: Selbstmitteilung des<br />
dreifaltigen Gottes)<br />
o zuerst in der Gestalt seines Sohnes, er wird Mensch, er fällt den Menschen zum<br />
Opfer<br />
o in der Gestalt des Heiligen Geistes bleibt er wirkend in der jeweiligen Gegenwart<br />
1.1.1 Problem der Reduktion dieser Botschaft und Auflösung<br />
- der Rahmen um das zu deuten heißt Drama<br />
o nicht Reduzierung auf einen Begriff: Geschichte kann nicht auf einen Begriff<br />
reduziert werden; es geht also um Geschichte, in dieser soll Identifikation oder auch<br />
Distanzierung erfolgen<br />
o auch nicht Auflösung der Botschaft zu einer narrativen Logik von vielen<br />
Geschichten<br />
- in der Theologie der neueren Zeit (20. Jh.) wurde der Begriff Drama von Hans Urs von<br />
Balthasar eingeführt<br />
- 2 -
Dogmatik I<br />
o zuerst Jesuit, der dann den Orden verließ<br />
o sein zentrales Werk heißt „Theodrama“<br />
o Schwager hat den Begriff aber primär von Roland Barth (französischer Strukturalist)<br />
und übernommen als Hilfsmittel zur Deutung des Verhältnisses des Ordensgründers<br />
Ignatius zur Kirche<br />
- Begriffsbestimmung: die Einheit der Kirche vollzieht sich in der Begegnung von Menschen,<br />
zwischen denen alle Momente wie in einem Drama (Entwicklung, Auseinandersetzung,<br />
Spannung, Krise, Niederlage und letztlich Versöhnung) spielen können, ja sogar spielen<br />
müssen<br />
o Tragödie, Vorherbestimmung; Christentum bringt den Aspekt des Dramas; Drama ist<br />
keine Tragödie: wie in der Tragödie gibt es Auseinandersetzung und Konflikt, den<br />
Freiheitsaspekt<br />
o die Dramatik ist keine Tragik sondern belebt von der sicheren Hoffnung auf die<br />
letzte Versöhnung<br />
o wo der Mut zu dieser Dramatik fehlt und die Versöhnung vorschnell gesucht wird,<br />
dort dürfte nicht mehr der allumfassende Geist am Wirken sein, sondern eher eine<br />
götzenhafte Verabsolutierung sichtbarer Strukturen sich abzeichnen<br />
1.1.2 die entscheidenden Fragen<br />
- Welche Rollen werden mir (im Leben) aufgedrängt? Zu welchen Rollen werde ich erwählt?<br />
Welche Rollen übernehme ich? …<br />
- befragt man Menschen in ihrem Selbstverständnis wird man von sich als autonomer Täter<br />
ausgehen; der autonome Täter der frei ist und aus dieser Freiheit heraus handelt<br />
- sehr oft, wenn nicht meistens, sind wir jedoch Opfer von Zwängen, anderen Menschen,<br />
Rationalisierungsprozessen, des Bolognaprozesses, …<br />
- wir haben erfahren, dass wir nicht nur die Rollen wählen und uns frei für Rollen entscheiden,<br />
sondern dass uns auch Rollen aufgedrängt werden und wir Rollen übernehmen müssen<br />
o ob dadurch, dass wir von Krankheit heimgesucht werden, einen Unfall haben oder<br />
Konsequenzen von irgend welchen Entscheidungen ausbaden müssen, …<br />
- man kann unser Leben und das unserer Gesellschaft auch in den Kategorien des Dramas sehen<br />
- in Bezug zur biblischen Botschaft:<br />
o zu welcher Rolle wurde ich erwählt → Berufung; Gott hätte für jeden Menschen<br />
eine unverwechselbare Rolle sich ausgedacht (nicht determiniert!)<br />
1.2 das theologische Dilemma der letzten Jahrzehnte<br />
- Dilemma bei der Deutung des Bekenntnisses (Ansatz bei der Botschaft von der<br />
Gottesherrschaft oder bei der kirchlichen Erlösungslehre) als Ausdruck intellektualistischer<br />
Verkürzung der komplexen Wirklichkeit der atl und ntl Heilsgeschichte<br />
- in den letzten Jahrzehnten ist dieses Bekenntnis von vornherein in schablonenhaften<br />
Kategorien eingeteilt<br />
Exkurs<br />
- Aufklärung war von einem ungeheuren Optimismus geprägt und von der Kirchenkritik<br />
getragen, das Christentum habe das Leben madig gemacht<br />
o die Erde sei das Jammertal, jenseits sei das wahre Leben<br />
- Vorwurf: Christentum vertröste auf das Jenseits<br />
- statt dieser Vertröstung nun Fortschrittsglaube in der Geschichte; Fortschrittsglaube ersetze<br />
den Glauben an das Heil in Jesus Christus<br />
- diejenigen, die nicht so ohne weiteres Christentum über Bord werfen wollten, versuchten eine<br />
Neudefinition dessen, was Christentum sein sollte und könnte:<br />
o Immanuel Kant: als der Pate des modernen Christentums; er versucht, als Aufklärer,<br />
die irdischen Erwartungen (Fortschritt, sittliche Vervollkommnung, …) mit der<br />
- 3 -
Dogmatik I<br />
Botschaft Jesu zu verbinden und bringt die epochenmachende Antwort auf die Frage<br />
nach dem Reich Gottes: die sittliche Kraft des Reiches Gottes sei das entscheidende,<br />
sprich das Reich Gottes ist in jedem Menschen, meine Fähigkeit zu ethischer<br />
Anstrengung sei der entscheidende Punkt des Christentums<br />
- Kirche auf ihre Ethik zu reduzieren ist ein neuzeitliches Phänomen, eines, dem sich der<br />
Protestantismus fast ganz ausgeliefert hat<br />
- auf diesem Hintergrund ist die liberale Theologie zu sehen, wie sie va im 19. Jh. aufblühte<br />
und im 20. Jh. vollendet wurde; jene, die mit einem Werk auf den Begriff gebracht werden<br />
kann: die Predigt Jesu vom Reiche Gottes<br />
o Christus hat vom Reich Gottes gepredigt, seine Bergpredigt ist eine sittliche<br />
Herausforderung für den Menschen<br />
- der Fortschrittsglaube gerät spätestens im 20. Jh. in die Krise<br />
o der Ausbruch des 1. Weltkrieges wurde als Krise der liberalen Theologie gesehen<br />
o Karl Barth: eine Theologie die den Krieg unterstützt muss eine falsche sein<br />
danach begründet er eine neue Art des Theologietreibens: dialektische<br />
Theologie<br />
und er setzt beim Kreuz an, nicht bei der Predigt Jesu<br />
- diese Auseinandersetzung, die im dt. Sprachraum unheimlich wichtig war, findet auf ihre Art<br />
und Weise in der katholischen Kirche im 20. Jh. auch statt, als Auseinandersetzung zwischen<br />
den progressiven und konservativen Kräfte (va im Konzil und danach)<br />
- die nachkonziliaren Jahre waren davon bestimmt, wo der Schwerpunkt der christlichen<br />
Verkündigung liege<br />
o Progressive: Christ ist derjenige, der sich der Botschaft von Gottes Herrschaft<br />
(Basileiabotschaft)<br />
ging so weit, dass einzelne Systematiker sagten, das wahre Christentum finde<br />
man nur in den Reden Jesu<br />
o Konservative: immer wieder Erinnerung an das Opfer mit dem Kreuz<br />
Vorwurf: Verkürzung des Christentums durch über Bord werfen des Kreuzes<br />
1.3 das Drama Jesu<br />
- der Ernst des Rufes zur ethischen Umkehr<br />
- hat nicht immer die notwendige Konsequenz (überhören, nicht wahrnehmen,<br />
bekehrungsunwillig, …)<br />
- Schwager folgert, dass das Auftreten Jesu einen qualitativen Neubeginn bringt und steht<br />
damit in der Tradition der atl Prophetie<br />
1.3.1 erster Akt: Basileiabotschaft<br />
- 1. Akt: Basileiabotschaft: Botschaft der zuvorkommenden Güte allen Menschen<br />
gegenüber<br />
o Konturen des jesuanischen Gottesbegriffes: Gottes Feindesliebe und die daraus<br />
folgenden Konsequenzen fürs menschliche Verhalten: zuvorkommendes Verzeihen,<br />
Ethos und Bergpredigt<br />
- die Botschaft der zuvorkommenden Güte allen Menschen gegenüber<br />
o Gott nimmt einen an wie man ist, egal wer man ist und was man tut und was man über<br />
Gott denkt<br />
o darin zeigt sich geradezu die Vollkommenheit Gottes: in der Bergpredigt sagt Jesus<br />
deutlich, man soll vollkommen sein wie der Vater im Himmel, denn er lässt die Sonne<br />
über Gut und Böse aufgehen → legt Gleichgültigkeit nahe, aber nein, Gott wendet<br />
sich dem Menschen auch in dessen Versagen zu, ohne auf vorauseilende Buße zu<br />
pochen<br />
- der Modus der Liebe Gottes besteht in der Feindesliebe, dh Gott liebt auch den Sünder<br />
- das ist der logische und biographische Zugang zum Glauben<br />
- 4 -
Dogmatik I<br />
o Diskurs über Gott und sein Verhältnis zu den Menschen setzt nicht bei<br />
Unterscheidung gläubig-ungläubig, sündig-gerecht, … an, nein, der logische Diskurs<br />
setzt bei der Integration/Inklusion aller Menschen an<br />
o GS 22: Christus hat sich in seiner Menschwerdung mit allen Menschen vereinigt<br />
o der Ansatzpunkt hier ist der universale Heilswille Gottes; Heilsuniversalismus;<br />
Integration aller (psychologisch: Gott ist kein Konkurrent des Menschen)<br />
- biographischer Zugang<br />
o jene Religionspädagogik die mit „pass auf“ anfängt, ein Gott der alles sieht und auch<br />
handeln wird<br />
o wird Gott als Konkurrent zum Menschen und zum Kind eingeführt, wird das dem<br />
jesuanischen Gottesbegriffes nicht gerecht<br />
- aus diesen Zugängen wird der Gottesbegriff Jesu zu schärfen sein<br />
o ein toleranter Gott, dessen Toleranz eine qualitative ist (keine laissez-faire-Toleranz –<br />
Gott ist ein schlechter Fundamentalist)<br />
o was das soll: die jesuanische Pädagogik ist im Unterschied zur prophetischen eine,<br />
die nicht mit Angst arbeitet; die Beziehung wird von ihm her geknüpft und die<br />
Folge dieser Beziehung müsste eigentlich die Aufnahme der Beziehung sein<br />
→ weil ich dich beschenke und weil mein Schenken dir gegenüber dich<br />
kontinuierlich verwandelt, wirst du irgendwann auch selber dazu fähig sein,<br />
dass du schenkst; weil ich dich liebe, müsste meine Liebe dich verwandeln,<br />
sodass du selber liebensfähig bist; weil ich dir bedingungslos vergeben habe,<br />
müsstest du auch dazu fähig sein<br />
man denke an das Gleichnis, wo ein Herr einen Schuldner trifft und die<br />
Schulden verlangt, der Herr aber lässt ihm die Schuld nach weil der nicht<br />
zahlen kann; dann trifft der dem vergeben wurde einen, der ihm weniger<br />
schuldet, den aber wirft er ins Gefängnis und peinigt ihn<br />
o Inklusion soll wachsen<br />
o das Vertrauen, die Zuneigung, das Gute, … pflanzt sich fort<br />
- auf diesem Hintergrund der Ethos der Bergpredigt: Menschen die erfahren haben, dass sie so<br />
von Gott begnadet, angenommen und geliebt werden sollen das weiterschenken<br />
o nach außen mag das nach Verzicht aussehen<br />
o der Hinweis auf das Gleichnis mit dem, der die Schuld nicht nachlässt zeigt deutlich,<br />
dass die jesuanische Gottesverkündigung und Gottespraxis, sein Zugehen auf Sünder,<br />
nicht von Erfolg gekrönt wurde<br />
o Jesus ist mit seiner Predigt gescheitert<br />
o Menschen haben anders reagiert als man es voraussah: sie ließen sich nicht lieben, sie<br />
ließen sich nicht bedingungslos vergeben<br />
nichts ist so schwer im Leben, als die Bedingungslosigkeit zu akzeptieren<br />
Exkurs: zum Papstbrief an die Katholiken in Irland<br />
- die Kirche ist erneuerungsbedürftig; die Sünde in der Kirche ist gegenwärtig<br />
- die einzig relevante Frage jetzt ist nicht mehr die Empörung, sondern wie wir mit Schuld<br />
umgehen<br />
o der Papst hat gesagt, wir müssen mit Schuld vor Gott und den Menschen umgehen,<br />
auch vor der weltlichen Gerichtsbarkeit<br />
o das Problem ist, ob damit die Schuldfrage geklärt wird<br />
o wenn es einen unersetzbaren Wert des Christentums gibt, dann ist dieser Wert nicht<br />
daraus zu ermitteln ob die Kirche eine moralische Anstalt sei oder nicht<br />
o wenn es einen Mehrwert gibt, der durch nichts in der Gesellschaft zu ersetzen ist,<br />
dann liegt der im Umgang mit der Schuld; und ist der nicht verständlich zu machen ist<br />
es schlecht mit der Humanität bestellt<br />
o denn der Umgang mit der Schuld hat mit dem Zentrum der christlichen Botschaft zu<br />
tun<br />
- 5 -
Dogmatik I<br />
- Konturen des jesuanischen Gottesbegriffes → Gottes Feindesliebe und die daraus<br />
folgenden Konsequenzen für das menschliche Verhalten: zuvorkommendes Verzeihen, Ethos<br />
der Bergpredigt<br />
o „Die Zeit ist erfüllt, glaubt an das Evangelium“ – was heißt das?<br />
o ist das Evangelium ein Konsumartikel?<br />
o transkultureller Umgang mit der Schuld: wenn ich schuldig bin und Angst vor<br />
Strafe habe werde ich so lange wie möglich wegerklären; oder ich werden<br />
Umkehrbemühungen zeigen, bereuen, damit mir die Schuld nachgesehen, vergeben<br />
wird; oder ich zahle Restitution<br />
o diese transkulturelle Konstante wird zugespitzt durch die abendländische<br />
Aufklärungstradition, der der Religion nichts anderes als einen praktischen Wert im<br />
Umgang mit Moralität abgewinnen konnte; der Mensch ist der einzige Täter in der<br />
Geschichte, der sich bewusst verschulden kann, und deshalb muss er zur Rechenschaft<br />
gezogen werden<br />
- das zentrale Problem, das das Christentum im Kontext von Religion zu einer<br />
Herausforderung werden lässt ist das Verhältnis Gottes zum Sünder<br />
o der Mensch muss einen Schritt setzen, er muss erkennen, dass er etwas falsch<br />
gemacht hat, er muss ein Opfer bringen, dann wird er von Gott anerkannt und es wird<br />
ihm verziehen → sieht man es so, ist es schwer eine Trennung zu einem Therapeuten<br />
zu finden<br />
man hat sich verfehlt, man muss den ersten Schritt setzen …<br />
diese Strategie hat immer etwas mit Schuldabschiebung und Verleumdung zu<br />
tun (ich hätte anders handeln/sein können …)<br />
o Jesus aber dreht das um: er verkündigt eine schon vollzogene Vergebung<br />
o Gott vergibt bedingungslos – die Vergebung geht zeitlich und logisch der Umkehr<br />
voraus<br />
banal gesagt: wer etwas falsch gemacht hat wird zuerst einmal akzeptiert, es<br />
wird das Vertrauen geschenkt (Integration), annehmen wie man ist<br />
Akzeptanz des Menschen in seinem Versagen<br />
o Jesus wollte die Menschen an seiner eigenen Gotteserfahrung teilhaben lassen;<br />
überall wo Menschen bedingungslose Annahme erfahren, müsste sie zu Selbigem<br />
befähigt werden<br />
Zweck dessen ist, dass ich mich selber annehme wie ich bin<br />
o das ist ein Zusammenhang, von dem unsere Gegenwart nicht genug haben kann<br />
o wenn die Menschen sich also darauf einlassen so geschehen Wunder – ich wurde<br />
bedingungslos angenommen und im Erlebnis dessen findet eine Umkehr/Bekehrung<br />
statt<br />
das transkulturelle Verhältnis: man erwartet von Anderen sie sollen sich<br />
besser damit sie sich bessern; Jesus nimmt an damit es Konsequenzen hat<br />
1.3.2 zweiter Akt: Gericht als Selbstgericht<br />
- der moderne Mensch tut sich schwer mit Bedingungslosigkeit<br />
o wie schwierig es schon ist, sich von jemanden wirklich lieben zu lassen, so wie man<br />
ist<br />
o Opfer sind keine besseren Menschen wenn es darum geht, menschliches<br />
Zusammenleben zu gestalten; gerade auch weil ein Opfer ein Opfer ist, machen sie oft<br />
gleich spiegelbildlich ihre Täter nach („Revolution fängt an ihre Kinder zu fressen.“)<br />
o diese Tatsache lässt daran zweifeln, dass sie sich durch bedingungslose Liebe<br />
integrieren ließen<br />
o Und was ist mit den Jüngern? Petrus versagt schlimmer als Judas, denn Petrus hat tief<br />
verraten – wie schnell zerreißt diese Überzeugung über eigene Stärke, eigene<br />
Selbstgerechtigkeit<br />
o die Botschaft der zuvorkommenden Güte, die eine konkrete Gestalt vor Augen hat<br />
(Jesus von Nazaret), wird meistens erstmals abgelehnt<br />
- 6 -
Dogmatik I<br />
- die Botschaft von der bedingungslosen Anerkennung scheitert, und Jesus reagiert darauf mit<br />
der Gerichtspredigt<br />
o heißt das, wer nicht hören will muss fühlen?<br />
o Ablehnung provoziert gerne Hass – ist das das Modell, das man auf Gott überträgt?<br />
- „Apokalypse“ und „Hölle“ als Folge und Thema des zweiten Aktes<br />
- Jesus predigt das Gericht in der vom AT vorgezeigten Linie, nämlich das Gericht ist<br />
Selbstgericht<br />
o Gott richtet nicht, indem er mit Gewalt die Menschen erniedrigt und den Sünder<br />
zerstört, sondern Gott überlässt die lügnerische Menschheit der Folge ihrer eigenen<br />
Taten (das ist paulinische Rede)<br />
- Gerichtpredigt ist nicht eine solche eines beleidigten Predigers; es ist so etwas wie die<br />
Aufklärungsarbeit eines Therapeuten; Konfrontation mit dem Ausmaß der Verlorenheit<br />
o die Deutung der jesuanischen Predigt als Selbstgericht<br />
o das ethische Subjekt ist überfordert<br />
o man kann sich nicht selber befreien, wenn man nicht fähig ist sich lieben zu lassen,<br />
wird man zu Grunde gehen<br />
o die Ablehnung der zuvorkommenden Güte durch die selbstgerechte Menschheit<br />
(Universalität) der Ablehnung: da in jesuanischer Botschaft und seinem Leben sich<br />
der universale Heilswillen Gottes konkretisiert/verdichtet, steht diese konkrete<br />
Ablehnung für die Universalität der Exklusion Jesu<br />
da sich in jesuanischer Botschaft und in seinem Leben der universale<br />
Heilswille verdichtet, steht diese konkrete Ablehnung der jesuanischen<br />
Predigt symbolisch für die Universalität der Ablehnung; es gibt keinen unter<br />
den Menschen, der sich wirklich auf diese Botschaft eingelassen hätte<br />
Universalität der Exklusion: Jesus der von allen abgelehnt wird; auch da soll<br />
diese Redeweise davor warnen, dass sich einer über den anderen stellt und<br />
von sich sagt, dass er besser sei<br />
o wenn die Sünde als incurvatio des Menschen in sich selbst gedeutet wird (homo<br />
incurvatus), dann ist das Abbruch und Negation der Beziehung<br />
die sündige Situation heißt nichts anderes als zunehmende Zerstörung und<br />
Isolation des Menschen<br />
Vergleich des Sünders mit einer Faust: wer in Sünde verhaftet ist gleicht einer<br />
geballten Faust; er ist dazu verurteilt, sich selbst zu zerstören<br />
das sind Bilder, mit denen Apokalypse und Hölle arbeiten<br />
- Apokalypse heißt Inferno der Gewalt, Kultur der Zerstörung (Offenbarung der faktische<br />
Situation)<br />
o Apokalypse ist eine Botschaft über die faktische Verfasstheit einer lügnerischen<br />
und gewaltverfallenen Welt<br />
o wo ist der Ort der Apokalypse im christlichen Denken? Wenn man sich die<br />
synoptischen Evangelien vergegenwärtigt und die adventlichen Texte bedenkt (Tage,<br />
in denen sich ein Volk gegen das andere erhebt, wo Zerstörungsbilder geschildert<br />
werden), und diese Texte als apokalyptische Texte gedeutet werden (Katastrophen,<br />
Kriege), dann sind das Worte, die in jesuanischen Predigten auftauchen (hier im<br />
zweiten Akt); das sind keine Texte am Ende des Evangeliums<br />
o das Verfallen des Selbstgerichtes ist aber nicht das letzte Wort – der Ort der<br />
Apokalypse ist, das ist der zweite Akt, also inhaltlich vor dem Karfreitag und vor dem<br />
Kreuz<br />
o Inhalt: Predigt sagt gar nichts über Gott aus, denn Gott lässt die Zerstörung zu, die der<br />
Mensch selbst verantwortet; die Menschen die an Lüge und Gewalt verhaftet sind<br />
o Apokalypse ist also mit dem Selbstgericht in Verbindung zu bringen<br />
- Hölle: die Hölle (Sartre: die Hölle sind die Anderen) – diese so verdächtig glaubwürdige<br />
Formulierung schwimmt ein Schuss Selbstgerechtigkeit zurück; wenn ich mich dort finde,<br />
wurde ich quasi als Opfer hingebracht<br />
o Girard mit einer Korrektur dieses Diktums: jeder glaubt sich allein in der Hölle<br />
und das ist die Hölle;<br />
- 7 -
Dogmatik I<br />
o hat Gott die Hölle geschaffen? Nein, Hölle ist Folge des menschlichen Handelns; der<br />
in sich selbst versponnene Mensch, hoch überforderte Mensch, der jede Hilfe und die<br />
Beziehung ablehnt, dieser Mensch bewegt sich kerzengerade auf das zu, was Hölle ist<br />
- der ganze zweite Akt soll sensibilisieren, dass Ethik zwar sehr wichtig ist, aber alleine<br />
immer scheitert<br />
o „Der Weg zur Hölle ist mit den besten Vorsätzen gepflastert.“<br />
o weil der Mensch ein gebrechliches Wesen ist, weil er immer in einer konkreten<br />
Situation lebt, in der er von Lüge, Gewalt und Sünde infiziert ist, hilft auch das beste<br />
ethische System nicht, im Gegenteil, Revolutionen die scharf auf die Ethik setzten<br />
verwandeln sich unter der Hand in totalitäre Systeme (Terror der Tugend)<br />
o wer mit Gewalt das Böse vertreiben will ist ok, aber wo ist die Grenze?<br />
o wenn es den Mehrwert der Unersetzbarkeit eines jeden Menschen gibt, dann ist er im<br />
Umgang mit dem konkreten Sünder zu suchen<br />
- scheiternde Ethik? → Ethik als ein Programm, das der Mensch aus eigener Kraft realisieren<br />
müsste;<br />
o die moderne Diskussion, die ständig Ethik betont und auch die Kirche darauf<br />
reduzieren möchte<br />
o Ethik alleine ist aber zu wenig<br />
o der Mensch muss in eine Erfahrungswelt eingebettet werden<br />
o Ethik als Inbegriff von Geboten und Verboten – ich tue genau das Gegenteil von dem<br />
was ich mir vorgenommen habe und frage mich dann warum<br />
o natürlich muss die Kirche ethische Maßstäbe setzen, aber das ist wohl kaum das<br />
Ureigene der Kirche<br />
o das Problem, was sich bei Religionen stellt ist, was passiert, wenn Versagen passiert;<br />
- 1. Akt: bedingungslose Akzeptanz des Menschen; 2. Akt: Konfrontation angesichts der<br />
Ablehnung (Gerichtspredigt als Selbstgericht); demgemäß hieße es, Menschen die sich nicht<br />
lieben lassen, werden sich früher oder später selbst zerstören<br />
o der Mensch, der die Integration durch Gottes Liebe ablehnt wird sich selbst<br />
irgendwann destruieren<br />
1.3.3 dritter Akt: Transformation der Gerichtsbotschaft im<br />
Kreuzesgeschehen<br />
- die Menschen sind nicht übereinander hergefallen<br />
- auch der sich systematisch nicht lieben lassende Mensch wendet sich zuvor noch gewaltsam<br />
gegen deinen Dritten<br />
- das Kreuzesgeschehen – ist das Christentum identisch mit der Basileiabotschaft oder mit dem<br />
Kreuz? – beides ist im Christentum drin, weil es ein dramatisches Geschehen ist;<br />
o bedingungslose Annahme als der Zugang, Kreuz als die von Jesus selbst gelebte<br />
Bergpredigt<br />
- Karl Barth: „Der Richter wird gerichtet“; Ablehnung der Wahrzeit<br />
o die Menschen richten sich nicht gegenseitig, zuerst geht dem eine Zusammenrottung<br />
gegen einen Dritten voraus<br />
o das Kreuz ist von außen betrachtet nichts anderes als jeder beliebige<br />
Sündenbockakt<br />
o hier gegen ein Opfer, das die Botschaft vom Selbstgericht gepredigt hat<br />
o Was hat das aber mit Gott zu tun? Sind die Menschen Instrumente Gottes? Hat Gott<br />
Menschen erwählt damit sie Jesus kreuzigen? Handelt Gott in der Geschichte<br />
destruktiv?<br />
im Lichte der Akte 1 und 2 muss man „nein“ sagen, denn die Menschen sind<br />
keine Instrumente Gottes; es sind die Menschen, die Jesus ablehnen und ihn<br />
kreuzigen; es ist die Allianz von Gegnern und Feinden und Gleichgültigen;<br />
die Jünger die auch versagen; Jesus wird viktimisiert<br />
- 8 -
Dogmatik I<br />
o Jesus wird im Kreuz zum Opfer iSv victima, er wird zum Opfer gemacht – analog zu<br />
allen victimae in der Geschichte, denn Jesus ist an dieser Viktimisierung eigentlich<br />
unschuldig → äußere Seite des Kreuzes/der Viktimisierung<br />
etwas, das sich ständig und überall ereig<strong>net</strong><br />
- entscheidender Punkt: was ist nun die innere Seite? Der spezifische Inhalt der christlichen<br />
Botschaft? Die innere Seite des Kreuzes?<br />
o Polemik der Gegenwart: Kreuze als Symbole der Gewalt; insofern unterscheidet sich<br />
das Kreuz von außen nicht von anderen Viktimisierungen<br />
o Jesus aber lässt sich treffen, er lässt sich zum Opfer machen und als solches steht er<br />
dem Täter gegenüber, wie in jedem Viktimisierungsvorgang<br />
o was sich aber in seinem Sterben ereig<strong>net</strong>, ist schwer rekonstruierbar: Verwandlung<br />
der Viktimisierung ins Sacrifitium<br />
es gab Menschen, die Folter seelisch unbeschadet überstanden<br />
was der Henker von seinem Opfer will: er will es nicht nur malträtieren, er<br />
will das Opfer qua Opfer total kontrollieren; radikale (Neu)Bestimmung<br />
lässt sich das Opfer darauf ein, so hat der Henker sein Ziel erreicht; zB durch<br />
den Hass, denn auch der Hass ist Kommunikation; es entsteht dann ein<br />
sadomasochistischer Kreis, der nicht mehr durchbrochen werden kann; ein<br />
Kreis in dem auch Rollentausch vorkommt, denn Opfer wird spiegelbildlich<br />
dem Henker in seinem Hass identisch<br />
aber es gibt Opfer, die keine Sekunde mit dem Henker kommunizierten, sie<br />
kommunizierten vielmehr mit dem lebendigen Gott; es gibt ein radikales sich-<br />
Entziehen;<br />
o auf diesem Hintergrund lässt sich das Kreuzesgeschehen von der inneren Seite her<br />
erklären; Jesus ist genauso victima wie es jeder andere Mensch auch ist<br />
o Jesus entzieht sich aber den Tätern, weil er sich als Person, getragen von Gott, dem<br />
Vater hingibt → die Hingabe geht nicht an den Täter, sondern an die lebendige<br />
Gestalt des Vaters<br />
über den Vater bittet er: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie<br />
tun.“; das heißt nicht „ich vergebe dir“, sondern es geht über den Vater<br />
→ solange man den Täter hasst lässt man sich von ihm kontrollieren<br />
Opfer ist kein Identitätsmerkmal; Opfersein ist vergleichbar mit einem<br />
Parasitentum: es lebt an einem und zerstört letzten Endes<br />
in der Gegenwart eine verfängliche Tendenz der Verherrlichung der Opfer<br />
o eigentlich gibt es keinen anderen Weg aus der Opferrolle, außer durch die<br />
Vergebung, aber eben nie direkte Konfrontation<br />
o Christus lässt sich also treffen, als victima steht der den Tätern gegenüber, er entzieht<br />
sich aber denen; wir sprechen vom Opfer als sacrifitium<br />
oft wird die Sakrifizierung in der Kommunikation zwischen Opfer und Täter<br />
gesehen, das ist aber Perversion<br />
- der unersetzbare Wert des Christentums im dritten Akt heißt, dass Opfer nicht sein muss,<br />
freiwillige Viktimisierung nein; aber was ist mit schon vorhandener Viktimisierung?<br />
o wenn Opfer da sind, welche Möglichkeiten haben wir, mit diesem Dasein fertig zu<br />
werden? – Anklagen, Selbstanklage, aber das reicht nicht weit, es gibt nichts, was mir<br />
die verlorene Integrität zurückgeben könnte<br />
o es gibt keinen anderen Weg als den, dass auf krummen Zeilen immer noch gerade<br />
geschrieben werden kann<br />
o Viktimisierung ist eine krumme Zeile; die Hoffnung darauf gerade schreiben zu<br />
können rechtfertigt die Viktimisierung nicht<br />
o → aus der Kraft der Hingabe kann Jesus den Vater um Verzeihung für die Täter<br />
bitten, und zwar weil (was heißt „sie wissen nicht was sie tun“): Jesus als victima<br />
sieht in den Tätern nicht die Henker (was sie auch in ihrem Handeln ihm gegenüber<br />
sind), sondern er sieht in den Tätern auch Opfer: als Opfer sieht er in ihnen letzten<br />
Endes wieder Opfer; Opfer ihrer Tat, Opfer ihrer Umgebung, Opfer ihrer<br />
Lebensgeschichte<br />
- 9 -
Dogmatik I<br />
weil es letzten Endes auch nur victimae sind, wissen sie nicht, was sie tun; sie<br />
„können“ nicht anders handeln<br />
o das ist, was man „Transformation“ nennen kann, Verwandlung der Opferrolle;<br />
eine Verwandlung, die nicht jene Prozesse ersetzt, für die die Gerichtsbarkeit<br />
zuständig ist;<br />
- das ist theologisch wichtig, weil dadurch im Kreuzesgeschehen die apokalyptische Klarheit<br />
von Täter und Opfer stückweise aufgebrochen wird; apokalyptische Klarheit (vgl. Mt 25,<br />
Weltgerichtsgleichnis; die Guten und die bösen) heißt: diese Klarheit fängt an zu wackeln,<br />
schon aufgrund des Ortes wo in der Bibel davon berichtet wird (nicht am Ende des<br />
Evangeliums, sondern es steht unmittelbar vor der Kreuzigung);<br />
o die Folge des Kreuzes für dieses Gleichnis: die Menschen haben sich gegen Jesus<br />
gerichtet, und er hat ihnen über den Vater Vergebung zugesprochen und sah in ihnen<br />
letzten Endes die Opfer ihrer Taten<br />
o Fazit: im Lichte des Kreuzesgeschehen würde es heißen: als Gegner Christi stehe<br />
ich immer im Bereich der für die Täter da steht (ich bin der Bock); sofern sich<br />
Christus mit mir identifiziert (über den Vater), bin ich im Bereich seiner erlösenden<br />
Kraft<br />
christlich gesprochen geht die Trennung zwischen den Böcken und den<br />
Schafen nicht zwischen zwei Lagern, sondern durch den Menschen hindurch<br />
(man ist Gegner Christi [eigener Wille, bedingungsloses Liebenlassen,<br />
Abschieben von Schuld])<br />
- so gesehen ist das Kreuzesgeschehen nicht etwas anderes als der erste Akt, sondern eine<br />
konsequente Fortschreibung desselben durch Jesus selber<br />
o Karfreitag, Karsamstag, Osternacht: ist nicht ein beliebiges Wochenende und ein<br />
beliebiger Feiertag, sondern es steht für Christen als das Fest, das die tiefste Weisheit<br />
über das menschliche Leben andeutet, nämlich es gibt im Leben nie eine Situation, in<br />
der in sich selbst verkrümmte Mensch, hoffnungslos ist; und zwar deswegen, weil<br />
Christus selbst all das transformiert hat, und deshalb betrachten die Christen unerlöste<br />
Situationen mit österlichen Augen: das nimmt den faktischen Viktimisierungen nicht<br />
den Schmerz, aber trotzdem, die Christen erstarren nicht vor der Viktimisierung und<br />
versuchen sie zu bewältigen indem sie neue victimae schaffen, sondern indem sie<br />
immer wieder neu die Sprache von Versöhnung üben<br />
- Christus als Opfer identifiziert sich bedingungslos mit mir sofern ich Opfer bin und<br />
handelt auch an meiner Stelle, selbst dort, wo ich nicht mehr handeln kann<br />
o er stiftet dort Versöhnung, wo ich dazu nicht bereit bin<br />
o dadurch werden die festgefahrenen Fronten aufgebrochen<br />
- das Kreuzesgeschehen ist nicht etwas das zusätzlich zur Basileiabotschaft kommt, es ist die<br />
konsequente Folge der Basileiabotschaft, gelebt und durchgelitten durch Jesus; Jesus und<br />
seine Hingabe sind Verwirklichung der Bergpredigt in der Geschichte<br />
- der Wert der Kirche ist in ihrer Glaubenslogik zu suchen; dh die Kirche sprengt die<br />
Banalität von Aufstieg und Fall, weil sie dieser Banalitäten einen tieferen Sinn verleiht,<br />
indem sie die Passion des menschgewordenen Gottes feiert und diesen Gott auf der Kreuzung<br />
beider Sackgassen verkündet<br />
o dadurch verwandelt sie das in das lebensspendende Kreuz<br />
o wir glauben, dass der menschgewordene Gott (und das ist Inhalt der ersten beiden<br />
Akte) sowohl im Aufstieg wie auch im Fall mit den Menschen verbunden bleibt –<br />
Menschwerdung Gottes als Infragestellung der Einsamkeit des Menschen<br />
o im christlichen Glauben ist niemand eine einsame Insel, ja kann niemand so eine sein<br />
– wir leben von Relation<br />
o momentan erliegt unsere Kultur einem Irrtum: man meint die Lebenskraft aus dem<br />
eigenen Aufstieg, dem der Kinder, dem der Stars, … schöpfen zu können; kein<br />
Mensch vermag sein Leben lang den Sinn des Lebens aus der Kraft der Träume und<br />
Skandale zu gewinnen<br />
- 10 -
Dogmatik I<br />
o christlich gesprochen: der Sinn des Lebens liegt darin, und das ist der tiefere Sinn<br />
des Glaubens, zu glauben, dass der lebendige Gott mit mir den Weg des Aufstiegs und<br />
des Falls geht → bedingungslose Zuwendung Gottes<br />
1.3.4 vierter Akt: österliches Urteil des Vaters<br />
- ist Ostern nur eine Wiederbelebung? Offenes Grab? → es ist Wiederaufnahme von<br />
Beziehungen<br />
- Ostern als Urteil im Unterschied zu menschlichen Urteil zugunsten des Sohnes<br />
- verständlich auf Hintergrund des Gleichnisses vom Weinbergbesitzer – nicht so handelte der<br />
