sju tsai - Ostasieninstitut der FH Ludwigshafen

[xiù cai - sju tsai] ¡¢£¤¥¦§¨©
2004 (45) 1024
Einblicke in die Welt der Chinesen für die Freunde des Ostasieninstituts der FH Ludwigshafen
CARL CROW
Vierhundert
Millionen Kunden
旧书再版
Wieder veröffentlicht
1937
Autorisierte Übersetzung aus dem Englischen von
Richard Hoffmann

Inhalt
VORWORT @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 5
ERSTES KAPITEL
Der sehr heikle Kunde @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 8
ZWEITES KAPITEL
Miss China entdeckt ihre Beine @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 23
DRITTES KAPITEL
Vermögen durch Verlustgeschäfte @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 36
VIERTES KAPITEL
Hungertod für die Seemöwen @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 55
FÜNFTES KAPITEL
Verkäufe ohne Verkäufer @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 67
SECHSTES KAPITEL
Wie man eine Stellung erhält und erhält @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 79
SIEBENTES KAPITEL
Büromoral und das Austreiben von Teufeln @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 95
ACHTES KAPITEL
Zittere und gehorche @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 109
NEUNTES KAPITEL
Bellende Hunde @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 123
ZEHNTES KAPITEL
Fische und Stricke und Melonenkerne @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 133
ELFTES KAPITEL
Die wenigen, die die Zeitung lesen @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 144
ZWÖLFTES KAPITEL
Sequenz und Flush @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 161
DREIZEHNTES KAPITEL
Pillen für die Krankheiten Chinas @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 174

VIERZEHNTES KAPITEL
Haifischflossen und alte Eier @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 187
FÜNFZEHNTES KAPITEL
Gewahrtes und verlorenes Gesicht @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 205
SECHZEHNTES KAPITEL
Die geheiligte Reisschale @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 216
SIEBZEHNTES KAPITEL
Verschiedene dunkle Wege @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 229
ACHTZEHNTES KAPITEL
John Bull und Onkel Sam als Exporteure @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 244
NEUNZEHNTES KAPITEL
Ein Apfel täglich @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 260
ZWANZIGSTES KAPITEL
Diese kleine Welt @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ @ 273

Neuauflage!
FOUR HUNDRED MILLION CUSTOMERS:
The ExperiencesCSome Happy, Some Sad of an
American in China and What They Taught Him
Carl Crow
Introduction to 2003 edition by Ezra F. Vogel, Harvard
University
Four Hundred Million Customers (1937) is a collection of
humorous essays and piquant anecdotes underpinned by
well-informed insight and highlighted by witty drawings by
G. Sapojnikoff. Like a bowl of salted peanuts, these
vignettes make you want Amore.@ The book was welcomed
on its publication as the most entertaining and instructive
introduction to the rapidly modernizing people of the new
China and their resilient customs. While it has been taught in
recent years at the Harvard Business School, the book C or
at least its title C has been cited much more than read, usually to illustrate American
illusions about the China market. Yet the book has lost none of its still perceptive insights
into China, which is now more than triple Afour hundred million.@
ACrow, living in Shanghai [in the early twentieth century], wrote in a bemused manner
about city dwellers. [While] Crow=s book was of little value to the China watcher of the
1950s and 1960s . . . once Chinese reform and opening took off after 1978, the clever city
dwellers that Crow described in the 1930s are a far better guide to the China of today than
[Edgar] Snow=s revolutionaries or [Pearl] Buck=s peasants.
AI have a former student, a successful businessman, who opened a factory in Shanghai a
few months ago. On his reading stand he keeps a copy of Four Hundred Million
Customers. >No other book,= he said, >including many more contemporary works on the
Chinese economy, provides as much insight into the business environment I face. And it
helps me keep my sense of humor as I face the frustrations of doing business in China.= No
need to repeat the wonderful stories and phrases found in the book. Enjoy.@
C from the Introduction by Ezra F. Vogel
On the original edition . . .
$ ASuperlatively entertaining@ CNew York Times Book Review
$ ANo one who wants to do business in China can safely neglect it@ C The Times
(London)
$ AA feast of human nature for almost any reader.@ C Carl Van Doren, Boston Herald
$ "One of the most convincing and lifelike descriptions of Chinese life we have ever had@
C Dorothy Canfield, Book of the Month Club News
Carl Crow (1883B1945), attended the Missouri School of Journalism, went to China just
before World War I and stayed on to found the first American advertising agency in
Shanghai. Crow became one of the key American interpreters of Asia for the reading public
back home. Among his popular books were biographies of Confucius and Townsend
Harris, the first American envoy to Japan; Handbook for China (1933), a tourist guidebook
reprinted in 1983; I Speak for the Chinese (1937), which advocated American defense of
China against Japanese military encroachment; and Foreign Devils in the Flowery
Kingdom (1940), a history of foreigners in China.
EastBridgeD=Asia Vu Reprint Library 2003 318 pp illustrations
ISBN 1-891936-07-7 (pb) $14.95
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ VORWORT
Bei der ungeheueren Zahl von Büchern, die über China
bereits geschrieben wurden und noch immer geschrieben
werden, ist es wohl gerechtfertigt, wenn ein Autor, der
diesem - höchst interessanten Lande einen neuen Band widmet, ein
paar Worte zu seiner Entschuldigung sagt. Das lesende Publikum
ist völlig im Recht, wenn es von einem solchen Schriftsteller die
Erklärung fordert, warum er ein neues Buch für notwendig hält
und warum er es schrieb. Da die Regale schon von Büchern
überquellen, deren Verfasser Missionare, Reisende, Staatsmänner,
Humoristen, Philosophen, Männer der Wirtschaft und Vertreter
von Dutzenden anderen Zweigen höchst spezialisierten Wissens
sind, fragt man mich wohl füglich, wie ich die Hoffnung hegen
darf, dem bereits Geschriebenen und Veröffentlichten noch etwas
hinzufügen zu können, und warum ich kühn genug bin, das zu
versuchen.
5

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Meine Rechtfertigung liegt in meinem Beruf, dem eines
Agenten für kaufmännische Reklame, einem Beruf, der einen
Zweig zwar nicht spezialisierten Wissens, aber wenigstens
spezialisierter Arbeit darstellt, ein Gebiet, das bisher unter den
vielen über China geschriebenen Büchern nicht vertreten war. Da
dieses Arbeitsfeld verhältnismäßig neu ist, tue ich vielleicht gut
daran, zu erklären, daß wir nicht, wie manche Laien glauben,
unsere Zeit damit verbringen, jedem Reklame zu verkaufen, den
man zu einem Abschluß bewegen kann. Alle unsere Bemühungen
sind darauf gerichtet, unsere Kunden beim Absetzen ihrer Waren
zu fördern, wobei wir der Rolle, die die verschiedenen Formen der
Reklame spielen, besondere Aufmerksamkeit schenken müssen.
Unsere Kunden bezahlen uns das, und da wir in unserer Eitelkeit
viel auf berufliches Niveau halten, benutzen wir für eine solche
Entlohnung den Ausdruck `Honorar". Wenn wir in unserem Beruf
tchtig sind, können wir den Klienten fachkundigen Rat in allerlei
Dingen geben, angefangen von der Farbe und der Aufschrift eines
Etiketts bis zu den verschiedenen Bedeutungen der mannigfachen,
in Dutzenden chinesischer Städte erscheinenden Zeitungen. Wir
können ihnen sagen, ob sie wohl imstande sein werden, ihre
Waren mit Gewinn durchzusetzen, und können sie über die
Konkurrenz informieren, der sie zu begegnen haben. Je nach dem
wechselnden Los unserer Kunden erleben auch wir Aufschwung
oder Abstieg.
Diese Arbeit hat natürlich meinen Gesichtspunkt zu dem eines
Mannes gemacht, der die Chinesen als potentielle Kunden
betrachtet und in erster Linie erwägt, welche Artikel sie wohl
kaufen werden, wie man solche Waren verpacken soll und welche
Art Reklame den Verkauf am ehesten hebt. Meine Kunden
handeln mit allem, von Textilfabrikaten bis zu Parfümeriewaren.
Sie gehören vielen Nationalitäten an, sind Engländer, Amerikaner,
Deutsche, Franzosen, Holländer, Belgier, Australier, Kanadier,
Japaner, Spanier, und einer kommt sogar aus dem Großherzogtum
Luxemburg. Jeder hat andere Probleme zu lösen und andere Arten,
sie zu lösen, aber das Hauptziel bleibt doch immer, den Chinesen
Waren zu verkaufen. Um meine Arbeit entsprechend leisten zu
6

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ können, war ich genötigt, alles zu studieren, was mit China
zusammenhängt, und allerlei Bruchstücke meines Wissens zu
einem kommerziellen Muster zusammenzufügen, damit es meinen
Klienten von Nutzen sei. Wenn man es so betrachtet, sind die
Studien des Reklameagenten, wenngleich auf viel bescheidenerem
Gebiete, ebenso umfassend wie die des Anthropologen, denn es
gibt kein Wissen um Land und Leute, das sich nicht irgendeinmal
als wertvoll erweisen könnte. Es war mir nicht beschwerlich, die
Chinesen, ihren Charakter, ihre Geschichte und Einrichtungen zu
studieren, denn ich fühle mich zu ihnen heute noch ebenso
hingezogen wie damals, vor einem halben Jahrhundert, als "ich
höchst aufgeregt zum erstenmal in einer Rikscha fuhr. Dieses
liebevolle Studium Chinas ist der Grund, warum die meisten hier
lebenden Ausländer so ganz im Banne des Landes stehen.
Und China ist so ungeheuer groß und so vielfältig, daß es nie
ganz durchforscht sein wird; es ist so wenig bekannt, daß man
erfreulich oft den Schauer des Forschers erlebt, der eine neue
Tatsache entdeckt und feststellt, daß diese Tatsache der
Aufmerksamkeit der Tausende entgangen ist, die mit weniger
scharfem Blick dieselbe Straße zogen. Dies sei Entschuldigung
und Rechtfertigung. Vielleicht gibt sich der Leser damit zufrieden,
und hoffentlich vermittelt ihm dieser neue Gesichtspunkt neues
Verständnis für das fesselnde, aufreizende, rätselhafte und fast
immer liebenswerte chinesische Volk.
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ ERSTES KAPITEL
Der sehr heikle Kunde
Als ich meine Reklameagentur erst seit einigen Monaten
geführt hatte, sagte ein Kunde, ein Fabrikant, der sich nach
Absatzgebieten in China umsah, zu mir: `Die Chinesen
kaufen wohl alles, vorausgesetzt, da der Preis nieder genug ist."
Dies ist eine Anschauung, die man sehr oft findet, sogar bei
Fremden, die in China leben und daher besser Bescheid wissen
sollten. Übrigens erinnere ich mich, daß ich damals die Meinung
dieses Fabrikanten teilte. Es ist leicht verständlich, wie man zu
einem solchen Schluß kommen kann. Niemand freut sich mehr
über einen billigen Kauf als der Chinese, niemand wird sich mehr
Mühe geben und inbrünstiger feilschen, um einen solchen Kauf
abschließen zu können, andererseits aber wird niemand
dickköpfiger und erfolgreicher einem jeden Versuch Widerstand
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ leisten, ihm irgend etwas zu verkaufen, das er nicht braucht, wie
immer der Preis sein mag. Bloße Billigkeit genügt nicht, ihn zu
einer Änderung seines Geschmackes oder zu einem Aufgeben
seiner Vorurteile zu bewegen. Die allgemeine Nachfrage nach
einer bestimmten Type von Zigaretten ist ein gutes Beispiel hierfür
und erteilte mir die erste Lektion über die starren Gewohnheiten
des chinesischen Kunden. Die Zigaretten haben die
althergebrachte Wasserpfeife in China fast völlig verdrängt, und
der jährliche Verkauf geht in die Milliarden Stücke. Die
amerikanischen Lieblingssorten, wie Camel, Lucky Strike und
Chesterfield sind alle hier erhältlich und werden zu ungefähr zwei
Dritteln des Preises verkauft, den sie in Amerika haben, weil die
Packungen keine Steuermarke tragen und auch sonst von anderen
amerikanischen staatlichen Gebühren frei sind. Diese Marken
werden zumeist an Amerikaner und an einige andere Fremde
verkauft, aber von hundert Packungen gelangt kaum eine je zu
einem chinesischen Käufer. Die Chinesen ziehen das Aroma des
hellgelben Virginiatabaks vor, mit dem alle verbreiteten
englischen Zigaretten gefüllt sind, und einige dieser
wohlbekannten Sorten sind überaus beliebt. Alle in China
erzeugten Zigaretten werden nach englischer Art hergestellt. Die
Chinesen mögen die aromatischeren Mischungen des türkischen
Tabaks mit Virginiatabak oder des Virginia mit Burley nicht
leiden, Mischungen, die bei der Herstellung aller volkstümlichen
amerikanischen Zigarettensorten verwendet werden. Manche
Sachverständige erklären, daß ein Raucher, wenn er jemals vom
ungemischten Virginia zu einer solchen Mischung übergeht, nie
wieder ungemischten Virginia rauchen wird, weil ihm dieser nach
den raffinierten Mischungen nichts mehr zu sagen hat. Dies mag
für Amerika stimmen, wo sowohl die Tabakmischung wie die eben
erwähnte Theorie ihren Ursprung hat, denn dort haben die
gemischten Tabake faktisch alle anderen vom Markte verdrängt.
Einer unserer Klienten, Vertreter sehr erfolgreicher
amerikanischer Fabriken, war der Meinung, diese Theorie müsse
auch für China gelten, und wir waren von der Richtigkeit seiner
Ansicht so überzeugt, daß wir die Reklame für seine gemischte
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Zigarettensorte viel enthusiastischer als sonst angingen, angefeuert
von der Möglichkeit eines wahrscheinlichen großen Gewinns. Wir
übersahen nichts beim Beginn dieser Kampagne. Verkäufer
brachten die Ware überall hin, und wir kündigten sie nach allen
bewährten Methoden an, deren wir oder die Erzeuger sich nur
entsinnen konnten. Die Leute waren ihres Erfolges so sicher, daß
sie große Summen in die Reklame investierten. Dank der Hilfe, die
die New Yorker Reklameagentur uns gewährte, eine der besten in
Amerika, war die Propaganda, die wir in China begannen, weit
umfangreicher als irgend etwas, was es in China in dieser
Richtung bisher gegeben hatte. Aber trotz allen Bemühungen
blieben die Zigaretten auf den Regalen der Läden liegen.
Möglicherweise könnte sich der Satz, daß ein jeder, der zu einem
gemischten Tabak übergeht, nie mehr etwas anderes raucht, auch
in China bewähren, wenn die Leute einmal wirklich damit
anfingen. Aber dies geschah nicht. Wir waren nie imstande, auch
nur einen einzigen Chinesen dazu zu bewegen, daß er unsere
gemischte Sorte rauchte, und so ist es schwer zu sagen, ob er bei
diesem Tabak geblieben wäre, wenn er sich daran gewöhnt hätte.
Viele Leute zündeten sich eine an, fanden aber nach wenigen
Zügen den Geschmack sonderbar und abscheulich und kauften
keine zweite Packung mehr. Der Verkauf in China sank bald
wieder auf den Nullpunkt, an dem wir begonnen hatten, und im
Einverständnis mit allen an der Sache Beteiligten ließen wir die
Propaganda fallen. Die einzige Genugtuung, die wir davon hatten,
war, daß man die Reklame als solche überall lobte.
Die Chinesen haben nicht nur sehr genau bestimmte Ideen von
dem, was sie mögen oder nicht mögen, sondern sie sind auch,
sobald sie sich einmal an eine gewisse Sorte einer Ware gewöhnt
haben - mag dies nun Tabak, Seife oder Zahnpasta sein -, die
treuesten Kunden der Welt und leisten einer Marke mit einer
Einmütigkeit und Hingebung Gefolgschaft, die die Fabrikanten zu
Tränen rühren müßten. In jedem Lande gibt es gewisse
volkstümliche Marken, die alle anderen verdrängen, aber ich
zweifle, ob irgendeine in ihrem Markt so fest verwurzelt ist wie
manche Waren in China. Bei einer unlängst durchgeführten
10

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Verkaufsstatistik sahen wir, daß eine weltberühmte englische
Haushaltsseife in gewissen Teilen Nordchinas ungeheuer populär
ist und daß neun Zehntel der Läden, die Seife verkaufen, andere
Marken überhaupt nicht führen, obwohl Dutzende wohlfeilere
Seifen von Konkurrenzfirmen in diesem Gebiete ebenfalls
verkauft und einige Sorten auch dort fabriziert werden. Ab und zu,
wenn es zum Beispiel Überschwemmung oder Dürre gegeben hat
und die Kaufkraft der Bewohner noch tiefer sinkt, kauft dieser
oder jener eine billigere Seife. Doch dies ist ein vorübergehendes
Hilfsmittel, und mit der Wiederkehr eines auch nur bescheidensten
Wohlstandes kehrt er zu seiner alten Lieblingsmarke zurück, die
schon die Marke seines Großvaters gewesen ist. Ein großer und,
wie es scheint, uneinnehmbarer Markt dieser Art ist gerade das
richtige Ziel, gegen das andere Fabrikanten gerne ihre schweren
Batterien richten, und viele Erzeuger haben eine Menge Munition
verbraucht und eine Menge Lärm gemacht, hatten jedoch keinen
Erfolg. Ganz gewiß produzierten viele dieser Leute eine genau so
gute Seife und boten sie zu geringerem Preise an, aber keiner von
ihnen erzielte einen Verkauf, der darauf hingewiesen hätte, daß es
sich hier um eine ernste Konkurrenz handelte. Der Kunde, der
gelegentlich die Konkurrenzseife ihres geringeren Preises wegen
kauft, ist sich über ihre guten Qualitäten völlig im klaren, doch
weiß er nicht, ob auch das nächste Stück ebenso gut sein wird. Er
ist schon früher oft von Fabrikanten getäuscht worden, die die
Qualität ihrer Produkte nicht aufrecht erhielten, und darum ist er
argwöhnisch. Andererseits hegt er volles Vertrauen zu der alten
Marke. Durch Jahre hat er sie verwendet, desgleichen taten sein
Vater und sein Großvater, und die Seife ist immer dieselbe
geblieben. Die beherrschende Stellung, die diese Seife auf dem
nordchinesischen Markt hat, ruht auf einer festen kommerziellen
Basis und geht auf die hohe Qualität der Ware und besondere
lokale Eigenheiten zurück. Das Wasser in Nordchina ist zumeist
außerordentlich hart, und billige Seifen, die in dem weichen
Regenwasser des Yangtze-Tales genügenden Schaum ergeben,
schäumen in diesem Wasser, das aus Gebirgsquellen oder Brunnen
stammt und sehr kalkhältig ist, überhaupt kaum.
11

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Wir wirkten einmal bei einem Versuch mit, einer
Zigarettensorte, die in einem anderen Teil Chinas ungefähr
dieselbe dominierende Stellung einnimmt, einen Teil ihres
Marktes streitig zu machen. Es gibt bei der Tabakmischung kein
Geheimnis, das von einem gewiegten Fachmann nicht enträtselt
werden könnte, und unsere Geschäftsfreunde ahmten in ihrer
Fabrik die Mischung jener volkstümlichen Sorte wissenschaftlich
exakt nach. Und um sich ihres Erfolges doppelt zu versichern,
stellten sie an leitender Stellung ihrer Fabrikeinen Mann an, der in
der Konkurrenzgesellschaft einen ähnlichen Posten gehabt hatte.
Nachdem sie die Mischung entsprechend hergestellt hatten, wurde
die Packung geschaffen, überaus schön mit einer fröhlichen
Landschaft und den roten und goldenen Schriftzeichen, für die die
Chinesen soviel übrig haben. Die Zigaretten selbst wurden in
schwereres Stanniol gehüllt und zu einem bedeutend geringeren
Preis angeboten. Große Propagandaaktionen wurden eingeleitet
und ganze Heerscharen von Vertretern aufgenommen. Der Verkauf
war nicht so schlecht. Dennoch gelang es uns nie, einen einzigen
Raucher der alten Sorte dazu zu bringen, diese mit der neuen zu
vertauschen. Wir wußten, daß die beiden Zigaretten das gleiche
Aroma hatten, weil sie auf genau die gleiche Art hergestellt
wurden, und es wäre ganz unmöglich gewesen, daß sie sich im
Geschmack unterschieden hätten. Aber der Kunde tat einen Zug
zuerst von der einen, dann von der anderen Sorte, lachte über die
Idee, daß der Geschmack gleich sei, und fuhr fort, die frühere und
kostspieligere zu rauchen. Dies war nur einer der vielen Versuche,
diese populäre Sorte zu verdrängen, Versuche, die schon von
manchen Erzeugern unternommen worden waren. Und jeder neue
Zigarettenfabrikant, der auf den chinesischen Markt kommt,
versucht als erstes gewöhnlich diesen Feldzug, aber keiner hat
einen anderen Erfolg als wir.
Wegen der Treue, die die Chinesen einer Marke
entgegenbringen, und wegen ihres Argwohns gegen jede
Veränderung sind die Fabrikanten so wenig geneigt, bei
Verpackungen auch nur die geringsten Änderungen
durchzuführen. Obwohl die Chinesen einer bereits verbreiteten
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Warenmarke Anhängerschaft leisten, scheinen sie doch ständige
Furcht zu hegen, daß der Fabrikant diese Anhängerschaft
ausnutzen und ihnen minderwertige Ware andrehen oder daß
irgend jemand sie mit einer gut nachgemachten Packung täuschen
könnte. Daher erweckt die geringste Veränderung ihren Verdacht
und hat zur Folge, daß sie die Ware nunmehr ablehnen. Wie rasch
ein Chinese eine solche Veränderung einer Packung oder eines
Etiketts bemerkt, und mag sie noch so klein sein und den Wortlaut
eines Textes betreffen, den er gar nicht lesen kann, ist erstaunlich.
Eine der Vorsichtsmaßregeln, die sie immer anwenden, besteht
darin, daß sie bei einer Marke die Buchstaben zählen. Immerhin ist
dies heute schon ziemlich bekannt, und die Buchstabenzahl ist bei
einer imitierten Marke stets dieselbe wie bei dem nachgeahmten
Original. Bei der Reklame muß die Abbildung der Packung bis ins
geringste Detail der wirklichen Packung entsprechen. Bei der
Propaganda für englische Waren sind wir nur sehr selten imstande,
die Packungen für die Plakate zu verwenden. Diese Packungen
eignen sich ganz gut für die Reklame in anderen Ländern, sind
jedoch für die Chinesen zu skizzenhaft oder zu ungenau
ausgeführt. Bei Zigarettenplakaten wird die Packung immer
geöffnet dargestellt, damit man den Inhalt sehen könne. Dies
geschieht, damit man die hellgelbe Farbe des Tabaks sehe und sich
davon überzeuge, daß die Packung tatsächlich zehn Zigaretten
enthält. Ein Fabrikant in Shanghai ließ einmal mehrere
hunderttausend Plakate drucken, und erst später wurde entdeckt,
daß in der geöffneten Packung nur neun Zigaretten zu sehen
waren. Dies machte die Plakate wertlos für die Propaganda, und
sie mußten eingestampft werden.
Es wäre sehr günstig, wenn man behaupten könnte, daß die
Reklame derartige volkstümliche Vorurteile der Chinesen auch nur
zum Teile schafft, aber die Aufrichtigkeit zwingt mich zu dem
Geständnis, daß die meisten ausländischen Artikel, die in China
eine dominierende Stellung einnehmen, diese Stellung einzig und
allein durch den Verlauf langer Zeit erlangten; solche Marken
wurden schon allgemein und mit Gewinn verkauft, ehe es hier im
Lande überhaupt eine nennenswerte Reklame gab. Dies trifft bei
13

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ den oben erwähnten Seifen und Zigaretten und bei vielen anderen
Fabrikatsmarken zu. Natürlich hatten die Produzenten dieser
Pionierwaren das Glück, ihre Erzeugnisse auf den Markt zu
bringen und abzusetzen, bevor es überhaupt noch eine Konkurrenz
gab, und so hatten sie leichtes Spiel. Als die Chinesen ihre ersten
Zigaretten und ihre ersten Seifen kauften, prüften sie selbst und
kamen ohne jegliche Hilfe durch Reklame und Propaganda zu
ihren Schlüssen. Tatsächlich ist die Ursache für die
Volkstümlichkeit mancher alter Marke oft für jeden, der mit dem
Handel in China Bescheid weiß, ein Geheimnis. Man nehme als
Beispiel jene so populäre Zigarettensorte. Hätte ich nie von dieser
Zigarette gehört und wäre mir eine Packung zum erstenmal zur
Prüfung ihrer Verkaufsmöglichkeiten in China vorgelegt worden,
ich hätte ohne Zögern erklärt, daß sie keinerlei Chance habe. Fast
jeder Sachverständige in der Zigarettenbranche hätte dasselbe
Urteil abgegeben. Die Qualität der Zigarette steht nicht in Frage,
aber die Packung entspricht keineswegs mehr den heutigen
Theorien, und manches daran ist überhaupt unrichtig. Nach den
meisten Verkaufssachverständigen ist eine armselig verpackte
Zigarette nicht in großen Massen zu verkaufen, aber in diesem Fall
stimmt es nicht. Diese Zigarette ist der verbreitetste Artikel in
China und steht in manchen Gegenden zu allen anderen Sorten
zusammengenommen in einer Proportion von drei zu eins.
Der Verkauf von Hamburger Hufeisen ist ein sehr interessantes
und belehrendes Beispiel für die Art, wie die Chinesen sich über
die Vorzüge einer Ware ihre eigene Meinung bilden, von der man
sie dann nicht mehr abbringen kann. Von Zeit zu Zeit hat man
früher fast jede erdenkliche Art von Waren nach China gesandt,
lediglich auf die ungewisse Aussicht hin, daß irgend jemand
Verwendung dafür finden und daß man auf solche Art einen Markt
aufbauen könnte. In den Zeiten, da die Segelschiffe halb leer
einliefen und voll mit Tee und anderen chinesischen Waren
zurückkehrten, war jede Ladung, die einen entsprechenden Ballast
darstellte, willkommen und wurde kostenlos oder zu sehr niederen
Sätzen verfrachtet. Unter den sonderbaren Gegenständen, die zu
jener Zeit nach China kamen, war auch eine Schiffsladung alter
14

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Hufeisen aus Hamburg - Hufeisen, die schon so dünn geworden
waren, daß man sie nicht mehr verwenden konnte. Der Absender
hoffte, sie noch irgendwie verwerten zu können, obwohl er sich
kaum im klaren war, wofür. Er wußte nur, daß die chinesischen
Schmiede aus jedem möglichen Alteisen noch manche brauchbare
Dinge hämmern konnten, und hoffte, sie würden dies auch mit den
Hufeisen tun. Diese Erwartung war ziemlich vernünftig, denn die
Gewandtheit und Findigkeit des chinesischen Schmiedes könnte
den Neid seiner Berufsgenossen in allen anderen Teilen der Welt
erwecken. Die Hoffnungen, die jener Mann auf seine Hufeisen
gesetzt hatte, rechtfertigten sich bald, denn die Schmiede
entdeckten, daß diese abgelegten Hufeisen, wenn man sie in zwei
Teile schnitt, ein ideales Material für die Erzeugung chinesischer
Rasiermesser ergaben, die in Wirklichkeit nichts anderes sind als
sehr fein geschliffene Messer mit dickem und gebogenem Rücken.
Bald herrschte große und ständige Nachfrage nach diesen
Rasiermessern, und Hamburger Hufeisen wurden ein wesentlicher
Bestandteil des chinesischen Marktes.
Nun hatten in vielen anderen Städten Alteisenhändler große
Mengen von alten Hufeisen, die sie gerne losbekommen hätten,
und bald wurden die Hufeisen von New York, Liverpool, Paris
und vielen anderen Orten nach China verschickt. Aber die
chinesischen Schmiede lehnten es einmütig ab, solchen Ersatz zu
kaufen. Sie behaupteten, die Größe und das Gewicht der deutschen
Zugpferde und das tägliche Abschleifen der Hufeisen auf dem
Granitpflaster Hamburgs gebe dem Eisen den Schliff, der gerade
für die Erzeugung von Rasiermessern notwendig und in keiner
anderen Stadt gleichwertig sei. Hamburg wurde so zum
Weltzentrum für alte Hufeisen, und wenn diese nicht von
Hamburg aus verschickt wurden, fanden sie keinen Absatz. Am
Ende langten in Hamburg die Hufeisen der ganzen Welt ein und
wurden von dort nach China verhandelt. Die Tatsache, daß Pariser
oder New Yorker Hufeisen in Hamburger Verpackung die volle
Zufriedenheit der chinesischen Schmiede erweckten, beweist
vielleicht, daß jene Theorie über die Eigenschaften des Hamburger
Pflasters keinerlei Grundlage hatte, dennoch war es typisch für die
15

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Chinesen, daß sie wirklich oder vermeintlich in den Hufeisen einer
bestimmten Stadt eine besondere Qualität entdeckten, die diese
Hufeisen über die aller anderen Städte stellte, und daß sie dann
starr an dieser Überzeugung festhielten.
In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich diese Stellung der
Hufeisen geändert. Bald nachdem die republikanische Revolution
dazu führte, daß Millionen von Zöpfen abgeschnitten wurden, was
das Rasieren zu einem ernsteren Geschäft machte, als es bisher
gewesen war, gründete ein unternehmungslustiger Chinese, der in
San Francisco gelebt hatte, in Shanghai einen modernen
Rasierladen mit verstellbaren Liegestühlen und einem Schild, das
aussah wie eine ungeheuere Zuckerstange. Früher hatten die
Barbiere in China ihr Werkzeug mit sich getragen. Sie rasierten
einen reichen Kunden in der Abgeschlossenheit seiner Höfe oder
schlugen auf dem Pflaster der Straße ihren Stand auf, um dort den
Bedarf der Bescheideneren zu befriedigen. Die Kosten für die
Ladenmiete machten es den moderneren Friseuren zur
Notwendigkeit, höhere Preise zu berechnen, und darum suchten
sie als gute Geschäftsleute dem Kunden mehr zu bieten. Sie
wuschen ihm sogar den Seifenschaum vom Gesicht, statt dies dem
Kunden zu überlassen, wie es die gute alte Sitte gewesen war. Sie
gaben sogar das primitive, aber wirksame chinesische
Rasiermesser auf und kauften Sheffielder Rasiermesser, die in
Japan erzeugt worden waren. Dies war ein ernster Schlag für die
chinesischen Rasiermessererzeuger, und darum begannen sie, aus
den alten Hufeisen Messer und Haken und Hauen zu erzeugen.
Das Hamburger Hufeisen hatte gerade die richtige Größe für
Rasiermesser gehabt, war aber für die neuen Verwendungen ein
wenig zu klein. Da entdeckte man, daß die Zugpferde in
Liverpool, besonders jene, die den Bierwagen der Brauereien
soviel Anmut und Majestät verleihen, viel größere Hufeisen
hatten, und darum ist jetzt Liverpool das Weltzentrum für den
Handel mit alten Hufeisen. Hamburg ist jetzt nicht mehr der
Beherrscher des Marktes. Alteisenhändler, die ein größeres Lager
an Liverpooler Hufeisen haben, behaupten, daß die Hamburger
Hufeisen ihre früheren Vorzüge deshalb verloren hätten, weil die
16

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Straßen Hamburgs, mit Ausnahme einiger weniger an der
Waterkant, nicht mehr mit Granit gepflastert seien.
Merkwürdigerweise ist Hamburg seit einiger Zeit der glückliche
Mittelpunkt für den Handel mit einer anderen sonderbaren, in
China beliebten Ware. In gewissen Gegenden Belgiens gibt es eine
sehr weiße Tonerde, die im Handel unter dem Namen Lithopone
bekannt ist. Sie wird in der ganzen Welt als Grundstoff für weiße
Farben verwendet und manchmal mit Bleiweiß vermengt. Obwohl
dieser weiße Ton aus Belgien kommt, wurde er ursprünglich von
deutschen Kaufleuten nach China gebracht, die ihn in Belgien
kauften, in gleichförmige Holzkassetten verpackten und von
Hamburg aus verschickten. Allmählich erfuhren die Belgier, die
den Ton an die Deutschen verkauft hatten, daß er nach China
ausgeführt wurde, und kamen zu dem Schlusse, daß sie ebenso gut
den Profit selbst erzielen könnten, anstatt ihn mit den deutschen
Zwischenhändlern zu teilen. Doch sobald die erste Schiffsladung
aus Antwerpen in Shanghai ankam, begann das Pech. Die
Chinesen, die das Lithopone bestellt hatten, ließen sich nicht
davon abbringen, daß dies nicht dieselbe Ware sei, die Kistchen
waren anders und trugen nicht die den Käufern vertraute
Aufschrift; außerdem kam die Fracht nicht aus Hamburg. Es
handelte sich hier also offenbar um eine Nachahmung, mit der die
hinterlistigen Fremden den Käufer betrügen wollten. Sie erklärten,
sie hätten gleich wissen sollen, daß hier ein Betrug vorliege, als
man ihnen die Ladung zu einem niedrigeren Preis anbot. Eine
chemische Analyse, die von den Sachverständigen der
chinesischen Zollbehörden durchgeführt wurde, ergab, daß beide
Artikel identisch waren, doch dies spielte bei den chinesischen
Farbefabrikanten keine Rolle. Sie wollten Hamburger Lithopone
und gaben sich mit Ersatzartikeln nicht zufrieden. Die Belgier
mußten schließlich ihre Transaktion mit einem recht stattlichen
Verlust aufgeben. Sie versuchten ein derartiges Experiment nie
wieder. Jetzt kaufen also die Deutschen die Ware bei den Belgiern,
verpacken und verschiffen sie in Hamburg, die chinesischen
Kunden müssen höhere Fracht und den Profit des
Zwischenhändlers bezahlen, dafür aber sind sie überzeugt, die
17

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
echte Ware zu erhalten, wissen, daß das Geschäft durchgeführt
wird wie seit je, und haben keinen Grund, es zu ändern.
Die Chinesen sind nicht das einzige Volk, das sich der
Täuschung hingibt, der Ort der Verladung einer Ware sei auch ihr
Ursprungsort, einer Täuschung, die seltsame Vorurteile erzeugt.
Eier sind in China sehr wohlfeil, verglichen mit dem Preis in den
meisten anderen Ländern, und im Jahre i9i9 gab es tolle Nachfrage
nach konservierten chinesischen Eiern, die nach England und
Amerika ausgeführt wurden. Im Jahre 1934 importierte das
Vereinigte Königreich zweitausendzweihundertvierundfünfzig
Millionen Eier, von denen hundertzweiundsiebzig Millionen, also
ungefähr 6 % aus China kamen. Die heimische Produktion lieferte
68 % des gesamten Eierverbrauches, der nach Whittaker ungefähr
hundertfünfundfünfzig Eier jährlich auf den Kopf der Bevölkerung
beträgt. Die Engländer essen mehr Eier als Äpfel. Obwohl nun der
Umfang des Geschäftes überall sehr groß war, hat doch der
Eierkonsum so ungeheuere Ausmaße, daß der Import einiger
Millionen chinesischer Eier den Markt nicht merklich berührte.
Dennoch entstand damals in jedem Lande ein heftiger und bitterer
Propagandafeldzug gegen chinesische Eier, von denen es hieß, sie
enthielten unzählige gefährliche Bakterien, ganz zu schweigen von
anderen, noch unheimlicheren Lebewesen. Ein Farmer in England
schrieb seiner Lokalzeitung einen Brief, in dem er mitteilt, er habe
aus Neugier einer seiner Hennen ein chinesisches Ei unterlegt und
eine Schlange sei ausgebrütet worden. Niemand erfuhr, was für
eine Schlange das war, denn er hatte sie sogleich getötet. Eine
ganze Menge englischer Zeitungen druckten diese Geschichte ab,
und obwohl Dutzende von Wissenschaftlern und Hühnerzüchtern
Widerspruch erhoben und erklärten, aus einem Ei, das im
Kühlhaus gelagert habe, könnte nicht einmal eine Kaulquappe
auskriechen, war der Schaden schon geschehen, und viele
englische Hausfrauen wollten von chinesischen Eiern nichts mehr
wissen, wie wenig diese auch kosten mochten. Von Bäckern
wurden diese Eier allerdings auch weiterhin verwendet.
Die amerikanische Propaganda gegen die chinesischen Eier ging
nicht bis zum Ausbrüten imaginärer Schlangen, war aber ebenso
18

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ wirksam. Die Vorschriften der Lebensmittelgesetze wurden zu
Hilfe genommen, und in kurzer Zeit war das Eiergeschäft überall
zwar nicht ganz erloschen, aber doch sehr abgeflaut, es hatte
aufgehört, ein Unternehmen zu sein, das einen großen
Geschäftsmann interessieren konnte. Die Amerikaner waren die
ersten, die diesen Handel begannen, und auch die ersten, die ihn
aufgaben. Traurig beglichen sie ihre Hotel- und Klubrechnungen
in Shanghai und fuhren nach Hause. Einige von ihnen mußten
schwer zahlen, weil sie kontraktbrüchig geworden waren. Die
britischen Eierhändler machten dem guten alten Ruf der
verbissenen britischen Hartnäckigkeit Ehre. Sie verfrachteten
weiter die Eier nach England, wo die Ware einen höchst
beschränkten Absatz fand, und jeder, der im Eierhandel Bescheid
wußte, mußte sich fragen, warum sie mit diesem hartnäckigen und
dummen Fortführen eines verlorenen Spieles nicht zugrunde
gingen. Schließlich wurde das Geheimnis gelöst. Die chinesischen
Eier wurden nach England geschickt, neu verpackt und nach
Amerika verfrachtet, wo sie als englische Eier reißenden Absatz
fanden. Denn trotz den Gesetzen, die die amerikanische
Hühnerzucht schützen sollen, führen die Vereinigten Staaten noch
immer Eier ein. Die Hauptmasse dieses Imports kommt aus China,
an zweiter Stelle aber steht die Einfuhr aus England, die
wahrscheinlich auch zum größten Teil chinesischen Ursprunges
ist.
Man möchte doch glauben, daß bei einem so allgemeinen
Handelsartikel, wie bei einer Nähnadel, die Verkaufsmethoden
ebenso wie der Artikel selbst überall auf Erden die gleichen sein
müßten, aber in China ist das anders. Hätte ich dies vor ein paar
Jahren gewußt, hätte ich einem meiner Klienten denVerlust einer
großen Summe erspart und ihm nicht dabei geholfen, dieses Geld
zu verschleudern. Dieser Klient suchte nach einem billigen
Artikel, den er als Prämie weggeben konnte, um auf einem Gebiet,
wo die Konkurrenz bedrohlich wurde, den Verkauf zu heben.
Diese Prämie mußte, um ihren Zweck erfüllen zu können,
gewissen Bedingungen entsprechen. Es hatte sich hier um eine
Ware zu handeln, nach der allgemeine Nachfrage bestand, die
19

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ wohlfeil war, klein, leicht transportierbar und nicht dem
Verderben ausgesetzt. Ich war damals der Meinung, daß dies
schwer, wenn nicht unmöglich durchzuführen sei, aber wir taten
unser Bestes, und ich verbrachte einige heiße Nachmittage mit
dem Durchstöbern chinesischer Warenhäuser, wo ich mir eine
Anregung holen wollte. Ich war schon im Begriff, die Sache
aufzugeben, als ein Schiffsladungsmakler in mein Büro kam. Er
war ein dummer Kerl, sonst hätte er gewußt, daß ein Reklamebüro
nicht der richtige Marktplatz für verschiedene Ladungen ist, die
irgendeinem Importeur an Hand geblieben sind und die er zu
niederem Preis losschlagen möchte. Offenbar wanderte er von
Büro zu Büro. Ich glaube, viele dumme Kaufleute tun dies und
machen auf solche Art eine Menge Geschäfte, die den tüchtigen
Kaufleuten entgehen, weil sie zu tüchtig sind, ihre Zeit für
unmögliche Dinge zu verwenden.
Dies erwies sich als ein Glückstag für den dummen Kaufmann,
denn er handelte mit Nadeln, einem großen Posten schöner
deutscher Nadeln, die aus irgendeinem Grunde zu lächerlichen
Preisen verkauft wurden. Ich habe vergessen, warum, aber
jedenfalls hat er mir ja den wirklichen Grund nicht gesagt. Doch
immerhin war der Preis verlockend. Ich tat mein Bestes, die nötige
Kühle zu zeigen, während ich mir alle Einzelheiten notierte und
ein paar Musterpakete an mich nahm, doch sobald der Makler
außer Sehweite war, ging ich zu meinem Klienten. Er war ebenso
wie ich der Meinung, daß das Problem der Zugabe gelöst sei. Die
Pakkung, zwölf Nadeln in verschiedenen Größen, entsprach allen
theoretischen Anforderungen. Diese Ware war kostbar für den
Armen, annehmbar für den Reichen und nützlich in jedem
Haushalt. Der geforderte Preis war nieder, und als der schottische
Verkaufsagent meines Kunden die Verhandlungen abgeschlossen
hatte, war er natürlich noch niederer geworden. Die Schiffsladung
Nadeln wechselte ihren Eigentümer.
Sobald die Zugaben angekündigt und dem Publikum angeboten
wurden, begann ich, einiges über Nadeln zu lernen. Die einzigen
Nadeln, die ich je gesehen hatte, waren ebenso wie diese in
Heftchen zu zwölf Stück in verschiedenen Größen verpackt
20

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ gewesen. Mein Klient, der großmütig genug war, die
Verantwortung für den albernen Mißgriff, in den ich ihn getrieben
hatte, mit mir zu teilen, war derselben Ansicht. Da keiner von uns
beiden je etwas anderes gesehen hatte als Nadeln in solchen
Packungen, waren wir der Ansicht, daß es gar nicht anders
möglich sei. In den meisten anderen Ländern, ja, soweit ich weiß,
in allen anderen Ländern werden Nadeln nur so verkauft, und
keine Frau, die bei ihrem Einkauf eine solche Packung als Zugabe
erhält, würde sich die Mühe nehmen, das Päckchen zu öffnen, um
nachzusehen, ob alle zwölf Nadeln darin seien. Anders in China.
Es gibt ein altes Sprichwort, einem geschenkten Gaul dürfe man
nicht ins Maul schauen, aber die Chinesinnen scheinen davon
nichts zu wissen, und selbst wenn sie den Ausspruch kennen,
vergessen sie ihn gewiß, wenn sie die freudigen Erregungen einer
Einkaufsexpedition auskosten. Da sehen sie ihm nicht nur ins
Maul und zählen seine Zähne, sondern sie wägen ihn ab und
messen ihn und versuchen den Wert seines Felles abzuschätzen.
Die chinesische Käuferin will nichts riskieren. Wenn sie ein Stück
Tuch kauft, beurteilt sie die Qualität nicht so wie die
unvorsichtigen Frauen anderer Länder, indem sie ein Ende des
Ballens prüft. Sie mißt das Stück ab, das sie braucht, und geht es
dann Zoll für Zoll durch, um zu sehen, ob die Qualität durchwegs
die gleiche ist.
Und das tat sie auch mit unseren Nadeln. Zuerst öffnete sie die
Packung, um sich zu überzeugen, daß auch wirklich zwölf Stück
darin seien. Sie fand, daß die Zahl stimmte, aber die zwölf Nadeln
waren von verschiedenen Größen, und sie brauchte doch nur ein
Format. Hier lag also irgendein Trick verborgen. Irgendein
teuflischer Versuch der Fremden, ihr ein Dutzend Nadeln
anzuhängen, von dem offenbar elf zu klein oder zu groß waren, um
praktisch von Nutzen zu sein. Sie appellierte an den unglücklichen
Verkäufer, er möge seine Ehrenhaftigkeit beweisen und ihr die
Packung gegen zwölf Nadeln des von ihr gewünschten Formates
austauschen. Natürlich ging das nicht, und wir verloten einen
Kunden, statt einen zu gewinnen. Dies wiederholte sich jedesmal,
wenn die Packung als Zugabe gegeben wurde, und schließlich
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ wollten die gepeinigten Ladenbesitzer von der Zugabe nichts mehr
wissen. Die Nadeln wurden bald ein höchst unbeliebtes
Gesprächsthema zwischen meinem Klienten und mir. Ich habe ihn
nie gefragt, was er schließlich damit begann, aber ich weiß nur,
daß ich erleichtert war, als ich nichts mehr von der Sache hörte.
In China werden ungefähr zweitausend Millionen Nadeln
alljährlich verkauft. Da jedermann, reich wie arm, Nadeln
verwendet und da in China keine Nadeln erzeugt werden, liefert
uns der jährliche Verkauf dieses Artikels einige interessante
statistische Vergleichspunkte. Wenn wir annehmen, daß alle
Frauen, die über fünf oder sechs Jahre alt sind, den größten Teil
ihrer Zeit mit Nähen verbringen, eine Annahme, die nach meiner
Meinung mehr zutrifft als die meisten statistischen Zahlen über
China, sehen wir, dank einer einfachen Rechnung, daß der
Verbrauch von Nadeln ungefähr ein Stück pro Kopf und Monat
beträgt, was ungefähr stimmt. Eine kleinere Zahl stünde nicht im
Einklang mit den Millionen von Hemden, Röcken und anderen
Kleidungsstücken, und eine größere Zahl wiese auf eine
Nachlässigkeit bei der Verwendung oder auf eine Vergeudung
beim Einkauf hin, deren sich keine einzige Chinesin jemals
schuldig machen würde. Die Nadeln werden nicht in Packungen
gekauft, sondern stückweise oder höchstens drei bis vier Stück
zugleich. Jede Käuferin weiß, was für eine Größe sie haben will,
und keine andere Nadel ist für sie von Weit. Die Nadeln, die
zumeist in Japan oder Deutschland erzeugt werden, werden nicht
in Packungen nach verschiedenen Größen verkauft. Jede Packung
enthält Nadeln gleicher Größe. Darum hatten wir auch Pech mit
unserem Plan einer Zugabe. Einer Chinesin eine Packung von
zwölf verschiedenen Nadeln anzubieten, war ungefähr dasselbe,
als hätte man ihr ein Dutzend Paar Schuhe verschiedener Größen
gegeben. Da nur ein Paar ihr gepaßt hätte, wäre sie den anderen elf
Paaren gegenüber gleichgültig geblieben. Das war auch der Grund,
warum wir die Nadeln zu einem so niederen Preis hatten kaufen
können. Ein deutscher Fabrikant, der den chinesischen Markt
erobern wollte, hatte sie in solchen Packungen nach China
verfrachtet, und sie waren unanbringlich gewesen.
22

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ ZWEITES KAPITEL
Miss China entdeckt ihre Beine
Vor ungefähr fünfzehn Jahren glacierte mein Reklamebüro
in Shanghai die ersten Ankündigungen für Lippenstifte
und Gesichtscreme, und seither ist die Ankündigung
kosmetischer Artikel ein wichtiger Zweig unseres Geschäftes
geworden. Annähernd zur selben Zeit begannen wir mit der
erstenKampagne fürToilettenseife. Ich hätte nie erwartet, in der
Arbeit eines Reklameagenten Romantik zu finden, aber wir
begegneten ihr bald, und seither gehört sie zu unserem Alltag.
Dank unseren Bemühungen und der Großzügigkeit unserer
Klienten haben viele chinesische Mädchen gelernt, eine Creme als
Unterlage für Puder und Rouge zu verwenden und nachts
Coldcream in die Poren der Haut zu verreiben. Wir gaben ihnen
den Rat, das Gesicht nach reichlichem Gebrauch von Seife mit
kaltem Wasser zu waschen. Der einzige Grund, warum wir ihnen
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ nichts über `kosmetische Haut" sagten, liegt darin, da man diesen
Ausdruck nicht ins Chinesische übersetzen kann. Wir bewogen
alle Filmstars Chinas, die von uns propagierte Toilettenseife zu
verwenden, und sie schreiben uns zurückhaltende, aber
überzeugende Anerkennungsworte, die den Hauptteil unserer
Ankündigungen bilden. Zufällig ist es dieselbe Seife, die von allen
Hollywooder Stars verwendet wird, und so bilden wir in unserer
Zeitungsreklame einen Hollywooder und einen chinesischen Star
nebeneinander ab, doch räumen wir dem chinesischen Star einen
größeren Platz ein. Hier in unserer Welt ist sie die Wichtigere,
obwohl der Hollywooder Filmstar in einer Woche mehr verdient
als sie in einem Jahr. Wir müssen dabei das Thema der
unhübschen Poren ziemlich vorsichtig behandeln, denn die Haut
der Chinesin ist viel feiner als die der ausländischen Memsahib,
und was für Poren sie auch haben mag, sie sind kaum so groß wie
die eines neugeborenen Kindes. Darum brauchen wir nicht zu
versprechen, daß die Verwendung unserer Coldcream und
Toilettenseife häßliche Poren beseitigt; wir sagen vielmehr, daß sie
die Entstehung solcher Poren verhindert, denn wir müssen sicher
gehen.
Man darf nicht annehmen, daß unsere ersten Reklamen für
Lippenstifte und andere kosmetische Mittel den chinesischen
Mädchen den kosmetischen Weg zur Schönheit erst zeigen
mußten. Es wäre sehr schmeichelhaft, wenn man sich diesem
Gedanken hingeben könnte, doch die Tatsachen rechtfertigen ihn
nicht. Schon vor fünftausend Jahren zupften sich die chinesischen
Mädchen, nach authentischen historischen Berichten, überflüssige
Haare aus den Augenbrauen und legten Rouge auf die Wangen.
Und selbst damals dürfte dies eine alte Sitte gewesen sein. Uralte
Gemälde zeigen, daß es von Jahrhundert zu Jahrhundert andere
Arten gab, Schminke anzuwenden. Manchmal legte man sie
hauptsächlich auf den oberen Teil der Wange. Zu anderen Zeiten
war es ein lebhafter roter Kreis an der Stelle, wo der Unterkiefer
im Gelenk sitzt. In manchen Jahrhunderten wurde die Schminke
reichlich verwendet, sparsam in anderen, verwendet wurde sie aber
immer. Dynastien stürzten, und das Land wurde durch
24

