UNTOLD FAMILY STORIES - Friedensschule Münster
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freuten uns auf den seit langem geplanten Urlaub in Ungarn am Plattensee, welcher<br />
uns auch einen Tag Aufenthalt in Dresden bei einer gemeinsamen Freundin einbrachte.<br />
Christophs Bruder Wilfried und seine damalige Freundin Bettina kamen mit uns und so<br />
fuhren wir zu viert in einem kleinen VW Käfer los.<br />
Das erste Gänsehautgefühl bekam ich an der Grenze zur DDR. Obwohl ich sie schon<br />
öfter überschritten hatte, überkam mich wieder dieses Gefühl. Die vielen Soldaten und<br />
ihre scharfen Kontrollen erzeugten in mir ein flaumiges, schon fast ängstliches Gefühl.<br />
Nachdem wir all die Unannehmlichkeiten hinter uns gelassen hatten, kamen wir nach<br />
Dresden. Als der Tag sich dann dem Ende neigte und wir aus Dresden in Richtung Ungarn<br />
abfuhren, waren alle voller Vorfreude auf den Urlaub am Plattensee. Nun, mitten in der<br />
Nacht, kamen wir an. Der Hotelmanager zeigte uns unsere Zimmer und wir schliefen erst<br />
einmal, um die Müdigkeit aus unseren Knochen zu vertreiben. Der Urlaub entwickelte<br />
sich zu der erwarteten Erholung, das Essen war ein Traum und die Landschaft einfach<br />
nur atemberaubend. Viele DDR-Bürger verbrachten damals ebenfalls ihren Urlaub am<br />
Plattensee. Man erkannte sie an ihren Fahrzeugen der Marke Trabi oder Wartburg und<br />
daran, dass sie häufig zelteten.<br />
Wir genossen unseren Urlaub gebührend, aber wir wollten auch ein bisschen das Land<br />
erkunden. So beschlossen wir einen kleinen Tagesausflug nach Budapest zu unternehmen.<br />
Am darauffolgenden Tag ging es mit dem Zug und ohne Komplikationen nach<br />
Budapest. Wir sahen uns die Altstadt an und waren erstaunt von der Schönheit, aber<br />
auch von der historischen Atmosphäre dieser Stadt. Mit diesen Eindrücken starteten wir<br />
die Rückreise.<br />
Doch wer nun glaubt, dass diese wie die Hinreise verlaufen würde, täuscht sich gewaltig.<br />
Auf der Hinfahrt hatten wir unser klares Ziel Budapest vor Augen, doch nun standen wir<br />
auf dem Bahnhof der Metropole und keiner konnte auch nur ein Wort Ungarisch. Auch<br />
das Fragen von Passanten war vergebens, da die englische Sprache nicht geläufig war im<br />
Ostblock. Doch nach langem Suchen und Nachfragen erreichten wir unseren Zug. Dieser<br />
Umstand, dass wir genau in den richtigen eingestiegen waren, ist mit Glück kaum zu<br />
beschreiben.<br />
Nach der Fahrt kehrten wir abends in unser Hotel zurück und berichteten unverzüglich<br />
unserem Hotelwirt von unserer recht kuriosen Fahrt. Ein Glücksfall, denn er machte zur<br />
Feier des Tages ein original ungarisches Kesselgulasch und dazu gab es selbst gebrannten<br />
Pflaumenschnaps. Der Abend entwickelte sich zu einem richtigen kleinem Fest. Es kamen<br />
immer mehr Leute und alle aßen, tranken, sangen und tanzten zusammen. Tief in der<br />
Nacht verließen wir die Feier und wollten uns zurückziehen. Als wir aufstanden und uns<br />
verabschiedeten, drückte uns der Gastgeber noch einen, in einer Wasserflasche abgefüllten<br />
Liter, von diesem grandiosen Schnaps in die Hand. Dieser landete natürlich direkt<br />
in unserem Kühlschrank, wo er aber nicht lange bleiben sollte. Ich wurde mitten in der<br />
Nacht von einem komischen Geräusch geweckt und begab mich auf Ursachenerkundung.<br />
Ich fand Christoph mit der Wasserflasche, in der der Schnaps war, vor dem Kühlschrank<br />
hockend und fluchend vor. Er hatte, auf der Suche nach Wasser, die Wasserflasche<br />
erwischt und einen großen Schluck genommen, der ihm aber sichtlich den Atem geraubt<br />
hatte.<br />
Nach diesem Abend und vielen weiteren schönen Abenden ging unser Urlaub zu Ende<br />
und wir fuhren wieder zu viert im Käfer Richtung Österreich. Irgendetwas stimmte nicht<br />
auf den Straßen, denn wir sahen fast nur Trabis und Wartburgs, die eigentlich nicht in<br />
diese Richtung hätten fahren sollen. Den ganzen restlichen Weg überlegten wir nun, was<br />
wohl passiert war.<br />
Nun merkten wir auch, dass wir in Ungarn völlig von der Außenwelt abgeschnitten<br />
waren und uns überkam ein komisches Gefühl von Unwissenheit. Dann endlich war die<br />
lange Fahrt geschafft und zu Hause schalteten wir den Fernseher ein. Es war wie ein<br />
Schock!<br />
Ungarn hatte zum ersten Mal in der Geschichte des Eisernen Vorhangs die Grenzen zu<br />
einem nichtkommunistischen Staat geöffnet. Tausende von DDR-Bürgern, die in Ungarn<br />
waren und es gehört hatten, waren an diesem Tag, an dem ja auch wir den Ostblock<br />
verlassen hatten, nach Österreich und somit in den Westen geflohen. Jetzt begriffen<br />
wir erst, dass wir Zeugen eines historischen Ereignisses geworden waren. Es war der<br />
Anfang vom Ende der DDR und auch der Sowjetunion. Dieses Ereignis blieb mir bis heute