himmlische Vater am Ostermorgen<br />
o er sandte den Auferweckten zu denen die versagten mit einem Friedensgruß<br />
o normalerweise sind die Urteile des Opfers immer ident mit einem Urteil zu Ungunsten<br />
der Täter<br />
o hier aber bricht diese Logik: das Opfer wird auferweckt, dem Opfer wird<br />
Gerechtigkeit zuteil, aber auch den Tätern, denen die versagten, wird ihr Recht zuteil,<br />
und zwar in einem Geschehen der Vergebung und der Friedensstiftung<br />
o die Folge davon ist das, was man Schuldfähigkeit des Menschen nennen kann; weil<br />
ich die Schuldvergebung durch das Friedensangebot erfahre oder weil ich mich in der<br />
Dimension des Tätersein angenommen fühle bin ich fähig einzusehen, dass ich Schuld<br />
auf mich geladen habe<br />
o es findet eine systematische Erklärung und Schuldabschiebung statt – weil in einem<br />
Kontext von Aufstieg und Fall Schuldannahme automatisch empfunden wird als etwas<br />
Katastrophales; schuldfähig zu sein vermag nur jener, der sich bewusst ist, dass ihm<br />
Schuld vergeben wird, dass Schuldurteil nicht Auslöschung der Identität ist<br />
o → Bild von El Greco, die Tränen Petri; Petrus lebt in der Dimension des Versagens<br />
(er war unter den Jüngern wohl der größte Versager; er versagte sogar in gewisser<br />
Weise schlimmer als Judas, denn der hat sich nicht eingebildet etwas anderes zu tun,<br />
Petrus dachte das schon, aber er ist der erste der die Treue bricht); auf diesem Bild<br />
schaut er in eine hellere Sphäre, schaut in ein Licht mit österlichen Augen, er sieht mit<br />
seinen Augen das offene Grab, von dem Maria von Magdala am Ostermorgen<br />
weggeht, er sieht die Auferweckung und nimmt sie gewissermaßen vorweg; bei Lk<br />
steht „da schaute Jesus Petrus an“ – was sah Petrus dort? Vorwurf? Spott?<br />
Enttäuschung? Frustration? – all das wären die menschlichen Reaktionen;<br />
zurückgeblendet auf den 1. Akt sah er wohl bedingungslose Annahme (Frieden sei mit<br />
dir), nicht von oben herab; Petrus kann zu seiner Schuld stehen („Er ging und weinte“<br />
– o felix culpa);<br />
- anstatt Selbstdestruktion (besteht auch in der Verdrängung der Schuld; Verhärtung) und<br />
Fremddestruktion (Sündenbockmechanismus) wird die Schuld und das Fragmentarische<br />
angenommen und in die eigene Biographie integriert<br />
o die Kirche entsteht aus der Erfahrung der Schuldvergebung, dh aus der Befähigung<br />
zur Annahme seines eigenes Versagens<br />
o Papst Johannes Paul II. veranstaltete im Jahre 2000 einen Bußgottesdienst; faktisch ist<br />
dieser Gottesdienst eine einzelne Schwalbe gewesen (welche ja bekanntlich keinen<br />
Sommer macht)<br />
- die österliche Schuldvergebung als Punkt, wo der Christ zum Christ wird; aufgrund der<br />
Erfahrung von Ostern wird sich der Christ niemals über sich selbst skandalisieren, dh<br />
bestimmte Dimensionen der Biographie nicht wahrhaben wollen, man erschreckt vor sich<br />
selber<br />
o der Mensch, der in seinem Versagen von Gott angenommen wird, kann sein Versagen<br />
zu einem Teil seiner Biographie machen und damit leben<br />
o die Gestalt des im Guten Verhärteten braucht keine Vergebung, vergibt aber auch die<br />
anderen nicht, jener aber der vergibt wird barmherzig<br />
o auf diesem Hintergrund wäre nachzudenken was es heißt getauft zu sein zur<br />
Vergebung der Sünden und zum Mitsterben und Mitauferstehen in Christus<br />
- 11 -
Dogmatik I<br />
- Ostern ist damit nichts anderes als Bestätigung des 1. Aktes: der menschgewordene Sohn<br />
Gottes, der Feindesliebe glaubwürdig lebt, sogar durch den Tod hindurch (nicht Divinisierung,<br />
dh Jesus, ein normaler Mensch der durch ethische Vollkommenheit quasi zu Gott wird); und<br />
die inkarnatorische Logik ist somit Befreiung vom ethischen Stress alles selber machen zu<br />
müssen (übersetzte man das in die Divinisierung: Jesus der zu einem übermenschlichen Status<br />
kommt, verwandelt man das Christentum zu einem ethischen und spirituellen Terror)<br />
- Ostern stellt auch die erlösende Antwort auf Apokalypse und Hölle<br />
o das altkirchliche Bekenntnis, Christus ist zur Hölle abgestiegen und hat deren Pforten<br />
gesprengt<br />
er sprengt die Hölle der Isolation aber einfach dadurch, indem er da ist<br />
man kann den homo incurvatus mit Gewalt nicht befreien, nur zerstören<br />
das ganze Drama setzt hier an: Jesus versucht mit bedingungsloser Annahme<br />
einer geballten Faust zu begegnen, aber er wird erschlagen<br />
es gibt nur einen Weg wie man die geballte Faust öffnen kann: die Faust eines<br />
anderen in die eigene Hand nehmen und die eigene Hand darunter legen und<br />
nichts tun; nach einer gewissen Zeit wird der Mensch die Faust zwangsläufig<br />
öffnen (physiologisch: Nerven erschlaffen irgendwann)<br />
mit diesem Bild kann man viel von den fünf Akten wahrnehmen<br />
o was es bedeutet tiefer zu fallen als je ein Mensch: in seinem Kreuz fällt er eine Stufe<br />
tiefer als ein Mensch je in seinem Leben fällt und hält mich dort, er bekehrt mich nicht<br />
mit Gewalt, er ist einfach da (nicht einfach so, er ist haltend da)<br />
o Antwort auf die Hölle: Auferweckung<br />
o Christus steigt in die tiefste Gottlosigkeit und Kommunikationslosigkeit, ist eine<br />
Stufe drunter und hält den isolierten Menschen eine Ewigkeit lang<br />
der tiefste Sinn des Kreuzes ist jene Dimension, es geht um das letzte<br />
Geheimnis des Menschen in seiner Spaltung in Täter und Opfer; die<br />
Versuchung ist, sich in seinem Opfersein zu verschließen, und zum Täter zu<br />
werden der nur noch verletzen kann<br />
o das christliche Erlösungsverständnis: in diese Tiefen steigt Gott hinab um diese<br />
Sackgassen zu sprengen; nicht wie ein deus ex machina; Sprengung der Hölle und<br />
dort Stiftung von Kommunikation<br />
o Antwort auf Apokalypse: selbst die größte Selbstzerstörung kann eingebettet werden<br />
in das Handeln das Christus am Kreuz tat, indem er sich dem Spiel entzog<br />
1.3.5 fünfter Akt: die Erfahrung des Hl. Geistes<br />
- systematischer Mehrwert: Geist heißt Anwalt; der Geist Christi ist der Anwalt, der Anwalt<br />
der Wahrheit, des Mitleides und der Opfer<br />
o jene personale Beziehung die Gott zu mir aufnimmt um mich in meiner<br />
Opferdimension ausdrücklich anzusprechen und mich daraus herauszuführen<br />
o der Geist ist gleichzeitig der Modus der Anwesenheit des Dramas post resurrectum;<br />
Gott wirkt in uns Menschen durch seinen Heiligen Geist<br />
- im Geist geschieht: das Drama wird ausgeweitet aus der engen Dimension des erwählten<br />
Volkes Israels bis an die Grenzen der Erde, wobei diese Ausweitung die gleichen Aspekte<br />
kennt die wir im Drama hatten (guter Wille, Bemühung, Versagen, Verrat); diese Ausweitung<br />
geschieht auch in der Perspektive der Perversion des ganzen Dramas (Offb: die Kirchen sind<br />
lau)<br />
- Martyrium als zugespitzte Haltung des sacrifitiums in einer pervertierten Welt der Lüge und<br />
Gewalt<br />
- 12 -
Dogmatik I<br />
1.3.6 Zusammenfassung der Bedeutung der Akte 1<br />
„Die fünf Akte sind mehr als ein historisches Drama. Sie umschreiben die grundsätzlichen<br />
Dimensionen des Heilswirken Gottes, das sich auf offene oder verborgene Weise in allen<br />
Menschen vollzieht. Der Vater Jesu Christi ist von seinem tiefsten Wesen her ein Gott der<br />
Feindesliebe und der Gewaltfreiheit, der seinen Feinden nie mit Zorn begeg<strong>net</strong>, sondern um<br />
sie wirbt, wie vor allem die Basileia-Botschaft Jesu und Ostern zeigen. Dennoch verliert das<br />
Gericht nichts von seiner Strenge. Niemand darf sich selbstgerecht über jene Menschen<br />
erheben, die Jesus abgelehnt haben. Seine Verwerfung macht deshalb deutlich, wie sehr alle<br />
Menschen dazu neigen, sich in eine Welt des Bösen einzuschließen, eine Welt, die immer<br />
gottferner wird und zur Hölle tendiert. Gerade von dieser gewalttätigen Menschheit hat sich<br />
Jesus aber freiwillig treffen lassen und sich mit seinen Gegnern, insofern sie selber Opfer des<br />
Bösen sind, identifiziert. Er will folglich allen, die bereits auf dem Weg der Verlorenheit sind,<br />
nochmals ganz nahe kommen und um das Herz jener, die einem machtvollen Gott Widerstand<br />
leisten, in der Gestalt eigener Schwäche und Ohnmacht werben. Durch seinen Tod will er den<br />
vom Verderben Bedrohten nochmals einen Weg zum Heil öffnen. Dieses kann auf Erden<br />
beginnen - in der Versöhnung der Menschen mit Gott und untereinander dank des<br />
Pfingstgeistes. Es bleibt hier aber Stückwerk, weil es immer wider auf den Widerstand der<br />
massiven Mächte der Lüge und Gewalt stößt. Zum vollen Heil bedarf es deshalb einer neuen<br />
Schöpfung durch Tod und Auferweckung. Real-symbolisch wird das endgültige Heil dennoch<br />
bereits hier auf Erden gegenwärtig, nämlich in den liturgischen Feiern der Kirche und vor<br />
allem in der Eucharistie, wenn die betende Gemeinde sich der vergangenen Heilsereignisse in<br />
Jesus Christus erinnert und um deren Vergegenwärtigung im Hl. Geist bittet.“<br />
1.4 christologisches Drama als Verdichtung des biblischen<br />
Ringens um Heil und Wahrheit<br />
- es gibt einen letzten Horizont für die gesamte Menschheit<br />
o die Geschichte ist nicht nur eine Ansammlung von Partikulargeschichten<br />
o ein allerletzter normativer Horizont für alle – das ist der universale Heilswille Gottes<br />
o dieser Horizont wird aber partikulär vermittelt<br />
o Universalität und Partikularität in einem Atemzug<br />
o geschichtlich partikulär vermittelt erst durch ein Volk, dann durch eine Person<br />
1.4.1 Struktur der dramatischen Geschichte zwischen Jhwh und seinem<br />
Volk<br />
- „persona“ ist im Altlateinischen jene Maske, die ein Schauspieler aufsetzte um eine Rolle zu<br />
spielen<br />
o die späteren Rabbiner haben von der „Schechina“ gesprochen, die Gestalt Gottes<br />
- diese biblische Geschichte ist nichts anderes als das Drama: er nimmt Gestalt an, erwählt<br />
Menschen und Gruppen, vergewissert sie der Heilszusage, er bindet sich an das Volk damit<br />
dieses Volk für andere zum Segen wird<br />
o Reaktion darauf: Versagen, Abfall und Katastrophe; die ganze Hl. Schrift ist<br />
geprägt von vielen Schriften des Versagens<br />
und das ist Eigenart der Bibel: die heiligen Schriften anderer Religionen<br />
blenden diesen Aspekt entweder aus oder unterstellen es Anderen<br />
es ist Sondergut bzw. Qualitätszeichen des AT, dass die Propheten auch das<br />
eigene Volk anmahnen<br />
o echte Prophetie ist Mahnen des eigenen Versagens<br />
1 siehe hierzu: S 4, Zusammenfassung der Bedeutung der Akte durch Raymund Schwager<br />
- 13 -
Dogmatik I<br />
o Gott wendet sich nicht ab, nein, er bindet sich an das Volk, und das durch das<br />
Versagen hindurch<br />
deswegen ist das Bild der Hurerei (hat mit Sexualität zunächst nichts zu tun)<br />
öfters anzutreffen<br />
auch das Bild des Propheten der deine Hure heiraten muss<br />
o Gott nimmt also Gestalt an<br />
man kann die Gestaltwerdung Gottes erzählen, man kann bei Abraham<br />
anfangen und irgendwo bei den letzten Propheten aufhören – Geschichten der<br />
Gestaltwerdung Gottes mitten unter Menschen<br />
o aber auch Idolatrie der Menschen (Götzendienst, Abfall, Untreue); Menschen<br />
wurden erwählt um für andere da zu sein, sie interpretieren das aber als Selbstprivileg<br />
Gottes Reaktion: biblische Gerichtspredigt, die aber nichts anderes ist als<br />
Offenbarung des Selbstgerichtes (man selber erleidet die Folgen dessen was<br />
man tat); durch das Gericht hindurch sich immer stärker abzeichnende<br />
Identifizierung Gottes mit dem Volk<br />
Grundnerv der atl Geschichte: Gott wendet sich nicht vom Volk ab iSv<br />
vergessen sondern identifiziert sich noch stärker mit dem idolatrischen Volk,<br />
bis hin zur Menschwerdung<br />
- → das Drama Jesu ist im Grunde eine Anwendung dieses Geschehens auf eine Person<br />
1.4.2 Heils- und Wahrheitsfrage<br />
- sind Heil und Wahrheit identisch?<br />
o die moderne Konsumkultur neigt tatsächlich dazu Wahrheit mit dem zu assoziieren,<br />
was theologisch „Heil“ ist<br />
o wir wissen aber im Rückblick, dass es Erfahrungen gab, die vordergründig<br />
Heilserfahrungen waren, im nachhinein aber Unheilserfahrungen geworden sind<br />
- wir neigen dazu, unmittelbar Guttuendes mit Heil zu identifizieren<br />
- aus der biblischen Geschichte kann man lernen, dass Heil und Wahrheit auch weit<br />
auseinander geraten können<br />
o man nennt diese Logik polytheistische Struktur<br />
o auf weiten Strecken hat die atl Geschichte durchaus eine polytheistische Strukur; eine<br />
die nahelegt, dass Gott sich fast synkretistisch mit den Bedürfnissen des Menschen<br />
verbindet<br />
o die Tatsache, dass der atl Kanon mit den Geschichten der Patriarchen beginnt ist eine<br />
tiefe Weisheit – Gott offenbart sich als einer, der sich ganz konkret an ganz konkrete<br />
Menschen richtet und ihnen hilft<br />
o abstrakt: Bedürfnis nach Heil fast synkretistisch gedacht<br />
- 1. Akt: Identifizierung von Heil und Wahrheit<br />
- 2. Akt: Transformation dieses Zugangs in Individualgeschichten, ganz groß im Exil<br />
(Gefühl, Heil und Wahrheit treten radikal auseinander)<br />
o was bisher als Heil erfahren wurde, wird als Lüge sichtbar, und deshalb<br />
Auseinandersetzung nach den wahren Propheten<br />
o es tritt das Ganze auseinander<br />
o Folge dieses Auseinandertretens: nicht eine Abstraktion (dh zuerst glaubte man,<br />
Besitz des Landes = Heil; jetzt ging das Land verloren; in der Bibel geht man durch<br />
die schmerzhaften Erfahrungen hindurch und findet zu ganz konkreten neuen Bildern<br />
[Themen Land, Nachkommenschaft, werden transformiert wiederaufgenommen])<br />
o pluralistische Theologie der Religionen: geht davon aus: weil wir begrenzte<br />
Erfahrungsmöglichkeiten haben und Gott eine universale Wirklichkeit ist, müssen wir<br />
von unseren begrenzten Erfahrungen immer weiter zurück abstrahieren zu Begriffen,<br />
die keine Anschauungen mehr haben – philosophisch legitim, theologisch<br />
problematisch, weil das ergibt eine Gottesvorstellung, die für eine Frömmigkeit nichts<br />
mehr hergibt<br />
o biblisch wird die Konkretheit der Erfahrung wahrgenommen<br />
- 14 -
Dogmatik I<br />
- das letzte Bild der atl Botschaft: wenn dem letzten glimmenden Docht Gerechtigkeit<br />
widerfahren wird, dann sind Heil und Wahrheit identisch<br />
o wenn Heil nicht auf Kosten von Dritten oder Opfern geschieht, wenn partikulare<br />
Interessen nicht auf Kosten eines anderen erfüllt werden, erst dann sind Heil und<br />
Wahrheit identisch<br />
o nicht der abstrakte Begriff steht am Ende der prophetischen Büchern, sondern eine<br />
Vision universaler Gerechtigkeit: Völkerwallfahrt, Festmahl am Zion, Tränen<br />
werden getrock<strong>net</strong> … → es gibt niemanden mehr der leidet, der den Preis zahlen muss<br />
o diese Bilder sind von der eschatologischen Logik her geprägt (vgl. auch Dogmatik III)<br />
- erst bei Deuterojesaja eigentlicher Monotheismus: es gibt einen einzigen Gott für die<br />
gesamte Menschheit; diesen einen Gott gibt es nur, wenn die Menschen zur Proexistenz fähig<br />
sind, wenn sie also für andere da sind<br />
- der Weg der Menschenrechte – was ist das?<br />
o Weg des Anspruchs? – das ist Weg des Bürgertums<br />
o als Weg des Evangeliums heißt, eben denjenigen, denen die Rechte vorgehalten<br />
werden (geknicktes Rohr, glimmender Docht), ihnen zum Recht zu verhelfen<br />
- ∑: Identität von Heil und Wahrheit? → der universale Heilswille Gottes als letzter<br />
normativer Rahmen für die Menschheit<br />
o hat mit universaler Gerechtigkeit zu tun<br />
o ist nur durch Proexistenz möglich (nicht einklagen „meiner“ Rechte [führt zu<br />
Spaltung])<br />
o dächten alle so, löste sich das ganze Rätsel auf<br />
o fällt zusammen in der Idee von Himmel<br />
o wichtig ist die Grundstruktur:<br />
1) Gott identifiziert sich<br />
2) Menschen versagen<br />
3) Gott identifiziert sich stärker bis hin zur Menschwerdung – das ist das ntl<br />
Bekenntnis<br />
1.4.3 Verhältnis von AT zu NT<br />
- in Christus verdichtet sich diese Geschichte Gottes mit Israel<br />
o man kann auch von Gestaltwerdung Gottes in Jesus von Nazaret sprechen<br />
o aber nicht nach dem Prinzip einer Partikularität oder Pluralität (quasi als „Teil<br />
Gottes“)<br />
Offenbarungsreligion erhebt keinen abstrakten Wahrheitsbegriff<br />
AT erzählt Geschichten, das kann plural verstanden werden (jeder erkennt<br />
einen Teil, und das widersprüchlichst)<br />
in der prophetischen Botschaft (vom christlichen Selbstverständnis her) wird<br />
etwas angedeutet, wo verschiedene Perspektiven zusammenkommen<br />
nicht von einer Perspektive dass man von einer Leiter nach unten blickte, in<br />
seiner ganz konkreten Leidenserfahrung erschreibt Deuterojesaja über seine<br />
Erfahrungen darüber, wann diese Geschichten eine einzige werden, und zwar<br />
wenn für alle ein Gott da sein wird (einer und einziger Gott) und wenn<br />
Proexistenz möglich ist<br />
o viele widersprüchliche Erfahrungen mit einem Gott verdichtet zu einer Person<br />
- was ist dann mit der Geschichte mit Israel?<br />
o viele Ansichten ja, nach dem Schema Verheißung-Erfüllung (AT-NT), und mit<br />
Erfüllung ist die Verheißung obsolet<br />
dieses Denkmodell ist eine Anmaßung<br />
die Bundesgeschichte ist dem Zeugnis des NT nach nicht außer Kraft gesetzt:<br />
Jesus selber ist Jude – man kann ihn nicht begreifen, wenn man ihn<br />
aus seinem jüdischen Kontext herausnimmt<br />
er nimmt uns also gem. Lk 2,32 („Ein Licht das die Heiden erleuchtet<br />
und Herrlichkeit für dein Volk Israel“)<br />
- 15 -
Dogmatik I<br />
die Christen sind gem. Röm 11 aufgepfropfte Zweige auf den<br />
erwählten Ölbaum<br />
man kann das AT in Bezug auf Christus interpretieren (unter dem Stichwort<br />
„Verdichtung“)<br />
- NT verdichtet die Logik des AT, es verdichtet sie und wendet sie auf die konkrete Person<br />
Jesus von Nazaret an; Verdichtung der Gestalt- und Menschwerdung Gottes<br />
1.4.4 Verhältnis von Monotheismus und Trinitätslehre<br />
- die Dynamik der biblischen Offenbarung (Gestaltwerdung Gottes in unterschiedlichen<br />
Situationen, die quasipolitheistische Struktur, die sich immer deutlicher abzeichnende<br />
Identifizierung Gottes mit den Menschen) macht das trinitarische Modell möglich<br />
- der Weg der Dogmatisierung ist nicht eine Verfälschung der biblischen Tradition, sondern<br />
dieser Weg bleibt der heilsgeschichtlichen Logik verpflichtet<br />
- der universale Heilswille des einen Gottes wird in der Geschichte konkret vermittelt durch<br />
das Volk Israel oder durch die Person Jesus Christus, durch seine Person und sein Geschick,<br />
und zu seinem Geschick gehören auch die Menschen, die mit ihm leben, ihn umbringen und<br />
durch ihn versöhnt werden (Gestalt des totus Christus, und das ist im Grunde Kirche)<br />
- das Heil wird Wirklichkeit indem sich Gott mit diesen Menschen immer wieder konkret<br />
verbindet, va aber durch Christus selber<br />
- das Bekenntnis zu Jesus impliziert die Vision aller Völker beim messianischen Mahl, auch<br />
die Integration der Toten<br />
o fünf Akte (3. und 4.) – Jesus steigt bis in die Hölle hinab – es gibt niemanden, den die<br />
christologische Vermittlung nicht anrühren würde<br />
o die Christen, und nur Christen, können bekennen: Gott ist die Liebe<br />
ein Jude wird aufgrund des AT sagen können, dass Gott sein Volk liebt, und<br />
deswegen kann er immer wieder Gestalt in diesem Volk annehmen<br />
Christentum geht weiter: Gott selber ist die Liebe, dh Gott ist eine Vielfalt,<br />
und eine diese Personen steigt herab<br />
Fangfrage: banalste Formel von Trinitätsbekenntnis: augustinisch und nach<br />
1 Joh: „Gott ist die Liebe“; Liebe setzt Pluralität voraus; in Gott selbst spielt<br />
sich das Geschehen der Liebe ab<br />
1.4.5 Substitutionsthese – illegitime Auflösung des dramatischen<br />
Ringens zu einer statischen Klarheit<br />
- bisher reden wir ständig von einem Prozess; wir sind unterwegs zur Erkenntnis, dass Gott für<br />
alle die Liebe ist<br />
- das gibt es nicht in statischer Klarheit, sondern immer wieder neu, äußerst mühsam<br />
- schon die erste Generation der Christen hat das Ringen aufgelöst mit dem Stichwort<br />
„Substitution“, was „Ersetzung“ heißt<br />
- die dramatische Logik des AT: Erwählung, Versagen, Selbstgericht, noch stärkere<br />
Identifizierung Gottes als Grundmovens des AT angewendet auf das NT; diese dramatische<br />
Logik wurde aufgelöst zu einem statischen Gebilde:<br />
o durch das Kreuz Christi wurde das dramatische Ringen beendet<br />
o das Versagen, Götzendienst, Idolatrie, sei Privileg des Judentums, der Synagoge<br />
o Erwählung, Gnade, sei das Privileg des Christentums und der Kirche<br />
- Substitution heißt, Christentum ersetzt Judentum (Kirche ersetzt Synagoge) in der<br />
Heilsgeschichte<br />
o Augustinus: Juden sind Zeugen ihrer Bosheit und unserer Wahrheit<br />
das ist Sündenbockmechanismus: das ist Selbstgerechtigkeit, Scheinheiligkeit;<br />
dh ein Versuch besser da zu stehen als ich bin, und das durch so schlechte<br />
Darstellung des Anderen, dass meine Fragmentarität nicht mehr sichtbar ist<br />
→ Logik der Negativfolie; das Gericht nur bei den anderen deutlich werden<br />
lassen<br />
- 16 -
Dogmatik I<br />
- die zweite Generation der Kirchenväter erliegt dieser Versuchung, indem sie die biblische<br />
Spannung auflösen und eine Negativfolie postulieren, Juden und nur Juden sind der Inbegriff<br />
der Abkehr von Gott (pervers, sündhaft, …) – wir und nur wir sind heilig<br />
o weil Juden vom Glauben Abrahams abgefallen sind gilt der Synagoge nur das Gericht,<br />
die Erlösung des Kreuzes ist höchstens im Strafmodus greifbar<br />
o Bild des lebenden Kreuzes: Christus selber am Kreuz, darunter zwei Gestalten (eine<br />
auf dem Esel, eine andere auf noblen Tieren [Symbol für Evangelisten]): Interessant<br />
ist, dass aus der Hand Jesu ein Schwert wächst, und mit diesem wird die Krone der<br />
Synagoge heruntergeschlagen (zusammen mit verbundenen Augen), der anderen Seite<br />
wird die Krone aufgesetzt (es gibt auch die Darstellung, da die Synagoge getötet wird)<br />
- diese Erfahrung der Negativfolie, die die Kirche immer wieder neu gelebt hat, die Sünde bei<br />
einem Anderen wahrzunehmen, an einem anderen anzuprangern und sich selbst dadurch in die<br />
Gnadenposition zu positionieren wurde in Vatikanum II radikal verändert<br />
o Substitution wurde radikal verworfen<br />
o das dramatische Ringen um Heil und Wahrheit darf nicht aufgelöst werden<br />
- die Logik der Selbstgerechtigkeit, die durch Verlagerung der Aufmerksamkeit auf Versagen<br />
von Anderen automatisch als gegeben erscheint<br />
- demgegenüber die Botschaft der Propheten: sie beschuldigten nicht die fremden Völker,<br />
sondern sie sagen klar, dass das Volk selber versagt hat<br />
2 dogmengeschichtliche Präzisierung des<br />
christologischen Dramas in der jeweiligen Gegenwart<br />
- wie kann Universalismus geschichtlich partikulär verständlich gemacht werden<br />
o natürlich auf dem Weg der Usurpation, der Eroberung – wenn ich genug Gewalt<br />
habe, kann ich das durchsetzten<br />
o das biblische Muster aber heißt Erwählung; Gott erwählt konkret, damit sich diese<br />
Gestalt im Modus der Proexistenz anderen Gestalten nähert<br />
o die meisten Menschen reagieren mit Versagen (Idolatrie)<br />
o Gott bewirkt dann das Heil aller, indem er Mensch wird, und deshalb kann er<br />
unmittelbar die menschliche Geschichte verändern<br />
2.1 das Ringen um Wahrheit des einen Gottes<br />
- Vielfalt der Widersprüchlichkeit:<br />
o der Erfahrungen mit Gott; jeder glaubt seinen eigenen Weg zu Gott zu haben, das ist<br />
aber nicht unser Privileg, das hatte auch die alte Kirche<br />
o daraus folgte Vielfalt der Widersprüchlichkeit der Gemeinde: je nach dem in<br />
welcher Kultur die Menschen lebten, thematisierten sie ihre Erfahrungen anders<br />
unterschiedliche Gemeinden; Gemeinden, die durch Vorsteher geleitet<br />
wurden aber auch frei existierenden (gnostische) – ein Wirrwarr sonder<br />
Gleichen – durchaus in Analogie zur Gegenwart<br />
o Widersprüchlichkeit der Schriften<br />
2.1.1 der zornige oder der liebende Gott<br />
- widersprüchliche Aussagen über Gott?<br />
- die alte Kirche wurde zu diesem Prozess herausgefordert durch Markion (85-160 nC), der<br />
Häretiker par excellence<br />
o diese Vielfalt der Aussagen und Geschichten vom liebenden und zornigen Gott kann<br />
doch unmöglich den gleichen Gott meinen, das muss doch zwei Quellen haben<br />
o er hatte die Idee zweier widersprüchlicher Götter<br />
- 17 -
Dogmatik I<br />
o fasziniert durch paulinische Aussagen über die Liebe und Barmherzigkeit<br />
systematisiert er<br />
o AT verkündet einen ganz anderen Gott als Jesus Christus – das war der<br />
Schöpfergott (Demiurg) – nicht besonders intelligent, ungeduldig, kriegerischer,<br />
kleinkariert → ein „kleiner Judengott“ (Markion war schwerer Antisemit!)<br />
o dann erscheint in Christus ein völlig neuer Gott, ein Gott der Liebe, ein ganz anderer<br />
Gott – dieser neue Gott, den Christus bringt, kann vom alten nichts annehmen; da er in<br />
einer materiellen Welt erscheint kann er keinen materiellen Körper haben (welcher ja<br />
wieder auf das Konto des Demiurgen ginge); er befreit vielmehr die Menschheit von<br />
der Bosheit des Demiurgen<br />
o Markion sucht diese Idee in den Schriften mit der Grundannahme, die Jünger hätten<br />
Jesus missverstanden, weshalb sie jesuanische Botschaft mit atl Lehren vermischt<br />
hätten<br />
o Christus hätte die Gefahr natürlich gesehen und Paulus gesehen – er wurde berufen<br />
um das Missverstandene zu korrigieren<br />
Paulus bringt das Ev unverfälscht, indem er es von judaisierenden Tendenzen<br />
befreit<br />
o da Markion annahm, Jesus hätte ein Ev geschrieben, und es wäre am ehesten hinter<br />
Lk greifbar, macht er sich zu dem, was man heute Zensor nennt<br />
er zensiert die im Umlauf befindlichen Schriften<br />
am Ende bleibt ein von ihm gereinigtes Lk-Ev übrig und einige Pauluszitate<br />
o und das ist so etwas wie ein erster „Kanon“ iSe authentischen Auswahl eines<br />
unverfälschten Wissens über Jesus<br />
o die Kirche reagiert: sie kann nicht schweigen;<br />
die erste große Exkommunikation 144 nC, da Markion durch seinen eigenen<br />
Vater exkommuniziert wird (der Bischof war)<br />
die Kirche trennt sich davon indem sie feststellt, dass das ein Irrweg ist (zwei<br />
Götter sind Irrweg, AT vs. NT ist ein Irrweg, authentische Aussagen Jesu in<br />
Reinkultur ist Irrweg)<br />
o Markion gründet dann seine eigene Kirche<br />
o was nennt man markionische Versuchung in der Theologie? –<br />
damit wird immer gemeint die Abwertung des AT, die Abwertung des<br />
Schöpfergottes zu einer zweitrangigen Größe<br />
Polarisierung und klare Aussage, der Gott des AT sei ein Gott des Zornes<br />
und der Gott des NT sei einer der Liebe<br />
antijudaistische Haltung<br />
o Reaktion der Kirche:<br />
Festhalten am AT<br />
Auswahl von Schriften über Jesus – dogmatische Antwort: aufgrund eines<br />
langen Prozesses, indem die Kirche versuchte mit der markionitischen<br />
Versuchung fertig zu werden:<br />
die Vorstellung Dan Browns etwa ist falsch (Kaiser Konstantin usw.)<br />
der Kanon geht zurück auf die Praxis des Vorlesens im Gottesdienst –<br />
jene Schriften die von einer Gemeinde zur anderen gingen und<br />
fortwirkend im Gottesdienst verlesen wurden<br />
die Überzeugung, die Schriften stammen von Aposteln oder<br />
Apostelschülern, spielte mit<br />
noch wichtiger war die Übereinstimmung inhaltlich mit dem, was<br />
man schon in der zweiten Generation Tradition nennen könnte<br />
(Tradition war jene mündlich überlieferte Lehre va in den Kirchen,<br />
die sich auf die Apostel zurückgeführt haben [Rom, Antiochien,<br />
Ephesus])<br />
alles was irgendwie leibfeindlich schmeckte wurde nach und nach<br />
ausgeschieden (zB EvThom; nicht weil solche Schriften „gefährlich“<br />
[→ Sensationsliteratur] wären, sondern weil Abwertung von Materie;<br />
Materie sei durch einen Demiurgen oder Dämon geschaffen; liest man<br />
- 18 -
Dogmatik I<br />
EvThom in Hinblick auf leibfeindliche Tendenzen, merkt man schnell<br />
den Unterschied zu anderen Ev)<br />
o die dramatische Auseinadersetzung um Offenbarung ist im Christentum anders zu<br />
sehen als im Koran oder Mormon (wo von vornherein gesagt wird, das Buch gehe auf<br />
direktes Diktat von Gott zurück oder ähnlich – das sind reine Buchreligionen)<br />
der Unterschied: im Juden- und Christentum liegt dem Buch etwas voraus,<br />
und zwar Erfahrungen; solche von Menschen, die sie mit Gott oder mit<br />
Christus gemacht haben, über diese Erfahrungen gesprochen und reflektiert<br />
haben, durch dieses Reden weitergaben, andere Menschen ansteckten<br />
dann erst kommt es zur Verschriftlichung<br />
deswegen steht die Kirche auf dem Standpunkt, man müsse die Schrift und<br />
den kirchlichen Vollzug (Tradition) gleichermaßen beachten<br />
Luther, der die traditio zugunsten der scriptura zurücksetzte, sieht<br />
auch die vorgelesene Schrift<br />
- hier entscheidet sich die Grundeinstellung zu dem, was man als Christentum und Kirche<br />
sieht: nicht die Fixierung auf einen Buchstaben, sondern ein dramatischer Vorgang lebendigen<br />
Glaubens<br />
o die endgültige Gestalt des Kanons ist eine recht späte Frage (schon bei Athanasius<br />
eine relative Aufzeichnung)<br />
o der katholische Kanon wird eigentlich erst beim Konzil von Trient definiert, vorher<br />
auch beim Konzil von Nizäa (Osterbrief des Athanasius)<br />
2.1.2 Irenäus von Lyon und die Auslegungsmethoden<br />
- die theologische Antwort auf Markion erfolgte durch Irenäus<br />
o Gott des Zorns vs. Gott der Liebe, der ntl Gott besiegt den atl Gott<br />
o Markionitische Versuchung die zwar überwunden wurde, aber die Kirche immer<br />
wieder begleitet<br />
o wie können die verschiedenen Aussagen gedeutet werden?<br />
o es handelt sich um ein Offenbarungshandeln, allerdings eines, das dem<br />
Fassungsvermögen des Menschen angepasst ist – Gott passt sich an<br />
- auch er hält an der Einheit des atl und ntl Gottes fest, weist den Dualismus von Schöpfung<br />
und Erlösung zurück; Gott als allumfassende Wirklichkeit (Monotheismus)<br />
- logische Kohärenz des Ganzen: wenn Gott die höchste Wirklichkeit ist, der allumfassende<br />
Horizont, dann kann er sich selber nicht mehr widersprechen, er muss alle Widersprüche in<br />
sich integrieren (gäbe es noch etwas größeres als Gott, müsste das Gott genannt werden) →<br />
Gott kann per definitionem nicht begrenzt werden<br />
o er versucht Gott analog zur Vernunft zu begreifen, würde man etwas Umfassenderes<br />
als Gott annehmen, ginge das Denken ins Uferlose; deshalb muss Denken doch am<br />
Widerspruchsprinzip festhalten und an einem letzten Maß<br />
o erst in der Postmoderne wurde das Denken populär, dass man hierauf verzichtete<br />