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Überschwemmungen, Hungersnöte und Bürgerkriege verheert,
aber der Handel mit Schönheitsmitteln blühte immer. Wenn die
wilden Horden vom Norden her China überfielen, wie sie es von
Zeit zu Zeit taten, ahmten die barbarischen Frauen sogleich die
kosmetischen Methoden der Chinesin nach, aber auf derbe,
barbarische Art. Sie bedeckten die Wangen und manchmal auch
die Stirn mit dem rötesten Rouge, dessen sie habhaft wurden. Die
überlebenden Mandschufrauen, Vertreter der jüngsten Invasion in
China (i6i8), schminken ihr Gesicht auf eine Art, die die
Chinesinnen erschauern macht. Auch die Japanerinnen nahmen
ihre erste kosmetische Lektion bei den Chinesinnen und haben,
wie es scheint, aus eigenem kein neues Raffinement hinzugefügt.
Sie legen sich bei Verwendung der Schminke größere
Beschränkung auf als die Mandschufrauen, aber ihr
verschwenderischer Verbrauch an Reispuder verleiht ihnen oft das
Aussehen eines Kuchens mit einer Zuckerglasur. Die Chinesinnen
halten nicht viel von ihnen. Sie wissen, daß ohne den Zauber von
Kimono, Obi, Tabi und Geta der Sex Appeal der Japanerin
ziemlich geringfügig wäre und daß keine Japanerin es wagen
dürfte, die enthüllende chinesische Tracht anzulegen.
Der älteste Laden, den ich in China entdeckte, ist ein Geschäft
in Hangtschau, ein chinesisches Äquivalent für unseren
Schönheitssalon, ein jahrhundertealtes Unternehmen, das noch
immer schwunghaften Handel mit Schminke, Puder und anderen
Hilfsmitteln zur Erlangung von Schönheit und Lieblichkeit
betreibt. Ein berühmter Poet aus Hangtschau, der vor fast zehn
Jahrhunderten zum Preis des Augenbrauenstiftes und der
duftenden Schminke seiner geliebten Dame Verse schrieb, bezog
sich damit vielleicht schon auf die Waren eben dieses Ladens. Ich
versuchte einmal, die Inhaber zum Verkauf einer Schminke zu
bewegen, für die wir Propaganda machten, aber nachdem sie ein
paar Muster versucht hatten, erklärten sie, sie seien zu dem Schluß
gekommen, daß wir ihnen nichts Besseres zu bieten hätten als die
Marken, die in Hangtschau schon allgemein verbreitet waren, als
Kolumbus seinen Weg nach China durch einen Kontinent
versperrt sah. Natürlich war diese Erklärung nicht der wirkliche
25

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Grund, denn den wirklichen Grund für irgend etwas erfährt man in
China nie, wenn man nicht ernsthaft und sachkundig nachforscht.
Man wollte unser Rouge nicht auf Lager nehmen, weil es für
Mittelstandskunden zu kostspielig war. Der hohe Preis
importierter Schminke begrenzt die Verkaufsmöglichkeit, aber wer
es sich leisten kann, kauft doch die von uns propagierte Sorte, und
der Umfang des Geschäftes ist zufriedenstellend und wächst.
Chinas jährliche Einkäufe an Parfümeriewaren und kosmetischen
Mitteln belaufen sich auf ungefähr zwei Millionen chinesische
Dollar, was zirka hundertfünfundzwanzigtausend Pfund entspricht.
Die Vereinigten Staaten stehen hier an der Spitze, mit 30 °ö,
worauf Frankreich mit 22 % kommt. Der Anteil Großbritanniens
beträgt 14 %. Die Vereinigten Staaten führen jetzt mehr
Parfümeriewaren aus als Frankreich, obwohl dieses in
Gesichtspudern noch immer führt. Amerikanische Marken werden
weithin propagiert und erlangen allmählich auch in diesem Feld
eine herrschende Stellung. In China selbst gibt es mehr als
dreihundert Fabriken, die Parfümeriewaren und kosmetische
Artikel erzeugen.
Die besten chinesischen Kunden für Lippenstifte, Schminken
und andere Schönheitsmittel sind die verheirateten Frauen, nicht
die jungen Mädchen. Die chinesischen Gattinnen entdeckten schon
vor vielen Jahrhunderten, daß der Gatte, wenn sie sich genügend
reizend machten, gerne Dienerschaft aufnehmen wird, die das
Kochen und Scheuern besorgt. Das hat zur Folge, daß die
Chinesinnen die bestgepflegten Frauen der Welt sind und, wenn
man alles bedenkt, sich des größten Maßes von Luxus erfreuen.
Die Frau eines Angestellten, der ungefähr fünf Pfund im Monat
verdient, hat die Bequemlichkeit, daß sie über eine Dienerin
verfügt, gewöhnlich eine kleine Sklavin; die die schwere Arbeit
für sie macht. Hat der Gatte ein höheres Einkommen, gibt es mehr
Diener im Haus. Viele Engländerinnen schätzen sich glücklich,
wenn sie eine einzige Magd halten können, die ihnen das Geschirr
wäscht und beim Fegen und Abstauben hilft. Ihre chinesische
Schwester, deren Mann dasselbe Einkommen bezieht, wird
niemals bei der Hausarbeit Hand anlegen und hat außerdem ihre
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ private Zofe, deren einzige Pflicht es ist, ihr das Haar zu bürsten,
ihr die Nägel zu maniküren und ihre Garderobe in Ordnung zu
halten. Die Chinesinnen legen ohne Zweifel - und dies schon seit
Jahrhunderten - einen größeren Teil des Familieneinkommens für
kosmetische Mittel an, als dies bei irgendeiner anderen Nation
geschieht. Die Reichen kaufen die kostspieligsten Parfüms und
Kosmetika und in gewaltigen Mengen. Wer sich derartige
Auslagen nicht leisten kann, kauft billigere Ware und in kleineren
Mengen, aber jede Frau, ob reich oder arm, hat ihre
Schönheitsmittel. Die mittelalte Frau eines Rikschakulis hat immer
unter ihrer Habe ein wenig Talkpuder und Schminke. Vielleicht
verwendet sie diese Dinge nur einmal oder zweimal im Jahr - bei
Hochzeiten oder anderen Festen -, aber sie hat immer den Trost
und die Beruhigung, daß sie sich, jedesmal, wenn sie die Mühe
nicht scheut, schön machen kann. Nur betagte Witwen versagen
sich solche Eitelkeit. Die Anwendung kosmetischer Mittel könnte
auf den Wunsch nach einer Wiederverehelichung schließen lassen,
was man als ein Zeichen von Sittenlosigkeit ansähe.
Bevor es noch irgendeine Reklame für Schminke oder
Lippenstifte in China gab, entdeckten die Mädchen Shanghais ein
Schönheitsmittel, das alle ihre Schwestern in anderen Ländern
übersehen hatten. Ein Importeur von Gummiwaren machte die
Entdeckung, daß die kleinen Wärmflaschen, die man manchmal
bei Zahnschmerzen oder Neuralgie auflegt, einen überraschend
großen Absatz fanden. Sobald er eine neue Ladung auf den Markt
brachte, war sie sogleich verkauft, und er dachte schon, daß ein
sehr großer Teil der Bevölkerung Shanghais an Zahnschmerzen
leiden müsse, doch kam er darauf, daß die jungen Chinesinnen
diese Wärmflaschen verwendeten, um ihre Wangen rosig zu
machen. Sie trugen mit heißem Wasser gefüllte Wärmflaschen im
Muff verborgen, und wenn sie sich dann diese Wärmflaschen an
die Wangen legten, erzielten sie eine natürliche rosige Farbe, die
um so anziehender war, weil sie vor ein paar Minuten noch nicht
zu sehen gewesen. Eine bessere Art, auf künstlichem Wege
jungfräuliches Erröten zu bewerkstelligen, kann man sich kaum
vorstellen. Freilich war dieses Hilfsmittel nicht ganz befriedigend,
27

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ da man es nur bei kaltem Wetter verwenden konnte. In der
nächsten Saison wurde der Muff unmodern, und damit verschwand
auch die kleine Wärmflasche. Heute wäre es schwer,
Wärmflaschen
dieses Formates in irgendeinem Laden Shanghais zu finden.
Unsere Klienten erzielten nur einen geringen Anteil an dem
gesteigerten kosmetischen Geschäft, das das Ergebnis unserer
Propagandabemühungen war. Wenn wir ein neues Produkt in
China lancieren wollen, wissen wir nie genau, wie es mit dem
Verkauf stehen wird, aber in einem Punkt können wir sicher sein,
nämlich darin, daß irgendein chinesischer oder japanischer
Fabrikant, wenn es halbwegs angeht, sofort mit der Erzeugung
eines ähnlichen Artikels beginnen wird, den er dann billiger
verkauft.
Dies geschah auch, als wir Reinigungscreme, Schminke und
Lippenstifte propagierten. Die meisten kleinen Fabrikanten von
kosmetischen Mitteln segelten im Kielwasser unserer Reklame,
aber ziemlich viele machten sogar ihre eigene Propaganda. Ein
chinesischer Produzent fühlte sich durch seine ersten Verkäufe so
ermutigt, daß er eine ganz tolle Propaganda begann, die zu
jedermanns Überraschung Erfolg hatte, so daß er ein großes und
blühendes Unternehmen aufbauen konnte. Zu dieser Zeit erschien
unsere Reklame für Toilettenseife groß aufgemacht in allen
führenden Zeitungen und Zeitschriften. Das Endergebnis all dieser
Propaganda für Schönheit bestand darin, daß sich die Haltung und
bis zu einem gewissen Grad auch die Psychologie der Chinesin
änderte. Vorher waren alle Schönheitshilfsmittel ein weibliches
Geheimnis gewesen, eine Art Hebammenkunst, doch sobald sich
die öffentliche Reklame dieser Dinge bemächtigte, wurde die
Sache elegant und achtbar. Die chinesischen Mädchen begannen
jetzt ohne jede Scham sich öffentlich die Nase zu pudern, und
unverzüglich erweiterte sich ihr Horizont. Einige tausend Jahre
waren sie abgeschlossen gehalten worden, doch sobald sie
entdeckten, daß sie ihr Gesicht in Gegenwart von Männern schön
machen konnten und daß die Männer dies für anmutig und reizvoll
hielten, gab es kein Zurück mehr. Die Chinesin durchbrach die
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[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Schranken der inneren Höfe des chinesischen Heims, und nichts
wird sie wieder dorthin bringen.
Die große Revolution in der weiblichen Kleidung war die
logische und unvermeidliche Folge. Als ich nach China kam,
trugen fast alle Frauen Hosen. Nicht jene sackartigen oder höchst
spärlichen zweibeinigen Dinger, die die ausländischen Damen im
Interesse des Sex Appeals am Strand tragen, sondern Hosen, so
würdevoll und ehrbar, wie sie nur je ein Staatsminister getragen
hat. Das vollendetste Bild weiblicher Zucht, das ich je sah, war
eine behoste chinesische Lehrerin, die in einer Sonntagsschule
ihren behosten kleinen Schülerinnen Bibeltexte erklärte. Ich hatte
meine alte Lehrerin aus der Sonntagsschule fünfzehn Jahre oder
länger nicht gesehen, und meine Erinnerung an sie war daher ein
wenig nebelhaft, aber sie war immer mein Idealbild der Ehrbarkeit
gewesen. Ich konnte nicht umhin, diese beiden Frauen zu
vergleichen, und ich bedauere, daß ich dies tun mußte, denn meine
inniggeliebte und hochbetagte alte Jungfer mit ihren bauschigen
Röcken stellt sich mir seither völlig anders dar. Sie ist nicht mehr
die sittsamste Frau, die ich je gesehen, denn die kleine chinesische
Dame in Hosen hat sie von meinem Piedestal verdrängt.
Einige Zeit nach Kriegsende begannen die Frauen in Amerika
und England kurze Röcke zu tragen; sehr bald darauf verbrauchten
die Damenschneider in Shanghai nur noch zwei Drittel des
Materials, das sie früher verwendet hatten, und berechneten
dieselben Preise. Wir waren über die neue Mode gar nicht erfreut,
denn einer unserer ältesten und liebsten Kunden ist eine Firma aus
Manchester, die wir mit gutem Gewissen als die Erzeugerin des
feinsten und schönsten Kalikos auf Erden anpreisen konnten. Es
war ja klar, daß die kurzen Röcke eine verminderte Nachfrage
nach Kaliko bedeuteten und in weiterer Folge geringeren Verkauf
und geringere Propaganda. Doch als die Mehrzahl der
Ausländerinnen in Shanghai plötzlich in kniefreien Röcken
erblühte, hegte ich ein wenig mehr Hoffnung für das
Kalikogeschäft. Da die Damen mit häßlichen Beinen weit
zahlreicher waren als die mit hübschen, mindestens im Verhältnis
von zehn zu eins, schien die Annahme berechtigt zu sein, daß
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ schließlich die Modewünsche der häßlich Bebeinten den Sieg
davontragen und die glücklicheren Schwestern wieder zu langen
Röcken zwingen würden. Dies geschah dann auch, obwohl die
überkurzen Röcke eine Saison länger vorhielten, als ich
angenommen hatte. Immerhin ist der Kalikoverbrauch der
Ausländerinnen in China nicht allzu groß. Soweit wir betroffen
waren, war die wichtige Frage, was die jungen Chinesinnen zu der
neuen Mode sagten. Die meisten eleganten Frauen waren bereits
von den Hosen zum Rock übergegangen, eine Kundgebung
modernen Geistes, die bald nach dem Sturz der Mandschudynastie
kam, aber die altmodischeren trugen noch immer Hosen. Wir
brauchten nicht sehr lange auf die Entscheidung zu warten, sobald
die Chinesinnen einmal Gelegenheit gehabt hatten, zu sehen, wie
andere Frauen vom Knie abwärts wirkten. Sie bemerkten die
passablen Beine der Französin, die zumeist reizlosen der
Engländerin und Amerikanerin, die dikken der Deutschen und
Skandinavierin, die abschreckend häßlichen der Japanerin und
kamen zu der plötzlichen, wenn auch um Jahrhunderte verspäteten
Erkenntnis, daß hier eine seit jeher unbeachtete Waffe war. Die
von Natur kleinen Füße und schönen Hände der Chinesin haben
Liebende zu Dichtung und Selbstmord getrieben. Lippen, Haare,
Augen und Zähne sind durch vierzig Jahrhunderte in der Literatur
gebührend gefeiert worden, aber der Beine wurde nicht einmal
Erwähnung getan. So kamen die Mädchen darauf, daß die Beine
allzu lange vernachlässigt wurden, und sie beschlossen sie ohne
weiteren Verzug in Umlauf zu setzen.
Die logische Folge für Frauen, die bisher immer Hosen getragen
hatten, hätte darin bestanden, daß sie jetzt zu Shorts übergingen.
Ein paar versuchten dies, sahen aber allzu männlich und schamlos
aus. Infolge väterlich fürsorglicher Regierungsvorschriften trugen
die heranwachsenden Mittelschülerinnen ohnedies schon kniefreie
Röcke, die immer höher die Schenkel hinaufkletterten, und darum
kam diese Mode nicht in Betracht. Da gelangte man zu einer sehr
glücklichen Lösung, einem langen Rock, dessen linke Seite bis
oberhalb des Knies geschlitzt war, so daß jeder zweite Schritt die
Umrisse eines schönen Beins enthüllte. Altmodische Väter und ein
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ paar eifersüchtige Gatten schlugen Krach wegen dieser
skandalösen Mode, aber die jungen Frauen hatten solche Freude
daran, daß sie im nächsten Jahr beide Seiten ihres Rockes
geschlitzt trugen, und dies ist mit geringfügigen Änderungen bis
heute Mode geblieben. Andere erinnern noch an die alte
Hosenmode, indem sie unterhalb des Rockes breite Hosen aus
Seidenbrokat tragen, aber die meisten haben nur Schuhe mit hohen
Absätzen und Seidenstrümpfe. Ein paar Ausländerinnen in
Shanghai haben diese chinesische Mode kopiert, aber das Ergebnis
ist nicht ganz zufriedenstellend.
Mehrere Jahre führten wir mit unseren Freunden aus
Manchester Verhandlungen über ein Modeheft für Chinesinnen.
Wir waren auf diesen Gedanken gekommen, weil einige kleine
Provinzzeitungen manchmal unsere Gesichtscremen gratis
annoncierten, denn wir achteten immer darauf, daß das Mädchen
auf der Zeichnung nach der letzten Shanghaier Mode gekleidet
war, und so kam es, daß elegante Damen der Provinz ihre Kleider
nach diesen Zeichnungen kopieren ließen. Immerhin wußten wir
nicht ganz genau, ob es uns gelingen werde, eine derartige
Modepublikation wirksam zusammenzustellen, und auch unsere
Klienten hegten einige Zweifel, und so wurde die Angelegenheit
zwar von Zeit zu Zeit besprochen, aber nicht erledigt. Dann
erhielten wir ganz unerwartet die Instruktion, uns mit der
Modebrochure zu beeilen, und waren schon sehr besorgt, was wir
bringen sollten, doch da ging uns rechtzeitig eine Information über
die geschlitzten Röcke zu. Wir mußten schnell arbeiten, immerhin
hatten wir vor der Frühlingsnachfrage nach Kaliko den ersten
Modekatalog publiziert, den es in China je gegeben hat. Wir
zeigten darin, wie reizvoll die neuartigen Röcke aussehen müßten,
wenn sie aus dem Kaliko unseres Klienten geschneidert wurden.
Wegen des günstigen Zeitpunktes wurde das Buch ein großer
Erfolg. Einige Exemplare fanden ihren Weg nach Java und Siam,
und dort herrschte in den großen chinesischen Kolonien solche
Nachfrage, daß wir für beide Länder neue Auflagen druckten.
Noch einige Jahre publizierten wir solche Modehefte und brachten
darin immer den geschlitzten Rock, manchmal mit irgendeiner
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Neuerung, die wir selbst erdachten, zum Beispiel verschieden
hohen Schlitzen zu beiden Seiten. Es war dann immer sehr heiter,
das Resultat zu kontrollieren und festzustellen, inwieweit unsere
Ideen durchgeführt wurden. Gänzlichen Erfolg hatten wir fast nie,
aber sie wurden auch nie ganz außer acht gelassen. Jetzt gibt es
viele derartige Publikationen, daher haben wir uns von diesem
Geschäftszweig abgewandt. Aber ich bin ziemlich stolz auf die
Tatsache, daß wir das erste solche Heft veröffentlichten und
unseren bescheidenen Anteil daran hatten, daß die schönsten
Beine, die es auf Erden gibt, sich der Welt enthüllten.
Ungefähr zu der Zeit, da Miss China ihre Beine entdeckte,
entdeckte sie auch, daß sie keinerlei Grund hatte, ihren schlanken
Körper so fest zu schnüren, daß sie flachbrüstig aussah, was in
gewissem Sinne ebenso unnatürlich war wie die eingebundenen
Füße früherer Generationen. Dieses eine Mal gingen Mode und
Wissenschaft Hand in Hand, denn die chinesischen Ärzte
erklärten, die Frauen würden gesünder werden, wenn sie ihren
Brüsten eine natürliche Entwicklung gewährten, und auf diese
Weise kamen außer den Beinen auch Rundungen in Mode und
dürften kaum wieder verschwinden. Den Chinesinnen gefällt es,
und auch die Männer haben nichts dagegen, ihnen hier ihren
Willen zu lassen. Die Chinesin findet zwar ihre neuen Rundungen
recht zufriedenstellend, weiß aber, daß alles auf die Spitze
getrieben werden kann, und so kommt es, daß unter den vielen
Schönheiten Chinas auch nicht eine einzige auch nur entfernt an
Mae West erinnert. Selbst mit einer blonden Perücke könnten sie
nicht so aussehen. Jedesmal, wenn ein Mae West-Film in Shanghai
zu sehen ist, strömen die jungen Chinesinnen scharenweise ins
Kino und verlassen dann das Lokal mit der tröstlichen
Genugtuung, daß sie nicht so sind wie diese.
Vor wenigen Monaten erhielt ich einen Brief von
Geschäftsfreunden aus Australien, die uns die Möglichkeiten einer
neuen Propaganda darlegten. Es handelte sich hier um ein
Entfettungspräparat für Frauen. Dem Brief waren einige
Zeitungsausschnitte beigeschlossen, die von dem großen Erfolg
des Mittels in Australien und Neuseeland zu berichten wußten.
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Darunter ein Inserat, das mich sehr interessierte, mit dem Bild und
dem Anerkennungsschreiben einer schönen blonden Dame in
üppigen Stromlinien, die nach dem Brief die Liebe ihres Gatten
und die Verehrung ihrer Freunde verloren hatte, weil sie aus
Nachlässigkeit zu dick geworden war. Dann machte sie eine Kur
mit diesem wundervollen Medikament und verlor nicht nur, was
sie zugenommen hatte, sondern noch einiges darüber und war
wieder eine schlanke, blonde Schönheit, angebetet von ihrem
Gatten, Gegenstand des Neides für ihre Freundinnen und in ganz
Sidney beliebt.
Mit diesem Mittel hätte man in China ein Vermögen machen
können, wenn man auch nur einen bescheidenen Kundenkreis
gehabt hätte, doch gibt es hier keine fetten Frauen. Es gab einmal
ein populäres Kuplet mit dem Refrain, daß niemand einen dicken
Mann liebe. Doch eigentlich liebte niemand, nur wagte man das in
jenen zimperlichen Vorkriegstagen nicht zu sagen, eine dicke
Frau, es sei denn der Mann, der sie geheiratet hatte, als sie noch
schlank war und nun ohne einige Schwierigkeiten von seiner
Zuneigung nicht abgehen konnte. Der chinesische Gatte steht
niemals einem solchen Problem gegenüber, denn seine Frau
erlaubt sich nicht, dick zu werden. So braucht sie zu keiner Diät
oder Gymnastik zu greifen, um ihre mädchenhafte Figur
wiederzugewinnen, die sie nie verloren hat. Die Mutter von fünf
oder sechs gesunden Kindern ist meist so schlank wie ein
Schulmädchen.
Trotz allen Änderungen der Mode gibt es eine grundlegende
Einstellung der Chinesin zum Bekleidungsproblem, die sich seit
den Zeiten Kleopatras nicht geändert hat. Sie zieht sich an, um die
Bewunderung der Männer zu erregen und insbesondere um die
Bewunderung ihres Gatten zu erhalten. Die Ausländerinnen
kleiden sich um ihrer Mitschwestern willen, denn sie rechnen auf
die Bewunderung ihrer Freundinnen und Bekannten, und es täte
ihnen auch nicht allzu leid, einer durch Eifersucht oder Neid das
Herz zu brechen. Ob sie ihrem Gatten gefallen oder nicht, ist von
verhältnismäßig geringer Wichtigkeit, er hat nur für das Kleid zu
zahlen. Der Standpunkt der Chinesin ist das genaue Gegenteil. Bei
33

