UNTOLD FAMILY STORIES - Friedensschule Münster
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Annika<br />
<strong>Münster</strong><br />
Rishon LeZion<br />
50<br />
Nicht nur ein Urlaub<br />
Genau wie in den letzten 12 Jahren fuhren wir auch im vergangenen Jahr in den<br />
Sommerferien nach Dänemark. Ich weiß selbst nicht genau, was uns da immer wieder<br />
hinzieht, aber meine Eltern sagen stets, dass die Luft und die Idylle dort einfach unerreichbar<br />
seien. Fast jedes Jahr sind wir in demselben Ort, „Bjerregaard“, eine kleine<br />
Wohnhaus-Siedlung zwischen Fjord und Meer an der Westküste. Nur die Dünen trennten<br />
uns und unsere Nachbarn, mit denen wir zusammen in den Urlaub gefahren waren,<br />
im letzten Jahr vom kühlen Nass. Kristiane und Dieter Schneider haben zwei Kinder,<br />
den kleinen, frechen Jonas und die Grundschülerin Karolina. Jonas konnte mit seinen<br />
5 Jahren noch nicht richtig sprechen und ist allgemein eher ein Wirbelwind, der gerne<br />
Streiche spielt und auch mal das ein oder andere Wort überhört. Karolina ist hingegen<br />
ein aufgeschlossenes, liebes Mädchen, das zwar manchmal etwas zickig ist, sich aber<br />
schnell wieder einkriegt.<br />
Wir kennen die Familie Schneider schon seit ein paar Jahren und wussten von vornherein,<br />
dass wir uns gut mit ihnen verstehen würden.<br />
Die ersten Tage verliefen super, wir waren oft am Strand und haben „gesurft“, wobei das<br />
nur so aussah. Wir haben uns auf Plastikbretter geschmissen und sind dann auf winzigen<br />
Wellen in den Sand gerauscht. Trotzdem hatten wir viel Spaß dabei. Und wir waren<br />
Kerzen ziehen, das heißt, dass man einen Docht bekommt und den dann so oft in flüssiges<br />
Wachs tauchen muss, bis die Kerze dick ist. Töpfern waren wir diesmal leider nicht,<br />
doch die letzten Jahre hatte es immer tierisch Spaß gemacht, sich eigene Kerzenhalter<br />
zu formen und diese dann auch zu Hause zu verschenken. Auf jeden Fall ging die erste<br />
Woche unserer Reise schnell um.<br />
Die zweite Woche begann damit, dass uns Freunde aus Deutschland besuchten und wir<br />
zusammen nach „Hvide Sande“ fuhren, um das kleine Hafenstädtchen einmal genauer zu<br />
erkunden. Ich kannte den Ort bereits und fand es nicht sonderlich interessant dort.<br />
Nach dem Bummel durch die Lädchen und der Fischfrikadelle in der Fischerei fuhren<br />
wir an die Mole, ein aus Stein gepflasterter Weg, der in das Meer führt und von großen<br />
Steinen umringt ist. Mein Vater Dietmar und die anderen Männer wollten sich dort umschauen,<br />
weil sie sich am nächsten Tag zum Angeln treffen wollten. Die Kinder, unsere<br />
Bekannten, die Nachbarn und meine Eltern stapften also durch den Sand in Richtung<br />
Mole.<br />
Ich blieb im Auto sitzen, hörte Musik und blätterte in einem Katalog für Kleidung.<br />
Das Wetter wurde immer windiger und ich immer ungeduldiger, weil ich nach Hause<br />
wollte. Nach einiger Zeit fuhr ein Krankenwagen auf den Parkplatz, ein Sanitäter stieg<br />
aus und suchte etwas. Ich war innerlich am Lachen und dachte mir: „ Bestimmt ist jemand<br />
von uns in das Wasser gefallen.“ Es war zwar nicht gerade voll dort, aber die Möglichkeit,<br />
dass meiner Familie oder unseren Bekannten etwas passiert sei, erschien mir in<br />
diesem Moment sehr unwahrscheinlich. Als dann der Sanitäter wieder in seinen Wagen<br />
stieg und wegfuhr, bestätigte das meine Gedanken und ich drehte die Musik wieder auf.<br />
Nicht mehr als fünf Minuten vergingen, als Stefan, einer unsere Bekannten aus Deutschland,<br />
und sein Sohn Fabian mit geschockten Mienen an meine Scheibe klopften. Sie<br />
erklärten mir hastig, dass Kristiane sich das Bein gebrochen hätte, mein Vater fast<br />
kollabiert wäre und die Kinder weinten. Mein Magen zog sich zusammen, ich sprang aus<br />
dem Wagen und ging mit großen Schritten zur Mole. Hinter mir sah ich auch die Sanitäter<br />
herbeieilen; sie waren vorhin wohl doch an der richtigen Stelle gewesen. Noch vor<br />
ihnen erreichte ich mit Mühe und nach einer halben Ewigkeit die Mole. Ich sah Kristiane<br />
auf dem Boden liegen, das linke Bein gebrochen. Der Knochen ragte noch aus dem Bein<br />
hervor. Meine Mama Susanne erklärte ihr gerade, wie sie sich hinlegen müsse, damit die<br />
Schmerzen geringer würden. Als Krankenschwester kannte sie sich mit solchen Situationen<br />
gut aus. Vorher hatte sie meinen Papa auf den Boden und seine Beine auf einen<br />
Rucksack gelegt, weil er kreidebleich wurde, als er das alles sah und sich selbst nicht<br />
mehr auf den Beinen halten konnte. Der Anblick war grausig: Die Kleinen lagen bedrückt<br />
in den Armen unserer Bekannten, mein Papa auf dem Boden liegend wie auch Kristiane,<br />
der von ihrem Mann die Hand gehalten wurde. Die Sanitäter und der Notarzt trafen<br />
ein, verbanden das Bein, so gut es ging, und machten eine Luftpolsterung, damit es von<br />
schmerzhaften Bewegungen geschont würde. Während der Sanitäter einen Anästhesisten<br />
rief, ließ der Notarzt sich von meiner Mutter erklären, was geschehen war. Da der<br />
Notarzt nur wenig Deutsch konnte und meine Mama kein Dänisch, versuchten sie es auf