UNTOLD FAMILY STORIES - Friedensschule Münster
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Turnern bei der Vorstellung zuschauten. „ Die Truppe hatte sich in diesem Jahr als Clowns<br />
verkleidet, alle trugen rote Hosen mit weißen Sternchen drauf, die waren ziemlich groß,<br />
damit auch noch Luftballons als Bäuche reinpassten. Geturnt wurde auf dem Trampolin,<br />
man ließ sich ab und zu auf die Ballons fallen, die laut platzten. Ja, und Bernd, dein Opa,<br />
sprang fleißig mit, er machte einen Salto, zack, und landete genau auf dem Tisch, auf der<br />
weißen Tafel zwischen all den Flaschen und Gläsern, aber ich weiß es noch genau, nicht<br />
ein Glas zerbrach.“ So haben sich meine Großeltern kennen gelernt. Diese Geschichte ist<br />
längst zu einer Familienlegende geworden.<br />
Die Familie spielt eine große, eine überaus wichtige Rolle im Leben eines Jeden, sie ist<br />
die Heimat, sie gibt einem Halt, und aus dem Kreise der Verwandten übernimmt man<br />
oft auch eigene Lebensweisen, Einstellungen und Eigenarten. Meine Familie war schon<br />
immer eine Reisefamilie, sobald die Schulferien anfingen, war das Wohnmobil gepackt,<br />
die Kinder kamen nach Hause, schmissen ihre Tornister in den Flur und das Abenteuer<br />
konnte beginnen. „Einmal nahmen wir die Fähre nach England, wir waren ziemlich bepackt.<br />
Wir hatten zwei Surfbretter oben drauf - das Auto ist so ein 2,8-Tonner gewesen,<br />
also ein ausgebautes Wohnmobil - auf diesen beiden Surfbrettern zwei Fahrräder, dann<br />
hinten noch zwei Fahrräder und die Surfkarre draufgepackt. Und wir kommen dann in<br />
England an, mussten natürlich durch den Zoll und dachten schon, oh Gott, wenn die<br />
jetzt anfangen, uns auseinanderzurupfen... Und dann haben die uns nur durchgewinkt<br />
und gesagt: „Oh, klein Karstadt.“ Aus dieser Reisezeit, als mein Vater und mein Onkel<br />
noch kleiner waren, gibt es viele spannende, witzige Geschichten, die von fernen Ländern<br />
und Abenteuern erzählen. Als Opa einmal mit seinen Freunden verreist war, beschloss<br />
Oma ebenfalls, auf eigene Faust in den Urlaub zu fahren. Sie ließ einen Zettel auf dem<br />
Wohnzimmertisch liegen und machte sich samt der Kinder auf den Weg nach Römö, eine<br />
Halbinsel in Dänemark. Nun muss man wissen, dass es in Dänemark erlaubt ist, mit dem<br />
Auto auf den Strand zu fahren. Die drei stellten das blaue Wohnmobil also zwischen<br />
den vielen anderen Fahrzeugen ab, packten die Fahrräder aus und machten sich auf den<br />
Weg zum Hafen. Vergessen hatten sie allerdings die Gezeiten, die das Meer steigen und<br />
sinken lassen. „Ich weiß noch, es war ein ganz windiger Tag und wir haben uns gegen<br />
den Gegenwind in Richtung Hafen durchgekämpft und zurück rasten wir dann Richtung<br />
Auto. Und wir sahen am ganzen Strand nur noch ein einziges Auto stehen, inmitten von<br />
Wasser, und das war unser Wohnmobil. Mir wurde richtig übel in dem Moment, aber<br />
die Kinder schrien: ,Juhee, super, ein Abenteuer!‘ Ich wusste ja nicht einmal, wie tief der<br />
Priel war, aber ich musste das Auto dort wegschaffen. Die Sonne schien, um uns herum<br />
standen die Leute und fotografierten uns lachend, die Kinder lehnten in der geöffneten<br />
Seitentür. Das Wasser spritzte an den Seiten des Wagens hoch bis auf Höhe des Daches,<br />
aber irgendwie bekam ich das Auto da raus. Und ich hab gesagt: ,Ihr haltet aber<br />
den Mund, ihr sagt nichts zu Papa!‘ Das ganze Salzwasser ist ja Gift für das Getriebe.“<br />
Heutzutage fährt meine Oma ihr drittes Wohnmobil, in strahlendem Blau, und sie ist die<br />
meiste Zeit des Jahres auf Reisen. Mein Onkel hat eine ganze Weltreise hinter sich und<br />
die Weltkarte mit den Hier-war-ich schon-, Hier-will-ich-noch-hin-Fähnchen habe ich<br />
genauso wie mein Vater im Zimmer an einem Ehrenplatz hängen.<br />
Insofern hat mich meine Familie geprägt, genau wie jeder Mensch, den wir treffen, etwas<br />
in uns hinterlässt, ein Gefühl, einen Satz, ein Bild. Und diese Erfahrung, jede Erfahrung<br />
ist so wertvoll, dass sie weitergegeben werden muss, innerhalb einer Familie oder<br />
auch innerhalb eines Freundeskreises, als eine lehrreiche Geschichte, als ein erinnerungswürdiger<br />
Moment, um eine Person zu beschreiben oder um einfach etwas zum Lachen zu<br />
haben. Mit unserem Austausch werden ebenfalls neue Geschichten geschrieben, die es<br />
gilt, im Kopf zu behalten und im passenden Moment vorzutragen, denn eines ist sicher,<br />
jeder Mensch lauscht gerne den Geschichten eines anderen, ob als Buch verfasst, im<br />
Songtext eingebaut oder in einem Artikel verarbeitet. Geschichten bestimmen unseren<br />
Alltag. Warum dann nicht auch unsere eigenen Familiengeschichten?