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ der Wahl ihrer Garderobe hat sie den Geschmack ihres Gatten im
Sinn. Die hübschesten Kleider trägt sie daheim. Wenn andere
Frauen sie bewundern, nimmt sie dieses Kompliment mit noch
größerer Freude entgegen, weil sie es nicht angestrebt hat. Die
Ausländerin hat gewiß viel mehr Spaß und Aufregung bei ihren
Versuchen, an Kleidung und Schönheit ihre Schwestern zu
übertreffen, aber ich bin überzeugt, daß es der Chinesin viel
leichter fällt, eine Erhöhung ihres Toilettengeldes durchzusetzen.
Der Wechsel in der Mode hatte in der Geschäftswelt Chinas
Rückschläge zur Folge, die niemand voraussehen konnte. Die
Seidenweber waren die ersten, die davon betroffen wurden. Sie
erzeugten eine mehr oder weniger standardisierte Ware, und
wenngleich der eine oder der andere gelegentlich ein neues Muster
auf den Markt brachte, waren doch die Regale der Läden mit guten
alten, bekannten Stoffen gefüllt, die die Chinesin Jahr für Jahr
kaufte, ohne daß ihr in den Sinn gekommen wäre, etwas Neues zu
verlangen. Der Gedanke, daß ein Kleid aus der Mode kommen
könnte, war ihr fremd. Jetzt verlangten die Chinesinnen aber etwas
Neues und begannen das Alte gering zu schätzen. Die schönen
neuen Muster, die unsere Freunde aus Manchester jedes Jahr auf
den Markt brachten, vermehrten diese Unrast der Frauen oder
schufen sie vielleicht. Die Seidenweber und die Verkaufsläden
entdeckten bald, daß sie genötigt waren, jedes Jahr neue Muster zu
bringen oder die alten Muster in neuen Farben zu erzeugen.
Manche Waren mußten nun in entlegene Teile des Landes
verschickt werden, wo man sie bei den altmodischen
Provinzdamen absetzte.
Auch für die Pfandleiher war es ein Schlag. Das
Pfandleihgeschäft ist ein alter und hochachtbarer Erwerbszweig in
China und zumeist sehr gewinnbringend. So gibt es zum Beispiel
in der internationalen Niederlassung Shanghais bei ungefähr einer
Million Einwohner mehr als dreihundert Pfandleihanstalten. In
rein chinesischen Gemeinden, wo die Lizenzbestimmungen nicht
so streng sind, findet man deren viel mehr. Während in anderen
Ländern der Besuch einer Pfandleihe auf ziemlich verzweifelten
Geldmangel schließen läßt, ist es hier nicht der Fall. Die Chinesen
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ verstehen nicht, warum sie sich die Mühe nehmen sollten, ihre
Winterkleider während der Sommermonate aufzubewahren, wenn
der Pfandleiher dies für sie besorgt und ihnen außerdem noch eine
kleine Summe dafür zahlt. Das hat zur Folge, daß bei jedem
Wechsel der Jahreszeit die Pfandleihanstalten große Geschäfte
machen, indem sie kleine Summen auf Kleider borgen und alte
Kleider aufbewahren. Für einen Pfandleiher war nun ein
Seidenkleid von jeher ein Seidenkleid, dessen Verkaufswert genau
feststellbar war. Jetzt begann jedoch der Wechsel der Mode, und
die Inhaber jener Anstalten sahen sich vor dem noch nicht
dagewesenen Problem, daß ein Kleid, dessen Wert im Frühling
feststand, im Herbst unverkäuflich war. Jetzt müssen die
Pfandleiher sehr wider Willen die Damenmode studieren und
Modesachverständige werden. Was sie wohl dächten, wenn sie
wüßten, daß sie diesen traurigen Zustand den New Yorker
Lippenstiften und dem Kaliko aus Manchester verdanken?
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ DRITTES KAPITEL
Vermögen durch Verlustgeschäfte
In jeder Stadt und fast in jedem Teil jeder Stadt Chinas findet
man an sonnigen Tagen die kleinsten und bescheidensten
Kramläden der Erde in Tätigkeit. Das Warenlager ist
manchmal auf einem zusammenklappbaren Tisch zur Schau
gestellt, doch kann man es ebensooft auf einer rechteckigen, auf
dem Boden ausgebreiteten Bambusmatte finden. Selten ist dieser
Tisch oder die Matte größer als ein Quadratyard. Das armselige
Lager besteht unabänderlich aus einer allem Augenschein nach
unglaublich nutzlosen Sammlung von Artikeln - verbogenen
Nägeln, rostigen Schrauben, schadhaften Knöpfen, gebrochenen
Türklinken, geborstenen Untertassen, einigen leeren
Zigarettendosen. Es ist eine genau so kunterbunte Sammlung von
Kram, wie ein Kind sie zusammenträgt, wenn es `Kaufmann"
spielt, und es ist auch wirklich nichts anderes, nur sind hier die
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Spielenden alte Mnner und nicht Kinder. An jedem schönen
Morgen kann man diese alten Leute beim Kaufmannspiel sehen,
wie sie mit der kostbaren Last an ihre Stammecke eilen. Dort legen
sie ihre Ware aus, scheiden sorgfältig die rostigen Schrauben von
den verbogenen Nägeln und sitzen dann den ganzen Tag in der
Sonne. An einem Regentag halten sie die Geschäfte geschlossen.
Es ist ein angenehmes Leben. Sie sehen das bunte Bild der Menge
auf der Straße, verbringen einige Zeit im Geplauder mit einem
Bekannten oder Konkurrenten, und einmal in langer Zeit
verkaufen sie vielleicht wirklich etwas. Möglicherweise findet sich
jemand, der gerade ein solches Stück Abfall braucht, das er hier
für ein paar Kupfermünzen ersteht. Aber diese alten Kaufleute
brauchen sich um ihre Kunden keine Sorgen zu machen und auch
keine Bücher zu führen, ein Sohn oder Enkel gibt ihnen Obdach
und Kost, und sie führen ihr Geschäft des Zeitvertreibes halber so
wie alte Herren in anderen Teilen der Welt Golf spielen oder in
Büros gehen, wo man sie nicht mehr braucht. Vielleicht hat der
eine oder der andere von ihnen sein ganzes Leben lang den
Wunsch gehegt, Kaufmann zu sein und freut sich nun, daß ihm
dieser Wunsch in alten Tagen erfüllt wird. Und wenn sie auf diese
Art ihre Zeit verbringen wollen, achten die Kinder darauf, daß sie
dies tun dürfen, denn in China werden die Launen von kleinen
Kindern und alten Männern immer berücksichtigt. Vielen
ausländischen Fabrikanten erscheint die Tätigkeit des regelrechten
chinesischen Ladenbesitzers beinahe ebenso nutzlos und
sonderbar -wenigstens was den Gewinn seiner Geschäfte betrifft.
Wenn irgendein Artikel in China populär wird, sei es nun wegen
seiner Vorzüge oder dank der Propaganda, meistens aber aus
beiden Gründen, können wir überzeugt davon sein, daß es nur ein
paar Wochen dauern wird, ehe diese Ware in vielen Läden nicht
nur unter dem Detailpreis, sondern oft sogar unter dem
Engrospreis verkauft wird. Diese Preisreduktionen verbreiten sich
dann mit Windeseile. Im Detailverkauf gibt es hierzulande keine
Geheimnisse; die meisten dieser Läden sind zur Straße offen, so
daß ein Kaufmann, ohne das Ladenpult zu verlassen, nicht nur
alles sieht, was gegenüber im Geschäft seines Konkurrenten
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ vorgeht, sondern auch jede einzelne Transaktion genau verfolgen
kann. Wenn er bemerkt, daß eine Sorte Toilettenseife sehr großen
Absatz hat, verliert er keine Zeit und legt seinen Vorrat an dieser
Sorte an eine deutlich sichtbare Stelle und hängt eine
Ankündigung aus, auf der der normale Preis oder der von seinem
Konkurrenten geforderte Preis um einen oder zwei Cent
unterboten wird. Der Konkurrent erwidert das mit einem weiteren
Preisnachlaß, und so setzt sich dies fort, bis sie einen Punkt
erreicht haben, den sie nicht mehr überschreiten dürfen. Die
Nachricht von einer solchen Preisreduktion verbreitet sich längs
der Straße in andere Straßen, und bald wird in der ganzen Stadt die
Seife unter den Kosten verkauft.
Man sollte glauben, daß diese Preispolitik einen größeren
Verkauf von Seife zur Folge haben und daher für das
Seifengeschäft günstig sein müßte. Dies stimmt insofern, als sie
einen größeren Seifenverkauf zur Folge hat, doch ist dies kein
Nutzen für die verschleuderte Sorte. Der Kaufmann verdient nichts
daran, darum ist er am Verkauf der Marke nicht interessiert. Er
stellt sie zur Schau, mit Aufschriften, die den niedrigen Preis
ankündigen, doch wenn ein Kunde den Laden betritt, versucht er
ihm doch jede andere Sorte und nicht die von ihm scheinbar
propagierte aufzuschwatzen. Er geht oft so weit, zu erklären, diese
Sorte sei nicht mehr so gut wie früher, er könne sie nicht mehr
empfehlen, und darin liege der Grund für die Preisermäßigung.
Wenn dieses Verschleudern größere Dimensionen annimmt,
kommt schließlich die Ware in schlechten Ruf und gilt als ein
Artikel, mit dem man keinen Gewinn erzielen kann. Wenn die
Nachfrage hartnäckig bleibt, führen die Detailgeschäfte sie weiter,
doch tun sie es ungern und unter Zwang und geben sich keine
Mühe, sie zu verkaufen. Und so hat die Reklame die weitere
Aufgabe, für ein Erzeugnis eine Nachfrage zu schaffen, die stark
genug ist, den Widerstand der Verkäufer zu besiegen. Der
Kommerz wird zu einem Circulus vitiosus. Je populärer ein
Artikel wird, desto größeren Preissenkungen ist er unterworfen,
desto weniger gewinnbringend wird er für den Verkäufer und
desto eifriger wird dieser versuchen, andere Sorten zu vertreiben.
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[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Es klingt vielleicht sehr absurd, aber es ist keine Übertreibung,
wenn man behauptet, daß eines der Probleme, die jeder Erzeuger
einer volkstümlichen und stark propagierten Ware in China zu
lösen hat, darin besteht, wie er den Verkäufer zwingen soll, den
Artikel mit Nutzen zu verkaufen, und eigentlich ist die Lösung
dieser Aufgabe niemandem so ganz gelungen. Die großen
Zigarettengesellschaften sind ihrem Ziel näher gekommen als
andere Branchen; sie haben ein verwickeltes System von Abzügen,
heimlichen Rabatten und ähnlichen Kombinationen. Diese Rabatte
und dergleichen sind insofern geheim, als der, dem sie zugute
kommen, nicht weiß, was das ist, ehe er sie bezieht. Die Waren
werden dem Verkäufer zu einem bestimmten Preis überlassen,
aber mit dem Versprechen, daß er zu einer Zeit, da er sein
gesamtes Lager an die Kunden verkauft hat, eine Prämie erhält,
bestehend in einem Bar-Rabatt für die Verkäufe oder in freien
Waren. Manche Fabrikanten führen dieses System höchst
kompliziert durch und gestalten es dadurch verlockend, daß sie
monatlich derartige Vergünstigungen gewähren, denen dann ein
großer endgültiger Rabatt knapp vor dem chinesischen Neuen Jahr
folgt, zu einer Zeit, da man von jedermann erwartet, daß er alle
seine Verpflichtungen erledigt und daher dringend Geld bedarf,
besonders, wenn er ein Kaufmann ist. Wie lebhaft die Konkurrenz
auch sein mag, wagen doch die Verkäufer, die nach diesem
bizarren System gekauft und gezahlt haben, keine allzu große
Preisreduktion, denn sonst gibt es vielleicht einen wirklichen
Verlust. Diese Verkaufspolitik erfordert eine Menge verwickelte
Berechnungen und eine Art Eiertanz von seiten des Fabrikanten,
und ein einziger Mißgriff kann eine Katastrophe zur Folge haben.
Am besten fahren die, die den ursprünglichen Preis so hoch
erstellen können, daß der Verkäufer einen ungewöhnlich großen
Spielraum hat und noch immer Gewinn erzielen kann. Und
natürlich kann dies zu Schwierigkeiten führen, denn ein
Verkäufer, der heuer eine unerwartet große Vergütung erhält, wird
im nächsten Jahr eine ebenso angenehme Überraschung erwarten,
und so gibt es dann Ärger und Mißstimmung.
Die Preisreduktionen unter die Engroskosten betreffen nur
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ verhältnismäßig wenige Marken, doch gibt es in vielen Branchen
eine große Menge Engrosverkäufer, die Waren zu genau
demselben Preise verkaufen, den sie dafür zahlen, und, was
seltsamer ist, durch diese phantastische Operettenpolitik
Vermögen angesammelt haben. Dies mag zuerst unglaubwürdig
klingen, ist aber eine sehr einfache und sehr leicht zu erklärende
Methode, reich zu werden. Der Engrosverkäufer von Zigaretten
erhält zum Beispiel vom Fabrikanten für neunzig Tage Kredit,
wenn seine Firma groß und wichtig ist, und der Fabrikant wird
beim Fälligkeitstermin nicht allzu scharf gegen ihn vorgehen. Die
Respekttage, die in der ganzen Welt Schuldnern zugebilligt
werden, sind in China noch dehnbarer und werden oft zu Wochen
oder Monaten. Der Engrosverkäufer gewährt den verläßlicheren
Detailverkäufern einen Monat Kredit, aber nicht mehr als einen
Monat, und verkauft den kleineren Detailverkäufern und
Hausierern gegen Barzahlung. Man braucht also kein besonders
guter Mathematiker zu sein, um zu erkennen, daß er, wenn er
selber drei Monate Kredit genießt und den anderen nicht mehr als
einen Monat gewährt, bei einem monatlichen Umsatz von
fünftausend Dollar immer für das Geschäft zweier Monate Bargeld
zur Hand haben muß, also zehntausend Dollar.
Alle Chinesen glauben, und zwar mehr oder weniger mit Recht,
daß einer, der zehntausend Dollar zur Verfügung hat, entweder ein
Dummkopf oder ein großer Pechvogel sein muß, wenn es ihm
nicht gelingt, ein Vermögen zu erwerben. Es gibt eine Unzahl
erlaubter Unternehmungen, an denen er sich beteiligen kann, so
daß er durch sein Kapital Geld macht, und zwar mit einer
Raschheit, die in Ländern mit mehr verfügbarem Kapital und
geringerem Zinsfuß unbekannt ist. Ist er konservativ, wird er
Bankier und verleiht kleine Summen zu hohen Zinsen. Wie hoch
solche Zinsen sein können, zeigte erst in letzter Zeit ein
Shanghaier Prozeß, in dem der Kläger die Rückgabe der Summe
und zehn Prozent monatlich verlangte. Der Richter erachtete diese
Forderung als übermäßig, doch wenn der Gläubiger, sagen wir
zwei Prozent im Monat, monatlich abrechenbar verlangt hätte,
wäre das Urteil ohne Zweifel zu seinen Gunsten ausgefallen. Es ist
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ möglich, zu Neujahr noch höhere Zinsen für kleine kurzfristige
Darlehen zu erzielen, ohne irgendeine Gefahr zu laufen, und so
kann ein Engrosverkäufer auf die oben erwähnte Art in wenigen
Jahren sein Kapital verdoppeln. Wenn er sich jedoch in gewagtere
Geschäfte mit größerer Gewinnchance einlassen will, kann er eine
Kette von Detailgeschäften oder ein oder zwei Engrosgeschäfte
finanzieren, wodurch er sein Kapital verdreifacht oder
vervierfacht. Kauft er Grund und errichtet er dort kleine Läden,
vermag er aus der Miete Gewinn zu ziehen, worauf er weiteren
Grund kauft und weitere Läden errichtet und so fort ad infinitum.
Die Zigarettenbranche ist nur einer der vielen Geschäftszweige,
die das Gewinnen von Reichtum durch Verkäufe ohne Nutzen
ermöglichen. China importiert eine große Menge frisches Obst aus
Amerika, insbesondere Orangen. Es gibt eine alte Sitte, derzufolge
diese Früchte an die lokalen Verkäufer mit dreißigtägigem Kredit
verkauft werden, was in der Praxis bedeutet, daß der Importeur in
dreißig Tagen auf Zahlung rechnet, gewöhnlich aber viel länger
auf Zahlung warten muß. Sobald der Detailverkäufer eine Ladung
Orangen erhält, verkauft er sie möglichst rasch, indem er sie in
seinem Laden ein wenig unter den Kosten feilbietet und oft
Hausierer von Haus zu Haus schickt. Da seine Verkäufe alle im
Barverkehr erfolgen, sammelt er bald Fonds, die er erst zu einem
ungewissen zukünftigen Zeitpunkt zurückzahlen muß. Mit diesem
Geld kauft er frisches Obst aus Nordchina, und wenn er Glück hat
und Wetter und Markt günstig sind, kann er sein Lager mehrere
Male erneuern und zwei- oder dreimal Gewinn erzielen, ehe er
genötigt ist, seinen ursprünglichen Vorrat an Orangen zu bezahlen.
Auf diese Art haben die amerikanischen Obsthändler den ganzen
Obsthandel in Shanghai finanziert und ahnungslos den Verkauf
aller konkurrierenden Obstsorten gefördert.
Die kleinen Detailkaufleute mit ihrem kleineren Umsatz und
ihrem beschränkten Kredit genießen nicht diese goldenen
Möglichkeiten, mit fremdem Geld Gewinn zu erzielen, aber
immerhin machen sie Geschäfte und lassen es sich bei einem
Gewinnsatz wohlergehen, der die Kaufleute jedes anderen Landes
zur Verzweiflung triebe. Dies ist möglich, weil ihre Spesen sehr
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ gering sind. Als wir einmal ein Lokal brauchten, um unser
Reklamematerial einzulagern und ein paar Arbeiter
unterzubringen, mieteten wir einen Laden in Ningpo. Die
Monatsmiete betrug sechs chinesische Dollar, also ungefähr acht
englische Shilling. Verglichen mit dem Standard anderer Länder,
war es kein sehr vornehmes Lokal, war aber typisch für die Läden,
in denen neun Zehntel der chinesischen Waren verkauft werden.
Der Hauptraum hatte Ausmaße von zwölf mal achtzehn Fuß und
weder Fenster noch Türen, so daß die ganze Front offen stand und
man untertags die Waren zur Schau stellen konnte. Bei Nacht
wurde das Lokal mit Läden verschlossen. Hinten war ein kleiner
gepflasterter Hof, der den Laden von der Küche trennte, und
oberhalb des Ladens lagen ein paar kleine Schlafräume.
Mit einem solchen Lokal und überaus geringen Steuern hat der
Kaufmann nicht nur einen angemessenen Geschäftsraum, sondern
auch ein Obdach für seine Familie, die unabänderlich im selben
Hause wohnt, und er hat sich um nichts anderes zu kümmern als
darum, daß er genügenden Gewinn erzielt, um für die Kleidung
und Ernährung und Miete aufzukommen. Die Frage des Kapitals
ist gewöhnlich sehr leicht gelöst, denn er kann manche Waren auf
Kredit beziehen, und selbst, wenn er Bargeld auftreiben muß,
genügen ein paar hundert Dollar. Es ist erstaunlich, welch hübsche
Wirkung auf den Regalen für sehr wenig Geld dadurch erzielt
werden kann, daß man leere Schachteln sinnreich verteilt. Man
sieht nie einen Laden, der nicht den Eindruck erwecken würde,
von der Decke bis zum Boden mit Waren vollgestopft zu sein,
wollte man aber die Regale einer genauen Besichtigung
unterziehen, würde man in den meisten Fällen entdecken, daß die
Mehrzahl der Schachteln leer ist und das ganze Lager nicht mehr
wert als hundert Dollar.
So klein ein Unternehmen auch sein mag, wird sich der
Kaufmann immer mindestens einen Gehilfen halten. In anderen
Ländern rechnet der Eigentümer eines kleinen Geschäftes auf die
Hilfe seiner Frau, aber die chinesische Gattin hat sich nur selten,
mit Ausnahme der allerniedersten Klassen, vom wirtschaftlichen
Druck in dem Geschäft stören lassen, das sie für ihren Hauptberuf
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ hält, nämlich in dem Beruf einer Gattin. Sie ist nicht, ungleich
ihrer japanischen Schwester, bei Tag Arbeiterin und nachts Frau
und wird sich auch nie fügsam der Mißhandlung unterwerfen, die
so oft das Los der japanischen Gattin ist. Sie wird ihren Gatten
liebevoll betreuen, ihm ohne Klage zahllose Kinder gebären, ihm
die Zehennägel schneiden und seine Hemden waschen, wird aber
niemals, außer in Fällen größter Not, ihm beim
Broterwerb helfen. Der chinesische Gatte findet sich gleichmütig
mit dieser Einstellung ab, ja, wie es scheint, fast mit Billigung. Er
macht niemals den Versuch, seine Verantwortlichkeit als
Brotverdiener abzuschieben oder zu teilen. Das ist auch der Grund,
warum in Siam, Malaya und verschiedenen anderen Gegenden des
Fernen Ostens die Chinesen als Gatten sehr beliebt sind und die
hübschesten einheimischen Mädchen heiraten können.
Die Verwendung eines Gehilfen bedeutet nicht den Beginn
einer kostspieligen Gehaltsliste, denn der Gehilfe bezieht keine
Vergütung. Wenn es einen freien Raum im Hause gibt, darf er
darin schlafen. Wenn nicht, schläft er auf dem Fußboden des
Ladens. Er nimmt teil an den Mahlzeiten der Familie, aber mit
einer gewissen Bescheidenheit und Zurückhaltung, besonders
dann, wenn kostspieligere Gerichte aufgetragen werden, wie zum
Beispiel Schweinefleisch oder Huhn. Er bekommt die nötige
Kleidung, und wenn das Geschäft gut geht, vielleicht ein
Extra-Kattungewand zum chinesischen Neujahr und ein wenig
Bargeld. Diese Beziehung wird von niemandem als ungerecht
angesehen. Der Junge erhält nicht nur Kost und Quartier, wodurch
er seinen Eltern die Last des Lebens erleichtert, sondern auch
Gelegenheit, ein Geschäft zu erlernen. Im Lauf der Zeit wird er
dann vielleicht selbst ein Kaufmann und erreicht damit das Ziel,
das den Ehrgeiz der halben chinesischen Sasse zu bilden scheint.
Wenn das Geschäft wächst und der Laden vergrößert wird,
werden neue Gehilfen aufgenommen, und zwar immer mehr, als
man mit Arbeit versehen oder eigentlich brauchen kann. Es ist sehr
selten, daß man einen Kaufladen betritt und dort nicht zweimal
soviel Gehilfen wie Kunden findet. Wenn der Ladenbesitzer
seinen Stab vergrößert, wählt er seine Gehilfen nicht nach so
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ unverläßlichen Methoden wie nach der Beurteilung der
Intelligenz, des Fleißes und der Ehrlichkeit. So sorgfältig man
auch solche Dinge erforschen mag, kann man doch nie sicher sein,
daß der neue Angestellte alle diese Merkmale aufweist oder, wenn
er sie aufweist, sie zum Vorteil seines Dienstgebers verwendet.
Man hat ein viel wirksameres System für die Wahl seiner
Angestellten. Man hält in der Nachbarschaft, aus der sich die
Kunden rekrutieren, Umschau und bemerkt, daß die Familie Wong
groß und wohlhabend ist und daß sie nicht zu den Kunden zählt.
Sobald es irgendwie gemacht werden kann, wird ein junges und
bescheidenes Mitglied der Familie Wong in den Laden
aufgenommen, unter der zumeist richtigen Voraussetzung, daß die
Familie Wong nunmehr zu den Kunden zählen wird. Auf ähnliche
Art wird später ein Chow, ein Ling und ein Chang dem Personal
hinzugefügt, dessen Begrenzung nur in der Zahl der benachbarten
Familien liegt, deren Kundschaft gewinnbringend sein könnte.
Wenn diese Jungen nichts zu tun haben, und das geschieht oft,
beobachten sie scharf die Straße und halten Ausschau, ob einer
ihrer Verwandten in einen Konkurrenzladen tritt, und wenn dies
geschieht, kommt der Fall vor den Familienrat.
Schließlich, nach einigen Dienstjahren, und nachdem er viele
Mitglieder seiner Familie als Kunden geworben hat, erhält der
Angestellte vielleicht eine kleine Entlohnung, und zu einem noch
ferneren Zeitpunkt mag er dann als Partner ins Geschäft
aufgenommen werden. Sein Lohn beträgt kaum mehr als die
Lebenskosten, aber wenn das Jahr gewinnbringend war, erhält er
vielleicht eine großzügige Vergütung zu Neujahr. Wenn die
Familie Wong wohlhabend ist und ihr Einkauf groß genug, ist es
wahrscheinlich, daß Wong gar nicht anstrebt, Kompagnon seines
Dienstgebers zu werden, sondern daß er von seiner Familie
finanziert wird und einen eigenen Laden eröffnet, in welchem
Falle die Familie Wong in Masse zu dem neuen Laden übergeht.
Das ist einmal die logische und gewöhnliche Entwicklung und
erklärt auch die Tatsache, daß es in China zwar sehr viele Läden
gibt, aber nur sehr wenige große. In den meisten Fällen sind diese
wenigen großen Läden durch die Tatsache möglich gemacht, daß
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[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
eine große und wohlhabende Familie dahinter steckt und
auswärtige Hilfe überhaupt nicht erforderlich ist.
Während der chinesische Kaufmann als sichtbaren Beweis
seines Wohlstandes überall Waren zur Schau stellt, wo man sie
leicht sehen kann, legt er doch nur selten Geld für neue
Schaufenster, Spiegelscheiben oder ähnliche Eitelkeiten an, die
das Herz des britischen Detailisten erfreuen. Es gibt zwei Gründe
dafür, die voneinander grundverschieden sind. Wenn er gute
Geschäfte gemacht hat, möchte er die glücklichen Einflüsse, die
ihn umgeben, nicht durch Veränderungen an dem Laden oder
Kontor stören. Der andere Grund ist mehr praktischer Art. Ware ist
etwas, das verkauft werden kann, vermutlich mit Gewinn,
jedenfalls aber ist sie marktgängig. Einrichtungen, wie zum
Beispiel Schaufenster und Ladentische sind fortdauernde
Investitionen und müssen als solche auf die Kunden des Ladens
einen schlechten Eindruck machen. Offenbar muß ein Mensch, der
ein paar tausend Dollar für solche Dinge ausgeben kann, das Geld
auf diese oder jene Weise hereinbringen, und am Schluß zahlt der
Kunde die ganze Rechnung. Es versteht sich von selbst, daß ein
Mann mit derart verschwenderischen Neigungen profitgieriger
sein wird als einer, der sich mit einem schäbigen Laden zufrieden
gibt; daher weiß der Kunde, wohin er zu gehen hat.
Sehr viele Reisende, die nach Shanghai kommen, legen Wert
darauf, einen Seidenladen zu besuchen, der seines Lagers wegen
weltberühmt ist. Und mit Recht berühmt, denn nirgends auf Erden
sieht man solche Schätze schöner Gewebe. Die besten Stücke
vieler vornehmer Lokale in der Bond Street sind dagegen armselig.
Aber das Äußere des Ladens läßt in keiner Weise auf den
Reichtum schließen. Er liegt in einer obskuren Gasse, hat keine
Glasfenster, und die Tünche ist so alt, daß sie ursprünglich jede
beliebige Farbe gehabt haben mag. Im Inneren sind die Fußböden
aus billigem Holz, sehr abgetreten und ziemlich abgesplittert. Es
dürfte schwer halten, irgendwo in Großbritannien Ladentische und
Schaukästen von so schäbiger Konstruktion zu finden, und nur
von wenigen englischen Lehrjungen wird verlangt, daß sie an so
kläglichen Pulten sitzen wie hier der Direktor. Bei einer Auktion
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ würde die ganze Einrichtung wahrscheinlich weniger einbringen
als ein halbwegs annehmbarer Wagen aus zweiter Hand. Aber was
für ein Reichtum an Seide ist auf den billigen Fichtenholzregalen
aufgestapelt! Und welch große und gute Geschäfte die Leute
machen! Selbst an einem flauen Tag würde der Umsatz reichlich
genügen, die Kosten für das ganze Mobiliar des Ladens zu
decken.
Ein paar Häuserblöcke weiter in derselben Straße liegt das Büro
einer der größten Tabakfirmen der Landes, einer der reichsten, die
man überhaupt auf der Erde finden kann. Der Eingang ist mit
Packkisten verstellt, an denen vorbei sich der Besucher seinen
Weg bahnen muß. Die Treppe zum Büro im oberen Geschoß ist
schmal, steil und dunkel. Die Kontorräume sind klein und
überfüllt, und das ganze Lokal erinnert eigentlich an einen
ziemlich schlampig entworfenen Kaninchenstall, der groß genug
ist, daß sich auch menschliche Wesen darin bewegen können. Das
einzige Zeichen von Reichtum und Wohlstand im ganzen Hause
ist die Anwesenheit mehrerer schwer bewaffneter russischer
Gardisten, die hier angestellt sind, um den sehr reichen
Eigentümer vor Kidnappers zu schützen. Diese Leute wissen
genau, daß er leicht eine Million Lösegeld zahlen könnte. Und
doch hat hier, in diesem Hause, unser Tabakmillionär seinen
bescheidenen Anfang gehabt, hier wurde er reich, und nichts
konnte ihn bewegen, anderswo hinzuziehen. Er gibt nicht einmal
zu, daß das Fenster in seinem Privatkontor vergrößert werde,
damit er mehr Licht und Luft habe.
Es ist ein Privileg, die großen Reklameagenturen in New York
besuchen zu dürfen. Hier hat das Geschäft dank der Kunst und
Geschicklichkeit der Architekten und Innendekorateure ein
entsprechendes Heim gefunden. In London, Paris und Berlin sind
die Kontore einiger großer Agenturen so verblüffend, daß man sie
nie wieder vergißt, wenn man sie einmal gesehen hat. Aber ich
kann mich nicht erinnern, daß irgend eine reklamesuchende
chinesische Firma jemals mit einer dieser glorios untergebrachten
Agenturen in Geschäftsverbindung getreten ist. In dem
Augenblick, da der Chinese hier eintrat, berechnete er instinktiv
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ die Kosten der Teppiche, der modernen Einrichtung, des Gehaltes
der entzückenden Sekretärin. Und da konnte er nur zu einem
Schluß kommen: `Zuviel Aufmachung! Zuviel Erhaltungskosten!
So etwas kostet Geld, und jemand mu es bezahlen. Ich werde das
nicht sein. Ich will mich mit einer Firma in Verbindung setzen, wo
man mich mit Reklamebedient und nicht nur mit
Innendekoration."
Moden und Ideen ändern sich, und in der heutigen Generation
nirgends so schnell wie in China. Und so ändert sich auch die
Mode, was Büroräume betrifft. Im Ausland erzogene Chinesen
haben da Einfluß genommen, wahrscheinlich noch größeren aber
die Realitätenhausse in Shanghai. Die Studenten, die in Amerika
erzogen wurden, kamen mit dem Spiegelscheiben- und
Stahlmöbelkomplex zurück und der Vorstellung, daß der
Fortschritt Chinas von der Übernahme dieser neuen Dinge
abhänge. Einigen gelang es, ihre Väter davon zu überzeugen, aber
bei weitem nicht allen.
Die Tatsache, daß Shanghai für große Grundtransaktionen reif
war, zeigte sich einigen Finanzleuten in aller Deutlichkeit.
Schäbige alte Gebäude wurden niedergerissen und dafür neuere,
schönere und kostspieligere gebaut, für die wir höhere Miete zu
zahlen hatten. Mit Aufzügen statt Treppen, mit Spiegelscheiben
und allen anderen Errungenschaften moderner Bürohäuser
ausgestattet, übten sie natürlich einen Einfluß auf die
Einrichtungsmode der Stadt, und jetzt gibt es viele in jeder
Beziehung moderne Bürohäuser. Aber mit sehr wenigen
Ausnahmen sind diese sehr hübschen Büros mit ihrer modernen
Einrichtung im Besitz von Fremden. Da die Errichtung der neuen
Gebäude sehr viele alte Gebäude ihrer Mieter beraubte, zogen die
Chinesen bei noch billigerem Mietzins ein, als man früher gezahlt
hatte. Der Chinese wird wohl erst dann moderne Büros mit guter
Einrichtung beziehen, wenn, was problematisch ist, Shanghai so
gründlich neu aufgebaut wurde, daß keine schäbigen Gebäude
mehr verfügbar und alle aus zweiter Hand eingerichteten Läden
verschwunden sind.
Wenn die Jungen, die in den kleinen Läden arbeiten, nur selten
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ fixes Gehalt beziehen, bedeutet das doch nicht, daß sie kein
Taschengeld hätten. Dies kann in manchen Läden sogar ziemlich
reichlich sein. Nach einer sehr alten und unantastbaren Sitte ist
alles, was in einen Laden kommt, mit Ausnahme der Ware selbst,
Plundergut für die Gehilfen. Also alle Schachteln, Kisten, Fässer
und anderes Verpackungsmaterial, Warenmuster und alle
Reklamegegenstände. Die Packkisten sind das Einträglichste. Die
Nägel werden sorgfältig entfernt, die Holzbretter sortiert und
verkauft. Sie erzielen gute Preise. Mit geringfügigen Ausnahmen
wird alles Brennholz in China importiert, und in inneren Teilen
des Landes, wo keine lokale Produktion an Brennholz besteht, ist
es zufolge der hohen Frachtkosten überaus teuer. Die einzelnen
Bretter einer Frachtkiste sind in manchen Teilen Chinas vier- und
fünfmal so viel wert wie in der überseeischen Sägemühle. Für
einen Chinesen, der im Innern des Landes lebt, wäre es ebenso
sinnlos, eine Packkiste zum Heizen zu zerhacken wie für Leute in
holzreichen Ländern, ihre Möbelstücke zu verheizen.
Ziemlich viele Fabrikanten, die den Versuch gemacht haben, an
dem Verpackungsmaterial in China zu sparen, haben entdeckt, daß
dies ein kostspieliges Experiment ist. Wenn ein Laden zwei
konkurrierende Sardinenmarken auf Lager nimmt, sagen wir, die
eine verpackt in einer Kiste mit einem Wiederverkaufswert von
dreißig Cent, und die andere in einer Kiste mit einem
Wiederverkaufswert der Hälfte dieses Betrages, ist es gar nicht
fraglich, welche Marke den gesamten Angestelltenstab zu den
größten Bemühungen bewegen wird. Die Marke mit der Kiste zu
fünfzehn Cent wird in eine ferne Ecke geschoben und die andere
dem Kunden vor die Nase gelegt. Es gibt nur wenige Fibrekisten
in China. Sie werden dort zwar erzeugt und für Exportzwecke
allgemein als Verpackung verwendet, aber nur wenige Fabrikanten
wagen es, sie zur Verfrachtung von Waren ins Innere des Landes
zu verwenden. Sie haben keinen Wiederverkaufswert, und alle
Waren, die darin verpackt sind, würden dem entschiedenen
Widerstand der Leute begegnen, die den Verkauf tatsächlich
durchführen. Andererseits verwenden manche Fabrikanten
absichtlich schwerere und kostspieligere Verpackung, als nötig
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ wäre, denn sie glauben, so einen größeren Verkauf zu erzielen. Die
Mehrkosten werden, dem Engrospreis zugeschlagen, auf die
Kunden überwälzt; der Gehilfe hat den Nutzen davon, und
jedermann ist zufrieden. Der Mann, der seine Produkte in China
anbringen will und den Wiederverkaufswert der Packkisten und
anderen Emballagen nicht genau kennt, hat noch nicht einmal die
Kindergartenkenntnisse des chinesischen Handels erworben.
Andererseits wird einem Fabrikanten, dem es gelingt, eine
praktische Verpackung mit niedrigeren Gestehungskosten und
hohem Verkaufswert zu ersinnen, der Erfolg sicher sein, und
vielleicht wird er ein sehr großes und gewinnreiches Geschäft
ohne die Hilfe einer Reklameagentur aufzubauen vermögen.
Musterstücke, die dem Detailverkäufer zur Verteilung an seine
Kunden gegeben werden, gehören zur selben Kategorie wie das
Verpackmaterial, und wenn die Menge groß genug ist, sind sie von
noch größerem Werte, aber nicht als Mittel, den Verkauf zu heben,
sondern als Mittel, die Taschen der Verkäufer zu füllen. Mit ihrem
harten Hausverstand, der auf die Notwendigkeit zurückgeht, jede
anscheinend herrenlose Kupfermünze an sich zu reißen, können
die Chinesen nicht verstehen, warum etwas weggegeben wird, und
wenn ein Artikel, sogar ein Musterstück, das also kostenlos sein
soll, überhaupt von Wert ist, zahlen sie gerne dafür. Das Ergebnis
ist, daß die Gehilfen Musterstücke, die irgendein
hoffnungsfreudiger Fabrikant liefert, verkaufen und von dem Erlös
ihre Zigarettenspesen decken. Da die sichersten Kunden Leute
sind, die diese Marke von, sagen wir, Zahnpasta bereits
verwenden, verkauft man ihnen die Muster gewöhnlich zu sehr
niederem Preis, so daß der Fabrikant zumeist nichts anderes erzielt
als Verlust und den Verzicht auf den Absatz eines gewissen
Quantums einiger regelrechten Packungen. Außerdem schafft er
einen sehr üblen Präzedenzfall, denn sobald die Gehilfen entdeckt
haben, daß ein Fabrikant dumm genug ist, gute verkäufliche Ware
zu verschenken, hören sie nie mehr auf, weitere und weitere
Mustersendungen von ihm zu erpressen.
Von Zeit zu Zeit lese ich in den amerikanischen
Reklamezeitschriften von einer erfolgreichen Musterpropaganda,
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ durch die der Erzeuger eines neuen Produktes seine Marke fast
über Nacht allbekannt machte, indem er regelrechte Packungen als
Muster fürstlich verteilte. In allen Fällen handelt es sich hier um
denselben Grundgedanken. Ein Kupon ist aus der Zeitung
auszuschneiden und in bestimmten Geschäftslokalen gegen eine
Packung des angekündigten Artikels auszutauschen. Manchmal
wird der Leser aufgefordert, den Kupon beim Kaufmann
einzureichen, der diese Musterpackungen aus seinem Lager
hergibt, und der Fabrikant entschädigt den Händler dadurch, daß
er den vollen Detailpreis der verschenkten Musterstücke bezahlt.
Das ist wohl eine gute Idee, wären nicht so viele Fabrikanten
daraufgekommen. Aber ich schauere bei dem Gedanken, was wohl
passierte, wenn wir etwas Ähnliches in China versuchten.
Wir machten in dieser Hinsicht zwei Erfahrungen, und beide
waren recht traurig. In dem ersten Fall, der sich knapp nach dem
Krieg abspielte, handelte es sich um eine alte und hochachtbare,
sehr konservative britische Firma, die die Vertretung eines New
Yorker Hauses übernommen hatte, das Talkpuder, billige
Parfümeriewaren und ähnliche Dinge erzeugte. Die New Yorker
Fabrikanten sandten, voll des Selbstvertrauens und des
Überschwanges der Nachkriegsprosperity, tausende Muster nach
Shanghai und genaue Einzelheiten über die Methode, die sie
angewandt hatten, um ihr Produkt in Amerika von Stadt zu Stadt
zu popularisieren. Eigentlich handelte es sich hier um eine
Einladung an alle Leser, mit einem Kupon vorzusprechen und ein
Muster in Empfang zu nehmen, das in einer Miniaturpackung von
Puder, Parfüm, Seife oder Zahnpasta bestand.
Zu den von der britischen Firma mitübernommenen Verträgen
gehörte auch der mit uns geschlossene, und wir wurden ersucht,
die Kampagne ins Werk zu setzen. Wir erhoben unsere Stimme
gegen die kostenlose Verteilung und schlugen für die Muster einen
niederen Preis von ungefähr zehn Cent vor. Der Direktor dieser
ziemlich aristokratischen alten Firma hatte vorher immer mit
wichtigen und großen Artikeln zu tun gehabt, zum Beispiel mit
Baumwolle, Maschinen und Färbstoffen und hatte sich ein wenig
gekränkt, als seine Londoner Direktoren ihn zwangen, sich hier in
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ der kosmetischen Branche zu betätigen. Unser Vorschlag, für die
Muster einen Preis einzuheben, versetzte ihn in ziemlich
begreifliche Wut. Ob wir denn glaubten, daß er einen Kramladen
führe, fragte er. Meinten wir denn, daß seine Firma, weil sie sich
schon in dieser Dreckbranche betätige, so weit herabgekommen
sei, daß sie sich das Porto bezahlen lasse und von Kulis
Kupfermünzen verlangen müsse? Schließlich wurde also die freie
Ausgabe der Muster angekündigt, aber wir brachten diese
Ankündigung absichtlich nur in einer einzigen der lokalen
Zeitungen, und zwar in der am wenigsten verbreiteten, von der wir
uns die geringsten Resultate erwarteten.
Bevor das Büro der Agentur am Morgen nach dem Erscheinen
der Ankündigung geöffnet wurde, hatte sich schon eine stattliche
Menge versammelt, eine Stunde später war die Straße abgesperrt.
Man konnte die Muster gar nicht schnell genug ausgeben, und die
Menge wurde unruhig. Jemand warf einen Ziegelstein durch eine
Spiegelscheibe. Die Polizei wurde berufen und mußte die Straße
säubern, damit der Verkehr weitergehen konnte. Schließlich wurde
der Direktor vor die Polizei zitiert und mußte wegen Verstoßes
gegen die Verkehrsregeln fünf Pfund zahlen.
Mehrere Jahre später hatten wir mit einer ähnlichen Sache zu
tun und waren der Meinung, daß es uns gelungen sei, ein System
auszuarbeiten, das uns wenigstens eine Verhandlung vor dem
Polizeirichter ersparen konnte. Es handelte sich darum, gegen
einen aus einer Zeitung ausgeschnittenen Kupon jedermann ein
normalgroßes Stück Toilettenseife zu geben. Wir sorgten dafür,
daß diese Muster an vierzig verschiedenen Stellen ausgegeben
wurden, so daß auch die größte Nachfrage über ein weites Gebiet
verteilt war und nicht zu ernstlichem Wirbel führen konnte. Um
uns vor einer Nachahmung der Kupons und ähnlichen
Mißbräuchen zu schützen, hielten wir den Plan vor allen, bis auf
einige wenige Durchführende, geheim. Der erste Text, den wir den
Zeitungen sandten, enthielt keinen Hinweis auf eine freie
Verteilung, sondern wir tauschten erst im letzten Augenblick den
Text der Einschaltung aus und gingen mit dem Gefühl unserer
eigenes Klugheit zu Bett.
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[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Am nächsten Tag entdeckten wir, daß wir doch nicht klug
genug gewesen waren. Während die Zeitungen gedruckt wurden,
bemerkte jemand dieses freie Angebot, und bald wußten alle
Zeitungsjungen in Shanghai davon. Sie bestellten sofort eine
größere Zahl Zeitungen, so daß ungefähr zehntausend Exemplare
über die Auflage gedruckt wurden. Dann schnitten diese Knaben
die Kupons aus allen Blättern, lieferten die verstümmelten
Zeitungen ab oder verkauften sie und standen um acht Uhr, als die
Einlösung der Kupons beginnen sollte, schon bereit.
Natürlich hatten wir vorgesehen, daß eine Person nur einen
Kupon überreichen durfte, was in der Theorie sehr hübsch war, in
der Praxis aber nur eine alberne Phrase. Als wir diese Bestimmung
mit Zwang durchsetzen wollten, nahmen die Zeitungsjungen, die
die Taschen voll mit Kupons hatten, einfach Banden kleiner
Jungen auf und zahlten ihnen für jeden eingelösten Kupon ein
Kupferstück. Das paßte diesen Schurken sehr gut, denn sie setzten
sich in ein Teehaus in der Nähe, das einen sehr geeigneten Platz
für die Mengen von Seifen bot, die sie fast nichts kosteten. Ehe der
Tag um war, hatten wir für mehrere tausend Dollar Muster verteilt,
von denen, soweit wir es beurteilen konnten, mehr als neun
Zehntel in die Hände der Zeitungsverkäufer gelangten. Sie
verkauften dann die Seife an Händler, die sie zu sehr niederem
Preis feilboten, und in weniger denn sechs Monaten nach der
Geburt war die neue Marke vollständig tot und erledigt.
Wenn wir Reklamematerial an irgend einen Ort in China
verschicken, versuchen wir immer, uns die Gebühren dadurch zu
ersparen, daß wir die Ware vor der Finanzbehörde als `von
keinerlei kommerziellem Wert" erklren. Diese Phrase, die bei
Frachtbriefen über Reklamematerial allgemein gebräuchlich ist, ist
gänzlich falsch, soweit es sich um China handelt. Ich könnte mir
überhaupt nichts vorstellen, was hierzulande keinen Handelswert
hätte. Das schäbigste Zirkular kann nützlichen Zwecken zugeführt
werden, für die es nie bestimmt war. Zumeist wird man es als
Packpapier verwenden oder mit ähnlichen Papieren
zusammenlegen, worauf es gute Einlagesohlen für Schuhe ergibt.
Eine alte Geschichte erzählt, daß auf diese Weise die Traktate der
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ religiösen Gesellschaften sehr große Verbreitung finden. Ist das
Zirkular nur auf einer Seite bedruckt, kann es als Schreibpapier
benutzt werden oder ein sehr hübsches Kuvert abgeben. Farbige
Plakate kann man ganz gut verkaufen, manchmal sogar
bemerkenswert gut. Einmal stellten wir ein großes lithographiertes
Plakat für eine amerikanische Zigarettengesellschaft her, und
dieses Plakat konnten wir später zu fünfundzwanzig Cent
verkaufen, also faktisch um einige Cent mehr als die
Erzeugungskosten. Chinesen kaufen solche Plakate als
Kunstwerke und schmücken damit ihre Wohnungen und finden
nichts Tadelnswertes daran, daß diese Bilder eine Zigarettensorte
oder Lebertran ankündigen. In Shanghai und in jeder anderen
großen Stadt gibt es Kaufleute, deren einziges Lager aus
Reklamekalendern und Plakaten besteht. Metalltafeln sind von
Wert, besonders aber die schweren Emailtafeln, die britische
Reklamefirmen auf den Londoner Autobussen anbringen lassen.
Diese ergeben nämlich gute kleine Öfen. Ein Geschäft in Sutschau
verkauft seit Jahren Öfen dieser Art, die aus schottischen
Whiskytafeln verfertigt sind. Der Eigentümer des Ladens scheint
eine unerschöpfliche Quelle von Rohmaterial zu besitzen,
wahrscheinlich hat er einen Neffen, der für irgendeine englische
Whiskyagentur arbeitet.
Sehr wenige dieser Ladengehilfen wären imstande, eine
Fähigkeitsprüfung zu bestehen, die sie zur Arbeit in einem
besseren Londoner Geschäft qualifizieren würde, doch tun sie alle,
offenbar aus Instinkt, etwas, das jedem Detailisten in jedem
anderen Land das Herz vor Freude hüpfen ließe. Wenn man einem
eine Banknote oder Münze reicht, nennt er sofort den Wert. Er hält
einem das Geldstück vors Gesicht und sagt: `Fnf Dollar" oder
`Zehn Dollar", wie es sich eben trifft. Darum gibt es in China
niemals Geznke oder Mißverständnis von Seiten des Kunden. Der
Direktor eines Warenhauses in Milwaukee erzählte mir bei seinem
Besuch in Shanghai, daß er tausende Dollar ausgegeben hatte, um
seinen Verkäuferinnen dies beizubringen, doch war es ihm nie
gelungen. Er besichtigte eine Menge kleiner Läden in Shanghai,
und ich glaube, daß er sehr viele Einkäufe machte, nur um des
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Spaßes halber, zu hören, wie der Gehilfe den Nennwert der
überreichten Banknote wiederholte. Als er schließlich China
verließ und nach Amerika zurückfuhr, erklärte er mir, kein
einziger Verkäufer in der ganzen Stadt habe dies unterlassen.
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ VIERTES KAPITEL
Hungertod für die Seemöwen
Ein chinesischer Freund, der ziemlich viel Zeit in meinem
Büro verbringt, machte unlängst einen Abstecher nach
Dairen und kam mit tiefen Eindrücken von der sichtlichen
Prosperität dieses japanischen Schmugglerparadieses nach
Shanghai zurück. Die sehr modernen Werften und Docke machten
ihm keinen so großen Eindruck, wie sie es vielleicht einem
Ausländer gemacht hätten, der einen Blick für so etwas hat, denn
die Einstellung meines Freundes ist eher menschlich als
mechanisch. Er äußerte sich des längeren über die warmen
Kleider, die jedermann dort zu tragen schien, und über die gehäuft
vollen Eßschalen, die selbst der ärmste Arbeiter in diesem
modernen, blühenden Schmugglernest hatte. Er war so
enthusiastisch, daß er durch Tage von nichts anderem sprach.
Wenn irgend jemand im Büro die Meinung äußerte, er habe ein
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ wenig übertrieben, brachte er einen endgültigen und schlüssigen
Beweis vor. Die Bevölkerung Dairens, so sagte er, sei so
wohlhabend, daß die Straßen der Stadt mit Zigarettenenden besät
seien, und niemand nehme sich die Mühe, sie aufzulesen.
Auf dem Pflaster der rein chinesischen Stadtteile Shanghais
liegen keine Zigarettenstummel. Wenn hier, ebenso wie in anderen
Teilen Chinas, ein Raucher mit seiner Zigarette fertig ist, ist so
wenig davon übriggeblieben, daß er sich beim nächsten Zug die
Lippen verbrennen würde. Was übrigbleibt, kann nur deshalb als
Stummel bezeichnet werden, weil es etymologischen
Schwierigkeiten begegnet, einen anderen geeigneten Ausdruck zu
finden. Ausländische Raucher sind verschwenderischer. Die
meisten von ihnen werfen eine Zigarette fort, wenn noch ein guter
halber Zoll übriggeblieben ist, und es gibt sogar noch
verschwenderischere. Aber es geht nichts verloren. Dieses
Strandgut des Pflasters wird von scharfäugigen alten Männern
beobachtet, die mit einem Haken am Ende eines Stockes die
kommerziell verwertbaren Stummel aufheben und in eine
Blechbüchse legen. An Regentagen, wenn man dieser Tätigkeit
nicht nachgehen kann, entfernt man dann den angebrannten Teil,
schüttet den Tabak aus dem Papier und verfertigt aus diesem
Material eine Menge leicht verkäuflicher Zigaretten. Was
Reingewinn betrifft, ist dies das profitreichste Zigarettengeschäft
der Welt. Hier gibt es keine Spesen, weder für Material noch für
Ankündigung, und jeder Cent, den der Erzeuger einnimmt, ist
nahezu Reingewinn. Außerdem dient dieses Gewerbe dem
nützlichen Zweck, die Straßen sauber zu halten.
Während des japanischen Krieges gegen Shanghai im Jahre
1933 gab es einen furchtbaren Aufwand an Munition aller Sorten,
von schweren Granaten bis zu Maschingewehrkugeln. Faktisch
äußerten einige der Ausländer in Shanghai die Ansicht, daß die
Japaner Unmengen alter Munition auf Lager hätten und darum
entschlossen seien, sie gegen die von den Chinesen beigestellten
lebenden Ziele zu verwenden und dabei gleichzeitig auch
militärisch nützliche Erfahrungen zu sammeln. In den Kämpfen,
die in der Hongkiuer Sektion der internationalen Niederlassung
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ von Shanghai stattfanden, kam es zu einer unglaublichen und
allem Anschein nach nutzlosen Verschwendung von Munition. Es
gab in Hongkiu keine chinesischen Soldaten und hatte auch nie
welche gegeben, aber die japanischen Infanteristen und
Maschingewehrmannschaften schossen auf jedes bewegliche
Objekt, und die Artilleristen zeigten bemerkenswerte
Geschicklichkeit beim Zusammenschießen chinesischer Häuser,
während sie nahegelegene Bauten, an denen die Japaner irgendwie
interessiert waren, unbeschädigt ließen. Viele harmlose,
friedfertige Chinesen wurden getötet, und das Gemetzel unter den
Katzen war geradezu grauenhaft.
Während die Japaner dieses blutige militärische Fest feierten,
zog jedermann aus dem Gebiet fort, sogar die Polizeireviere
wurden geschlossen, und die Straßen lagen menschenleer bis auf
die zahlreichen japanischen Truppen. Der einzige Zweig des
Gemeindedienstes, der während der ganzen Zeit in der größten
Gefahr war, aber trotzdem, solange der Krieg dauerte, weiter den
Betrieb aufrecht erhielt, war die Straßenreinigung. Die Kulis, die
die Straßen von Hongkiu fegten, wurden an sicherere Stellen der
Niederlassung beordert, doch kümmerten sie sich nicht um den
Befehl. Sie taten so, als hätten sie ihn nie gehört, und blieben auf
ihrem alten Posten. Einen großen Teil der Zeit verbargen sie sich
an verhältnismäßig sicheren Orten, aber wenn das japanische
Scheibenschießen abflaute, schwärmten sie mit ihren Besen und
Körben aus, um die reiche Ernte leerer Schrapnellhülsen und
anderer Utensilien des modernen Krieges einzuheimsen. Dies war
wahrscheinlich die einzige Gelegenheit ihres Lebens, daß sie
etwas von Wert von der Straße fortfegen konnten. Gewöhnlich
unterziehen schon Frühaufsteher die Straßen einer ziemlich
genauen Musterung und heben die wichtigeren Papierstücke auf,
bevor die Straßenkehrer an die Arbeit gehen. Hier aber hatten
diese ein reiches Betätigungsfeld ohne Konkurrenz und nutzten es
nach Möglichkeit aus. Als wenige Stunden nach dem endgültigen
Abschluß der Kämpfe eine ganze Armee von Shanghaier
Andenkenjägern in die Kriegszone einfiel, fanden sie nicht einmal
mehr eine einzige leere Patronenhülse. Der Shanghaier Krieg war
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ in dieser Beziehung wahrscheinlich der sauberste Krieg, der je
geführt wurde, denn an jedem Morgen, an dem ihnen die
Gewehrkugeln nicht um die Ohren pfiffen, waren die
straßenkehrenden Kulis an der Arbeit und säuberten das
Schlachtfeld so sorgfältig, daß es aussah wie eine frisch.
gescheuerte Küche.
Der Hafen von Shanghai, der, was die ein- und ausfahrende
Tonnage betrifft, der zweitgrößte Hafen der Welt ist, ist nicht nur
einer der wichtigsten und regsten, sondern auch einer der
saubersten auf Erden. Das Wasser zeigt nicht jenes blendende
Blau, das man an anderen begünstigteren Orten finden kann; es ist
von schmutzigem Gelb. Immerhin findet man auf dem Wasser
nicht jene Abfälle anderer Hafenstädte, weder zerbrochene
Obstkisten noch halb untergesunkene Säcke, verfaulte Orangen
und dahintreibende Holzstücke. Alle diese Dinge sind von Wert
und werden von den umherfahrenden Boten aufgelesen. Die
meisten Touristen bezeichnen in ihrer Unwissenheit die ehrbaren
Fahrzeuge als `Bettlerboote". Dieser herabsetzende Ausdruck ist
ebenso ungenau wie unrichtig. In ihrem beschrnkten Kreise ist die
von diesen Shanghaier Boten geleistete Arbeit ebenso achtbar wie
die großer Konzerne mit Dampfbarken, Aktionären und
Verwaltungsräten. Der Unterschied liegt nur in Umfang und
Wichtigkeit der Unternehmungen. Diese bescheidenen Boote sind
flach und so klein, daß ein einziger Ruderer sie vorwärtsbewegen
kann. Die Mannschaft besteht immer nur aus dem Besitzer, seiner
Gattin oder seinen Kindern, die noch zu jung sind, um einem
nützlichen Erwerb zu Lande nachzugehen. Die Energien der
ganzen Familie gelten dem Sammeln von Abfall auf dem
Wasser.
Wegen der übermäßigen Sorgfalt dieser Arbeit gibt es keine
Möwen in Shanghai. Diese nützlichen gefräßigen Vögel gedeihen
an den Küsten Schottlands, würden aber hier verhungern. Es gibt
eine phantastische Geschichte, daß wandernde Möwen sich
gelegentlich in Shanghai niederlassen, aber immer wieder
davonfliegen und ihre Gefährten vor der Reise hierher warnen.
Sobald ein großer Handelsdampfer oder ein Kriegsschiff in
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Shanghai Anker wirft, verankert sich eines der kleinen Boote an
einer Stelle, wo man alles, was von dem großen Schiff als Abfall
weggeworfen wird, auffischen kann. In der britischen und
amerikanischen Marine ist es üblich, einen oder zwei Tage vor der
Ankunft in Shanghai das Schiff nicht mehr zu säubern. Dies führt
zu einer Ansammlung von erstaunlich vielen leeren Flaschen,
Konservenbüchsen und manchmal auch von Lebensmitteln, die die
Schiffsärzte als ungenießbar erklärt haben. Mitglieder der
Besatzung heben auch die unbrauchbar gewordenen alten
Kleidungsstücke auf, und so wird für die Bereicherung der
menschlichen Möwen Shanghais gesorgt.
Wenn eines dieser mit Schätzen beladenen Kriegsschiffe in den
Hafen eindampft, kommen die Boote herangeschwärmt, genau so
wie die arabischen Piratenschiffe es vor hundert Jahren bei den
Segelschiffen taten. Jeder Bootsmann tut sein Bestes, zuerst
anzulangen. Es gibt viel Schimpfreden und Gezänke und eine
Menge Streit. Die Mannschaften der britischen und
amerikanischen Kriegsschiffe beobachten diese Wettfahrten mit
lebhaftem Interesse und belohnen den Sieger mit üppigen Preisen,
indem sie ihm den besten Abfall geben, den sie finden. Aber er
darf nicht alles nehmen. Sobald die Müllkisten eine Menge
geliefert haben, die gerecht und angemessen erscheint, muß der
Inhaber des Bootes einem anderen den Platz räumen. Von der
Stunde, da das Kriegsschiff in Shanghai anlegt, wird es bis zu
seiner Abfahrt ununterbrochen von diesen kleinen Booten umringt.
Den Leuten entgeht nichts. Die Flaschen und Blechdosen sind
sofort verwertbar, und die Lebensmittel dienen als Futter für
Schweine und Hühner. Alles hat in China irgendwie Wert und
kann zu barem Gelde gemacht werden.
Jeder ausländische Haushalt liefert große Mengen von Abfall,
der von dem Hauskuli in Anspruch genommen wird. Eigentlich
müßte der gierige Eifer, mit dem die Hauskulis jeden
weggeworfenen Gegenstand im Hause auflesen, darauf hinweisen,
daß die Hauptfunktion eines Haushaltes darin besteht, ihn mit
verkäuflichen leeren Flaschen, Konservenbüchsen, alten
Zeitungen und abgelegten Kleidungsstücken zu versorgen.
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Kleidungsstücke sind nur selten zu alt, als daß man sie verkaufen
könnte, wenn aber doch, werden sie in ihre Bestandteile zerlegt.
Dann kann man die Stücke wieder zusammenfügen und fast alles
von einem Hemd bis zu einem Überrock daraus verfertigen. Ein
paar Knöpfe sind ja vielleicht schadhaft oder zerbrochen, doch
können solche Fehler den Marktwert zwar herabsetzen, aber
keineswegs aufheben. Wenn im Hause geschneidert wird, wird
jedes Stück Tuch aufgehoben. Kann man das nicht anders
verwenden, werden verschiedene Schichten von Lappen
zusammengeklebt und liefern dann recht verwendbare
Schuhsohlen. Die Segel sehr vieler Yangtzedschunken sind aus
alten Mehlsäcken zusammengeflickt. Manche Blechdosen sind
wertvoll, so wie sie sind. Von anderen wird der Boden genommen,
und dieses Stück Blech kann dann zu allen möglichen Zwecken
verwertet werden. Wenn man genug davon gesammelt hat, kann
man das Dach seines Hauses mit Blech decken. Jedes Stück
zerbrochener Fensterscheibe hat Wert, da die Zimmerleute
Glasscherben zum Glätten der Holzwaren verwenden. Unser
Hauskuli durchsucht Tag für Tag den Papierkorb nach alten
Manuskriptseiten, die ich fortgeworfen habe. Er bildet sich
keineswegs ein, daß Seiten mit meiner Handschrift je historischen
Wert haben oder Sammlungsgegenstände werden könnten, aber er
weiß, daß nur eine Seite des Papiers beschrieben wurde, daß also
nur die Hälfte des nützlichen Schreibpapiers entwertet worden ist
und daß er den Rest leicht an Studenten verkaufen kann. Kleine
Bleistiftstummel werden vermutlich von denselben Abnehmern
erstanden. Unser Kuli hebt sogar alte Bildnegative auf, obwohl ich
mir ganz und gar nicht vorstellen kann, wozu er sie verwendet,
wenn nicht fürs Feuermachen.
Hunderte von Kulis schieben ihre Karren durch Shanghai und
sammeln den Abfall aus den Häusern von drei Millionen Leuten.
Dies ist eine melancholische Beschäftigung, nicht wegen ihrer
Niedrigkeit, sondern wegen des gänzlichen Mangels einer Chance.
Diese Unglücklichen wissen, daß sie niemals eine leere
Bierflasche finden werden, ein altes Paar Schuhe oder einen
zerbrochenen Sessel. Sie wissen, daß sogar alte Zeitungen, wenn
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ sie welche entdecken, so zerfetzt oder zerknittert sind, daß sie
keinerlei Wert mehr haben. Die Dienerschaft des Hauses achtet
immer darauf, daß ihr nichts, was irgendwie nützlich oder
verkäuflich sein könnte, entgehe.
Da sich die chinesischen Boys und Köche in der Regel weit
besser auf den Haushalt verstehen als die ausländischen Damen in
Shanghai, überlassen diese gnädigst die Führung des Hauses den
Dienern und haben daher reichlich Zeit, Bridge zu spielen. Das
Leben ist für sie eine ununterbrochene Serie von Weekends, die
Donnerstag morgens anfangen und erst Mittwoch abends enden.
Shanghai ist vermutlich der einzige Ort auf Erden, wo
Bridgepartien um neun Uhr früh beginnen und wo die Gattin zur
selben Zeit, zu der der Gatte ins Büro geht, sich zu ihrem Bridge
begibt. Die Menge leicht beschmutzter Spielkarten, die hier
weggeworfen werden, ist phantastisch und verleiht dem tüchtigen
Hauskuli die Möglichkeit, sich manches schöne Stück
Schweinefleisch zu kaufen. Er versorgt auch die Rikschakulis mit
unvorstellbar billigen Karten, denn jede Karte wird in zwei Stücke
geschnitten, wodurch aus einem Spiel zwei werden, und außerdem
Spiele, die in die Taschen einer chinesischen Jacke passen. Denn
wenn man ein Kartenspiel genau betrachtet, wird man bemerken,
daß man jede Karte, ohne ihre Verwendbarkeit zu zerstören, in die
Hälfte zerschneiden kann.
Eine der interessantesten Straßen in Shanghai ist die Peking
Road, berühmt für ihre Trödelläden. Manche der vornehmeren
Geschäfte handeln nur mit gebrauchten Möbeln. Wenn man Glück
hat und mit Verstand einkauft, kann man jederzeit zu ganz
vernünftigen Preisen wertvolle Antiquitäten finden. In den
bescheideneren Lokalen findet man viel von dem Abfall der
ausländischen Häuser. Hier kann man auch alte Zylinderhüte,
Reitstiefel, Sättel, Golfbälle und leicht schäbig gewordene
Halskragen erstehen. Einige Geschäfte spezialisieren sich auf
Bestandteile von Automobilen: Kühler, Motoren, Steuerräder und
alte Reifen. In anderen Läden findet man Bestandteile von Barken:
Schiffsmaschinen, Schiffslaternen, Glocken und Rettungsgürtel.
Man sollte glauben, daß man nur dank einem geradezu
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ wunderbaren Zusammentreffen in dieser höchst spezialisierten
Sammlung von Abfall etwas finden könnte, was brauchbar wäre,
aber ich komme auf meinem Büroweg mehreremal am Tag an
diesen Lokalen vorbei und sehe, daß hier ständig Verkäufe getätigt
werden. Ich kaufte einmal eine gebrauchte Bärenfalle, nicht etwa
weil ich danach einen Bedarf gehabt hätte, sondern weil ich so
überrascht war, eine im Handel zu finden. Sehr wahrscheinlich
könnte jemand, der genügend Geduld hat, den Teilen nachzujagen
und genügend Geschicklichkeit, sie zusammenzustellen, sich aus
dem Kram der Peking Road ein vollständiges Auto bauen.
Wenn ich sage, daß alles in China seinen Wert hat, ist diese
Behauptung buchstäblicher aufzufassen, als man glauben möchte,
denn sie trifft auch auf alte Münzen zu. Als vor zwanzig Jahren die
Ausprägung des Silberdollars, für die erst später eine zentrale
Stelle geschaffen wurde, noch nicht gleichförmig vor sich ging
und noch eine große Zahl provinzieller Münzen in Geltung
standen und außer den im Lande geprägten Münzen noch viele
mexikanische und ein paar alte spanische Dollar in Umlauf waren,
und da die Leiter der verschiedenen provinziellen Münzämter
verschiedener Ansicht über das Gewicht und den Feingehalt eines
Dollars waren und außerdem ihre Ansichten von Zeit zu Zeit
änderten, hatten wir Dollarsorten von sehr verschiedenen Werten.
Bei jeder Transaktion mußte man genau spezifizieren, um welche
Dollars es sich handelte, oder mußte zu einem Übereinkommen
über das Wertverhältnis der verschiedenen Münzsorten gelangen.
Reisende schleppten gewöhnlich eine verwirrend große Kollektion
von Dollars mit sich, und die chinesische Staatsbahn hatte in den
meisten großen Stationen eine offizielle Liste mit dem
Umrechnungskurs der verschiedenen Provinzdollars ausgehängt.
Am Schluß der Liste stand eine Zeile: `Falsche Mnzen werden
zum Marktpreis in Zahlung genommen."
Wir haben jetzt eine auf Papier beruhende Währung, und
Silberdollars sind selten, aber zu jener Zeit, da sie einem jeden, mit
Ausnahme der gänzlich Verarmten, die Taschen drückten, war es
gar nicht ungewöhnlich, daß man unter den Andenken an den
gestrigen Besuch eines Kabaretts oder eines Nachtklubs einen oder
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ zwei Dollars dunkler Herkunft fand, Münzen, deren Klang ein
wenig trübe war. Aber die Tatsache, daß sie nicht aus reinem
Silber bestanden oder überhaupt kein Silber enthielten, brachte sie
keineswegs um ihren Wert. Man hatte es auch nicht nötig, sie
verstohlen jemandem anderen anzuhängen. Wir brachten sie
einfach in eine Wechselstube, wo die Sachverständigen sehr
vorsichtig den eigentlichen Wert bestimmten und dann den
angemessenen Preis dafür zahlten. Wenn ich mich heute eines
Tages im Besitz einer ganzen Kiste voll falscher Dollars fände,
ginge ich einfach zu meinem Freund Lott Wei von der
chinesischen Münze, der mir den richtigen Wert ausbezahlen
würde. Was geschähe wohl anderswo, wenn ich den Versuch
machte, eine Anzahl falscher Münzen dem staatlichen
Münzdirektor anzuhängen?
Natürlich ist der Grund für diese milde Einstellung zu
nachgeahmten Münzen der, daß die chinesischen Münzen niemals
mehr wert waren als das darin enthaltene Metall. Ein
Silberklumpen von fünf Pfund war ungefähr ebensoviel wert wie
fünf Pfund Silberdollars, vorausgesetzt, daß es sich um Silber von
gleichem Feingehalt handelte. Die älteren Silberdollars trugen die
genaue Gewichtsbezeichnung des Stückes aufgeprägt, so daß es
keine Mißverständnisse hinsichtlich ihres Wertes geben konnte.
Jetzt sind die Silberdollars vom Papiergeld verdrängt worden, und
an Stelle der kleineren Silbermünzen sind Stücke aus Nickel und
Kupfer getreten. Die neuen Münzen kommen, so schnell sie nur
ausgeprägt werden können, in Umlauf, und die alten Münzen
werden ununterbrochen eingeschmolzen, so daß es nur eine Frage
der Zeit ist, wann die alten Stücke gänzlich verschwunden sein
werden. Viel länger aber wird es dauern, bis der praktisch
denkende Chinese sich an das Wunder gewöhnt hat, daß eine
Kupfermünze mit einem Metallwert von einem Zehntelcent Waren
im Werte von einem Cent erstehen kann.
Wenn ich in England oder Amerika lebte, wußte ich, welchem
Zweig der Wohltätigkeit ich mich mit besonderer Freude widmen
wollte. Statt meine Tageszeitung, nachdem ich sie gelesen habe,
wegzuwerfen, würde ich sie sorgfältig zusammenfalten, sie
63

