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UNTOLD FAMILY STORIES - Friedensschule Münster

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Schockzuständen usw. und wurden entsprechend fortgebildet. Sie sind hauptsächlich<br />

im näheren Umkreis ihrer jeweiligen Wohnorte für die Überbringung von Todesbenachrichtigungen<br />

zuständig, auch außerhalb ihrer Regelarbeitszeit. Die Nachbereitung von<br />

Einsätzen ist für diese Polizeibeamtinnen und -beamten von großer Bedeutung. Dazu<br />

treffen sie sich regelmäßig und tauschen ihre Erfahrungen aus. Supervision wird für<br />

die Opferschützer durch das Landesamt für Aus- und Fortbildung der Polizei seit 2011<br />

ebenfalls angeboten.<br />

Mein Vater hatte seinen ersten schwierigen Einsatz in diesem Bereich kurz nach Beginn<br />

seiner Tätigkeit. Mitten in der Nacht klingelte das Telefon. Die Einsatzleitstelle Coesfeld<br />

war am Apparat und teilte meinem Vater mit, dass eine Frau aus unserer weiteren<br />

Nachbarschaft bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Die Aufgabe meines<br />

Vaters bestand nun darin, sich zunächst einmal genauer über die Begleitumstände des<br />

Unfalls zu informieren und dann der Familie die Todesnachricht zu überbringen. Besonders<br />

schwierig wurde die Situation dadurch, dass er die Familie persönlich kannte. Ich<br />

hatte von diesem Vorfall nichts mitbekommen, aber meine Mutter war durch den nächtlichen<br />

Anruf ebenfalls geweckt worden. Nachdem sie erfahren hatte, was passiert war,<br />

war sie natürlich auch sehr betroffen. Sie konnte nicht weiter schlafen und wartete auf<br />

meinen Vater, der in den frühen Morgenstunden wieder nach Hause kam. Lange haben<br />

sie das Erlebte noch besprochen.<br />

Mir wurde am 1. Mai 2006 so richtig bewusst, welche schwierige Aufgabe mein Vater<br />

übernommen hatte. Wir kamen von einem Ausflug nach Hause, machten uns etwas zu<br />

essen und spielten anschließend Monopoly. Plötzlich klingelte das Telefon und da ich es<br />

am schnellsten erreichen konnte, nahm ich das Gespräch entgegen. Es war die Leitstelle<br />

Coesfeld, die meinen Vater sprechen wollte. Zunächst dachte ich an nichts Schlimmes<br />

und gab das Telefon weiter, denn ich wusste, dass mein Vater ab und zu auch außerhalb<br />

seiner Dienstzeiten zu Einsätzen gerufen wird. Wie sich dann herausstellte, hatte sich<br />

in der näheren Umgebung ein schrecklicher Unfall ereignet. Eine Autofahrerin war in<br />

eine Familie gefahren, die mit Inlinern und Fahrrädern unterwegs war. Die Mutter war<br />

sofort tot, eine Tochter starb später, der Vater und die zweite Tochter überlebten schwer<br />

verletzt. Zu Hause warteten jedoch noch eine Schwester und ein Bruder auf die Rückkehr<br />

ihrer Familie. Diese mussten nun von meinem Vater und einem weiteren Kollegen über<br />

diesen Unfall informiert werden. Wir waren alle schockiert und traurig.<br />

Für mich selbst war es ein bleibendes Erlebnis, das ich sehr schwer verarbeiten konnte,<br />

obwohl ich die Verstorbenen nicht persönlich kannte. Viele meiner Freunde sind mit den<br />

Töchtern auf eine Schule gegangen und erzählten von der Trauerfeier, die in der Schule<br />

mit allen Schülern stattgefunden hatte. Ich musste noch oft an diesen Unfall denken,<br />

auch weil ich jeden Tag mit dem Schulbus an der Stelle vorbeifahre. Wenn später das<br />

Telefon klingelte und ich die Worte „Leitstelle Coesfeld“ hörte, war mein erster Gedanke:<br />

Schon wieder ein schwerer Unfall, schon wieder sind Menschen gestorben.<br />

Neben dem Einsatz bei tödlichen Verkehrsunfällen gibt es auch andere Ereignisse, bei<br />

denen mein Vater zum Einsatz kommt. Dies können tödliche Arbeitsunfälle oder auch<br />

Selbstmorde sein. Je nach Situation ist es wichtig, dass die Opferschützer für diese Aufgabe<br />

gut ausgebildet und ausreichend vorbereitet sind. Für meinen Vater ist die Arbeit<br />

als Opferschützer eine sehr wichtige Aufgabe. Er muss zu jeder Tages- und Nachtzeit<br />

bereit sein, Menschen die schlimmsten Nachrichten zu übermitteln, eigene Probleme<br />

und Sorgen müssen ganz zurückgestellt werden. Er muss sich in alle möglichen Familiensituationen<br />

hineinversetzen können, Trost und Halt geben und dabei aber immer noch<br />

einen gewissen Abstand wahren. Ich bewundere es sehr, wie er das hinbekommt, denn<br />

es ist alles andere als einfach. Oft bin ich sehr geschockt, wenn er von einem Einsatz<br />

wiederkommt und dann erzählt, was passiert ist. Bei so vielen schrecklichen Unfällen, bei<br />

denen jeder durch die heutigen Medien alles mitbekommt, fragt man sich ständig, wie<br />

so etwas dann immer wieder passieren kann. Von der Polizei des Landes NRW läuft zur<br />

Zeit landesweit das Projekt „CRASH-Kurs NRW“, bei dem Opferschützer, Notfallseelsorger<br />

und teilweise sogar Überlebende von einem schweren Unfall ihren Erfahrungen und<br />

ihrem Erlebten berichten, in der Hoffnung, die Zuhörer, meist Schüler, zum Nachdenken<br />

anzuregen und ihr Bewusstsein für die Gefahr zu stärken, um so künftige Unfälle zu<br />

vermeiden.<br />

Dafür, dass mein Vater diese schwierige Aufgabe übernimmt, bewundere und schätze ich<br />

ihn sehr.

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