Die Plastik der Ägypter - New York University
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ARCHITEKTUR UND PLASTIK<br />
eigenen Versuchen manches beobachtet: „Wenn man farbig zu arbeiten anfängt,<br />
lernt man erst die Antike verstehen. Denn für die Zwecke einer bemalten<br />
Skulptur ist höchste Vollendung <strong>der</strong> bildhauerischen Arbeit und höchste Ein-<br />
fachheit nötig." „<strong>Die</strong> Bildhauerarbeit kann für die Bemalung nicht ,fini' genug<br />
sein. — <strong>Die</strong> Farbe bringt alles an den Tag." In Ägypten waren diese Vorbe-<br />
dingungen erfüllt, das Handwerk war hier traditionell vortrefflich.<br />
Neben den Reliefs <strong>der</strong> Tempel und Grabwände kannten die <strong>Ägypter</strong> wie die<br />
Griechen Rundfiguren als Bauglie<strong>der</strong>, die sie ebenfalls an<strong>der</strong>s verwandten als<br />
diese. <strong>Die</strong> ionischen Karyatiden — dem herberen dorischen Stil blieb die Form<br />
fremd — tragen auf einer nie<strong>der</strong>en Krone das Gebälk. In ihrer frühen Form<br />
am Schatzhaus zu Delphi ist ihre Silhouette und Zeichnung architektonisch; wir<br />
sehen eine am Menschen orientierte Variante des Trägers. Später werden sie,<br />
wie die griechischen Rundplastiken, in Kontrapoststellung gebildet ; eine wirkliche<br />
Statue tritt also an die Stelle einer Säule; solche Trägerinnen sind figürliche<br />
Umschreibungen <strong>der</strong> Säulen, dynamische Allegorien. Als solche hat sie auch<br />
Vitruv überliefert. „Sie nahmen die weibliche Schlankheit zum Vorbilde und<br />
machten anfangs die Dicke <strong>der</strong> Säulen von einem Achtel ihrer Länge, damit sie<br />
desto höher aussehen möchten; legten ihnen Basen unter, gleich wie Schuhe;<br />
brachten am Kapitale Schnecken an, gleich Haarlocken, die zu beiden Seiten<br />
hernie<strong>der</strong>hangen, und zierten die Stirn mit Wulst und Fruchtschnur anstatt <strong>der</strong><br />
Haare; am Stamme aber ließen sie Streifen, gleich wie Falten am weiblichen<br />
Gewände, von oben bis unten herablaufen."<br />
Der <strong>Ägypter</strong> vertauscht nicht, er verbindet Träger und Bild. Auf eigener<br />
Basis stehen an mächtigen Pfeilern die Mumiengestalten des Gottes Osiris. In<br />
strenger Schönheit steigt eine Silhouette vor dem gradlinigen Hintergrund auf,<br />
springt bei den gekreuzten Armen bis an die Kante des Trägers vor, begleitet<br />
sie bis zu <strong>der</strong> rechteckigen Linie <strong>der</strong> Schulter, die scharf einbiegt, und steigt<br />
in schlanker Rundung nahe an das Gebälk. <strong>Die</strong> übergreifenden Arme glie<strong>der</strong>n<br />
und beschatten gleich Giebeln die untere Gestalt; ihre plastische Wucht gleichen<br />
die flachen Diagonalen <strong>der</strong> gekreuzten Szepter aus. In göttlichem Gleichmut<br />
lächelt die unbewegte Maske, und die hohe sie krönende Mitra führt in die reine<br />
unbildliche Architektur hinüber.<br />
Im Osirispfeiler sind abstrakte Form und Gestalt geson<strong>der</strong>t; die letztere bleibt<br />
für den Bau statisch indifferent. Dem <strong>Ägypter</strong> nämlich ist die griechische All-<br />
beseelung von Grund aus fremd, er scheidet streng zwischen dem Lebendigen