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ aufbewahren und auch meine Freunde bewegen, desgleichen zu
tun, bis nahezu die ganze Stadt unserem Beispiel folgte. Wenn
dann jedermann Zeitungen von sechs Monaten hat, würden wir sie
in einer Zentralstelle sammeln, sie verpacken und nach China
schicken, wo man sie für die chinesische Hungerhilfe verkaufen
könnte. In China gibt es zu jeder Zeit Hungersnöte, manchmal
große und manchmal etwas kleinere. Dies wäre also ein
wohltätiges Werk, das ständige Unterstützung verdienen würde.
Natürlich ist es möglich, daß in einem solchen Fall, wenn
jedermann die Zeitung aufhöbe und diesem edlen Zweck widmete,
der chinesische Markt überschwemmt und daß der Preis für
abgelegte Zeitungen beträchtlich sinken würde und daß das den
Hungernden zugute kommende Geld bald nicht mehr so ins
Gewicht fiele. Wenn aber der normale Marktpreis aufrechterhalten
werden könnte, würde eine Lieferung abgelegter Zeitungen aus
dem Vereinigten Königreich das hungernde China in einem
geringeren Hungerjahr ernähren und in einem größeren zu seiner
Ernährung sehr viel beitragen.
Vor mehreren Jahren erbten zwei reiche Brüder eine der allzu
zahlreichen fremdsprachigen Zeitungen Shanghais. Sie hatten
keine Ahnung vom Zeitungsgeschäft, hatten aber zum Glück für
sich und für alle Beteiligten aus dem Opiumhandel ihres
Großvaters mitsamt der Zeitung ein stattliches altes Vermögen
geerbt, so konnten sie sich den Luxus leisten, Zeitungsherausgeber
zu spielen. Sie trieben es mehrere Jahre und blieben Amateure.
Einer ihrer Lieblingsscherze war, Sondernummern herauszugeben,
und manche dieser Sonderausgaben hatten sogar Erfolg.
Reklamesuchende, darunter alle unsere Kunden, wissen jetzt
schon, daß so ziemlich das einzige Außerordentliche an einer
Spezialausgabe der Spezialertrag ist, den sie dem Herausgeber
bringt, aber es gibt genug Narren in Shanghai, um dieser Stadt
Monat für Monat und Jahr für Jahr den Weltrekord in
Spezialausgaben zu sichern. In sechs verschiedenen Sprachen
kommen Zeitungen heraus, und jede findet andere Vorwände für
Spezialnummern. Auch die zahlreichen Wochenschriften bringen
beim geringsten Anlaß Sonderausgaben. Die einzigen Leute, die
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ keine veröffentlichen, sind die Herausgeber der jährlich
erscheinenden Adreßbücher und ähnlicher Publikationen, aber
auch die denken wahrscheinlich daran, goldene Jubiläen oder
hunderjährigen Bestand einmal durch Sonderausgaben zu feiern.
Ermutigt durch ihren Erfolg in kleineren Dingen, beschlossen
diese unerfahrenen Zeitungsmänner eine Sondernummer
herauszubringen, die alle früheren Versuche, die sowohl von ihnen
selbst wie von anderen unternommen worden waren, als nichtig
und bedeutungslos erscheinen lassen sollte, und einen Rekord
aufzustellen, den niemand schlagen konnte. Sie nahmen einen
eigenen Stab von Reklame- und Propagandaleuten auf, gewährten
knauserigen Kunden bescheidene Tarifnachlässe und
veröffentlichten eines Sonntagmorgens die dickste Tageszeitung,
die ich je gesehen habe. Da ich in diesen Dingen ein alter Hase
bin, kündige ich niemals in solchen Spezialausgaben an, wenn
nicht meine Klienten darauf bestehen, und diese gargantueske
Ausgabe war ohne jeden Beitrag von uns erschienen. Der
Annoncenchef fühlte solchen Stolz auf seinen Erfolg, daß er sich
ein wenig Großsprecherei nicht versagen konnte, und so kam er
nach ein paar Tagen zu mir, um mir zu sagen, welch wunderbare
Gelegenheit ich versäumt hätte, denn der Verkauf dieser
Sonntagsnummer sei zweimal so groß gewesen wie sonst und viel
größer als der irgendeiner anderen fremdsprachigen Zeitung, die in
China jemals erschien.
Er konnte seine Behauptung auch belegen, aber was mich
betraf, war dies ganz überflüssig, denn ich wußte mit ein wenig
schlechtem Gewissen bereits von dem Verkaufsumfang dieser
Ausgabe und war recht verlegen. Als ich nämlich am Montag
morgen nach dem Erscheinen der großen Ausgabe ins Büro kam,
fand ich das ganze Lokal voll von Exemplaren dieser
Riesenzeitung. Ich brauchte nicht sehr lange, um
herauszubekommen, was geschehen war, obwohl ich, wäre ich
eine halbe Stunde später erschienen, überhaupt nicht entdeckt
hätte, daß etwas geschehen war, denn dann wären alle die
Exemplare der Sonntagsausgabe schon an den Altpapierhändler
verkauft gewesen, der im voraus über diesen Verkauf
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ abgeschlossen hatte. Es war folgendes geschehen. Ein paar Kulis
in meinem Büro, die durch den Verkauf meiner alten Zeitungen
Sachverständige auf dem Altpapiermarkt geworden waren, hatten
erfahren, wie erstaunlich dick diese Sonderausgabe sein werde,
dann hatten sie das Gewicht berechnet und die erfreuliche
Entdeckung gemacht, daß sie Exemplare dieser Zeitung beim
regulären Zeitungsstand an der Straße kaufen und sie dem
Altpapierhändler mit einem Nutzen von ungefähr fünfundzwanzig
Dollar pro tausend Exemplare verkaufen konnten. Daher bildeten
sie ein Syndikat zur Finanzierung des Unternehmens, ließen sich
von Freunden bei ihrer Transaktion helfen und kauften die
Zeitungen direkt von der Presse weg. Sie taten dies so gründlich,
daß zwar die Abonnenten der Zeitung die Sonderausgabe
erhielten, daß aber wahrscheinlich kein einziges Exemplar in die
Hände eines anderen Lesers gelangte. Ich hörte im Büro später
erzählen, daß die Kulis bei diesem Geschäft ungefähr dreihundert
Dollar verdienten.
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ FÜNFTES KAPITEL
Verkäufe ohne Verkäufer
Wenn ein neuer Feldmarschall der Industrie in Shanghai
ankommt, um die Festungen des chinesischen Handels
zu erstürmen, ist eine seiner ersten Ideen die, Stoßtrupps
chinesischer Verkäufer zu organisieren und ohne jeden Zeitverlust
die Sache groß aufzuzäumen. So ist er mit viel Erfolg zu Hause
vorgegangen, und er sieht nicht ein, warum er dieses Programm
nicht auch in China durchführen könnte. Hat er auf dem Schiff
Bekanntschaft mit Leuten geschlossen, die ihm etwas über das
Geschäftsleben Shanghais erzählen konnten, weiß er, daß die
konkurrierenden Firmen mit der Anwendung dieser auf der Hand
liegenden Verkaufshilfe nicht sehr weit gegangen sind, und es
scheint ihm, als stünde die Tür einem jeden weit offen, der es
versteht, eine Verkäufertruppe zu organisieren und zu schulen.
Viele sind schon mit der Bitte zu uns gekommen, ihnen beim Start
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ dadurch zu helfen, daß wir ihnen einen oder mehrere gute
Verkaufsagenten empfehlen, die dann den Zellkern der
Organisation bilden sollten. Wenn man ein solches Ansuchen an
mich stellte, mußte ich jedesmal die gleiche Antwort geben, die
zwar völlig der Wahrheit entspricht, aber Leute, die in Begriffen
westlichen Handels denken, nicht überzeugen kann.
`Ich kann Ihnen leider nicht helfen, denn wenn ich wßte, wo
man einen guten chinesischen Verkaufsagenten findet, würde ich
ihn selbst anstellen." Ein großer Teil der chinesischen Philosophie
ist auf der Idee des doppelten Prinzips der Natur basiert, auf dem
Prinzip des Yang und des Yin. Das heißt: männlich und weiblich,
Sonne und Mond, Hitze und Kälte und so weiter durch unzählige
Kombinationen einander ergänzender Kräfte, die in ihrer
Vereinigung ein vollendetes Ganzes bilden. Das Yin- und das
Yang-Prinzip, die ebenso alt sind wie China selbst, gelten auch in
vielen Ländern, wo man von ihnen noch nichts hörte, und für
Situationen, von denen sich die alten chinesischen Philosophen
nichts träumen lassen konnten. Dieses philosophische Prinzip ist
so vollständig und lückenlos und allumfassend, daß es sogar die
Beziehung zwischen der Kruste und der Füllung einer Pastete, dem
Brot und dem Aufstrich eines Butterbrotes, dem Whisky und dem
Sodawasser eines Drinks einschließt. Diese alltäglichen
Vergleiche haben nichts mit der Philosophie zu tun, und ich führe
sie hier nur an, um die allgemeine Anwendungsmöglichkeit des
Prinzips zu zeigen. So ist es zum Beispiel klar, daß es ohne gute
Zuhörer keine guten Redner geben kann. Die Qualität der
Rednerkunst in der ganzen Welt begann zu sinken, als die Leute
sich der Lektüre von Zeitungen zuwandten und weniger oft
politische Versammlungen besuchten. Dies ist ein Beispiel für die
Anwendung des positiven Yang-Prinzips der Redekunst und des
negativen Yin-Prinzips der Zuhörerschaft, die beide vereint ein
vollendetes Ganzes bilden. Mögen andere diese alte
philosophische Lehre ausarbeiten, bis man darin eine restlose
Erklärung für die Einflüsse der Umgebung finden kann.
Amerika hat die tüchtigste Rasse von Verkaufsagenten
hervorgebracht, die die Welt je gesehen hat, denn die
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ amerikanische Psychologie hat aus Gründen, die ich nicht verstehe
und die ich auch gar nicht zu erklären versuchen werde, diese
Entwicklung möglich gemacht. Vielleicht verwies die Entartung
der Zuhörerschaften solche Leute, deren Temperament nach einer
Gelegenheit zur Stimmentfaltung verlangte, auf dieses ein wenig
beschränktere Feld der Verkaufsagentur. Jedenfalls ist Verkaufen
und Verkauftwerden die große Berufung des Amerikaners. Ebenso
wie meine Landsleute sich an der Dienstleistung des Raseurs und
eines Schuhputzers erfreuen, schwelgen sie in den Besuchen von
Agenten. Es scheint mir, daß eine große Menge amerikanischer
Geschäftsleute besonderes Vergnügen daran finden, sich bequem
in einem Fauteuil niederzulassen und einem guten Agenten die
Stirn zu bieten. Mit Auge und Ohr des Kenners wissen sie seine
Technik zu würdigen, freuen sich einer guten Vorstellung und
ärgern sich über Dilettantismus. Wenn dies nicht wahr ist, verstehe
ich nicht, warum ein so ungeheurer Prozentsatz der Bevölkerung
gewinnbringende Beschäftigung darin findet, andere Leute zum
Ankauf einer Ware zu beschwatzen, obwohl diese Leute doch
ohne fremde Hilfe wissen müßten, ob sie die Ware brauchen oder
nicht. Das Ganze sieht aus wie ein Match, an dem beide Teile das
lebhafteste Vergnügen haben. Der Käufer scheint eigentlich zu
sagen: `Heute bin ich sehr gut in Form, einem Agenten Widerstand
zu leisten. Kommen Sie nur und schauen Sie, was Sie erreichen
knnen."
Wenn der Verkäufer tüchtig ist, trägt er den Sieg davon, die
Füllfeder wird gezückt, und wieder steht eine Unterschrift auf der
punktierten Linie. Will man den Geschichten solcher Käufe, oft
von dem Manne erzählt, der gekauft hat, glauben, vermag man
sich der Überzeugung nicht zu verschließen, daß es in den meisten
Fällen die Technik des Agenten war und nicht der Preis oder die
Qualität der Ware, was den Fall entschied.
Als ich das letztemal Amerika besuchte, hatte ich die größten
Schwierigkeiten, einen Hut und ein paar Krawatten zu kaufen, die
ich sehr notwendig brauchte, denn wie mir schien, wollte niemand
mich etwas kaufen lassen, man bestand vielmehr darauf, mir etwas
zu verkaufen. Ich erinnere mich sehr gut an die Hutepisode. Am
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Herald Square betrat ich einen Laden und kündigte, um meine
Stellung völlig klar zu machen, an, daß ich die Absicht hätte, einen
Hut zu kaufen. Ich sagte nicht, daß ich eine ziemlich genaue
Vorstellung davon hatte, was für eine Kopfbedeckung ich kaufen
wollte, denn ich nahm das als selbstverständlich gegeben an und
dachte auch, man werde mich befragen und meinen Anregungen
irgendwie Beachtung schenken. Doch war dies offenbar nicht der
von smarten Geschäftsmethoden geforderte Vorgang. Der tüchtige
junge Mann warf mir einen höchst anerkennenden Blick zu, nahm
einen Hut vom Regal und zählte mir nun mehr Vorzüge auf, als ein
Hut nach meiner Ansicht überhaupt haben kann.
Da ich lange Zeit die Heimat nicht besucht hatte und an die
entgegenkommende schmiegsame Haltung des chinesischen
Verkäufers gewöhnt war, empfand ich diese aggressive Taktik als
neu und ziemlich verwirrend; aber ich war entschlossen, einen Hut
zu kaufen, nicht mir einen verkaufen zu lassen, und darum sagte
ich: `Ich habe die Absicht, einen Hut zu kaufen. Wenn Sie
aufhren, mir den Hut anhängen zu wollen, den Sie vorziehen, und
mir erlauben, mich im Laden umzusehen, werde ich gewiß einen
finden, der mir zusagt, und ihn kaufen." Irgendein Signal im
Gesichtsausdruck des Verkäufers muß wohl den Direktor
verständigt haben, denn der kam herbeigestürzt, um zu fragen,
womit er mir dienen könne. Ich wollte schon wiederholen, was ich
dem Verkäufer gesagt hatte, aber ich kam nicht weiter als: `Ich
habe die Absicht, einen Hut zu kaufen.A `Hier ist unser letztes
Modell", sagte der Direktor. `Lassen wir das", sagte ich. `Ich
brauche keinen Hut." Da legte sich meine Frau ins Mittel. Die
diplomatischen Beziehungen wurden wieder aufgenommen, und
man verkaufte mir einen Hut. Ich konnte diesen Hut nie leiden und
freute mich, als er dann schon so schbig wurde, daß ich ihn guten
Gewissens einem Shanghaier Rikschakuli schenken durfte. Die
einzige Art, wie ich es je zustande brachte, halbwegs zu meiner
Befriedigung eine Krawatte zu kaufen, war die, daß ich mir im
Schaufenster eine auswählte, in den Laden stürzte und sie kaufte,
ehe der Verkäufer noch die Gelegenheit hatte, den Mund
aufzumachen.
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[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Ich erzähle diese Geschichte nicht, um mich als absonderlichen
alten Griesgram hinzustellen, denn vielleicht macht sie auf die
meisten meiner Leser diesen Eindruck, sondern um zu zeigen, daß
die Amerikaner mehr als irgendein anderes Volk für
Verkäufertüchtigkeit empfänglich sind, und von dieser
Feststellung zu der Erklärung zu gelangen, warum es inChina,
wenn überhaupt, nur wenige chinesische Verkaufskanonen gibt.
Der Grund ist der, daß die Chinesen nicht die nötige Denkart
haben und darum hilflos und nutzlos sind wie ein Zimmermann
ohne Holz oder ein Installateur ohne Rohre. Eine der Tafelfreuden
in einem guten Restaurant in den meisten europäischen Städten
scheint in dem Ritual zu bestehen, das der Oberkellner vollführt,
indem er sich für den Gast entschließt, was dieser essen möchte,
aber ich kann mir einen Chinesen bei so etwas nicht vorstellen. Er
weiß genau, was er essen will, und er weiß auch genau, was er
kaufen will, oder wenn es sich um etwas handelt, worin er
keinerlei Erfahrungen hat, wird er einen sachkundigen Freund zu
Rate ziehen. Vor mehr als zweitausend Jahren lehrte der große
chinesische Weise Confucius seine Landsleute, jeglicher Art
Beredsamkeit zu mißtrauen, die er als subtile und tückische Form
der Unaufrichtigkeit brandmarkte, und besonderen Argwohn
hegen die Chinesen gegen jede Art von Beredsamkeit, die die
Absicht hat, sie von ihrem Geld zu trennen. Faktisch hatte der
Meister gerade für den Typus von Menschen, der sich heute ganz
besonders als idealer Verkäufer qualifizieren würde, spezielle
Verurteilung übrig, nämlich für den hübschen, gut angezogenen
Mann mit gefälligem Benehmen. Er warnte seine Schüler vor
derartigen Menschen, denn diese seien zumeist ohne Prinzipien
und gewissenlos. `Schne Worte und einschmeichelndes Äußeres
sind selten mit wahrer Tugend verbunden.` Die Schüler des
Meisters haben diesen Ausspruch erweitert und bestätigt, und
keiner hat je ein Wort zur Verteidigung der Agenten gesprochen.
Daraus ergibt sich, daß der Verkäufer einen Beruf ausübt, dem in
China die Achtung versagt wird. Hier macht man nur wenig
Unterscheidung zwischen dem Hausierer und dem Agenten, es sei
denn, daß man gegen diesen noch argwöhnischer ist, weil er mit
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ gefährlicherer List und in kostspieligerem Maßstabe operiert. Es
ist unmöglich, sich eine Versammlung chinesischer
Verkaufsagenten vorzustellen, denn ein jeder würde sich schämen,
sie zu besuchen. Viele bei ausländischen Firmen angestellte
Chinesen sind stolz auf den Titel `Oberbuchhalter"`,
Kassierstellvertreter" oder `Personalchef" und wrden jeden Titel
dem eines `Verkaufsdirektors" vorziehen. Es gibt eigentlich gar
keinen solchen Ausdruck in der chinesischen Sprache, und wenn
man eine bersetzung notwendig hat, verwendet man dafür
`Geschftsdirektor".
Und wenn es nun dem Feldmarschall der Industrie gelänge, eine
chinesische Truppe zusammenzustellen und sie so zu schulen, daß
sie in der Theorie des Verkaufswesens perfekt wäre, befände er
sich in der Lage des jungen Mannes in dem Kuplet, der sich schön
gemacht hat und nirgends hingehen kann. Genauer gesagt, er wäre
in der Lage eines Mannes, der einen kostspieligen Stab junger,
schön hergerichteter Männer hätte und nur sehr wenig Orte, wohin
diese gehen könnten, denn weder im Geschäftsleben noch im
gesellschaftlichen Leben Chinas sind Fremde willkommen. Der
Agent, der den Versuch machen würde, von Haus zu Haus zu
gehen, würde versagen, noch ehe er so richtig begonnen hat. Der
chinesische Diener erachtet es als eine seiner wichtigsten
Pflichten, seinen Herrn oder seine Herrin vor der Belästigung
durch Fremde zu schützen, deren Absichten er auf jeden Fall für
böse hält. Eine genaue Erklärung für den Grund des Besuches ist
nötig, schon bevor man an dem Türhüter vorbeikommt, und sobald
der Diener im Hause hört, daß der Fremde gekommen ist, um
etwas zu verkaufen, findet er seinen Argwohn bestätigt und ist
überzeugt von der üblen Absicht des Besuchers. Außerdem weiß
er ja, daß dieser spezielle Artikel im Hause nicht nötig ist, und so
erspart er dem Agenten eine Menge Mühe, indem er ihm das
auseinandersetzt. Dann schließt er die Tür, und die Unterredung ist
zu Ende, von einem Kauf ist keine Rede, und der Agent hat den
Mut zu einem zweiten Besuch verloren.
Die Pforten der Kontore großer Geschäfte oder Konzerne sind
nicht so fest verschlossen wie die Türen des Heims, aber der Agent
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ würde soviel Zeit verlieren, durch allerlei List oder Bestechung
sich den Weg durch diese Pforten zu bahnen, daß sich für ihn
kaum die Mühe lohnt, den Versuch zu machen. Im
Geschäftskontor sind ebenso wie in einer Wohnung die Türen den
Freunden geöffnet, Fremden aber verschlossen, und die Gehilfen
des Eigentümers oder Direktors schützen ihren Brotgeber ebenso
wirksam vor Eindringlingen, wie es seine Dienerschaft zu Hause
tut. Es ist außerordentlich schwer für einen unbekannten Chinesen,
im Kontor eines anderen Chinesen Zutritt zu erlangen, was immer
sein Anliegen sein mag, es sei denn, er wäre von einem
gemeinsamen Freund empfohlen. Selbst wenn es ihm gelingt
vorzukommen, sind doch die Aussichten auf einen
Geschäftsabschluß sehr vage. Einem Ausländer fällt es nicht ganz
so schwer, dennoch wird er wahrscheinlich auf Hindernisse
stoßen, die durch ihre Unsichtbarkeit nicht weniger wirklich
gemacht sind. Es ist kein seltenes Erlebnis für einen
neuangekommenen Fremden, dass er zahlreiche Besuche macht
und viele Stunden in einem chinesischen Geschäftshause
verbringt, bestrebt zu einem Abschluß zu gelangen, und am Schluß
doch nur entdeckt, daß der diplomatische Mann, mit dem er
gesprochen hat, ein Gehilfe ist, der gar nicht die Befugnis hat,
mehr zu tun als zu reden und seine Vorgesetzten zu schützen.
Doch sobald die beiden Partner eines Geschäftes, der Verkäufer
und der Käufer, von einem gemeinsamen Freund
zusammengebracht wurden, ändert sich die ganze Atmosphäre.
Die Wolken von Mißtrauen und Argwohn teilen sich, und die
beiden besprechen die Einzelheiten der Transaktion mit der
Leichtigkeit und Ruhe von Menschen, die seit einem Jahrzehnt
miteinander Geschäfte abschließen.
Nur ganz wenige Fremde, sogar unter denen, die in China leben,
machen sich einen Begriff von der überaus wichtigen Rolle, die
die Freundschaft in allen chinesischen Geschäftstransaktionen
spielt. Ein Chinese wünscht in erster Linie, mit Mitgliedern seiner
Familie Geschäfte abzuschließen, und in zweiter Linie mit seinen
Freunden, mit Fremden aber will er, solange er das vermeiden
kann, nichts zu tun haben. Wenn zwei Fremde ein Geschäft
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ abschließen, brauchen sie unbedingt einen Mittelsmann, einen
gemeinsamen Freund, der die Verhandlungen führen,
Meinungsverschiedenheiten beilegen und nach Abschluß des
Geschäftes als Bürge für beide Parteien auftreten wird, indem er
persönlich die Verantwortung dafür übernimmt, daß der Vertrag
ausgeführt und das Geld gezahlt werde. Wenn ein Chinese, den ich
nicht kenne, mich in Geschäften besucht, wird er fast immer von
einem gemeinsamen Bekannten begleitet, der ihn vorstellt und an
den Verhandlungen teilnimmt. Manchmal schneiden sich unsere
Freundeskreise nicht, und dann muß man die Lücke durch den
gemeinsamen Freund eines gemeinsamen Freundes überbrücken,
was ein wenig komplizierter ist, aber demselben Zwecke dient. Ich
halte ganz genau denselben Vorgang ein, wenn ich mit einem
Chinesen geschäftlich sprechen muß, dem ich nicht persönlich
bekannt bin. Ob der eine den anderen dem Ruf nach kennt, spielt
gar keine Rolle. Die freundschaftliche Beziehung muß auf die
vorgeschriebene Art ins Leben gerufen werden. In gewissem Sinn
ist dies eine hübsche und sehr nützliche Sitte. Die
Geschäftsbeziehungen werden von Anfang an auf ein Fundament
gegenseitigen Vertrauens gestellt, und wenn es später
irgendwelche Schwierigkeiten gibt, hat man noch immer den
Mittelsmann, der sich bemühen wird, sie beizulegen. Wenn man
der Verkäufer ist, hat das den Nachteil, daß an einen appelliert
werden kann, man möge seine Freundschaft durch einen
Preisnachlaß zeigen, aber der kluge Geschäftsmann weiß, daß
dieses Ersuchen unvermeidlich ist, und hat das schon in den ersten
Preis, den er genannt hat, einkalkuliert. Aber diese Sitte, Geschäfte
nur mit Freunden abzuschließen, fügt sich nicht in ein unter
Hochdruck oder mit Agentenheeren arbeitendes kommerzielles
System, da der Bekanntenkreis des Verkäufers ja beschränkt ist.
Dies erschwert die Tätigkeit eines Agenten so sehr, daß sie nahezu
unmöglich gemacht wird.
Vor einigen Tagen erhielt ich von einem Detailkaufmann in dem
fernen Kansu eine Postanweisung auf zwanzig Dollar mit einem
Brief, in dem er mich ersucht, ihm für diesen Betrag eine von uns
angekündigte Sorte Toilettenseife zu schicken. Es vergeht kaum
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ ein Monat, ohne daß ich eine oder mehrere Zuschriften dieser Art
erhalte, und ich staune jetzt gar nicht mehr, wenn ich von Leuten
Geld angewiesen erhalte, von denen ich nie gehört habe und die
wahrscheinlich auch von mir nichts wissen. Was in dem Falle des
Kansuer Händlers geschehen ist, ist typisch. Er las eine unserer
Ankündigungen und interessierte sich für den Verkauf dieser
Seife. Doch da der Fabrikant ihm unbekannt war, besuchte er
seinen Freund, den Herausgeber der Zeitung, um sich eine
Empfehlung zu verschaffen. Aber auch der Zeitungsherausgeber
kannte den Fabrikanten nicht, da er in Reklamedingen nur mit mir
zu tun hatte. Daher verwies er den Kaufmann an mich, und ich
verweise ihn an den Fabrikanten. Ein gemeinsamer Freund eines
gemeinsamen Freundes überbrückt die tausend Meilen zwischen
Kansu und Shanghai und stellt eine Geschäftsverbindung her
zwischen einem kleinen Detailkaufmann und dem größten
britischen Seifenfabrikanten. Wenn das Geschäft halbwegs
bedeutende Ausmaße annimmt, werde ich ohne Zweifel ersucht
werden, als Bürge für diese britische Firma aufzutreten, deren
Umsatz Millionen Pfund Sterling beträgt. Ich habe schon bei
verschiedenen Gelegenheiten für weltberühmte britische und
amerikanische Gesellschaften gebürgt und mich verpflichtet, an
ihrer Stelle im Notfall Zahlung zu leisten, freilich sagte ich den
betreffenden Firmen nie ein Wort, denn die Leute wären beleidigt
gewesen.
Natürlich gibt es eine große Menge Chinesen, deren Geschäft es
ist, täglich Warenbestellungen aufzunehmen, und die diese Arbeit
mit großem Erfolg leisten, doch geschieht es nicht auf Grund ihrer
Fähigkeiten als Vertreter, sondern dank ihren Freundschaften und
Bekanntschaften mit einer großen Zahl von Kaufleuten einer
bestimmten Branche. In anderen Ländern gilt die Theorie, daß der
Umfang der Geschäfte, die ein Agent bringen kann, von der Zahl
der Besuche abhängt, die er macht. Wenn io Besuche am Tag x
Verkäufe bringen, dann bringen 2o Besuche am Tag 2x Verkäufe.
Das ist eine Lieblingstheorie von Verkaufsdirektoren, und sie
können die Richtigkeit ihrer Meinung einem jeden beweisen, mit
Ausnahme einiger weniger Agenten, die die Besuche zu machen
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ haben. In China wird die Zahl der Besuche gar nicht eingerechnet,
und man erwähnt diese Besuche auch gar nicht in Berichten.
Gewöhnlich macht ein solcher Verkäufer nur einen Besuch am
Tag, und zwar im Teehaus, das als eine Art Klubsaal dient, als ein
Zusammenkunftsort für die Händler mit bestimmten Waren. Er
braucht sich nicht von der Hitze des Pflasters oder der Last der
Musterkoffer behelligen zu lassen, weil er eine Rikscha zu dem
Teehaus nimmt, und wenn er überhaupt Muster bei sich hat, liegen
sie unter dem Tisch verstaut, wo er Tee trinkt,
Wassermelonenkerne knabbert und mit seinen Kollegen über den
Markt plaudert. Doch der Umfang der von ihm gemachten
Geschäfte hängt ausschließlich von der Zahl seiner Freunde,
Bekannten und Verwandten ab. Natürlich muß er etwas von den
Waren verstehen, mit denen er handelt, trotzdem ist es nicht seinen
Fähigkeiten als Verkäufer zuzuschreiben, wenn er Erfolge hat und
gut verdient. Er könnte in China der erfolgreichste Agent in
Metallartikeln sein, würde aber verhungern, wenn er auf Seife oder
Taschentücher umsattelte, denn in diesen Branchen hätte er keine
Bekannten.
Es gibt eine Menge Exportleute, die beim Lesen dieser Zeilen
sich für berechtigt halten werden, aufzustehen und mich der
falschen Zeugenschaft zu bezichtigen, denn zum Beweis ihrer
Anklage brauchten sie ja nur auf die Verkäufe zu verweisen, die
sie bei einem kurzen Besuch in Shanghai tätigten. Wenn ein
solcher Exportdirektor hierher kommt, besucht er natürlich die
Kaufleute in Begleitung seines hiesigen Agenten, und um dem
Agenten zu zeigen, wie man zu arbeiten hat, schließt er möglichst
viele Geschäfte ab. Erfindet, daß die Kaufleute überraschend leicht
zu behandeln sind, und wenn er Shanghai verläßt, tut er dies mit
dem befriedigenden Bewußtsein, daß er nicht nur einen Rekord im
Anwerben von Käufern geschlagen, sondern auch dem hiesigen
Agenten gezeigt hat, was geleistet werden kann, damit der Kerl die
Nase nicht mehr so hoch trage, denn dies war einer der
Hauptzwecke der Reise nach China. Der hiesige Agent teilt
solches Glück und solche Zufriedenheit keineswegs. Wenn ich mit
der Propaganda für das Fabrikat zu tun habe, bin auch ich nicht
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ begeistert. Wir wissen, daß diese übermäßigen Bestellungen
ausschließlich um des Gesichtes willen gemacht wurden. Wenn
der Agent mit seinem Exportdirektor einen Kaufmann besucht und
es käme zu keinem Geschäftsabschluß, wäre dies für alle ringsum
ein Gesichtsverlust, für den Agenten, für den Exportdirektor und
für den Händler. Der Agent würde das Gesicht verlieren, weil er
seinen Vorgesetzten einführte und es doch zu keinem
Geschäftsabschluß kam. Der Exportdirektor würde Gesicht
verlieren, weil er die weite Reise von London oder New York
hierher unternommen hat, um dieses Geschäft abzuschließen, und
dann mit leeren Händen zurückgeschickt wurde. Der Kaufmann
würde Gesicht verlieren, weil er keine Ware bestellte -folglich
geht sein Geschäft nicht gut genug, das zu ermöglichen. Und so
wird die Bestellung gemacht, die Höflichkeit ist gewahrt und
jedermanns Gesicht gerettet. Aber der Agent weiß, daß lang vor
dem endgültigen Abschluß der Transaktion die fetten Bestellungen
eine nach der anderen mit guter Begründung storniert oder
reduziert werden und daß am Ende der Umfang des Geschäftes
wahrscheinlich ebenso groß sein wird, wie er gewesen wäre, wenn
der Exportdirektor zu Hause geblieben wäre. Und außerdem weiß
der Agent, daß es ihm sehr schwer fallen wird, die Sache zu
erklären.
Auf diesen Wunsch, die Geschäftstransaktionen auf den Kreis
der Familie oder Freunde zu beschränken, ist es zurückzuführen,
daß die Bewohner gewisser Provinzen oder gewisser Gegenden in
einer Provinz danach streben, diese oder jene Geschäftsbranche zu
monopolisieren. Fast alle Seidenhändler im Lande sind aus
Sutschau, während die Teehändler aus Anhui kommen. Die Läden,
in denen man die verschiedensten ausländischen Waren bekommt,
wie zum Beispiel Thermosflaschen und Aluminiumgeschirr, sind
zumeist im Besitz von Kantonesen, die auch die Mehrzahl der
Bäckerläden des Landes führen. Bis zur Jahrhundertwende lag
nahezu das gesamte Bankgeschäft in den Händen von Leuten aus
Shensi.
Man übertrug uns einmal eine ziemlich umfangreiche
Propaganda für Kaugummi, und da der Fabrikant der Meinung
77

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ war, daß es möglich sei, alle Chinesen in dieser pittoresken
Angewohnheit zu unterweisen, lag uns ganz besonders viel an
einem Erfolg unserer Kampagne. Gemäß dem von dem
Fabrikanten entworfenen Programm sollte der Gummi in jedem
Laden Shanghais verteilt werden, bevor die Propaganda ihren
Anfang nahm, und wir sollten diese solange durchführen, bis wir
günstige Berichte erhielten. Als der Bericht endlich einlangte, war
er so gut, daß wir ihm nicht Glauben schenken konnten, denn es
hieß, daß der Gummi in neunzig Prozent aller in Betracht
kommenden Läden verkauft werde. Wir gingen der Sache aus
eigenem nach und entdeckten, daß diese Zahl genau das Doppelte
der wirklichen Zahl war. Wir machten auch die höchst interessante
Entdeckung, daß der Gummi zwar in jedem kantonesischen
Süßwarengeschäft der Stadt verkauft wurde, aber auch nur in
kantonesischen Geschäften. Die chinesischen Mitarbeiter des
ausländischen Hauptagenten waren alle Kantonesen und hatten gar
nicht den Versuch gemacht, jemandem anderen den Kaugummi
anzuhängen als ihren engeren Landsleuten, die ihnen natürlich am
leichtesten zugänglich waren.
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ SECHSTES KAPITEL
Wie man eine Stellung erhält und
erhält
Aus vielen Gründen lieben es die Chinesen, für ausländische
Firmen zu arbeiten. Die Bezahlung ist gewöhnlich besser
als in chinesischen Unternehmungen, die Arbeitszeit
kürzer, die Feiertage zahlreicher und die Möglichkeiten einer
Beförderung größer. Obwohl die Einhaltung der Sonntagsruhe
immer mehr um sich greift, und zwar eher als kommerzielle denn
als religiöse Sitte, und heute schon bei den chinesischen Sanken
und großen Unternehmungen Shanghais nahezu allgemein ist, gilt
dies doch nicht für andere Orte. Mehr als neun Zehntel der
Geschäftsläden Chinas schließen überhaupt nie, mit Ausnahme zur
Neujahrsfeier, und in vielen dieser Unternehmungen ist der Zehnoder
Zwölfstundentag die Regel. Andererseits geben die
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ ausländischen Unternehmungen in Shanghai mittags zwei Stunden
für das Tiffin frei, schließen am Samstag mittag und halten nicht
nur den Sonntag, sondern auch viele Nationalfeiertage ein; sie
gewähren außerdem einen zweiwöchigen Urlaub im Sommer. Ein
Vergleich der Anzahl der Arbeitsstunden bei ausländischen und
bei chinesischen Firmen zeigt, daß jene auf nicht ganz i8oo
Stunden im Jahr kommen, während diese mehr als 3000 Stunden
haben. Die britische Handelskammer in Shanghai hält siebzehn
Bankfeiertage ein. Manche Firmen schließen während der
Sommermonate Juli und August um ein Uhr, so daß ihre Büros im
ganzen Jahr weniger als 1500 Stunden arbeiten. Deutsche und
japanische Firmen sind die einzigen ausländischen
Unternehmungen, die länger arbeiten und nicht alle Feiertage
einhalten. Die englischen Banken in Shanghai öffnen um zehn
Uhr, sperren um zwölf, öffnen wieder um zwei und sperren
endgültig um drei, mit Ausnahme des Mittwochs, der ein
Halbfeiertag ist, so daß sie im ganzen, ohne daß man den
Sommerurlaub abzöge, auf 664 Arbeitsstunden im Jahr kommen.
Börsenmakler und Sensalbüros halten dieselben Stunden ein.
Jedoch ist die kurze Arbeitszeit nicht die größte Anlockung für die
Chinesen. In einem chinesischen Konzern haben die Verwandten
des Eigentümers oder Direktors die besten Chancen für
Beförderung und die höchste Entlohnung für ihre Arbeit und sind
außerdem so zahlreich, daß wenig oder nichts für die anderen
Angestellten übrigbleiben kann, wenn nicht jene vorerst befriedigt
wurden. In einer ausländischen Gesellschaft kann die Fähigkeit
eines Lehrjungen, Bleistifte zu spitzen und halbwegs mit Verstand
das Telephon zu bedienen, zur Beförderung führen, ohne daß man
die Hilfe des mächtigen Familieneinflusses in Anspruch nehmen
müßte. Außerdem herrscht, obwohl in diesen schweren Zeiten nur
wenig dafür zu sprechen scheint, ganz allgemein und hartnäckig
der Glaube, daß die größten und am leichtesten erworbenen
Vermögen in ausländischen Handelsunternehmungen gemacht
werden können und daß daher ein ehrgeiziger junger Mann das
Import- und Exportgeschäft zu erlernen habe. Das Ergebnis ist,
daß die chinesischen jungen Shanghais ebenso inbrünstig in die
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Kontore fremder Firmen einzudringen streben, wie amerikanische
Jungen in Los Angeles Zutritt zu den Hollywooder Ateliers
ersehnen.
Die Fähigkeit, ein wenig Englisch zu lesen, zu schreiben und zu
sprechen und auf den Tasten einer Schreibmaschine zu klappern,
sind unerläßliche Voraussetzung für die Anstellung in einem
ausländischen Unternehmen, und jeder zielbewußte Knabe in
Shanghai vervollkommnet sich so früh wie möglich in diesen
Wissenszweigen. Er erwartet nicht, in der Schule oder nach dem
Lesebuch die Sprache völlig perfekt zu erlernen. Seine
Beherrschung des fremden Idioms wird später kommen, durch
Übung, wenn er einmal schon in der Personalliste des fremden
Unternehmens festsitzt, das ihn nicht nur anstellen, sondern auch
weiterbilden soll. Seine vorläufigen linguistischen Ansprüche
erstrecken sich lediglich darauf, daß er genügend Wörter kenne,
bei der Bewerbung um den Posten keine allzu schlechte Rolle zu
spielen; darum beschränkt er sein Vokabular auf Ausdrücke, die
für ihn von praktischem Werte sein werden. Bald nachdem er die
Buchstaben des Alphabets erlernt hat, kauft er antiquarisch einen
englischen Briefsteller und ist dann vollauf gerüstet, im
korrektesten Englisch die verwickeltste Korrespondenz zu
führen.
Es müssen sich noch immer einige alte Briefsteller aus der
mi t t v i k t o r i a n i s c h e n Zeit i n d e n c h i n e sischen
Antiquariatsbuchhandlungen umhertreiben, denn die Atmosphäre
unglaublicher Respektabilität, die solche Briefe ausstrahlen, ist
unverkennbar. Obgleich diese alten Korrespondenzbehelfe vom
Gesichtspunkt der heutigen gesellschaftlichen und geschäftlichen
Erfordernisse jammervoll versagen, waren sie für ihre Zeit ganz
ausreichend und scheinen tatsächlich jede Lage im Leben, in der
man einen Brief schreiben kann, in Betracht gezogen zu haben.
Dem Teil, der sich mit den Bewerbungsschreiben um eine
Anstellung befaßt, widmen die jungen Chinesen die größte
Aufmerksamkeit, und sie kopieren mit überaus großem Eifer die
kompliziertesten und gespreiztesten Wörter und Floskeln.
Manchmal geraten sie auf die falsche Seite des Briefstellers,
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ und man erzählt, daß ein griesgrämiger alter Engländer in
Hongkong, der selbst verheiratete Töchter hatte, sehr entrüstet
war, als er vor einigen Jahren einen Brief erhielt, worin ihm
höflich, aber streng auseinandergesetzt wurde, daß er seine wilde
und sittenlose Lebensweise ändern müsse, wenn er hoffen wolle,
der hübschen jungen Tochter des Unterzeichneten weiterhin seine
Aufmerksamkeiten erweisen zu dürfen. Der `Unterzeichnete" war
in diesem Falle ein ehrgeiziger chinesischer Schuljunge, der in der
Firma des alten Herrn angestellt werden wollte und den falschen
Brief abgeschrieben hatte. Es mu ein sehr altes und mit vielen
Fällen belegtes Gerücht im Umlauf sein, daß eine Menge junger
Leute einfach dadurch, daß sie einen Brief schrieben, zu
Anstellung und Reichtum gelangten. Nur so kann man sich den
Eifer erklären, mit dem Hunderte von Jünglingen das
Telephonbuch nach Namen und Adressen absuchen und Briefe
kopieren, die gewöhnlich sehr leserlich geschrieben und in
Anbetracht des Umstandes bemerkenswert fehlerfrei sind, daß der
Schreiber eine nur sehr unklare Vorstellung vom Sinn der Sätze
hat, die er abschreibt. Ich bekomme wahrscheinlich mehr solche
Briefe als irgendein Smith oder White, denn mein Name kommt
bald nach dem Anfang des Telephonbuches, und die Leute
schreiben mir in der ersten Glut des noch ungeschwächten
Enthusiasmus. Manche werden wohl angestellt oder geben es auf,
bevor sie im Alphabet viel weiter gekommen sind.
Wenn man sich die Mühe nimmt, irgendeinen dieser Bewerber
zu befragen, entdeckt man gewöhnlich, daß der gewandte
Briefschreiber seinem gesprochenen Englisch so furchtsam
gegenübersteht, daß er einen Freund mitgebracht hat, der ihm über
die größten Schwierigkeiten hinweghelfen soll. Der Freund erklärt
einem, daß die Englischkenntnis des Bewerbers theoretisch perfekt
sei, daß er aber beim Sprechen noch nicht genügend Übung gehabt
habe, den Brotgeber jedoch, sobald er sich einmal an seine neue
Umgebung gewöhnt hätte, durch seine Sprachgewandtheit
verblüffen werde. Man erfährt auch, daß das Gehalt für ihn eine
recht geringfügige Rolle spielt und daß er bereit wäre, überhaupt
ohne Gehalt zu beginnen, denn er wolle einem die Gelegenheit
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ geben, seine Fähigkeiten zu sehen. Ist er wirklich ein tüchtiger
Junge, zieht er ein niederes Gehalt einem hohen vor. Sein Posten
auf der Gehaltsliste soll so unauffällig sein, daß gar niemand auf
den Gedanken kommen könne, gerade ihn zu entlassen. Sein
eigentlicher Wunsch ist, als Lehrling aufgenommen zu werden,
denn dann kann er die Mysterien des ausländischen Handels
erlernen, kann im Anfang Botschaften bestellen, Bleistifte spitzen
und sich allmählich bis zu den Höhen emporarbeiten, auf denen
man Telegramme dechiffriert oder mit Konsularbehörden
verhandelt. Gewöhnlich gibt er sich damit zufrieden, durch Jahre
für ein Gehalt zu arbeiten, das eigentlich nur ein Reisgeld ist, und
er macht keinen Versuch, seine Situation dadurch zu verbessern,
daß er sich nach einer Anstellung bei einer anderen Firma umsieht.
Sehr wenige Chinesen wechseln von einem Dienstgeber zum
anderen hinüber, wenn es sich irgendwie vermeiden läßt, denn
ihnen allen ist Dauer und Sicherheit der Anstellung von weit
größerer Wichtigkeit als die Höhe des monatlichen Gehaltes.
Trotz der offenbar weit verbreiteten gegenteiligen Ansicht
zweifle ich daran, daß diese Brieffluten irgendjemandem eine
Anstellung verschaffen. Wenn in einer Firma eine Stelle frei wird,
gibt es unzählige Vettern, Neffen und jüngere Brüder der
Angestellten, Personen, die anscheinend für die erforderte Arbeit
wie geschaffen sind und gerade jetzt keine Anstellung haben.
Natürlich, wenn es einem Briefschreiber gelingt, mit dem
ausländischen Direktor ein Gespräch zu führen, vor seinen Augen
Gnade zu finden, auch vom Kassier gutgeheißen zu werden und
die Anstellung wirklich zu erlangen, und wenn es sich dann nach
Monaten oder Jahren herausstellt, daß er der jüngere Bruder des
Kassiers und ein Neffe des Oberbuchhalters und ein Vetter von
drei oder vier Beamten ist, wird das jedermann als einen
glücklichen Zufall ansehen, als eine jener Schicksalsfügungen, die
man mit Dankbarkeit und ohne allzuviel Nachforschen
entgegennehmen muß. Wenn andererseits die Wahl des Direktors
auf einen fremden Bewerber fallen sollte, der den älteren
Mitgliedern der Beamtenschaft unbekannt ist, und wenn dieser
Bewerber außerdem noch aus einem entfernten Teil des Landes
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ kam und keine engeren Landsleute unter dem Personal hat, ist dies
kein Zufall und auch keineswegs als glücklich zu betrachten.
Dieser alleinstehende Angestellte kann sich vielleicht eine
Zeitlang halten und mit Unterstützung des Direktors einen
scheinbar dauernden Platz in der Gehaltsliste erreichen, aber die
Chancen sind gewaltig gegen ihn. Nach außen hin ist wohl alles in
Ordnung, und wenn der Direktor seine Mitarbeiter um ihre
Meinung befragt, wird er nur Lob über den von ihm ausgewählten
Bewerber hören. Aber es geht schief. Ein wichtiger Brief kommt
nicht rechtzeitig zum Dampfer. Die Posten einer Rechnung sind
falsch addiert. Ein Paket mit Propagandamaterial, das nach
Surabaya geschickt werden sollte, geht nach Singapore. Ein
japanischer Text wird an eine chinesische Zeitung geschickt, und
die Spuren aller dieser hübschen Irrtümer führen unmittelbar zu
dem vereinsamten Neuen, der außerhalb des Clans steht. Das
Rudel ist hinter ihm her, und er darf keine Hoffnung hegen.
Knaben, die das Glück haben, gutsituierte Eltern mit
fortschrittlichen Ideen ihr eigen zu nennen, gehen nicht in ein
Kontor, um dort Englisch zu lernen. Sie werden in die Schule
geschickt, wo sie die Geburtswehen der Grammatik durchmachen,
was ihnen besonders widerlich ist, denn die ganze chinesische
Grammatik kann man in einer einzigen Lektion erlernen, weil sie
eigentlich darin besteht, daß es sie nicht gibt, denn sie kennt
keinen Konjunktiv und so braucht sich niemand die Mühe zu
geben, ihn falsch anzuwenden. Früher waren die einzigen Schulen,
in denen man Englisch lernen konnte, die Missionsanstalten, und
die jungen Leute verließen diese mit einem ganz deutlichen
evangelischen Akzent, der ihnen ihr Leben lang anhaftete, so
sündhaft die Beschäftigungen ihres späteren Lebens auch sein
mochten. Oft ist dieser Akzent der einzige Hinweis darauf, daß sie
jemals unter Missionarseinfluß gestanden haben. Freilich weiß ich
nicht, warum die frommen alten Missionare glaubten, daß man in
englischer Sprache ein besserer Christ sein könne als in der
chinesischen. Wahrscheinlich waren diese armen, aus der Heimat
Verbannten einsam und von Heimweh befallen und wollten
jemanden haben, mit dem sie sprechen konnten. In den letzten
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Jahren sind von der Regierung und von privater Seite allenthalben
in China viele weltliche Schulen errichtet worden; hier lernen die
jungen Leute ein ziemlich gutes Lesebuch-Englisch, das, im Druck
wiedergegeben, recht verständlich ist, aber gesprochen
merkwürdig einer fremden Sprache ähnelt.
Meine Frau und ich machten einen unserer Ausflüge über die
Wasserstraßen der Provinz Kiangsu. Wir hatten am späten
Nachmittag unser Hausboot verankert und begaben uns auf einen
Spaziergang durch ein malerisches chinesisches Dorf. So wie bei
vielen ähnlichen Gelegenheiten wurden wir auch diesmal von
einer Gruppe kleiner Knaben umringt, die uns alle
Sehenswürdigkeiten zeigten und hinter unserem Rücken über
unser sonderbares und komisches Aussehen kicherten. Es ist
ziemlich ungewöhnlich, in einem solchen Dorf jemanden zu
finden, der Englisch spricht, darum waren wir sehr überrascht, als
der hübscheste und bestgekleidete Junge aus der Menge trat und
sagte: `Guten Morgen. Sie sind aus Shanghai?" `Guten Morgen",
sagte ich, obwohl es schon spter Nachmittag war. `Wir sind aus
Shanghai." Ich wute, welche Frage er zunächst stellen werde, so
kam ich ihm zuvor, indem ich hinzufügte: `Wir sind Amerikaner."
`Vielen Dank." Nun war es an mir, hfliche Fragen zu stellen,
darum sagte ich: `Ist dies Ihr Heimatsort?" `Dies ist mein
Heimatsort. Meine Schule ist in Sutschau. Ich erhole mich jetzt
von meinen Studien."
Das Gesprch, das mit solchem Elan begonnen hatte, gedieh eine
ganze Viertelstunde. Da wir verschiedene Gegenstände erblickten,
bestätigten wir einander die Tatsache, daß ein Hund ein Hund ist,
eine Katze eine Katze, ein Baum ein Baum, doch bald ging uns der
Gesprächsstoff aus. Den anderen kleinen Jungen fielen inzwischen
fast die Augen aus dem Kopf, so sehr staunten sie darüber, daß
einer aus ihrer Bande ein langes und verwickeltes Gespräch in
dieser sonderbaren barbarischen Sprache zu führen vermochte. Sie
waren so verblüfft, daß sie vergaßen, uns auszulachen. Als das
Gespräch offenbar schon erschöpft war, kamen wir zur Schule, auf
deren Grundstück ein sichtlich neuer Basketballplatz lag. Die
Knaben waren sehr stolz darauf, obwohl die meisten noch zu klein
85