o Irenäus: es braucht das Allumfassende (vgl. Anselm von Canterbury: Gott ist<br />
dasjenige, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann) – der letzte<br />
universale Horizont, dogmatisch: Gottes universaler Heilswille<br />
- die entscheidende Folge dieser Grundannahme: wenn Gott allumfassend ist, dann kann er<br />
nichts Fremdes mehr begehren, und deshalb ist er neidlos<br />
o mit diesem Argument glaubte er, das markionitische Argument von zwei Göttern aus<br />
den Angeln zu heben<br />
- wenn es nun einen Gott gibt, der identisch ist mit Schöpfer und Erlöser, wie sind nun die<br />
unterschiedlichen Geschichten auszulegen (Irenäus als der Pate für typlogische Exegese):<br />
o der eine Gott, die vielen Widersprüche<br />
o Irenäus geht von einer inneren Einheit der Schriften aus, bestehend in der Ausrichtung<br />
auf Christus<br />
o die einzelnen Geschichten sind Typoi (Vorbilder, Schatten, Andeutungen)<br />
- 19 -
Dogmatik I<br />
- Notwendigkeit der Typoi: weil Ökonomie (als Erziehungsprozess) dh Gott der Ewige hat<br />
den Menschen als Kinder erschaffen; und so lernt die Menschheit im Verlauf der Geschichte<br />
und Gott passt sich in seinem Handeln dem Zustand des Menschen an<br />
o plakativ gesprochen: zum Kind spricht er in deren Sprache, mit Pubertierenden flirtet<br />
oder brüllt er, mit Erwachsenen argumentiert er<br />
o Gott passt sich den veränderten Umständen an und erzieht die Menschen – er redet<br />
immer wieder anders, aber immer von demselben um desselben Willen<br />
o die Konsequenz davon ist: Rekapitulation am Ende des Prozesses, und das ist in Jesus<br />
Christus<br />
- so ist das Modell von Irenäus für die nächsten Jh. vorgelegt: ein Gott passt sich in seinem<br />
Sprechen und Handeln dem Zustand des Menschen an und spricht unterschiedlich von<br />
demselben, weshalb man das auch möglicherweise gegeneinander ausspielen kann; um die<br />
Wahrheit zu finden muss ich zum Ende des Prozesses und der ist in Christus<br />
- mit diesem Modell hat Irenäus die Auslegungstradition für die nachfolgende Jh. geprägt<br />
(typogolische Exegese, Ökonomie, Rekapitulation)<br />
- auf die Frage nach dem Zorn Gottes bedeutet das: die Aussagen von Zorn sind zu Aussagen<br />
von Gerechtigkeit umzuinterpretieren<br />
o es ist ein pädagogisches Konzept: Gott zürnt, weil es ihm um Gerechtigkeit geht<br />
o Irenäus depotenziert die Aussagen Markions, aber eine Lösung ist es nicht<br />
o Gott versucht die Menschen in einem pädagogischen Prozess zum Ende zu führen<br />
o weil Gott auf die Sünde der Menschen reagiert, Gerechtigkeit als Begriff für<br />
göttlichen Zorn, müssen sowohl Aussagen über göttlichen Zorn als auch über<br />
göttliche Liebe auf ein und denselben bezogen und auf Christus zentriert werden<br />
- wenn Markion Gott in zwei Teile zerlegt, zerstört er in beiden die Gottheit, so Irenäus<br />
o käme der Tod nicht, würde das die Verewigung der Sünde bedeuten<br />
o Gott des AT begeg<strong>net</strong> den Menschen mit zeitlichen Strafen, der Gott des NT mit<br />
ewigen Strafen<br />
- Irenäus hat logisch das Problem gelöst, aber was ist mit jenen Aussagen, wo der Zorn Gottes<br />
dem Maßstab der Gerechtigkeit nicht entspricht? Wenn der Zorn der Gerechtigkeit entspricht,<br />
kann er nicht außerhalb des Maßstabes stehen; was ist, wo Gott schlachtet, Kinder und Greise<br />
vernichtet – ist das noch ein gerechter Richter? Gerade unter der Rücksicht der Pädagogik? Ist<br />
das nicht Sadismus?<br />
o das Modell bleibt bei Irenäus statisch, und deshalb verschwindet diese Problematik<br />
aus dem Blick der Kirche<br />
2.1.3 Rückgewinnung der dramatischen Perspektive durch Martin Luther<br />
- erst Martin Luther holt diese Problematik wieder zurück – die „Rückgewinnung des Zornes<br />
Gottes“<br />
- Luther, der in der augustinischen Tradition geschult wurde und die Sünde radikal als Verlust<br />
der Freiheit begreift; wenn der Mensch sich in der Sünde verirrt kann ihn nur ein Zorn Gottes<br />
treffen<br />
- seine Grundfrage war, wie er als sündiger Mensch dem gerechten Gott begegnen kann, denn<br />
wenn Gott gerecht ist muss der Mensch verloren sein<br />
- das Aha-Erlebnis ist die Entdeckung, dass die Gerechtigkeit Gottes keine iustitia distributiva<br />
(ausgleichend) ist sondern eine, die den Menschen gerecht macht<br />
- die Hauptunterscheidung zwischen Deus absconditus (verborgen; das nimmt der Mensch in<br />
seiner Sünde wahr) und Deus revelatus (offenbarend in Christus; macht den Mensch gerecht)<br />
o Deus revelatus: Gottvater überträgt die Sünde vom Sünder auf seinen Sohn (Gott ist<br />
derjenige der überträgt) und am Kreuz entlädt sich der göttliche Zorn über den zur<br />
Sünde gemachten Christus<br />
o gewisse Analogie zum dritten Akt (wer hat die Gewalt auf Christus übertragen? –<br />
Die Menschen; der Vater hält die Treue, die Sünder töten ihn); bei Luther ist es Gott<br />
selber der seinen Zorn entladen und ihn stillen muss<br />
- 20 -
Dogmatik I<br />
o der Mensch der auf Christus schaut, auf die Gerechtigkeit schaut, das ist die<br />
Gerechtigkeit Christi selbst, gilt als iustus, wenn er auf sich selber schaut bleibt er<br />
peccator<br />
o der Mensch ist Sünder und Gerechtfertigter zugleich<br />
o mit dieser Denkfigur hat Luther den Zorn Gottes wieder in die Mitte der christlichen<br />
Erfahrung hereingeholt<br />
2.2 der einsame oder kommunikative Gott: begriffliche<br />
Präzisierung im konfliktiven Prozess<br />
2.2.1 mittelplatonische und stoische Logoslehre<br />
- ist Gott einsam? Sind Gott und die Welt ein und dasselbe?<br />
- die Sprache des Dogmas – und das ist Zentrum der Christologie – ist am Punkt angelangt,<br />
wo beide Sprachen verbunden werden: philosophische Bibelkritik (unterschiedliche<br />
Aussagen) und die Frage nach der Bedeutung von Jesus Christus<br />
- der Ansatz für diese Problematik ist vor Christus zu suchen, in der Philosophie von Philo von<br />
Alexandrien<br />
o lebte in Alexandrien (Ägypten)<br />
o der aufgeklärte Stoiker und Mittelplatoniker versucht seinen griechischen Freunden zu<br />
beweisen, dass die Schriften des AT nicht widersprüchlich sind, dass Gott den<br />
Mustern der philosophischen Kritik gerecht wird: Leidensunfähigkeit und<br />
Unveränderlichkeit (Apateia)<br />
Veränderung ist wenn eine Möglichkeit zu einem Zustand wird (Bewegung)<br />
o Leidensfähigkeit wird als Bewegung der Seele gedeutet<br />
o Philo versucht, die atl Schriften demgegenüber durchzuziehen und betreibt<br />
philosophische Bibelkritik<br />
o auch er spricht von Anpassungen Gottes an das menschliche Begriffsvermögen<br />
(deshalb spricht Gott in Geschichten)<br />
o er führt jene Figur hinein, die für christliche Spekulationen von entscheidender<br />
Bedeutung sein wird: gemäß Philo geschieht die Offenbarung Gottes in der<br />
Geschichte bereits durch den Logos<br />
o der Logos sei Schöpfungsmittler, dh durch den Logos schafft Gott die Welt<br />
o Philo siedelt den Logos als Grenzscheide zwischen Schöpfer und Geschöpf an;<br />
Logos unterscheidet Geschöpf vom Schöpfer<br />
ist Fürsprecher des Sterblichen, andererseits Abgesandter des Herrschers<br />
weder als ein Ungeschaffener wie Gott noch wie die Menschen geschaffen,<br />
also in der Mitte<br />
o der wahrhafte Gott ist nur einer, der Begriff „Götter“ aber sind mehrere<br />
o deshalb hat auch die Hl. Schrift an der Stelle Gen 31,13 den in Wahrheit existierende<br />
Gott mit dem Artikel bezeich<strong>net</strong> und gesagt, „ich bin ‚der’ Gott“; ein Gott, der im<br />
uneigentlichen Sprachgebrauch bezeich<strong>net</strong> wird bezeich<strong>net</strong> man ohne Artikel<br />
ist eine grammatikalische Spitzfindigkeit<br />
wird zitiert, weil den gleichen hermeneutischen Schluss wird bald darauf<br />
Origenes ziehen zur Auslegung des Johannesprologs<br />
o Philo als der erste vorchristliche Autor, der das mittelplatonische Denkschema zur<br />
Deutung der biblischen Schriften verwendet und darin von einen alexandrinischen<br />
Kirchenvätern fruchtbar benutzt wird<br />
der erste Clemens von Alexandrien zB hat Philo gelesen und kann davon<br />
reden, es gäbe den Logos als Gedanke Gottes, der zu einer<br />
Hypostase/Substanz am Anfang der Schöpfung wird und dann wird dieser<br />
Logos mit jenem Fleisch verbunden, das aus Maria, der Jungfrau, geboren<br />
wird; und damit kann Clemens auf eine philosophische Art und Weise erste<br />
Ansätze einer Inkarnationsthese schaffen<br />
auch Justin und Tertullian denken ähnlich<br />
- 21 -
Dogmatik I<br />
- Origenes von Alexandrien, wohl der größte Gelehrte der damaligen Zeit<br />
o er übernimmt das mittelplatonische Weltbild und liefert als erster ein Schema, in<br />
dem das Christentum fortdauernd die biblische Tradition auslegen kann<br />
o er knüpft an Philo und an den Johannesprolog: er entdeckt, dass es im Prolog einen<br />
doppelten Sprachgebrauch gibt, und nur <br />
* Seele Jesu<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
1. Hierarchie der<br />
<br />
Engel<br />
2. Hierarchie der Engel<br />
Seelen der Menschen<br />
1. Erschaffung 3. Erlösung<br />
2. Fall 4. Apostasis<br />
<br />
Materie<br />
o in aller Ewigkeit, der absolute Ursprung, sonder gleichen, ist , in sich<br />
ruhend, als absolute Einheit, und dieser Gott entlässt in Ewigkeit aus sich heraus in<br />
Gedanken eine Größe die sich von ihm unterscheidet (der Gedanke/das Wort<br />
Gottes), und das ist der , und das ist <br />
o durch diesen Logos, und das ist die Grenzscheide; durch den Logos hindurch die<br />
erste Hierarchie der Engel, die zweite Hierarchie der Engel und dann die<br />
menschlichen Seelen; auch die Seele Jesu ist in diesem präexistenten (also vor der<br />
Schöpfung) Raum gegenwärtig<br />
o die mögliche Welt vermittelt durch den ersten Gedanken, abgestuftes Modell<br />
o das hat nur Sinn, wenn die Seelen auf den Logos schauen und der Logos schaut den<br />
Vater<br />
o nun sind die Seelen der Menschen in der Ewigkeit der Anschauung des Logos<br />
überdrüssig geworden oder sie wurden neugierig auf das, was unten ist, und die<br />
Folge war der große Abfall, und das ist der Punkt, wo die Schöpfung kommt, wo die<br />
Materie dazu kommt, wohin sich die Seelen als Seelenfunken hineinverirren<br />
o die Seele Jesu bleibt dem Logos treu<br />
o wir haben jetzt nun die Schöpfung der Materie mit den Seelenfunken aller<br />
Menschen (Erschaffung-Fall), und jetzt setzt Origenes mit seinem Programm der<br />
Erlösung ein: die Erlösung besteht: der Logos, der an der Grenzscheide steht, steigt<br />
herab, verbindet sich mit der Seele Jesu die dort blieb wo sie sein sollte, steigt nun<br />
bewusst in die Materie herab (die präexistente Seele Jesu in Verbindung mit dem<br />
Logos) nimmt Fleisch durch Maria (→ Fleischwerdung) an und sucht die<br />
Seelenfunken in der Materie<br />
o wenn sie die allerletzten Funken gefunden haben ist die Sache beendet, dh sie<br />
suchen bis zur Apokatastasis, dh Wiederherstellung, bis die letzten Funken wieder<br />
zurück auf die Stufe geraten, damit das Bild ist, wie es früher war<br />
- 22 -
Dogmatik I<br />
o die Seele Jesu wird für ihre Treue belohnt darin, dass die Verbindung mit dem<br />
Logos seinsmäßig verfestigt wird und die Seele Jesu darf in dieser<br />
wiederhergestellten Ordnung an die Stelle des Logos rücken<br />
o Origenes systematisiert viele biblische Impulse<br />
o dass das Ganze wieder passiert, ist möglich<br />
o dieses Denkmodell qua Denkmodell wurde abgelehnt, genauer die<br />
Wiederholbarkeit des Systems<br />
o das ist ein Präexistenz- und kein Seelenwanderungsmodell<br />
o das ist das Denkmodell, bei dem mit der Grenzscheide des Logos gearbeitet wird, ist<br />
der begriffliche Denkrahmen der Kirchenväter bis in die Mitte des vierten Jh., bis<br />
Athanasius der damit bricht<br />
→ Logos, identifiziert mit Sohn Gottes, sei eine Grenzscheide zwischen Gott<br />
und der Menschheit<br />
- zu einer großen Herausforderung kommt dieses Denkmodell durch einen Priester namens<br />
Arius von Alexandrien<br />
o Arius hat das origenische Denkmodell übernommen und als erster die Vorstellung<br />
der Grenzscheide infrage gestellt;<br />
o entweder ist Logos auf Seiten Gottes oder er ist auf Seiten der anderen Geschöpfe;<br />
entweder ungeschaffen und Gott oder ist geschaffen<br />
o Arius brachte das Fass zum überlaufen: „geschaffen“<br />
o es gibt keine Vermittlung, es gibt in alle Ewigkeit nur den wahren Gott, der ist<br />
eine geschlossene Einheit, unkommunikativ, der ungeschaffene Vater<br />
o zwischen dem ungeschaffenen Vater und der Welt gibt es keine Kommunikation<br />
o die Monade (dh das Einfache, nicht zusammengesetzt, unteilbar) entlässt zu<br />
Anbeginn der Zeit den Logos<br />
o Unterschied zu Origenes: bei Origenes ist der Logos ungeschaffen und ewig (wie<br />
auch alle anderen Seelen ungeschaffen und ewig sind, weshalb es ein und derselbe<br />
Prozess ist, Abstieg und Aufstieg), Arius zieht die Grenze und das erste und<br />
vornehmste Geschöpf heißt Logos<br />
o das ungeschaffene Eine, das ungezeugte Ureine sei das Urprinzip von Allem, es<br />
gibt keine Möglichkeit dieses Eine je zu erreichen<br />
o der Logos, der auf Seiten der Schöpfung steht ist kein Mittler und keine<br />
Grenzscheide, weil er geschaffen ist<br />
o das ist, was den Stein ins Rollen bringt<br />
o normalerweise wird Arius als Adoptianist verkauft, als einer, der die wahre<br />
Gottessohnschaft leug<strong>net</strong> und nur die adoptive Gottessohnschaft annimmt<br />
der Logos verbindet sich mit dem Fleisch und zur Belohnung wird Christus<br />
von Gott adoptiert<br />
da ist eine gewisse Analogie zu Origenes: die Seinseinheit sei eine Belohnung<br />
für die vorhergehende spirituell-ethische Reinheit<br />
o die große Herausforderung liegt bei der Abschaffung des Grenzmittlers und bei<br />
der klaren Entscheidung, dass der Logos geschaffen sei<br />
- das löst eine Krise aus die das Reich zu zerstören droht und Konstantin beruft das Konzil von<br />
Nizäa ein<br />
o Nizäa eine Stadt nicht weit von Konstantinopel<br />
o das Zentrum der Auseinandersetzung war Ägypten (Ägypten-Konstantinopel)<br />
o dieses Konzil ist das erste und wichtigste Konzil des Christentums, wird von allen<br />
christlichen Kirchen akzeptiert; die begriffliche Grundlage für das wird gelegt, was als<br />
begriffliche Trinitätslehre bezeich<strong>net</strong> wird<br />
2.2.2 das Konzil von Nizäa 325 (NR 155f)<br />
- das Konzil nimmt das Apostolicum und legt es aus und ergänzt es durch Formulierungen,<br />
die direkt gegen Arius gerichtet sind:<br />
o gezeugt aus der Wesenheit ↔ geschaffen durch den Willen (Wesensnotwendigkeit<br />
↔ Willensfreiheit): gezeugt, nicht geschaffen; dh alles was gemäß dem Willen<br />
- 23 -
☧<br />
Dogmatik I<br />
geschieht ist frei, kann sein, muss aber nicht; Gott hat die Welt frei geschaffen, dh<br />
es hat eine Zeit gegeben, wo es die Welt nicht gab;<br />
o wahrer Gott vom wahren Gott ↔ untergeord<strong>net</strong>er Gott (durch den wahren Gott)<br />
er ist nicht hierarchisch untergeord<strong>net</strong>, sondern auf derselben Stufe<br />
o gezeugt nicht geschaffen ↔ geschaffen<br />
Arius sagt, der Logos ist geschaffen, also ein freier Akt also eine Zeit da es<br />
den Logos nicht gab<br />
die Welt hingegen ist geschaffen, sie ist das Ergebnis göttlicher Freiheit<br />
zeugen widerspricht dem Axiom der Apateia<br />
Gott entlässt aus seinem Wesen, und dh es gab keine Zeit da es den Logos<br />
nicht gab<br />
„Vater“ ist als Begriff nur sinnvoll, wenn es den Sohn gibt, und deshalb ist<br />
Gott seit aller Ewigkeit Vater<br />
o wesenseins (→ ὁμοοúσιο) → unius substantiae cum Patre; die eine göttliche<br />
Ousia (essentia: Wesen) und Hypostase (substantia) des Vaters und des Sohnes<br />
– , das gleiche): Nizäa identifiziert die<br />
Begriffe essentia/Wesen und /substantia/Substanz, der<br />
Vater<br />
das Anliegen des Konzils ist es, die Identität der beiden auszusagen<br />
Schwierigkeit die Nizäa nicht löst, sondern nach Nizäa einen Kampf mit sich<br />
bringt: wie sind beide zu unterscheiden? Wenn sie selben Wesens und selber<br />
Substanz sind, sind sie identisch?<br />
deswegen auch 325 die Übersetzung mit „wesenseins“; ein paar Jahrzente<br />
später wird ὁμοοúσιο mit „wesensgleich“ übersetz, weil die beiden Begriffe,<br />
die identifiziert werden, in nachträglichen Auseinandersetzungen<br />
unterschieden, ja einander entgegengesetzt werden<br />
325 bedeutet ὁμοοúσιο Substanz, beim Konzil von Chalcedon aber Person;<br />
Person ist Frage von Relation, nicht Frage von Substanz<br />
2.2.3 der Kampf um das Konzil<br />
- → der Vater hat dasselbe numerische Wesen wie der Sohn; wie sind sie zu unterschieden?<br />
– Nizäa vernachlässigt die Differenz, legt deswegen für die Gegner des Konzils den<br />
Verdacht nahe, Nizäa wäre modalistisch (Modalismus, lat. modus, Art und Weise): die<br />
Anschauung – unabhängig von der arianischen Schwierigkeit – wer Vater, Sohn und Geist<br />
sind, nämlich ein und derselbe, nur um der Menschen Willen auf verschiedene Art und<br />
Weise offenbart unter verschiedenen Modi (einmal als Vater, einmal als Sohn, einmal als<br />
Geist)<br />
o modi sind bloß Masken (griech. , lat. personae)<br />
o der uns später gebrauchte Begriff Person zur Bezeichnung einer personalen Identität<br />
ist Ergebnis der christologischen Auseinandersetzung<br />
o was verdankt die Welt christologischer Auseinandersetzung? – den Begriff „Person“<br />
o dh die vorhandenen Worte, die es gab, aber etwas anderes bedeuteten, sind im Laufe<br />
der Zeit so transformiert worden, dass sie der Sache entsprechen, und so kam der<br />
Begriff Person für die personale Identität<br />
- danach: kulturpolitischer Umbruch; nachdem das Konzil Arius exkommuniziert und<br />
dogmatisch gegen ihn vorging und das Konzil zu Ende war, sind alle Bischöfe auf die andere<br />
Seite getreten (zur arianischen Partei), alle bis auf einen einzigen: Athanasius von<br />
Alexandrien<br />
2.2.4 Integrationsfigur: Athanasius von Alexandrien<br />
- als Einziger hielt er am Konzil fest, zT sogar stur<br />
- deswegen der Gegenpartei Öl ins Feuer gegossen hat<br />
- 24 -
Dogmatik I<br />
- Synode von Sardika, heute Sofia: Athanasius hat im fortschreitenden Streit durchgesetzt,<br />
dass beide Begriffe identisch sind und damit den Gegnern des Konzils zur Meinung<br />
verholfen, das Konzil wäre modalistisch gewesen (Gott wäre nur eine Monas die sich in<br />
unterschiedlichen Gestalten zeigt)<br />
- Athanasius hielt am Wortlaut fest, wurde vom Kaiser verfolgt, fünf Mal verbannt bis nach<br />
Trier<br />
- er war fähig einzusehen, dass die Gegner des Konzils ein legitimes Anliegen haben,<br />
nämlich das Konzil hat die Differenz nicht ausgesagt<br />
- wenn man ein Kriterium für kirchliche Wahrheit iSe Dogmas hat, dann ist ein Dogma<br />
dann erst eines, wenn das legitime Anliegen der Gegner in die Formulierung eingeht; also<br />
nicht eine sture Wiederholung der Formel, sondern Integration des Gegners (Vatikanum<br />
II: Wahrheit muss gewaltfrei sein)<br />
- Athanasius als die Integrationsfigur par excellence; das Dogma von Nizäa darf als Dogma<br />
gesehen werden, weil es nach der Formulierung zu Aussagen findet, wo Identität und<br />
Differenz ausgesagt werden<br />
- Eusebius: das neuplatonische Weltbild eig<strong>net</strong> sich wunderbar als weltliche Herrschaft<br />
o Christus als Grenzscheide zum Vater, der Kaiser als Ikone Christi<br />
- Nizäa stellt eine Weltbildrevolution dar, weil Nizäa+Athanasius das Ende des<br />
neuplatonischen Weltbildes mit sich bringt<br />
o verglichen mit Arius: er dachte so, es gäbe keine Grenzscheide, es gibt den<br />
unkommunikativen ewigen Gott und die Geschöpfe, das vornehmste darunter ist<br />
der Logos<br />
o Nizäa ist in der Logik so, es gibt keine Grenzscheide, es gibt nur die<br />
Unterscheidung geschaffen-ungeschaffen, Christus ist nicht Grenzscheide, aber<br />
Logos/Christus gehört an die Seite des ewigen Vaters<br />
dh es ist ein Versuch, und die richtige Ausformulierung wird noch Jahre<br />
brauchen, Einheit und Vielfalt in einem Atemzug auszusagen<br />
→ beachte: unsere menschliche Sprache erlaubt den Unterschied eigentlich<br />
problemlos so auszusagen: ich unterscheide mich von jemand anderem, weil<br />
ich über oder unter ihm stehe (also hierarchischer Unterschied)<br />
das eine, und bei Arius sehr deutlich festgehalten, ungeteilte Wesen Gottes<br />
zuoberst und die große Vielfalt unten<br />
das christliche Gottesbild, das in Nizäa bezeugt wurde ist ein Versuch, Einheit<br />
und Vielfalt ohne die Hierarchie auszusagen; Gott ist in sich vielfältig, ohne<br />
dass hierarchische Unterschiede festgestellt werden, ja mehr noch, es gibt<br />
keine direkte Kommunikation von unten nach oben (keine Grenzscheide), dh<br />
der dreifaltige Gott kann unmöglich als Legitimationsfigur für irdische<br />
Herrschaft gelten!<br />
das dürfte Kaiser Konstantin bald bemerkt haben, dass das Werk des Konzil<br />
kontraproduktiv für politische Herrschaft war, weswegen er sich dem<br />
Arianismus zuwandte (→ Papst ist NICHT Stellvertreter Gottes [= Häresie],<br />
er vertritt den Menschen Jesus)<br />
- wenn die Moderne von der Gleichheit aller Menschen spricht ist das schwierig, wie kann<br />
gleich und unterschieden gehen? Gleichheit hieße ja es gäbe keine Differenzen<br />
o Trinität heißt, es gibt größte Gleichheit und größte Differenz, aber ohne hierarchische<br />
Zuordnung<br />
- ∑: Leistung von Nizäa: Schluss mit dem platonischen Weltbild (bis dahin gängig);<br />
entweder geschaffen oder ungeschaffen, Verlagerung der Differenz in den Begriff Gottes<br />
selbst<br />
o dh der Sohn/der Logos hat dasselbe Wesen wie der Vater<br />
o der eine Gott und zwei verschiedene gleiche Personen<br />
o wie steht es nun mit dem Geist?<br />
- 25 -
Dogmatik I<br />
2.2.5 die subordinatianistische Logik der Pneumatomachen<br />
(Geistbekämpfer)<br />
- haben zwar Nizäa anerkannt, der Geist sei aber nur ein Engel<br />
- das Konzil von Konstantinopel versucht die Problematik zu lösen, es vermeidet die<br />
Einführung von philosophischen Begriffen in das Glaubensbekenntnis sondern umschreibt:<br />
o der Geist wird mit dem Vater und dem Sohn angebetet (die Kultform die einzig Gott<br />
zukommt) und verherrlicht<br />
o er hat durch die Propheten gesprochen<br />
- die Diskussion lautete: ist das Wirken Gottes identisch mit dem Wirkend des Parakleten<br />
oder gibt es Unterschiede?<br />
o die Kirche findet mit der Zeit zu großen Unterschieden<br />
- sie sehen im Geist, was Arius im Logos gesehen hat – ein Geschöpf<br />
o einen der ersten geschaffenen Engel<br />
o das Modell, das die Pneumatomachen zur Deutung der Bibel vorlegen: der Sohn sei<br />
zwar wesensgleich, der Geist aber sei ein Geschöpf<br />
- gegen die Pneumatomachen treten die Kappadozier auf (Basilius der Große, Gregor von<br />
Nyssa und Gregor von Nazianz)<br />
o sie reden vom Geist als Gott<br />
o fordern dieselbe Verehrung: Anbetung<br />
2.2.6 Konstantinopel I 381 (NR 250)<br />
- diese Theologie wird 381 im Konstantinopoletanum I dogmatisiert, analog zu Nizäa wird die<br />
Gottheit des Hl. Geistes ausgesagt<br />
- aufgrund der Erfahrung mit Nizäa führt nun keine philosophische Definition zum Ziel,<br />
sondern die biblisch-liturgische Sprache<br />
o Gottheit des Hl. Geistes wird mit dem Begriff „Herr“, „Lebensspender“ (ein<br />
Geschöpf hat das Leben nur, weil es geschenkt wurde; der Geist ist kein Geschöpf<br />
weil er selber Spender des Lebens ist)<br />
o er geht vom Vater aus; für diesen Ausgang des Geistes vom Vater, für die Beziehung<br />
benutzt nun das Konzil keinen direkten Begriff, es wird nur vom Hervorgang aus<br />
dem Vater gesprochen<br />
o die spätere lateinische Tradition ergänzt es mit dem filioque, also er geht auch vom<br />
Sohn aus<br />
o spiratio, Hauchung (der Geist wird ausgehaucht)<br />
- die entscheidende Aussage zur Festlegung des Status des Geistes: er wird mit dem Vater<br />
und dem Sohn angebetet, dh sie sind auf derselben Ebene zu sehen und seine<br />
Heilgeschichtliche Rolle ist das Sprechen durch die Propheten<br />
- dadurch entsteht das Nizäno-Konstantinopolitanum, das Bestandteil der alten Liturgie war<br />
und auch der neuen Liturgie ist<br />
o das Glaubensbekenntnis dogmatisch gefüttert als Rahmen zur Auslegung der<br />
biblischen Geschichte<br />
o damit ist das dogmatische Ringen um die Wahrheit Jesu Christi, die nicht losgelöst<br />
werden kann von der Wahrheit des Hl. Geistes, abgeschlossen → klassische<br />
Trinitätslehre<br />
2.2.7 Identität und Differenz<br />
- Trinitätslehre ist nicht nur eine Aufzählung, sondern Benennung von Vater, Sohn und Geist<br />
und auch Reflexion, wie sie zusammengehören – Einheit und Differenz<br />
o sie haben das eine göttliche Wesen<br />
o sie sind unterschiedliche göttliche Personen<br />
- Gott der Ungeschaffene einerseits, die Welt geschaffen andererseits<br />
- Gott als der Inbegriff von Einheit und Differenz<br />
- 26 -
Dogmatik I<br />
- Nizäa macht klaren Unterschied zwischen geschaffen und ungeschaffen: das Absolute ist<br />
Einheit und Differenz zugleich<br />
o hier wird sowohl die Sprache als auch die Kulturgeschichte auf neue Bahnen gelenkt<br />
o – : die ursprünglichen Begriffe von Nizäa für die Einheit werden<br />
durch die Einheit der Kappadozier einander entgegengesetzt<br />
o der Begriff , der ursprünglich Substanz bedeutet, also der<br />
Naturphilosophie entspricht, wird durch eine kreative Neubildung jene Inhalte<br />
aufnehmen, die bis dahin der alte Begriff (persona, Maske) hatte<br />
o dieser Begriff wird dann mit dem Begriff verbunden, und der<br />
neue Begriff zur Bezeichnung der göttlichen Personen bedeutet beides:<br />
Selbststand (Beziehung) und auch Erscheinungsweise (Maske nach außen)<br />
o als so verstandene (Hypostase des Vaters, Hypostase des Sohnes und<br />
Hypostase des Geistes) stehen diese drei Begriffe der einen Gottes (dem<br />
einen Wesen) gegenüber<br />
- Gott eine Einheit und Differenz zugleich, und zwar eine Differenz, die unendlich ist, in der<br />
alles Mögliche einen Platz hat<br />
- damit könnte man sagen, sei die erste Auseinandersetzung beendet<br />
o Gott ungeschaffen, Einheit und Vielfalt, der offenbarungstheologisch Beziehung<br />
zur Menschheit aufnimmt und sich durch den Logos offenbart und durch ihn<br />
Mensch wird und durch den Geist spricht<br />
o der Logos ist wesensgleich mit dem Vater, wie steht es aber mit dem<br />
menschgewordenen Sohn? Wie ist die Identität des menschgewordenen Sohnes zu<br />
unterscheiden?<br />
2.3 das Ringen um die Wahrheit des einen Gott-Menschen:<br />
begriffliche Präzisierung im konfliktiven Prozess<br />
- was wir hier besprechen mündet im Konzil von Chalcedon, diese Frage betrifft liturgisch das,<br />
was die Kirche am 25.3. oder 25.12. feiert, nämlich Menschwerdung des Logos<br />
o bisher besprachen wir die Verhältnisse in der Ewigkeit<br />
o wir haben jetzt das Wesen des Logos, das hat mit Jesus von Nazaret zuerst gar nichts<br />
zu tun, sondern wie seit aller Ewigkeit das Wesen Gottes zu beschreiben ist (noch vor<br />
der Welt)<br />
o dieser Logos nun verbindet sich in der Geschichte mit einer historischen Existenz,<br />
Jesus von Nazaret<br />
- dass er wahrer Gott ist hat Nizäa bereits definiert<br />
- wahrer Mensch? – die Zeitgenossen hatten damit kein Problem<br />
- wegen der Herausforderung der Gnosis und des Doketismus (von griech. , zum<br />
Schein)<br />
o sehr bald nach Tod und Auferweckung Christi hat es aufgrund gnostischer<br />
Versuchungen die Anschauung gegeben, dass das Sichtbare an Christus ein göttliches<br />
Wesen sei, das zum Schein einen menschlichen Leib angenommen hat (Scheinleib)<br />
o der Doketismus, die Gnosis, extrem leibfeindlich, identifiziert das Unheil, die Sünde<br />
mit Materie und es ist für sie unvorstellbar, dass letzten Endes das Göttliche eine<br />
innere Verbindung mit dem Materiellen (dem Leib) eingehen kann<br />
o dem gegenüber das Bekenntnis des Christentums zur incarnatio, zur Fleischwerdung<br />
- diese Auseinandersetzungen sind sehr dramatisch, es gibt Widersprüche, Feindschaften,<br />
Konkurrenz, Hass, Sackgassen, aber schlussendlich auch Versöhnung<br />
o es geht hier nicht nur um theoretische Begriffe (kein Gelehrtenstreit), sondern um<br />
existentielle Deutungen jener Geschichten die mit Jesus von Nazaret verbunden sind<br />
o die politischen Konsequenzen, das bedeutet, dass die weltlichen und geistlichen<br />
Machtträger um den Vorrang rivalisierten<br />
- die Gegend wo sich das Ganze abspielt ist um das Mittelmeer, und die Zentren heißen<br />
Alexandrien, Antiochien – diese beiden Patriarchate sind wie Hund und Katz – und<br />
Konstantinopel<br />
- 27 -
Dogmatik I<br />
o Alexandrien: der Ort der großen Gelehrsamkeit; Origenes, Arius, Apollinaris; im<br />
heutigen Ägypten; Mönche haben Sehnsucht nach der Gottheit, ihre Perspektive ist<br />
Gottheit → Denken von der Gottheit (Askese, Wüste), Menschheit will man<br />
eigentlich überwinden; alexandrinische Position heißt Einigungschristologie (und es<br />
siegt die Gottheit)<br />
o Antiochien: zweites Patriarchat, heute in der Türkei; hauptsächlich Exegeten; sind<br />
differenziert, versuchen die Menschheit Jesu zu betonen und zu retten, um sich von<br />
den Alexandrinern zumindest zu unterscheiden<br />
o beide Schulen müssen gegen Konstantinopel bestehen: meistens kommt der<br />
Patriarch aus antiochenischen Kreisen; die Alexandriner haben in Konstantinopel<br />
ihre Klöster und Äbte, also die Auseinandersetzung verlagert sich in die Hauptstadt,<br />
und dort haben wir die Machtkonstellation: es gibt die alexandrinischen Äbte und<br />
den meist antiochenischen Patriarch<br />
der Ort der Auseinandersetzung ist entweder in Konstantinopel oder in der<br />
Nähe (Nizäa, Chalcedon)<br />
o dann gibt es noch, weit entfernt, Rom: irgendwann greift er vermittelnd ein; dieser<br />
Eingriff von Rom ist die Sternstunde der Dogmatik<br />
Rom<br />
<br />
Alexandrien Antiochien<br />
Konstantinopel<br />
<br />
- es geht jetzt nur noch um Jesus Christus: was nach Nizäa wesensgleich mit dem Vater ist wird<br />
aus Maria geboren<br />
2.3.1 alexandrinische vs. antiochenische Tradition: Einheit in Christus<br />
aus der Perspektive des göttlichen (fleischgewordenen) Logos vs.<br />
Unterschied im Christus (Eigenwert menschlicher Seele Christi)<br />
- die alexandrinische Schulde denkt aus der Perspektive der Einheit, und stärker ist die<br />
Gottheit, also sie denken von der Perspektive der Gottheit<br />
o Kurzformel: es geht um den fleischgewordenen Logos (Betonung auf Logos)<br />
- demgegenüber Antiochien: welche Bedeutung hat der Mensch Jesus von Nazaret?<br />
- NB: wichtige Namen Origenes (neuplatonisches Denkmuster), Arius (der Logos ist<br />
geschaffen), Athanasius (prägt und verteidigt Nizäa), Apollinaris<br />
