UNTOLD FAMILY STORIES - Friedensschule Münster
UNTOLD FAMILY STORIES - Friedensschule Münster
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Manja<br />
<strong>Münster</strong><br />
Rishon LeZion<br />
18<br />
Die Geschichte meines Onkels<br />
Vor langer Zeit war der Bruder meiner Mutter, Egon, mit dem Rucksack in Europa unterwegs.<br />
Er war unter anderem in Venedig, um sich ein eigenes Bild von der Schönheit<br />
dieser Stadt zu machen. Als Bauingenieur war er von der Stadt überaus begeistert und<br />
fasziniert von der Struktur der Altstadt mit ihren vielen Straßen, Plätzen und den zahlreichen<br />
Kanälen. Egon übernachtete in einer Jugendherberge, die zum damaligen Zeitpunkt<br />
total ausgebucht und völlig überfüllt war. So kam es, dass alle Jungs im Haus schliefen<br />
und die Mädchen eine Notunterkunft bekamen, doch zum Frühstücken kamen sie alle<br />
im Speiseraum der Jugendherberge zusammen. Am Morgen des 31. Juli 1979 begegnete<br />
mein Onkel beim Frühstück einer Frau namens Conny. Sie redeten eine Weile miteinander<br />
und tauschten ihre bisherigen Erlebnisse und Eindrücke aus. Conny war damals ebenfalls<br />
auf einer Rucksacktour und schlief in der Notunterkunft der Jugendherberge. Mein<br />
Onkel und Conny unterhielten sich den ganzen Morgen und so fand er heraus, dass sie in<br />
Australien aufgewachsen war, ihre Eltern jedoch ursprünglich ebenfalls aus Deutschland<br />
kamen, aber nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit wenigen Verwandten nach<br />
Australien auswanderten. Sie verabredeten sich noch ein zweites Mal und verbrachten<br />
einen wunderschönen Tag in Venedig. Sie gingen zusammen einkaufen und hatten ein<br />
gemeinsames, romantisches Abendessen an einem der vielen, für Venedig typischen<br />
Kanäle.<br />
Am darauf folgenden Tag reiste Conny weiter nach Hannover, um einige ihrer deutschen<br />
Verwandten zu besuchen, und mein Onkel machte sich auf nach Kreta. Als er nach kurzer<br />
Zeit wieder nach Hause kam, besuchte Conny ihn und verbrachte drei Monate mit Egon<br />
zusammen in <strong>Münster</strong>. Eines Abends saßen sie zusammen in einem Restaurant, als Conny<br />
meinen Onkel fragte, wie er die Situation zwischen ihr und ihm sehen würde und mein<br />
Onkel antwortete: „Das ist doch klar, wir sind ein Paar.“ Conny aber sagte ihm, dass es<br />
nicht so einfach ginge, und da fasste Egon den Entschluss, ihr einen Heiratsantrag zu<br />
machen, denn er sagte sich, so eine Frau wie Conny findest du nirgendwo sonst auf der<br />
Welt, die kannst du nicht gehen lassen! Er ging los, kaufte ihr einen Ring und fiel vor ihr<br />
auf die Knie, um sie zu bitten, ihn zu heiraten. Conny wollte Egon ebenfalls heiraten und<br />
zusammen entschieden sie, nach Australien zu fliegen. Als mein Onkel dort ankam, dachte<br />
er, man hätte ihn mitten im Urwald ausgesetzt. Alles war anders, fremd und irgendwie<br />
auch ein bisschen primitiv. Es war eine riesige Umstellung für ihn, aber was tut man<br />
nicht alles für seine große Liebe? Conny brachte Egon in ihren Lieblings-Pub. Als mein<br />
Onkel die Tür des Pubs öffnete, dachte er, er wäre im falschen Film. Denn der Boden war<br />
überdeckt mit Sägespänen, in einigen Ecken des Pubs lag Erbrochenes und alles machte<br />
einen, sehr milde ausgedrückt, rustikalen Eindruck. Doch sein Entschluss, nach Australien<br />
auszuwandern, stand schon nach dem ersten Monat fest und er war sich sicher,<br />
dass nichts und niemand etwas an dieser Entscheidung ändern könnte. Er wollte sich<br />
ein gemeinsames Leben mit Conny aufbauen, also flog er zurück nach Deutschland. Dort<br />
kündigte er seine Wohnung, sein Auto, seine Versicherungen und alles, was dazu gehört,<br />
außerdem verkaufte er alles, was er nicht mehr brauchen würde. Nachdem er sein Visum<br />
beantragt hatte, organisierte er alle restlichen Dinge für seine Einreise in Australien. Die<br />
Aufregung und die Vorfreude auf das neue Leben in Australien waren groß. Doch am<br />
Ende stand auch ein schwerer Abschied von der Familie und von den Freunden bevor, die<br />
von nun an am anderen Ende der Welt leben würden.<br />
Während der ersten Wochen in dem neuen Land gab es viel zu erledigen und viele Dinge,<br />
an die man sich gewöhnen musste, wie zum Beispiel der Linksverkehr oder die Mentalität<br />
der Menschen. Zu dieser Zeit lebte mein Onkel zusammen mit Conny bei ihren<br />
Eltern. Dies war jedoch nur von kurzer Dauer, denn mein Onkel begann sich nach einem<br />
Studienplatz zu erkundigen, da sein Studium als Bauingenieur, welches er in Deutschland<br />
abgeschlossen hatte, in Australien nicht anerkannt wurde. Zum damaligen Zeitpunkt war<br />
ein deutscher Abschluss des Bauingenieurstudiums in Australien so viel Wert wie eine<br />
Ausbildung zum technischen Zeichner in Deutschland. Egon wurde an der ‚‚University of<br />
Melbourne‘‘ angenommen, studierte dort ein Jahr, um anschließend seine Abschlussarbeit<br />
zu schreiben. Zur gleichen Zeit kauften mein Onkel und Conny ein kleines Haus in<br />
West Brunswick, einem Stadtteil von Melbourne, und planten ihre Hochzeit, die dann im<br />
Februar 1982 stattfand. Während sie beruflich für eine Forschungsarbeit drei Monate<br />
nach Indien ging, renovierte Egon das Haus und richtete es gemütlich für die beiden ein.<br />
Sie lebten allerdings nur für kurze Zeit in diesem Haus, da meine Tante zum ersten Mal<br />
schwanger war und sie sich nach einem neuen Haus umsahen.