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ zum Spielen waren, und sie lockten uns zuerst in die eine Ecke
und dann in die andere, damit wir dieses Denkmal des
Fortschrittes und Wohlstandes ihres Dorfes gebührend bewundern
konnten. Es war herzerfreuend, mit was für frohem Stolz die
Knaben ihre Schule und den Basketballplatz betrachteten, auf dem
sie doch erst nach einigen Jahren spielen konnten, und so lag keine
Unaufrichtigkeit in den Worten, mit denen meine Frau und ich
dies alles bewunderten und miteinander darüber sprachen. Nicht
einmal unser sprachkundiger Führer konnte uns folgen, und darum
begann er bei seinen Kollegen ein wenig von seinem Prestige zu
verlieren. Volle zwei Minuten wußte er nichts zu sagen. Dann
zeigte sich in seinem Gesicht ein Ausdruck der Anspannung. Er
lag in den Geburtswehen literarischer Komposition. Endlich sah er
mir fest ins Auge und sagte langsam und betont: `Ich liebe es,
mich krperlichen Übungen zu widmen."
Das war seine ehrgeizigste linguistische Bemühung, und seine
Kameraden blickten ihn ein wenig skeptisch an, bis sowohl meine
Gattin wie ich ihm versicherten, daß wir dieselben Neigungen
hegten. So waren zwei Bande der Gemeinsamkeit geknüpft - das
des Sports und das des Gelehrtentums. Da es jetzt Zeit für den Tee
war, begaben wir uns alle zu dem Hausboot, so etliche zwölf oder
fünfzehn an Zahl, und verbrachten eine höchst angenehme Zeit,
während wir den ganzen im Schiff vorhandenen Vorrat an Kuchen
und Süßem verzehrten. Als uns die Jungen verließen, wußte ihr
Sprecher, daß man von ihm etwas erwartete. Es gab schon einen
richtigen Satz für diese Gelegenheit, doch konnte er sich nicht
gleich daran erinnern. Wir hätten ihm gerne geholfen, doch stockte
uns die Sprache ebenso wie ihm, denn wir wußten, daß er, je mehr
wir ihm sagten, ohne daß er imstande gewesen wäre zu antworten,
desto mehr Gesicht verlieren würde. Als er schon die Hälfte des
Landungssteges hinter sich hatte, fiel ihm die richtige Bemerkung
ein. Er sagte: `Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen."
Dies knpfte ein drittes Band der Gemeinsamkeit zwischen uns,
denn ich ersah daraus, daß in seiner Schule ein starker
amerikanischer Einfluß am Werke war. Ein Engländer kann den
lebhaften Wunsch hegen, jemandes Bekanntschaft zu machen, und
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ diese Bekanntschaft mag sich für ihn als sehr gewinnbringend und
angenehm erweisen, aber er wird einem nie sagen, daß er sich
darüber freut, ja nicht einmal, daß es ihm angenehm ist. Und was
mich betraf, erachtete ich die Sprachkenntnis dieses Jünglings
zwar nicht als vollendet, aber doch als sympathisch.
Sobald ein Chinese in die Personalliste eingetragen ist, macht er
sich daran, seine Position zu festigen. Wenn er einen
Bewerbungsbrief geschrieben hat, hat er darin versprochen, fleißig
und treu zu sein, und soweit ich das bei meinen Angestellten
gesehen habe, arbeitet er auch immer fleißig und treu. Dies ist der
Punkt, mit dem es sich die ehrgeizigen Angestellten anderer
Nationalitäten genügen lassen, bei dem aber der Chinese erst
beginnt. Er nimmt diese Vorzüge als mehr oder weniger
selbstverständlich und erlernt und übt dann tausend verschiedene
Methoden, sich seinem Arbeitgeber unentbehrlich zu machen. Das
beste und auffälligste Beispiel dafür ist das des persönlichen
Dieners, der dieselbe Politik, aber auf viel intensivere Weise
befolgt. Obwohl ich schon ein Vierteljahrhundert im Osten lebe
und in dieser Zeit immer einen oder mehrere Privatdiener zur
Verfügung hatte, die bereit sind, mir die Schuhriemen
zuzuschnüren, mir die Pantoffeln anzuziehen oder meine Zigarette
anzuzünden, sind doch die Traditionen meiner Geburt noch kräftig
in mir, und ich betreue mich gern selber oder glaube wenigstens,
daß ich noch immer fähig bin, dies zu tun, und daß ich nicht ganz
hilflos wäre, wenn ich genötigt wäre, in einem dienerschaftslosen
Land zu leben. Wenn ich mich jedoch in diesem Augenblick
entschlösse, mich ohne die Hilfe meines Hausboys umzukleiden,
würde es mir übel ergehen. Die Hemdknöpfe, die Kragen oder
Socken wären verloren - nicht gerade verloren, aber irgendwohin
verlegt, wo ich sie unmöglich finden kann. In ganz kurzer Zeit
müßte ich ja doch nach Ching klingeln. Wenn ich versuchen
wollte, mich nach der herkömmlichen Methode an einer Flasche
Bier zu erfreuen, nämlich indem ich zum Eiskasten gehe und sie
mir selbst hole, ist es höchstwahrscheinlich, daß der Öffner so
sorgfältig versteckt wäre, daß ich abermals klingeln müßte. Der
chinesische Diener macht sich nichts daraus, wenn sein Herr ihm
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ noch so oft klingelt. Es ist seine Arbeit, den Herrn zu betreuen,
und er tut dies freudig und munter, wie unvernünftig und lästig der
Herr auch sein mag. Je mehr der Diener für einen tut, desto
sicherer erscheint ihm seine Stellung. Wirklich beunruhigt es ihn
nur, wenn man aufhört, ihm zu klingeln und beginnt, sich selbst
die Dinge zu machen. Dies schmälert in seinen Augen den eigenen
Wert.
Der Angestellte in einem Büro hat keine Möglichkeit,
Kragenknöpfe oder Bierflaschenöffner zu verstecken, aber er
kennt andere und wichtigere Methoden, sich unentbehrlich zu
machen. Ich erinnere mich, daß in einem der wenigen Bücher über
den Erfolg, die ich gelesen habe, ein höchst weiser Ratschlag
enthalten war, die eine Methode, die Leiter des Erfolges zu
erklimmen, sei die, daß man den Untergebenen in der Arbeit
unterweist, die man selber zu tun hat, denn dies ebne einem den
Weg, eine Stufe höher zu steigen. Ich verlor zwei Anstellungen,
ehe ich die Sophistik dieses Ratschlages entdeckte, aber ein
Chinese würde ihn überhaupt nie ernst nehmen. Seine Theorie ist:
`Lehre den Freund, und der Freund nimmt dir die Stellung." Der
Beamte erlernt seine speziellen Obliegenheiten, so grndlich er
kann, aber niemand wird von ihm etwas lernen. Etwas anderes
habe ich gelesen oder vielleicht von einem Geschäftsmann gehört,
nämlich, daß die Geschäftsbücher eines Büros so vollständig sein
sollen, daß die Arbeit im Falle eines plötzlichen Ereignisses - eines
Todesfalles oder einer Verhaftung - reibungslos weitergehen kann.
Diese Idee gefällt mir sehr gut, und ich habe viel Zeit verwendet,
sie meinem Personal gruppenweise und einzeln einzuprägen. Sie
alle erklären einmütig, dies sei eine sehr schöne Theorie - für mich
-, und ermutigen mich in jeder erdenklichen Weise, mich daran zu
halten. Aber für sie gilt es nicht. Die Vorstellung eines Chinesen
ist vielmehr die, ein Büro müsse so organisiert sein, daß das ganze
Unternehmen, wenn er es verläßt, in die äußerste Verwirrung
gestürzt wird und darin verbleibt, bis er zurückberufen wird,
wieder Ordnung zu schaffen. Das Resultat ist, daß ich auf langen
Urlaub gehen kann und daß doch alles ebenso gut oder sogar noch
besser läuft als in meiner Gegenwart, wenn aber ein chinesischer
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Beamter krank wird und ein paar Tage dem Büro fern bleibt,
müssen wir ihm gewöhnlich jemanden ans Krankenlager schicken,
um diese oder jene Angelegenheit klarzustellen, die eigentlich aus
den Korrespondenzen hervorgehen müßte. Darum kann man auch
einen Chinesen nur sehr selten bewegen, einen Urlaub anzutreten,
denn das würde bedeuten, daß er einen anderen allzu sehr in seine
Arbeitsweise einweihen müßte. Er hat Angst, daß zur Zeit seiner
Rückkehr ein anderer ihn ersetzt oder von seiner Arbeit soviel
abgeguckt haben könnte, daß er selber nicht mehr unentbehrlich
ist. Darum ist es auch so schwer, jemanden neu aufzunehmen, der
nicht einer der Sippen angehört, die in diesem Unternehmen schon
sicher untergebracht sind. Wenn die Geschäfte des Kassiers so
umfangreich werden, daß er einen Gehilfen haben muß, achtet er
darauf, daß der neu Angestellte sein Neffe ist oder ein jüngerer
Bruder oder ein anderer Verwandter, dessen gefährlicher Ehrgeiz
durch die Familiendisziplin im Zaum gehalten werden kann.
Knapp nach dem Kriegsschluß hatten wir eine Unmenge
sonderbarer amerikanischer Besucher in Shanghai. Das waren die
neuen, durch den Krieg geschaffenen Millionäre, und die meisten
von ihnen machten auf mich den Eindruck, daß sie ihre Reise um
die Welt deshalb unternahmen, weil sie sehen wollten, ob es die
Mühe lohnte, sie zu kaufen. Einer dieser Millionäre verbrachte
ziemlich viel Zeit in meinem Kontor, weil er einmal im
Reklamegeschäft tätig gewesen war, und er liebte es, vom
Geschäft zu sprechen, und da ich damals mit meiner Arbeit erst
begann, gab er mir einen Haufen Ratschläge. Vor allem erklärte er,
daß eine Reklameagentur, wenn sie wirksam funktionieren soll,
`im hchsten Ausmaß departementalisiert" sein muß. Da ich damals
nur etwa ein Dutzend Untergebene hatte, die Kulis
miteingeschlossen, konnte ich mit diesem Ratschlag nicht viel
beginnen, denn es gab bereits mehr Departements als Angestellte.
Doch als das Geschäft wuchs und ich erfuhr, wie wenig Zureden
eine Gehaltsliste braucht, um jede Grenze zu überklettern, behielt
ich seinen Rat im Sinn. Doch entdeckte ich bald, daß man in China
keine sachverständigen Organisatoren braucht, um eine
weitgehende Arbeitsteilung durchzuführen. Man stelle nur genug
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Leute an und lasse den Dingen ihren Lauf, dann findet man bald,
daß der eine Lehrjunge die Marken der lokalen Post ableckt,
während ein anderer für die wichtigere und qualifiziertere Arbeit
benötigt wird, die Marken der ausländischen Briefe aufzukleben.
Wir haben diesen hohen Grad der Arbeitsteilung nie erreicht, weil
wir nicht einmal für unsere Botengänge genügend Bürojungen
haben, aber immerhin weiß ein einziger unserer Angestellten
genau, wann die verschiedenen Postabfertigungen stattfinden, und
kein anderer wagt es je, zu diesem Gegenstand eine Meinung zu
äußern.
Die Arbeitsteilung in einem kommerziell-künstlerischen Atelier
bietet ein interessantes Beispiel für die Art, wie die Chinesen
untereinander Arbeit aufteilen, damit keiner in die Einflußsphäre
eines anderen eingreift und damit möglichst viele Personen
Anstellung finden. In China werden für Reklamezwecke viele
farbige Kalender verwendet, und zwischen den ausländischen
Firmen besteht ein lebhafter Wettbewerb im Herstellen möglichst
verlockender. Natürlich, das braucht man gar nicht zu erwähnen,
muß das Bild eines hübschen Mädchens oder mehrerer hübscher
Mädchen in der Zeichnung sein; es gibt eine Anzahl chinesischer
Maler, die sich auf hübsche Gesichter spezialisieren und pro
Gesicht Phantasiepreise fordern. Sobald ein solcher Künstler die
Gesichter gemalt hat, will er weiter nichts mehr mit der Sache zu
tun haben; ein zweiter muß aufgenommen werden, die Figuren zu
malen. Dieser betrachtet sich wieder als zu wichtig, um auch den
Hintergrund zu entwerfen, darum tut dies ein dritter. Es kann aber
auch noch ein vierter für ein solches Bild herangezogen werden.
Das Ergebnis ist, daß die fertige Arbeit gewöhnlich nicht nur
verschiedene Technik, sondern oft ganz verschiedene Stile zeigt.
Weil der Chinese immer Individualist ist, findet er es nicht
leicht, sich in eine große Geschäftsorganisation einzufügen. In
einer kleinen fühlt er sich daheim, denn das ist mehr oder weniger
eine Familienangelegenheit, und das Ganze ist ihm vertraut. Doch
sobald eine Organisation hunderte oder tausende Angestellte zählt,
passen die einzelnen Kolben nicht so genau zu dem riesenhaften
Rad, und daher bereitet es einige Schwierigkeiten, die Maschine
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ entsprechend in Gang zu halten. Der chinesische Angestellte weiht
die vollendetste Treue einem kleinen und persönlich geführten
Unternehmen, wie zum Beispiel dem meinen, aber die Vorstellung
irgendeiner Art von Treue einer Korporation gegenüber, deren
Eigentümer für ihn bloß Namen sind, übersteigt die Grenzen seiner
Weltanschauung. Er versteht nicht, warum er sich unnötige Mühe
geben soll, um für Leute Profit anzuhäufen, die weder seine
Freunde noch seine Verwandten sind. Die ersten bedeutenden
Brotgeber chinesischer Arbeiter waren Ausländer, die
Baumwollspinnereien und Zigarettenfabriken errichteten,
Schiffskompanien gründeten und große Verkaufs- und
Verteilungsorganisationen für Petroleum errichteten, und auch
heute sind dies noch die wichtigsten Arbeitgeber. Keine einzige
dieser Firmen hat sich je sehr auf die Loyalität ihrer chinesischen
Angestellten verlassen können. Diese spielen dort auch keine
wichtige Rolle, und ein jeder Chinese steht mehr oder minder
unter der direkten Kontrolle eines Ausländers. Solche Kompanien
geben, soweit dies möglich ist, ihren Angestellten eine sichere
Arbeit, vernünftige Möglichkeiten der Beförderung und ziemlich
großzügige Alterspensionen. Auf diese Art haben die älteren
Gesellschaften einen bemerkenswert schönen Korpsgeist
entwickelt. Die Chinesen sind stolz, wenn sie sagen können, daß
sie für die Standard Oil arbeiten oder für Jardine, Matheson & Co.,
doch ist dies das Ergebnis vieler Jahre anständigen Vorgehens
seitens der Firmen und kann von einem Neuangekommenen nicht
gleich erzielt werden.
Die Tatsache, daß Chinesen Individualisten sind und sich nicht
leicht einer Disziplin unterwerfen oder sich eine, wie es ihnen
scheint, künstliche Treue einer großen Gesellschaft gegenüber
aufzwingen, ist einer der Gründe, vielleicht der Hauptgrund,
warum es so wenige große Gesellschaften in chinesischem Besitz
gibt und warum die meisten der vorhandenen so oft
Schwierigkeiten mit ihren Angestellten haben. Eigentlich gibt es,
abgesehen von einigen halbstaatlichen Unternehmungen, keine
wichtige öffentliche Kompanie in China, obwohl es einige große
Familiengesellschaften gibt, bei denen die Mehrheit des Kapitals
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Mitgliedern derselben Sippe gehört, die auch die wichtigsten und
einträglichsten Posten in Händen hat. Die Folge davon ist eine
gewisse Harmonie der Führung, aber diese Harmonie ist mit
beträchtlichen Personalkosten erkauf tund mit beträchtlichem
Verlust an Leistungsfähigkeit. Mr. Wong mag ein Aktionär sein
und auf ein gewinnreiches. Jahr hoffen, denn dies bedeutet
befriedigende Dividenden. Aber er ist gleichzeitig auch
Angestellter, und während er auf problematische Dividenden
wartet, sieht er nicht ein, warum er nicht von den Gelegenheiten
profitieren soll, die ihm seine Verbindung mit der Organisation
gewährt. Es ist Material zu kaufen, und warum sollte es nicht
durch die Agentur gekauft werden, die dem Bruder seiner Frau
gehört und deren stiller Teilhaber er ist? Sein Vetter, der ungefähr
dieselbe Stelle in der Gesellschaft einnimmt und ungefähr die
gleiche Aktienmenge besitzt, hat acht Söhne oder Neffen unter
dem Personal. Mr. Wong hat nur drei. Warum dieser Unterschied?
Bei der nächsten Vakanz macht er erfolgreich seinen Anspruch
geltend, und ein weiterer untüchtiger, aber anspruchsberechtigter
Neffe wird in die Personalliste eingefügt. Diese Neffen kündigen
ihren Dienst nie auf, und niemand wagt, sie zu entlassen, und so
kommt es, daß eine chinesische Personalliste einer großen
Gesellschaft bald einem Stammbaum ähnelt - einem Baum, der
unfruchtbar ist, aber nicht tot, denn die Wurzeln saugen zwar
Nahrung aus dem Boden, erzeugen aber keine verwendbare
Frucht.
Ehe die großen Möglichkeiten, diese indirekten Vorteile aus
einer Gesellschaft zu pressen, zu den Aktionären und leitenden
Beamten gelangen, kann man viele kleine, aber schmackhafte
Beeren pflücken, die auch dem Niederen zugänglich sind, und
keine einzige solche Beere geht in China verloren. In den Tagen
des Wohlstandes, knapp nach dem Krieg, kauften wir erstaunliche
Mengen von Ankündigungsplakaten und Brochuren. Mein
Bankkonto war noch nie so aktiv gewesen; da wir von unseren
Klienten tausende Dollars erhielten und bedeutend kleinere
Beträge an Drucker zu zahlen hatten, stellte die Differenz einen
befriedigenden Gewinn für uns dar. Aus irgendeinem Grund
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ gelangte schließlich der Großteil der Druckereiarbeiten in die
Hände eines schüchternen, aber arbeitsamen und verläßlichen
Direktorstellvertreters, eines Angestellten einer großen
chinesischen Druckerei. Wir hatten einander erst einige mal
gesehen, als mir Mr. Yen bereits seinen Kummer anvertraute. Es
zeigte sich, daß er der einzige Mensch in verantwortlicher Stellung
in dieser großen Gesellschaft war, den keinerlei
verwandtschaftliche Bande an die Familie knüpften, der die
Gesellschaft gehörte. Er hatte seine Anstellung mehr oder weniger
einem glücklichen Zufall zu danken und glaubte fest daran, daß
später einmal ein anderer Zufall, diesmal ein unglücklicher, ihn
arbeitslos machen werde. Daß dies bis jetzt noch nicht geschehen
war, ging seiner Ansicht nach einzig und allein auf die sehr großen
Bestellungen zurück, die er von uns erhielt.
Eines Tages, als wir seiner Gesellschaft soeben den größten
Scheck übersandt hatten, den ich jemals zeichnen durfte, bemerkte
ich zu ihm, daß ich mich sehr freute, ihm ein so großes Geschäft
zu verschaffen und daß ich glaubte, seine Provisionen müßten sich
schon sehr befriedigend anhäufen, so daß er, wenn das Schlimmste
passieren sollte, immerhin etwas zum Leben hätte, bis er eine neue
Geschäftsverbindung finde. Er sprach seine Anerkennung für das
Geschäft aus, sagte aber, daß es ihm ziemlich schwer falle, eine
halbwegs gerechte Verteilung seiner Provisionen durchzusetzen.
jeder Angestellte in seinem Betrieb kannte nicht nur die Höhe der
Provision, die er erhielt, sondern auch den Betrag, über den wir
abgeschlossen hatten, und ein jeder, der irgendwie mit der von uns
übertragenen Arbeit zu tun hatte, bestand auf einer Teilung.
Lithographen, Zeichner, Setzer, alle verlangten ihren Anteil. Hätte
er sich geweigert, wäre unsere Arbeit verzögert worden und er
hätte keine neuen Aufträge erhalten. Bei seiner Direktion durfte er
sich nicht beschweren, denn sonst wären gewiß die Angestellten
darauf gekommen, unsere Arbeit wäre noch weiter verzögert
worden, und vielleicht hätte man ihm auch noch andere
Schwierigkeiten gemacht. Schließlich und endlich war er
glücklich, wenn es ihm gelang, ein Viertel der von ihm verdienten
Provision behalten zu können. Das Schlimmste daran war aber,
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ daß er, bevor die Arbeit mit uns solchen Umfang angenommen
hatte, ein hübsches Gehalt bezog, von dem er leben konnte. Sobald
seine theoretischen Provisionen immer höher anwuchsen, hatte
man sein Gehalt gekürzt, und jetzt nahm er tatsächlich weniger
Geld ein als früher.
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ SIEBENTES KAPITEL
Büromoral und das Austreiben von
Teufeln
Während ich dies schreibe, putzt unser Hauskuli die
Fenster. Es gibt hier ziemlich viele Fenster, an denen er
arbeiten könnte, aber er hat sich eines am Ende der
langen Veranda ausgesucht, wo ich ihn unbedingt jedes mal, wenn
ich aufblicke, sehen muß. Wenn ich zu einem Spaziergang
fortgehe, verläßt er gewiß seine Fenster, aber nicht, um müßig zu
gehen, denn er ist von einem Energieteufel besessen, der ihn vom
Tagesanbruch bis zum Schlafengehen, manchmal spät nachts,
beschäftigt hält. In meiner Abwesenheit wird er irgendeine andere
Arbeit verrichten, irgendeine, die notgedrungen meinen Blicken
entzogen bleibt - zum Beispiel das Scheuern des
Küchenfußbodens. Dies kann er nicht öffentlich tun. Wenn ich
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ zurückkomme, wird er wieder Fenster putzen oder die am
Vormittag bereits gründlich abgestaubten Möbel der Veranda
abstauben. Wenn er ganz und gar nichts finden kann, wobei ich
ihn sehen muß, hackt er Brennholz. Diese Operation wird im
Küchenhof vorgenommen, doch macht er dabei so viel Lärm, daß
ich ihn unbedingt höre. Eigentlich hört ihn die ganze
Nachbarschaft und weiß jetzt, daß bei den Crows Holz gehackt
wird.
Verlasse ich frühmorgens das Haus, um ins Büro zu gehen, steht
er an der Haustür und putzt die Messingklinke. Bei einem
Wettbewerb für schöngeputzte Klinken würde ich ihm vor allen
anderen den Preis zuerkennen. Es gibt im Hause eine Anzahl
anderer Messingtürklinken, aber man schenkt ihnen nur an dem
regelmäßig wiederkehrenden Messingputztag Beachtung, wie ich
glaube, am Donnerstag. Besonders glücklich ist er bei der Arbeit
während der Wintermonate, denn im Wohnzimmer sind zwei
Kamine, und das gibt ihm die Gelegenheit, jede Viertelstunde
geschäftig einzutreten und frische Kohle aufs Feuer zu legen.
Meine Aschenschale gab ihm schön augenfällige Beschäftigung,
denn sobald auch nur das Endchen eines Zündholzes zu sehen war,
bemerkte es sein Falkenauge, und die Aschenschale wurde
gesäubert und geputzt. Doch führte dieses ständige Ausleeren von
Aschenschalen schließlich zu seiner Verbannung aus dem Zimmer,
wenn ich schreibe, so daß er jetzt gezwungen ist, Fenster zu
putzen, Möbel abzustauben und Brennholz zu hacken.
Er ist kein neuer Kuli, der etwa versuchsweise aufgenommen
wurde und jetzt Eindruck zu machen strebt, damit er sich eine
Dauerstellung verschaffe. Sein Posten ist so dauernd, wie ein
Posten nur sein kann. Der Mann ist jetzt schon so lange bei uns,
daß wir ohne ihn gar nicht mehr auskämen, und auch er käme ohne
uns nicht aus, was er genau so gut weiß wie wir. Seine Ahnen
glaubten ganz allgemein, daß der Arbeiter soviel wert ist wie sein
Lohn, aber sie lernten, daß er viel weniger Schwierigkeit hat,
diesen Lohn zu erhalten und daß ihm dieser Lohn viel leichter
ausgezahlt wird, wenn die Arbeit öffentlich vor sich geht, so daß
jedermann sie beobachten kann. Wenn Arbeit geleistet werden
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ muß, warum dann nicht im grellen Licht der Öffentlichkeit, damit
man auch die gebührenden Ehren dafür einheimse?
Sobald einer meiner Kunden zu mir ins Büro kommt, kann er
gleich beim Eintritt feststellen, ob wir irgendein
Propagandamaterial verschicken oder nicht, denn die Pakete
werden postbereit in der Empfangshalle aufgestapelt sein. Er kann
auch feststellen, ob wir irgendeine Postreklame durchführen, denn
die Zirkulare oder Broschüren liegen dann auf dem großen Tisch.
Wenn wir unlängst Matrizen aus London oder New York erhalten
haben, wird der Kunde auch dies sehen, denn die Kiste wird halb
geöffnet sein, und zwar so, daß oben scheinbar ganz zufällig ein
wenig vom Inhalt zu sehen ist und daß jeder Besucher sogleich
bemerkt, worum es sich handelt, und über die Wichtigkeit der mit
uns in Verbindung stehenden Firmen staunt. Ein Teil dieser zur
Schau getragenen Regsamkeit ist für mich berechnet, der größte
Teil aber für unseren Kunden, dem gezeigt werden soll, wie
wichtig wir sind.
Wenn wir eine größere Sendung Zirkulare verschicken, geben
wir sie gewöhnlich zu je zehntausend auf, die wir in zwei Pakete
verteilen, von denen wir eines am Vormittag und das andere am
Nachmittag zur Post bringen. Uns wäre es natürlich lieber, das
Ganze auf einmal zu befördern -mit einer einzigen Lastautofuhre.
Wir taten das auch, bis sich die Postbeamten über diese
übermäßige Arbeitsbelastung beschwerten. Als wir zehntausend
Stück täglich zu verschicken begannen, gab es wieder eine
Beschwerde. Warum machten wir der einen Schicht der
sortierenden Beamten soviel Mühe, während die andere Schicht
von dieser Arbeit verschont blieb? Dies zwang uns dazu, Partien
von fünftausend Stück zu expedieren, was für mein Personal
wieder eine große Enttäuschung war, denn fünftausend Stück sind
keine Menge, die auf irgend jemanden Eindruck machen kann, und
woher sollte man dann glauben, daß wir große Geschäfte tätigten?
Immerhin finden wir uns damit ab, so gut es geht. Wir schicken
eine Partie erst ab, wenn die zweite schon bereit liegt, so daß
immer ganze Stöße in der Empfangshalle liegen. Bequemer wäre
es, die Post vor den Bürostunden am Morgen oder auch spät am
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Nachmittag zum Postamt zu senden. Die Straßen sind dann
weniger überfüllt, aber wir lieben es ja, eine solche Arbeit in
überfüllten Straßen zu verrichten. Wenn irgendein wichtiger
Kunde mich besucht, ereignet es sich fast jedesmal, daß genau zu
der Stunde, da der Besucher ankommt, die Kulis unter ungeheurem
Lärm und Getue, unter der Last der abzusendenden Post
zusammenbrechend, das Lokal verlassen. Wenn sie ins
Erdgeschoß kommen, haben sie in der großen, zum Haustor
führenden Halle einen bequemen Ruheplatz. Dies gibt auch allen
denen, die vorbeigehen, die Gelegenheit, zu beobachten, daß das
Geschäft in anderen Branchen vielleicht ein wenig flauer wird, daß
aber das Reklamegeschäft, wenigstens, soweit es von unserer
Firma vertreten wird, auf überaus festen Beinen steht.
Die Zirkulare werden für den Transport zum Postamt
gewöhnlich in eine Rikscha verstaut, und dieses Ereignis läßt sich
nur noch mit dem Beladen eines großen Ozeanschiffes
vergleichen. Jedermann in der unmittelbaren Nachbarschaft legt
mit Hand an, indem er entweder faktisch hilft oder doch
wenigstens Ratschläge erteilt. Jedem macht es Spaß, mit
offensichtlichem Wohlstand in Verbindung zu stehen. Der
Rikschakuli kümmert sich nicht darum, wie hoch die Pakete
aufgestapelt sind, und je höher sie es sind, desto lauter brüllt er,
während er sich mit seinem Fahrzeug zwischen den anderen
Rikschas durchschlängelt. Sein Tonfall und seine Art scheinen zu
sagen: `Platz! Wertvolle Ladung! Platz! Platz fr eine große
Firma!"
Als wir vor ein paar Jahren ein neues Büro bezogen, glaubte ich,
diese Veränderung werde mir die Möglichkeit geben, einige sehr
notwendige Reformen unseres Bürobetriebes durchzuführen. Das
war unser erstes Büro mit einem Frachtenaufzug, und dieses
Hilfsmittel lieferte mir den Text für meine geschäftliche Predigt.
Wir zögen jetzt in ein neues Lokal, in dem es diesen modernen
Komfort gebe, und darum sollten wir mit der Zeit Schritt halten.
Fort mit der guten, altmodischen chinesischen Sitte, Pakete
treppauf und treppab zu tragen! Man verwende den Lift, der uns
zur Verfügung stehe und der uns keinen Cent Mehrkosten
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ verursache. Ich sagte ihnen auch, daß ich bei meinem letzten
Besuch bei Reklameagenturen in New York, London, Paris und
Berlin keine einzige Firma gefunden hätte, deren Empfangsraum
als Ablagerungsplatz für Reklamematerial verwendet werde. Dort
seien die Empfangsräume mit schönem Mobiliar eingerichtet,
hätten Teppiche auf dem Boden und Bilder an den Wänden.
Nirgends hätte ich die abzufertigende Post in einem solchen
Zimmer gesehen. Und nun wollten wir diesem Beispiel folgen.
Alle waren von dieser neuen Idee begeistert. Dann kaufte ich für
die Empfangshalle Ebenholzmöbel, um die uns jede New Yorker
Agentur beneiden konnte, kaufte Linoleum für den Fußboden und
einige Hogarth-Reproduktionen für die Wände. Wir richteten uns
auch einen Lagerraum und einen Postraum ein, die so abgelegen
waren, daß kein Besucher von ihrer Existenz etwas ahnen
konnte.
Weiter kamen wir aber mit unseren großen Reformbestrebungen
nie. Als die Ebenholzeinrichtung geliefert wurde, führte man sie
nicht mit dem Frachtenaufzug hinauf, sondern trug sie durch den
Haupteingang des Gebäudes, vier Treppen hoch mit bequemen,
aber lärmenden Haltepausen auf jedem Treppenabsatz. Nur Pfeifen
und Trommeln hätte die Ankunft der neuen Möbel noch
öffentlicher gestalten können. Die Mieter eines jeden der vier
Stockwerke hatten reichlich Gelegenheit, die Tische und Stühle zu
bewundern und ihren Wert abzuschätzen. Der neue Empfangsraum
in all seiner Pracht war noch keine Woche fertig eingerichtet, als
ich eines Nachmittags kam und ein halbes Dutzend Angestellte
fand, die Briefumschläge adressierten und Pakete mit
Reklamematerial einpackten. Schließlich gab ich es auf, und unser
Empfangsraum sieht heute genau so aus wie jeder andere in China.
Der Besucher findet darin augenfällige Beweise für alle unsere
laufenden Geschäfte. Die einzige Art, wie ich je hoffen dürfte, dies
zu ändern, bestünde darin, einen so kleinen Empfangsraum zu
bauen, daß überhaupt niemand hinein kann.
Als die Leute der Schreibmaschinenfirma zum erstenmal in
unser neues Büro kamen, um ihre monatlichen Obliegenheiten
durchzuführen, wählten sie den Ebenholztisch im
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Empfangszimmer als den logisch gegebenen und angemessenen
Ort für ihre Arbeit. jedermann im ganzen Hause schien ihnen
beizupflichten, denn die Leute arbeiteten fröhlich und lärmend
dort weiter, bis ich sie dabei erwischte. Jetzt müssen sie die
Schreibmaschinen in der Mitte des großen Büroraums, der alle
Angestellten und Kulis beherbergt, ölen und ausbessern. Meine
Idiosynkrasie hat ihnen die erlesenere Zuschauerschaft geraubt,
die der Empfangsraum ihnen geliefert hätte, aber sie haben dafür
die Befriedigung, vor den Augen und Ohren fast des ganzen
Personals arbeiten zu dürfen. Soweit ich weiß, machen diese Leute
ihre Arbeit sehr gut, die Schreibmaschinen sind in
ausgezeichnetem Zustand, und außerdem weiß ich noch etwas
genau. Viele obskure Reklameagenturen in anderen Städten haben
vielleicht mehr Schreibmaschinen, aber gewiß kann keine Firma
mehr Lärm mit den ihren machen als wir, wenn wir mit
Hochbetrieb arbeiten. Die Chinesen lieben Lärm und Getue und
das Zurschaustellen von Tätigkeit, und sie richten es auch
gewöhnlich so ein, daß nicht weniger zur Schau gestellt wird, als
getan wird. Für sie gilt das Ansehen sehr viel, das ein
offensichtlich stark beschäftigtes Unternehmen auf alle Beteiligten
ausstrahlt. Wenn das Unternehmen nicht so beschäftigt ist, werden
sie doch ihr Bestes tun, diesen Anschein zu erwecken, und sie
scheuen in derlei Fällen auch vor einer Unmenge überflüssiger
Arbeit nicht zurück. Es macht ihnen gar nichts aus, Überstunden
zu arbeiten, zumal dann nicht, wenn Angestellte weniger
gutgehender Büros, Leute, die um fünf Uhr heimgehen, sehen
können, wie schwer wir noch arbeiten müssen. Sie scheinen sich
auch tatsächlich über gelegentliche wirkliche Überstundenarbeit
zu freuen. In den ersten paar Tagen eines jeden Monates gibt es
bei uns im Büro die übliche Extraarbeit mit den Bestellungen und
Rechnungen. Nun haben wir in Shanghai eine zweistündige
Mittagspause, einen Überrest aus der gemütlichen alten
Segelschiffzeit, in der es nie viel zu tun gab, wenn nicht gerade ein
Schiff im Hafen lag. Da sich die meisten Angestellten ihr
Mittagessen aus einem Restaurant ins Büro bringen lassen, wäre es
höchst einfach, die Extraarbeit gleich nach dem Essen
100

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ fortzusetzen. Aber das geschieht nie. Bis `der groe Ching", die
Zollamtsglocke, zwei Uhr schlägt, die Stunde, da allenthalben die
Arbeit wieder aufgenommen wird, liest man die Zeitung, plaudert
mit Freunden in anderen Büros, spielt Dame oder schaut durchs
Fenster. Wenn es fünf Uhr wird, bleiben sie alle ein paar Stunden
länger. Dann rühmen sie sich vor ihren Freunden: `Bei uns gibt es
jetzt recht viel zu tun. Gestern ist es wieder fast acht Uhr
geworden."
Wir entwarfen einst einen Kettenbriefplan fr die Verteilung von
Mustern. Wir hatten damit großen Erfolg, und das Ganze nahm
solche Ausmaße an, daß einen Monat oder noch länger, nachdem
wir mit dem Abblasen des Versuchs begonnen hatten, die
Angestellten bis spät abends damit zu tun hatten, Briefe zu
eröffnen und Musterpakete zu adressieren. Kein einziger
beschwerte sich über die Überstunden und die Extraarbeit, bald
aber hörte ich von dritter Seite eine merkwürdige Geschichte, daß
nämlich der Hausherr die Absicht habe, unsere Miete zu erhöhen,
weil wir zu viel elektrischen Strom brauchten und ungebührlich
lange Licht brennen ließen. Als diese Geschichte zu ihrer Quelle
zurückverfolgt wurde, stellte sich heraus, daß einer meiner
Angestellten dem Angestellten einer Konkurrenzfirma gegenüber
geprahlt hatte.
Dieses Lärmen und Geschäftigtun und all diese vorgetäuschte
Regsamkeit gibt dem chinesischen Angestellten Vertrauen zu sich
selbst und zu der Firma, für die er arbeitet. Er schafft sich diese
Atmosphäre, denn um völliges Vertrauen zu dem Unternehmen zu
haben, muß er davon überzeugt sein, daß die dieses Unternehmen
umgebenden Einflüsse nicht böswillig sind. Die Chinesen wissen,
ebenso wie ihre Ahnen durch vierzig Jahrhunderte es wußten, daß
eine Handlung manchmal Erfolg hat, daß aber zu anderen Zeiten
genau dieselbe Handlung unter offenbar gleichen oder ähnlichen
Umständen mißglückt. Dafür kann es nur einen einzigen Grund
geben, nämlich das Vorhandensein böswilliger oder übelwollender
Geister. Vor tausend Jahren gab dies den Philosophen der
damaligen Zeit reichlichen Stoff zu ängstlichem Grübeln, und sie
kamen zu dem Schluß, daß es zwar vielleicht unmöglich oder
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ gewiß schwer sei, das Schicksal zu ändern, daß aber sein Einfluß
gemessen und vorausgesagt werden könne, so daß man seine
Handlungen danach einzurichten vermag. Und so schufen sie ein
kunstvolles System, demzufolge der, der dessen Geheimnisse
beherrscht, annähernd genau die Elemente der glücklichen oder
unglücklichen Einflüsse bestimmen kann, die ihm vielleicht helfen
oder ihn schädigen können. Das Element des guten oder des bösen
Zufalls gehört zu jedem menschlichen Tun. Und so gibt es
glückbringende und unglückbringende Büros, Häuser und Tage, ja
sogar bedenkliche Tage für Begräbnisse.
jeder in meinem Büro glaubt, daß unsere Firma sehr glücklich
ist, denn noch niemals hat es einen Todesfall gegeben, ja nicht
einmal eine ernstere Krankheit. Vor einigen Jahren betrübte uns
der plötzliche Tod eines russischen Künstlers, der trotz der
Tatsache, daß die Chinesen die Russen im allgemeinen nicht
leiden mögen, bei den chinesischen Angestellten höchst beliebt
war. Nachdem sich die Trauer über sein Hinscheiden einigermaßen
gelegt hatte, wurde die Angelegenheit des längeren besprochen,
und schließlich erklärte man, der Mann sei nur ein paar Jahre bei
uns gewesen, daher könne man seinen Tod keineswegs üblen
Einflüssen zuschreiben, die von unserer Firma ausgingen, und
unser Zauberkreis bleibe undurchbrochen. Dies befriedigte uns
sehr, obwohl wir das Geschick nicht herausforderten, indem wir
etwa zu Außenstehenden davon gesprochen hätten. Ich fürchte
sogar, daß diese Erwähnung des Falles schon eine schwere
Unklugheit ist.
Nicht nur unsere Organisation hat Glück, sondern auch unsere
Büroräume. Das ist weder eine Vermutung noch eine
Großsprecherei, sondern die einfache Feststellung einer
Tatsache,denn die gutenEinflüssewurdenvon dem bestenTalent,
das unsere chinesischen Angestellten finden konnten, beobachtet,
festgestellt und abgeschätzt. Das war ein Geomant, den man
wahrscheinlich in anderen Ländern `psychischen Berater" nennen
wrde. Ich lernte ihn ganz zufällig kennen, denn man hatte
beabsichtigt, ihn während meiner Abwesenheit zu Rate zu ziehen.
Sein Beruf ist so sonderbar, daß ich gerne mit dem Mann bekannt
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ wurde. Es war ihm nichts Ungewöhnliches anzumerken. Ich sah
einen Mann von mittleren Jahren in schlichter Kleidung, der
sprach und aussah wie ein Hochschullehrer. Er brauchte mehrere
Stunden, unser neues Büro mit seinem Kompaß und seinem Lineal
durchzugehen, doch als er die Besichtigung beendet hatte, war
sein Urteil günstig. Der Leser hält dies wahrscheinlich für baren
Unsinn, darum will ich ihn nicht mit den Einzelheiten langweilen,
sondern nur ein paar Hauptsachen schildern. Der Haustür
gegenüber lag die größte chinesische Bank. Im Süden war eine
amerikanische Bank, die als sehr gut fundiert galt, und in der
entgegengesetzten Richtung das Büro einer britischen
Realitätengesellschaft mit großem Kapital. Es gab noch eine
Menge anderer guter Einflüsse, so die Boote der Dollar Company
auf dem Fluß und das nahe gelegene britische Konsulat, aber die
zwei Banken und die Realitätengesellschaft mit ihrem gut
fundierten Besitz genügten für die verwöhntesten Ansprüche. Der
Geomant ließ ein paar Tische umstellen und schenkte meinem
Schreibtisch große Aufmerksamkeit, denn dieser bot einige
ungewohnte Schwierigkeiten. Die korrekte, orthodoxe Stellung
meines Schreibtisches hätte mich gezwungen, mit dem Gesicht
zum Fenster zu sitzen, was für jemanden mit schwachen Augen
nicht gut durchführbar ist. Daher wurde ein Kompromiß
geschlossen, so daß der Schreibtisch genau in der Richtung von
Ost nach West stand. Er bildete daher mit der Mauer einen
sonderbaren Winkel, doch spielt dies keinerlei Rolle im Vergleich
mit der Wichtigkeit der geomantischen Einflüsse.
Wenige Monate vergingen, und wir wußten, daß wir alle nur
erreichbaren guten Einflüsse brauchen würden, denn harte Zeiten
kamen mit der Erbarmungslosigkeit einer Choleraepidemie über
uns. Die künstliche Realitätenhausse in Shanghai brach
zusammen, die Aktien fielen auf einen Bruchteil ihres früheren
Wertes, die Banken forderten die Zahlung alter Schulden und
weigerten sich, neue Darlehen zu gewähren, und zum erstenmal,
soweit ich mich erinnern kann, gab es in unserer
Hauptgeschäftsstraße, der Nanking Road, leerstehende
Geschäftsläden. Das war eine Zeit, wo viele Leute die Nerven
103

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ verloren. Jeder Klub der Stadt litt an Mitgliederschwund, weil das
Klubleben zu kostspielig wurde und die britische und
amerikanische Kolonie die Schwere der harten Zeiten fühlten. Mir
kam es oft so vor, als wäre mein Büro der einzig heitere Ort in der
Stadt. Nichts konnte die Zuversicht meiner chinesischen
Angestellten erschüttern, die fest überzeugt waren, daß vom
Schicksal weniger begünstigte Firmen vielleicht vor die Hunde
gehen mochten, daß uns jedoch eine Aura von Glück umgab und
daß nichts uns ernsthaft schaden konnte. Und, so sonderbar es
klingt, sie behielten recht. In den letzten paar Jahren haben nur
wenige Firmen in Shanghai einen Aufstieg genommen, und auch
wir zählen nicht zu diesen, aber dafür haben wir nicht zu klagen.
Wir brachten Außenstände herein, die wir schon verloren gegeben
hatten. Unsere Klienten annoncieren weiter, und einige neue
Kunden sind, obwohl wir uns nicht um sie bemühten, mit uns in
Geschäftsverbindung getreten.
Einige Monate nach dem Beginn dieser lokalen Depression
hatte ich wirklich oder vermeintlich Grund, an diesen überaus
günstigen geomantischen Einflüssen zu zweifeln, die uns
angeblich förderten. Die große chinesische Bank im Osten zog
provisorisch ein paar Häuserblöcke weiter, und das alte Gebäude
wurde niedergerissen. Die große britische Realitätengesellschaft
im Norden hatte schlimme Zeiten durchzumachen und geriet ins
Schwanken. Die amerikanische Bank im Süden krachte unter
höchst üblem Gestank zusammen, und ihr Präsident und ihr
Direktor kamen ins Kittchen. Das britische Konsulat funktionierte
allerdings weiter, und auch die Dollarboote fuhren fahrplangetreu
über den Fluß, doch hatte der Geomant erklärt, daß diese beiden
letzteren Einflüsse von geringerer Wichtigkeit seien. Ich erwartete
nun, daß die Chinesen den Kopf hängen lassen würden, aber sie
waren munter wie immer. Die Geomantik ist eine subtile und
komplizierte Wissenschaft, aber ich bin nicht weit in sie
eingedrungen und kenne nur sehr wenige ihrer Geheimnisse.
Offenbar brachte uns die Entfernung der guten Einflüsse, die uns
früher umgeben hatten, keinerlei Nachteil. Warum das so war,
verstehe ich nicht, jedenfalls ist es eine Beruhigung.
104

