UNTOLD FAMILY STORIES - Friedensschule Münster
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Reut Im Kloster versteckt<br />
Rishon LeZion<br />
<strong>Münster</strong><br />
14<br />
Ich möchte eine kurze Geschichte erzählen, eine von einer Million Untold Family Stories,<br />
die mir sehr am Herzen liegt.<br />
Als meine Großmutter Dora zwölf Jahre alt war, floh ihre Familie aus Deutschland. Die<br />
Mutter meiner Großmutter, Tony, musste die Familie trennen, um das Leben der Kinder<br />
zu retten. Sie wusste, dass sie nur ein Kind mit auf ein Schiff nehmen konnte, das nach<br />
China fuhr, und das war meine Großmutter. Sie setzte eine Anzeige in die Zeitung und<br />
suchte eine Familie im Ausland, die ihre anderen drei Kinder aufnehmen könnte, bis der<br />
Krieg vorüber wäre. Eine schwedische Familie vom Land antwortete auf die Anzeige und<br />
sagte, sie würden nur ein Kind nehmen. Tony bat darum, sie möchten die zwei jüngsten<br />
nehmen, weil der dritte ältere Bruder auf dem Weg nach Israel sei. Nach einer Weile<br />
willigten sie schließlich ein und die beiden sieben und acht Jahre alten Kinder wurden<br />
per Schiff nach Schweden geschickt.<br />
Meine Großmutter bestieg mit ihren Eltern und ihrer Großmutter das Schiff für die lange<br />
Reise nach China. Da der Kapitän sich weigerte, Kinder an Bord zu nehmen, hatten sie<br />
vorher beschlossen, dass meine Großmutter das Schiff in Marseille, Frankreich, verlassen<br />
sollte. Dort wartete ein Verwandter auf sie, ein alter, unfreundlicher Mann, und sie<br />
musste mit ihm und seiner Frau in einem fremden Land leben, dessen Sprache sie nicht<br />
verstand. Sie war zu der Zeit dreizehn Jahre alt. Sie hatte schreckliches Heimweh und<br />
war entsetzt, dass niemand ihr gesagt hatte, dass man sie in Frankreich zurücklassen<br />
würde. Sie wusste nicht, dass es zu ihrer eigenen Sicherheit war.<br />
Ein Jahr später, als die Nazis Frankreich eroberten, wurde es für sie gefährlich, weiter<br />
bei dem Verwandten zu bleiben, also wurde sie in der Nähe in ein Waisenhaus gebracht.<br />
Von dort kam sie später in ein Kloster, wo sie sich zusammen mit elf anderen jüdischen<br />
Mädchen vor den Nazis versteckte, indem sie sich als Nonnen ausgaben. Die katholischen<br />
Nonnen behandelten sie gut, sie lernte Französisch und kochen, aber sie konnte nicht<br />
von dort weg, dort bekam sie Essen und Schutz. Obwohl die Nonnen versuchten, sie und<br />
die anderen jüdischen Mädchen zum Konvertieren zu überreden, wollte sie das nicht.<br />
Eines Tages kamen Nazisoldaten zum Essen in die Küche des Klosters. Meine Großmutter<br />
hatte gerade Dienst in der Küche und sie sollte dort bleiben und sich als Französin ausgeben.<br />
Die Soldaten setzten sich hin und riefen auf Deutsch nach ihr. Ihr erster Instinkt<br />
war es, sich umzudrehen und sie zu bedienen, da sie jedes Wort verstand. Aber zum<br />
Glück runzelte sie nur die Stirn und drehte sich nicht um. Das rettete ihr buchstäblich<br />
das Leben. Zwei Jahre später, als sie das Kloster verlassen musste, zog sie von Ort zu Ort.<br />
Und wieder rettete ihre Intuition ihr dabei das Leben. Als sie auf der Flucht war, fand<br />
sie häufig auf einem Bauernhof Unterkunft, nachdem sie den Bauern dort bei der Arbeit<br />
geholfen hatte. Sie stand aber immer schon früh am nächsten Morgen auf, nahm ihr<br />
Fahrrad und fuhr schnell ins nächste Dorf. Wie sich zeigte, war ihr Instinkt richtig, denn<br />
oft sah sie Nazisoldaten, die nach ihr suchten, weil Dorfbewohner sie gerufen hatten, um<br />
sie zu holen.<br />
Nach Kriegsende wusste sie nichts über das Schicksal ihrer Familie. Sie traf aber einen<br />
jüdisch-amerikanischen Soldaten, der ihr sagte, dass jüdische Flüchtlinge anfingen, nach<br />
Israel zu gehen. Sie suchte die Organisatoren dieser Aktion und machte mit.<br />
So kam sie nach Israel, wiederum in ein fremdes Land, eine junges, verängstigtes Mädchen,<br />
das mit achtzehn weder Hebräisch sprach noch jemanden kannte. Als sie ihren<br />
Bruder in Israel wiederfand, erfuhr sie zum ersten Mal, dass ihre Eltern lebten und in<br />
die USA gegangen waren. Leider sah sie ihre Eltern nie wieder. Ihre beiden jüngeren<br />
Brüder gingen von Schweden in die USA. Meine Großmutter lernte Krankenschwester<br />
und arbeitete in einem Krankenhaus in Jerusalem. Dann heiratete sie meinen Großvater<br />
Efraim und bekam zwei Kinder, meine Mutter und ihren Bruder. Heute ist Großmutter<br />
Dora fünfundachtzig Jahre alt und ich finde nichts schöner, als bei ihr zu sitzen und ihre<br />
Geschichten zu hören.<br />
Im Herzen eines jeden Israelis steckt eine tiefe Verbindung zu dem „heldenhaften Juden“,<br />
der all die Jahre überlebt hat. Die Tatsache, dass das jüdische Volk durch all das Leid<br />
gegangen ist und dennoch ein so schönes Land errichten konnte, macht mich stolz, ein<br />
Teil davon zu sein. Hier kommt der israelische Charakter ins Spiel. Israelis sind kühn, stur<br />
und sehr kreativ im Denken. So ist es nicht verwunderlich, dass sie auf dem Gebiet des<br />
Hi-Tech, der Kunst und Medizin weltweit führend sind.