02.10.2013 Aufrufe

UNTOLD FAMILY STORIES - Friedensschule Münster

UNTOLD FAMILY STORIES - Friedensschule Münster

UNTOLD FAMILY STORIES - Friedensschule Münster

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

44<br />

arbeitete. Nachdem sie einen Abendkurs in <strong>Münster</strong> für Schreibmaschinenschreiben besucht<br />

hatte, wechselte sie ihren Beruf und wurde 1970 als Sekretärin an der Staatlichen<br />

Ingenieurschule für Maschinenwesen in Burgsteinfurt angestellt. Bald darauf wurde sie<br />

zur Dekanatsekretärin befördert und arbeitete von da an ausschließlich für den Fachbereich<br />

Versorgungstechnik. Als sie in den Ruhestand entlassen wurde, bezeichnete man sie<br />

als die „gute Seele“ der Fachhochschule. Anni war jedoch nicht nur beruflich sehr erfolgreich,<br />

sie war in ihrem Kegelclub „Kesse Mücken - Kesse Brummer“ zur Leiterin gewählt<br />

worden und engagierte sich in der Frauen- und Müttergemeinschaft in Burgsteinfurt.<br />

Als meine Oma, die Mutter von meinem Vater, schwer an Brustkrebs erkrankte und<br />

später auch daran starb, kümmerte Anni sich um meinen Vater und meine Tante. Jeden<br />

Mittag nach der Schule ging mein Vater zu ihr zum Essen und blieb dort, bis mein Großvater<br />

ihn abends abholte. Sie kümmerte sich um die ganze Familie, ihr Bruder lebte Zeit<br />

seines Lebens mit ihr in einer Wohnung, bis er 1983 an Lungenkrebs starb. Daraufhin zog<br />

ihre ältere Schwester Mia bei ihr ein, denn sie hatte Probleme mit starkem Asthma und<br />

brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte. So pflegte Anni auch sie bis zu ihrem Tod<br />

am 5.12.2004.<br />

Mit meiner Geburt war sie meine Patentante geworden. Jeden Sonntagnachmittag kam<br />

sie vorbei, um Kuchen zu essen und im Kreise der Familie die Neuigkeiten der Woche zu<br />

besprechen. Außerdem besuchte ich sie mindestens einmal im Jahr in den Ferien für ein<br />

oder zwei Wochen. Vor ein paar Jahren haben meine kleine Schwester und ich sie in den<br />

Osterferien zusammen besucht. Unser Aufenthalt verlief über den ersten April. Morgens<br />

weckte sie uns immer schon um acht Uhr, was für einen Schüler in seinen Ferien nun<br />

wirklich keine angemessene Zeit ist. Sie war jedoch schon um sechs Uhr aufgestanden<br />

und hatte nur darauf gewartet, dass sie uns um acht Uhr wecken konnte. Nachdem wir<br />

uns fertig gemacht hatten, wollten wir zu ihr in die Küche gehen, um zu frühstücken.<br />

Ich hatte einen beigen Rock an, über den sie schon öfters ihr Missfallen geäußert hatte.<br />

Als wir nun in die Küche traten, kam Anni direkt auf mich zu, zeigte mit dem Finger<br />

auf meinen Rock und fragte, was ich da auf meinem Rock habe. Meine Schwester und<br />

ich waren völlig verwirrt. Also starrten wir sie einfach nur verdutzt an. Sie schaute auf,<br />

lächelte und meinte „April, April.“ Wir lachten alle. Diese Aufgewecktheit zeichnete Anni<br />

aus, dass sie es noch mit 85 Jahren schaffte, mich in den April zu schicken. Eine Sache,<br />

die sie noch auszeichnete, war ihre Eigenheit bezüglich ihres Essens. Während unseres<br />

Aufenthalts waren meine Schwester und ich einkaufen gewesen und hatten für uns<br />

Paprika mitgebracht. Als wir sie zum Essen schnitten, fragte Anni, was das denn sei. Ich<br />

sagte völlig erstaunt darüber, dass sie Paprika nicht kannte, dass dies rote Paprika seien.<br />

Zu Hause essen wir häufig Paprika, da wir sie alle gerne essen. Anni wollte die Paprika<br />

schon probieren, doch es brauchte noch etwas Überzeugungskraft von meiner Schwester<br />

und mir, bis sie endlich reinbiss. Plötzlich verzog sich ihr schon faltiges Gesicht zu<br />

einem angewiderten Ausdruck und sie rümpfte die Nase. Sie spuckte die Paprika aus und<br />

meinte nur, so etwas wolle sie nie wieder essen. Bis heute lachen meine Schwester und<br />

ich über diesen unvergesslich angewiderten Gesichtsausdruck.<br />

Trotz ihres hohen Alters überraschte sie uns immer wieder mit ihrer geistigen Klarheit<br />

und wie körperlich belastbar sie noch bis zum Ende war. Auch als Rentnerin arbeitete sie<br />

jeden Tag in ihrem Schrebergarten, in dem sie Bohnen, Kartoffeln, Erdbeeren, viele andere<br />

Gemüsesorten und natürlich auch ein paar Blumen angepflanzt hatte. Als ich noch<br />

kleiner war, fuhren mein Vater und ich häufig samstags morgens ganz früh zu ihr in den<br />

Garten, der hinter dem wunderschönen Schloss von Burgsteinfurt lag. Wir halfen ihr bei<br />

der Gartenarbeit und genossen die schönen sonnigen Tage zwischen dem Gemüse und<br />

den Blumen. Im Herbst und im Winter machte Anni viele Gemüsesorten wie rote Beete,<br />

Bohnen oder Rotkohl aus ihrem Garten ein.<br />

Sie kümmerte sich, für manche war sie der Mutterersatz, für andere war sie die „ gute<br />

Seele“, ein Mensch, der immer da ist, an dem man sich festhalten kann. Anni hat nie<br />

geheiratet, trotzdem glaube ich, dass sie ein Familienmensch war, der sich um viele<br />

Mitglieder aufopferungsvoll mit Hingabe über Jahre gekümmert hat, ohne dabei an<br />

sich selbst zu denken. Mein Vater nannte sie immer „Mutter der Nation“, da sie immer<br />

alles getan hat, damit es ihrer Familie und auch Freunden gut geht. Sie ist für mich ein<br />

Vorbild. Anni hat mir viel über die Gartenpflege oder andere Dinge beigebracht, doch was<br />

ich von ihr lernen konnte, war, dass die Familie das Wichtigste im Leben ist und man sich<br />

gut um sie kümmern sollte.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!