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Mein Büro ist nicht das einzige, das von geomantischen
Einflüssen kontrolliert wird, obwohl ich einer der sehr wenigen
bin, die dies offen zugeben. Die meisten Ausländer lachen über
derlei Dinge, und da Spott etwas ist, das die wenigsten Chinesen
schlucken können, werden die chinesischen Gehilfen und
Kollegen derartiger Leute zwar nichts davon sagen, aber doch bei
der Aufstellung ihrer Schreibtische und auch bei Aufstellung des
Schreibtisches ihres Dienstgebers darauf achten, daß üble
Einflüsse abgewehrt und die guten Einflüsse möglichst gefördert
werden. Ein alter Engländer, ein Nachbar, erzählte mir unlängst,
daß er fünfzehn Jahre lang ein schlecht beleuchtetes und schlecht
gelüftetes Bürozimmer hatte, weil seine chinesischen Angestellten
dieses Zimmer für glückbringend hielten. Sein wachsender
Wohlstand schien dies zu bestätigen, darum gab er allmählich den
Widerstand auf und glaubte schließlich so halb und halb selber
daran. Ehe die Realitätenhausse zur Folge hatte, daß eine Menge
alter Gebäude niedergerissen wurden, und einen Umzug
notwendig machte, waren wohlhabende alte Firmen jahrelang in
unzulänglichen und alten Lokalitäten untergebracht. Sobald
jemand eine Übersiedlung vorschlug, leistete die chinesische
Angestelltenschaft so entschlossenen Widerstand, daß der Plan
fallen gelassen wurde.
Eines Tages erhielten wir den Besuch des Dorfältesten aus einer
Siedlung, die zehn oder elf Meilen von Shanghai entfernt liegt. Er
entschuldigte sich sehr seiner Mission wegen, die sich als ziemlich
wichtig erwies. Vor einem Jahr hatten wir bei seinem Dorf ein
großes Zigarettenplakat aufgestellt, und es zeigte sich, daß bald
nachher Mißgeschick die Gegend befiel. Die Ernte mißriet, es gab
ungewöhnlich viel Krankheiten und mehrere Todesfälle. Die
Ältesten des Dorfes hatten unzählige Schalen Tee konsumiert,
während sie die Angelegenheit besprachen, und schließlich zogen
sie einen tüchtigen Geomanten zu Rat. Dieser überprüfte die
Situation auf das gründlichste und kam zu dem Schluß, daß unser
Zigarettenplakat der Versammlungsplatz für böse Geister sei, die
von dort ihre Streifzüge gegen das Dorf unternähmen. Die
Dorfältesten hatten nicht die Absicht, `meine Reisschale zu
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ zerbrechen", und darum war der Schulze zu mir gekommen, um
mich zu fragen, was wir als angemessene Entschdigung für die
Enfernung dieses bösen Einflusses akzeptieren würden.
Viele diplomatische Angelegenheiten dieser Art werden in
meinem Büro vorgebracht, und die Probleme finden ihre Lösung,
ohne daß ich überhaupt davon erfahre. Die Chinesen sagen, daß
sie mich mit so alltäglichen Angelegenheiten nicht belästigen
wollen, aber in Wirklichkeit glauben sie, daß ich als Ausländer gar
nicht die nötige Feinheit für die Behandlung dieser Dinge haben
kann.und unbedingt Wirrwarr anrichten müßte. Von der Ankunft
jenes Dorfschulzen erfuhr ich nur durch Zufall und mengte mich in
die Verhandlungen ein. Die Situation war sehr verwickelt. Alle
äußerten die Ansicht, daß das Dorf mit Recht Beschwerde führe.
Wir waren gerne bereit, das Ärgernis zu entfernen, ohne dafür eine
Zahlung zu verlangen, aber das Zigarettenplakat gehörte einem
unserer golfspielenden Kunden, und er mußte es jedesmal auf
seiner Fahrt zum Golfplatz sehen. Er selbst hatte die Stelle
ausgesucht und hielt diese daher für viel wertvoller und wichtiger,
als sie in Wirklichkeit war. Wenn wir die Reklame entfernten,
bereitete es uns gewiß die größten Schwierigkeiten, ihm die Sache
zu erklären. Er war erst kurze Zeit in China und wußte nichts von
den gefährlichen bösen Geistern. Außerdem hätte er
wahrscheinlich einer anderen Reklamefirma die Errichtung einer
anderen Tafel an derselben Stelle übertragen, so daß wir bloß
einen Kunden verloren hätten und das Dorf nichts gewonnen.
Da machte ich einen Vorschlag, der allgemeine Anerkennung
fand. Da dies eine Versammlungsstätte von Teufeln war, konnte
man doch ein ausgiebiges Feuerwerk an der Stelle abbrennen und
die bösen Geister vertreiben. Der Dorfschulze hielt dies für einen
ausgezeichneten Einfall, bestand jedoch als vernünftiger Mann
darauf, daß er vorerst seinen berufsmäßigen Ratgeber, den
Geomanten, befragen müsse. Auch dieser war der Ansicht, daß das
Problem auf solche Art gelöst werden könne, war jedoch
vorsichtig genug, uns darauf aufmerksam zu machen, daß wir
diesen Vorgang vermutlich alljährlich würden wiederholen
müssen. Denn die Teufel faßten vielleicht neuen Mut und kamen
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ wieder. Gleichzeitig bestimmte er einen günstigen Tag für das
Abbrennen des Feuerwerkes, einen Tag, der - wie jedermann
hoffte - für die Teufel ungünstig sein mußte. Für zehn Dollar
Feuerwerk erschien allen als ausreichend, doch da dies mein erster
Versuch in Geisterbeschwören war und ich die Sache gründlich
machen wollte, verdoppelte ich den Betrag. Für zwanzig Dollar
kann man eine unglaubliche Menge Feuerwerkskörper kaufen.
Einige Mitglieder meines Personals wohnten persönlich dem
Feuerwerk bei, um darauf zu achten, daß alles in Ordnung gehe,
aber ich konnte nicht abkommen und versäumte so dieses
interessante Schauspiel.
Alle Dorfbewohner waren anwesend und auch einige Leute aus
den Nachbardörfern. Keiner von ihnen hatte je ein so
wundervolles Feuerwerk gesehen, und jedermann staunte über
meine Freigiebigkeit. Der Lärm war entsetzlich und muß die
Teufel so gründlich erschreckt haben, daß sie sich in eine andere
Gegend flüchteten. Jedenfalls verschonten sie von nun an das
Dorf, dem es wohlerging und das sich nie wieder zu beklagen
hatte. Der Dorfschulze schickte mir alljährlich Tee als Geschenk,
bis das Plakat endgültig abgerissen wurde. Unser Klient hatte das
Golfspiel aufgegeben und befaßte sich jetzt mit dem Segelsport,
darum interessierte ihn die Gegend nicht mehr und er erneuerte
den Kontrakt nicht. Oft denke ich, wie jammerschade es ist, daß
meine Vorfahren in Neu-England den Gebrauch von Feuerwerken
nicht kannten. Für ein paar Dollar hätten sie alle Teufel aus Salem
vertreiben können, und es wäre nicht notwendig gewesen, die
Hexen zu verbrennen,
Als ich vor ein paar Jahren in der Heimat war, bemerkte ich
unwillkürlich, daß es in Amerika vom Weißen Hause abwärts nur
wenig Häuser gibt, die so gebaut sind, daß sie böse Geister
abwehren und die günstigen geomantischen Einflüsse anziehen.
Nichts Geringeres als eine Pagode wäre imstande, die üblen
Einflüsse auf dem Rasenplatz vor dem Weißen Hause zu
verscheuchen, und die Stellung des Schreibtisches im
Arbeitszimmer des Präsidenten ist geradezu eine Einladung an die
Teufel, einzutreten und ihren größten Unfug zu treiben. Der
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Buckingham Palace ist ein wenig besser daran, dank den
Monumenten, die gegenüber dem Eingang stehen, aber im St.
James's Park sollte ein Bach rinnen, und eine Pagode in der
Nachbarschaft wäre von unermeßlichem Wert. Viele meiner
chinesischen Freunde wären entsetzt, wenn sie wüßten, wie meine
Schwestern in Pittsburgh und St. Louis meine reizenden kleinen
Neffen und die kleine Nichte allen bösen Geistern, die sich dort in
der Gegend umhertreiben, aussetzen. Vom chinesischen
Gesichtspunkt sind diese so gar nicht bekämpften Teufel, die in
jedes amerikanische Heim eindringen können, eine ärgere Gefahr
als die Gangsters und eine ganz logische Erklärung für die
wirtschaftliche Depression. Unter den neuen Gebäuden war das
New Yorker Hotel vom geomantischen Gesichtspunkt korrekt
gebaut, aber die Architektur des Empire State Building war
geradezu verbrecherisch. Kein Chinese, der seine fünf Sinne
beisammen hat, würde in einem der oberen Stockwerke ein Büro
beziehen wollen.
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ ACHTES KAPITEL
Zittere und gehorche
Während der Jahrhunderte, da China Monarchie war,
wurden fast alle amtlichen Verordnungen in der Form
`kaiserlicher Befehle" erlassen, das heit als direkte
Weisungen des Kaisers persönlich oder als Weisungen eines
stellvertretenden Beamten, der seine Anordnungen auf Grund der
ihm vom Sohn des Himmels übertragenen Vollmacht traf. Die
Weisungen, die an einem einzigen arbeitsreichenTag erlassen
wurden, umfaßten oft die verschiedensten Dinge, angefangen von
dem Befehl an einen Vizekönig, ein paar Millionen Dollar
beizusteuern und zur Verteidigung des Landes gegen eine
drohende Invasion eine Armee aufzustellen, bis zu
verhältnismäßig so alltäglichen Dingen, wie es die Weisung an
einen Dorfschuhen ist, einen Damm oder einen Kanal wieder
instandzusetzen. Die Edikte waren sehr oft wortreiche
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Kompositionen, die einem die erstaunte Frage nahelegen konnten,
wo der erhabene Sohn des Himmels die Zeit fand, solche Umsicht
zu üben. Oft enthielten sie ins einzelne gehende Instruktionen, wie
eine Arbeit zu geschehen habe, Instruktionen, in ebenso schöne
wie undeutliche Sprache eingekleidet, aber über den eigentlichen
Kern der Sache herrschte nie ein Zweifel. Was immer ein solches
Mandat betreffen mochte, der Text schloß fast unabänderlich mit
der Ermahnung: `Zittere und gehorche!" Und wenn es sich um
eine Angelegenheit von einiger Dringlichkeit oder Wichtigkeit
handelte, war eine zweite Ermahnung hinzugefgt: `Versuche nicht,
die Verantwortlichkeit von dir abzuschieben!"
Dem Westlnder mag die Zusammenstellung dieser beiden Phrasen
unlogisch erscheinen. Man sollte glauben, daß ein Beamter, der
einen solchen Befehl erhält und liest und dann zittert und
gehorcht, gar nicht den Versuch machen wird, die
Verantwortlichkeit von sich abzuschieben. Aber das ist nicht die
notwendige Folge. Der alte chinesische Staatsmann, der vor
vielen, vielen Jahrhunderten diese Formel in die kaiserlichen
Edikte einfügte, hatte tiefes Verständnis für die Schwächen und
die Idiosynkrasien des Chinesen. Nur dann freut er sich des
Gehorsams, wenn damit der mildernde Umstand völliger
Verantwortungslosigkeit verbunden ist. Am liebsten würde er
zitternd Befehlen gehorchen, die so detailliert sind, daß er im Falle
des Mißlingens sagen kann, er habe getan, was ihm aufgetragen
worden, und sei für den Mißerfolg in keiner Weise haftbar. Um
diese Einstellung zu vermeiden, wurden in die Dekrete die beiden
Befehle eingefügt. In schlichter Sprache bedeuteten die Worte des
Himmelssohnes nichts anderes als: `Tue deine Arbeit! Mach sie
grndlich! Und keine Ausflüchte!"
Es gehört zu meiner täglichen Arbeit, daß ich viel bei Verkäufen
und bei Reklamekonferenzen zu tun habe. Nachdem ich solche
Veranstaltungen in New York, London, Paris, Berlin, gar nicht zu
reden von Osaka wiederholt besucht habe, darf ich wohl sagen,
daß es zwar notwendige Institutionen sind, daß man jedoch nur
selten davon nach Hause geht, ohne zu glauben, es habe
ebensoviel Gerede und Zigarettenrauch gegeben wie faktische
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Resultate. Reklamekonferenzen haben ebenso wie
Komiteeversammlungen die Tendenz, alle daran teilnehmenden
Individuen auf den kleinsten gemeinsamen Intelligenznenner zu
bringen. Je mehr Leute bei der Konferenz sind, desto schwieriger
ist es, etwas zu erledigen, und wenn mehrere Nationalitäten
beteiligt sind, vermehren sich Rauch und Gerede, ohne daß
dadurch die Arbeit irgendwie beschleunigt oder die Menge des
Erledigten auch nur im geringsten vergrößert würde.
Wird diese Konferenz jedoch in China abgehalten und in
nennenswertem Ausmaße von Chinesen beschickt, so bringt sie
gewöhnlich noch mehr als die übliche Menge an Gerede und noch
weniger als die üblichen Resultate hervor. Es erfordert dann ganz
besonders sorgfältiges Lavieren und diplomatisches Manövrieren,
um überhaupt etwas zu erledigen. Bei neun Konferenzen von zehn,
die ich besuche, bestehen die zwei wichtigsten Parteien aus einem
ausländischen Fabrikanten, der den Verkauf seiner Produkte zu
fördern wünscht, und einem ausländischen Reklameagenten - das
bin ich -, dessen Pflicht es ist, dem anderen bei diesem löblichen
Ehrgeiz behilflich zu sein. Wir besprechen die Sache und kommen
damit so weit es geht, die Chinesen aber hören zu und sagen nichts
oder vielleicht hören sie überhaupt nicht zu, und bald sind wir in
unserem unvollkommenen Wissen um chinesische Psychologie,
chinesischen Geschmack und um all das, was mit dem Problem
einer Handelsverbindung mit Chinesen zusammenhängt, ganz
verloren. In sehr vielen Fällen leiden wir beide an einem
Minderwertigkeitskomplex, weil der scharfblickende und
intelligente Ausländer, der lange in China gelebt hat, mit seiner
Distanz zu den Dingen die Chinesen besser kennt als sie sich
selbst. Dies soll kein Urteil über die chinesische Denkart sein, aber
wenn ich zum Beispiel etwas über die Psychologie der, sagen wir,
Litauer erfahren wollte, würde ich viel lieber einen Amerikaner
fragen, der in diesem kleinen Lande gelebt hat, als einen Litauer
selbst. Wirklich heißt den Eingeborenen eines Landes nach dem
Geschmack und der Psychologie seiner eigenen Landsleute fragen
ebensoviel wie einen Orangenbaum fragen, wie die Orangenblüte
riecht. Der Baum weiß es nicht, weil ihm die Vergleichspunkte
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[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
fehlen.
Sobald wir unserem individuellen oder kollektiven Wissen und
Meinen kein allzu großes Vertrauen schenken, ersuchen wir unsere
chinesischen Kollegen um ihre Hilfe. Es müßte ihnen sehr leicht
sein, uns den rechten Weg zu weisen und uns vor Irrtümern zu
bewahren. Solange es sich darum handelt, Informationen und Rat
in geringfügigeren und unwichtigeren Details von ihnen zu
erlangen, sind sie ehrlich und aufrichtig hilfsbereit. Und wenn wir
uns schon über die Grundzüge eines Planes geeinigt haben und nur
ihre Meinung dazu hören wollen, bevor wir ihn ausführen,
stimmen sie begeistert zu. Hätten wirin solchen Fällen nicht schon
viele Enttäuschungen erlebt, könnten wir uns geschmeichelt
fühlen. Doch wissen wir jetzt schon von einer solchen einmütigen
Zustimmung die richtigen Posten zu subtrahieren, sprechen lange
um den Gegenstand herum und kommen schließlich darauf, woher
der Wind weht. Wir wissen, daß kein Mensch so außerordentlich
unhöflich sein könnte, einem zu sagen, daß ein Plan
undurchführbar sei, und mag ihm dies noch so wichtig erscheinen.
Wenn man ihm jedoch genügend Zeit läßt, ist er vielleicht
imstande, einem diese Meinung auf eine indirekte Art, die keinem
der Beteiligten das Gesicht nimmt, zu sagen.
Manchmal spitzt sich die Diskussion auf die Frage zu, ob man
von zwei Dingen das eine oder das andere tun soll, und wenn sich
die chinesischen Teilnehmer einer Konferenz einer so klipp und
klar gestellten Frage gegenüber sehen, werden sie unabänderlich
und ganz instinktiv sich zu decken suchen. In solchen Fällen
sprechen sie von allem, was es unter der Sonne gibt, schweifen
ungezähltemal ab, hoffen, daß die Konferenz durch irgendeinen
Umstand ein frühes Ende finden werde, klammern sich an alles,
was ihnen ersparen könnte, zu einer definitiven Entscheidung zu
kommen. Dabei hat vielleicht jeder eine ziemlich klare Idee, was
geschehen sollte. Mr. Chang ist innerlich davon überzeugt, daß
diese Politik die richtige ist, doch fürchtet er, wenn er sich offen
dafür ausspräche und später ein Mißerfolg einträte, daß er die
Verantwortung tragen müßte. Alle anderen denken dasselbe. Jeder
sucht Ausflüchte und spricht um die Sache herum, allerdings sehr
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ viel, und so geht die Diskussion endlos weiter. Um die Dinge
aufzurühren, beginnen der Fabrikant und ich eine heftige
Kontroverse und werfen uns Argumente an den Kopf. Endlich
wagt sich jemand vorsichtig mit einer Idee hervor, wobei er sich
jedoch genügend Raum offen läßt, um einen Rückzug anzutreten,
falls er sich auf feindlichem Gebiet finden sollte. Ein anderer
macht einen ebenso vorsichtigen Vorschlag. Mr. Wong und Mr.
Chang pflichten einander offensichtlich bei, und auch Mr. Ling
schließt sich ihrer Meinung an. Der Bann individueller
Verantwortlichkeit ist gebrochen. Auf einmal finden wir, daß wir
alle wissen, was geschehen soll, und jetzt machen wir uns
begeistert an die Ausarbeitung der Einzelheiten.
Natürlich sind Chinesen bei einer solchen Konferenz im
Nachteil. Sie denken nicht in kommerziellen Begriffen, auch dann
nicht, wenn sie selbst kommerziell tätig sind. Ihre Art, ein Problem
anzugehen, ist immer subjektiv, und sie finden es unmöglich, sich
von ihrer Umgebung zu lösen und die Verkaufsmöglichkeiten in
einer Stadt sich vorzustellen, die hundert Meilen entfernt liegt.
Statistiken langweilen sie bis zum Ärger. Zahlen können nichts
anderes als entweder beweisen, daß man recht hat, und das ist ja
überflüssig, oder beweisen, daß man unrecht hat, und das ist nicht
willkommen. Außerdem hat die chinesische Denkart
ausgesprochen weibliche Züge. Ein Chinese kommt durch Instinkt
oder dank einer persönlichen Vorliebe zu seinem Entschluß,
besonders wenn es sich um irgendwelche Imponderabilien handelt
wie zum Beispiel bei einer Verkaufspropaganda. Er ist vielleicht
vollkommen überzeugt davon, im Recht zu sein, doch verwirrt es
ihn sehr, wenn man ihn auffordert, die Gründe für seine Meinung
anzuführen, denn daran hat er gar nicht gedacht. Wenn man ihn
nach Gründen fragt, versucht er, solche anzugeben, wird aber bald
erregt, verhaspelt sich und bringt am Ende die albernsten Gründe
vor, die unter den gegebenen Umständen nur möglich sind. Auch
das japanische Denken richtet sich nach demselben weiblichen
Denkvorgang, nur mit dem einzigen Unterschied, daß bei der
Anwendung dieser Denkweise auf moderne Probleme der
japanische Geist der raffiniertere ist. Unzählige Beispiele dafür
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ finden sich in der heutigen Diplomatenkunst Japans. Die
Militaristen, die das Land beherrschen, beschließen, was sie tun
wollen, und tun es, und dann fällt den Diplomaten die Aufgabe zu,
zu rechtfertigen und zu erklären, was getan wurde. Am Ende
kommt man dabei zu der alten Idee von Ursache und Wirkung,
aber mit dem wichtigen Unterschied, daß bei der japanischen
Diplomatie die Reihenfolge umgekehrt ist und die Wirkung
vorliegt, ehe noch irgend jemand sich die Mühe genommen hat,
nach der Ursache zu suchen. Aus diesem Grunde ist die japanische
Diplomatie für Leute, deren Denken den Gesetzen der Logik folgt,
so verwirrend.
Jeder Ausländer, der in China lebt, ärgert sich fast täglich über
die ihm unentschuldbar scheinende Art des Chinesen, alles
hinauszuschieben. Außer in Fällen großer Dringlichkeit ist es ganz
unmöglich, einen Chinesen zu halbwegs raschem Handeln zu
bewegen. Eine allgemeine Verhaltungsmaßregel scheint zu sein:
`Was du morgen oder bermorgen besorgen kannst, das tu nie
heute." Das ist nicht die Philosophie eines trägen Mannes, denn
was man den Chinesen auch sonst vorwerfen mag, niemand kann
sie der Trägheit beschuldigen. Nach meiner Ansicht ist es
ausschließlich auf ihre ängstliche Scheu vor der Verantwortung
zurückzuführen. Sie wissen, dass sie bei jeder Aufgabe, die ihnen
übertragen wird, Mißerfolg haben können, und wollen sich daher,
bevor sie die Aufgabe auf sich nehmen, gegen diese Möglichkeit
mit einer stichhältigen und nicht zu erschütternden Ausflucht
schützen. Vielleicht ist meine Theorie falsch, aber ich weiß aus
Erfahrung, daß ein Chinese, so dumm sein Irrtum auch gewesen
sein mag, so schmählich er auch versagt hat, immer eine
vollendete Ausflucht zur Hand haben wird. Oft habe ich mich
darüber verwundert, daß dasselbe Hirn einen so läppischen Unsinn
und ein so erstaunenswert prächtiges Alibi dafür ersinnen konnte.
Wegen der Abneigung der Chinesen, eine Verantwortung auf sich
zu nehmen, werden in China so viele Ausländer für Arbeiten
angestellt, die die Chinesen sehr gut verrichten könnten und nur
deshalb nicht verrichten, weil sie nicht den Mut haben,
Entschlüsse zu fassen. In jedem Geschäftshaus in Shanghai leisten
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ die Chinesen gerne die ganze Arbeit, ja sie bestehen sogar darauf,
sie zu leisten, aber der Ausländer muß den Entschluß beisteuern
und die Verantwortung tragen, und handelte es sich auch um die
geringfügigste Angelegenheit. In großen chinesischen
Gesellschaften, die keine Ausländer anstellen, entscheidet nur
selten eine Einzelperson über wichtige Fragen. Hier werden immer
Familienbeschlüsse gefaßt. Natürlich gibt es Ausnahmen, und so
kommt es, daß die wenigen Chinesen, die bereit sind,
Verantwortung zu tragen und Entschlüsse zu fassen, oft einen so
meteorgleichen Aufstieg nehmen.
Die Chinesen machen von jeher einen sehr feinen Unterschied
zwischen abstrakter und konkreter Wahrheit, das heißt zwischen
der Wahrheit, die Tatsachen und Zahlen betrifft, und der Wahrheit
von Ideen und Meinungen. Wenn man einen Chinesen fragt,
wieviel Ballen einer Sendung geliefert wurden, was das oder jenes
kostet, oder ihm sonst eine Frage stellt, deren Antwort auf der
Rechenmaschine ausgerechnet und in Zahlen niedergeschrieben
werden kann, darf man sich darauf verlassen, daß seine Antwort
nicht nur wahrheitsgetreu, sondern, was wichtiger ist, überaus
genau ausfallen wird. Stellt man ihm jedoch irgendeine abstrakte
Frage, zum Beispiel die, ob er glaube, daß dieser oder jener Artikel
sich für den chinesischen Markt eigne, oder ob es wohl ratsam sei,
die Verpackung einer alten, schon eingeführten Warenmarke zu
ändern, wird man kaum eine klare Antwort bekommen. Da der
Chinese keine feststehende oder gut durchdachte Meinung über
theoretische Dinge hat, die ihn praktisch nicht berühren, betrachtet
er es geradezu als eine Verletzung seiner Rechte, wenn man ihn
auffordert, über Dinge nachzudenken und seine Meinung zu sagen,
die ihn nicht persönlich angehen. Daher ist seine erste Sorge, wenn
er nach solchen Dingen gefragt wird, die, dem Fragenden eine
Antwort zu geben, die angenehm sein wird, und dadurch die
Angelegenheit so rasch und leicht wie nur möglich abzutun. Die
sicherste Art, einer Diskussion zu entgehen, ist die Zustimmung.
Ich glaube wohl, wenn eine englische Enquete zehntausend
chinesische Schuljungen befragte, wohin sie gerne gingen, um
eine ausländische Erziehung zu genießen, wären hundert Prozent
115

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ der Antworten für England. Ähnliches geschähe bei Enqueten
derselben Art aus Amerika, Frankreich, Deutschland und fast aus
jedem anderen Lande, sogar auch aus Japan. Es wäre überaus
unhöflich und unhübsch, eine andere Antwort zu erteilen.
Die Chinesen gleichen in ihrer Abneigung gegen allzu starke
geistige Anstrengung vielen anderen Völkern, und es entspricht
ihrer Denkart, Debatten zu vermeiden und Entschlüsse solange wie
möglich hinauszuschieben. Aus diesem Grund klagen wir
Ausländer, die wir mit ihnen zu tun haben, immer wieder über
ihren Mangel an Initiative. An dieser Kritik liegt viel Wahres, und
erst, wenn ein Chinese in eine heikle Situation gerät, die so
verwickelt und verzweifelt ist, daß es keinerlei Ausweg mehr zu
geben scheint, wird er sich auf das Problem konzentrieren. Dann
freilich zeigt er erstaunliche Initiative und Schlauheit. Gleich den
Engländern weiß er oft nicht, was er tun wird, ehe er es tut, und so
werden alle seine Entschlüsse im Perfektum gefaßt.
Eines Sonntags, ungefähr vor zehn Jahren, führte ich ein paar
Touristinnen aus, um ihnen zu zeigen, wie eine chinesische
Schlacht aussieht. Zwei lokale Kriegsherren bekundeten ihren
gegenseitigen Haß ungefähr dreißig Meilen weit entfernt an den
Ufern des Yangtze, und verschiedene Freunde, die hinausgefahren
waren, die Schlacht zu besichtigen, hatten erklärt, sie sei
spannender als üblich. Wir fuhren durch die vom Krieg verheerte
Gegend, aus der die verängstigte Bevölkerung geflohen war, und
hatten uns soeben an einer behaglichen und ziemlich sicheren
Stelle niedergelassen, als die angreifenden Truppen beschlossen,
ein wenig Abwechslung zu haben, und ein Sperrfeuer eröffneten.
Dieses Sperrfeuer schnitt uns von meinem Automobil ab und war
uns so nahe, daß wir, so schnell das den Damen mit ihren hohen
Absätzen nur möglich war, über die schlammigen Straßen
davoneilten. Ein Blindgänger fiel mit großem Klatschen in eine
Schlammpfütze neben uns, was eine meiner Touristinnen entsetzte,
weil ihr Kleid ganz schmutzig wurde. Ein alter Bauer versuchte,
uns davon zu überzeugen, daß wir in seiner strohgedeckten Hütte
Schutz suchen müßten. Wir bogen um eine Ecke und sahen den
Leichnam eines kleinen Mädchens, das erst vor ein paar Minuten
116

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ getötet worden war. Wir hatten genug vom Krieg gesehen, und
das, was als anregender Ausflug begonnen hatte, wurde allmählich
zu einem entsetzlichen und unheimlichen Erlebnis, so daß wir nur
noch den Wunsch hegten, uns möglichst weit davon zu entfernen.
Da das Sperrfeuer nicht nachließ, mußten wir mehrere Meilen
mühselig zu Fuß gehen. Die Nacht brach an, und die Damen
wurden immer ängstlicher, bis wir schließlich von einem
britischen Kriegsberichterstatter aufgelesen und in die Stadt
gebracht wurden. Er erzählte uns, daß das Sperrfeuer die
beabsichtigte Wirkung erreicht hatte und daß darauf ein Angriff
gefolgt war, so daß sich die Verteidiger wohl gleich nach
Tagesanbruch zurückziehen würden. Er war überzeugt davon, daß
mein Chauffeur getötet worden sei, denn gerade an der Stelle, wo
mein Wagen parkte, war das Feuer besonders schwer gewesen.
Und der Wagen, den hatten die Truppen doch ganz gewiß auf
ihrem Rückzug requiriert oder würden ihn requirieren.
Als ich am nächsten Tag mein Frühstück aß, kam der Chauffeur
mit dem Wagen in den Hof gefahren. Wir sahen einander wohl
recht dumm an, denn jeder von uns war vom Tod des anderen
überzeugt gewesen. Es zeigte sich nun, daß der Chauffeur, als das
Sperrfeuer uns vom Wagen abschnitt, sich auf die Suche nach mir
gemacht hatte und mehrere Stunden lang den Kugeln Trotz bot, bis
er zu dem Schlusse kam, ich sei getötet worden, ein Geschick, das
ich für meine Tollkühnheit gewiß verdiente. Er bat einige
Soldaten, ihm auf der Suche nach mir zu helfen, aber sie hatten
anderes zu tun. Als er zu der Meinung gelangt war, es habe keinen
Sinn mehr, nach mir noch zu suchen, hatte er nur die Absicht, so
rasch wie möglich nach Shanghai zurückzufahren und meine
Freunde zu benachrichtigen, damit meine Leiche geborgen und
geziemend bestattet werden könne. Was mit den beiden Damen
geschah, interessierte ihn nicht im mindesten.
Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es ihm gelungen war, den
Wagen zurückzufahren, doch er erklärte, dies sei recht leicht
gewesen. Sobald der Tag anbrach, hatte er noch einmal nach mir
ausgeschaut, dann ein paar verwundete Soldaten in den Wagen
gesetzt und war nach Shanghai losgefahren. Sooft man ihn anhielt,
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ erklärte er, er führe einen offiziellen Ambulanzwagen, und so
machte man ihm keine Schwierigkeiten. Hinter den letzten
Wachposten ließ er seine verwundeten Soldaten am Straßenrande
liegen, wo sie gewiß bald jemand auflas, und fuhr mit Vollgas zu
meinem Haus. In dem Wagen waren drei Einschüsse, und mehrere
Wochen hindurch verwendete der Chauffeur seine ganze freie Zeit
dazu, den Wagen seinen Freunden zu zeigen, und war ein wenig
enttäuscht, als ich das Fahrzeug endlich wieder herstellen ließ, so
daß man die Löcher nicht mehr sehen konnte. Im Büro wurde
davon gemunkelt, er habe den verwundeten Soldaten einen Dollar
pro Kopf aufgerechnet.
Durchschnittlich einmal im Jahr erhebt sich eine emotionelle
Woge, die einige Teile Chinas in Mitleidenschaft zieht und den
ausländischen Importeuren und Fabrikanten ziemliches
Kopfzerbrechen macht, weil der Zweck einer solchen Bewegung
der Boykott ausländischer Waren ist und so dem Ausländer die
Reisschale zerbrechen kann. Manchmal richten sich derlei
Strömungen gegen eine bestimmte Nationalität, und den Japanern
wurde in dieser Hinsicht wiederholt ganz besondere und
hartnäckige Aufmerksamkeit zuteil. Da der japanische
Militarismus der chinesischen Gehässigkeit mit nahezu jedem
Schritt, den er tut, neue Nahrung liefert, herrscht eigentlich
ununterbrochen ein allgemeiner Boykott gegen Japan, doch gibt es
anfallsweise auch andere, auf einzelne Gegenden und oft auch auf
eine bestimmte Warengattung beschränkte Boykotte. In vielen
Fällen werden sie von einer Gruppe chinesischer Fabrikanten
inszeniert, die vom ausländischen Wettbewerb arg betroffen sind
und zu dem ihnen am wirksamsten scheinenden Mittel des
Selbstschutzes greifen. Sie erreichen damit selten etwas, denn es
ist zwar ziemlich leicht, die Instinkte der Menge zu erwecken und
gegen die von einem ausländischen Konkurrenten erzeugten
Marken zu hetzen, doch ist es etwas ganz anderes, die Massen in
Käufer einer anderen Marke zu verwandeln. Solche Dinge sind
meist mit viel Lärm verbunden, aber wir `alten Chinesen" nehmen
sie nicht sehr ernst, weil wir schon allzu viele Boykotte gesehen
haben. Ich persnlich glaube, daß sie immer wieder verlodern,
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ außer in Fällen, da sie Jahr für Jahr durch Ungerechtigkeiten und
Angriffe in Flammen gehalten werden, so wie im Falle Japans. Die
Chinesen haben wie die meisten anderen Völker viel zu viel
Hausverstand, um minderwertige Artikel zu kaufen oder höhere
Preise zu zahlen, nur weil die Waren zufällig von Landsleuten
erzeugt wurden. Sie mögen sich vielleicht vornehmen, das zu tun,
doch hält ein solcher Entschluß nicht an, wenn sie beim wirklichen
Kauf die Waren vergleichen und dem Kaufmann das Geld
hinzählen. Eigentlich gibt es in China im Zusammenhang mit
diesem Gebiet zwei Schulmeinungen über die Reklame. Manche
glauben, es sei ein Vorteil, wenn man ankündigen könne, daß ein
Artikel in China erzeugt werde, denn damit appelliere man an den
Patriotismus der Leute, andere behaupten ebenso hartnäckig, es sei
günstiger, eine Ware als in England hergestellt zu propagieren,
denn dann halte man sie für höherwertig. Da die meisten
Reklamefirmeninhaber furchtsame Geschöpfe sind und eine fast
chinesische Abneigung davor haben, in strittigen Fragen eine
Entscheidung zu fällen, schweigen sich die meisten klugerweise
über diesen Punkt aus.
Wenn eine Gruppe junger Hitzköpfe sich anschickt, den
fremden Handel zu schädigen und den Verkauf chinesischer
Waren zu fördern, ist eines der ersten Dinge, die sie tun, daß sie
hinausziehen und alle fremden Reklameplakate in der Stadt
herunterreißen. Dies klingt ziemlich leicht durchführbar,wenn aber
Reklametafeln richtig angeordnet und die verschiedenen Einheiten
in strategischen Punkten über die ganze Stadt verstreut sind, so
wie es sich gehört, ist es keine allzu leichte Aufgabe. Selbst wenn
sich die Polizei nicht einmengt, können die patriotischen Jünglinge
gewöhnlich nur ein paar solche Tafeln zerschmettern, dann werden
sie müde, halten ihr Werk für getan und gehen heim. Unsere
Reklametafeln in verschiedenen Städten sind schon so oft zur
Vernichtung verurteilt worden, daß ich die Zahl nicht einmal
nennen könnte, aber niemals geschah ernstlicher Schaden. Mit
Ausnahme eines Falles, da kommunistische Soldaten aus dem
galvanisierten Eisen der Tafeln Wassereimer für die Armee
verfertigten.
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[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Im Jahre 1923 brodelte der Topf mit der Antiausländersuppe in
Ningpo, und in gewissem Sinn hatten auch wir Ursache dazu
geliefert. Eine amerikanische Zigarettenmarke, für die wir
Propaganda machten, hatte solche Geschäfte erzielt, daß die
chinesischen Konkurrenten geschädigt wurden, und so kam es zu
einem Boykott gegen fremde Zigaretten. Diese Bewegung hatte
ihren Höhepunkt in einer Massenversammlung, bei der eine
Unmenge flammender Reden gehalten wurde, und man beschloß,
die Versammlung sogleich abzubrechen und alle Plakate zu
vernichten. Unser Ningpoer Direktor hatte der Versammlung
beigewohnt und sich auch als Redner beteiligt. Er hatte die
Tagesordnung der Versammlung nicht gekannt und sich daher in
einem schweren Irrtum befunden. Er wußte zwar, daß der Zweck
der Versammlung die Durchführung eines Zigarettenboykotts war,
doch kam ihm gar nicht der Gedanke, dieser Boykott könnte sich
gegen die von uns propagierte Marke richten. Es hatte unzählige
Boykotte gegen die Zigaretten einer großen britischen
Konkurrenzfirma gegeben, und er war der Meinung, auch diese
Bewegung folge den altbewährten antibritischen Linien. Bis dahin
war der Verkauf amerikanischer Zigaretten in China so
geringfügig gewesen, daß niemand, auch nicht die Konsumenten,
ihnen viel Aufmerksamkeit schenkte, und so hatte es gewiß die
Mühe nicht gelohnt, gegen diese Zigaretten zu agitieren.
Erst als die Versammlung praktisch schon vorüber war,
entdeckte unser Ningpoer Direktor, daß sich die
bilderstürmerischen Tendenzen gegen unsere Marke richteten. Das
war eine Situation, aus der auch ein erfahrener Diplomat nur
schwer einen Ausweg gefunden hätte, mit oder ohne Ehre. Unser
Vertreter machte durch eine zweite Rede die Sache scheinbar noch
schlimmer. Er nahm nichts von dem, was er vorher gesagt hatte,
zurück - im Gegenteil, er fügte ein paar neue Punkte hinzu, die
ihm soeben erst eingefallen waren, und machte dann einen sehr
praktischen Vorschlag. Er gab zu, ein Angestellter der
ausländischen Firma zu sein, die diese ärgerlichen Plakate
aufgestellt hatte. Er bot seinen erfahrenen Rat und wies darauf hin,
daß es eine Menge Schwierigkeiten machte, im Dunkel
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ hinauszuziehen und ein paar hundert Plakate zu vernichten. Die
Zahl dieser Plakate übertrieb er schamlos. Er machte darauf
aufmerksam. daß es schwer sein werde, die Plakate zu finden, und
außerdem müßte es, wenn man sie in tiefer Nacht, da jedermann
schlief, niederriß, eine Anzahl Proteste von sehen der Bürger
geben, die sich bei der Polizei über die nächtliche Ruhestörung
beklagen würden. Daher mache er den Vorschlag, alle sollten jetzt
sogleich nach Hause gehen und bei Tagesanbruch die Zerstörung
der Plakate beginnen. Er wollte sie dann abholen, ihnen eine Liste
der Aufstellungsorte mitbringen und die Arbeit beaufsichtigen; mit
seiner Hilfe könnten sie es sehr gründlich besorgen.
Da jedermann jetzt des Redens schon müde war, pflichtete man
seinem Vorschlag bei, lauschte noch einigen Reden und trottete
dann nach Hause. Da alle die Chinesen, die nicht aus besonderem
Geldstolz lang in den Tag hinein schlafen, früh aufstehen, waren
am nächsten Morgen ziemlich viel Enthusiasten mit allerlei
Werkzeug zur Hand, das sie nun bei der Vernichtung unserer
Plakate anwenden wollten. Vergeblich warteten sie auf unseren
Direktor und machten sich nun allein auf den Weg. Stundenlang
zogen sie umher und suchten nach den Plakaten, die noch am
Abend überall in der Stadt zu sehen gewesen waren. Jetzt aber
waren sie auf geheimnisvolle Art verschwunden. Nicht eines
konnte man finden.
Die ersten Nachrichten, die wir darüber hatten, kamen in Form
eines wortgetreuen Berichtes über die Reden unseres Ningpoer
Direktor auf der Massenversammlung, und ohne mein Wissen
hatten einige unserer Heißsporne das Fünfuhrschiff bestiegen, um
nach Ningpo zu fahren und dort sowohl persönlich wie auch im
Namen der Firma Rache an dem Verräter zu nehmen. Sie fanden
ihn nicht, denn als sie in Ningpo ankamen,war er schon in
Shanghai. Und nun erfuhren wir, was eigentlich geschehen war.
Als er seine erste Rede hielt, hatte er geglaubt, man spreche von
der britischen Gesellschaft, und da er persönlich gegen diese
Gesellschaft etwas hatte, war er mit der allgemeinen Ansicht
einverstanden. Als er entdeckte, daß man ja unsere Plakate
zerstören wolle, bot er seine Hilfe an, um eine unmittelbare Aktion
121

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ zu verhindern. Dann dachte und handelte er sehr rasch. Nach dem
Abbruch der Massenversammlung ging er zu einem Freunde und
Kollegen, der für die chinesische Gesellschaft, die Urheberin des
Boykotts, die Plakate aufzustellen hatte, und hielt ihm sehr
überzeugend die Interessengemeinschaft vor, die zwischen
Plakatierern bestehe. Es sei doch offenbar, daß eine Zerstörung
von Plakaten die Plakatierergilde von Ningpo schwer schädigen
müsse, und niemand könne sagen, wieweit so etwas noch gehen
werde. Da er nun seinen Bekannten für sich gewonnen hatte,
nahmen sie beide einen Leimtopf und ein paar Leute und
arbeiteten die ganze Nacht, indem sie unsere Plakate mit den
Plakaten des chinesischen Konkurrenten überklebten. So kam es,
daß die Don Quijotes von Ningpo, als sie am folgenden Morgen
auszogen, um die Windmühlen des ausländischen Handels
anzugreifen, keine Windmühlen finden konnten.
Nach einigen Tagen erlosch der ganze Furor. Die chinesische
Firma hatte einen nominellen Sieg errungen, weil unsere Plakate
verschwunden waren. In ungefähr einer Woche begannen wir, sie
wieder anzubringen, und nach einem Monat waren alle an ihrem
Platz. Seither habe ich nichts mehr von der Sache gehört. Der
Ningpoer Direktor hätte eine wundervolle Gelegenheit gehabt,
Spesen aufzurechnen, die bei aller Höhe doch nicht gut anfechtbar
gewesen wären. Doch er bezahlte seinen Ausflug nach Shanghai,
wo er sich ein paar Tage in der Gegend unseres Büros umhertrieb,
um mit seiner Leistung zu prahlen, und dann zahlte er sich wieder
die Fahrt nach Ningpo und begann die Arbeit aufs neue. Das
Gesicht, das er gewonnen hatte, indem er die Ningpoer
Collegeschüler überlistet und meine Reisschale gerettet hatte, war
ihm viel mehr wert als jede Spesenrechnung. Dieses Geld gab er ja
wieder aus, aber seine Enkelkinder hörten dereinst noch, wie
tüchtig er gewesen war, und erzählten es vielleicht auch ihren
Enkelkindern.
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ NEUNTES KAPITEL
Bellende Hunde
Von Zeit zu Zeit erhalten wir in Shanghai den Besuch eines
Exportdirektors, gewöhnlich eines neuen, der, wie es
scheint, das Geld seiner Firma für eine kostspielige Reise
um die Welt ausgibt, einzig und allein zu dem Zwecke, um zu
entdecken, wie sehr er und seine Landsleute dem Volke, dessen
Land er besucht, überlegen sind. Solche Dinge kennen wir in
China schon lange. Wir haben darüber viel gesprochen und es von
verschiedenen nationalen Gesichtspunkten betrachtet, so oft, daß
wir es als Gesprächsstoff nahezu schon ganz erschöpft haben. Die
meisten von uns leben schon so lange hier, daß die Rikschakulis
uns Spitznamen gegeben haben, und so können wir in gewissem
Sinn in Fragen der angelsächsischen Überlegenheit und der
Mängel der Orientalen als Experten fungieren. Es ist für einen
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Experten in irgendeiner Branche höchst aufreizend, apodiktischen
Meinungen eines Mannes lauschen zu müssen, der nicht weiß,
wovon er spricht, und der Besucher in China, der hartnäckig das
Leben hier mit dem Leben in seiner alten Heimatstadt vergleicht,
bereitet uns mehr geistige Schmerzen als irgendein anderer
Schwätzer, den wir uns gefallen lassen müssen. Die Meinungen
hier sind ziemlich gleichmäßig geteilt, so daß nicht entschieden
werden kann, ob die Amerikaner oder die Engländer die
Schlimmeren sind, aber alle erklären, daß die Einwohner
Kaliforniens eine Klasse für sich seien.
Sooft ich einen Besucher dieser Art vor mir habe, mag er nun
ein wichtiger Exportdirektor oder ein unwichtiger
Vergnügungsreisender sein, versäume ich nie die Gelegenheit, ihn
zu einer Autofahrt über Land und zu einem darauffolgenden
Spaziergang durch ein chinesisches Dorf zu verlocken, des
ernüchternden und aufklärenden Einflusses halber, den die
bellenden Hunde vielleicht auf ihn üben werden. Die Hunde des
Dorfes beginnen jedesmal einen Protestchor anzustimmen, wenn
wir uns ihnen nähern, und die kühnsten treiben sich schnappend
hinter unseren Fersen umher, während die feigen und trägen, bei
weitem mehr an Zahl, aus sicherer Entfernung bellen. Da jedes
chinesische Dorf weit mehr Hunde hat, als sich irgendwie erklären
läßt, gelingt es uns zumeist, einen schrecklichen Radau zu
inszenieren, der nie abreißt, denn sobald wir aus dem Umkreis
eines Dorfes gekommen sind, treten wir in den des nächsten.
Der fremde Gast ärgert sich unvermeidlich, wie ich vermutet
habe, und fast ebenso unvermeidlich fragt er, warum wir eigentlich
diesen Hundechor aufgestachelt haben. Ich erkläre ihm, dies sei
deshalb der Fall, weil wir Ausländer seien, und warte dann auf das
Weitere. Da die meisten Leute eine gewisse Freude daran finden,
zwei und zwei zu addieren, um festzustellen, daß die Summe vier
ist, braucht der Fremde nicht lange zu seiner Rechnung und sagt
`Natrlich! Die Hunde bemerken unsere Kleidung." Und damit
beweist er, daß er von Hunden gar nichts versteht.
`Nein", erwidere ich traurig, aber so berzeugend wie möglich.
`Das ist nicht der Grund. Aber sie knnen unseren Geruch nicht
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ leiden. Sie glauben, wir seien Füchse oder einer von uns habe ein
nicht präpariertes Stinktierfell in der Tasche." Gewöhnlich kann
man dem Partner beweisen, daß die Theorie mit den Kleidern
falsch ist, indem man ihm nämlich erklärt, daß es in der
Nachbarschaft viele Chinesen gibt, die genau so gekleidet sind wie
wir, ohne daß die Hunde etwas gegen sie hätten. Wenn er sich
getroffen fühlt, und solche Leute sind es zumeist, nehme ich mein
Teil der Verantwortlichkeit auf mich, indem ich erkläre, daß ich
trotz der Mitgliedschaft im chinesischen Hundezüchterklub und
meiner natürlichen Liebe zu Hunden, ganz zu schweigen von dem
Umstand, daß ich den preisgekrönten Scottie Chinas besitze, den
Hunden Chinas ein Dorn in der Nase bin und daß sie mich schon
mehr als ein Vierteljahrhundert anbellen. Ich erkläre auch, daß ich,
und zwar zufällig und nicht im Hinblick auf die heiklen Ansprüche
der chinesischen Hunde, im Bad eine weltberühmte Seife
verwende, die angeblich alle Körpergerüche vertreibt, es aber doch
nie zuwege gebracht habe, die Ilunde zu überlisten. Faktisch bin
ich oft aus meinem Hausboot gestiegen, gebadet, rasiert, nach
Seife riechend, makellos, wie man nur sein kann, und schon nach
wenigen Minuten hat jeder Hund, der mich witterte, ärgerlichen
Protest erhoben. Der mich nicht beschnuppern kann, weiß vom
Lärm seiner Kollegen, daß sich irgendein sonderbares Tier in der
Nachbarschaft umhertreibt, und schließt sich dem Protest der
übrigen an. Dieses psychologische Experiment hat immer eine von
zwei Wirkungen geübt. Entweder die Wirkung, die ich erhoffte,
nämlich die, daß die Selbsteinschätzung des Besuchers wieder
vernünftige Ausmaße annahm, oder die, daß sein Haß gegen
Hunde stärker wurde.
Ärzte, Anthropologen und andere Leute, die wissen, was sie
sagen, oder es wissen sollten, erklären, es gebe keinen inhärenten
Grund, weshalb die Hunde den Geruch eines Chinesen erträglich
und den eines Ausländers so verabscheuungswert finden. Sie
behaupten, daß wir nicht so geboren wurden und daß wir daher
nicht die Entwicklung dafür verantwortlich machen können, wie
wir sie für die meisten unserer Mängel verantwortlich machen,
sondern daß wir unser eigentümliches und aufreizendes Aroma
125

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ durch jahrelanges Fleischessen und vielleicht auch durch das
Trinken von Whisky und Gin erworben haben, während die
Chinesen entweder geruchlos sind oder feiner riechen, dank ihrer
Ernährung mit Reis, Weizen, Kohl und Fisch, zu dem nur
gelegentlich als Festschmaus Schweinefleisch kommt.
Diese Theorie mag im allgemeinen richtig sein, aber etwas
stimmt daran nicht. Gewiß haben wir von unseren mehr der
Fleischnahrung zugetanen Vorfahren etwas geerbt, denn
chinesische Hunde bellen vegetarische Ausländer an und kümmern
sich nicht um reiche Chinesen mit verderbtem Geschmack, die
sich jeden Tag an Schweinefleisch gütlich tun und viele Flaschen
Mantel leeren.
Es ist sehr schwer, einen Chinesen dazu zu bewegen, daß er
einem etwas auch nur indirekt nicht Schmeichelhaftes sagt, aber
einige Chinesen, die mich so lange kennen, daß sie mich wie ein
chinesisches Buch in ausländischem Einband ansehen, haben mir
zugegeben, daß wir wirklich riechen, und zwar nicht nur
sonderbar, sondern ekelerregend; freilich beeilten sie sich
hinzuzufügen, daß ich eine Ausnahme sei, eine ehrende
Feststellung, deren Unwahrheit jeder Hund kennt. Die Chinesen
erklären die englische Sitte des täglichen Badens sehr einfach
damit, der Engländer sei ein so schmutziges Tier, daß er unbedingt
sehr oft baden müsse. Bei der Handelsstatistik über den Verbrauch
von Seife in China entdeckten wir die sehr interessante Tatsache,
daß in Nordchina ein tägliches Bad die Regel ist, selbst bei einer
Temperatur von unter Null, während in dem wärmeren Klima
südlich des Yangtze ein so verschwenderischer Verbrauch von
Seife und Wasser als überflüssig betrachtet wird. Die
männlicheren Nordländer, die regelmäßig alle achthundert Jahre
die Macht über das Land an sich reißen, essen Nudeln statt Reis,
haben keine allzu großen Vorräte an Fischen und verzehren viel
mehr Fleisch als die kleingewachsenen Südländer. Vielleicht wäre
die sicherste Methode, den Seifenverkauf in China zu heben, die,
alle vegetarischen Buddhisten zu bekehren und aus ihnen
fleischessende Christen oder Mohammedaner zu machen. Das
Streben, Chinesen zum Trinken von Gin und Whisky zu bewegen,
126

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ hat bisher keinerlei Ergebnis gezeitigt, obwohl sie, niemand weiß
warum, Port und Brandy trinken. Als ich das letztemal zu Hause
war, konnte sich meine Nase davon überzeugen, wie meine
Mitnordländer riechen, wenn sie in größerer Zahl versammelt sind.
Das erstemal seit Jahren, befand ich mich in einer Schar
Nichtchinesen auf der New Yorker Untergrundbahn, und
augenblicklich bemerkte ich den überwältigenden Körpergeruch,
der nach den Reklameankündigungen die Romantik zerstört,
glückliche Ehen verhindert und sich als unübersteigbares
Hindernis im Geschäftsleben erweist. Nach meinem langjährigen
Aufenthalt in China hatte ich vergessen, daß menschliche Wesen
so riechen können. Ähnlich ging es mir dann in anderen großen
Städten.
Es gibt berühmte Gerüche in China, von denen viele so heftig
sind, daß sie einem Brechreiz verursachen. Wenn man dumm
genug ist, vor dem Frühstück einen Spaziergang durch eine
chinesische Stadt zu machen, kommt man unvermeidlich an vielen
Stellen vorbei, wo die Müllabfuhrkulis ganz unverblümt ihre
Arbeit verrichten, und hier kann man nur in einer Wolke
Tabakrauchs und mit abgewandtem Blick halbwegs bequem
durchgehen. Es gibt auch andere Gerüche, auf gewisse
geographische Gebiete beschränkt. Sobald man auf der Fahrt von
Shanghai nach Peiping den Yangtze überquert, kommt man in die
große Knoblauchzone. Dort ist die Atmosphäre so gründlich mit
diesem Geruch getränkt, daß manche alte Einwohner behaupten,
nicht akklimatisierte Stechmücken aus Shanghai, die zufällig im
Zuge mitführen, fielen tot zu Boden, sobald das Waggonfenster
geöffnet werde, und Wanzen blieben nur dank ihrer vorsichtigeren
Lebensweise verschont. Aber selbst hier entdecken die
einheimischen Hunde meinen Geruch mitten im dicksten
Knoblauchnebel, und sobald wir aufs freie Land kommen,
veranstalten sie eine improvisierte Fuchsjagd auf mich.
Ich habe mich oft gefragt, was geschehen würde, wenn jemand
eine Meute amerikanischer Bluthunde nach China brächte und sie
an einem entsprungenen chinesischen Sträfling ausprobte. Ich
glaube nicht, daß sich die Hunde aus einem solchen Geruch von
127

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Reis und Kohl viel machen würden. Ich mag ja vielleicht den
Versuch machen, den Kiplingschen Stolz eines weißen Mannes zu
demütigen, indem ich ihn durch ein chinesisches Dorf führe, so
daß die Hunde seinen ärgerlichen Geruch bemerken und ihn
anbellen, immer aber halte ich ihn von jeder Herde Wasserbüffel
ferne und vermeide sogar die Nähe eines einzelnen solchen
Büffels, er wäre denn, was ja üblich ist, durch einen Strick und
einen Ring in der Nase genügend gesichert. Der Wasserbüffel ist
das nützlichste Lasttier, das die Chinesen haben, und bei der
Reiskultur nahezu unentbehrlich. Obwohl seine Hufe, nach meiner
unfachmännischen, vorsichtigen Beobachtung, für ein Tier seiner
Größe nicht ungewöhnlich umfangreich sind, patscht er doch
sorglos durch ein schlammiges Reisfeld, in dem ein Pferd oder ein
Maultier stecken bliebe und das das schlaue arbeitsscheue Kamel
überhaupt nicht beträte. Wenn er zehn Jahre oderlänger Reisfelder
gepflügt hat und zu alt geworden ist für weitere Arbeit, schlachtet
man ihn, und sein Fleisch liefert zähe Beefsteaks, aber passables
Fleisch für Steves, die die Ausländer in Shanghai dann essen, in
dem Glauben, das Fleisch eines anderen und aristokratischeren
Mitglieds der Rinderfamilie zu verzehren.
Obwohl die beiden Geschlechter bei den Wasserbüffeln in dem
üblichen Zahlenverhältnis vertreten sind, bezeichnet man doch
jedes Exemplar mit dem männlichen Artikel, denn es scheint eine
Schmähung jeder Romantik, das weibliche Geschlecht bei einem
Tier anzuwenden, das so abschreckend häßlich ist. Er sieht aus, als
wäre bei seiner Erschaffung auf einem einzigen Chassis alle
gebrauchten Teile angebracht worden, die im Laufe einer langen
Entwicklung nicht mehr verwendungsfähig waren. Dennoch ist er
als Maschine wenigstens in einer Hinsicht mechanisch
vollkommen. Seine einzige Freude am Leben besteht darin, ins
Wasser zu tauchen, und dies kann er ohne Mühe so tun, daß nur
Augen, Nüstern und Hörnerspitzen zu sehen sind. Kein anderer
Vierfüßler außer dem Nilpferd bringt Ähnliches zustande. Wenn er
so untergetaucht ist, sieht der sichtbare Teil aus wie der Kopf eines
Alligators mit Hörnern. Diesen Eindruck hatte ich, als ich von den
Sümpfen Texas' das erstemal nach China kam.
128

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Er ist normalerweise ein höchst gelehriges Haustier; und in
jedem Bauernhof obliegt es dem allerkleinsten Jungen, ihn auf die
Weide zu führen und ihn zu behüten, während er unter den
Bäumen oder auf dem schmalen Streifen Rasenlandes am Ufer des
Kanals grast. Eines der häufigsten Bilder Chinas ist das eines
sechsjährigen Knirpses, der auf dem Rücken eines weidenden
Büffels sitzt. Dies war auch ein sehr beliebter Vorwurf für
chinesische Maler, die etwas besonders Reizvolles an dieser
Gegenüberstellung des winzigen Kindes und des mächtigen
Untieres finden. Der Büffel bringt dem kleinen chinesischen
Jungen mütterliche Güte entgegen, doch unter seiner friedfertigen
Häßlichkeit lauert wilder Urhaß gegen einen alten Feind.
Leider scheinen wir Fremde ähnlich zu riechen wie dieser alte
Feind, vielleicht irgendein ausgestorbener und stinkender Affe in
der afrikanischen Urheimat des Büffels. An welchen alten Feind
wir den Büffel auch erinnern mögen, wir haben Ursache, auf diese
Ähnlichkeit stolz zu sein. Er muß tüchtige Klauen und Zähne
gehabt haben, denn heute ist der Büffel das einzige Tier, mit dem
der Tiger nicht anbindet und das der Löwe respektiert. Die
Tatsache, daß fast immer kleine Landjungen auf dem Rücken des
Büffels sitzen, mag wohl das Überbleibsel einer alten Sitte sein.
Als China noch von dichten Wäldern bedeckt war und viele
reißende Tiger ihr Unwesen trieben, war der sicherste Platz für
einen kleinen Knaben wohl der Rücken eines Büffels. Kein Tiger
hätte je den Versuch gemacht, den Träger dieser drohenden Hörner
anzugreifen. Indische Tigerjäger lieben es, ihr Wild durch
wandernde Büffelherden anzupirschen, denn in dieser
Nachbarschaft fühlen sie sich vor jedem heimtückischen Angriff
gefeit. Aber der Nordländer ist in der Nähe des Büffels niemals
ganz sicher. Gelegentlich stachelt irgend ein neolithischer Geruch
das Tier auf, und es strebt, eine alte Rache auszutragen, die
zumindest eine geologische Periode überdauert hat. Wenn
britische Truppen auf dem Festland bei der Kronkolonie
Hongkong Manöver abhalten, greift man immer zu der
Vorsichtsmaßnahme, alle Wasserbüffel aus der Gegend zu
entfernen, damit man den Kampf mit einem Gegner vermeide,
129

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ dessen Taktik durch keinen anerkannten Kodex bestimmt wird.
Während des Aufstandes auf den Philippinen wurde eine sonst
siegreiche amerikanische Kompanie zu einem unwürdigen und
regellosen Rückzug gezwungen, als eine Herde Büffel sich
entschloß, den Filipinos zu Hilfe zu kommen. In dieser Schlacht
zwischen Menschen und Tieren wurde ein amerikanischer Soldat
am Hinterteil verletzt, und das Kriegsministerium brauchte dann
sieben Jahre zur Entscheidung der Frage, ob dies als `Verwundung
im Felde" anzusehen sei. Zum Glck für den Soldaten fand sich
dann eine Auslegung, die es ihm möglich machte, seine Zulage zu
bekommen. Kein Chinese, nicht einmal ein nicht desinfizierter,
von Läusen bedeckter Soldat, hat diesen zum Grimm reizenden
Geruch, denn jeder Sohn Hans kann ebenso sorglos und
ungefährdet durch eine Büffelherde schlendern, als ginge er durch
einen Hühnerhof.
Zum Glück für uns Ausländer sind die Büffel, wenn wir durch
die Gegend wandern, zumeist mit ihrer Arbeit so beschäftigt oder
von der eben verrichteten Arbeit so erschöpft, daß sie nicht einmal
einem säbelzähnigen Tiger Aufmerksamkeit schenken würden,
wenn der sie nicht angreift. Wenn ein Büffel Muße hat, denkt er an
nichts anderes als daran, sich in eine hübsche schlammige Pfütze
zu stellen und sich so mit Schlamm zu bedecken, daß es den
Fliegen unmöglich wird, seine häßliche dicke Haut zu
durchstechen. Er mag über unseren aufreizenden Geruch ja
bitterlich grollen, aber er ist entweder zu beschäftigt oder zu müde,
um diesen Groll zu betätigen. Manchmal freilich ändert er seine
Meinung und läßt sich von neuem Ehrgeiz mitreißen. Am frühen
Morgen, wenn er eine ungewöhnlich köstliche Mahlzeit derben
Grases verzehrt hat und nach der im Stall verbrachten Nacht gut
ausgerastet ist, wo er im eigenen Dung und Urin geschlafen hat,
sieht er die Dinge ganz anders an. Der alte Haß steigt in seinem
winzigen Gehirn auf und lenkt den gewaltigen Körper. Der erste
starkriechende Weiße, dessen Geruch ihn aufreizt, treibt ihn zur
Tat. Auf dem Reisfeld legt so ein Büffel gewöhnlich zwei Meilen
am Tag zurück, aber wenn sein Zorn ihm Vollgas gibt, kann er
erstaunliche Geschwindigkeit entwickeln. Zum Glück geht einem
130

