UNTOLD FAMILY STORIES - Friedensschule Münster
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Ruth Ordo und ich mit 4 Monaten<br />
Carlotta<br />
<strong>Münster</strong><br />
Rishon LeZion<br />
12<br />
einfach, nicht nur in emotionaler Hinsicht. Zu der Zeit mussten Juden, um Deutschland<br />
zu verlassen, eine Bescheinigung der Nazi-Polizei erhalten. Und um in Israel einreisen zu<br />
dürfen, mussten sie eine Bescheinigung der britischen Regierung erhalten, die damals<br />
das Land regierte.<br />
1936, ein Jahr, nachdem Ruth zu Avraham nach Israel gekommen war, wurde ihre Sohn<br />
Gideon geboren. Er ist mein Großvater, der Vater meines Vaters. Er starb, bevor ich geboren<br />
wurde, und ich wurde nach ihm benannt (mein voller Name lautet Gal Gideon).<br />
Der Brief aus dem Jahr 1909, den Wolff Loewy an Max und Flora Loewy geschrieben<br />
hatte, hing viele Jahre lang im Haus meiner Urgroßmutter Ruth Ordo. Als Ruth starb,<br />
hinterließ sie den Brief meinem Vater. Jetzt hängt der Brief an einem besonderen Platz in<br />
unserem Haus und mein Vater ist sehr stolz, ihn zu besitzen.<br />
Israel ist mein Heimatland. Es ist das Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin.<br />
Es ist ein faszinierendes, einzigartiges Land, voller Widersprüche. Israel ist ein kleines<br />
Land, aber sehr stark; es bekämpft den Terror und strebt nach Frieden; es ist ein relativ<br />
junges Land, hat aber in vielen Bereichen viel erreicht, etwa in High-Tech und Technologie<br />
auf der einen und Kultur und Landwirtschaft auf der anderen Seite. Israel ist ein<br />
Land mit einer langen, ereignisreichen Geschichte, einer komplizierten Gegenwart und<br />
einer hoffentlich viel versprechenden Zukunft. Es ist ein Land, in dem alle Menschen vor<br />
dem Gesetz gleich sind, und es ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Aus all diesen<br />
Gründen und noch vielen anderen liebe ich Israel und bin stolz, Israeli zu sein.<br />
Reibeplätzchen mit Rübenkraut<br />
In weniger als einer Woche sollte Gal als Gastschüler in unserer Familie wohnen. Unser<br />
neues Familienmitglied, ein Junge aus Israel, hatte sich in den letzten Tagen zu einem<br />
wichtigen Gesprächsthema entwickelt. Dabei stießen wir immer wieder auf Fragen sowohl<br />
organisatorischer als auch sozialer Art. Zum Glück verfügt mein Vater über ein großes<br />
Know-How im Bereich des Austausches, da er sich im Alter von 16 Jahren entschied,<br />
für ein Jahr seine Familie und seine gewohnte Umgebung zurückzulassen. Ausgestattet<br />
mit etwas brüchigem Schulenglisch, begab er sich auf ein großes Abenteuer: ein Jahr<br />
Schüleraustausch in Indiana, USA. Noch heute glänzen seine Augen, wenn er von seinen<br />
„ersten Schritten auf amerikanischem Boden“ berichtet und sich an den „riesigen“ Empfang<br />
bei seiner Ankunft am Flughafen erinnert. Daher hatte er viele gute Ideen, als wir<br />
über eine geeignete Begrüßung für unseren baldigen Gast Gal diskutierten.<br />
Für uns alle stand fest, dass wir unserem Gast eine angenehme Zeit machen wollten und<br />
er sich bei uns wohl fühlen sollte. „Ich weiß noch, dass wir auf dem Weg vom Flughafen<br />
nach Hause in einem typischen American Steakhouse zu Abend aßen. Da wusste ich:<br />
Jetzt ist es real, ich bin in den USA“, erzählte mein Vater. Ein typisches deutsches Abendessen<br />
schien uns allen eine gute Idee. Doch schon standen wir vor der nächsten Frage:<br />
Was ist typisch deutsch?<br />
„Na, erinnere dich doch mal zurück! Vor kurzem warst du in den USA. Was hast du dort<br />
nicht bekommen, was für dich vorher zum Alltag gehörte?“, fragte mein Vater. Da hatte<br />
er Recht. Letzten Sommer war ich es, die sich entschied, in die Spuren ihres Vaters zu<br />
treten. Zum einen begeistert durch seine authentischen Berichte, zum anderen durch den<br />
Wunsch, etwas Neues kennen zu lernen und ein Jahr „ganz alleine“ zu meistern, nahm<br />
ich an einem einjährigen Austausch teil. Ebenfalls in den USA. Nach kurzem Grübeln fiel<br />
es mir ein: Reibeplätzchen mit Rübenkraut! Das gab es einfach nirgendwo, damit sollten<br />
wir Gal begrüßen!<br />
Sowohl meine noch nicht allzu lang zurückliegenden Erinnerungen als auch die im Laufe<br />
der Jahre reflektierten Erfahrungen meines Vaters dienten nun als Grundlage unserer<br />
Ideen. Wir überlegten, wie wir uns in den ersten Tagen unseres Austausches gefühlt<br />
hatten, durch welche Gesten unserer Gastgeber wir uns willkommen und aufgehoben<br />
fühlten.<br />
Zunächst mussten aber auch organisatorische Dinge geklärt werden. Wie würden wir die<br />
Orte des doch sehr komplexen Programms erreichen? Für mich eingefleischten Münste-