2.3.1.1 Apollinaris und das Konzil von Ephesus 431 (NR 158f)<br />
- er hat ein Denkschema vorgelegt, dass im Grunde jeder versteht und die Christologie lange<br />
prägte: zB ein Glas Wasser: wenn das Glas voll ist und man gibt noch etwas hinein, dann<br />
schwappt es über – wenn das Gefäß voll ist kann etwas neues nur hinzukommen wenn etwas<br />
anderes geht<br />
- wie kann ein Gottmensch gedacht werden? Nur analog zu dem, wie der Mensch konstituiert<br />
ist, und der Mensch ist dreigliedrig konstruiert: / (Fleisch/Leib), (Seele;<br />
damit ist eine niedere Seele gemeint, was man heute die Sinnempfindungen nennt) und dann<br />
(die höhere Seele, der höhere Geist)<br />
- das Zentrum dessen, was den Menschen ausmacht, ist der höhere Geist, von dem alles<br />
Denken ausgeht, er regiert über die Sinne und das Fleisch, dh der Mensch ist Mensch weil er<br />
die Vernunftseele hat<br />
- wie ist dann Christus zu denken?<br />
o in Christus ist der Logos<br />
o der Logos kann nicht an die Stelle des Fleisches gesetzt werden, denn Christus hat<br />
gelitten und wurde ans Kreuz geschlagen<br />
- 28 -
Dogmatik I<br />
o hatte er, da er leiden musste, er muss auch haben, aber in Christus wird<br />
die menschliche Vernunftseele durch den Logos ersetzt; dh Jesus ist eine Mischung<br />
o also Christus:<br />
<br />
menschliche <br />
menschliches <br />
o → später kommen Denker die von Christus als „himmlisches Maultier“ sprechen<br />
o entscheidend ist der göttliche Logos, von dem alles ausgeht<br />
- man hat diese Position später Monophysitismus genannt (eine Natur), und zwar weil vom<br />
Logos sämtliche Tätigkeiten ausgehen, weil Logos die ganze sinnliche Seele und das<br />
Fleisch überblendet, ist Christus nichts anderes als eine fleischgewordene Natur, und zwar<br />
göttliche Natur (Kurzformel des Apollinaris: : eine fleischgewordene Natur)<br />
- diese Position Apollinaris’ erregt Anstoß bei einem Jerusalemer Patriarchen, und diese<br />
Formulierung () wird bei einer partikulären Synode in Rom als häretisch verurteilt<br />
o eine häretische Formel des Apollinaris, im Umkreis der Alexandriner<br />
o NB: bisherige Erzketzer: Markion, Arius, Apollinaris (Monophysitismus)<br />
- die Gegenposition vertreten die Nestorianer<br />
2.3.2 der unglückliche Vermittler Nestorius im Streit der Priester/Mönche<br />
und der Eifer des Cyrill von Alexandrien<br />
- Antiochien, große Schule der Exegeten, einer der berühmtesten war Theodor von<br />
Mopsuestia, der einen Schüler Namens Nestorius hat, der dann Patriarch wird, und Theodor<br />
muss Konsequenzen für seinen Schüler tragen<br />
- NB: diese Nestorianische Kirche breitete sich bis in die Mongolei und nach China aus; wäre<br />
die Auseinandersetzung etwas versöhnlicher gelaufen und hätte man Nestorius nicht als<br />
Sündenbock geopfert, wer weiß, wie die Weltkarte heute aussähe<br />
- der Patriarch von Alexandrien, Nestorius, ist konfrontiert mit einem fleißigen Prediger, der<br />
Marienpredigten hält, und darin spricht er ständig davon, dass Maria eine ἄνρωποτόκος<br />
(Menschengebärerin) war<br />
o Nestorius schlägt dem Prediger vor, er soll nicht von ἄρωποτόκος reden, sondern<br />
von (Christusgebärerin)<br />
o wer ist Christus? Wo der ewige Logos mit dem Jesus von Nazaret in Erscheinung<br />
getreten ist<br />
o Maria wäre also nicht Menschen- sondern Christusgebärerin<br />
o Nestorius sagt , der Patriarch von Alexandrien (Cyrill) sagt das sei<br />
Häresie, denn Maria sei vielmehr (Gottesgebärerin)<br />
o → eine fleischgewordene göttliche Natur<br />
- Wie denken wir über Jesus Christus? Eine Natur will sich gegen eine andere durchsetzen?<br />
Das wäre das apollinarische Modell, die göttliche Natur verdrängt etwas vom Menschen. Das<br />
Alexandrinische Modell hat eine subtile Rivaltiätsanfälligkeit; Nestorius versucht zu<br />
vermitteln in einem Streit<br />
- Cyrill drängt auf ein Konzil, die Patriarchen streiten, das Konzil wird nicht in Konstantinopel<br />
einberufen sondern in Ephesus<br />
- es gibt eine Identität des Sohnes, die zurück hinter die Schöpfung geht – dafür bürgt Nizäa,<br />
der ewig wesensgleiche Sohn: er wird in der Zeit geboren, aber geboren auf welche Weise<br />
und als wessen Sohn?<br />
o das Denkmodell das gleich da ist, ist die Frage nach der Mischung: ist es eine<br />
Kreuzung aus Mensch und Gott? Transformation des menschlichen Fleisches?<br />
o die Versuchung die Identität Christi so zu denken hat es gegeben, es gibt sie auch in<br />
verschiedenen Kirchen der alexandrinischen Tradition (→ die alexandrinische<br />
Versuchung);<br />
Kurzformel dieser Vermischung, die als „apollinarisch“ verurteilt wurde, eine<br />
fleischgewordene göttliche Natur<br />
- 29 -
Dogmatik I<br />
o die antiochenische Schule versucht zu unterschieden zwischen Gott und Mensch, die<br />
Gegner unterstellen ihnen eine Trennung, eine zwei-Söhne-Lehre;<br />
o der große Krach zwischen den beiden Schulen war dann die „Räubersynode“, wo sich<br />
dann mit Gewalt die Monophysiten durchsetzen (die eine , die etwas vom<br />
Menschen angenommen hat)<br />
o dann die Reaktion aus Rom: Tomus Adflavianum, der Brief Leos an den abgesetzten<br />
Patriarchen von Konstantinopel<br />
Leo nimmt die Entwicklung auf und versucht zu vermitteln<br />
dieser Brief an Flavian wird zur Grundlage dessen, was wir orthodoxe<br />
christologische Formel der alten Kirche nennen<br />
2.3.3 Konzil von Ephesus 431 (NR 160-163, 167, 172)<br />
- die Alexandriner und Antiochener reisen nach Ephesus, die Alexandriner waren schneller da<br />
- Cyrill mit seinen Getreuen kam an und nutzte die Gunst der Stunde und eröff<strong>net</strong>e das Konzil<br />
- das Konzil von Ephesus besteht eigentlich aus zwei Versammlungen: die Alexandriner halten<br />
Konzil ohne die anderen, sie exkommunizieren Nestorius und dogmatisieren ihre Position<br />
- vier Tage später kommen die Antiochener an und exkommunizieren die Alexandriner<br />
- aber auf welcher Seite steht nur der Kaiser?<br />
- Ergebnisse: NR 160-162: Maria als , das Wort der hat sich dem<br />
Fleisch nach geeint und es ist eine seinshafte Vereinigung<br />
o die Alexandriner haben die Position als Lehre von zwei Söhnen verstanden, nämlich<br />
den Sohn des Vaters (der in Ewigkeit aus dem Vater geboren ist) und den Sohn Mariä<br />
(der in der Ewigkeit aus Maria geboren wurde)<br />
- → zwei Versammlungen in Ephesus, sich gegenseitig exkommunizierend, jede Partei<br />
verzerrt die gegnerische Position bis zur Unkenntlichkeit<br />
- die Antiochener haben Recht wenn sie den Alexandrinern vorwerfen auf eine häretische<br />
(apollinarische) Weise zu reden, die Alexandriner werden den Antiochener eine zwei-Söhne-<br />
Lehre vorwerfen (was Nestorius nie gelehrt hat!)<br />
o NB: Nestorianismus ist eine häretische Position, aber Nestorius hat das nie gelehrt;<br />
Nestorianismus ist: zwei Söhne, der Sohn des Vaters und der Sohn Mariens, die sich<br />
voneinander nicht nur unterscheiden, sondern getrennt gedacht und nachträglich in<br />
eine Verbindung gebracht werden<br />
2.3.3.1 polemische Dogmatisierung in Ephesus<br />
- Fazit: Cyrill: Maria sei , denn das beseelte Fleisch Jesu hat seine Subsinstenz im<br />
ewigen Logos; Einheit in Christus: gemäß der und gemäß der <br />
o Einheit gemäß der Hypostase ist problematisch, weil Hypostase zu der Zeit noch<br />
mit der Physis identisch ist → also zu dieser Zeit monophysitismusverdächtig (ist<br />
also ein Extrem zu dieser Zeit)<br />
o Cyrill dogmatisiert das in Ephesus, die Gegenversammlung wird kaum gehört<br />
o der Kaiser aber pocht auf Versöhnung und zwei Jahre nachher kommt es zu einer<br />
Versöhnung<br />
- Integration der berechtigten Anliegen der Gegner (Versöhnung auf Kosten des<br />
Sündenbocks Nestorius) – man einigt sich auf Termini, und das war möglich, weil man die<br />
lebendige Rivalität ausschloss, im Klartext, dass Nestorius fallen gelassen wurde<br />
o vor der Versöhnung: Antiochener: Jesus sei ein (Maske), in der zwei<br />
Hypostasen und zwei Naturen sind;<br />
o die Rede der Alexandriner war anderes: Christus sei eine Natur und eine Hypostase,<br />
die Fleisch geworden ist<br />
- 30 -
Dogmatik I<br />
Antiochener Alexandriner<br />
1 Prosopon 1 Natur<br />
2 Hypostasen 1 Hypostase<br />
2 Naturen 2 Naturen<br />
- die Antiochener verzichten auf die Redeweise von zwei Hypostasen (menschlich und<br />
göttlich) in Christus, die Alexandriner verzichten auf jene Redeweise, die ausdrücklich als<br />
apollinarisch verurteilt war, nämlich von einer Natur (fleischgewordene Natur)<br />
- auf diese Art entsteht der neue Begriff 1 Hypostase, 1 Prosopon, 2 Naturen<br />
- also, neue Sprache wurde gefunden; man könnte sagen, das Problem sei erledigt – es war eine<br />
politisch korrekte Lösung (und das ist eine sprachliche Regelung, die aber nicht lebendige<br />
Konflikte löst)<br />
2.3.3.2 Eutyches und die Räubersynode 449<br />
- Cyrill ist weg, es kommt Eutyches der meint, die Sache weiter klären zu können und sagt, es<br />
hätte schon zwei Naturen gegeben, aber vor der Einigung, danach sei doch nur eine Natur<br />
übriggeblieben<br />
- er ist derjenige, der ausdrücklich das Bild vom „himmlischen Maultier“ verwendet<br />
- hier wird der Monophysitismus in Reinkultur gelehrt<br />
- → das ist die nächste Generation (erste Generation waren Cyrill und Nestorius)<br />
- hier ist Flavian in Konstantinopel Patriarch (kommt aus Antiochien)<br />
o er verurteilt den Eutyches woraufhin die aufgebrachten Alexandriner die so genannte<br />
„Räubersynode“ in Ephesus veranstalten,<br />
o sie setzen Flavian dort ab, sie rehabilitieren Eutyches<br />
o „Räuber“synode, weil Gewalt ausgeübt wurde, weil Menschen gezwungen wurden<br />
Dinge zu unterzeichnen, die sie nicht wollten<br />
- was klar bleiben muss sind die Positionen: wir sind unterwegs zu Formeln; eine dramatische<br />
Auseinandersetzung zwischen Parteinen die die Gottheit betonen, bzw. die die<br />
Menschheit betonen<br />
- der Patriarch von Konstantinopel wird also abgesetzt, Eutyches wird rehabilitiert (Jesus<br />
Christus ist ein himmlisches Maultier, vermischt)<br />
- auf diese Situation hin greift endlich Rom ein<br />
2.3.4 geglückte Vermittlung aus Rom: Papst Leo I. (NR 173-177)<br />
- dieser Eingriff aus Rom gilt in der Dogmengeschichtsschreibung als das Paradeexempel<br />
einer Vermittlungsaktion durch den Papst, der in einen lokalen Konflikt eingreift und<br />
Erfolgt hat<br />
- der Brief des Papstes Leo an Flavian (tomus Leonis), den abgesetzten Patriarchen von<br />
Konstantinopel, der den Patriarchen unterstützt, ist vermutlich das geglückteste Beispiel der<br />
dogmatischen Literatur<br />
- NR 173-177 ( für die Prüfung alles durchlesen!)<br />
- 173: der ewige Logos ist vom Hl. Geist und der Jungfrau geboren worden; das<br />
antiochenische Zerrbild (zwei Söhne, zwei Geburten) → Leo: ein und derselbe in der<br />
Ewigkeit und in der Zeit<br />
o hier wird das Modell der Rivalität ausgeschlossen<br />
- 174: Eigentümlichkeit beider Naturen, das Eine wird durch das Andere nicht ersetzt<br />
- 177: „Denn es wirkt jede der beiden Naturen in Gemeinschaft mit der anderen, was ihr<br />
eigen ist“ ( diesen Satz sollte man auswendig kennen)<br />
o nicht gegeneinander, sondern in Kooperation, in Gemeinschaft mit der anderen<br />
o Gretchenfrage: was wirkt das Wort? was verrichtet das Fleisch? Wort = , <br />
= menschliche Natur<br />
dogmatisch relevant ist, dass er gelitten hat, und zwar das Fleisch (die<br />
menschliche Natur) hat gelitten<br />
- 31 -
Dogmatik I<br />
das Wort, als Logos, ist eigentlich leidensunfähig<br />
o Idiomenkommunikation: ist eine sprachanalytische Regel dogmatischer Art, wie<br />
Eigentümlichkeiten einer Natur ausgesagt werden können über die einer Person –<br />
wer hat gelitten? – Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch? Streng genommen<br />
die menschliche Natur, trotzdem ist es sinnvoll, was die menschliche Natur erfahren<br />
hat von der ganzen Person auszusagen (→ ungetrennt und ungesondert)<br />
Eigentümlichkeiten können konkret ausgesagt werden<br />
- Leo der Große, von Gott erleuchtet:<br />
o ein und derselbe<br />
die ewige Geburt<br />
die zeitliche Geburt<br />
o Eigentümlichkeiten beider Naturen<br />
o in einer Person (persona)<br />
in der vollkommenen Natur eines wahren Menschen<br />
der wahre Gott geboren<br />
o Kooperation<br />
jede<br />
in der Gemeinschaft mit der anderen<br />
war ihr eigen ist<br />
o Idiomenkommunikation<br />
- der Brief des Papstes an Flavian: Identität und Unterschied von Mensch und Gott in Jesus<br />
Christus; Leo hat gelernt, dass man die Differenzen durch Unterscheidungen und nicht durch<br />
Trennungen aussagen kann<br />
o Antiochener haben Alexandrinern unterstellt sie trennten, sie lehren zwei Söhne<br />
2.3.5 Chalcedonisches Wunder 451 (NR 178)<br />
- NR 178 ( auch diesen Satz auswendig lernen): „Wir bekennen einen und denselben<br />
Christus, den Sohn, den Herrn, den Einziggeborenen, der in zwei Naturen unvermischt,<br />
unverwandelt, ungetrennt und ungesondert besteht.“ → der Eine und Selbe in zwei<br />
Naturen: unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert<br />
- Konzil findet statt angesichts der angespannten Lage<br />
- 450 stirbt Kaiser Theodosius, ihm folgt eine Kaiserin – das Konzil von Chalcedon ist das<br />
Werk einer Frau<br />
- es geht um eine neue Formel, eine Versöhnungsformel<br />
- die Formel, die dieses Konzil bringt, sammelt die Ergebnisse theologischer Diskussionen, sie<br />
bezieht nicht Stellung für eine Position; Flavian wird rehabilitiert, auch die antiochenische<br />
Schule (die bei der Räubersynode exkommuniziert wird)<br />
- das Konzil versucht ein Gleichgewicht zwischen Alexandrien und Antiochien zu finden, es<br />
findet also zu einer Formel, die die altkirchliche Christologie auf den Begriff bringt:<br />
hypostatische Union (dh Verbindung gemäß der Hypostase; Hypostase hieß zur Zeit von<br />
Nizäa Substanz [man landet bei den Alexandrien], zur Zeit von Chalcedon aber heißt der<br />
Begriff schon Person)<br />
o die Kurzformel: ein und derselbe in zwei Naturen, unvermischt und ungetrennt,<br />
NR 178<br />
o eine klare dogmatische Formulierung, die die bisherige Entwicklung rekapituliert,<br />
bestimmte Positionen aufsammelt und versucht den Mittelweg zu gehen<br />
o das ist an sich das Zentrum:<br />
gegen Nestorianismus (zu Unrecht mit Nestorius verbunden; eine Häresie die<br />
in den Köpfen der Gegner existiert) betont Chalcedon die Einheit der Naturen<br />
(gegen die Formulierung „einer und ein anderer“)<br />
gegen Monophysitismus (zu Deutsch eine Natur; zuerst Apollinaris, jetzt<br />
Eutyches) klar festgehalten die zwei Naturen (wahrer Gott und wahrer<br />
Mensch)<br />
die ewige Geburt aus Gott, die zeitliche Geburt aus Maria<br />
- 32 -
Dogmatik I<br />
man hat dem Nestorianismus unterstellt es gäbe zwei Personen, der<br />
Unterschied zu Chalcedon: ein und derselbe in zwei Naturen, und die<br />
beiden werden unterschiedlich beschrieben, die eine ewig aus Gott<br />
geboren, zwei verschieden Naturen in ein und demselben<br />
die Eigentümlichkeiten werden nicht vermischt/verwischt<br />
kann man Einheit denken, ohne dass Unterschiede aufgehoben werden?<br />
Chalcedon legt programmatisch ein Modell vor, Einheit ohne das Aufheben<br />
von Unterschieden<br />
unvermischt und unverwandelt gegen Apollinaris/Eutyches<br />
ungetrennt und ungesondert gegen Nestorianismus<br />
- warum das Ganze? → um uns und um unseres Heiles willen<br />
- Gehalt:<br />
o aus Nizäa: wahrer Gott und wesensgleich mit dem Vater<br />
o aus der Verurteilung Apollinaris: wahrer Mensch bestehend aus einer<br />
vernünftigen Seele, einem Leib und damit wesensgleich mit dem Mensch<br />
o aus Ephesus: Gottesgebärerin<br />
o aus dem Schreiben Leos: die eine Hypostase, die zwei Geburten, die Bewahrung<br />
der Eigentümlichkeiten der zwei Naturen<br />
- wir haben hier das zentrale Dogma der östlichen und westlichen Kirche, bis auf die<br />
monophysitischen Kirchen; es ist Basis der altkirchlichen kirchlichen Entwicklung<br />
- die Sprache des Dogmas ist die Sprache der Einheit<br />
o man muss bedenken, welche Positionen integriert wurden: Auseinandersetzungen<br />
Alexandrien-Antiochien<br />
- was ist von Chalcedon unberücksichtigt geblieben? Was gab Anlass für Streitigkeiten?<br />
o unberücksichtigt, und damit auch gleich nachfolgend Anlass zu Streitigkeiten und zu<br />
Verführung in Richtung einseitige monophysitische Interpretation, ist jene<br />
Formulierung von Leo „es wirkt jede Natur was ihr eigen ist“<br />
Chalcedon nahm die These von Leo, dass die Eigentümlichkeiten bestehen<br />
bleiben (Mensch: Hunger, Durst, Leid, Begrenzung, …)<br />
Leo sprach nicht nur von den Eigentümlichkeiten, sondern davon, dass jede<br />
Natur „wirkt“ was ihr eigen ist<br />
bei Leo ist ein klarer Hinweis, es geht auch um Wirken und Handeln, und das<br />
hat mit dem Willen zu tun; es gibt einen indirekten Hinweis auf den Willen<br />
Jesu: dass es zwei Naturen gibt, göttlich und menschlich, als Abwehr des<br />
Monophysitismus, aber was beinhaltet die Natur? Wie steht es mit dem<br />
Willen?<br />
bei Leo der Hinweis, dass jede Natur „wirkt“<br />
Chalcedon nimmt das „wirken“ nicht auf, um die extremen Monophysiten<br />
integrieren zu können, denn für sie ist das Stein des Anstoßes: die Angst, das<br />
Heil des Menschen könnte von menschlichem Wirken abhängig sein, und<br />
damit kontingent, erschreckte – es hätte so oder anders geschehen können<br />
die Mönche dachten radikal in der von Athanasius festgelegten Bahn: das<br />
Wort wurde Fleisch damit wir vergöttlicht werden – Gott ist der Handelnde<br />
um diese extremen monophysitischen Kreise zu gewinnen vermied das Konzil<br />
bewusst jene Anspielung, die schon im Text von Leo da ist<br />
die Folgen waren baldige Streitigkeiten<br />
o das Konzil klärt nicht auf, von welcher Art die Hypostase ist<br />
das Konzil hält fest: die beiden Naturen gehen in eine Person oder Hypostase,<br />
sagt aber nicht aus, was diese Hypostase sei<br />
in Chalcedon könnte man die Hypostase als einen formalen Begriff begreifen,<br />
Träger der Natur<br />
das war der Fortschritt: wenn zwei Streitparteien da sind, die einen sagen zwei<br />
Naturen und zwei Personen und die anderen eine Natur und eine Person, war<br />
die Vermittlung einen Begriff ins Zentrum zu stellen („eine“ Hypostase,<br />
„zwei“ Naturen), jeweils von einer der Parteien<br />
für die Beschlüsse des Konzils ist der Begriff Hypostase ein formaler Begriff<br />
- 33 -
Dogmatik I<br />
→ diese Klärung erfolgt beim II. Konstantinopoletanum<br />
- warum ist Chalcedon wichtig?<br />
o stellt eine Richtschnur für die kirchliche und theologische Entwicklung dar, leider<br />
zu wenig beachtet<br />
o Chalcedon ist der Akt, indem mythologisches Denken überwunden wurde<br />
mythologisches Denken vermischt<br />
mythologische Wesen sind Vermischungen, hybride Gestalten<br />
der spezifische Begriff von R. Girard: Mythos iSv Girard ist, sie vergöttlichen<br />
ihre Opfer – der auf dem Höhepunkt des Taumelns getötete Sündenbock (das<br />
Opfer) wird zur Projektionsfläche aggressiver Gewalt einer speziellen Gruppe<br />
(→ mysterium tremendum), kann aber auch Friedensbringer sein (→<br />
mysterium fascinosum)<br />
es ist der Mensch, der durch Projektionen zu göttlichen Attributen kommt<br />
Mythos vergöttlicht – der Mensch, dem göttliche Prädikate (zu Unrecht)<br />
zugeschrieben werden<br />
das wird zurechtgerückt auf der Ebene der Definition: Göttliches und<br />
Menschliches sei in Jesus unvermischt, verbunden und das so, dass es<br />
unverbunden ist<br />
→ das sind alles Negativformulierungen; Richtlinienaussagen, was auf jeden<br />
Fall falsch ist<br />
man kann unterscheiden und doch eine Einheit leben!<br />
o Überwindung des griechischen Denkens: wir sind auf dem Weg das kosmologische<br />
Denken durch das personale Denken zu ersetzen<br />
Christentum inkulturiert sich zwar in die griechische Umwelt, aber dies<br />
Inkulturation geschieht gerade so, dass eine neue, personale, Kultur<br />
herausgebildet wird („Person“ war kein Thema für das alte Denken)<br />
Chalcedon ist ein Meilenstein bei der Entwicklung des personalen Denkens<br />
Christologie und Trinitätslehre als Basis für dieses Denken; Person –<br />
– ergänzt durch relatio (Beziehung; ist für Aristoteles<br />
ein Akzidens, kann also sein, muss aber nicht damit das Seiende seiend ist)<br />
2.3.6 der Monophysitismus und die Faszination des Mythos –<br />
II. Konstantinopoletanum (NR 183f, 186)<br />
- die Klöster waren stark, es gelang ihnen immer wieder, die nachfolgenden Kaiser auf ihre<br />
Seite zu ziehen, denn diese waren nur recht lau, sie haben das Konzil nur recht lau unterstützt<br />
- die Gegner werfen dem Konzil vor, es wäre im Grunde nestorianisch gewesen und die Kirche<br />
begeg<strong>net</strong> dem damit, dass sie die nestorianischen Kirchen an den Rand drängte<br />
- zur Verschärfung kommt es, nachdem Kaiser Justinian an die Macht kommt, er ist so etwas<br />
wie der antike Joseph II.<br />
o er glaubt den Streit zwischen Chalcedonenser und Monophysiten schlichten zu<br />
können, er geht den Monophysiten entgegen, verurteilt selber, weil er sich als<br />
Theologe und Herr der Kirche fühlt, verurteilt die Antiochener deswegen, den<br />
Theodor von Mopsuestia<br />
o der Westen ist entsetzt, aber der Kaiser verschleppt den Papst nach Konstantinopel<br />
und zwingt ihm, der Verurteilung zuzustimmen<br />
o der Kaiser inszeniert nun das Konzil 553<br />
o damit das Konzil Gültigkeit erlangt muss der an sich unabhängige Bischof von Rom<br />
zustimmen, aber Vigilius ist in Konstantinopel<br />
o der Westen ist noch mehr entsetzt, der Kaiser drängt sogar auf die Exkommunikation<br />
des Vigilius, dazu kommt es aber nicht, weil Vigilius sich letzten Endes auf die<br />
Gespräche einlässt<br />
o es wird eine Kirchenversammlung abgehalten mit einer klaren Lehre, die zuerst<br />
Chalcedon aufnimmt, wobei eine Interpretation stattfindet<br />
- 34 -
Dogmatik I<br />
um den Monophysiten entgegen zu kommen wird Schwerpunkt auf die<br />
Einheit in Christus gelegt, dh alles wird gelesen durch die Brille der<br />
ägyptischen Monophysiten<br />
- neu ist der Begriff der Hypostase bei der Hypostatischen Union:<br />
o Hypostase, die Chalcedon nicht definierte: die Hypostase um die es hier geht ist jene<br />
des Sohnes; es gibt keine weitere Hypostase, keine weitere Person<br />
o Hypostatische Union gemäß der Hypostase ist die Hypostase der zweiten Person<br />
in der Trinität<br />
o Klartext: es gibt keine menschliche Hypostase in Jesus Christus, keine<br />
menschliche Person<br />
o man spricht deswegen ab diesem Zeitpunkt von der Anhypostasie der menschlichen<br />
Natur – die menschliche Natur Christi existiert verankert in der göttlichen<br />
Hypostase und es gibt keine menschliche Hypostase<br />
o altkirchliches Modell: göttliche Natur + menschliche Natur → göttliche Person –<br />
diese göttlicher Person des Logos ist der göttlichen Natur identisch zuzuordnen – es<br />
gibt keine menschliche Person<br />
die Nestorianer wurde als zwei Naturen, zwei Personen gedeutet<br />
die orthodoxe altkirchliche Christologie: in der göttlichen Person des Logos<br />
sind unvermischt göttliche und menschliche Natur verbunden<br />
o was ist aber Natur? Erkennen und Wollen; was wir heute mit „Person“ verbinden, ist<br />
im alten Denken mit „Natur“ identisch, erkennen und wollen sind Vollzüge der<br />
Natur → in Christus gibt es menschliches Erkennen und Wollen<br />
o was ist dann die Person? Zur Zeit von Chalcedon ist das nur der Träger, ein formaler<br />
Begriff – ein inhaltsleerer Rahmen? Schon zu diesem Zeitpunkt musste gesagt<br />
werden, dass das Sohn-Sein (subsistierende Beziehung) Person ist<br />
o Rahner: Person Jesus von Nazaret ist die Beziehung vom Vater zu ihm und seine<br />
Beziehung zum Vater – im Unterschied zu uns, die wir fragmentarisch Kinder Gottes<br />
sind, lebte Jesus aus einer exklusiven Beziehung zum Vater<br />
hier ist nicht jener Personenbegriff der modern autonom gedacht ist und auch<br />
nicht jener Begriff, denn dann Boethius auf den Begriff gebracht hat<br />
Person also als Beziehung<br />
o Hypostatische Union heißt Einheit gemäß der Hypostase des Logos<br />
- der zweite Punkt: um den Monophysiten weit entgegen zu kommen beschließt die<br />
Versammlung, dass der Unterschied zwischen beiden Naturen nur theoretisch aufzufassen<br />
sei (NR 186)<br />
o die Vorstellung: es gibt die menschliche Natur in Christus, aber die sei etwa<br />
ähnlich dem Essigtropfen im Ozean: es gibt ihn zwar, aber auswirken tut er sich<br />
nicht<br />
o wenn schon Mensch, dann unwichtig<br />
o Satz von Leo: es wirkt jedes, was das ihrige ist, und es gibt also doch zwei Zugänge<br />
2.3.7 Einigungsversuche angesichts des voranschreitenden Islams<br />
- 630 gelingt zwar der Sieg über die Perser, aber 630 ist das Jahr, indem Mohammed von<br />
Medina nach Mekka zurückkehrt<br />
- dh die alte Kirche ist konfrontiert mit einer neuen geistigen Kraft<br />
- es waren 300 Jahre erbitterte Streitigkeiten zwischen Patriarchaten (Alexandrien, Antiochien,<br />
Konstantinopel, Mönche, …)<br />
o Ägypten als Bollwerk der Mönche die verstritten sind, aber gemeinsam gegen<br />
Konstantinopel vorgehen<br />
o 300 Jahre Streitigkeiten zur Christologie<br />
- die durch die Streitigkeiten ermüdete Kirche Ägyptens und Afrikas vermag der<br />
Herausforderung und der Einfachheit des Islams keinen Widerstand mehr zu leichten – es<br />
findet ein Paradigmenwechsel statt<br />
- 35 -
Dogmatik I<br />
o Islamisierung war nicht friedfertig, es waren Kriege, aber es gibt analoge<br />
Situationen in der Weltgeschichte; starke geistige Strukturen vermochten über<br />
Jahrzehnte geistigen Widerstand zu leisten<br />
o es hat mit der Schwäche des damaligen Christentums zu tun, einer Schwäche durch<br />
Streitigkeiten<br />
- angesichts dieser neuen Kraft gibt es einen letzten unseligen Vermittler, der zwischen den<br />
noch immer starken monophysitischen Kräften und den Chalcedonenser vermitteln will ist<br />
Patriarch Sergius, anders als Justinian<br />
o er knüpft bei jener Problematik an, die den Monophysiten Dorn im Auge war: der<br />
menschliche Wille – gab es in Christus menschlichen Willen oder nicht?<br />
o Sergius bezieht sich auf die Exegese in Mk 14,36 („Nicht mein Wille geschehe<br />
sondern dein Wille geschehe“)<br />
o Sergius liest daraus folgendes Schema ab:<br />
menschlicher Wille : nicht leiden<br />
göttlicher Wille : leiden<br />
menschlich göttlich<br />
deswegen: kein menschlicher Wille<br />
o damit glaubt Sergius die Monophysiten zu ködern: wenn es in Jesus nur den<br />
göttlichen Willen gibt, ist unser Heil allein in der Gottheit verankert und somit<br />
gesichert<br />
o er ist Patriarch von Konstantinopel, schreibt einen Brief nach Rom zu Papst Honorius<br />
und unter der atmosphärischen Stimmung der Bedrohung stimmt Honorius dieser<br />
Formel förmlich zu und der Kaiser Heraklius glaubt die Stunde der Versöhnung<br />
gefunden zu haben, er erhebt die Lehre zur offiziellen Staatslehre<br />
→ Fundamentaltheologie: kann der Bischof von Rom einer dogmatisch<br />
falschen Formel zustimmen?<br />
Papst Honorius ist jener Papst, der eigentlich einen dogmatischen Fehler<br />
begangen hat<br />
o Bedrohung – Vermittlungsversuch des Patriarchen – Zustimmung des Papstes –<br />
Kaiser macht daraus Staatslehre<br />
o es meldet sich ein einziger Zeuge: Maximus Confessor<br />
2.3.8 Entmythologisierung durch Maximus Confessor<br />
- nach Athanasius die zweitgrößte Gestalt der alten Kirche<br />
o Leo ist ein großer Vermittler, muss aber nicht unter Gefahr etwas bekennen –<br />
Athanasius wurde zwar kein Martyrer, aber er bürgte mit seiner Existenz für die<br />
Wahrheit<br />
- lebte 580-662, einer der großen Gelehrtengestalten, beinahe Martyrer<br />
- Maximus meldet gegen das Modell Sergius’ Widerspruch an und eb<strong>net</strong> dem nächsten Konzil<br />
den Weg und löst und schließt ab was orthodoxe Christologie wird:<br />
o im Gebet Jesu sind nicht nur zwei Willensäußerungen am Werk, sondern drei; er<br />
formuliert das „ich will nicht“ zu einem vormoralischem Instinkt<br />
vormoralischer Instinkt : nicht leiden<br />
göttlicher Wille : leiden<br />
menschlicher Wille : „Vater, …, aber dein Wille geschehe“<br />
o Maximus stellt die Frage, wer den ganzen Satz ausspricht, und das ist Christus in<br />
seiner menschlichen Natur; Christus als Mensch findet zu einer moralischen<br />
Willensäußerung die abwägt<br />
o Jesus stimmt frei als Mensch dem göttlichen Willen zu, und diese Zustimmung (nicht<br />
einander entgegengesetzt) sei Äußerung des menschlichen Willens Jesu<br />
o das ist ein analoges Denken, was in der Kirche später (explizit in Vatikanum II va bei<br />
Maria – sie stimmt frei zur Inkarnation zu) zur Anwendung kommt<br />
auch hier, schon im Altertum: Gott benutzt den Menschen Jesus nicht wie ein<br />
Instrument (das wäre die Vorstellung von Sergius, die Vorstellung mit der die<br />
Monophysiten gut leben könnten) – Jesus stimmt frei zu<br />
- 36 -
Dogmatik I<br />
- das ist eine Frage die sehr große politische Konsequenzen hat: wie geht Gott mit Menschen<br />
um? – Man kann es an seinem Sohn ablesen? Der Sohn erfüllt die Sendung, aber aufgrund<br />
einer klaren menschlichen Willensentscheidung – und das ist natürlich heikel<br />
o in dem Moment wo Maximus als Mönch diese Lehre verkündet, verstößt er gegen die<br />
offizielle Staatslehre<br />
- es gelingt Maximus Papst Martin (Nachfolger Honorius) zu überzeugen<br />
o Martin beruft eine römische Synode ein und diese beschließt die Lehre, dass es in<br />
Christus zwei Willen gibt, die einträchtig verbunden sind, sodass er durch jede<br />
seiner beiden Naturen durch freie Entscheidung gelitten hat<br />
o Martin wird verschleppt, Maximus wird gefoltert, damit er seine gottlose Lehre nicht<br />
mehr verkünden kann wird ihm die Zunge entfernt und damit er es nicht schreiben<br />
kann werden ihm die Hände abgehackt (→ daher Titel „Confessor“)<br />
o Maximus stirbt dann als Greis in Haft<br />
- die Muslime drängen immer mehr in den Westen, der Nachfolger Heraklius beruft ein<br />
weiteres Konzil ein<br />
2.3.9 III. Konstantinopoletanum<br />
- schließt das Reigen der christologischen Auseinandersetzungen<br />
- qualifiziert die das Gegenteil sagende als „ruchlose Irrlehrer“<br />
o ist das deutlichste Beispiel, wo ein Papst angeprangert wird (Honorius)<br />
- es wird jener Satz zitiert, den wir von Leo kennen und der im II. Konstantinopoletanum<br />
zurückgezogen wurde mit der Begründung, dass es nur hypothetisch sei<br />
- Christus ist eine Person in zwei Naturen und beide Naturen haben ihren je eigenen Willen,<br />
ihre je eigene Wirkweise, sie sind einander nicht entgegengesetzt<br />