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ solchen Angriff immer ein Warnungssignal voraus, denn so
häßlich und abstoßend der Büffel auch aussehen mag, er ist ein
Gentleman und fordert seinen Gegner nicht einmal, sondern
zweimal heraus. Die erste Warnung erfolgt, wenn er in die Luft
schnuppert, den Menschen ansieht und durch ein Schnaufen sein
Mißfallen kundgibt. Die zweite Warnung besteht darin, daß er den
albernen Schweif aufstellt und auf dem Boden scharrt. Ich glaube
nicht, daß irgend wer weiß, ob der Büffel nur einmal oder
mehreremale den Boden scharrt, denn noch nie ist jemand lange
genug geblieben, um das festzustellen. Das erste Scharren ist ein
Signal, daß man sich mit der möglichsten Eile anderswohin zu
begeben habe.
Der Büffel ist oft der ständige Gefährte von Pferden und -wenn
man so sagen darf - richtiggehenden Kühen, und sie vertragen sich
mit gutmütiger Gleichgültigkeit. Die chinesischen Hunde und die
Büffel verachten einander und schenken sich gegenseitig keine
Beachtung. Wenn ein Shanghaier Stadthund aufs Land
mitgenommen wird und dort seinen ersten Büffel sieht, hat er
anfangs meist einen ungeheueren Spaß und bellt und schnappt
nach den Beinen des Büffels, doch sobald er entdeckt, daß er
genau so gut einen riesigen Lehmkloß ankläffen könnte, gibt er es
auf. Das einzige Lebewesen, gegen das sich der Büffel
angriffslustig zeigt, ist der Weiße. Warum mag wohl unser Geruch
für den Büffel so abstoßend und aufreizend sein? In China wird
dieses Tier schon durch viele Jahrhunderte nicht von wilden
Tieren bedroht, und selbst als die Wälder Chinas noch voll von
Feinden waren, waren dies doch keine zweibeinigen Wesen. Was
ist also an dem Geruch der Europäer, das ihn an einen alten Feind
erinnert und seinen Racheinstinkt weckt?
Das Kamel, dem man in den Straßen Peipings und anderer Orte in
der Nähe der Großen Mauer wiederholt begegnet, hat
wahrscheinlich mehr Erfahrungen mit menschlichen Gerüchen als
irgendein anderes wildes oder Haustier. Ununterbrochen kommt es
mit Chinesen, Mongolen, Tibetanern zusammen, die weder die
Möglichkeit noch den Wunsch haben, zu baden. In Peiping kann
es die Gerüche des diplomatischen Korps seiner Duftsammlung
131

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ einverleiben, die Gerüche der Vertreter aller Großmächte und
einiger Kleinstaaten. Eine vielfältigere Erfahrung könnte man sich
gar nicht vorstellen, aber das Kamel hat nie gelernt, zwischen
einem außerordentlichen Gesandten, einem dritten Sekretär, einer
Kaiserin-Witwe und einem mongolischen Schafhirten zu
unterscheiden. Kein Mensch außer Vergnügungsreisenden hat
jemals den Versuch gemacht, ein Kamel zu streicheln, und mehr
als einmal versucht es keiner. Niemand geht einem Kamel in die
Nähe, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Wenn ein Ausländer
in Peiping an einer Kamelkarawane vorbeikommt, wird ganz
gewiß das eine oder andere Kamel nach ihm schnappen oder, was
schlimmer ist, ihn anspucken. Wenn einen ein Kamel halbwegs
zielsicher anspuckt, kann man nichts anderes tun als ins Hotel
zurückgehen, ein Bad nehmen und die Kleider wechseln. Die
Haltung des Kamels ist nicht von engen persönlichen
Gesichtspunkten bestimmt wie die des Wasserbüffels oder des
chinesischen Hundes. Alle menschlichen Wesen sehen für das
Kamel gleich aus und riechen gleich, und es haßt sie alle mit
gleicher Inbrunst.
Da ich nun in dem unzarten Thema der Körpergerüche schon so
weit gegangen bin, kann ich noch schamloser werden und noch
weiter gehen und sagen, daß die Haustiere Chinas keinerlei
Unterschied zwischen den Geschlechtern machen: die Hunde
bellen zarte Damen ebenso lärmend und feig-begeistert an wie
einen dicken, schwitzenden Herrn. Sooft ich Gelegenheit hatte,
begleitete ich eine junge Dame, ein wahres Porzellanfigürchen an
Anmut und Zartheit, durch die chinesische Landschaft, weil ich sie
gerne ansah und gerne gönnerhaft väterlich zu ihr war. Erst
glaubte ich, sie werde den Hunden entgehen, aber dies war nicht
der Fall. Im Aussehen waren wir beide grundverschieden, aber den
Hunden schien sie genau so zu riechen wie ich. Mit einem Büffel
oder einem Kamel versuchte ich es bei ihr nie, aber ich bin
überzeugt davon, daß das Ergebnis ebenso enttäuschend gewesen
wäre.
132

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ ZEHNTES KAPITEL
Fische und Stricke und
Melonenkerne
Geschäfte in China bieten immer reichliche Überraschungen,
denn solange die Transaktion nicht endgültig
abgeschlossen, die bezahlte Ware nicht geliefert oder der
bezahlte Dienst nicht geleistet ist, kann man nie sicher sein, ob
auch alle Einzelheiten des Geschäftes durchgeführt werden und ob
es nicht doch ein Mißverständnis geben mag. Viele Autoritäten
behaupten, daß die Chinesen geradezu genial sind bei
Mißverständnissen, die sich zu ihrem Vorteil auswirken, und daß
ihre Mißverständnisse für sie besonders vorteilhaft sind in allen
Dingen, die mit Reisen zu tun haben, oder wenn es sich darum
handelt, mit unerfahrenen Leuten Geschäfte abzuschließen.
Tatsächlich kann der Fremde bei den meisten Geschäften, die er
133

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ abschließen will, einer einzigen Sache sicher sein, daß nämlich der
endgültig abgemachte Preis zur Zeit der Zahlung aus irgendeinem
sehr stichhältigen Grund erhöht worden ist. Es scheint ganz
unmöglich zu sein, alle Wendungen vorauszusehen, die eine force
majeure oder die göttliche Vorsehung nehmen kann, und
unvermeidlich wirken sie sich zum Nachteil der Partei des
Vertrages aus, deren Aufgabe es ist, zu zahlen. Sänftenträger, die
einen über hügelige oder Gebirgsstraßen tragen, sind
erfahrungsgemäß genial im Ersinnen von Ausflüchten für solche
Preiserhöhungen, und schon viele Reisende haben unter ihnen
gelitten. Natürlich, wenn einer in eine Sänfte steigt so wie in ein
Taxi und eine Reise antritt, ohne sich endgültig darüber geeinigt
zu haben, wie viele Kulis für jede Sänfte verwendet werden sollen,
welche Route zu nehmen ist, wie oft Aufenthalt gemacht werden
darf, wie lange Zeit ein jeder Aufenthalt beanspruchen kann,
welcher Preis pro Sänfte zu zahlen ist, ob der Vorratskorb und
anderes leichtes Gepäck in einer zweiten Sänfte getragen werden
sollen und wieviel Weingeld ein jeder Kuli bekommt, ist das ein
sehr unvorsichtiges Vorgehen, denn hier gibt es eine Unzahl von
Möglichkeiten für ehrbare Meinungsverschiedenheiten, von den
unehrlichen ganz zu schweigen.
Nach langen Erfahrungen kann ich wohl sagen, daß ich in
diesen Dingen ziemlich sachverständig bin. Dennoch ist es mir
noch nie gelungen, mit Sänftenträgern zu einem Übereinkommen
zu gelangen, das jede Möglichkeit vorgesehen hätte, so daß es am
Ende der Reise nicht doch Grund zu Auseinandersetzungen gab.
Es regnet, und nun muß die Reise über schlammige Straßen
gemacht werden, was der Träger nicht vorausgesehen hat. Oder die
Sonne hat gebrannt, so daß die Träger viel Schweiß verloren. Oder
ich habe einen großen Teil des Weges behaglich schlendernd zu
Fuß zurückgelegt, habe die wilden Blumen betrachtet, habe
photographische Aufnahmen gemacht und dadurch die Reise
verzögert. Oder sie haben nicht bemerkt, daß ich eine Kamera
mitgenommen hatte, wodurch die Last größer wurde. Im letzten
Jahr hat mein wachsendes Gewicht den Grund für viele
Auseinandersetzungen abgegeben. Ich weiß, daß ich dick bin und
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ dafür zahlen muß. Die Leute wissen genau und auf den ersten
Blick, wieviel ich wiege, denn es gehört zu ihrem Geschäft, die
Last eines Fahrgastes abzuschätzen, und sie verstehen ihr
Geschäft. Dennoch behaupten sie am Ende einer Reise immer, daß
mein Äußeres täusche und daß sie bestimmt etwas zum Preis
dazugeschlagen hätten, wenn ich sie nicht irgendwie durch mein
Aussehen hintergangen hätte. Als wir im letzten Sommer mit einer
Gesellschaft von Freunden in Tschungking waren, zahlten meine
Frau und alle anderen Mitglieder der Gesellschaft für die
regelmäßig verkehrende Sänfte vom Ufer bis zur Bergspitze, auf
der diese Stadt der Provinz Szetschuan liegt, zwölf Kupferstücke.
Ich hatte sechzehn zu zahlen. Ich weiß nicht, wie die Kulis gerade
auf diese Summe kamen, aber während der zwei Wochen, die wir
dort verbrachten, war es mir nie möglich, für einen geringeren
Preis befördert zu werden, obwohl ich schon aus Prinzip
versuchte, ein Kupferstück abzuhandeln. Wenn wir für eine Fahrt
über Land Sänften mieten, fühle ich während der ganzen
Verhandlung, daß jede Unze meines überflüssigen Fleisches in
Erwägung gezogen wird. Doch wenn wir ans Ziel der Reise
kommen, sprechen die Kulis einmütig ihre Überraschung und ihr
Staunen über mein ungewöhnliches Gewicht aus. Schreiend
tauschen sie miteinander ihre Ansichten darüber, und jeder fragt
seinen Nachbarn, ob jemals ein Fall bekannt geworden sei, daß
jemand soviel wiege wie ich. Diese Frage wird allgemein verneint.
So ein Ausländer, erklären sie, muß innen mit Steinen gefüllt sein
und nicht mit Fleisch und Blut.
All dies ist natürlich als große Höflichkeit und Schmeichelei
gedacht. Die chinesische Theorie geht dahin, daß jeder, der Geld
hat, sich vollessen soll, und darum muß man, wenn man sich dem
Alter von fünfzig nähert, behaglich fett sein, sonst ist man
verschwenderisch gewesen und war nicht imstande, seine
Reisschale gefüllt zu erhalten. Das Fett spricht auch von einer
philosophischen Ruhe, die mit einem Studium der Weisen Hand in
Hand geht, so daß man in China einen wohlhabenden Gelehrten
schon auf der anderen Straßenseite er= kennt. Wenn diese
Schurken sich über meine Rundlichkeit enthusiastisch auslassen,
135

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ schmeicheln sie mir eigentlich sehr aufrichtig und hoffen, mich
dadurch in so gute Laune zu versetzen, daß sie mir ein paar
Extrakupferstücke herauslocken können.
In solchen Fällen sammelt sich immer eine Menschenmenge an,
denn derartige Streitigkeiten sind unterhaltender als eine
Gerichtsverhandlung. Die Kulis sagen ihr Sprüchlein auf, und wir
sagen das unsere. BeideParteien machen freien und schamlosen
Gebrauch von der Möglichkeit des Lügens, ohne dies dem anderen
übelzunehmen. Sobald die Zuhörer das bemerken, mengen sie sich
in die Auseinandersetzung ein, fragen nach dem Sachverhalt und
entscheiden schließlich, wie die Angelegenheit geregelt werden
soll. Soweit ich weiß, ist diese primitive und stets bereite
Geschworenenentscheidung über alles Erwarten gerecht, und ich
hatte nie Grund zu der Annahme, daß gegen mich, weil ich ein
Ausländer bin, ein Vorurteil herrschte. Allgemein nimmt man an,
daß jeder, der müßig seine Zeit vertut, indem er in der Sänfte reist
und die Szenerie betrachtet, ziemlich wohlhabend sein muß und
daher die Pflicht hat, freigiebig zu sein, aber das ist auf einen
Chinesen ebenso anwendbar wie auf einen Fremden. Freilich,
wenn ich unvorsichtig genug gewesen wäre, ohne ein gründliches
Übereinkommen über den zu zahlenden Betrag die Reise
anzutreten, dann hätte sich natürlich niemand für einen solchen
Idioten ins Mittel gelegt, und die Dorfbewohner hätten nichts
dagegen gehabt, wenn ich für meine Dummheit zahle. Wenn aber
andererseits die Sänftenträger den Versuch machen, nachträglich
eine billige Abmachung umzustoßen, wendet sich die Menge
gegen sie. Natürlich muß eine solche Jury unbefangen sein. Wenn
der Platz voll Sänftenkulis ist, hat der Fahrgast keine Aussicht,
darum lege ich immer Wert darauf, die Kulis auf irgendeinem
neutralen Gebiet abzufertigen, wo sich keine anderen
Sänftenträger umhertreiben. Doch wie immer die Angelegenheit
geregelt wird, es muß dabei jedermanns Gesicht gewahrt bleiben.
Selbst wenn die Kulis ganz und gar nicht imstande gewesen
wären, ihre Forderungen zu begründen, wäre es höchst unzart,
ihnen nach all dem Zank nichts dafür zu geben. Außerdem erwiese
man sich dadurch als ein knauseriger, gemeiner Mensch, der die
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Gastfreundschaft des Landes nicht verdient. Und so erhalten die
Träger, ob mit oder ohne Recht, auf jeden Fall ein kleines
Weingeld. Jeder Beteiligte hat sich mit dem Zank grandios
unterhalten, und jedermann ist zufriedengestellt.
Von den vielen angenehmen Ausflügen, die meine Frau und ich
in China machten, war einer der schönsten eine Hausbootfahrt mit
drei Freunden auf dem Chien Tang-Fluß, dem schönen Wasser,
das in die Bucht von Hangtschau mündet. Nur wenige Ausländer
haben diese Gegend besucht, wäre sie aber zugänglicher, würde
man sie gewiß als eine der schönsten Gegenden der Welt
betrachten. Wir beabsichtigten, bei dieser Fahrt ein wenig zu
fischen, und hatten eine entsprechende Ausrüstung aus Shanghai
mitgebracht. Als wir uns behaglich auf dem Hausboot
niedergelassen hatten, schien die Umgebung unserem
Unternehmen günstig zu sein. Rings um uns waren chinesische
Fischer, die in ihren kleinen Booten vorbeifuhren und stolz Stricke
mit vielen schönen Fischen zeigen konnten. Und abends hörten
wir das erregende Klatschen von Fischen, die aus dem Wasser
hüpften, eines der angenehmsten Geräusche, die es gibt - nach dem
feierlichen Ruf der Wildgans. Die Chinesen fischen in diesem Fluß
mit Kormoranen, Netzen, Reusen und Angeln und allen im
Fischfang bekannten Geräten, und was wichtiger ist, sie fangen
auch Fische, schöne Süßwasserfische aus den klaren Bergbächen,
ohne den Schlammgeschmack der in der Shanghaier Gegend
gefangenen Tiere. Ich kann heute noch nicht verstehen, warum wir
so restloses Pech hatten. Es gab viele Gelegenheiten, viele tiefe
Stellen im Wasser, die ein ideales Rendezvousplätzchen für Fische
zu sein schienen. Die technische Ausrüstung war in Ordnung und
der Köder geeignet, jeden Fisch in Versuchung zu führen. Wir
probierten verschiedene Arten von Ködern: Grashüpfer, Würmer,
Maden, Speck und Reisklöße. Aber schließlich zeigte es sich, daß
wir, wenn wir Fische aus dem Chien Tang essen wollten, zu
einfacheren, wenngleich indirekteren Methoden der Versorgung
greifen mußten.
Sehr bald, nachdem wir diese ziemlich niederschmetternde
Feststellung gemacht hatten, kam ein Berufsfischer mit einem
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ großen und sehr schönen Fisch vorbei, dessen Zeichnung mir
fremd war. Der Koch und die Mannschaft erklärten einmütig, dies
sei ein Fisch von besonders feinem Fleisch. Wir eröffneten die
Verhandlungen wegen des Ankaufes, und dies erwies sich als eine
höchst langwierige Affäre. Der erste geforderte Preis war ein
Dollar, dem ein Angebot von zwanzig Cent entgegengesetzt
wurde. Der Koch erklärte nun, um mir das Feilschen zu
erleichtern, sein früherer Herr habe einmal einen solchen Fisch
gekauft, und der sei so voll Gräten gewesen, daß niemand ihn habe
essen können. Die Mannschaft, die aus einem anderen Teil des
FluBlaufes stammte, erklärte, in dieser Gegend hier seien gar
keine wirklich guten Fische zu finden, und drängte mich, bis zum
nächsten Tag zu warten, denn dann würden wir nicht nur Fische
erhalten, die ein Herr meines Ranges essen könne, sondern auch
mit Fischern zu tun haben, die wüßten, was Ehrbarkeit und
Anstand bedeuten. Dies ging eine Weile so weiter, und jedermann
mengte sich in den Meinungsaustausch, und das war ein großes
Gelärme und eine große Unterhaltung, bis ich endlich die Sache in
die Hand nahm und das Geschäft mit sechzig Cent abschloß,
womit ich wahrscheinlich den Rekord des dortigen Fischmarktes
brach.
Sobald ich das Geld gezahlt hatte und wir nun den Fisch in
Empfang nehmen wollten, ergab sich eine neue verwickelte
Situation. Der Fisch war noch am Leben und durch einen ungefähr
zwölf oder fünfzehn Fuß langen, durch die Kiemen gezogenen
Strick gesichert. Da ich lang genug in China lebe, hätte ich besser
Bescheid wissen sollen, aber ich dachte, wenn ich den Fisch
kaufte, kaufte ich ihn mit allem Zubehör, aber der Fischer war
anderer Meinung. Der Strick war beim Handel nicht erwähnt
worden, und so behauptete der Verkäufer, daß sich der Vertrag
darauf nicht beziehe. Damit hatte er ganz recht, denn niemandem
war der Gedanke gekommen, wie dringend notwendig dieser
Strick sei. Gewöhnlich kann man sich aus der nächsten
Nachbarschaft einen Strick beschaffen, aber wir hatten nicht das
kleinste Stück auf dem Boot. Außerdem zeigte es sich, daß wir mit
Ausnahme der Badewanne nur noch einen Wassereimer hatten, der
138

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ groß genug war, den Fisch aufzunehmen, doch dieses Gefäß war in
ständigem Gebrauch und beim Ausschöpfen des Bootes
unumgänglich nötig. Der Fisch sollte erst am nächsten Tag
gegessen werden, und die einzige Art, ihn am Leben und frisch zu
erhalten, war die, ihn an einen Strick zu hängen und ihn im Wasser
neben dem Boot nachzuziehen. Das Feilschen um den Strick war
noch schwieriger als der Ankauf des Fisches. Da ich den Fisch
bereits bezahlt hatte, war der Fischer mir gegenüber imVorteil,
denn er wußte, daß ich einem Manne glich, der ein Pferd gekauft
hat und keinen Halfter besitzt, es nach Hause zu führen.
Doch obwohl er diesen Vorteil für sich hatte, waren wir ihm an
Zahl zehnfach überlegen und konnten viel mehr Lärm machen. Er
gab bald nach. Schließlich einigte man sich auf den Preis von zehn
Kupferstücken, aber dann zeigte sich, daß wir trotz aller Klugheit
und Tüchtigkeit das Geschäft nicht genau genug detailliert hatten.
Wir alle waren der Meinung gewesen, die zehn Kupferstücke
bezögen sich auf den ganzen Strick, doch der Verkäufer bestand
darauf, daß wir, wenn er schon diesen lächerlich geringen Preis
anerkenne, nur auf soviel Strick ein Anrecht hätten, als wir
unbedingt brauchten, das heißt soviel, wie nötig war, den Fisch
anzubinden. Er versuchte, freilich ohne Erfolg, uns zu beschämen,
indem er sagte, es sei habgierig und nicht gentlemanlike, eine
größere Länge Strick haben zu wollen. Er sprach das Wort
`Fremde" nicht aus, aber er machte dem Koch eine Anspielung ber
die allbekannte Ungerechtigkeit der Leute aus Shanghai. Bei
einem Abflauen der Verhandlungen zog er sein Messer und
begann den Strick, kaum vier Fuß vom Kopf des Fisches entfernt,
zu durchschneiden. Während sein Messer noch in der Luft
schwebte, ließ einer unserer Leute den Strick plötzlich nach, so
daß wir noch etliche Zoll gewannen. Aber das war ein eitler Sieg.
In der Nacht schwamm der Fisch davon, und uns blieb der
Strick.
Sollte ich aber den Eindruck erweckt haben, daß die Chinesen
eine Nation von feilschenden Knickern seien, deren Hauptzweck
im Leben es ist, dem Unvorsichtigen einige Extrakupferstücke
abzulisten, muß ich jetzt diesen Eindruck richtigstellen, denn er
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ wäre gewiß falsch. Sie lieben das Feilschen, weil dies nicht nur
Nutzen bringt, sondern auch unterhaltend ist, aber sie sind ebenso
bereit, jederzeit die spannendsten Verhandlungen abzubrechen und
Münzen zu werfen, um zu entscheiden, ob man den Fisch umsonst
bekommt oder den Fisch bezahlt und ihn nicht erhält.
Entsprechend diesem verspielten Standpunkt sind sie sehr
freundlich und gastfrei.
Zumeist haben die Landleute einem Besucher nichts anderes zu
bieten als eine Schale Tee, zudem nicht einmal sehr guten Tee,
aber Kanne und Schalen werden einem unweigerlich vorgesetzt,
und sollten sich im Haus ein paar Teeblätter von besonders guter
Qualität finden, wird für den Gast eigener Tee gekocht.
An dem Tag nach der Flucht des Fisches legten wir nahe einem
Tempel an, der aus irgendwelchen Gründen von Soldaten besetzt
war. Darum fuhren wir eine oder zwei Meilen stromaufwärts
zurück, denn Soldaten sind überall, sowohl in Friedens- wie in
Kriegszeiten, nur selten gute Nachbarn. An diesem neuen
Ankerplatz fand ich etwas, worauf ich schon seit Jahren neugierig
gewesen war, nämlich ein mit Wassermelonen jener Gattung, die
man um ihrer Kerne willen pflanzt, bestandenes Feld. Die eßbaren
Melonenkerne haben einen köstlichen Nußgeschmack und werden
in allen Restaurants und Teehäusern serviert, Schüsseln mit
diesem Naschwerk finden sich bei jedem chinesischen Festmahl.
Angeblich wirken die Melonenkerne als leichtes Aphrodisiakum
und werden daher Damen nicht angeboten. Sehr viele Touristinnen
lassen es sich nicht nehmen, davon zu essen, und wundern sich
wahrscheinlich darüber, daß jeder Chinese in der Nähe plötzlich so
belustigt ist.
Eine der sichersten Methoden, sich mit einem chinesischen
Bauern anzufreunden, besteht darin, daß man ihm eine leere
Bierflasche schenkt, die er höher zu schätzen scheint als alle
anderen Flaschen. Ich weiß nicht, warum, aber offenbar umgibt
eine leere Bierflasche noch immer ein wenig die freundliche und
gesellige Atmosphäre ihres früheren alkoholischen Inhaltes. Eine
solche Flasche kann man immer anbieten oder annehmen, ohne
einen Verstoß zu begehen, und immer erfordert eine solche
140

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Freundlichkeit eine Erwiderung. Ich bewunderte dieMelonen
desBauern und gab ihm die Flasche, und er bat mich, ich möge
mich von den Melonen bedienen, was ich tat, indem ich eine
nahm, denn mehr brauchte ich nicht für meine
amateurwissenschaftlichen Forschungen.
Hier hätte die Sache ein Ende gehabt, aber während ich noch
mit ihm sprach, füllte sich einer unserer Ruderer, der hinter mir
gekommen war, die Schürze mit Melonen, wobei er die schönsten
und größten des Beetes aussuchte. Ich sah ihn erst, als er mit allen
Melonen, die er in der Schürze nur tragen konnte, verschwand,
und da mir nichts anderes mehr zu tun übrigblieb, versuchte ich
die Angelegenheit dadurch zu regeln, daß ich dem Bauern
Bezahlung anbot, doch er wollte davon nichts wissen. Ich hielt
dies für übertriebene Höflichkeit, darum steckte ich ihm heimlich
zwei Zwanzigcentstücke in die Jackentasche und ging zu meinem
Boot zurück. Nun bedeuten diese Silbermünzen in einer solchen
Gegend ziemlichen Reichtum. Ein tüchtiger Mann muß einen
ganzen Tag schwer arbeiten, um soviel zu verdienen, und da dieser
alte Mann nicht mehr sehr bei Kräften war, hielt es nur schwer
auszurechnen, wie lange er wohl brauchte, einen solchen Betrag zu
erwerben. Es war eine fürstliche Gabe oder eine höchst großzügige
Bezahlung für die Melonen.
Ich war wieder im Boot und zeigte meinen Gefährten die
Melone, und wir verwunderten uns über die ungeheuere Menge
von Kernen und über die Qualität des Fruchtfleisches, das nicht
eßbar war, als es plötzlich am Fuß des Landungsbrettes
entsetzliches Gepolter gab. Der alte Bauer hatte die zwei Münzen
in seiner Tasche gefunden und war eine halbe Meile gewandert,
um sie zurückzugeben. Er legte die zwei Münzen mit dramatischer
Gebärde auf das Landungsbrett und erzählte dann jedermann
seinen Kummer. Ich hätte ihn besucht und hätte seine
jämmerlichen Melonen bewundert und ihm die prachtvollste
Bierflasche geschenkt, die er je gesehen. Er sei keiner, für den
Bierflaschen ein neues Erlebnis gewesen wären, denn im Lauf
seines Lebens habe er mehrere Dutzend besessen, aber die, die ich
ihm geschenkt habe, sei zweimal so groß wie jede andere. Er wisse
141

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ genau, welche Gastfreundschaft man Fremden schulde, und habe
mir daher sein bedeutungsloses Melonenfeld überlassen, ohne sich
auch nur die Mühe zu machen, nachzuzählen, was davon
genommen wurde. Er wisse es auch jetzt nicht, und es sei ihm
gleichgültig. Bis dahin sei es eine Transaktion zwischen zwei
Gentlemen gewesen, aber ich hätte es dabei nicht bewenden
lassen, sondern das Ganze in ein niedriges Handelsgeschäft
verwandelt, indem ich ihm die beiden Münzen in die Jackentasche
steckte. Ein Glück, daß er sie fand und herkommen konnte, um sie
zurückzugeben.
Es ist in China niemals schwer, eine Debatte zu beginnen, und
hier lag eine geradezu ideale Situation vor. Die Freunde und
Nachbarn des alten Mannes waren alle auf seiner Seite, und meine
Bootsmannschaft auf der meinen. Der Schurke, der das Ganze auf
dem Gewissen hatte, weil er die Melonen klaute, gab den Ton an.
Der alte Herr, so sagte er, sei nicht vertraut mit der großzügigen,
freigiebigen Lebensart der Ausländer. Ich müßte ganz offenbar ein
sehr reicher Mann sein, denn ich hätte aus einem närrischen
Grund, den nur Ausländer verstünden, dieses Boot einzig und
allein deshalb gemietet, um darin müßig zu gehen, wofür ich jeden
Tag zahlte, ohne dafür etwas haben zu wollen. Ich hätte sogar die
Selbstbeherrschung verloren und gedroht, die ganze Mannschaft
zu entlassen, als sie den Versuch machte, eine Ladung stinkender
Schinken nach Hangtschau zu schmuggeln. Ein Zwanzigcentstück
sei für mich ein Kinderspielzeug, und was Bierflaschen betreffe,
so wolle er gar nicht erzählen, wie viele ich und die Meinen davon
täglich leerten, denn niemand würde ihm das glauben. Dies war
eine sehr zeitgerechte und überzeugende Bemerkung, denn in eben
diesem Augenblick wurden verschiedene Viertelflaschen Bier vor
Augen der am Flußufer versammelten Menge geleert. Als
krönendes Beispiel für meine törichte und fast unglaubwürdige
Verschwendungssucht erzählten andere Leute der
Schiffsbesatzung, was erst vor einigen Tagen geschehen
war, als wir abends an einem sandigen Strand vor Anker lagen.
Damals hätte ich einen ganzen Dollar für Brennholz gezahlt und es
dann, als das Dunkel einbrach, aufgestapelt und verbrannt,
142

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ offenbar nur aus dem Grund, um dem kleinen Mädchen Freude zu
machen, das zu der Gesellschaft gehörte. Die Sitten der Ausländer
seien eben unverständlich.
Andere fügten ihre Zeugenaussagen hinzu. Dieser Nimbus toller
Verschwendungssucht, mit dem mich die Leute umgaben, war sehr
belustigend, denn erst am Tag vorher hatten wir eine ernsthafte
Auseinandersetzung gehabt, weil sie mir mit der Bitte um ein
Extraweingeld gekommen waren. Dabei hatte ich den Sieg
davongetragen, und ich wußte, daß sie mich insgeheim für den
knickerigsten fremden Teufel hielten, mit dem sie je in Berührung
gekommen waren. Immerhin schienen sie mit ihrem Standpunkt
durchzudringen. Einige der Dorfbewohner verdammten zwar laut
meine Handlungsweise, aber der alte Mann ließ, nachdem er das
Seine gesagt hatte, es dabei bewenden und wollte sich auf kein
Nebengeleise locken lassen. Er blieb hartnäckig an Ort und Stelle,
bis die Auseinandersetzung vorüber war und niemand mehr ihm
Beachtung schenkte. Er ging auf sein Melonenfeld zurück und ließ
die beiden Münzen auf dem Landungsbrett liegen. Später fiel mir
das ein und ich stieg hinab, um das Geld zu holen, und es war
verschwunden. Ich bin zutiefst überzeugt, daß der Matrose, der
sich die Melonen des alten Mannes holte, auch die beiden
Geldstücke stahl, aber da ich keinen Beweis dafür hatte, sagte ich
nichts.
143

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ ELFTES KAPITEL
Die wenigen, die die Zeitung lesen
Als ich nach China kam, herrschten noch die Mandschus
über das Land; der kaiserliche Knabe, der jetzt der
erwachsene, aber ohnmächtige Herrscher Mandschukuos
ist, saß auf dem Drachenthron; Sun Yat Sen war ein politischer
Flüchtling, und die revolutionäre Bewegung, die bald nachher die
Monarchie umstürzen sollte, hielt sich so gut und so verschreckt
verborgen, daß nur wenige Ausländer von ihrer Existenz wußten.
Aber die Mandschus kannten die Tätigkeit der Aufrührer und
verstanden keinen Spaß. Ohne Publizistik kann eine Revolution
nicht gedeihen, und die billigste und wirksamste Art der
Publizistik ist die Zeitung. Darum waren die Angehörigen der
herrschenden Schicht gegen alle Zeitungen, und es erschienen
überhaupt keine, außer in den fremden Konzessionen und
Niederlassungen, wo man keine Köpfe abschlug, ja nicht einmal
144

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Kerkerstrafen verhängte, ohne wenigstens irgendwie die
gesetzlichen Vorschriften im Auge zu behalten. Aber trotz diesem
Schutze machten der Eifer und die Gründlichkeit der Mandschus
beim Verfolgen und Köpfen der Zeitungsherausgeber deren Beruf
zu einem sehr gefährlichen.
In diesem Zusammenhang muß ich von einem mir bekannten
Chinesen erzählen, dessen Lebensversicherungspolice sich als
wirkliche Versicherung gegen den Verlust des Lebens erwies.
Dieser Mann war der erste chinesische Journalist, den ich kennen
lernte, Er war glühender Revolutionär, und als er sich entschloß, in
einer der ausländischen Konzessionen in Hankau eine Zeitung
herauszugeben, kannte er sehr genau den hohen Prozentsatz von
Zeitungsherausgebern, die ihren Kopf verloren hatten. Er schloß
bei einer britischen Gesellschaft eine Lebensversicherung ab,
damit im Falle seiner Enthauptung seine Familie nicht unversorgt
bleibe. Er hatte seine Zeitung noch nicht lange herausgegeben, als
irgendein Artikel die Behörden beleidigte. Während eines
unvorsichtigen Besuches außerhalb der ausländischen Konzession
wurde er auf Befehl des lokalen Mandarins verhaftet und ins
Gefängnis geworfen. Dann ließ sich der Mandarin den
Zeitungsmann vorführen, um ihm mitzuteilen, daß ihm der Kopf
abgeschlagen werde, und basta! Während seiner Kerkerhaft hatte
der Zeitungsherausgeber viel Zeit gehabt, seine schwierige Lage
zu überdenken und nach einem Ausweg zu suchen. Immerhin kam
ihm ein Gedanke. Da er ohnedies nichts zu verlieren hatte,
entschloß er sich zu folgender List.
`Exzellenz," rief er, whrend er den Kopf auf den Boden schlug,
`Sie knnen natürlich meinen unwichtigen Kopf abschlagen lassen,
aber wenn Sie dies tun, fügen Sie dem König von England eine
schwere Schmähung zu, und die Folgen werden vielleicht für Euer
Exzellenz sehr ernst sein."
Die Vorstellung, daß der König von England sich durch die
Hinrichtung eines lausigen chinesischen Revolutionärs getroffen
fühlen und daß der starke Arm britischer Vergeltung bis hierher
langen sollte, erweckte die Neugier des Mandarins, und er vergaß
seine Würde und fragte, wie eine so unwichtige Ursache eine so
145

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ weit reichende und bedeutende Wirkung haben könne. Mit vielen
Kotaus erklärte es der Journalist. Seine Versicherungspolice
verpflichtete ihn, einer britischen Gesellschaft vierteljährlich,
solange er lebte, eine gewisse Summe zu zahlen, und andererseits
war die Gesellschaft verpflichtet, im Falle seines Todes seinen
Erben eine überraschend große Summe zu geben. Wenn er am
Leben blieb, war dies ein ausgesprochener Gewinn für die
britische Gesellschaft, wenn er aber starb, bedeutete es für sie
einen gewaltigen Verlust. Starb er eines natürlichen Todes, hatte
die Gesellschaft freilich keinen Grund zu einer Beschwerde, doch
wenn ihm auf amtlichen Befehl der Kopf abgeschlagen wurde,
verlor die Gesellschaft nicht nur ihre Eingänge, sondern hatte auch
noch außerordentlich hohe Auslagen und erhob gewiß lebhafte
Beschwerde.
Zu jener Zeit brüllte der britische Löwe viel lauter und viel öfter
als jetzt, und am lautesten brüllte er in der Gegend von Hankau,
denn das Yangtzetal galt als britische `Einflusphäre". Die dortigen
Konsularbeamten hatten dem Mandarin bei zahllosen
Gelegenheiten die Hölle heiß gemacht, wenn chinesische
Kaufleute die bestellten Waren nicht übernehmen wollten, oder
wenn der Mandarin ungesetzliche Taxen von britischen Waren
einhob. Darum dachte er, an den Worten des Verurteilten könne
etwas sein, und er verschob die Hinrichtung, um der Sache
nachzugehen. Eine Depesche ging nach Peking ab, und das Wai
Chao Pu, das chinesische Außenministerium, richtete an den
britischen Gesandten eine Note mit der Frage, ob der
Zeitungsherausgeber hingerichtet werden könne, ohne daß dies
diplomatische Verwicklungen nach sich zöge. Niemand weiß, wie
die britische amtliche Einstellung zu diesem Problem ausgefallen
wäre, oder ob die Angelegenheit dem Londoner Foreign Office
unterbreitet wurde, denn ehe noch eine Antwort gegeben werden
konnte, brach die republikanische Revolution aus, die Gefängnisse
wurden geöffnet, und der nun freigelassene Häftling gab in
Shanghai eine Zeitung heraus. Dort lernte ich ihn kennen, und er
erzählte mir die Geschichte seiner Lebensrettung. Diese hatte
ü b r i g e n s e i n e n s t a r k e n A u f s c h w u n g d e s
146

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Lebensversicherungsgeschäftes zur Folge.
Mit der Einführung der Republik verschwand die Gefahr des
Köpfens für Zeitungsherausgeber nicht gänzlich, verringerte sich
aber doch so sehr, daß dieser Erwerb fast ebenso sicher wurde wie
ein anderer und plötzlich pilzartig Zeitungen aus dem Boden
schossen. Genau so wie in anderen Ländern glaubt auch in China
ein jeder, der Elementarschulbildung genossen hat, daß er
imstande ist, eine Zeitung oder eine Zeitschrift herauszugeben,
und so versuchen es viele, so daß es im Land eine Menge
überflüssiger und nur wenige wirklich gute Publikationen gibt.
Wenn mich ein neuer Kunde oder ein Kunde in spe fragt, wie
viele Chinesen des Lesens und Schreibens kundig sind, und ich
ihm die traurige statistische Mitteilung mache, daß nicht mehr als
einer von zehn Leuten die sonderbaren chinesischen
Schriftzeichen auf Papier malen kann oder ihre Bedeutung kennt,
laufe ich Gefahr, meine Reklamemöglichkeiten zu schädigen.
Wenn nur so wenig Leute lesen können, erscheint es offenbar, daß
die Wirkung der Reklame nur sehr beschränkt sein kann. Unsere
stets bereite Antwort auf solche pessimistische Äußerungen ist die,
daß die Leute, die lesen können, die einzigen sind, die Geld genug
haben, gute Kunden zu werden. Diese Antwort ist nicht nur
ziemlich wahr, sondern in den meisten Fällen überzeugend, so daß
das Geschäft gerettet ist, aber der Kunde verliert einen großen Teil
seiner Zuversicht und seiner Begeisterung. Immerhin wächst heute
der Prozentsatz solcher, die lesen und schreiben können, denn die
chinesische Regierung bemüht sich entschlossen, die Bildung
möglichst weiten Kreisen zugänglich zu machen.
Zum Teil im Interesse unserer Kunden und zum Teil, um eine
sehr natürliche Neugier zu befriedigen, haben wir uns ziemlich
viel Mühe genommen, um halbwegs genau festzustellen, wieviel
Zeitungsleser es in China gibt. Dieses Problem ist ziemlich
schwierig. Immerhin haben wir einen recht genauen Begriff von
dem Umlauf der führenden Zeitungen (weniger als hundert), mit
denen wir geschäftlich zu tun haben.
Die Statistiken der chinesischen Zollämter zeigen, wie viele
Tonnen von Druckerschwärze jährlich ins Land eingeführt werden.
147

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Da die heimische Produktion an Druckerschwärze so klein ist, daß
man sie außer acht lassen kann, ist es leicht, sich die
Maximahlzahl normal großer Zeitungen auszurechnen, die man
mit dieser Menge Druckerschwärze herstellen kann. Ferner haben
wir genaue Zahlen über die durch die chinesische Post beförderten
Zeitungen und Zeitschriften. Diese Zahl repräsentiert natürlich nur
einen Bruchteil der Gesamtmenge der zirkulierenden
Publikationen, da diese ja zumeist direkt ins Haus gestellt werden,
aber immerhin dient sie als Probe für unsere anderen
Berechnungen. Wir kennen auch ziemlich genau die Druckereien
der Zeitungen und wissen, welche nicht mehr als zweitausend
Exemplare im Tag herstellen können, welche auf zehntausend
beschränkt sind und so weiter bis zu denen, die mehr als
hunderttausend drucken können. Wir inserieren eine Menge
Reklamekupons, die uns die Leute mit ein paar Cents in Marken
einsenden können, wofür sie Musterproben von Zahnpasta,
Toilettenseife oder Lippenstiften erhalten. jeden Monat bekommen
wir Tausende und halten sie sorgfältig in Evidenz. Wenn eine
Ankündigung in einer Zeitung, von der wir wissen, daß sie
zehntausend Exemplare absetzt, hundert Kupons bringt und die
gleiche Ankündigung in einer anderen Zeitung von uns
unbekannter Verbreitung fünfzig Kupons bringt, können wir
ziemlich sicher sein, die Auflagenhöhe dieser zweiten Zeitung mit
fünftausend ansetzen zu dürfen. Nach diesen Methoden, deren
Ungenauigkeit uns bekannt ist, und durch eine Rechnungsart, die
ebenso wenig Anspruch auf Exaktheit erheben kann, gelangen wir
zu dem Schluß, daß es in China ungefähr drei Millionen
Abnehmer für Tageszeitungen gibt. Dies umfaßt auch kleine
`Moskitozeitungen", die durch Erpressungen ein klgliches Leben
fristen. Tüchtige Rechner, die alle Dinge auf Dezimalstellen genau
berechnen wollen, werden unsere Zahlen wahrscheinlich gering
achten. Sollte jedoch einer glauben, daß er zu einem genaueren
Ergebnis gelangen könnte, mag er es nur versuchen.
Die gegenwärtige Verbreitung der Tageszeitungen in China ist
ungefähr ebenso hoch wie die in den Vereinigten Staaten vor
sechzig Jahren. Die Zahl von drei Millionen täglichen
148

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Zeitungsexemplaren zeigt, das weniger als ein Prozent der
Bevölkerung die Zeitung liest, doch ist diese Zahl ungenau. Jede
wichtige Zeitung hat eine sogenannte `sekundre" Zirkulation.
Viele Zeitungsjungen in Shanghai verkaufen ihre Blätter
gewissermaßen auf Gesellschaftsbasis. Die Zeitung wird zuerst
dem Mister Wong geliefert, der in einer ausländischen Firma
arbeitet und daher um neun Uhr im Büro erscheinen muß. Wenn er
seine Wohnung verläßt, nimmt der Zeitungsjunge das Blatt wieder
an sich und liefert es einem Leser mit bequemeren Gewohnheiten,
und so geht es weiter, bis nach einer Woche dieselbe Zeitung
vielleicht hundert Meilen entfernt in den Händen eines
Provinzlesers landet.
Diese sparsame Methode, eine Zeitung zu mieten, statt sie zu
kaufen, wird natürlich von den Wohlhabenden verschmäht, aber in
vielen Fällen achtet auch hier die Dienerschaft darauf, daß der
Wert einer Morgenzeitung nicht durch die Strahlen der
Mittagsonne geschmälert werde, und sie verkaufen das Blatt an
einen vom Geschick weniger begünstigten Nachbarn. Wie weite
Kreise diese sekundäre Zirkulation zieht, läßt sich auch nicht
annähernd erraten. Sie mag ein Dreifaches, ja sogar ein Vierfaches
jener drei Millionen umfassen, aber wenn man auch noch so
optimistisch rechnet, bleibt doch die Tatsache bestehen, daß die
Gesamtanzahl der Zeitungsleser in China bedeutend geringer ist
als fünf Prozent der Bevölkerung. Das ist vielleicht ein sehr
düsteres Bild, hat aber auch seine lichtere Seite. Auf ungefähr
dieselbe Art, wie wir zu der Berechnung der gegenwärtigen
Zeitungsverbreitung gelangten, haben wir die Geschichte des
chinesischen Zeitungswesens rekonstruiert und herausgefunden,
daß zwar die jetzige Zahl chinesischer Zeitungsleser
verhältnismäßig sehr gering ist, aber doch doppelt so groß wie vor
fünfzehn Jahren. China ist heute kein sehr wichtiger Verbraucher
von Druckerschwärze, dennoch wächst der Konsum in einem
Ausmaß, das sich alle zehn Jahre verdoppelt.
Wenn Zahlen über das Analphabetentum in China angeführt
werden, bieten sie dem durchschnittlichen Betrachter ein sehr
schwarzes Bild. Die meisten von uns haben von der oder jener
149

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Person gehört, die zu dumm war, lesen zu lernen, und von vielen
anderen, die nie gelernt haben, ihre grammatischen Begriffe in
Ordnung zu halten, und darum nimmt man natürlich an, daß die
ungeheueren Volksmengen Chinas aus vielen Millionen Leuten
bestehen müssen, deren Intelligenz weit unter dem
durchschnittlichen menschlichen Niveau steht. Freilich ist dies
ganz falsch. Sehr wenige Chinesen sind deshalb Analphabeten,
weil sie etwa zu dumm wären, lesen und schreiben zu lernen, aber
viele sind es, weil sie nie Gelegenheit gehabt haben, zu lernen,
oder weil sie wichtigere Obliegenheiten zu versehen hatten. Selten
geht es auf Mangel an Energie, auf Gleichgültigkeit, Unfähigkeit
oder dergleichen zurück. Von der frühesten Periode der langen
authentischen Geschichte Chinas steht die confucianische
Tradition in Geltung, derzufolge das Gelehrtentum am höchsten
geehrt wird. Diese Tradition machte Premierminister und
Feldmarschälle aus Männern, die die Feder zu führen wußten, und
erklärt in großem Maße den Dilettantismus der Staatsführung,
dessen Ergebnis die Schwäche des Landes war. Durch
Jahrhunderte versuchte man, ernste diplomatische und
innerpolitische Probleme durch das Verfassen geistreicher Essays
zu lösen. Erst seit die jüngste Generation zur Macht gekommen ist,
wendet man praktischere Methoden der Verwaltung und
Diplomatie an, und zwar nicht, indem man das Gelehrtentum
abgeschafft, sondern indem man ihm praktischere Anwendung
gegeben hat. Außer einer sehr frühen Periode der chinesischen
Geschichte hat es nie eine Gelehrtenkaste, ja nicht einmal eine
Gelehrtenklasse in China gegeben. jeder Knabe, der die Neigung
und Gelegenheit hatte, zu studieren, konnte der höchsten Ehren im
Staat teilhaftig werden.
Blinde oder taube Menschen erwerben ausgleichende
Fähigkeiten, die an dem einzelnen Individuum sehr deutlich zu
bemerken sind, und die vielen Generationen analphabetischer
Chinesen erfreuten sich einer ähnlichen Entwicklung. In vielen
Dingen sind sie intelligenter als ihre Brüder, die lesen und
schreiben können. Der Mann, der erfolgreich durchs Leben
schreitet, ohne die Ersparnis an geistiger Arbeit und ohne die
150

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Hilfe, die in Bleistift und Papier liegen, muß sein Hirn viel mehr in
Anspruch nehmen als der, dem diese Hilfsmittel zu Gebote stehen.
Einer der klügsten Menschen, die ich kenne, ist ein chinesischer
Analphabet, der in seinem Alltag geistige Leistungen zustande
bringt, deren sich nur wenige Universitätsprofessoren rühmen
könnten. Er kann geradezu wunderbar im Kopf rechnen, und mit
Hilfe eines Schreibers wäre er ein prächtiger Zeitungsreporter,
denn seine Beobachtungsgabe ist fast unheimlich. Mit einem
einzigen Blick auf einen von Menschen erfüllten Raum scheint er
geistig ein jedes Individuum zu photographieren, und noch nach
einem Monat kann er jeden einzelnen beim Namen nennen oder
die, deren Namen er nicht kennt, genau beschreiben. Ich erwähne
ihn aber nicht deshalb, weil er etwa in irgendeiner Beziehung ein
Wundertier wäre, denn das ist er keineswegs. Er selbst hält gar
nicht soviel von seinen geistigen Fähigkeiten, und ebenso wenig
tun dies seine chinesischen Freunde. Seine Leute waren arme
Bauern, die ihn nicht zur Schule schicken konnten. Da er keine
Gelegenheit hatte, lesen und schreiben zu lernen, mußte er
erlernen, wie man ohne diese Dinge im Leben weiterkommen
kann. Es gibt Millionen seinesgleichen in China.
Ausländer, die nichts oder nur wenig von der chinesischen
Sprache wissen, sind meist überrascht, wie leicht man ohne
Sprachkenntnisse hier durchkommt. Die Chinesen scheinen
instinktiv zu wissen, was der Fremde haben will, und sie führen
ihn zum Gasthof oder zeigen ihm den Bootlandungsplatz und
sorgen überhaupt dafür, daß er sich zurechtfinde. Ein sehr
interessanter Besucher in meinem Büro war unlängst ein junger
Österreicher, der mit einem Begleiter eine Autofahrt von Wien
nach Shanghai gemacht und so als erster ein Automobil von
Europa nach China gesteuert hatte. Während des letzten Teiles der
Reise mußte er einige Provinzen Chinas durchqueren, in denen nur
sehr wenig Leute eine fremde Sprache sprechen. Der junge
Österreicher erzählte mir, daß er keinerlei Schwierigkeiten gehabt
habe, obwohl weder er noch sein Begleiter auch nur ein einziges
chinesisches Wort kannten. Wo immer sie halt machten, schienen
es die Ortsbewohner als gegeben anzunehmen, daß die Reisenden
151

