Die Plastik der Ägypter - New York University
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ARCHITEKTUR 17<br />
Hohlkehle von reinster Zeichnung- ein. <strong>Die</strong> abstrakte Schönheit ihrer Kurve<br />
wetteifert mit <strong>der</strong> natürlichen eines geneigten Palmblattes, und die <strong>Ägypter</strong> emp-<br />
fanden diese Beziehung- so gültig-, daß sie nicht müde wurden, sie durch ein<br />
farbiges Ornament von Blättern hervorzurufen. Eine wagerechte Platte begrenzt<br />
das Gesims scharf gegen den Luftraum; je<strong>der</strong> Übergang fehlt. Nichts von<br />
den blühenden Ranken durchbrochener Akroterien o<strong>der</strong> Palmetten, in denen das<br />
Lineament eines griechischen Tempels ausklingt. Schroff und kantig stehen diese<br />
Steinkörper vor den Hügeln und dem Horizont. <strong>Die</strong> ägyptische Mauerbekrönung<br />
ist übrigens in sich so endgültig proportioniert, daß sie sich jedem Maße fügt.<br />
Sie ist gleich vollkommen am Tempelpylon wie am meterhohen Alabasterschrein.<br />
Ahnlich Unbedingtes vermochten nur noch die Gotiker, die in Tabernakeln und<br />
Sakramentshäuschen ihre großen Baugedanken ausspielten.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Ägypter</strong> hatten in ihren Freibauten vor allem eine äußerste Stabilität an-<br />
gestrebt. Sie zogen die letzte Konsequenz in Tempeln, die sie ins Felsplateau<br />
selbst höhlten. Auch zu diesen Felsentempeln leiteten Sphinxreihen o<strong>der</strong><br />
Terrassen hin; zuweilen wurde die Bergwand wie in Abusimbel, Tafel 7, selbst<br />
zum Pylon, an dem 20 m hohe thronende Königsstatuen aus dem Felsen heraus-<br />
gehauen sind. Eine solche Schauseite kündigte Tempelräume an, die 55 m tief<br />
in das Steinmassiv eindrangen. Vor dieser Architektur <strong>der</strong> gesteigerten Massen<br />
und Maße hätte Goethe nichts von „erstarrter Musik" verspürt; sie ist unalle-<br />
gorisch bis auf den Grund, selbst in ihren bildumkleideten Säulen.<br />
<strong>Die</strong> ägyptischen Baumeister brachten die allgemeinen Eigenschaften des Ge-<br />
steins: Schwere, Festigkeit, Starrheit und Härte auf an<strong>der</strong>e Weise zum Klingen<br />
als die Griechen und Gotiker. Der dorische Tempel verwirklicht ein statisches<br />
Geschehen, das dem statischen Erleben <strong>der</strong> menschlichen Natur gemäß verläuft.<br />
Seine Glie<strong>der</strong> formen und ordnen sich nach ihrer Bestimmung: den im Bauwerk<br />
vollzogenen Ausgleich <strong>der</strong> strebenden und lastenden Kräfte restlos auszusprechen.<br />
Er besitzt die organische Einheit, <strong>der</strong>en einzelne Züge in <strong>der</strong> ersten Anlage<br />
bereits gegeben und vorgezeichnet sind. Der griechische Künstler vertiefte sich<br />
vor allem in die Bildsamkeit seines Steinmaterials.<br />
<strong>Die</strong> Gotiker richteten ihr Formdenken auf gewaltige Raumschöpfungen, die<br />
sie in einer bis zum Äußersten differenzierten Steinmasse verwirklichten. Sie<br />
betonten die senkrechten Tendenzen bis zum völligen Verschleiern <strong>der</strong> horizon-<br />
talen raumabschließenden Kräfte. Sie bildeten gleichsam im entmateriali-<br />
sierten Stein.<br />
3 Fechheimer, <strong>Plastik</strong> <strong>der</strong> <strong>Ägypter</strong>.