- damit ist die klare richtungweisende Deutung der biblischen Tradition vorgegeben: Jesus ist<br />
auch als echter Mensch und die Bedeutung des Menschseins ist nicht Werkzeug zu sein<br />
sondern dass er die göttliche Sendung mit seinem freien Willen übernimmt: er handelt frei!<br />
- mit diesem Konzil ist das dogmatische Ringen um Heil und Wahrheit in der alten Kirche<br />
eigentlich abgeschlossen<br />
- was wurde erreicht:<br />
o mit dem Bekenntnis zu zwei Willen auch ein klares Bekenntnis zur Menschheit<br />
Christi<br />
o Inkulturation des Christentums in die griechische Kultur, gleichzeitig wurde die<br />
Sprache und die Kultur neu geprägt, va in Hinblick auf den Begriff „Person“ und<br />
„Beziehung“<br />
o die dogmatische Sprache ist scheinbar unauflöslich mit Gewalt verbunden<br />
Dogma und Sünde hängen oft zusammen, aber man kann lernen, wann<br />
Wahrheit behauptet werden kann: erst dann, wenn das legitime Anliegen des<br />
Gegners berücksichtigt wurde<br />
- die Tatsache, das der Islam so stark wurde wie er heute ist, geht auf die Schwäche der<br />
damaligen Kirche zurück<br />
o Mohammed kannte nur den Monophysitismus, und das widerte ihn an – er sah darin<br />
nichts anderes als Vergöttlichung eines Menschen<br />
o im Namen einer theologischen Gotteskritik lehnte er das Christentum ab<br />
o die monophysitischen Kreise waren zu schwach, um die islamische Infragestellung<br />
auch auf intellektueller Ebene zu begegnen<br />
2.4 das christologische Drama in der Gegenwart<br />
- zur Erinnerung: Christologie als Projektionsflächen<br />
o in der Gegenwart verstärkt sich das Problem: entgegen der Erwartungen der<br />
Religionssoziologen sind wir nicht in einem säkularen Zeitalter angelangt, vielmehr<br />
findet eine Remythologisierung statt<br />
- 37 -
Dogmatik I<br />
o diese Mechanismen sind da, für viele Menschen bietet die christologische Frage<br />
nichts Größeres als alle anderen Heldensagen<br />
o die Projektionsfläche für Ängste und Hoffnungen und die Frage, wie die Kirche<br />
darauf antwortet<br />
o die klassische Antwort, was Jesus Christus ist, ist die hypostatische Union<br />
in Jesus Christus haben wir die Identifizierung Gottes greifbar mit einem ganz<br />
konkreten Menschen, vom Ursprung dieses Menschen an<br />
der Jude Jesus von Nazaret als menschgewordene Zuwendung Gottes, keine<br />
Momentaufnahme sondern eine Lebensgeschichte<br />
darin kommt die ganze Heilsgeschichte<br />
Identifizierung nach dem Muster: ohne Gott gäbe es diesen Menschen nicht<br />
und ohne diesen Menschen gäbe es die Menschwerdung nicht → ungetrennt,<br />
aber auch unvermischt<br />
Menschwerdung Gottes: hineingeboren in die Zeit aus einer Frau ohne, dass<br />
daraus etwas menschliches zu kurz kommen wurde (unterschieden meint nicht<br />
trennen)<br />
- im dogmatischen Kontext nichts Neues mehr bis Vatikanum II<br />
- viele theologische Entwürfe, aber keinen inhaltlichen Impuls mehr<br />
- erst Vatikanum II, und interessanterweise in einem Dokument in dem man es nicht erwartete,<br />
bringt einen neuen Impuls: GS 22 („Christus, der neue Mensch“)<br />
o „… denn er, der Sohn Gottes, …, hat sich mit jedem Menschen vereinigt“ →<br />
Menschwerdung Gottes als Vereinigung mit jedem Menschen<br />
o der entscheidende Punkt: Klärung des Geheimnisses des Menschen, Verbindung<br />
Anthropologie-Christologie, das Geheimnis des Menschen klärt sich erst im Kontext<br />
der Christologie auf<br />
o in GS 9 wird das Geheimnis des Menschen mit den Worten „profundior et<br />
universalior appetitio“ beschrieben, also ein Wesen, das sich mit nichts zufrieden<br />
gibt, und diese appetitio wird in Christus zur Vollendung gebracht, einerseits<br />
Erfüllung der appetitio durch Verbindung durch Gott und homo perfectus aufgrund<br />
seiner Beziehungen<br />
o in der Christologie wird das moderne Beziehungsdenken aufgenommen (alt: Natur,<br />
Wesen, … das sind statische Begriffe; hier wird das moderne Beziehungsdenken<br />
aufgenommen: Relation)<br />
o er ist der perfekte Mensch, weil er sich in seiner Menschwerdung mit jedem<br />
Menschen verbunden hat<br />
Relation zu allen kann nur von Gott ausgesagt werden<br />
o hier wird in der Christologie jene göttliche Relation mit Christus verbunden,<br />
bezogen auf den Menschen<br />
hier werden zaghafte jene Spuren weiterverfolgt, die in der alten Kirche schon<br />
da waren (Gott wurde Mensch damit der Mensch vergöttlicht wird)<br />
die appetitio wird erst erfüllt, wenn der Mensch Gott teilhaftig wird<br />
das sind Kategorien die in den Bereich der Ontologie fallen<br />
o theologisch kann man über den Menschen nicht großartiger sprechen<br />
o Antwort der Kirche auf die Projektionslogik der Gegenwart: Gott nimmt<br />
menschliche Sehnsüchte ernst, macht sie sich zu eigen (auch Beziehungen leben von<br />
Projektionen), mehr noch, er wird zum Opfer menschlicher Wünsche, Sehnsüchte<br />
und Projektionen, denn Projektionen fordern Opfer<br />
o weil der ganze Prozess nicht frei ist von Projektionen folgt nun organisch ein neuer<br />
Akzent: die Aussage über die Wahrheit des Kreuzes als Überwindung von<br />
Projektionsmechanismen<br />
- 38 -
Dogmatik I<br />
3 dogmengeschichtliche Präzisierung der Frage nach dem<br />
Heil oder die Wahrheit des Kreuzes<br />
- gerade angesichts des modernen Befunds, dass die Gestalt Jesu den Gläubigen als<br />
Projektionsfläche dient oder aber – nicht nur von den Distanzierten/Gegner – durch andere<br />
Projektionsflächen ersetzt wird<br />
Einstieg: zur Eigengesetzlichkeit der Projektionsmechanismen<br />
- man streitet um die Wahrheit und unterstellt dem Gegner das Schlimmste<br />
- es scheint eine Eigengesetzlichkeit zu sein, dass selbst in rationalen Diskursen<br />
Dämonisierung geschieht<br />
- die Dämonisierungen sind kein Privileg der Christen, schon gar nicht jener vergangener<br />
Zeiten, auch heute wird dämonisiert und zwar in alle Richtungen<br />
- Dämonisierung findet auch dann statt, wenn entsprechende Bilder und Begriffe fehlen (die<br />
politisch korrekte Kultur scheitert spätestens hier: zu meinen, wir hätten die Gefahren der<br />
Projektionen dadurch gebannt die entsprechenden Begriffe zu tabuisieren ist ein Trugschluss)<br />
- dramatische Theologie verhilft sich mit einem anthropologischen Modell:<br />
Anknüpfungspunkt stellt GS 9 dar – der Mensch ist ein entgrenztes Wesen, nicht nur ein<br />
Geschöpf mit Leib und Seele, sein Begehren ist zwar instinktiv gesteuert, aber nicht durch<br />
Instinkte begrenzt<br />
- Begehren: unsere akademische Kultur in Europa steht seit Jahrhunderten unter dem Einfluss<br />
von aristotelischem und platonischem Denken, das den Schwerpunkt auf die Vernunft legt,<br />
im Grunde ist der Mensch Vernunftwesen wenn er den Leidenschaften entsagt (denen zu<br />
erliegen wäre eine Panne)<br />
- hier wird bei den Leidenschaften angesetzt, beim Begehren, das schwer zu zügeln ist; nicht<br />
Leidenschaften bedürfen einer Erklärung, sondern die Tatsache, dass Menschen mit einer<br />
appetitio sich nicht gegenseitig umbringen<br />
- der Mensch ist zwar gut erschaffen worden, aber erbsündhaft geschädigt, und deshalb ist<br />
Zivilisation eine Leistung und nicht wie Rousseau meinte etwas den guten Menschen<br />
Verderbendes<br />
- wenn Streit der Alltag ist, wenn Projektionen den Großteil des Lebens ausmachen, warum<br />
bringen wir uns dann nicht um? Wie werden Projektionen überwunden?<br />
Exkurs: mimetische Gesetzmäßigkeiten bei der Kultivierung der<br />
profundior et universalior appetitio<br />
- bedeutet Nachahmung, hier aneignende Nachahmung, was begehren die Menschen<br />
- wir begehren körperliche und ökonomische Güter aufgrund dessen, dass die anderen<br />
Menschen das begehren<br />
- das menschliche Begehren, und das meint mimetische Struktur, ist eine Dreiecksstruktur;<br />
nur selten begehrt der Mensch in einem dualen Kontext – wir begehren das was andere<br />
begehren, und deshalb kann es nie befriedigt werden (→ Kultur der Seitenblicke)<br />
- das erklärt auch, warum wir nie zufrieden sind<br />
- das Grundproblem ist nicht die Tatsache der mimetischen Struktur, sondern die damit<br />
gekoppelte Rivalität, die dazu führt, dass die Identität der Konfliktpartner sich verändert,<br />
und zwar hin zu Ähnlichkeit (was ist dann noch meine Identität)<br />
o Streitparteien werden im Streit einander ähnlicher<br />
o sie sind zwar überzeugt der Andere habe völlig unrecht, von außen beobachtet ist das<br />
aber spiegelbildlich gleich<br />
o alle Konflikte die zu Eskalation drängen neigen zu Spiegelbildlichkeit<br />
o mehr noch, man unterschiedet sich bald nicht mehr von der Umgebung<br />
- 39 -
Dogmatik I<br />
o die Identität, das was Menschen unterscheidet, droht in einem Konflikt zu<br />
verschwinden – wer bin ich noch in einem eskalierenden Skandal (Ehe, Partnerschaft,<br />
…)<br />
- ich begehre was andere begehren, ich will sein was der Andere ist → menschliches<br />
Begehren kopiert ein anderes Begehren, und das heißt identisch sein<br />
o unsere postmoderne Kultur: wir haben vordergründig viele Möglichkeiten, die dann<br />
doch irgendwie dasselbe sind<br />
- mimetische Rivalität: das Problem der Moderne: wenn das Begehren entfesselt wird, die<br />
grenzenlose Entfesselung des menschlichen Begehrens, führt nicht zu Differenzierungen<br />
sondern paradoxerweise zu immer größerer Homogenität<br />
o die Menschen leben auch systematisch in einem Rivalitätskonflikt<br />
o das führt zu vielen Aggressionen, zu diffusen Verhaltensweisen, zu<br />
Persönlichkeitsspaltungen, …<br />
o gibt es Versöhnung? Kann es eine Differenz geben?<br />
o Differenzen werden dadurch erzeugt, dass Menschen als Sündenböcke ausgestoßen<br />
werden und fallen<br />
- Versöhnung der Vielen auf Kosten des Sündenbocks<br />
o Sündenbockjagd als Differenzierung<br />
- Entfesslung des mimetischen Begehrens und entfesselte Sündenbockjagd als Ordnung<br />
o es gibt aber Katastrophen, die sich durch Sündenböcke nicht lösen lassen<br />
o das reale Problem kann durch eine Sündenbockjagd nicht gelöst werden, dennoch<br />
ist diese Spannung da<br />
- Ziel dieses Exkurses: Projektionen deren Ursprung oder Verstärkung im Kontext des<br />
mimetischen Verhaltens zu finden sind; Sündenbockjagd führt zu Dämonisierung<br />
o die vielen Dämonisierungen verhindern die Hexenjagd auf Einzelne, sie wird<br />
gebrochen<br />
- trotzdem gibt es auch große Dämonisierungen heute:<br />
o Dämonisierung der Religionen; unsere liberale Öffentlichkeit ist dabei, Religion<br />
ständig zu einem Sündenbock abzustempeln, Abschaffung der Religion würde Gewalt<br />
mindern<br />
o Dämonisierung der Kirche; was teilweise in der Öffentlichkeit entsteht (zB<br />
Missbrauchsskandal) ist nicht frei von Dämonisierung: die Hetze<br />
o Dämonisierung des Christentums wegen des Kreuzes: es sei menschenfeindlich,<br />
gewaltverherrlichend<br />
o → ausdrückliche Dämonisierung in einer Welt, die sich vom Teufel offiziell<br />
verabschiedet hat<br />
eine Kultur die Elektrizität und Aufklärung hat, kann die archaischen<br />
Geschichten nicht mehr tradieren<br />
zum selben Zeitpunkt hat die Unterhaltungsindustrie das Thema entdeckt<br />
es gibt so etwas wie eine Rückkehr des Teufels in die aufgeklärte Gesellschaft<br />
und, und das ist das Schwerste, es gibt die Lebendigkeit des Teufels weltweit<br />
wir haben unsere Augen verschlossen, dass „Hexe“ heute nicht eine<br />
Bezeichnung für eine emanzipierte Frau ist, sondern weltweit findet<br />
Verfolgung statt<br />
o im Kontext der Religiosität werden wohl jene Gruppierungen zunehmen, die diese<br />
Problematik ausdrücklich benennen (keine Banalisierung des Teufels)<br />
die Religiosität der südlichen Hemisphäre denkt hier anders: für viele<br />
christliche Kirchen in Afrika und Asien ist die Frage der Bekämpfung der<br />
Hexenverfolgung ein zentrales pastorales Problem<br />
- 40 -
Dogmatik I<br />
3.1 Relevanz altkirchlicher Motive: Erlösung als Befreiung von der<br />
Macht des Teufels<br />
- Jesus in der dramatischen Auseinandersetzung um Heil und Wahrheit, der Rahmen des<br />
chalcedonischen Dogmas (wahrer Gott und wahrer Mensch), Jesus von Nazaret der selber,<br />
obwohl von Gott getragen, angeklagt wird, er sei vom Teufel besessen und handle in dessen<br />
Namen<br />
3.1.1 der Satan in der biblischen Tradition<br />
- der Satan der vom Himmel fällt (Lk 10,18); die Stunde, in der der Herrscher dieser<br />
Weltzeit hinausgeworfen werde (Joh 14,30) → Ankläger, Versucher, Verführer,<br />
Herrscher dieser Weltzeit<br />
- eine sehr wichtige Rolle<br />
- man kann diese übersehen und das hat die Theologie der letzten Jahrzehnte getan, indem sie<br />
dies Aussagen als zeitbedingt depotenziert hat<br />
o Inkulturation muss neu gedacht werden, dh man muss alles, was in dieser konkreten<br />
Kultur Aussagekraft hat, berücksichtigen<br />
- Bibel unterscheidet die vielen Dämonen von denen Jesus befreit – sieht man das als einfache<br />
Krankheiten, bleibt doch der Satan übrig<br />
- Ankläger: Satan bei Ijob ist ein Prosopon, eine Maske, das mit Zweifel an einen konkreten<br />
Menschen verbunden ist<br />
o nicht ein Anwalt einer anderen Wahrheit, Satan ist ein Ankläger iSd Anschuldigung;<br />
Zweifel an der Rechtschaffenheit zu wecken, doch die Leiche im Keller suchen<br />
- Versucher: synoptische Evangelien: Jesus wird mimetisch versucht; Satan gebiert sich als<br />
Gott, er ist im Grunde ein Versucher im mimetischen Sinne, er treibt moderne Werbung<br />
- diese Aussagen haben wir en masse in der Bibel, die eine bestimmte Logik der<br />
zwischenmenschlichen Kommunikation umschreiben<br />
- Lk 10,18: „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz“ – eine Aussage, die selbst<br />
die kritischsten Kritiker als jesuanisch bezeichnen; man verbinde dies mit dem Prolog des<br />
Ijob: Sinn der jesuanischen Botschaft von Gott (1. Akt) ist ein Entmythologisierung des<br />
Gottesbildes; nicht einmal in der Umgebung Gottes geschweige denn in Gott selber gibt es<br />
eine satanische Macht (Gott ist kein Schnüffler), Gott ist kein Rivale (Ankläger) des<br />
Menschen, er will die Menschen nicht zu Fall bringen → Klärung des Gottesbildes<br />
o wenn der Satan, der Aspekt der Anschuldigung, vom Himmel wie ein Blitz fiel, wo ist<br />
er dann hingefallen? – Auf die Erde! Gott beschuldigt den Menschen nicht, er ist ihm<br />
kein Rivale, aber der Geist der Rivalität/Verführung ist eine Angelegenheit, die<br />
Menschen bestens beherrschen<br />
- Joh 14,30: „Ich werde nicht mehr viel zu euch sagen; denn es kommt der Herrscher der Welt.<br />
Über mich hat er keine Macht.“; Jesus sagt, in der Passion wird der Herrscher dieser Welt<br />
(Geist der Anschuldigung) bloßgestellt und hinausgeworfen, ja gerichtet<br />
o Jesus selber deutet das Kreuz als Infragestellung dieser Logik<br />
- Fazit dieser Überlegungen: die biblischen Geschichten kennen eine Figur (Prosopon –<br />
persona – Maske; ist noch keine Person – in der Christologie wurde „Person“ gebildet, dass<br />
sich Prosopon mit Hypostasis verband, eine Maske ergänzt durch eine lebendige Beziehung<br />
und ein Selbststand ergibt eine Person)<br />
o es gibt auch andere Prosopa in der Bibel: Ankläger, Beschuldiger – aber ist das<br />
eine Person?<br />
o wenn Joseph Kardinal Ratzinger von einer „Unperson“ sprach, trifft er es genau,<br />
denn Person hat mit Beziehung zu tun<br />
o am deutlichsten greifbar: in der Versuchung? Jein, da ist man stückweise<br />
Inkarnation dieser Maske; Aber wo wird der Versucher am deutlichsten greifbar? –<br />
Dort, wo aus den Mechanismen dieser Versuchung Opfer werden – Verfolgung Jesu –<br />
Jesus wird getötet<br />
gewaltsame Verfolgung<br />
- 41 -
Dogmatik I<br />
o hier geht es um Prozesse, um ein Drama, und da gibt es verschiedene Akteure, es<br />
gibt Masken und Personen; Trugschlüsse und Wirklichkeiten;<br />
die Lüge ist eine Art der Existenz der Wirklichkeit, stürzt aber zusammen,<br />
wenn die Wahrheit kommt<br />
aber die Opfer bleiben<br />
o die Bibel kennt also eine Figur des Anklägers, der sich in der gewaltsamen<br />
Verfolgung Jesu artikuliert, dort aber aus den Angeln gehoben wird (wie auch schon<br />
bei der Versuchung, wo er von Jesus abgelassen hat, weil er nicht ankam)<br />
3.1.2 patristische Lehre<br />
- bringt eine Dramaturgie in diese Sache hinein<br />
- die Väter überliefern Geschichten von Befreiung aus der Macht des Teufels, eine, die auf<br />
unterschiedliche Weisen stattfindet – Täuschung des Teufels (vgl. Cyrill von Jerusalem;<br />
Gregor von Nyssa: während er nach der Menschwerdung schnappte wurde er von der Gottheit<br />
durchbohrt; Luther: Angelhaken des Logos, Wurm der Menschheit)<br />
o tiefer betrachtet: aus der Logik der Kraft der humilitas (Menschwerdung) sei der Satan<br />
der Ankläger und in seiner Anklage der Übermütige zu Fall gebracht<br />
- Jesus steigt nach seinem Tod in die Unterwelt um dort zu predigen, aber auch jenen zu<br />
begegnen die schon gestorben sind und in der Macht des Teufels verhaften<br />
(Glaubensbekenntnis: descendit ad infernum)<br />
o die Laudes des Ostersonntags bringt das auf den Begriff<br />
o der betrogene Betrüger – Betrug oder Abstieg, Christus steigt ab auf die Ebene des<br />
Betrügers und befreit die Menschen<br />
- der gerechte Lösepreis: Gott will dem Menschen einen Lösepreis zahlen, Gott möchte den<br />
Betrüger nicht mit Gewalt überwinden (Gregor von Nyssa)<br />
o der Gewalttäter wird überwunden, indem ihm ein Lösepreis bezahlt wird<br />
o Güte und Gerechtigkeit müssen auch gegenüber dem Gegner ausbalanciert werden<br />
o ein Argument, das sofort Widerspruch erweckt hat, va bei der Frage, wie der<br />
Verführer zu seinem Recht kam<br />
Anselm von Canterbury hat das auf den Begriff gebracht: Wenn der Räuber<br />
nicht nur von Gott sondern sogar Gott selbst als Lösegeld erhält, so ist das<br />
schändlich<br />
3.1.3 Systematik: zum Wesen des diabolos<br />
- lebendige Lüge: verdrehende Wahrheit<br />
o sprachlich: Anschuldigung, Verleumdung, Prosopon des Verleumders<br />
o Lüge ist eine Handlung die mit Verfolgung zu tun hat<br />
o in diesen Zusammenhang gehört auch der Satz: „Das Wesen des Lügner besteht<br />
darin, dass er uns über seine Existenz täuschen will“<br />
o man müsste sagen, das Satanische möchte uns überzeugen, dass es das Wesen der<br />
Verführung des Satanischen nicht gibt; es täuscht uns also, dass alles, was an<br />
Verwirrung, Verleumdung, Verfolgung in unserer Umgebung geschieht, bloß<br />
Ergebnis des bewussten Handelns von Individuen ist, die wir bewusst verfolgen<br />
können → das Wesen des Satanischen besteht darin uns zu verführen zu glauben,<br />
dass alles, gar alles, was in unserem Leben als Verführung/Ungerechtigkeit da<br />
ist, reduzierbar auf das bewusste Handeln von Individuen reduzierbar ist, die<br />
wir deshalb verfolgen können<br />
indem wir sie verfolgen, in bestem Wissen und Gewissen, verfallen wir<br />
unsererseits wieder dem Geist der Verfolgung (→ Sündenbock)<br />
das nimmt nichts zurück von der bewussten Verantwortung des Individuums,<br />
aber man kann nicht sagen, dass ein Mensch die Ausgeburt des Bösen ist, dass<br />
ein Mensch mit dem Bösen ident ist (Theologie als Anwalt des<br />
interpersonalen Verführungszusammenhangs)<br />
- 42 -
Dogmatik I<br />
moderne Gesetzgebung, die auch Aspekte und Zurechenbarkeit verfolgt,<br />
durchaus ein kultureller Fortschritt, einer allerdings, der im Kontext der<br />
jüdisch-christlichen Offenbarungskultur entstanden ist (der abendländische<br />
Kontext ist ohne biblische Offenbarung und dort beheimateten<br />
Argumentationsfiguren nicht denkbar!)<br />
o es ist eine teuflische Verführung zu meinen, den eindeutigen Täter erwischt zu haben<br />
und damit „das Böse“ gelöst zu haben<br />
- die lebendige Lüge, man kann sie auch aufziehen indem der zweite theologische Aspekt zur<br />
Sprache kommt: satanischer Geist – Geist des Stolzes (Sein-Wollen wie Gott)<br />
o die biblische Fassung der Ursünde heißt: „ihr werdet sein wie Gott“ (das ist die<br />
Versuchung)<br />
o die Ausführung ist die Sündenbockjagd – kaum hat Adam der Versuchung<br />
nachgegeben schiebt er die Schuld auf Eva, die auf die Schlange – man verweist auf<br />
den Schuldigen und versucht den Kreis zu unterbrechen indem man die Dynamik auf<br />
Einen beschränken möchte<br />
o Sein-Wollen wie Gott, eine Versuchung, die in der konkreten Ausführung sich in der<br />
Sündenbockjagd ausdrückt; auch die moderne Ausführung (Nation von Herren oder<br />
Übermenschen) hat sich nicht anders ausgewirkt als in der Sündenbockjagd<br />
o die apokryphe Tradition hat den Luzifer zum Ursprung des Teuflischen gemacht,<br />
der Lichtträger, der sich von Gott abwendet und seinem eigenen Wesen zuwendet<br />
(Aspekt der incurvatio); mit Gewalt reißt er etwas an sich heran<br />
o dieser satanischen Versuchung (Sein-Wollen wie Gott) setzt die Bibel die humilitas<br />
Christi entgegen → Christus geht nicht hinauf sondern steigt hinunter<br />
kann der satanische Einfluss durch die Botschaft überwunden werden?<br />
o die Aussage „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz“ heißt, dass es in<br />
Gott nichts Satanisches gibt, wohl aber auf der Erde<br />
o das Problem der Moderne ist: die Moderne hat Satan und Gott mit einem<br />
problemlosen Impetus über Bord geworfen: Gott auf Ebene der Wellness, die<br />
Versuchung (das mimetische Begehren) hingegen zur Tugend gemacht<br />
Frage für das Überleben der Menschheit: werden sich es genug Gegenkräfte<br />
gegen die Teufelskreise wenden oder wird man sich in einem Inferno der<br />
Gewalt zerstören?<br />
die Augen, die mit Gewalt verstellt sind, können nur noch Apokalypse und<br />
Hölle wahrnehmen<br />
um diese – verführerische – Sicht aus den Angeln zu heben, braucht die<br />
Menschheit einen Blick in das Fenster des lieben Gottes<br />
die Faszination des Negativen ist so groß, dass es eine permanente<br />
Gegenposition braucht<br />
die kann nur durch das Wort ausgedrückt werden<br />
- die Kraft des diabolos<br />
o aus dem Durchgang durch die fünf Akte hat man gesehen, dass Christus nicht nur<br />
nicht angekommen ist, sondern sein Wort und Beispiel wurden pervertiert, er selber<br />
wurde angeklagt (er sei satanischer Geist) → zynische Aushöhlung oder<br />
Pervertierung der humilitas<br />
damit hat man im Alltag immer wieder zu tun<br />
wenn der beste Wille von jemandem oder die Zurücknahme der Ansprüche<br />
durch eine Konfliktpartei (Gewaltverzicht) in den Augen des Gegners als<br />
Gewaltprovokation und Täuschung interpretiert wird<br />
die Anwaltskultur unserer Zeit ist so weit, dass man bewusst<br />
Anschuldigungen und Forderungen hochschraubt, während wenn<br />
irgendjemand bewusst zurückrudern will, wird dem unterstellt, nicht mit<br />
sauberen Karten zu spielen<br />
o sowohl im Kontext des Glaubens an seine Macht als auch im Kontext der<br />
Überwindung des Satanischen werden Menschen zu Opfern<br />
- 43 -
Dogmatik I<br />
die Arbeitshypothese hinter dieser VO lautet: Satan ist ein trügerisches<br />
Wesen, womit noch nichts über sein ontologisches Wesen gesagt ist, er ist der<br />
Inbegriff der Lüge (lebendige Lüge)<br />
o wenn wir von Erlösung als Befreiung aus der Macht des Satans reden und<br />
ausdrücklich das Geheimnis des Kreuzes reflektieren ist das der Zusammenhang:<br />
wie ist im Kreuz ein Teufelskreis unterbrochen worden? Kann ein Teufelskreis der<br />
aus der gelebten Lüge, dh dass Menschen zu Opfern gemacht werden, entsteht<br />
aufgelöst werden?<br />
Teufelskreis der gelebten Lüge wird meist nur unterbrochen, indem<br />
irgendjemand den Preis zahlt, also dass der Mangel aufgefüllt wird oder<br />
geradegebogen wird<br />
und das heißt: 3. Akt, dramatisches Erlösungsmodell; Christus unterbricht es<br />
indem er auf frontale Gewalt anders reagiert (→ Entziehen und sich dem<br />
Vater übergeben)<br />
sel. Marianna Popieluszko (polnischer Priester): „Ich kämpfe gegen das Böse<br />
und nicht gegen die Opfer des Bösen“ → im Gegner nicht die Inkarnation des<br />
Bösen zu sehen, höchstens ein Opfer dessen<br />
Jesus wird vorgeworfen, er sei des satanischen Geistes, weil er sich als<br />
Mensch selber zu Gott mache; das trifft aber jemanden, der sich nicht zu Gott<br />
macht, dessen Wesen vielmehr humilitas ist – gerade er wird angegriffen, er<br />
sei stolz; nicht nur beliebig stolz, er habe den Geist des Stolzes – er möchte<br />
sein wie Gott<br />
daraus lesen wir, das ist der geheime Wunsch eines jeden Menschen (deshalb<br />
ist Hochmut auch die erste der Todsünden)<br />
in der Anschuldigung Jesu wird dieser Wunsch greifbar als Anklage; Anklage<br />
gegen jemanden, der Inbegriff der Bodenständigkeit ist<br />
o in einer von Lüge und Gewalt verstellten Situation wird alles pervertiert<br />
o faktische Ablehnung und Tötung: gewaltsame Projektion: ein Akt, der weit über<br />
das individuelle Wollen und erkennen hinausgeht<br />
Jesus lässt es eskalieren (Haltung des Therapeuten der seinen Patienten<br />
konfrontiert): er attestiert seinen Gegnern auch den satanischen Geist:<br />
Joh 8,37-47<br />
- Erlösung im Kreuz<br />
o Überwindung der gewaltsamen Projektion: die Entladung bringt entweder<br />
Erlösung oder verfestigte Fronten<br />
o die Christen glauben, dass die Entladung der Gewalt im Kreuz Jesu Überwindung<br />
dieser gewaltsamen Projektionen war → Überwindung des Teufels im Kreuz<br />
dadurch, dass Christus die auf ihn projizierte Gewalt auf eine bestimmte Art erleidet;<br />
dass durch diese Haltung die lebendige Lüge überwunden wurde<br />
o nicht durch ethisches Verhalten: die Logik von Geboten und Verboten und die<br />
rigorose Logik der Bergpredigt scheitern (→ Übergang 2. zu 3. Akt, Katastrophe der<br />
Ethik); das Geheimnis Erlösung aus den Projektionen, es handelt sich hier nicht um<br />
einen Vorgang der nach ethischen Maßstäben zu beurteilen ist<br />
o gerade weil Ethik versagt hat braucht es eine Radikalisierung einer radikaleren<br />
Antwort, und diese Antwort ist das, was man mit humilitas Christi auf den Begriff<br />
brachte, wobei diese keine Grenzen kennt – Christus lebt die Haltung die er schon<br />
im Leben gelebt hat<br />
o humilitas als Gegenbegriff zum Hochmut; Christus lebt diese humilitas auch im<br />
Sterben<br />
zur Erinnerung an den 3. Akt: weil Jesus von Anfang an den Vater als<br />
Bezugspunkt hat, weil der Sohn seine Identität aus der Geheimnis des Vaters<br />
hat ist Christus nicht auf Projektionszusammenhänge angewiesen<br />
wir alle beziehen unsere Identität durch Projektionszusammenhänge, positiv<br />
durch Nacheifern, negativ durch Ersetzen-Wollen eines Anderen im Sinne der<br />
Rivalität<br />
- 44 -
Dogmatik I<br />
weil Christus seine Identität aufgrund seines Status hat ist er nicht auf<br />
Projektionszusammenhänge angewiesen<br />
der ambivalente Martyrer, der glaubt durch den Akt des Tötens ein Martyrer<br />
zu werden, aber gerade weil er sich töten will ist er in einem<br />
Projektionszusammenhang mit den Henkern – der christliche Martyrer<br />
entzieht sich seinen Henkern<br />
Christentum glaubt, dass es aufgrund einer Gnadengabe möglich ist, und<br />
indem wir einzelne Martyrer verehren bekennen wir, dass es so ist<br />
der Martyrerkult darf nicht seinerseits Quelle des Hasses gegen seine Mörder<br />
werden, denn wenn er Quelle der Vergeltung wird ist etwas falsch daran<br />
o bei Christus glauben wir, dass er sich seinen Gegner entzogen hat und sich dem<br />
Vater im Sterben übergibt<br />
er sieht in seinen Gegnern nicht das Böse sondern nur die Opfer des Bösen<br />
und vergibt ihnen<br />
o hier hat man die Spitze des Eisberges im christlichen Umgang mit Konflikten:<br />
gelebte Feindesliebe angesichts der gewaltsamen Ablehnung, Tötung; gelebte<br />
Feindesliebe als Überwindung der Mechanismen des Teuflischen und der<br />
Projektion<br />
o aber nicht nur die Haltung Jesu hat diesen erlösenden Charakter, sondern die Haltung<br />
des Vaters oder das radikal neue Handeln Gottes<br />
Gott vernichtet die Gegner nicht sondern er weckt den Sohn auf, er schafft<br />
neues Leben, und schickt den Sohn mit der Botschaft der Versöhnung zurück<br />
zu jenen die versagt haben<br />
das heißt im Klartext: der Ausstieg oder die Versöhnung im Kontext der<br />
Mechanismen des Bösen die sich ausgetobt und ein konkretes Opfer gebracht<br />
haben<br />
o vom Christentum zu reden, auch von der radikalen Feindesliebe, heißt, das Leben<br />
durch den Tod hindurch zu glauben, und das nicht als billige Vertröstung, dh dass<br />
das Opfer des Bösen eine Zukunft hat, aber nicht eine beliebige, auch nicht eine im<br />
Kontext von Vergeltungsmechanismen, das christliche Geheimnis heißt:<br />
Auferweckung und Zurückschicken in die Geschichte<br />
o → das Urteil des Vaters zugunsten des Sohnes und zugunsten der Gegner<br />
o der Heilige Geist: der Inbegriff der Infragestellung des satanischen Geistes; wenn<br />
der satanische Geist Anklage/Lüge ist, so ist der Hl. Geist der Geist der Wahrheit<br />
und advocatus der zugrunde gegangenen Opfer (vgl. Offb 12,7-9)<br />
die Macht des Satanischen wird durch die Martyrer überwunden<br />
- Wahrheit des Kreuzes<br />
o Wahrheit des Kreuzes: Überwindung der Mechanismen von Lüge und Gewalt,<br />
und das sind Mechanismen die auch die Moderne prägen, dadurch, dass sich die<br />
Macht der Projektionen an konkreten Opfern austobt und diese Opfer aber nicht<br />
zurückschlagen und nicht die lügnerische Situation nochmals eskalieren lassen,<br />
sondern gewaltfrei erleiden, und das heißt auch ohne Hass und ohne Bedürfnis nach<br />
Rache und Vergeltung aus der Kraft des bedingungslos vergebenden gewaltfreien<br />
Gottes<br />
o das mitteleuropäische Christentum hat übersehen, dass weltweit tausende von<br />
Christen tagtäglich ein Martyrium erleiden<br />
o die Tatsache, dass wir im 21. Jh. den Schwerpunkt des Christentums im Süden erleben<br />
werden, wo Dinge wie Dämonisierung am laufenden Band stattfindet lädt ein, hier<br />
mehr nachzudenken<br />
o Papst Johannes Paul II. wurde nie müde zu betonen, was die eigentliche Kraft des<br />
Glaubens sei: Menschen werden zu gewaltüberwindenden Individuen<br />
o das eigentliche religiöse Zeugnis in einer pluralistischen Kultur ist dort, wo aus<br />
Religion Gewaltüberwindung stattfindet<br />
- Befreiung im Kreuz<br />
o wenn das Kreuz auf mich zukommt stellt sich nur die Frage, in welchem Geist ich es<br />
erleide<br />
- 45 -
Dogmatik I<br />
3.2 Relevanz altkirchlicher Motive: Sterblichkeit und das Vergehen<br />
- Athanasius: Verteidiger des Konzils von Nizäa, fünf Mal verbannt, ist Person ein Geschöpf<br />
oder Gott, ὁμοοúσιο, dieselbe Wesenheit, dieselbe Substanz ( , )<br />
o er korrigiert seine Position zugunsten: dasselbe Wesen, mehrere Hypostasen<br />
o das war die große theologische Leistung des Athanasius<br />
3.2.1 Über die Menschwerdung des Wortes Gottes<br />
- im Kontext seiner Schrift über die Menschwerdung des Logos (Klassiker der altkirchlichen<br />
Literatur, Pflichtlektüre für die Prüfung)<br />
o vertieft die Erlösungslehre im Hinblick auf die Frage nach Vergänglichkeit und<br />
Sterben<br />
o es handelt sich um die Problematik ob das etwas Banales ist, die Banalität des<br />
Alltags?<br />
o moderne Natwi: Vergänglichkeit und Sterben hat mit Evolution zu tun, mit dem<br />
Stoffwechsel, also doch eine naturwissenschaftlich verdichtete Banalität<br />
o er bietet in seiner Schrift so etwas wie Gesamttheologie, er denkt Zusammenhänge<br />
Schöpfung-Sünde-Erlösung-Vollendung in einem geschlossenen Denkmodell<br />
o er lehnt das platonische Mittelwesen ab (der Logos als Grenzscheide)<br />
o die Schöpfung denkt er als creatio ex nihilo, der erste Kirchenvater der diese Formel<br />
systematisch ernst nimmt<br />
sie (die Erde) wird zwar aus dem Nichts geschaffen, wird aber gemäß dem<br />
Logos<br />
Gott, der die Schöpfung ex nihilo gebracht hat, erhält sie im Sein durch die<br />
Kraft des Logos<br />
die Schöpfung aus dem Nichts kann den Bestand nicht in sich selber haben<br />
weil aus dem Nichts entstanden tendiert die Schöpfung ständig zum Nichts<br />
zurück<br />
sie ist aber gemäß dem Logos geschaffen, der Mensch muss sich also erheben<br />
und den Logos schauen<br />
∑: weil die Schöpfung aus dem Nichts da ist, weil sie gemäß dem Logos<br />
geschaffen wurde, weil der Mensch Bild des Logos ist, darf und muss der<br />
Mensch sich über alles Sinnenfällige erheben; tut er es nicht fängt die<br />
Tragödie an<br />
3.2.1.1 Sünde ist Abwendung vom Logos und Zuwendung zum Nichts<br />
- hier hat die Sünde noch keine moralischen Konnotationen (wie bei Anselm von Canterbury:<br />
Sünde als Beleidigung Gottes)<br />
- hier wird Sünde theologisch umfassend beschrieben: Abwendung von der mich tragenden<br />
Kraft<br />
- beschreibt man den Logos als Sonne kann der Mensch nur der Sonne zugewandt leben und nur<br />
in der Zuwendung kann er das Licht erblicken, wenn der Mensch sich vom Logos abwendet<br />
ist er im Schatten<br />
- die Folge der Sünde ist, und das ist die radikalste Logik: weil ich die mich tragende Kraft<br />
des Logos verloren habe, fängt der Verfall, der Tod, ja die Anihilation an<br />
3.2.1.2 Folgen der Sünde<br />
- durch die Sünde des Menschen verwandelt sich die Schöpfung wieder ins Nichts zurück;<br />
Gott kann das nicht zulassen<br />
- der Verfall setzt ein: wenn sich der Mensch über alles Sinnenfällige erheben soll, so erleidet<br />
der Mensch, der dem Nichts zugewandt ist, im Bereich seiner Erkenntnis die Verzehrung<br />
seiner Erkenntnis<br />
- 46 -
Dogmatik I<br />
- die Menschen haben gesündigt, sind dem Zustand der Anihilation verfallen – die moderne<br />
Frage: was erreicht Athanasius mit einer solchen Perspektive?<br />
- er diskutiert die Frage der Sünde auf dem Hintergrund der Schöpfungsproblematik; der<br />
Mehrwert davon: das Übel ist nicht nur ein Problem der Natur; theologisch ist das Übel<br />
zwar mit der Natur verbunden, das Übel stellt aber auch ein Problem der verkehrten<br />
Verantwortung der Menschen auf dem Hintergrund der Hinfälligkeit dar<br />
- falsche Bewertung, Götzendienst, Projektionsvorgänge – die Dynamik des Bösen entfesselt<br />
– der Mensch ist versucht Gott dafür verantwortlich zu machen (das ist wiederum<br />
Projektion)<br />
3.2.1.3 Menschwerdung des Logos (Analyse der Rettung)<br />
- Gott lässt sich auf die verhängnisvolle Rettung ein<br />
- Göttlichkeit in der Schöpfungswirklichkeit (nicht aufgrund menschlicher Anstrengungen)<br />
- Menschwerdung heißt, Gott steigt in jene Wirklichkeit hinein, die vom Menschen durch<br />
seine Abkehr verlassen wurde<br />
- Konsequenz davon: eine größere Abkehr ist nicht mehr möglich<br />
- von Athanasius kann man lernen: weil der Logos Mensch wurde, weil der Logos in die<br />
gefallene Schöpfung hineingekommen ist kann es für die Christen und für die Welt von<br />
morgen keine gottlose Welt geben<br />
o bei Origenes war es theoretisch noch denkbar: neuplatonisches Abstiegsschema<br />
- mit Athanasius haben wir jenen Typus der Erlösungslehre vor uns, der den inhaltlichen<br />
Schwerpunkt bei der Menschswerdung hat, die Rettung geschieht durch die<br />
Menschwerdung<br />
- Kreuz ist damit nicht ausgeschlossen, ist aber, streng gedacht, eigentlich nicht mehr<br />
notwendig – das Aufhalten des Verfalls geschieht durch die Menschwerdung des Logos<br />
o jene Erlösungslehre, die den Schwerpunkt bei der Menschwerdung setzt<br />
- warum dann Kreuz und Tod?<br />
o als Beweis für die Überwindung der Macht des Todes<br />
o die Rettung erfolgt durch die Menschwerdung<br />
o das Kreuz, der Tod und die Auferweckung Christi sind nur Erweis dessen, was<br />
schon in der Menschwerdung stattfindet<br />
- sein ganzes theologisches Lebenswerk soll zeigen: durch die Menschwerdung ist der Tod<br />
überwunden und wir können es am Beispiel von Tod und Auferweckung sehen<br />
- er denkt sich nun x Alternativen aus um glaubwürdig zu zeigen, dass der Menschgewordene<br />
die schlimmstmögliche Art des Todes erleiden musste<br />
o deswegen: im besten Alter muss er sterben, unehrenhaft und gewaltsam um durch<br />
diesen Tod zeigen zu können, dass er die Macht über jegliche Art des Todes zu<br />
haben<br />
o am Kreuz muss er sterben weil: Athanasius bedient sich einer Logik, die man<br />
Plausibilitätslogik nennen wird:<br />
Selbsttötung wird ausgeschlossen, weil das nicht nur ethisch unehrenhaft wäre<br />
sondern gar nicht in Frage kommt, denn Logos, das Leben selbst, kann sich<br />
selber nicht töten<br />
zersägen oder enthaupten wäre nicht möglich, denn der Leib Christi muss<br />
ungeteilt sein, denn mit dem Leib Christi ist auch seine Kirche gemeint<br />
(würde der Leib Christi bei seinem Tod geteilt werden, würden die Feinde der<br />
Kirche einen Vorwand darin sehen Kirchenspaltungen zu betreiben)<br />
in der Luft: weil dort die Dämonen zuhause sind (damit die Dämonen<br />
überwunden werden) – hängen geht nicht, denn seine Arme musste er<br />
ausbreiten, weil sein Leib (seine Kirche) sich von einem Ende der Erde bis<br />
zum anderen sich erstreckt<br />
o so schöne Plausibilitätsargumente; er stirbt in der Öffentlichkeit, damit alle sehen<br />
dass er gestorben ist und wird auferweckt am dritten Tag, weil würde er sofort<br />
auferweckt könnte man sagen, er sei gar nicht gestorben; hätte es länger gedauert<br />
- 47 -
Dogmatik I<br />
könnte man behaupten, er wäre in einem anderen Leib auferstanden (die Identität des<br />
Leibes macht es nötig, die kluge Zeitspanne von drei Tagen zu nehmen)<br />
3.2.1.4 soteriologisches Paradigma<br />
- Soteriologie ist die theologische Lehre vom Erlösungswerk Christi<br />
- Überwindung des Todes, weil Logos hereingekommen ist: der Logos wird Mensch, damit<br />
wir vergöttlicht werden<br />
o eines der dicta, die man sich gut einprägen kann: Gott wurde Mensch damit wir<br />
vergöttlicht werden (jener Zustand, der dem Menschen zukäme, hätte er nicht<br />
gesündigt)<br />
3.2.1.5 Martyrium der Christen<br />
- Christen fürchten den Tod nicht, er hat seine erkenntnistheoretische Macht verloren<br />
- Martyrium heißt nicht nur den Tod nicht fürchten sondern auch den Tod nicht begehren<br />
3.3 Relevanz mittelalterliche Motive: Streit um Heil und Wahrheit<br />
- Anselm von Canterbury als Inbegriff dessen, was Erlösungslehre ist<br />
3.3.1 Wiederherstellung der rechten Ordnung durch Satisfaktion<br />
- von lat. satis facere, genugtun<br />
o Genugtuung notwendig, damit die rechte Ordnung wiederhergestellt wird<br />
3.3.1.1 Einheit vom Glaubensprimat und Vernunftvertrauen<br />
- er denkt sicher nicht von den Begriffen die in der Moderne Mode sind: anything goes<br />
o wir können unzählige Erzählungen haben, aber es ist wie wenn man auf Wolken malt<br />
o wir brauchen einen festen Grund, und den kann man nur in der Wahrheit haben<br />
- Wahrheit als Zentrum der Erkenntnis<br />
- weil die menschliche Vernunft Abbild Gottes ist, ist sie erkenntnisfähig → ratio als imago<br />
Dei<br />
- wenn wir glauben, können wir den Glauben auch verstehen; Glaubensprimat und<br />
Vernunftdenken – ich glaube um zu verstehen; nicht Irrationalität und auch kein<br />
Rationalismus (Gründe um zu glauben), denn Glaube ist Primat, aber wenn ich glaube muss<br />
ich mich auch um die Vernunft bemühen<br />
- die Einheit von Glaubensprimat und Vernunft kommt va bei seinem Gottesbegriff zur<br />
Sprache<br />
o Gott: id quo maius cogitari nequit (Gott ist das, worüber hinaus nichts Größeres<br />
gedacht werden kann)<br />
Gott als höchster Begriff überhaut<br />
könnte ich etwas Höheres denken wäre das Gott, also der Grenzbegriff<br />
weil zu diesem höchsten Begriff notwendigerweise Existenz gehört glaubt<br />
Anselm damit die Existenz Gottes bewiesen zu haben<br />
o Wahrheit: mit dem Geist allein erfahrbare rectitudo (Geradheit, Richtigkeit)<br />
das ganze Denken muss eine Ordnung haben, ansonsten ist es chaotisch<br />
die Wahrheit sei abgestützt durch rectitudo; sie sei das über den Geist allein<br />
erfahrbare rectitudo<br />
o Gerechtigkeit: Willensrectitudo um ihretwillen<br />
- auf dem Hintergrund dieser harmonischen Erkenntnistheorie, die klar logisch aufgebaut<br />
ist (das Denken darf nicht Widersprüchlich sein) will nun Anselm die notwendigen Gründe<br />
für die Menschwerdung eruieren<br />
- 48 -
Dogmatik I<br />
3.3.1.2 Notwendige Gründe für die Menschwerdung<br />
- man beachte Analogien aber auch Unterschiede zu Athanasius: beide behandeln dieselbe<br />
Fragen, aber zwischen ihnen stehen Welten<br />
o so wie Athanasius aus dem Zugang der Inkarnation steht, so wird Anselm für jene<br />
Soteriologie Pate stehen, die Tod und Kreuz ins Zentrum rücken<br />
- die erste Voraussetzung ist die Grundannahme, dass der Mensch zur Seligkeit berufen ist<br />
o eine Seligkeit, die er im Leben nicht erreichen kann, weil der Zugang dazu durch<br />
die Sünde gestört wurde<br />
- Sünde<br />
o bei Athanasius: Abwendung vom Logos und Hinwendung zum Nichts<br />
o bei Anselm: Störung der rechten Ordnung<br />
o was ist die rechte Ordnung?<br />
o für die rechte Ordnung steht der Begriff der Ehre Gottes (die Sünde ist Beleidigung<br />
der Ehre Gottes)<br />
- Gott kann in seiner Ehre an sich nicht beleidigt werden, wohl aber die äußere Ehre<br />
Gottes, die rechte Ordnung<br />
o Gott der die Schöpfung (man denke an den Hintergrund: Wahrheit und rectitudo)<br />
rational erschaffen hat wird „beleidigt“, seine Ehre wird in den Schmutz gezogen<br />
wenn die rechte Ordnung gestört wird<br />
o die Störung der rechten Ordnung legt auch die Logik fest, mit der die Ordnung<br />
repariert werden muss: aut satisfactio aut poena (entweder Genugtuung oder<br />
Strafe)<br />
o wir sind im MA, dieses Denkmodell ist bestens inkulturiert zu dieser Zeit<br />
o der moderne Mensch soll nicht allzu schnell darüber lächeln, denn im Grunde<br />
entspricht das den menschlichen Bedürfnissen (→ ungestraft kommt keiner davon!)<br />
o die große Herausforderung die sich in unserem Kontext stellt: was ist mit der<br />
Predigt der Güte Gottes? Was ist mit dem 1. Akt? Kann man das über Bord werfen?<br />
o Anselm trifft eine folgeschwere Entscheidung: reine Güte ist letzten Endes Gottes<br />
unwürdig, Gott muss über die rechte Ordnung wachen (Quelle einer heute noch<br />
verbreiteten Vorstellung)<br />
3.3.1.3 satisfactio<br />
- der Mensch muss die satisfactio leisten, kann es aber nicht – Gott könnte, muss es aber<br />
nicht<br />
o der Mensch muss, kann nicht<br />
o Gott könnte, muss nicht<br />
o Gott-Mensch: als Gott kann er, als Mensch will er<br />
- deswegen braucht es einen Gottmenschen, der als Gott kann und als Mensch will<br />
o → das wäre Anselm auf einen Satz gebracht<br />
- der Mensch muss es leisten weil er gesündigt hat, er ist derjenige, der die Ehre Gottes<br />
beleidigt hat; er kann aber nicht: Anselm misst die Schwere der Sünde nicht so wie die<br />
spätere Moraltheologie nach der Materie (schwere und leichte Sünde) sondern nach der<br />
Würde desjenigen, dessen Ehre beleidigt ist, und weil Gott unendlich ist, ist alles, was sich<br />
gegen Gott richtet, in einem Ausmaß von unendlicher Schwere zu sehen (→ Sünde als<br />
Verhältnisbegriff)<br />
o der Mensch kann zwar die unendliche Schuld auf sich ziehen, kann aber unmöglich<br />
unendliche Wiedergutmachung leisten<br />
o damit steckt der Mensch in der Sackgasse, nur lösbar dadurch dass Gott, der es<br />
könnte, die Aufgaben des Menschen übernimmt<br />
o Jesus muss aber nicht, denn er hat nicht gesündigt; die Tatsache, dass Jesus<br />
sündenrein ist, ist systemkonstituierend: er muss es nicht tun, aber er will es; und<br />
weil er es will erwirbt er unendliche Verdienste, und deshalb muss er dafür belohnt<br />
werden, und jetzt steckt Gott in der Sackgasse, und Gott muss es ihm ausgleichen,<br />
kann es aber nicht, denn er (Gott) hat ja schon alles<br />
- 49 -
Dogmatik I<br />
- Sünde als Störung der rechten Ordnung<br />
o in die Tradition ging die andere Bezeichnung ein: Sünde als Beleidigung der Ehre<br />
Gottes<br />
o da Anselm, im Unterschied zur späteren Moraltheologie, die Schwere der Sünde nicht<br />
an der Materie, sondern an der Würde des Beleidigten misst, ist im Grunde jede<br />
Störung dieser Ordnung eine unendlich große Sünde, die vom Menschen her der<br />
satisfactio unterworfen werden muss (aut satisfactio aut poena [poena: Anihilation,<br />
ewiger Tod; Gott kann nicht die Schöpfung der Anihilation ausliefern; Ausweg der<br />
Rechtfertigung, satisfactio])<br />
o notwendige Gründe: eine unlösbare Situation, ein Dilemma: da die Sünde<br />
unendlich groß ist muss die Satisfaktion von unendlichem Wert sein<br />
o der Mensch, das Geschöpf ist zu einer solchen Satisfaktion unfähig, er kann sie<br />
nicht leisten<br />
o Gott könnte es, da er unendlich ist, er muss es aber nicht, da er die Störung nicht<br />
verantwortete (es ist der Mensch, der verantwortlich ist, deshalb muss er satisfactio<br />
leisten)<br />
o deswegen deduziert (dh fortführen) Anselm in Cur Deus homo: er deduziert einen<br />
Gottmenschen, der als Gott es könnte und als Mensch es nicht machen muss, da<br />
Jesus als Mensch der Einzige ohne Sünde ist<br />
o Anselm ist einer der ersten, der die Sündenfreiheit Jesu als konstitutives Element<br />
berücksichtigt – Jesus ist ohne Sünde, deshalb muss er die Satisfaktion nicht leisten<br />
o er will es aber tun, und diese freie Entscheidung hat einen ungeheuer großen<br />
moralischen Wert: er kann es tun als Gott, er will es als Mensch<br />
o deshalb erwirbt er sich unendliche Verdienste<br />
3.3.1.4 tesaurus ecclesiae (der Gnadenschatz der Kirche)<br />
- Gott muss dem menschgewordenen Sohn diesen unendlichen Verdienst, die freie<br />
Entscheidung zur satisfactio, lohnen, ansonsten wird Gott als ungerecht erscheinen<br />
- er steckt aber in der Sackgasse: was kann der Menschgewordene noch bekommen das er<br />
nicht schon hätte? Ein paar größere Lichtstrahlen? Aber was ist das schon verglichen mit<br />
dem unendlichen Verdienst?<br />
- deshalb deduziert Anselm den tesaurus ecclesiae<br />
o da zwischen Christus und Kirche eine mystisch-organische Einheit besteht,<br />
überträgt Christus, das Haupt, die Dienste die er erworben hat – er gründet eine<br />
„Bank“, diese Verdienste sprudeln bis an das Ende der Menschheitsgeschichte<br />
o aus diesem Gnadenschatz wird nun die Kirche Gnaden austeilen<br />
o entscheidender Wert im MA im Kontext der Ablasslehre; Ablässe zur Verkürzung<br />
oder Beendigung zeitlicher Strafen im Fegefeuer<br />
- Gott überträgt die Verdienste Christi an die Kirche die es dann verteilen darf<br />
- so glaubt Anselm, die Wahrheit des Kreuzes erkannt zu haben (Ausbalancierung der<br />
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit)<br />
o in der Satisfaktionslehre wird die Gerechtigkeit Gottes so gedacht, dass sie nicht<br />
größer gedacht werden kann und auch die Barmherzigkeit Gottes wird so gedacht,<br />
dass sie nicht größer gedacht werden kann<br />
o mit dieser Zuordnung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes stellt sich eine<br />
Analogie zum ontologischen Gottesbeweis (dasjenige, über das hinaus nichts<br />
gedacht werden kann)<br />
o mit der Deduktion des Gottmenschen der Satisfaktion leistet obwohl er nicht muss<br />
– die reine Güte Gottes wäre für Anselm unmoralisch – mit der Satisfaktion ist der<br />
Gerechtigkeit genüge getan<br />
o weil es ein Stellvertretungsgeschehen (Christi anstelle der Menschen) ist, ist es die<br />
Barmherzigkeit, die nicht größer gedacht werden kann<br />
- Akt, den der Gottmensch zu vollbringen hat:<br />
- 50 -
Dogmatik I<br />
o als Mensch ist er ein Geschöpf; als Geschöpf schuldet dieser Gottmensch Gott alles<br />
wie jedes Geschöpf (Gehorsam, Anbetung, Leben in der ordentlichen Art und Weise,<br />
…)<br />
o das Einzige das Jesus Gott nicht schuldet ist der Tod, weil er nicht gesündigt hat →<br />
weil er der Sündenreine ist schuldet er den Tod nicht, müsste ihn nicht erleiden<br />
altes Diktum der Kirchenväter: Tod als Folge der Sünde<br />
o → deshalb leistet der Tod die Satisfaktion<br />
o Erlösung durch den Tod (vgl. Athanasius: die Menschwerdung ist ausschlaggebend;<br />
die Schöpfung, die sich vom Logos abgewandt hat und sich deshalb ontologisch<br />
geschädigt hat, zu Anihilation tendiert, wird durch die Menschwerdung gerettet → bei<br />
Anselm erfolgt die Satisfaktion durch das Kreuz)<br />
o diese beide Traditionen bestehen nebeneinander in der Tradition<br />
Karl Rahner steht mehr im Kontext der athanasianischen Logik; auch wenn er<br />
über Kreuz redet ist für ihn die Erlösung im Kontext der Menschwerdung zu<br />
denken<br />
H.U.v. Balthasar wäre mehr auf der anselmianischen Schiene<br />
Raymund Schwager haut aufgrund der Zuspitzung im deutschen Sprachraum<br />
(Position aus der Exegese, die im Kontext der Inkarnation die christliche<br />
Erlösungslehre sah und die Dimension des Opfers ablehnte) sein ehrgeiziges<br />
Projekt realisiert: er glaubt beide Aspekte in seinem dramatischen Modell zu<br />
verbinden und zu versöhnen (1. Akt mehr Inkarnation, 3. Akt mehr Kreuz)<br />
3.3.1.5 Wahrheit des Heils<br />
- der Vater spricht zum Sünder: „Nimm meinen eingeborenen Sohn und gib ihn für dich“<br />
o eine Aufforderung, die in der Eucharistiefrömmigkeit des MA wichtig wurde<br />
- der Sohn selber: „Nimm mich und erlöse dich“<br />
o das steht fast auf dem Höhepunkt der mittelalterlichen Theologie, Befreiung der<br />
Freiheit<br />
o was du selber nicht machen konntest habe ich für dich gemacht, ergreife es, sei nicht<br />
untätig sondern erlöse dich<br />
o wenn man den Gandenschatz aus dieser Perspektive betrachtet kommt etwas völlig<br />
anderes heraus als wenn man ihn lutherisch diffamiert (→ „Wenn das Geld im Kasten<br />
klingt …“)<br />
o jene Alternative, die der Westen kaum überwinden konnte: entweder Gott oder<br />
Mensch<br />
o im Stellvertretungsdenken ist ein Versuch der Ausbalancierung: das Göttliche<br />
und Menschliche wirken zusammen, nicht auf Kosten des Anderen<br />
- damit ist die katholische Position bis in die Neuzeit auf den Punkt gebracht<br />
o Thomas zB der im Grunde dieselbe Position hat, nur die ursprüngliche Idee aut<br />
satisfactio aut poena verschiebt er zugunsten von beides ist nötig (Strafe als leiblicher<br />
Tod)<br />
o deswegen ist Anselm durch die Leistung von Trient hindurch in die Volkskatechismen<br />
gegangen und wurde bis Vatikanum II gelehrt, mit all den Verzeichnungen die es<br />
dann gab: Schwerpunktsetzung auf den beleidigten Gott<br />
o dass die Sünde den sozialen Zusammenhang in dem die Menschheit lebt stört, das<br />
geriet in Vergessenheit, im Vordergrund stand der beleidigte Gott; Gott der auf das<br />
Opfer seines Sohnes pocht<br />
3.4 Relevanz mittelalterlicher Motive: die Antwort auf den Gott des<br />
Zorns: Luther<br />
- Luther dramatisiert die theologische Diskussion im MA indem er zurück auf Augustinus<br />
geht, die auf Ratio ausgerichtete Scholastik wird von ihm verworfen, und versucht jene<br />
- 51 -
Dogmatik I<br />
Aspekte der Wirklichkeit, die verloren gegangen sind, wiederzufinden und eine Antwort auf<br />
den Gott des Zornes zu finden<br />
o wir haben sowohl in der biblischen als auch in der spirituellen Tradition zwei<br />
Stränge in der Erfahrung mit Gott: Gott der Güte und Gott des Zornes<br />
Markion: löste das durch die gnostische Idee von zwei Göttern (der böse<br />
Schöpfergott wird durch den liebenden Gott Christi überwunden)<br />
der Weg der Spaltung in zwei Götter ist für die Kirche<br />
ausgeschlossen, alles muss von ein und demselben Gott ausgesagt<br />
werden<br />
Irenäus: Einheit von Schöpfer- und Erlösergott; Gott passt sich in seinem<br />
Offenbarungshandeln dem Verstehensvermögen des Menschen an<br />
(); die Wahrheit und damit die Vermittlung beider Aussagen ist<br />
vom Schluss her zu betrachten, daher die Rekapitulation der Heilsgeschichte<br />
in Christus; die Aussagen vom Zorn (und diese Tradition geht bis in die<br />
Gegenwart) sind als Aussagen seiner Gerechtigkeit zu interpretieren, und das<br />
machte auch Anselm<br />
ungenügende Antwort auf Markion mit der Reduktion auf die<br />
Gerechtigkeit; → wie können die Aussagen von der blutigen Rache<br />
Gottes, von einem unterschiedslos niedermetzelndem Gott als<br />
Aussagen von Gerechtigkeit ausgelegt werden → dieser Gott wäre im<br />
Grunde unmoralisch<br />
der Autor der diese Aufgabe zur Hauptaufgabe macht ist Martin<br />
Luther<br />
- Luther, nicht nur Hermeneutiker sondern auch systematischer Theologe, der spirituelle<br />
Erfahrungen in den Griff zu bekommen trachtet, lebt in panischer Angst vor jener<br />
Gerechtigkeit Gottes, die ihn verurteilt<br />
o er erfährt sich als schwacher und sündiger Mensch, erleidet ungeheure Ängste und<br />
findet erst Frieden im Herzen, als er eine neue Vorstellung von der Gerechtigkeit<br />
Gottes bekommt: nicht austeilende Gerechtigkeit sondern eine den Menschen<br />
gerecht machende Gerechtigkeit<br />
3.4.1 erkenntnistheoretischer Horizont<br />
3.4.1.1 Erlösungskonzept<br />
- entschiedene Voraussetzung ist, dass Luther sich angewidert von der rationalistischen<br />
Scholastik abwendet (Misstrauen der Vernunft gegenüber)<br />
- die Vernunft sei eine Hure, die sich instrumentalisieren lässt<br />
- wenn ich mich nicht auf die Vernunft einlassen kann, wo habe ich halt um kritische Urteile<br />
zu fällen? – in der Schrift<br />
- Luther gewichtet: nicht die Auslegung der Schrift im Lichte der Vernunft (= Moderne),<br />
sondern genau umgekehrt: die Schrift kritisiert die Vernunft<br />
- die Schrift ist aber vielfältig und widersprüchlich – kann etwas Sinnvolles ausgesagt<br />
werden?<br />
3.4.1.2 Einheit der Schrift vom Christusgeschehen<br />
- die Schrift spricht immer von ein und demselben in unterschiedlichsten Geschichten, und<br />
das ist das Christusgeschehen selbst<br />
- sowohl das AT als auch das NT sind auszulegen auf Christus hin, mehr noch: Christus<br />
selbst ist der eigentliche Sprecher in der Schrift<br />
- Luther macht das deutlich in der Auslegung der Psalmen: wer ist der Beter? wer spricht? –<br />
immer Christus<br />
o doch was soll es bedeuten, wenn der Psalmenbeter betet „In Sünde bin ich geboren“<br />
- 52 -
Dogmatik I<br />
o die hermeneutische Grundregel: Christus spricht in der Schrift mal in eigenem<br />
Namen, mal im Namen seiner Glieder<br />
o Christus spricht als Haupt oder als die Glieder (in persona ecclesiae), je nachdem was<br />
gesagt wird<br />
o Übertragung zwischen Christus und Kirche<br />
- Luther belebt die Lehre vom vierfachen Schriftsinn und macht sie sich zu eigen: Littera<br />
gesta docet, quid credas allegoria, moralis quid agas, quid speres anagogia (der Buchstabe<br />
lehrt das Geschehene; was zu glauben ist, die Allegorie; der moralische Sinn was zu tun ist;<br />
was zu hoffen ist, die Anagogie)<br />
o zB literarischer Sinn: kommt das Wort „Jerusalem“ vor, ist die Stadt gemeint<br />
o allegorischer (typologischer) Sinn: was es zu glauben gibt; die Stadt Jerusalem ist<br />
allegorisch betrachtet die Kirche (dogmatischer Sinn, andere Ebene)<br />
o moralischer Sinn: bezogen auf die Moral des Menschen, auf die Seele hin, was ergibt<br />
sich aus der Betrachtung des Bildes: Jerusalem als Stadt, als Allegorie für die Kirche<br />
wird tropologisch für die menschliche Seele als moralisches Subjekt<br />
o anagogischer Sinn (Hoffnung): worauf hin zielt das Ganze, welche Hoffnung:<br />
Jerusalem wird zum Inbegriff des himmlischen Reiches (himmlisches Jerusalem)<br />
3.4.1.3 Logik einer sich immer mehr intensivierenden Identifizierung Gottes mit<br />
den Menschen vs. radikales Zurückdrängen menschlicher Freiheit<br />
- Luther bedient sich dessen und kann in zwei Richtungen interpretieren: von Christus zur<br />
Kirche und von der Kirche zu Christus<br />
o im Unterschied zu anderen religiösen Traditionen ist der biblische Gott anders, er<br />
identifiziert sich mit konkreten Menschen, mit einem konkreten Volk, und wenn<br />
das Volk versagt wendet er sich nicht ab; durch die Sackgasse des Abfalls wird die<br />
Identifizierung immer mehr gesteigert; die biblische Dynamik und Dramatik stellt<br />
sich als ständig steigende Identifizierung Gottes mit seinem treulosen Volk dar<br />
- aufgrund seines Misstrauens gegenüber der Vernunft, aufgrund seiner Zurückdrängung<br />
der Freiheit: nach Luther ist der Mensch radikal unfrei<br />
o aufgrund der Sünde des Adams werden Menschen entweder von Gott oder vom<br />
Teufel geritten<br />
o der Mensch eigentlich nur noch Werkzeug<br />
- die menschliche Position ist in der lutherischen Theologie bedeutungslos und blass<br />
o Folgen: diese Art von Theologie erliegt leicht der Gefahr der Projektion<br />
- so gesehen wird bei Luther der Mensch, und der Mensch heißt konkret Christus, nur noch zu<br />
einem passiven Werkzeug göttlichen Handelns, denn auch der Mensch Christus hat keine<br />
Freiheit<br />
- damit haben wir ein völlig anderes Konzept als bei Anselm<br />
o bei Anselm ist Christus ein frei handelndes Subjekt als Mensch, er handelt, er<br />
fordert den Menschen auf zu handeln („Nimm mich und erlöse dich“)<br />
o bei Luther ist die menschliche Natur Christi nur noch ein passives Werkzeug, mit<br />
dem Gottvater handelt und wir werden sehen, auch der andere Mensch spielt im<br />
Kontext des Handelns keine Rolle<br />
3.4.1.4 deus absconditus (verborgen) vs. deus revelatus (offenbarend)<br />
- deus absconditus, der verborgene Gott, der Angst und Schrecken verursacht – der Gott der<br />
mich als Sünder eigentlich zerstören müsste<br />
o der Sünder erfährt Gott als den verborgenen Gott, als Gott des Zornes<br />
o dieser Gott ist nichts anderes als Antwort auf die menschliche Schwäche und Sünde<br />
o wenn Christus selber am Kreuz die Gottverlassenheit erfährt, so erfährt er jenen deus<br />
absconditus<br />
o Markion: zwei verschiedene Götter<br />
o Luther: zwei Gesichter ein und desselben Gottes<br />
- 53 -
Dogmatik I<br />
- deus revelatus, ein sich offenbarender Gott, der sich in Christus offenbart und der ermöglicht<br />
es, dass man seine Angst vor dem Zorn Gottes bändigt<br />
o Luther nimmt Paulus beim Wort und spricht ausdrücklich vom dramatischen Kampf<br />
am Kreuz<br />
o das Kreuz als hochdramatisches Geschehen in dem mehrere Akteure beteiligt sind<br />
o am Kreuz nimmt der Vater die Sünden vom sündigen Menschen und überträgt diese<br />
auf den zum Sünder werdenden Sohn – Christus ist eigentlich ein Werkzeug an dem<br />
gehandelt wird, er hat keine Freiheit – der Vater ist der Agierende, er nimmt die<br />
Sünden und überträgt sie auf den damit zur Sünde werdenden Christus – Christus<br />
wird zum Sünder, ja zur Sünde<br />
o göttlicher Zorn: nachdem diese Übertragung stattfindet entlädt sich der göttliche<br />
Zorn über Christus<br />
o Folgen dieses Denkens: der Zorn entlädt sich nun nicht mehr über dem Menschen,<br />
sondern über Christus, man erfährt sich stückweise als gerechtfertigt<br />
o → simul iustus et peccator (Gerechtfertigte und Sünder zugleich)<br />
3.4.1.5 Folgen des Kampfes für den Menschen: simul iustus et peccator<br />
- wenn der Mensch auf Christus schaut kann er sich als iustus erleben, aber nicht weil er<br />
selber gerecht ist, das wird er niemals werden (Grundbild: Mensch unfrei, Inbegriff des<br />
Sünders)<br />
- sofern ich auf mich selber blicke (modern: homo incurvatus der nur auf sich selbst pocht) ist<br />
Sünder und bleibt Sünder<br />
- eine Spannung im Menschen, die eigentlich nie aufgelöst werden kann<br />
- im Blick auf den Gekreuzigten erfährt man sich als gerecht, verliert man diesen Blick<br />
erfährt man sich als Sünder<br />
- warum das Kreuz eine so fundamentale Bedeutung in der evangelischen Tradition hat: das<br />
Kreuz auch als Symbol; am Kreuz spielt sich der dramatische Kampf ab, am Kreuz ereig<strong>net</strong><br />
sich der „fröhliche Wechsel und Streit“ zwischen der sündigen Seele des Menschen und dem<br />
unsere Gerechtigkeit seienden Christus<br />
3.4.1.6 Wahrheit des Heils<br />
- bedeutet Vertrauen; in diesem Vertrauen auf Christus erlebe ich meine Gerechtigkeit, selber<br />
bin ich aber vor Gott niemand<br />
- Erlösungslehre heißt im Klartext: Gottvater ist der Agierende, er macht Christus zum<br />
Sünder (erste Stellvertretung), über diese Sünde entlädt sich der göttliche Zorn (zweite<br />
Stellvertretung) und wenn ich auf Christus schaue darf ich an seiner Gerechtigkeit Anteil<br />
haben<br />
o Analogie zum Fünf-Akte-Modell von Raymund Schwager:<br />
der wichtigste Unterschied betrifft die Frage wer handelt: bei Schwager die<br />
Menschen die Christus ausstoßen, ihn zu einem Sündenbock machen, nicht<br />
aber Gott<br />
es ist Christus selber der handelt, getragen durch die Liebe des Vaters<br />
vgl. Maximus Confessor: Mensch Jesus mit einem Freiheitsakt<br />
bei Luther ist das Menschliche ausgeblendet, reduziert auf ein passives<br />
Werkzeug; Gott selber handelt<br />
in Christus ist der Ort des fröhlichen Spiels von Wechsel und Streit<br />
- mit diesem Modell merkt man, dass da ganz andere Weltbilder vorhanden sind, was Gott ist,<br />
was Mensch ist, was Kooperation oder Rivalität ist<br />
o in diesen theologischen Bildern verdichtet sich das, was kulturell selbstverständlich<br />
wurde<br />
- 54 -
Dogmatik I<br />
o trotz des einheitlichen mittelalterlichen Systems ist die Einheit der Ordnung<br />
längst zerbrochen: Menschen leben zwar im selben Gebiet, aber das was Neuzeit ist,<br />
ist längst eingebrochen, Vormarsch der subjektiven Erfahrungen<br />
o Luther findet zu seiner Theologie, weil er sich mit sich selber auseinandersetze (die<br />
scholastischen Gelehrten hingegen lasen andere Werke)<br />
- mit Luther zerbricht die Welt in zwei Weisen des Begreifens von Heil und Wahrheit<br />
- Reformation fokussiert sich auf Sünde, auf Verlust von Freiheit – den Menschen kennt sie<br />
eigentlich nicht<br />
o auf diesem Hintergrund wird verständlich, dass gerade in der evangelischen Tradition<br />
es mit der Zeit zu einer Infragestellung der Stellvertretung kam<br />
- man verdeutliche sich<br />
o barocke Kirche: wunderschöne aber anders gestaltete Kirchen der Reformation<br />
(düster, konzentriert auf Kanzel, auf die Schrift und sonst nichts)<br />
o verschiedene Zugänge der Welt<br />
3.5 moderne Ablehnung der Wahrheit des Kreuzes<br />
3.5.1 Infragestellung der Stellvertretung im Kontext des<br />
Autonomiedenkens<br />
- was wir bisher als Wahrheit des Kreuzes analysierten war immer ein Geschehen, das in der<br />
Logik der Stellvertretung betrachtet wurde<br />
- damit besteht jetzt der Inbegriff des Heils darin, dass jemand für mich etwas tut<br />
- Kant, und damit endet eine Epoche: Autonomie, dh niemand kann an die Stelle eines anderen<br />
treten, das höchste Ideal ist das autonome Subjekt<br />
o er wird zu einer fundamentalen Herausforderung der evangelischen Tradition, weil<br />
er die Wahrheit des Kreuzes vernichtet<br />
o heißt das aber, dass die Wahrheit des Christentums und das Heil in Christus aus den<br />
Angeln gehoben sind? Nein, Kant bleibt Christ<br />
o mit Kant kommt jenes Modell zur Diskussion, das kulturell heute geistert: Heil =<br />
Moral<br />
o als Menschenfreund brachte er das Ideal der moralischen Vollkommenheit<br />
o Christus als der ideale Mensch, als Vorbild, der Autonomie am besten verwirklichte<br />
o weil er das tat, kann er nicht an meiner Stelle etwas verwirklicht haben, das wäre<br />
contradictio in se (Widerspruch in sich selbst)<br />
o es geht um ein gottgefälliges Leben, das im Menschen grundgelegt ist<br />
o er greift auf Lk 17,21: „Das Reich Gottes ist in euch“, im innersten Kern des<br />
moralischen Subjektes<br />
o das neuzeitliche protestantische Christentum, das damit seinen Anfang nimmt,<br />
verwandelt die Religion zu Ethik, es ist ein moralisches Christentum, eines, das<br />
letzten Endes auf neue Art und Weise rationalistisch wird (jene Tradition die sich auf<br />
die Reformation beruft – wenn bei Luther Kreuz und Gekreuzigter im Zentrum stehen<br />
verschwindet das bei Kant; das Kreuz wird zu einem Kultursymbol), Freiheit,<br />
Vervollkommnung des menschlichen Subjektes, das Reich Gottes im Menschen, die<br />
bürgerliche Tugend als Inbegriff sittlicher Religiosität – all das war eine radikale<br />
Revolution der Tradition<br />
o was wir heute als radikale Krise erleben, diese Verunsicherung, ist zuerst Krise des<br />
neuzeitlichen moralisierenden Christentums<br />
- dogmatisch gesehen das entscheidende Stichwort: Infragestellung der Stellvertretung;<br />
das Kreuz hat keine Bedeutung<br />
o was an Christus bedeutsam war muss sich in Kategorien der Ethik übersetzen lassen<br />
o auf diesem Hintergrund der deutsche Protestantismus mit seinen großen Gestalten<br />
(Kant, Fichte, Hegel, … alle diese waren mal Theologen)<br />
o Aufklärung, Auszug aus der Unmündigkeit des Dogmas (va das kirchliche Dogma der<br />
Erlösung in Christus)<br />
- 55 -
Dogmatik I<br />
3.5.1.1 Versagen rationalistischer Theologien im Kontext der Kriege des 20.<br />
Jahrhunderts<br />
- dieser Kulturprotestantismus erlebt eine ungeheure Krise mit dem Ausbruch des I.<br />
Weltkrieges<br />
- Karl Barth: eine Theologie, die zu Kriegshetze wird, muss eine falsche Theologie zu sein<br />
o man muss die Kriegsbegeisterung zu Beginn des I. Weltkrieges bedenken<br />
o die deutschen liberalen Theologen waren Kriegshetzer<br />
o Karl Barth bringt den deutschen Protestantismus in eine fundamentale Glaubenskrise<br />
weil er wieder zu Luther zurückkehrt<br />
3.5.1.2 liberale „Abschaffung“ des Opfers, Opferkritik in der katholischen<br />
Theologie<br />
- das Kreuz als Fokussierung der Opferhaltung gerät ins Kreuzfeuer der Kritik (68er!)<br />
- politisch gesehen war es eine Zeit da man von Opferminimierung sprach, man hat Opfer<br />
übersehen, minimalisiert<br />
- nach und nach kehrte aber die Opfermentalität zurück<br />
o heutige Problematik: wie oft Opfer auftaucht, da staunt man, wie weit man<br />
gesamtgesellschaftlich verblendet sein kann<br />
o nicht zuletzt Missbrauchsdebatte: geschah genau in einer Zeit, da man glaubte keine<br />
Opfer mehr zu haben; das entsprach nicht dem gängigen Schema (Verurteilung zur<br />
Sprachlosigkeit)<br />
- das ist ein analoger Begriff: unabhängig davon wie man das Opfer bestimmt: Ablehnung<br />
einer Sicht der Wirklichkeit wo man sagt, Stellvertretung habe eine Bedeutung<br />
o der Traum des autonomen Menschen ist es niemanden mehr zu brauchen<br />
- das Problem um das es hier geht: kann es ein Lebens- und Glaubensmodell geben, das nicht<br />
auf Stellvertretung beruht?<br />
o man merkt, dass sich die Kultur zu Ende des 20. Jh. in eine kulturelle Sackgasse<br />
verirrte<br />
3.5.1.3 Suspendierung der Wahrheitsfrage (gerade im Kontext von Leid)<br />
- hinzu kommt, dass auf dem Höhepunkt dieser Auseinandersetzung gerade in der Theologie<br />
die Wahrheitsfrage in Misskredit geraten ist<br />
- Wahrheit wurde an den Rand gedrängt, das ist etwas, das die Menschen vernichtet<br />
- Heil hingegen tut dem Menschen gut, und zwar die Mentalität in pluralistischen<br />
Theologien: jedem Menschen seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und seinen<br />
eigenen Weg dorthin, es gibt ja mehrere Fenster und keiner kann Anspruch auf den richtigen<br />
haben<br />
o trotzdem die Frage: rechtfertigt das die Suspendierung der Wahrheitsfrage?<br />
Damit ist gemeint, es gäbe keine gemeinsamen Hintergründe, die letzten Endes<br />
einen normativen Charakter zu Gemeinsamkeit haben<br />
o wenn das der Fall ist, ist radikaler Individualismus die Folge und damit verbunden<br />
radikale Einsamkeit<br />
o so menschenfreundlich sich pluralistische Modelle auch anhören mögen, man muss<br />
sie bis zum Ende durchdenken, und da landet man immer beim autarken Wesen<br />
das auf Andere nicht angewiesen ist<br />
- Christologie als Horizont, es geht nicht um Macht oder Hegemonie<br />
o Christologie als Denkfigur<br />
o sie sagt nicht mehr, als dass das letzte Geheimnis der Wirklichkeit doch in<br />
Stellvertretung geschehen ist<br />
Christologie heißt: vieles können wir tun, aber das Entscheidende im Leben<br />
widerfährt uns, weil das letzte Geheimnis der Wirklichkeit ein personales<br />
Geheimnis ist, das das Böse wandelt oder erleidet und das tut was wir selber<br />
nicht vermögen<br />
- 56 -
Dogmatik I<br />
3.6 Radikalisierung der Erkenntnis der Wahrheit des Kreuzes in der<br />
Theologie des 20. Jahrhunderts: Kreuz als Erlösung von der<br />
Hölle<br />
- das heißt nicht, dass die Umwege im evangelischen Kontext über Kant ein Irrtum waren, das<br />
waren geschichtliche Ausprägungen einer bestimmten Lebensweise, trotzdem ist damit<br />
wohl kaum der Wahrheit letzter Schluss erreicht<br />
3.6.1 Karl Barths Kritik an den Extremen<br />
- einer der nicht nur eine Schule begründet hat, sondern das ganze geistige Klima veränderte<br />
- als Gemeindepfarrer war er schockiert über das was im I. Weltkrieg passierte<br />
- er nahm die Bibel, schlug den Römerbrief auf und fing an selber Kommentare zum<br />
Römerbrief zu schreiben<br />
o wurde zu einem solchen Schlager, dass über Nacht Karl Barth zu einem der<br />
herausragendste theologischen Gestalten in der deutschen Kirche wurde<br />
o er hat nie promoviert, er wurde von einer mutigen Universität aufgrund dieses<br />
Kommentars zum Professor berufen, gleich hat ihn die Universität Bonn geholt, da hat<br />
er akademisch sich entfaltet und die Weichen anders gestellt wodurch er gefährlich<br />
wurde<br />
o als Hitler an die Macht kam wurde er aus Deutschland ausgewiesen, hat sein Leben in<br />
Basel weitergelebt<br />
o sicher die größte Gestalt des Protestantismus im 20. Jahrhunderts<br />
- Augustinus, der Vater der Prädestinationslehre hat gerade im Rückgriff auf bestimmte<br />
biblische Aussagen aber auch aufgrund seiner Erfahrung geurteilt: Gott erbarmt sich<br />
wessen er sich erbarmen will und er verstockt diejenigen die er verstocken möchte<br />
(Röm 9,18: Aufgriff von Mal, „Jakob habe ich geliebt, Esau aber habe ich gehasst.“)<br />
o Gott erbarmt sich, und dies grundlos, des Jakob (di ein Teil der Menschheit), wie<br />
Gott Esau (ein anderer Teil der Menschheit) das Erbarmen vorenthält<br />
o Dogmatik III: weil die Menschheit in der massa damnata lebt wird das, was mit<br />
Esau gemeint ist, der Verdammnis anheim fallen<br />
o Gott erbarmt sich in seinem unermesslichen Ratschluss jener Menschen, die er<br />
erwählt, und er erwählt eben nicht alle, sondern nur die Wenigen (es sind die<br />
Wenigen, die den Weg durch das enge Tor schaffen)<br />
o dass diese Aussage des Paulus keine über die ewige Verdammnis ist ist klar, ein<br />
Großteil der Tradition legte Röm auch anders aus, dennoch hat die<br />
Prädestinationslehre von Augustinus eine ungeheure Faszination ausgeübt<br />
in katholischen Kreisen weniger, es war va die Reformation<br />
Luther, ein Augustiner, hat diese Lehre neu belebt, va aber Jean Calvin<br />
Calvin machte diese Lehre geradezu zum Schlüsselbegriff seines<br />
theologischen Systems und spitzte Augustinus sogar zu: wo Augustinus vom<br />
„Nichterwählen“ sprach (nicht aktives Verwerfen), vollzieht Calvin den<br />
Schritt zur aktiven Verwerfung (Gott als absolutes Souverän erwählt einige<br />
und verwirft andere mit einem positiven Willensakt)<br />
überflüssig zu sagen, dass das Prädestinationsdenken nicht nur ein christliches<br />
Privileg ist: der ganze Islam ist im Grunde eine Prädestinationsreligion (Gott<br />
bestimmt den menschlichen Willen vorher)<br />
Calvin: Gott bestimmt die Menschen zur ewigen Seligkeit und zur ewigen<br />
Verdammnis – zu welcher Gruppe gehöre ich?<br />
Augustinus verweigerte sich dieser Logik (auch wenn er überzeugt war<br />
erwählt zu sein)<br />
für Luther: der Mensch ist zwar Sünder und bleibt Sünder, aber mit dem Blick<br />
auf das Kreuz Christi – extra nos liegt unser Heil; jeder Blick auf Christus<br />
kann mich in der gläubigen Gewissheit stärken gerettet zu werden<br />
- 57 -
Dogmatik I<br />
bei Calvin: psychologische Aspekte spielen eine Rolle; einer der Punkte am<br />
Rande ist die Frage des äußeren Erfolgs (Bewähren und Erfolg im Leben) –<br />
dieser Mensch darf diesen Erfolg rückinterpretieren als Zeichen der<br />
Erwählung<br />
eine der berühmtesten Thesen über den Zusammenhang Theologie-Ökonomie<br />
von Max Weber: Calvinismus, der Gedanke der Prädestination, sei der<br />
entscheidende Impuls zur Entwicklung des Kapitalismus (Selbstbestätigung<br />
zu den Erwählten zu gehören) – Max Weber: am Ursprung des Kapitalismus<br />
steht ein theologisches Denkmodell, die calvinistische Prädestinationslehre<br />
- zwei große Herausforderungen der Neuzeit:<br />
o Schwelle zur Neuzeit, und die systematische Theologie präsentiert sich: überlieferter<br />
Glaube und radikale Infragestellung des zentralen Gedankens der Stellvertretung<br />
dieser Gedanke va durch die Aufklärung infrage gestellt (Kant: keiner kann<br />
anstelle eines anderen etwas tun) – was bedeutet dann Jesus Christus<br />
für die evangelische Theologie dann: das Heil Christi ist im Grunde die<br />
Wahrheit der Pädagogik, des Modells; Christus als Modell des sittlichen und<br />
guten Lebens, eine exemplum<br />
Religion und Ethik rücken nahe aneinander, fast zur Unkenntlichkeit<br />
verschmelzen sie<br />
das kantische Erbe zuerst im deutschen Protestantismus, dann auch weltweit:<br />
Religion als Ethik<br />
in diesem Kontext: Stellvertretung ist moralisch unzulässig; der Gedanke der<br />
Erlösung in Christus verblasst, hat keinen kulturpolitischen Stellenwert mehr<br />
o Kritik der Opfermentalität:<br />
Höhepunkt in der 68er-Mentaltiät; unsere Kultur schafft den Sprung<br />
(kultureller Sprung), dass das öffentlich zugemutete Sacrifitium wird nicht<br />
nötig sein, denn wir kommen in einen Zustand, der gerecht sein wird<br />
3.6.1.1 Gnadenwahl durch Gott<br />
- Barth beeinflusst durch Calvin (Vorherbestimmung und Verwerfung)<br />
- Barth, der seine Studien im Kontext der liberalen Theologie macht<br />
- er erlebt den Zusammenbruch: die von ihm gelernte Theologie sei falsch<br />
- Barth, der das klassische Prädestinationsschema aus den Angeln hebt; insofern hat er<br />
konfessionsübergreifend eine Bedeutung<br />
- gehört sicher zu den größten theologischen Gestalten des 20. Jh.<br />
- Bedeutung von Karl Barth: Wiedergewinnung der Dimension der Stellvertretung für die<br />
Theologie<br />
o er setzt dort an, wo Calvin ansetzte, bei der Gnadenwahl Gottes<br />
o das letzte oder erste oder zentrale Wort der Erlösungslehre (evangelisch:<br />
Versöhnungslehre), die zentrale gute Nachricht, ist die Gnadenwahl durch Gott<br />
o alles entscheidet sich bei diesem decretum (Entscheidung) Gottes, die er in alle<br />
Ewigkeit trifft, nur diese Entscheidung wird von Barth radikal mit Jesus Christus<br />
verbunden<br />
o die Gnadenwahl Gottes besteht in der Gnadenwahl Christi: Jesus ist der Mensch,<br />
der von Gott erwählt wird<br />
o in Jesus Christus kommen der erwählende Gott und der erwählte Mensch<br />
zusammen– man erkennt eine gewisse Analogie zum anselmianischen Denken<br />
o es kann deswegen auch keinen verborgenen Willen Gottes geben<br />
Schluss mit der Figur eines deus absconditus – Gott kann nicht anders sein als<br />
jener, der sich uns offenbart<br />
eine analoge Denkfigur hatte zur selben Zeit auch Karl Rahner<br />
die ökonomische Trinität ist die immanente – Gott kann in seinem Wesen<br />
nicht anders sein als der, der sich offenbart<br />
- 58 -
Dogmatik I<br />
o Inhalt der Prädestinationslehre: In der Erwählung Jesu Christi hat Gott den<br />
Menschen die Erwählung und das Leben, sich selbst aber die Verwerfung und<br />
den Tod zugedacht<br />
o in Jesus Christus gilt den Menschen die Erwählung, das Leben; in Jesus Christus gilt<br />
dem menschgewordenen Gott die Verwerfung und der Tod<br />
o damit ist Christus Erwählter und Verworfener zugleich an unserer Stelle<br />
o Barth bringt die Prädestinationsfigur aus ihrer Verankerung: es gibt göttliche<br />
Entscheidung die in alle Ewigkeit von Gott getroffen wurde, aber keine<br />
Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Menschen, sondern zu Gunsten<br />
und Ungunsten des einen Jesus Christus – er ist Erwählter und Verworfener, weil<br />
er stellvertretend für uns die Verwerfung erleidet – und dies wird im Kreuz konkret<br />
o Ursprung jenes Diktums, das in der Vorstellung der fünf Akte im 3. Akt auftauchte:<br />
Christus, der Richter, ist gerichtet<br />
o phänomenal bei Barth: er widmet über hundert Seiten der Gestalt des Judas, dieser<br />
wird zum Prototyp Christi, in der Form des Verräters, desjenigen der verwirft (jene<br />
theologischen Gedanken, die in der deutschen Publizistik später Walter Jens<br />
literarisch fruchtbar gemacht hat)<br />
o damit wird die Erwählungslehre zur Lehre von der Rechtfertigung des Sünders<br />
o der Mensch kann diese Art der Rechtfertigung mit seiner Sünde unmöglich<br />
rückgängig machen<br />
o mit diesem Denkschema hat Karl Barth die Dimension der Stellvertretung neu in die<br />
Theologie hineingebracht<br />
3.6.1.2 Widerspruch in Gott<br />
- viele der Arbeiten über Barth ackern sich ab an dem Problem: wird damit der Widerspruch<br />
der Sünde nicht in Gott selbst verlagert?<br />
- hat Barth durch seine Gnadenwahl, eine, die Christus als den Erwählten und Verworfenen<br />
thematisiert, philosophisch nicht den Widerspruch gut-böse, Sünde-Gnade, in Gott selbst<br />
verlagert?<br />
- zugespitzt: wenn de facto das Verwerfen gleich ursprünglich ist wie das Erwählen, wenn<br />
das zwei Seiten ein und derselben Wirklichkeit sind, ist das nicht nur eine neue Auflage jenes<br />
alten Dilemmas, das uns mit dem janusköpfigen Gott begeg<strong>net</strong>, dass Gott widersprüchlich<br />
ist?<br />
- Barths Dilemma: je stärker man die Inkarnation im Kontext des Kreuzes sieht desto<br />
stärker gerät man in Gefahr, einen Widerspruch in Gott anzunehmen<br />
o die Annahme eines Widerspruchs in Gott wäre aber – so Barth – eine Lästerung<br />
o deswegen hat Barth sich sein Leben lang gesträubt den „Schritt in die Ewigkeit“ zu<br />
tun<br />
o die Gefahr hat er gesehen und zugegeben, aber immer bestritten, dass es einen<br />
Widerspruch in Gott gibt<br />
- diesen Schritt hat aber die reformatorische Theologie nach Barth gemacht, der bekannteste<br />
Autor ist Jürgen Moltmann<br />
o Auschwitzdebatte: man kann nach Auschwitz beten weil in Auschwitz gebetet wurde<br />
o er lies sich davon inspirieren, er war selber Soldat<br />
o er macht diese Diskussion für die systematische Theologie fruchtbar, in dem er jene<br />
Erzählung aufnimmt und auswertet, die wohl die bekannteste theologische<br />
Kurzerzählung in der Auschwitzdebatte ist: Eli Wiesel: „Gott hängt am Galgen“<br />
Christen verstanden das bald christologisch<br />
diese Aussage stammt aber von einem Juden – das sagt eigentlich etwas für<br />
Juden Unmögliches aus<br />
diese Aussage ist für einen Juden fast blasphemisch<br />
o Moltmann verband diese Aussage mit der christlichen Trinitätslehre<br />
- die ganze Tradition hat klar und eindeutig verstanden: dieses Kreuz betrifft die menschliche<br />
Natur Jesu Christi<br />
- 59 -
Dogmatik I<br />
o Christus als Mensch leidet und stirbt am Kreuz, und Gott ist natürlich auf eine Art<br />
und Weise anwesend<br />
- Moltmann spitzt zu und sagt: diese klassische Auslegung war verharmlosend<br />
o nicht was Metz fragte („Wo war Gott in Auschwitz“) ist theologisch relevant, sondern<br />
„Ist Auschwitz in Gott“<br />
o Gott selber leidet → ehe das Kreuz auf Golgota aufgerichtet wurde stand es in<br />
Ewigkeit im Herzen der Trinität<br />
seit Ewigkeit ist das Kreuz, metaphorisch, im Herzen der Trinität<br />
alles Leiden und alle Sünde, die Hölle (und damit auch Auschwitz), ist im<br />
Herzen Gottes integriert<br />
der Vater ist die kreuzigende Liebe, der Sohn die gekreuzigte Liebe und der<br />
Hl. Geist die Kraft<br />
Kritik: sadomasochistisches Projektionsschema<br />
o er hat dann in späteren Werken seine Aussagen abgemildert<br />
- wichtig: es hat im 20. Jh. zugespitzt die Position gegeben, die den Widerspruch in Gott<br />
selber verlagert hat, Leiden in Gott selber<br />
- der Inbegriff des göttlichen Lebens ist Zerrissenheit und Widerspruch<br />
- das war der Schritt Barth (der den Stellvertretungsgedanken neu rettet und eine große<br />
Problematik auftut) und Moltmann (der diesen Sprung nachvollzieht und die Kritik an dieser<br />
Position)<br />
3.6.2 Hans Urs von Balthasar: Kritik an der gängigen Denkform der<br />
Theologie<br />
- studiert Germanistik und Literatur in Wien, entscheidet sich nachher in den Jesuitenorden<br />
einzutreten, absolviert die ordensübliche Ausbildung, hat Kontakte zu den großen Geistern der<br />
jesuitischen Tradition des 20. Jh., Karl Rahner ist ein Kollege (nicht unwichtig; Kollege,<br />
Gesprächspartner und lebenslang eine positive Herausforderung)<br />
- er gelangte zur Überzeugung, dass es eine göttliche Berufung gibt (für ihn: einen neuen Weg<br />
einschlagen, einen, wo Priester und Laien zusammen einen christlicheren Weg gehen sollen)<br />
o damit hat er sich seinen Oberen anvertraut<br />
- Skandal für die damalige Zeit: der schon bekannte von Balthasar tritt aus dem Jesuitenorden<br />
aus, ohne kirchenrechtlich abgesichert zu sein (vier Jahre war er kirchlich unbehaust)<br />
o damit löst er eine Debatte aus über Gehorsam und Lebensentwürfe, und das lange vor<br />
Vatikanum II<br />
o nach vier Jahren entscheidet sich der Bischof von Chur ihn aufzunehmen als<br />
Diözesankleriker<br />
o Balthasar als Pendant zu Rahner, beide sind sicher die zwei größten katholischen<br />
Theologen des 20. Jh.<br />
o sein Einfluss in der Kirche nimmt va indirekt über Henri de Lubac seinen Lauf<br />
o Papst Johannes Paul II. ernennt H.U.v. Balthasar zum Kardinal, er stirbt zwei Tage<br />
vorher<br />
- das Revolutionäre für die katholische Theologie:<br />
o auf seine Art und Weise fügt er sich in die Diskussion, was das Heil angesichts einer<br />
entchristlichten Welt bedeutet, angesichts der Übermacht der Sünde<br />
o er ist der Überzeugung, dass die gängige Form der Theologie, die va durch Logik<br />
und Philosophie arbeitet, diese Fragen nicht adäquat zu beantworten vermag, dass<br />
also eine grundsätzlich neue Denkform (Gestalt) notwendig sein<br />
o eine Gestalt, die nicht nur sich einseitig von der philosophischen begrifflichen<br />
Schärfung prägen lässt, sondern durch Literatur, Kunst und Theater beeinflusst wird;<br />
die so etwas wie dramatische Elemente integriert<br />
o „Dramatik“ – wenn in Ibk von der dramatischen Theologie gesprochen wird gibt es<br />
eine Verbindung zu Balthasar<br />
o „Theodramatik“ als eines seiner Werke: denken in dramatischen Kategorien;<br />
wichtig: Rolle, Geschichte, Theater<br />
- 60 -
Dogmatik I<br />
die Vision der Weltgeschichte als ein großes Drama, wo Gott „Rollen“<br />
verteilt<br />
Rollenidentität; der Rollenbegriff vom Theater her: Rolle – Maske – Prosopon<br />
– Persona; wir spielen verschiedene Rollen<br />
die Frage nach der Identität von Person und Rolle<br />
bei Christus ist Rolle und Person identisch; bei allen anderen ist es eine<br />
lebenslängliche Aufgabe seine Rolle zu suchen<br />
o → Vorstellung des Lebens als Drama; Gott als Autor und Regisseur, der aber dem<br />
Schauspieler Freiheit lässt, wie er seine Rolle wahrnimmt und entdeckt<br />
3.6.2.1 Unterwanderung der Sünde durch Gott, „Theologie der drei Tage“<br />
- Balthasar ist der Erste, der die Wahrheit im Kontext der Unterwanderung der Sünde<br />
durch Gott denkt<br />
- Gott nimmt die Sünde ernst, unterwandert aber ihre Logik<br />
- damit glaubt er Augustinus (der von der Faszination der Hölle fasziniert wird) und Origenes<br />
(Traum von Apokatastasis) gerecht zu werden<br />
- konsequent durchdacht und ausgeführt und zum ersten Mal deutlich greifbar in seinem<br />
Aufsatz „Theologie der drei Tage“<br />
o abgedruckt im Entwurf der heilsgeschichtlichen Dogmatik („mysterium salutis“)<br />
o erschien nach dem Konzil<br />
o im Rahmen dieses Werkes: es geht um die liturgischen drei Tage (Karfreitag,<br />
Karsamstag und Ostersonntag)<br />
3.6.2.1.1 hierbei wichtige Punkte<br />
Achtung! Hier handelt es sich um eine Theologie die durch Privatoffenbarung beeinflusst ist!<br />
- Menschwerdung als radikale Kenose (Entäußerung) des Sohnes; wie ist die Entäußerung zu<br />
denken?<br />
o normalerweise wurde der Philipperhymnus so gedacht: Logos wird Mensch, das hat<br />
aber keine Konsequenzen für das Verständnis des Logos<br />
o traditionell wir das christliche Gottesbild gedacht als Inbegriff der Relationen<br />
zwischen Vater und Sohn und Hl. Geist<br />
o der Geist hat seinen Ursprung von Vater und Sohn, ist den beiden quasi<br />
untergeord<strong>net</strong><br />
o Menschwerdung: Balthasar denkt bildhaft, räumlich, dramatisch: Menschwerdung<br />
des Sohnes heißt Entäußerung des Sohnes schon im Kontext des trinitarischen<br />
Lebens; bedeutet: der Sohn hinterlegt seine Gottgestalt beim Vater und ord<strong>net</strong> sich<br />
dem Geist unter (ontologisch kann er nicht aufhören Sohn zu sein, er verzichtet aber<br />
auf seine Privilegien, auf seine Attribute), dh: der menschgewordene Sohn wird vom<br />
Geist geführt<br />
o das hat seine Bedeutung: der menschgewordene Sohn ist im Hinblick auf die Frage<br />
der Gotteserkenntnis uns allen zuerst gleich<br />
- Menschwerdung als radikale Kenose – Hinterlegung der Gottgestalt beim Vater<br />
o → trinitarische Inversion; Veränderung der Beziehungen in der Trinität<br />
o wichtig weil: man denke an Hippies: sie gingen auf Wiesen, verließen die Familien<br />
aber jeder hatte seine Kreditkarte behalten – die Kritik war: der Menschgewordene<br />
läuft durch die Welt mit dem Rucksack der Gottheit auf dem Rücken<br />
diese Kritik gibt es immer wieder<br />
Balthasar versucht damit aufzuräumen indem er von radikaler Entäußerung<br />
spricht<br />
o er muss sich vom Geist führen lassen, und er lässt sich führen auf die Stunde hin<br />
(johanneischer Begriff), das Kreuz<br />
o es ist nicht so, dass der Menschgewordene von Anfang an weiß wie sein Leben<br />
aussieht, er lässt sich führen auf die Stunde hin, auf das Kreuz<br />
- 61 -
Dogmatik I<br />
- der Menschgewordene schafft durch sein Kreuzesleiden am Karfreitag die Hölle (die<br />
reine Substantialität der Sünde)<br />
o beeinflusst durch den radikalen Existentialismus wagt Balthasar eine These, die auf<br />
den ersten Blick irrsinnig anmutet: am Karfreitag entstand die Hölle<br />
o Balthasar macht aufmerksam, dass gemäß der atl. Offenbarung das Jenseits zwar<br />
Schëol kennt (Menschen die Gott nicht loben können), die Hölle sei theologisch der<br />
Zustand der reinen Negativität<br />
o wie ist aber reine Negativität in einer durch den guten Gott erschaffenen Welt<br />
möglich? – Antwort von Balthasar: durch sein Leiden am Kreuz trennt Jesus die<br />
Sünde vom Sünder<br />
wir hatten eine analoge Denkfigur bei Luther: der Vater überträgt die Sünde<br />
vom Sünder zu Christus<br />
hier: durch das Kreuzesleiden wird die Sünde vom Sünder getrennt<br />
der Sünder qua Sünder wird gerettet, die reine Sünde, die reine Substantialität<br />
der Sünde ist das, was man Hölle nennen kann<br />
am Karfreitag entsteht also die Hölle als reine Substantialität der Sünde<br />
o damit ist aber das triduum paschale nicht beendet; das eigentliche Drama fängt erst<br />
jetzt an<br />
- am Karsamstag erleidet der „tote Sohn“ die Hölle<br />
o hier greift er auf Visionen von Adrienne von Speyer zurück; er selber schreibt,<br />
Adrienne habe das miterlebt<br />
o Adrienne erlebte am Karsamstag, sie sei mit dem toten Christus in die Hölle<br />
abgestiegen; Ebene, wo Visionen gegeneinander ausgespielt werden<br />
o das sind die 50er, jene Zeit, wo in der katholischen Frömmigkeit die Visionen von<br />
Fatima eine ungeheure Rolle spielen (die Hölle ist bis an den Rand voll und<br />
deswegen ist es um die Welt schlecht bestellt) – das prägt Breiten der katholischen<br />
Bevölkerung<br />
o diese Mystikerin wandert in die Hölle, sie sagt dort sei keiner außer Christus, und –<br />
das ist entscheidend – sie hat in der Hölle all das gesehen, was die Menschen durch<br />
die Sünde verloren haben<br />
dh was Christus in der Hölle findet ist das, was der Mensch von seiner<br />
Personalität im Leben an die Sünde verloren hat (effigien, Abdrücke)<br />
Adrienne begleitet den toten Christus auf seinem Gang durch die Hölle<br />
o Christus erleidet (!) die Hölle, er schaut das Ergebnis seines Leidens; Adrienne<br />
begleitet Christus und Christus löscht diese effigien aus<br />
er durchleidet<br />
der soteriologische Mehrwert: die Sünde ist etwas so radikales und großes,<br />
dass es den Menschgewordenen im Innersten trifft<br />
die Sünde ist nicht etwas banales<br />
der tote Sohn, der erst in diesem Zustand in das Geheimnis seiner Identität<br />
eingeweiht ist – wer er ist, erfährt Christus eigentlich erst nach seinem Tod<br />
o mit diesen modernisierten Bildern/Theorien glaubt Balthasar das altkirchliche<br />
Bekenntnis des Abstiegs zu sehen, aber auch das der Auferstehungsikonen der<br />
Ostkirche (der tote Christus steigt zur Hölle und befreit die Väter)<br />
o die Hölle als reine Substantialität der Sünde, an die sich die Menschen verlieren,<br />
Christus, der Tote, durchwandert und durchleidet die Hölle<br />
- damit fällt der menschgewordene Sohn tiefer als der Sünder je zu fallen vermag<br />
o bei Balthasar ist das Denken sehr stark trinitätstheologisch geprägt: er versucht die<br />
Sackgassen von Barth zu vermeiden<br />
- ∑: spiritueller Mehrwert des Ganzen hier: Glauben und Vertrauen, dass der<br />
menschgewordene Sohn Gottes durch die Kenosis (Entäußerung, Abstieg) existentiell<br />
gesprochen tiefer fällt als der Mensch in seinem Leben je zu fallen vermag<br />
o es gibt keine Situation im Leben, die nicht vom menschgewordenen Sohn Gottes<br />
aufgefangen werden kann, denn er ist immer noch ein Stück tiefer gefallen<br />
- 62 -
Dogmatik I<br />
o wenn Christus Gottverlassenheit erlitten hat, dann hat er es als unsere<br />
Gottverlassenheit erlitten<br />
o Gott kann in alle Ewigkeit die Verdammten tragen und ertragen, im<br />
soteriologischen Sinn, dafür das Bild der geschlossenen Faust<br />
der Mensch gleicht von Natur aus einer offenen Hand<br />
die Sünde ist die ständige Tendenz zur incurvatio, und das heißt sich<br />
verkrampfen und das ist eine geballte Faust<br />
auch diese Fast kommuniziert, indem sie schlägt: Beziehungen der Gewalt<br />
Frage ist, wie Gott, der offene Hände haben will, die geballten Fäuste öff<strong>net</strong>,<br />
und das ist die Frage nach der Erlösung – mit Gewalt? Mit Tricks?<br />
es gibt nur eine Methode wie man die offene Faust öff<strong>net</strong>: die eigene<br />
Hand (eines anderen Menschen) unter die geballte Faust legen und<br />
tragen – es dauert eine Zeit und dann öff<strong>net</strong> sich die Faust von selber,<br />
weil die Faust kein natürlicher Zustand ist<br />
das ist kein liberales Halten, das ist nicht laissez-faire, das ist ein<br />
aufmerksames Tragen<br />
o damit verbunden das Bild der Christologie: alte Bilder sind<br />
Hilfskrückenantworten (Anselm, Athanasius) die den Aspekt andeuten wollen, dass<br />
ein Anderer etwas tut<br />
ein moderner Mensch, der das nicht zulassen will<br />
o die Anwesenheit eine Stufe tiefer, unaufdringlich und doch da<br />
o auf diesem Hintergrund: Erlösung von der Hölle würde heißen, Gott ist göttlich<br />
genug, dass er den Sünder, der sich verschließt, eben liebevoll tragen kann in der<br />
Hoffnung, dass dieser sich irgendwann aufmacht<br />
o damit die göttliche Liebe auch das tun kann, muss sie selber als eine Liebe die ohne<br />
Ambivalenz ist begriffen werden<br />
o Hinweis auf Trinitätslehre: ist die göttliche Liebe eine ambivalente, eine von<br />
Widersprüchen oder eine reine Liebe?<br />
4 trinitarische Liebe als Bedingung der Erlösung von der<br />
Hölle (zur Frage nach der Identität von Heil und<br />
Wahrheit)<br />
- die Wahrheit des menschlichen Lebens hat fundamental mit Beziehungswahrheit zu tun<br />
o Beziehung (vgl. Aristoteles Kategorien), relatio ist ein Akzidens; Beziehung kann<br />
sein, muss aber nicht sein (modern etwa ein Hobby)<br />
o auch philosophisch: in der großen metaphysischen Reflexion ist Beziehung im<br />
Bereich der Akzidenzien<br />
o wir müssen etwas neu entdecken, was im Christentum lange verdrängt wurde: was ist<br />
das Bild des dreifaltigen Gottes? → Durchkreuzung unserer Rationalität!<br />
o hier ist es nicht Akzidens, hier ist es personenbindend; man steht und fällt als<br />
Person; die Dreifaltigkeit steht und fällt mit ihrer Beziehung<br />
- kulturelle Chance des Christentums in einer Welt die scheinbar alles hat: die Menschen<br />
ersticken am Reichtum und andererseits verhungern und verdursten Menschen<br />
o fundamentaler kultureller Mangel: zunehmende Einsamkeit die durchaus etwas<br />
mit der Philosophie des Singles zu tun hat, und das ist die Zuspitzung des Traumes<br />
von Autonomie<br />
o dem zunehmend an der Einsamkeit erstickenden Menschen des 21. Jh. präsentiert<br />
das Christentum das letzte Geheimnis der Wirklichkeit, nämlich das Geheimnis<br />
Gottes, das identisch mit dem Geheimnis der Liebe ist, das nicht zum Egoismus zu<br />
Zweit degeneriert, weil sich diese Liebe auf andere öff<strong>net</strong>, auf göttliche Personen und<br />
auf durch Liebe geschaffene Wesen<br />
o das letzte Geheimnis der Wirklichkeit ist Beziehung und wir haben Anteil daran<br />
- 63 -
Dogmatik I<br />
o wir sind Teil der Geschichte, und das nur deswegen, weil wir geliebt werden<br />
o Kontrast zu gängigen kulturellen Schemata: nicht „ich werde geliebt“, sondern „was<br />
kann ich tun“<br />
4.1 Rückgriff auf die Frage: der einsame oder kommunikative Gott<br />
- vgl. Konzil von Nizäa<br />
- die Revolution, die das Christentum in die Welt bringt, Gott sei keine unkommunikative<br />
Einsamkeit sondern eine kommunikative Gemeinschaft, persongewordene<br />
Kommunikation<br />
- Gott sei Trinität, und diese trinitarische Beziehung ist Bedingung dessen, dass wir die<br />
Erlösung radikal als Erlösung von der Hölle denken können<br />
o theologisch fokussiert: was ist die Hölle? Jeder glaubt sich allein in der Hölle und<br />
das ist sie; Hölle als absolute Isolation, als Getrenntsein von jeder Beziehung;<br />
Inbegriff des Abbruchs<br />
o existentiell gewendet: absolute incurvatio; radikales auf sich selbst bezogen sein das<br />
letzten Endes destruktiv ist<br />
o wie kann eine solche Hölle existentiell, im Leben und auch im Tod, als die radikale<br />
Einsamkeit sein?<br />
o wenn Christentum von Erlösung spricht, Erlösung heißt Beziehung herstellen<br />
o auch die verborgenen Existenzen, auch die incurvati, können Zweckallianzen<br />
herstellen indem sie sich gegen einen Dritten wenden (vgl. 3. Akt)<br />
o Beziehung kann nur entstehen, wenn noch größere Liebe, größere Beziehung da ist<br />
- das christliche Grunddogma im Hinblick auf die Frage nach Kommunikation in Gott: Nizäa,<br />
die Leistung des Athanasius, fundamentale Unterscheidung zwischen Geschaffenem und<br />
Ungeschaffenem, damit eine Schneise in das neuplatonische Weltbild<br />
- die Vermittlung zwischen Einheit und Vielfalt ist nicht Vermittlung zwischen einem Gott<br />
und der vielfältigen Welt, sondern schon der Bereich des Ungeschaffenen ist vielfältig, dh es<br />
gibt keine Reduktion auf Eins, das letzte Geheimnis der Wirklichkeit ist Vielfalt, die<br />
Vielfalt der Personen im Kontext des Ungeschaffenen<br />
o wie soll man das inhaltlich aussagen und begrifflich klar fassen? und<br />
<br />
o aus den Begriffen die Substanz und Wesen aussagen und miteinander identifiziert<br />
werden, wird im Zuge der Reflexion über die Bedeutung Christi (wer ist er eigentlich?<br />
Nur Modell? Reicht die Logik seiner Person so tief hinein, dass sie die Grenze bis ins<br />
Ungeschaffene bricht? Wer ist er dort? Legat, Beamter, niederer Gott, Engel? –<br />
Bekenntnis von Nizäa: seine und seine seien identisch mit Gott)<br />
gesprochen<br />
o der Begriff Maske (, persona) scheint hilfreich zu sein<br />
o kreative Verschmelzung der Begriffe und zur Geburt dessen, was wir den<br />
Personenbegriff nennen (unser Personenbegriff ist ein christlicher Begriff! Er wurde<br />
geboren im Zuge der christologisch-trinitarischen Streitigkeiten)<br />
o der Begriffsinhalt kommt aus , und dem was man später als<br />
Relation bezeich<strong>net</strong><br />
o also lateinisch persona zuerst Maske, von kommt Selbststand (nicht nur<br />
Maske die irgendwo lagert, sondern Maske mit Maskenträger,<br />
) und vor allem relatio<br />
o damit ist der Personenbegriff geboren, der die spätere Geschichte prägt: Person ist<br />
konkrete Erscheinung, Selbststand (nicht flüchtig oder ein Gespenst)<br />
o Vielfalt in Gott als Vielfalt von Personen<br />
- Was beinhaltet diese Vielfalt in Gott?<br />
o beinhaltet sie auch Leiden? Ist Leiden etwas das Relation ausdrückt?<br />
o die moderne Zeit hat den Begriff „Opfer“ sehr aufgewertet, und wie ist es mit dem<br />
Opfer? Ist Viktimisierung nicht eine Beziehung? Ist Zufügung von Leiden Relation,<br />
ist Erleiden von Leiden Relation?<br />
- 64 -
Dogmatik I<br />
es hat Zeiten gegeben wo man das selbstverständlich annahm; es gab<br />
Frömmigkeiten: je mehr Leiden desto tiefer die Beziehung zu Christus<br />
4.1.1 Augustinus<br />
- die Vielfalt in Gott kann nur an den Beziehungen abgelesen werden; es sind konstante und<br />
unveränderbare Beziehungen<br />
- Person und Relation sind faktisch identisch<br />
- Augustinus trifft erste klassische Formulierung der Namen mit ihrem Inhalt (Vater und Sohn<br />
angesichts des Bekenntnisses von 1 Joh 4,7-16 „Gott ist Liebe“; Juden können sagen „Gott<br />
liebt sein Volk“; um zu sagen „Gott ist liebe“ muss ich voraussetzen, dass Gott auch ohne<br />
Welt Beziehung sein kann (aber nicht nur die Engel, „Gott ist Liebe“):<br />
o Liebender (Gott), Geliebter (Sohn) und vinculum amoris (Liebensband; Geist)<br />
o der Vater liebt den Sohn und der Sohn lässt sich lieben<br />
o der Geist erhält die Beziehung lebendig und öff<strong>net</strong> diese Beziehung<br />
o vinculum amoris ambivalent verstanden: vinculum kann schließen, aber auch öffnen<br />
o dogmatisch: das Einfallstor in die Trinität ist der Hl. Geist (durch ihn sind wir in<br />
die trinitarische Liebe aufgenommen)<br />
4.1.2 Präzisierung des Personenbegriffes durch Richard von St. Victor<br />
- angesichts der nachaugustinischen Herausforderung: Boethius ist Vater des klassischen<br />
Personenbegriffes (persona est naturae rationalis individua substantia; Person als<br />
individuelle Substanz der allgemeinen vernunftbegabten Natur → prägte uns)<br />
- Verbindung zu Augustinus’ Analyse der Liebe, mit dem was christliche Trinitätslehre ist →<br />
man landet beim Tritheismus: drei Substanzen, also drei Götter<br />
o Boethius’ Begriff findet keine Anwendung in der Trinität<br />
o dass die göttlichen Personen keine Hypostasen iSv Substanz ist sagten die<br />
Kappadozier<br />
- angesichts dieser Hersausforderung schafft Richard von St. Victor eine Präzision, die wohl<br />
eine der geeig<strong>net</strong>ste Begriffe ist<br />
o persona divina est divinae naturae incommunicabilis existentia (die unmitteilbare<br />
Existenz der göttlichen Natur)<br />
o existentia wird abgeleitet von ex sistere, also von einem anderen her in sich selbst<br />
sein<br />
ich bin der ich bin weil ich von einem anderen her als das was ich bin gesetzt<br />
worden bin<br />
schlicht und einfach: ich habe mich nicht selber als der ins Dasein gesetzt der<br />
ich bin, sondern ich wurde von einem Anderen her gesetzt<br />
„existentia“ macht darauf aufmerksam, dass das Dasein von woanders gesetzt<br />
ist<br />
o incommunicabilis: weil nicht einmal ich selber über das verfügen kann dass ich ins<br />
Dasein gesetzt wurde, ich kann mich nicht ungeschehen machen (wenn ich meinem<br />
Leben ein Ende mache habe ich den Akt mit dem ich ins Dasein kam nicht<br />
aufgehoben) – der Aspekt der Unvefügbarkeit<br />
nicht einmal ich selber verfüge über das was meine Personalität ist,<br />
geschweige denn die Anderen<br />
das ist unmitteilbar<br />
die tiefste Dimension der Unmittelbarkeit entsteht bei der Implikation des<br />
Gottesbegriffes: wer entscheidet darüber was eine Person ist? Auf dem<br />
Hintergrund Boethius’: wir haben Föten oder Frühgeburten wo man mit 100<br />
Prozent sagen kann, dass die rationalis natura nicht entwickelt werden wird<br />
also ist das keine Person (Personalität wird an die ratio gebunden)<br />
die Bestimmung dessen was Person ist, ist unheimlich brisant<br />
- 65 -
Dogmatik I<br />
nicht die katholische Kirche will den Fortschritt verhindern: es gehört zu den<br />
Grundlagen der christlichen Weltanschauung: Bestimmung des<br />
Personenbegriffes, wo der schwerste Akzent auf der Unverfügbarkeit liegt<br />
Ursprungsbeziehung, Ursprungsrelation als entscheidend für die Bestimmung<br />
dessen was Personsein heißt<br />
weil sich niemand selbst setzen kann, weil sich niemand selbst generieren<br />
kann, kann im Grunde auch niemand darüber entscheiden ob jemand eine<br />
Person ist oder nicht<br />
die Christen halten – unabhängig vom bürgerlichen Gesetzt – daran fest, dass<br />
das unverfügbar ist<br />
4.1.2.1 Plausibilität des Trinitätsdogmas aufgrund der Analyse<br />
mitmenschlicher Erfahrungen der Liebe: amor mutuus ↔ condilectio<br />
- er unterscheidet zwei Arten von Liebe: amor mutuus (wechselseitige Liebe) und condilectio<br />
(Mitgeliebtsein)<br />
o Richard von St. Victor korrigiert Augustinus mit seiner Bestimmung (Liebender,<br />
Geliebter und vinculum amoris)<br />
o hier Schwerpunkt auf dem Hl. Geist: vinculum amoris wird verändert zu<br />
condilectus<br />
Vater als diligens (Liebender), Sohn als dilectus (Geliebter) und jetzt neu:<br />
condilectus (der Mitgeliebte, oder der liebend Mitgeliebte)<br />
o im Grunde definiert er die Trinität wie eine Dreiecksbeziehung: nicht Rivalität<br />
sondern man liebt sich mit der Liebe, mit der der jeweils andere dich liebt; da das ein<br />
Verschiedener ist, wird der Dritte doppelt verschiedentlich geliebt in der Position des<br />
Anderen – Preisgabe seines eigenen Anspruchs<br />
o ∑: der Vater liebt den Sohn und der Sohn wird vom Vater geliebt (=<br />
wechselseitige Liebe, amor mutuus) → diese wechselseitige Liebe kann immer noch<br />
zu einem Egoismus zu Zweit werden; die Öffnung zum Mitgeliebtsein (condilectio)<br />
geschieht indem der Vater den Geist liebt mit jener Liebe, mit der der Sohn den<br />
Geist liebt und der Sohn den Geist liebt mit jener Liebe, mit der der Vater den<br />
Geist liebt<br />
sich Lieben lassen als Inbegriff dessen was bereits Liebe ist<br />
V<br />
G<br />
S<br />
V (diligens)<br />
S (dilectus)<br />
G (condilectus)<br />
o Personenbegriff von einem Anderen her<br />
o traditionelle Theologie: sprach immer davon: in aller Ewigkeit zeugt der Vater den<br />
Sohn und der Geist wird in alle Ewigkeit gehaucht<br />
4.1.2.2 beinhaltet diese Liebe auch die Erfahrung des Liedes?<br />
„Wem nie geschah von Liebe Leid,<br />
dem geschah auch Lieb von Liebe nie.<br />
Liebe und Lied, wann ließen die im Lieben je sich scheiden.“<br />
(Gottfried von Straßburg, Tristan und Isolde)<br />
- Erfahrung hiermit: wenn du mich liebst dann leide für mich, dann stirb für mich<br />
o bei Tristan und Isolde, dem mittelalterlichen Epos ist nie klar ob sich die beiden lieben<br />
oder sterben<br />
o Isoldes Liebestod: Ertrinken, versinken, höchste Lust unbewusst – Verschmelzung?<br />
- 66 -
Dogmatik I<br />
- die Frage ist: für wen ist das Leiden ein Beweis der Liebe? Es gibt keine größere Liebe als<br />
wenn einer für den Anderen sein Leben hingibt – ist das eine Aussage, die die letzte<br />
trinitarische Wirklichkeit betrifft oder unter der Voraussetzung ob es Sünde gibt? – Streitfrage<br />
der letzten 2.000 Jahre<br />
o Großteil der Tradition: trinitarische Liebe ist eine ohne Ambivalenzen, dass die<br />
göttlichen Personen in alle Ewigkeit sich aufeinander öffnen, dass Liebe in Gott<br />
ewig ist aber das Leiden nicht beinhaltet (→ das Leiden ist nicht verewigt; Leiden<br />
hängt mit der sündhaften geschöpflichen Wirklichkeit zusammen)<br />
o es gibt andere Versuche: Verewigung des Leidens; die romantische Vorstellung<br />
von Liebe wird auch für Gott angenommen, va die Bilder des Gnadenstuhls, wo<br />
Gottvater in seinen Armen das Kreuz Christi trägt; oft werden diese Bilder verstanden<br />
als Bilder vom inneren Wesen Gottes – das Kreuz im inneren Wesen Gottes – ist<br />
das Kreuz ein Thema der Trinitätslehre? – Nein, es ist ein Thema der Christologie,<br />
betrifft die Identität Christi als menschgewordenen Sohn Gottes, die historische<br />
und geschöpfliche Wirklichkeit;<br />
4.2 traditionelle Unterscheidungen<br />
- opera trinitatis ad extra (Schöpfung, Menschwerdung, Vollendung der Welt) und opera<br />
trinitatis and intra („generatio“, „spiratio“)<br />
o Zeugung des Sohnes und Hauchung des Geistes als Vorgänge, die<br />
innertrinitarisch zu sehen sind, sind nicht identisch mit dem, wie Gott nach außen<br />
– geschaffene Wirklichkeit – wirkt<br />
o dh die Menschwerdung des Menschen ist nicht mit der generatio identisch (vgl.<br />
Leo d. Große: Geburt des Vaters aus der Ewigkeit verschieden von der Geburt aus<br />
Maria in der Zeit)<br />
Geburt aus dem Vater = generatio, Geburt aus der Zeit = Menschwerdung →<br />
die beiden haben einander nichts weggenommen oder hinzugefügt<br />
- Wert dessen: Verhinderung der Rückprojektion; weil der Menschgewordene am Kreuz<br />
stirbt kann nicht zurückgeschlossen werden, dass das Kreuz den Inhalt dessen ausmacht, was<br />
das Leben der Trinität ausmacht<br />
- Sinn dieser Unterscheidung: trinitarische Liebe existiert bereits vor der Perspektive der<br />
geschöpflichen Begrenzung und noch mehr der Sünde<br />
o letztes Geheimnis der Wirklichkeit sind trinitarische Beziehungen, sie existieren<br />
vor der Perspektive von Begrenzung und Sünde, sind als Liebe beschrieben<br />
o nur wenn man auf diese Art und Weise denkt kann man folgern was von zentraler<br />
Bedeutung ist: weil der Sohn Inbegriff der Liebe ist (ohne Ambivalenzen), weil der<br />
Sohn der Geliebte und der liebend Geliebte (weil er den Geist liebt) ist, weil er<br />
nichts anderes ist als die Erfahrung der Liebe, kann er Mensch werden, kann er in<br />
die geschöpfliche Wirklichkeit herabsteigen, der Erfahrung von Sünde, Gewalt und<br />
Tod ausgesetzt werden<br />
o vgl. 3. Akt: warum kann Jesus mit ihn dämonisierenden Feinden auf dieses Übermaß<br />
an Hass und Ausgrenzung mit einer vergebenden Liebe reagieren, eine über den<br />
Umweg des Vaters? Er kann das tun weil er nicht mimetisch auf die Beziehungen<br />
mit seinen Gegner angewiesen ist, dh weil seine Identität woanders verankert ist<br />
o existentiell gesprochen würde das banal heißen: Menschen die über eine starke<br />
Identität verfügen, Menschen die aufgrund ihrer Lebenserfahrung die Gnade haben,<br />
dass sie sich aufgehoben und getragen fühlen, diese Menschen vermögen in den<br />
höllischen Situationen übermenschliches zu leisten<br />
o der Abstieg in die Hölle, in die reine Sünde, ist nur möglich, weil der Inbegriff der<br />
Identität dieses Sohnes reine Liebe ohne Ambivalenz ist<br />
o aus diesem Grund: das Geheimnis des dreifaltigen Gottes ermöglicht jene Logik,<br />
von der die biblische Botschaft getragen ist (je mehr sich der Mensch in die Sünde<br />
abfällt umso stärker ist die Identifizierung Gottes mit diesen Menschen)<br />
diese Logik kann sadomasochistisch verstanden werden, dann müsste Gott<br />
aber ambivalent sein, dann wäre Liebe und Leiden in alle Ewigkeit identisch,<br />
- 67 -
Dogmatik I<br />
oder diese radikale Identifikation hat gar nichts mit Leiden zu tun sondern ist<br />
vielmehr die Frucht der reinen Liebe, und kann somit durch den Tod hindurch<br />
als Liebe existieren<br />
das ist jene Stelle, die ungemein schwierig ist: aus welcher Motivation steigt<br />
Gott herab? Es gibt das Charisma, es gibt die Gnade and er reinen Liebe<br />
Gottes partizipieren zu können und aus der Kraft dieser Liebe ohne Angst vor<br />
dem Verlust der Identität zu leben<br />
o Hingabe ja, aber nicht Leiden<br />
o Urteil: alle Aussagen über Leiden in Gott sind im Grunde Projektionen<br />
Christus stirbt am Kreuz, er gibt sich seinen Vater hin, der Vater liebt den<br />
Sohn auch oder gerade in seinem Leiben, aber Gott selber bewirkt dieses<br />
Leiden nicht (sondern die Menschen), der Vater rettet den Gekreuzigten (4.<br />
Akt)<br />
o Leid ist eine Wirklichkeitserfahrung, die der geschöpflichen und nicht der<br />
göttlichen Wirklichkeit angehört<br />
o nur so ist es möglich dem christologischen Drama den Stachel der Tragödie zu<br />
nehmen – Christentum sprengt die Tragödie<br />
es gibt auch Leben ohne Leiden, nämlich die communio sanctorum, das<br />
Leben bei Gott<br />
göttliche Liebe öff<strong>net</strong> sich zwar auf die geschöpfliche Wirklichkeit,<br />
produziert aber selber kein Leiden<br />
5 Gastvortrag: Auf den Spuren von Matteo Ricci: Ein Blick<br />
in die Werkstatt der christlich-chinesischen Theologie,<br />
von P. Aloisius Gutheinz SJ<br />
5.1 Auf den Spuren von Matteo Ricci (* 6.10.1552 † 11.5.1610)<br />
5.1.1 die Geschichte des Christentums in China in fünf Phasen<br />
- 1. Phase: Missionare der östlichen Kirche<br />
o geht zurück auf die Missionare der östlichen Kirchen (syrische und koptische Kirche)<br />
die im 8. Jh. nach China kamen<br />
o Beweis ist eine Stele in der alten Hauptstadt Sian (dort wo die Tonsoldaten stehen) auf<br />
der eingeritzt stehen, dass da Missionare kamen und die Botschaft von Jesus und<br />
seiner Mutter Maria gebracht haben, dann wiederum ein gewisser Niedergang des<br />
Christentums in China<br />
- 2. Phase: Franziskanermission im 13. Jh.<br />
o die Missionare kamen in der Mongolenherrschaft (1227-1368), also eine ausländische<br />
Dynastie in China<br />
o als diese Dynastie zusammenfiel verschwindet auch praktisch die Gegenwart der<br />
christlichen Missionare<br />
- 3. Phase: Zeitalter der Entdeckungen<br />
o katholischerweise gestützt von den Arbeiten des Konzils von Trient<br />
o in dieser dritten Phase die Ankunft der katholischen Missionare in der Form von<br />
Jesuitenmissionaren<br />
o Franz Xaver (?) starb vor den Toren Chinas<br />
o in diesem Jahr (1552) wurde Matteo Ricci geboren<br />
o Allessandro Valiniano (?) SJ sah genau, dass nach Franz Xavers Tod China ungemein<br />
intensive intellektuelle Arbeit verlangt und er berief den außerordentlich begabten<br />
Matteo Ricci von Goya (?) über Indien nach Macao<br />
o jetzt beginnt dieser demütige Jesuit Chinesisch zu studieren<br />
- 68 -
Dogmatik I<br />
o Matteo Ricci: „Liebe Mitbrüder, ich hinterlasse euch ein offenes Tor zu China“; mit<br />
diesen Worten starb er<br />
o Schwierigkeiten im Ritenstreit, wo es zwei Grundpositionen gab:<br />
(a) These der offenen Missionare (hauptsächlich Jesuiten, Dominikaner und<br />
Franziskaner): wir können Konfuziusverehrung, Ahnenverehrung und den<br />
Gottesnamen auf chinesische Weise ausdrücken, kein Widerspruch mit dem<br />
Christentum<br />
(b) Konfuzius- und Ahnenverehrung und der chinesische Gottesname sind<br />
nicht vereinbar mit der christlichen Religion<br />
o → These (b) wurde 1742 mit päpstlicher Autorität fixiert, und so mussten alle<br />
Missionare den Eid ablegen, keine Verehrungen durchzuführen und den chinesischen<br />
Gottesnamen nicht zu verwenden<br />
o dieses Dekret von 1742 wurde 1939 erst aufgehoben<br />
- 4. Phase: Kolonialphase im 19. Jh.<br />
o erstmals kommen auch Protestanten auf die chinesische Bühne, und damit eine<br />
Pluralität der christlichen Gegenwart<br />
o Vielfalt ist schön, aber als Missionar ist das ein großer Schmerz, dass die Christen<br />
getrennt sind – der Chinese fragt „Was wollt ihr? Ihr sprecht von einem Christus und<br />
von einer Liebe Gottes, seid untereinander aber getrennt.“ – ein Skandal für das<br />
moderne China<br />
- 5. Phase: Beginn der Volksrepublik 1949<br />
o intensive und beinharte Verfolgung aller Religionen (vorsichtig gesagt wurden bis<br />
heute 50 Mio. Menschen von der kommunistischen Regierung getötet!)<br />
o faszinierend ist, dass in dieser härtesten Verfolgung ein intensives Interesse für das<br />
Christentum da ist, sodass heute etwa 10-12 Mio. Katholiken und 30-40 Mio.<br />
Protestanten gläubig sind<br />
5.1.2 die Pionierarbeit von Matteo Ricci: Grenzgänger zwischen Kulturen<br />
5.1.2.1 „Über die Freundschaft“ – der Weg des Menschen<br />
- Matteo Ricci hatte die Gnade und Demut zu lernen; begabt mit einem außerordentlichen<br />
Gedächtnis: er konnte eine Seite chinesischer Schriftzeichen einmal lesen und dann von hinten<br />
her nochmals rezitieren<br />
o das hat ihm die Herzen der Mandarine geöff<strong>net</strong><br />
- tiefe Freundschaft mit intellektuellen Chinesen hat ihm den Weg nach China geöff<strong>net</strong><br />
5.1.2.2 „Die wahre Idee Gottes“ – ein präevangelischer Dialog mit<br />
Konfuzianern<br />
- er versuchte, den chinesischen Freunden die wahre Idee Gottes zu erklären<br />
- das ist ein Versuch, dem suchenden Menschen darzulegen, wie wir Christen Gott sehen<br />
- der Hauptinhalt steht in acht Kapiteln:<br />
1. die Schöpfung und Erhaltung aller Dinge durch Gott<br />
2. Erklärung von falschen Ideen über Gott<br />
3. die menschliche Seele und ihre Unsterblichkeit (verschieden von den Tieren)<br />
4. Widerlegung der Reinkarnation<br />
5. moralische Dimension des Menschen<br />
6. endgültige Belohnung oder Strafe<br />
7. Betonung, dass die menschliche Natur gut ist<br />
8. Beschreibung westlicher Gebräuche, Gesichte des Zölibats, warum der Erlöser nicht<br />
in China geboren ist, Abriss der Heilsgeschichte, Gottheit Christi und Bedingungen<br />
zum Eintritt in die Kirche<br />
- 69 -
Dogmatik I<br />
5.1.3 drei Wahrheiten<br />
- wir lernen aus der ganzen Geschichte drei Wahrheiten:<br />
1. keine Macht in dieser Welt, und sei sie noch so grausam (wie zB kommunistische<br />
Verfolgung) kann das Christentum auf der Erde auslöschen<br />
2. das Reich der Mitte verlangt eine tiefgehende Inkulturation des Christentums<br />
3. wir Christen haben eine heilige Pflicht dem aufsteigenden Riesen China durch das<br />
christliche Zeugnis bleibende Werte des Menschseins zu vermitteln<br />
5.2 ein Blick in die Werkstatt der christlich-chinesischen Theologie<br />
- wir versuchen, dass die christlichen Werte langsam einfließen in das moderne China, sodass<br />
man nicht mehr von der „gelben Gefahr“ sprechen muss<br />
5.2.1 Was ist bereits geschaffen?<br />
5.2.1.1 die Glaubensreflexion in der chinesischen Welt (Taiwan, China,<br />
Hongkong, Macao, …)<br />
- es vollzieht sich, noch nicht schriftlich sichtbar, eine intensive Glaubensreflexion in den<br />
katholischen Priesterseminaren, in Bibelkursen, in Exerzitien, …<br />
- es vollzieht sich eine vortheologische Reflexion unseres Glaubens<br />
- es vollzieht sich eine tiefgehende Glaubensreflexion in der chinesischen Welt, auch unter den<br />
Auslandschinesen (etwa 30 Mio!)<br />
- es stellt sich die Frage, wie man im heutigen Vakuum der geistlichen Vision, Christentum<br />
einführen kann<br />
- viele Millionen Menschen erleben eine existentielle Angst, weil der Kommunismus, in dem<br />
sie aufgewachsen sind, zerfallen ist und die tiefen Fragen der Menschen nicht mehr<br />
beantworten kann<br />
- in dieses Vakuum hinein möchten wir die christlichen Werte und die Vision der christlichen<br />
Offenbarung einbringen<br />
5.2.1.2 Die Theologie der theologischen Fakultäten (katholisch und<br />
protestantisch)<br />
- in Taiwan und China gibt es nicht wenige theologische Fakultäten<br />
- in Taipeh besteht die einzige katholische Fakultät mit Doktoratsgraden seit 1985<br />
- seit 1968 gibt es Theologie in chinesischer Sprache (Mandarin), vorher in Latein und Englisch<br />
5.2.1.2.1 Die „Collectanea Theologica Fu Jen“: bereits mehr als 180 Hefte<br />
- seit 1969 gibt es diese Zeitung<br />
5.2.1.2.2 die Fu Jen Serie „Theologische Monographien“: bereits 78 Bände<br />
- 70 -
Dogmatik I<br />
5.2.2 Schwerpunkte heutiger christlich-chinesischer Theologie<br />
5.2.2.1 Theologie im Kontext des Konfuzianismus und Daoismus:<br />
„Einheitskategorie“ und „Yin-Yang-He“ Theologie, mit konkreten<br />
theologischen Folgerungen<br />
- da ist die Idee „Einheitskategorie“:<br />
o der Chinese ist Buddhist, weil es von Indien kam<br />
o die ursprünglichen Religionskräfte sind Konfuzianismus und Daoismus<br />
o sie haben eine gemeinsame Tendenz: sie versuchen die gesamte Wirklichkeit als eine<br />
Einheit zu sehen, als ein Ganzes; nicht so sehr Schöpfergott und dann die geschaffene<br />
Welt sondern primär eine Einheitssicht (→ Kategorie der Einheit)<br />
- es geht ganz konkret um Sakramententheologie, insbesondere Ordination<br />
o herkömmlich ist das Wesen des Sakramentes des Priesteramtes in der Handauflegung<br />
des Bischofs und im Weihegebet<br />
o die Kategorie der Einheit sagt, dass wir das vollständiger, der Wirklichkeit<br />
entsprechender sagen müssen, und dh in diesem Weihegeschehen, va der<br />
Weihekandidaten, mit seiner ganz persönlichen Geschichte, muss die Geschichte des<br />
Kandidaten besser zum Ausdruck kommen<br />
- ein anderer Versuch: China denkt sehr wesentlich von früh bis spät im Modell von Yin-Yang-<br />
He<br />
o Yin, das eher Weibliche, das Empfangende, und die chinesische Kultur ist wesentlich<br />
gezeich<strong>net</strong> von diesem Yin<br />
o das Yang ist das Gebende und Prägende (menschlich: Frau und Mann)<br />
o und das He ist das Einende<br />
o Idee Chinas: wenn wir das Geheimnis des dreifaltigen Gottes (schenkende,<br />
empfangende und einende Liebe) weitertragen und sehen und glauben, dass im<br />
göttlichen Geheimnis die zweite göttliche Person der vom Vater gesandte ist, der<br />
empfangende Teil (empfangende Liebe), in unserer menschlichen Gesellschaft, in der<br />
Geschichte, eine Gemeinschaft um sich bildet die wir Kirche nennen, dann könnte<br />
doch in dieser Gemeinschaft eine Frau, die das Yin in besonderer Weise vertritt, auch<br />
Jesus Christus in dieser Gemeinschaft vertreten<br />
5.2.2.2 Theologie im sozio-politischen Kontext: „Homeland Theology“ (Taiwan)<br />
und „Theologie der Lebensqualität“ (ökumenische TARGTI<br />
Studiengruppe)<br />
- „Heimattheologie“: Taiwan, diese kleine Insel, will nicht vom Festland, von der<br />
Volksrepublik, beherrscht werden; die Taiwanesen wollen selbstständig regieren; nicht<br />
unbedingt ein unabhängiger Staat, aber dennoch eigenständig<br />
o kommt aus der protestantischen Sicht<br />
o dazu kommt ein Versuch über die Theologie der Lebensqualität, wo es um ein<br />
menschliches, reifes und schönes Leben auf dieser Insel geht, in dieser Bioregion<br />
Taiwans<br />
o eine Forschungsgruppe (Taiwan Area Research Group on Theological Issues –<br />
TARGTI) ergab zB folgendes Ergebnis: im heutigen Bewusstsein der taiwanesischen<br />
Bevölkerung ist das Individuum sehr stark tragend und im Vordergrund, wohingegen<br />
in China die einzelne Person im Hintergrund stand<br />
heute sieht man, dass der einzelne Mensch in Taiwan sich selber ganz neu<br />
erfährt in seiner Würde<br />
die Volksrepublik wird noch einen langen Weg gehen müssen, weil nach<br />
kommunistischer Ansicht der Einzelne nicht gilt<br />
teilweise geht das aber auch in Individualismus und Egozentrismus<br />
- 71 -
Dogmatik I<br />
5.2.3 vier Projekte der „Fu Jen Theological Publications Association“<br />
(seit 1969)<br />
- mit dem Ziel gegründet, den christlichen Gemeinschaften theologische Werke in die Hand zu<br />
legen<br />
- zB das „Gesetz Christi“ von Bernhard Häring wurde übersetzt<br />
5.2.3.1 das „Theological Dictionary“ (1985-1996): 712 Artikel, von 26 Theologen<br />
- seit 1985 wurde elf Jahre lang an dem theologischen Wörterbuch gearbeitet<br />
- 712 Artikel über heutige Theologie<br />
- man verteilt diese 712 Artikel auf 26 Autoren, katholisch wie auch evangelisch (auch<br />
buddhistisch)<br />
- da geht es um die Darstellung heutiger Theologie (um 2000) in der weltweiten Kirche, auch<br />
zwei drei Artikel über chinesische Theologie über die Einheitskategorie<br />
- sieben Artikel müssen für die Festlandversion herausgenommen werden, wie etwa<br />
Kommunismus, Sozialismus, Homeland-Theology, also solche, die Kommunismus und<br />
Sozialismus beschreiben<br />
o diese Artikel sind am Festland nicht so notwendig<br />
o was geschieht: wenn man 712 Artikel hat, da bleibt doch ein Vakuum wenn man<br />
sieben Artikel herausnimmt<br />
o Shanghai: der frei gewordene Raum wird genommen, um christliche Bilder<br />
einzufügen<br />
5.2.3.2 das „Theological Lexion“ (1996-2005): Terms and Persons<br />
- über Begriffe und Personen<br />
- dem chinesischen Menschen zu erklären, was zB Gnade, Hl. Schrift zu erklären, wer zB<br />
Bonhoeffer, Ratzinger ist<br />
- es wird erklärt, etwa in einer halben Spalte, Namen, die Hauptarbeit, Konfession,<br />
Schwerpunkte und Hauptwerke<br />
- so hat der chinesische Theologiestudent ein Instrument, das ihm viel Zeit spart, und das war<br />
von Anfang an eine Idee: man muss dem dortigen Student helfen, Zeit zu sparen, dass er diese<br />
Begriffe und Namen auf einem Raum zusammen findet<br />
o diese Suche in Bibliotheken kann ja zermürbend sein<br />
5.2.3.3 „Denzinger” (2005-2010): 43. Auflage, mit protestantischen Credos im<br />
Anhang<br />
- Heinrich Denzinger war ein Weltpriester, Ende 19. Jh. in Deutschland, und hatte die Idee, die<br />
wichtigen Dokumente des christlichen Lehramtes zu sammeln, und das in einem Band, weil<br />
viele Studenten suchten und suchten und suchten<br />
- wichtigste Dokumente über Glaube und Moral in Auswahl von den ersten Jh. bis zu den drei<br />
Enzykliken Papst Benedikt XVI.<br />
- zB Hylemorphismus anhand der sieben Sakramente:<br />
o jedes Sakrament hat eine Materie (etwas Greifbares) und eine Form<br />
o Taufe: Wasser über die Stirn gegossen und dazu die Taufformel<br />
o Firmung: Handauflegung mit Chrisam und die Salbungsworte<br />
o Beichte: bekannte Sünden und Lossprechung<br />
o Ehe: freie und bewusste Einstellung eines Partners frei zu sein (Materie) und das<br />
hörbare Bereitsein zur Hochzeit (Form)<br />
o usw.<br />
- um ein ökumenisches Instrument zu haben, sind auch im Anhang wichtige protestantische<br />
Credos beigefügt, zur Information, dass man auch sieht, wie Protestanten ihren Glauben<br />
ausdrücken<br />
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Dogmatik I<br />
5.2.3.4 eine „Ein-Band-Bibelenzyklopädie“ (2010-2015): Was ist die Bibel?<br />
- es geht da nicht um Kommentare der einzelnen Bücher der Hl. Schrift, die gibt es in Fülle,<br />
sondern darum, dem Chinesen zu erklären, was die Hl. Schrift eigentlich ist, was das für ein<br />
Buch ist, warum es „Buch der Bücher“ ist, was Inspiration ist, wie das Verhältnis zu den<br />
anderen Traditionen ist, wer authentisch interpretiert, …<br />
- das soll ein Band werden, eine Enzyklopädie, wo man sehen kann, dass dieses Werk, diese<br />
Bibel, in der Geschichte der Religionen der Menschheit seinen einmaligen Platz einnimmt und<br />
dass man mit größerem Vertrauen diese Bibel auch in die Hand nimmt und keine Angst vor<br />
Falschinterpretation hat<br />
- man wird darin auch lesen können, dass die Kirche zum Gesamtverständnis des Wortes Gottes<br />
hilft<br />
- 73 -