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Wasser für den Kühler brauchten, Benzin für den Tank, Essen und
ein Nachtlager. Ohne jedes Wort stellte man alle diese Dinge bei.
Daran ist nichts Übernatürliches. In China werden unzählige
Dialekte gesprochen, und seit Jahrhunderten sind die Chinesen
gewohnt, mit Landsleuten zusammen zu kommen und zu tun zu
haben, die sich nicht verständlich machen können, und so haben
sie gelernt, die Bedürfnisse eines Reisenden ohne die Hilfe des
gesprochenen Wortes zu befriedigen.
Die Tatsache, daß ein so großer Prozentsatz der Bevölkerung
nicht lesen kann, hat uns zu einer sehr einfachen Technik der
Reklame geführt, so daß wir jede Ankündigung möglichst
unabhängig von der Hilfe des geschriebenen Wortes machen, das
heißt wir greifen auf das alte Hilfsmittel der Bilderschrift zurück.
Trotz unserem Argument, das wir dem Kunden gegenüber immer
verwenden, jedermann, der angekündigte Waren kaufen könne,
könne auch eine Zeitung lesen, wissen wir, daß diese Behauptung
ein wenig ungenau ist. Es gibt eine Menge Analphabeten, die wie
mein vorhin erwähnter Freund Automobile besitzen und
kostspielige Zigaretten rauchen. Und es gibt noch mehr
analphabetische Gattinnen wohlhabender Männer, denn die
Frauenbildung ist erst neuesten Datums. Die chinesische Gattin,
die zumeist das Geld der Familie ausgibt, kann die Zeitung nicht
lesen, die ihr Mann abonniert hat, sie sieht aber die Bilder an, und
wenn unsere Reklame eine gute Abbildung der Ware zeigt und
eine Illustration ihrer Verwendung, erreicht die Ankündigung
zumeist ihren Zweck und hat dem Leser, der nicht lesen kann, die
Botschaft übermittelt.
Die Feststellung, daß viele Chinesen Analphabeten sind,
bedeutet nicht, daß sie sich nicht an guter Literatur erfreuen
würden. Der Geschichtenerzähler ist überall zu finden, und sein
Repertoire ist reich und mannigfach. Manche ziehen umher,
machen an jeder Straßenecke halt, wo sich dann eine Menge
ansammelt und genügend Kupferstücke spendet, um dem Mann
die Reisschale zu füllen. Andere, die Aristokraten ihres Berufes,
finden sich auf den kleinen Kanalbooten ein, wo jeder Passagier
ganz selbstverständlich das Kupferstück zahlt, das nach altem
152

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Brauch die Entlohnung des Geschichtenerzählers ist. Man braucht
kein Wort chinesisch zu verstehen, um das Talent dieser
Troubadoure zu würdigen. Die zwar beherrschten, aber doch
mimenhaften Gebärden, die sorgfältig modulierte Stimme, die
dramatischen Pausen, das gelegentliche Hinübergleiten in kurzen
Gesang, die hingerissene Aufmerksamkeit Vorübergehender, das
alles beweist, daß die Erzählung ein Kunstwerk sein muß.
Stundenlang hält der Mann seine Zuhörer mit alten Märchen oder
mit Erzählungen von berühmten Belagerungen und Schlachten
gefangen, den beliebten klassischen Darstellungen des Landes. In
bescheidenerem und begrenzterem Maße kennt auch die
chinesische Amme, die nicht einmal den eigenen Namen schreiben
kann, die berühmten alten Romanzen des Landes auswendig. Das
Ergebnis ist, daß viele Leute, die weder lesen noch schreiben
können, eine ziemlich fundierte Kenntnis der chinesischen
Literatur haben.
Anfänglich war es für den chinesischen Zeitungsherausgeber
viel einfacher, von irgendeinem einzelnen Politiker oder von einer
Gruppe von Politikern eine Subvention zu erhalten als einen
zahlenden Abonnentenkreis zu erwerben, und die meisten
Zeitungen traten auf diese bequeme Art ins Leben. Einige wenige
sind über ihren politischen Ursprung hinaus gewachsen, aber die
Zahl der heutigen chinesischen Zeitungen, sowohl
fremdsprachiger wie chinesischer, deren Eigentümer unabhängig
sind und nur vom Verkauf der Auflage und von der Reklame
leben, könnte an den Fingern vierer Hände abgezählt werden. Bei
fast allen kleinen Provinzzeitungen und auch bei einigen ziemlich
wichtigen führt dieses Subventionierungssystem im
Reklamewesen zu einer recht sonderbaren Situation. Da die
Auslagen des Zeitungsherausgebers durch die Subvention bereits
gedeckt sind, braucht er bei der Berechnung seines
Ankündigungstarifs seine Herstellungskosten nicht ins Kalkül zu
ziehen. Was er für den Ankündigungsraum erhält, ist schon
Reingewinn. So kommt es, daß wir in manchen dieser kleinen
Zeitungen sehr viel ankündigen, und zwar zu Sätzen, die nur einen
Bruchteil des weißen Papiers decken, auf dem die Ankündigung
153

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ gedruckt wird. Wir fragen die Herausgeber dieser kleinen
Zeitungen gar nicht nach ihren Tarifen. Täten wir das, wir würden
Wochen oder Monate brauchen, um zu einer vernünftigen und
gegenseitig befriedigenden Basis zu gelangen, auf der wir das
Geschäft abschließen könnten. Wenn wir ein Geschäft zu placieren
haben, rechnen wir uns aus, wieviel der Raum in dieser speziellen
Zeitung wohl wert sein mag, geben die Bestellung auf dieser
Grundlage auf, und gewöhnlich wird sie ohne jeden Einwand
angenommen.
Wenn auch die Tarife sehr nieder sind, ist dies wohl fast das
einzige in den Geschäftsbeziehungen mit solchen subventionierten
Zeitungen, wovon man befriedigt sein kann. Die kleinen
Provinzherausgeber interessieren sich nur für Ankündigungen, die
jeden Tag erscheinen können. Einmal sandten wir einer Zeitung in
Yunnan einen Auftrag für eine kleine Reklame, die zweimal in der
Woche, am Mittwoch und am Sonntag, erscheinen sollte. Wir
hatten uns vorher nicht darüber geeinigt, zu welchem Satz diese
Ankündigung gebracht werden mußte, und versäumten zufolge
eines Versehens, in unserer Bestellung den Preis zu nennen. Wir
erhielten schließlich eine Rechnung auf den doppelten Betrag
dessen, was wir früher für ein tägliches Inserat derselben Größe
bezahlt hatten. Wir schrieben dem Herausgeber einen höflichen
chinesischen Brief und wiesen darauf hin, daß wir, da wir nur an
zwei Tagen von sieben den Raum seiner Zeitung in Anspruch
nähmen, höchstens die Hälfte dessen zahlen wollten, was wir für
eine tägliche Annonce sonst bezahlt hätten. Am Schluß erklärten
wir, daß wir auf keinen Fall die von ihm erstellte Rechnung
anerkennen könnten.
Das Antwortschreiben der Zeitung war ebenso höflich wie
unseres, strotzte aber zwischen den höflichen Sätzen vor
Entrüstung und legte den Standpunkt der Zeitung genau dar. Wenn
jemand eine tägliche Annonce zu einem gewissen monatlichen
Entgelt in Auftrag gab, könne man sich dieses Geschäftes ohne
besondere Schwierigkeit annehmen, denn die Ankündigung bleibe
dann dauernd im Satz stehen. Doch da wir das Inserat nur für
Mittwoch und Sonntag bestellt hätten, habe die Zeitung die Mühe,
154

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ das Erscheinen zu kontrollieren, und wenn wir darauf bestünden,
daß der Zeitung diese Mühe bereitet werde, sehe man nicht ein,
warum wir dafür nicht mehr bezahlen sollten. Am Schluß hieß es,
wenn wir die Rechnung nicht beglichen, werde ganz Yunnan von
unseren schurkischen Methoden erfahren.
Wir waren durch diese Argumentation nicht überzeugt, und was
die Drohung betraf, hatten wir solche Dinge schon gehört.
So schrieben wir, diesmal nicht allzu höflich, der Herausgeber
täte gut daran, sich den modernen Reklame-Usancen anzupassen,
und am Schluß bemerkten wir, daß er nie wieder einen Cent von
uns sehen werde, wenn er sich nicht entschließen könne, uns eine
richtiggestellte Rechnung zu schicken. Die nächste Phase trat
ungefähr eine Woche später ein und war ein angstvoller Anruf des
Klienten, für den wir die Ankündigung placiert hatten. Die Zeitung
hatte ihre Version unserer Meinungsverschiedenheit veröffentlicht
und dabei sowohl den Namen des Kunden wie meinen genannt.
Dieser Artikel nahm die ganze erste Seite ein und enthielt eine
Warnung an alle Mityunnaniten, sich vor uns in acht zu nehmen,
und den Rat, im Falle von Geschäftsbeziehungen mit uns sich die
Vorauszahlung des Betrages zu sichern, da man sonst um sein
Geld kommen werde. Ferner hieß es darin, dies sei nur der erste
Artikel einer ganzen Serie, die über diesen Fall erscheinen sollte,
solange ich nicht bezahlt hätte, was der Zeitung gebührte.
Natürlich unterließen wir es nun, diesem Zeitungsmann weitere
Lektionen in moderner Reklamepraxis zu geben, und zahlten die
Rechnung. Unser Kunde bestand sogar auf telegraphischer
Geldüberweisung, damit das Geld ankomme, bevor ein neuer
Artikel erscheinen könne. Leider muß ich sagen, daß dies zwar das
erste derartige Erlebnis war, nicht aber das letzte. Gewöhnlich gibt
es Wirbel, wenn wir uns weigern, eine Reklame zu bezahlen, etwa
weil sie so jammervoll gedruckt war, daß niemand sie lesen
konnte, oder sonst aus einem triftigen Grund. Dann finden wir uns
wieder angeprangert wie ein Klubmitglied, das seine Rechnung
nicht gezahlt hat, und unsere Ungerechtigkeit wird einem jeden
Leser der Zeitung ins Ohr geschrien. Das bereitet uns zwar keine
schlaflose Nacht, versetzt aber zumeist unseren Klienten in helle
155

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Wut, besonders wenn es das erstemal ist, daß er der Erpressung
Aug in Aug gegenübersteht. Ich kann sagen, daß diese Praktik
ziemlich weite Verbreitung unter den kleinen chinesischen
Zeitungen hat und als Methode der Schuldeneintreibung sehr
erfolgreich ist. Wenn die Zeitung Geld braucht und einige
Ausstände hat, wird eine Liste von Schuldnern zusammengestellt
und veröffentlicht, mit dem jeweiligen Betrage der Schuld, und
diese Liste erscheint jeden Tag in der Zeitung, wird aber
billigerweise immer richtiggestellt, indem die Namen derer, die
gezahlt haben, gestrichen werden.
Jeder Reklamemann, der die Tarifsätze der chinesischen
Zeitungen Shanghais vergleicht, ist überrascht, daß die Sätze
genau die gleichen sind. Selbst jemand, der in diesen Dingen
keinerlei Erfahrung hat, muß es ziemlich sonderbar finden, daß
eine Zeitung mit einer Auflage von unter zehntausend Exemplaren
einen ebenso hohen Tarif für ihren Raum verlangen kann wie eine
Zeitung mit einer Auflage von über hunderttausend. Die Lösung
dieses sonderbaren Problems liegt darin, daß es der Herausgeber
des kleinsten und verborgensten Organs als ernstlichen
Gesichtsverlust auffassen würde, wenn er einen Inseratentarif
ankündigte, der auch nur im geringsten niedriger wäre als der
seines größten Konkurrenten, denn das würde das Zugeständnis
bedeuten, daß seine Zeitung minderwertig ist. Daher sind alle
Tarife gleich, doch die Rabatte können von 5 % bis 75 % reichen.
Das gleiche gilt von jeder großen Stadt Chinas. Wenn wir den
Inseratentarif einer Zeitung haben, kennen wir auch den aller
anderen Zeitungen dieser Stadt, müssen uns aber noch über die
Rabatte informieren, die die einzelnen Zeitungen uns geben.
Eines der Hauptprinzipien des britischen oder amerikanischen
Erzeugers ist es, daß seine Reklame nicht auf derselben Seite
erscheinen darf wie die eines konkurrierenden Fabrikats. Dies
bezieht sich fast auf alle Branchen, mit Ausnahme der
Automobilindustrie, die offenbar gerne auf derselben Seite fährt.
Fast jede Bestellung, die wir aus Amerika erhalten, enthält diese
die Konkurrenzreklame betreffende Klausel in Sperrdruck, und
manchmal mit der ernsten Warnung, daß die Zahlung verweigert
156

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
werden müßte, wenn dieser Bedingung nicht entsprochen würde.
Wir tun alles mögliche, die Wünsche unserer Kunden zu
erfüllen. Durch Freunde erkundigen wir uns über die Zeitungen,
wir bringen in Erfahrung, wann Konkurrenzankündigungen
erscheinen, und richten uns danach, soweit dies angeht. Da nur
verhältnismäßig wenige Chinesen den Sonntag einhalten und die
Tage eher mit Zahlen als mit Namen bezeichnet werden, gibt es
keinen besonderen Unterschied zwischen ihnen, und für die
Zwecke der Reklame ist ein Tag ungefähr ebenso gut wie dei
andere. Wir schärfen den Zeitungen unsere Instruktionen ein und
pflegen freundschaftliche Beziehungen zu den Zeitungsleuten,
aber unweigerlich müssen wir früher oder später bemerken, daß
eine unserer Ankündigungen für Zahnpaste oder Lippenstifte oder
sonst etwas neben der Ankündigung eines verhaßten Konkurrenten
erscheint. Wir bemühen uns dann immer um eine abermalige,
unentgeltliche Einschaltung der Ankündigung, aber ob uns dies
gelingt oder nicht, hängt nicht von der Stichhältigkeit unseres
Rechtsanspruches ab, sondern nur davon, ob die Zeitung mehr
Inserate braucht und daher geneigt ist, uns bei guter Laune zu
erhalten, oder schon so viel Aufträge hat, daß sie es sich leisten
kann, uns vor den Kopf zu stoßen.
Wenn unsere Kunden in New York oder London die Zeitungen
mit diesen Ankündigungen erhalten, schreiben sie uns Briefe, die
wir nur schwer beantworten können, weil es unmöglich ist, den
Leuten begreiflich zu machen, daß man mit so wenig Autorität und
Disziplin, wie dies in China geschieht, eine Zeitung führen kann.
Die Sache liegt so, daß die Druckerei es als ihr Vorrecht
betrachtet, die Ankündigungsseiten nach ihrer Bequemlichkeit zu
umbrechen. Immerhin erhalten wir weniger Beschwerden wegen
chinesischer, japanischer und russischer Annoncen, als wir
eigentlich verdienten, weil die Auftraggeber diese Sprachen nicht
lesen können. Ihre Ankündigungen sind vielleicht von
Konkurrenzinseraten rings umgeben, und die Kunden wissen es
nicht. Aber es kommt auch oft vor, daß eine unserer Annoncen
neben einer Konkurrenzannonce in einer der englisch
herausgegebenen Zeitungen Shanghais, Hongkongs, Tientsins
157

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ oder Hankaus erscheint, und das läßt sich dann dem Kunden nur
schwer erklären. Wie soll man ihm begreiflich machen, daß so
etwas auch in einer Zeitung passieren kann, die in der guten, alten
englischen Sprache erscheint?
Die Erklärung, die zwar der Wahrheit entspricht, aber nicht sehr
überzeugend wirkt, ist die, daß die Setzer und alle anderen Leute,
die mit der Produktion einer englischen Zeitung hierzulande zu tun
haben, Chinesen sind, die in den meisten Fällen außer den
technischen Ausdrücken ihrer Branche keine hundert Worte
englisch kennen. Wenn ihnen das Reklamebild nicht irgendeinen
Hinweis gibt, wissen sie nicht, worum es sich bei der Reklame
handelt. Der Text hat für sie ebensoviel Sinn wie der Text einer
chinesischen Ankündigung für einen europäischen Leser. Es fällt
schwer, sich einen analphabetischen Drucker vorzustellen, aber
was die englische Sprache betrifft, sind sie Analphabeten. Tag für
Tag setzen sie auf der Linotype ganze Spalten, aber sie haben
keine Vorstellung davon, was der Text bedeutet. Trotz der
Tatsache, daß sie in einer Sprache, die sie nicht verstehen,
blindlings arbeiten, sind sie bemerkenswert tüchtige Setzer. Der
chinesische Linotypesetzer war mir schon jeher ein Gegenstand
des Staunens, wie er es eigentlich einem jeden sein muß, der vom
Druckwesen ein wenig versteht. Ohne die geringste Vorstellung
von der Bedeutung des Textes, ohne die Möglichkeit, einen Satz
oder ein paar Worte im Gedächtnis zu behalten, ohne zu wissen,
ob nicht ein Wort in dem mit der Schreibmaschine geschriebenen
Text einen tückischen Druckfehler enthält, klappert er fröhlich
über seine Tasten und stellt Bürstenabzüge her, die zwar
bemerkenswert sauber sind, aber alle Tippfehler und
orthographischen Entgleisungen des Manuskriptes getreulich
wiedergeben.
Es gibt in Shanghai Linotypes mit lateinischen, deutschen und
russischen Typen, ebenso viele für Spezialalphabete, die alle in
dieser überaus kosmopolitischen und polyglotten Stadt gedruckt
und gelesen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein
britischer Setzer auch nur daran denken würde, einen russischen
Linotype-Apparat zu bedienen, ehe er mindestens einen
158

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Anfängerkurs in der russischen Sprache absolviert hat, so daß er
die wichtigsten Worte und Phrasen kennt, und das ist keineswegs
leicht. Während der ersten Monate des Weltkrieges fuhr ich zwei
Wochen mit dem Zug durch Sibirien und hatte nichts anderes zu
tun als die traurige sibirische Landschaft zu betrachten und die
höchst mäßigen russischen Zigaretten zu rauchen. Darum befaßte
ich mich damit, russisch lesen zu lernen, doch als der Zug endlich
in Petrograd einfuhr, waren mir noch immer einige Buchstaben des
Alphabetes nicht klar. Aber derartige Dinge spielen für den
chinesischen Setzer keine Rolle. Die fünfunddreißig Buchstaben
des russischen Alphabetes sind im Vergleich zu den vielen tausend
Schriftzeichen der chinesischen Sprache so einfach, daß er sie bald
beherrscht und in wenigen Wochen eine russische Setzmaschine
ebenso gut handhaben kann wie eine englische. Und um die
Bedienung einer französischen oder deutschen Maschine zu
erlernen, braucht er sogar noch weniger Zeit.
Diese Unkenntnis des Englischen führt manchmal zu
lächerlichen Irrtümern, und wir können uns gelegentlich über
höchst spaßige Druckfehler in den Shanghaier Zeitungen
unterhalten. Erstaunlich ist nur, daß es nicht öfter vorkommt. Als
ich vor fünfundzwanzig Jahren Nachtredakteur einer hiesigen
amerikanischen Zeitung war, las ich den Abzug der Titelseite noch
einmal durch, bevor ich für diesen Tag Schluß machte und zu Bett
ging, und da sah ich einen sonderbaren Absatz, der sich bei
näherer Prüfung als eine scherzhafte und ein wenig freie Notiz
entpuppte, die ich am Abend einem anderen Mitglied der
Redaktion auf einem Zettel geschickt hatte. Er hatte sie auf seinem
Tisch liegen lassen, und irgendein Diener brachte sie in die
Setzerei. Mir wird heute noch kalt, wenn ich daran denke, was für
Folgen es hätte haben können, wenn mir diese Notiz nicht
rechtzeitig aufgefallen wäre. Gewiß hätte es das Ende meiner
Tätigkeit bei der Zeitung bedeutet, denn ich hatte mir auf dem
Zettel einige unnötige und ganz ungerechtfertigte Bemerkungen
über den Herausgeber und den Chefredakteur erlaubt. Diese Worte
klangen harmlos und spaßhaft, als ich sie tippte, waren aber
entsetzlich, als ich sie in Druckerschwärze auf dem Bürstenabzug
159

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
las.
Ein anderer Shanghaier Journalist, der Herausgeber der
führenden englischen Zeitung, war nicht so glücklich, derartige
Dinge rechtzeitig zu bemerken. Seine Zeitung publizierte
alljährlich ein Stadtadreßbuch, das damals die Standardpublikation
dieser Art in Shanghai war und es heute noch ist. Er hatte nichts
mit der Zusammenstellung zu tun, doch wurden ihm die
Korrekturen immer zum endgültigen Imprimatur vorgelegt. Einmal
überflog er die Korrekturen und sah darin zufällig den Namen
eines Mannes, den er nicht leiden mochte und der vor ein paar
Monaten gestorben war. Er zog um den Namen mit schwarzer
Tinte einen Kreis und schrieb auf den Rand des Bogens: `Der
ekelhafte Kerl ist gestorben."
Wenige Tage spter erschien wie alljährlich das Adreßbuch mit
einem schwarzen Rahmen um den Namen des Toten und mit der
Bemerkung des Herausgebers. Die weitere Entwicklung, die die
Angelegenheit nahm, bewies sehr anschaulich, von wie
vorübergehenden und veränderlichen Faktoren ein guter Ruf
abhängen kann. Jener englische Redakteur war einer der
blendendsten Köpfe, die den Ruhm des britischen Journalismus in
China begründet haben, aber berühmt wurde er nicht seiner
Leistungen wegen, sondern wegen seiner albernen, unvorsichtigen
Bemerkung auf dem Korrekturbogen einer ganz unwichtigen
Publikation.
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ ZWÖLFTES KAPITEL
Sequenz und Flush
Es gab eine Zeit, die mehrere Monate dauerte, da jeder, der
mein Büro in Shanghai betrat, in einem der inneren Räume
einen runden tuchüberzogenen Tisch mit Sesseln,
Zigaretten, Aschenbechern, einem Spiel Karten und einigen
Stößen von Spielmarken finden konnte. Es sah genau so aus wie
die Vorbereitung zu einer gemütlichen Pokerpartie, und das war es
auch. Wäre ein solcher Besucher länger geblieben, hätte er
wahrscheinlich einen meiner chinesischen Angestellten eintreten
und mich etwas fragen sehen, dann wären wir mitsammen zum
Tisch gegangen, hätten noch zwei oder drei Angestellte zu Hilfe
gerufen, die Karten gemischt, die Spielmarken ausgeteilt und unter
lebhaften anglo-chinesischen Gesprächen ein paar Partien Poker
gespielt. Dann wären wir wieder an die Arbeit gegangen. Das
Schauspiel hätte jedem Fremden einen höchst sonderbaren
161

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Eindruck von unserer Geschäftsführung vermittelt.
Tatsächlich aber arbeiteten wir an einem sehr wichtigen
Auftrag, wenn wir diese paar Pokerpartien spielten, denn wir
stellten die chinesischen Regeln für das beliebte amerikanische
Spiel zusammen. Eine amerikanische Fabrik hatte uns diesen
Auftrag gegeben, denn der Zufall wollte, daß ungefähr zur selben
Zeit, da die Amerikaner und in geringerem Maße auch die
Engländer dem Mah-Jong-Wahnsinn erlagen, das Pokerspiel in
China Verbreitung fand. Ich weiß nicht, welche Regeln zuerst
veröffentlicht wurden, die für das Poker in China oder die für das
Mah-Jong in englischer Sprache, aber beide kamen ungefähr zur
selben Zeit heraus.
Wir hatten eben die Publikation der amerikanischen
Pharmakopöe in chinesischer Sprache fertiggestellt, eine Aufgabe,
mit der mehrere Leute länger als ein Jahr beschäftigt waren, und so
erschien uns im Vergleich mit dieser monumentalen Leistung die
Übersetzung der Pokerregeln als sehr einfach. Ich erklärte dem
Fabrikanten, daß wir die Arbeit in einer Woche fertigstellen
würden, und setzte einen entsprechend niederen Preis dafür an. Er
kam für vierzehn Tage nach Shanghai, und wir beabsichtigten, die
Arbeit noch vor seiner Abreise in Satz zu geben. Schon bevor eine
Woche um war, erkannte ich, daß wir einer sehr schwierigen
Aufgabe gegenüberstanden, einer Aufgabe, die viel schwieriger
war, als ich vermutet hatte. Es gab keine chinesischen Ausdrücke
für die termini technici des Pokers, und wir mußten alte
Schriftzeichen für neue Begriffe heranziehen und dann die
Bedeutung eigens erklären. Als unser Auftraggeber Shanghai
verließ, hatten wir so geringe Fortschritte gemacht, daß wir uns
nicht einmal auf einen Ablieferungstermin festlegen konnten. Der
Mann begriff nicht, warum wir in einer Angelegenheit so viel
Getue machten, die ihm so einfach erschien wie das ABC, wie ja
das Poker den meisten Amerikanern erscheint, mich nicht
ausgenommen. Ich bin überzeugt davon, daß er die Arbeit
jemandem anderen übertragen hätte, wenn ihm genügend Zeit dazu
geblieben wäre, aber er konnte die Abreise nicht verschieben, und
so plagten wir uns weiter mit dem Auftrag.
162

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Schließlich beendeten unsere Amateur-Pokerspieler die
Übersetzung, und wir hielten den üblichen Vorgang ein, indem wir
den chinesischen Text einem Übersetzer gaben, der für
Kontrollzwecke die Rückübersetzung ins Englische vornehmen
sollte. Als die Regeln in die Muttersprache des Pokers
rückübersetzt waren, wußte niemand mehr darin Bescheid. Sie
hätten sich ebenso gut auf Mah-Jong oder sonst ein Spiel beziehen
können. Aus diesem Grund ließ ich den Pokertisch als eine Art
Laboratorium aufstellen und unterrichtete meine Angestellten in
der Kunst des Pokerspieles. So spielten wir jeden Tag, indem wir
jedesmal eine andere Regel vornahmen, und gingen erst dann zu
der nächsten Regel über, wenn die erste dem chinesischen
Personal verständlich geworden und in verständliches Chinesisch
übersetzt worden war. Freilich ging es nicht um Geld, aber ich
bemühte mich doch, zu gewinnen, um meinen Schülern das Gefühl
zu geben, daß ihr Lehrer ein Meister sei, und sie dadurch zu
größerem Eifer anzuregen. Alle Finessen und alle Kniffe des
Pokers gingen wir durch. Unsere Bemühungen, die Regeln des
Spieles ins Chinesische zu übertragen, erregten das mitfühlende
Interesse einiger meiner Landsleute, und sie halfen mir viel. Einer
behauptete fest, daß die Einführung des Pokers in China einen
großen zivilisierenden Einfluß ausüben werde und die
Rückständigkeit des Volkes beseitigen könnte. Meine freiwilligen
Helfer wurden so enthusiastisch, daß ich ihnen schließlich die
Sache ganz übertragen konnte und wieder Ruhe zur Arbeit in
meinem Kontor hatte. Sechs Wochen nach Beginn der Arbeit
wurde mir gemeldet, daß die Regeln jetzt zusammengestellt seien.
Eine Rückübersetzung erwies sich als verständlich und mit
geringen Divergenzen genau. Dann wählten wir als endgültige
Probe fünf des Pokerspieles unkundige Chinesen zu einem
Experiment. Wir setzten sie an unseren Pokertisch, gaben ihnen
Spielmarken, Karten und je ein Exemplar der Regeln und sahen
ängstlich zu, während sie nach diesen Regeln spielten. Um die
Probe möglichst wirksam und realistisch zu gestalten, stellte ich
Spielmarken bei, die einen kleinen Barwert hatten. Wir entdeckten
ein paar unklare Punkte, die noch der Aufklärung bedurften, aber
163

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
im großen und ganzen funktionierten die Regeln, und bald darauf
konnten wir sie in Druck geben.
Nur wenige Bücher, die je in China herausgekommen sind,
hatten eine so große Verbreitung wie diese Einführung ins
Pokerspiel. Die Übersetzung der Reden des Präsidenten Wilson
während des Krieges hatte sehr großen Absatz gehabt, aber der
ließ sich keineswegs mit der Popularität unserer Pokerregeln
vergleichen. Die erste Auflage umfaßte hunderttausend
Exemplare, und ich weiß gar nicht, wie oft sie nachgedruckt
wurden, denn wir sandten den Satz unserem Auftraggeber, und er
selbst ließ die weiteren Auflagen drucken und mit den
Spielkartenpackungen nach China schicken. Ich höre jedoch, daß
bis jetzt über eine Million abgesetzt wurden. Mein Name und
meine Adresse standen auf der ersten Auflage, und obwohl das
jetzt schon zwanzig Jahre her ist, erhalten wir noch immer
gelegentlich Briefe mit beigeschlossenen Postmarken für die
erbetene Übersendung von Exemplaren der Brochure. Solche
Briefe kommen aus allen Teilen des Fernen Ostens, ferner aus
Peru, Jamaica und Mauritius. Das neueste Ansuchen erhielten wir
vor einigen Monaten; es stammte aus einer Stadt an der Grenze
Tibets, und die dort angegebene Adresse war die eines
Lamaklosters. Die Herstellung des Buches kostete uns so viel Zeit,
daß wir gar kein Geld damit verdienten, darum möchte ich
wenigstens die Ehre dafür in Anspruch nehmen. Ich lernte in
Amerika Poker spielen und spielte es immer nach den orthodoxen
Regeln. Ebenso wie andere Leute meiner Generation hat es auch
mich bekümmert, die Entartung des Spieles mitansehen zu müssen,
die durch den Einfluß der weiblichen Spieler zustande gekommen
ist. Meine Mitarbeiter waren ebenso wie ich davon überzeugt, daß
die Regeln all diesem neuartigen Unfug ein Ende zu setzen hätten.
Diese Regeln sind auch jetzt noch die Autorität in China, und es
ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, daß die Chinesen heute
das einzige Volk sind, das echtes Poker spielt, so wie es vor
dreißig Jahren in Texas gespielt wurde.
Ein Versuch, mehr Leben und Handlung in ein Spiel zu bringen,
das keiner Verbesserung bedurfte, brachte das Mah-Jong um, das
164

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ für ein oder zwei Jahre in Amerika und England so populär war.
Gleich dem Poker ist das Mah-Jong ein Spiel, dem man eine
Unzahl neuer Nuancen hinzufügen kann. Doch ebenso wie beim
Poker wird das Spiel durch solche Neuerungen immer mehr zum
Glücksspiel, und die menschliche Natur ist schon einmal so, daß
man bald eines Spieles müde wird, bei dem man den Gewinn dem
Glück zu danken hat und nicht der eigenen Klugheit. Mah-Jong ist
in China ein verhältnismäßig neues Spiel, denn es wurde vor
dreihundert Jahren von einem Ningpoer Fischer erfunden,
trotzdem ist es seither sehr verbreitet, und obwohl sehr viel vom
Glück abhängt, ist doch der tüchtige Spieler am Schluß
gewinnreich.
Die Übersetzung der Pokerregeln war die schwierigste Arbeit
dieser Art, aber als wir begannen Automobilreklame zu machen,
entdeckten wir, welche Mühe es machte, automobilistische
Ausdrücke in die chinesische Sprache zu übertragen. Natürlich gab
es keine chinesischen Bezeichnungen für die Bestandteile des
Wagens, und wir mußten dafür willkürliche Zusammensetzungen
chinesischer Wörter ersinnen oder alten Wörtern einen neuen Sinn
geben. Dies muß bei jedem modernen Artikel, der in China
eingeführt wird, geschehen und ist manchmal ziemlich leicht. So
wird zum Beispiel ein Mörser eine `Froschkanone" genannt, und
eine elektrische Lampe heit `Mondlicht in Flaschen", also vllig
bildhafte Ausdrücke. Automobile waren in China schon einige
Zeit in Verwendung, ehe sich noch jemand den Kopf darüber
zerbrach, welche Namen den verschiedenen Teilen gegeben
werden könnten. Das ganze Problem wurde für uns erst dann
wichtig, als wir den ersten Reklameauftrag erhielten und in der
chinesischen Presse Ankündigungen veröffentlichen mußten. Auf
unserer Suche nach einem Wörterbuch für chinesische
Automobilisten, das, wie wir bald entdeckten, nicht existierte,
fanden wir einen höchst interessanten Argot, den sich die
Shanghaier Chauffeure zu eigen gemacht hatten. Viele von ihnen
hatten als Kutscher ihre Laufbahn begonnen, und es war nur
natürlich, daß sie, als ihr Herr den Wagen gegen ein Automobil
austauschte, nun auch lernten, das neue Fahrzeug zu lenken. Da
165

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ die Kunst des Chauffierens in China noch ganz unbekannt war,
war ein Kutscher genau so geeignet, chauffieren zu lernen, wie
irgendein anderer. Er hatte sogar einen Vorteil vor den anderen,
denn er kannte die Namen der Straßen, wußte, wo der Klub seines
Herrn lag, und war auch mit den zwei oder drei Vorschriften
vertraut, die für die Rikschas, Wagen und Sänften im
Straßenverkehr Geltung hatten. Die neuen Chauffeure brachten
ihre Stallsprache mit, so daß die verschiedenen Teile des
Automobils mit hippologischen Ausdrücken bezeichnet wurden,
von denen manche für den Stall ganz gut taugen mochten, sich
aber im Druck nicht hübsch ausgenommen hätten. Dann fanden
wir, daß die Automechaniker eine ganz andere Terminologie
hatten, die ebenfalls absonderlich war, aber wenigstens
druckfähig, und mit diesem Wortschatz konnten wir den Anfang
machen. Ihre Bezeichnungen rochen ein wenig nach dem Meer,
denn viele dieser Mechaniker waren früher bei der Marine
gewesen. Wir freuten uns darüber, bis sich eine neue
Schwierigkeit zeigte. Die Mechaniker verschiedener Garagen
hatten verschiedene Ausdrücke, und so mußten wir, ehe wir
weitergehen konnten, alle die verschiedenen Ausdrücke sammeln
und dann die passendsten oder verbreitetsten auswählen.
Diese ersten Kataloge, die wir herausbrachten, waren in
Shanghai sehr verständlich, doch als wir Exemplare nach
Hongkong, Tientsin und Hankau sandten, hatten die Leute dort
keine Ahnung, worum es sich handelte, und hätten gar nicht
gewußt, daß dies ein automobilistischer Katalog war, wäre das
Heft nicht illustriert gewesen. Um einen Begriff von dieser
Verwirrung zu geben, will ich nur sagen, daß wir das Benzin als
`Dampfl" bezeichneten, während es in Tientsin als `elektrisches l"
bekannt war. Wir nannten einen Reifen ein `Gummirohr", aber in
Peking hie er `Gummiband". Eine gewisse hnlichkeit gab es ja bei
diesen Ausdrücken, aber wenn es zu komplizierteren Dingen kam,
wie zum Beispiel Differential und dergleichen, gab es keinerlei
Ähnlichkeit mehr zwischen den verschiedenen gebräuchlichen
Wörtern. Überall hatten die Chauffeure und Mechaniker Namen
gefunden, die sich von denen in Shanghai völlig unterschieden,
166

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ und was noch schlimmer war, die chinesischen Namen der von uns
angekündigten Automobile waren in jeder Stadt anders. Offenbar
mußten wir, wenn wir mit der Reklame für Automobile in China
weiterkommen wollten, was uns ja schließlich gelang, die
Ankündigung irgendwie verständlich machen. Und so arbeiteten
wir ein vollständiges Glossar aus, in dem wir in jeder größeren
Stadt alle dort verwendeten Bezeichnungen sammelten. Aus diesen
schieden wir die obszönen oder sinnwidrigen aus und druckten
dann ein Wörterbuch, das eine reiche Auswahl von Wörtern
umfaßte. An alle irgendwie interessierten Kreise sandten wir
Exemplare und ersuchten sie um ihre Meinung über unsere
Auswahl. Als wir möglichst viel Ansichten gesammelt hatten,
trafen wir die endgültige Wahl und veröffentlichten ein von uns
als `Standardwrterbuch" bezeichnetes Glossar und veranlaßten
eine Organisation von Automobilhändlern, dieses Buch offiziell
gutzuheißen. Seither wurde es von niemandem bekrittelt, bald
darauf kam es in allgemeinen Gebrauch und wurde so wirklich ein
Standardbuch. Die von uns gewählten Namen kann man jetzt in
allen technischen Diktionären des Chinesischen finden.
Die Chauffeure sind nicht die einzigen Chinesen, die einen
eigenen Slang entwickelten, denn, eigentlich hat fast jeder
Berufszweig seinen Slang, den der nicht Eingeweihte nicht
verstehen kann. Jedes Handwerk wird so zu einer Art Freimaurerei
mit Symbolen und Zeichen, die den Handwerksgenossen
ermöglichen, sich miteinander zu verständigen, ohne daß der
Außenstehende etwas begriffe. Die Geschichte mag vielleicht
übertrieben sein, aber es heißt, daß die Hunderte von Stallknechten
und Mafus, die im Shanghaier Rennklub beschäftigt sind, eine
Sprache sprechen, die niemand anderer verstehen kann, und diese
Sprache als Mittel verwenden, um von Neulingen Tribut
einzuheben. Wenn der fremde Pferdebesitzer einen neuen
Stallknecht aufnimmt, kann dieser erst dann seine Obliegenheiten
zufriedenstellend ausfüllen, wenn er den Slang der anderen
Stalljungen beherrscht, und sie berechnen ihm für die Einführung
eine gewisse perzentuelle Abgabe von seinem Gehalt für die ersten
paar Monate. Dies ist eigentlich ein Eintrittsgeld, das er zahlen
167

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ muß, will er der Vorrechte der Gilde teilhaft werden. Auch
Kaufleute und ihre Gehilfen haben ein eigenes System von
Zeichen und Slangwörtern, das sie sehr nützlich finden. Durch
eine Gebärde oder durch Worte, die jedem anderen bedeutungslos
erscheinen, kann der Kaufmann seinen Gehilfen auffordern, den
vom Kunden angebotenen Preis zu akzeptieren oder weiter zu
feilschen.
Jeder Fremde, der auch nur einige Zeit in China gelebt hat, muß
sich einen chinesischen Namen beilegen, wenn er unter den
Chinesen eine eigene Persönlichkeit haben will oder die Absicht
hat, mit ihnen geschäftlich und gesellschaftlich in Beziehung zu
treten. Es ist wohl nicht notwendig zu erklären, daß die
chinesische Sprache keine alphabetische Sprache ist, in der die
Wörter durch eine Zusammenstellung von Buchstaben dargestellt
werden, sondern daß jedes Wort durch ein eigenes Schriftzeichen
vertreten ist. Die Geschäftskarte des Ausländers ist für den
Durchschnittschinesen ebenso unverständlich wie eine chinesische
Geschäftskarte. Da es kein chinesisches Alphabet gibt und es nicht
möglich ist, den Klang eines ausländischen Namens durch
chinesische Schriftzeichen genau wiederzugeben, erhält der
Fremde gewöhnlich einen willkürlich gewählten Namen. Er ist
vielleicht ein einfacher Smith oder Jones, aber sein chinesischer
Name wird etwas ganz anderes sein. Außerdem können hundert
Smiths hundert verschiedene Namen haben, denn dieser Name läßt
sich mit chinesischen Schriftzeichen nicht wiedergeben. Der
gewählte Name hängt von der Laune des Chinesen ab, der ihn
wählt, und meine persönliche Erfahrung ist die, daß die Chinesen
bei der Benennung von Ausländern recht kapriziös, um nicht zu
sagen tückisch, sind. Wenn man das Glück hat, Lee oder
Washington zu heißen, kann der Name genau wiedergegeben
werden, aber in den wenigsten Fällen läßt sich auf das Original ein
Rückschluß ziehen. So heiße ich zum Beispiel `Ko Lo". Mein
Name knnte ja übersetzt werden, doch das hätte mir geschadet,
denn eine Krähe ist ein Vogel von üblen Gewohnheiten und
schlechtem Ruf. Mein einfacher zweisilbiger chinesischer Name
bedeutet `unermdliche Energie" und wurde mir vor
168

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ fünfundzwanzig Jahren von einem chinesischen Angestellten des
Shanghaier amerikanischen Konsulates gegeben. Damals hatte ich
ihn im Verdacht, daß er mir einen komischen Namen angehängt
habe, und oft schien es mir, als sähe ich ein unterdrücktes Lächeln,
wenn ich einem Chinesen vorgestellt wurde, aber wie gut der Spaß
eigentlich war, entdeckte ich erst, nachdem ich den Namen schon
zehn Jahre oder länger geführt hatte. In meiner Eitelkeit war ich
der Meinung gewesen, daß jene unermüdliche Energie die
dynamische, rastlose Tatkraft bedeuten sollte, die die
Industriekapitäne charakterisiert und arme Jungen zu Millionären
macht. Ich hatte oft Gewissensbisse, wenn ich dachte, daß ich
mich niemals bemüht hatte, einen so großartigen Namen zu
rechtfertigen, doch schließlich kam ich darauf, daß ich vor mir
selbst unter falscher Flagge segelte. Mein Name hat nichts mit
dieser Art von Energie zu tun, sondern bezieht sich auf die
Muskelkraft, die nötig ist, einen Schubkarren oder eine Rikscha in
Bewegung zu setzen.
Immerhin ist mein Name nicht so schauerlich wie die Namen
mancher Freunde, wie zum Beispiel `stndige Tugend", `alter
Weiser", `ruhig und bescheiden", `immer mavoll" und `von den
Weisen bewundert". Diese Titel sind denen nachgeahmt, die man
frher abgeschiedenen Herrschern verlieh. Mein bescheidener
Name ist mir lieber, denn ich ziehe es vor, ein lebender
Rikschakuli zu sein und nicht ein toter Herzog.
Nicht nur Ausländer, sondern auch alle ausländischen Städte
müssen diese Verwandlung mitmachen und im Chinesischen neu
getauft werden. In den meisten Fällen ist die chinesische
Bezeichnung nur eine Lautnachahmung der fremden, aber in
anderen Fällen ist sie auch eine Beschreibung. London wird
einfach die `englische Hauptstadt" genannt, San Francisco heit
`alter Goldhgel", Honolulu `Sandelholzinsel". San Francisco war
der Sammelpunkt fr die erste chinesische Einwanderung nach
Amerika, und die Stadt erhielt ihren Namen von den ersten
chinesischen Goldgräbern. Zu ungefähr derselben Zeit belieferten
die Hawaischen Inseln China mit Sandelholz. In chinesischen
Liedern wird San Francisco poetisch als `Markt der drei
169

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ barbarischen Stmme" bezeichnet, womit nämlich die Amerikaner,
Engländer und Spanier gemeint sind, die in den Goldrauschtagen
den größten Teil der Bevölkerung Kaliforniens ausmachten. Die
Filipinos, an denen die chinesischen Kaufleute durch Jahrhunderte
fett geworden sind, nennt man einfach `Luzon-Kuei" oder Teufel
von der Insel Luzon. So oft wir die Reklame eines neuen Artikels
bernehmen, ist es das erste, daß wir einen passenden chinesischen
Namen suchen, und diese Aufgabe ist nicht leicht. Aber kein
einziger Kunde versteht etwas von der Wichtigkeit und
Schwierigkeit dieses Unterfangens. Zumeist haben wir die größte
Mühe, ihm zu erklären, daß seine in so vielen Ländern
wohlbekannte Marke in China umgetauft werden muß. Der
chinesische Markenname muß einfach sein, leicht lesbar und doch
so deutlich unterschieden, daß man ihn nicht gut nachahmen oder
mit anderen Bezeichnungen verwechseln kann. Wenn wir ein Wort
gefunden haben, das diesen Anforderungen entspricht, müssen wir
es zuerst auf seine eventuelle Obszönität prüfen. China ist das
Paradies der Zote, und der ehrbarste Satz kann durch einen bloßen
Wechsel im Tonfall in eine Schweinerei verwandelt werden, die
ihresgleichen sucht. Davor müssen wir uns hüten wie vor der Pest.
Ein- oder zweimal wären wir beinahe hineingefallen, retteten uns
aber noch im letzten Augenblick.
Fremden, mit Ausnahme der wenigen, die chinesisch sprechen,
fällt es sehr schwer, sich chinesische Personennamen zu merken,
ohne sie zu verwechseln, und die wenigsten geben sich Mühe,
diese Namen zu erlernen. Ich glaube kaum, daß es unter fünfzig
Ausländern einen gibt, der weiß, wie seine persönliche
Dienerschaft, die er einfach als Boy, Koch, Kuli, Amah oder
Gärtner bezeichnet, heißt. In Büros kennt der ausländische
Direktor die Namen seiner wichtigsten chinesischen Angestellten,
aber die anderen nennt auch er nur Lehrjungen, Aufräumer oder
Kuli. Gibt es für eine solche Betätigung mehrere Personen, werden
sie durch Nummern auseinandergehalten. Der Älteste im Stab der
Laufjungen heißt Boy Nr. t und der nächste Boy Nr. 2 und so
weiter nach dem Dienstalter. Diese Methode ist so bequem, daß
man sie allgemein angenommen hat. Statt einen Mann als
170

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Generaldirektor oder Präsidenten einer Gesellschaft zu
bezeichnen, nennen wir ihn einfach `Nr. i" der Gesellschaft. Wenn
irgendwo an der chinesischen Kste im Gespräch vom Boy Nr. r des
englischen Königs die Rede ist, mag dies vielleicht nicht sehr
geschmackvoll sein, aber jedermann weiß, daß man damit den
englischen Premierminister meint.
Welchen offiziellen chinesischen Namen man auch haben mag,
ist man doch besser unter einem oder mehreren Spitznamen
bekannt, die einem die Diener oder Angestellten geben. Sehr
wenige Ausländer wissen, wie ihre Diener sie nennen, und das ist
vielleicht gut so. Die Chinesen geben den Fremden nicht deshalb
Spitznamen, weil die Fremden Fremde sind, sondern weil es sich
hier um eine allgemein verbreitete Sitte handelt, so daß auch fast
jeder Chinese seinen Spitznamen hat. Wenn ein Mann mit dem
Familiennamen Wong die Blattern überstanden hat, ist es
selbstverständlich, daß man ihn den `pockennarbigen Wong"
nennen wird und da er gegen diesen Namen nichts einzuwenden
hat, denn das Glück, das überstandene Blattern bringen,
entschädigt ihn reichlich für jede Entstellung seines Gesichtes.
Eine körperliche Eigentümlichkeit bietet oft die Grundlage für
einen Spitznamen, und wenn eine solche nicht vorliegt, irgendein
Charaktermerkmal. Die chinesischen Diener finden es schwer, sich
die Namen der Ausländer zu merken und sie auszusprechen und
behelfen sich einfach so, daß sie die Straßenadresse verwenden.
Wenn daher mein Boy einem meiner Freunde durch einen anderen
Hausboy eine Botschaft schickt, bezeichnet er mich weder mit
meinem ausländischen noch mit meinem chinesischen Namen,
sondern sagt bloß: `Der Herr von der Connaught Road 883." Das
war sehr einfach, bevor es in Shanghai noch groe Wohnbauten
gab, doch seither gibt es Komplikationen, denn zwei oder drei
Bekannte können die gleiche Adresse haben. Darum muß meine
Frau, wenn ihr bestellt wird, daß die `Missie von Broadway
Mansions" angerufen hat, fragen, um welche `Missie" es sich
handelt, und der Boy klrt sie auf, es sei die `alte Missie" gewesen.
Was Jahre betrifft, ist die alte Missie bei weitem die jngste, aber
sie wohnt schon länger als die andere in Broadway Mansions und
171

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ bekleidet daher den höheren Rang. Die anderen Spitznamen, die
wir Ausländer erhalten, sind keineswegs so farblos. Ich kenne
leider nur einen meiner chinesischen Spitznamen. Wenn ich das
Lokal des amerikanischen Klubs in Shanghai verlasse, ruft der
Portier über die Straße: `Ko Ko."
Die Chauffeure, die auf andere Klubmitglieder warten,
wiederholen den Ruf, bis mein Chauffeur es hrt. Es ist nicht sehr
würdevoll, wenn ein altes und mehr oder weniger angesehenes
Klubmitglied mit dem frivolen Operettennamen Ko Ko bedacht
wird, und ich könnte mich ja dagegen verwahren, doch das hätte
nur die eine Folge, daß ich endlose Zeit auf meinen Wagen warten
müßte. Wenn der Wagen kommt, öffnet mir der Portier respektvoll
die Wagentür, ich steige würdig ein, und der Chauffeur fährt fort.
DerTürsteher hat nur sein Bestes getan, meinen Namen
auszusprechen und ihn einfacher und im Straßenlärm
verständlicher gemacht.
Auch mit meinem sogenannten `Garagenamen" habe ich
ziemliches Glck gehabt, soweit es sich um persönliche Würde
handelt. Ein Redakteur des führenden englischen Blattes ist bei
allen Setzern seiner Zeitung als `fetter Schurke" bekannt. Er ist
gewi fett, aber seine Schurkerei besteht ausschließlich in seiner
beharrlichen Forderung nach sauberen Bürstenabzügen. Einer
unserer angesehensten Mitbürger, der bei seinem letzten Besuch in
London allerlei Ehrungen erfuhr, wird von jedem Rikschakuli und
Taxichauffeur in Shanghai `der junge Geleebauch" genannt.
Warum dieser verehrungswrdige alte Herr als `jung" bezeichnet
wird, ist nicht ganz verstndlich und wird erst dann klar, wenn man
erfährt, daß vor einer Generation sein Vorgänger den Namen
`Geleebauch" erhielt, und als ein zweiter Mann mit birnenfrmiger
Gestalt kam, war es nur logisch, ihn als den Rangjüngeren so zu
nennen. Ein anderer alter Gentleman heißt bei der
Rikschabrüderschaft `Zwanzig Cent", denn er zahlt immer nur
diesen Betrag, gleichgltig, welche Strecke er zurücklegt. Die
Rikschaleute, die bei seinem Klub ihren Standplatz haben, freuen
sich darüber, denn es verleiht den ihm geleisteten Diensten ein
spannendes Element des Glückspieles. Vielleicht braucht er die
172

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Rikscha nur für eine Strecke von wenigen Häuserblöcken, und
dann freut sich der Kuli über die reiche Entlohnung seiner Mühe.
Andererseits kann es geschehen, daß der Kuli ermattet und
verschwitzt am Ende einer Fahrt vom Bund zum Rennplatz auch
nicht mehr erhält als jene zwanzig Cent. Er ist darüber weder
glücklich noch unglücklich; es ist nur eine Fügung des Zufalls, die
heute gegen ihn war und morgen für ihn sein kann, denn morgen
hat er vielleicht einen amerikanischen Fahrgast, der ihm in
amerikanischer Währung zahlen wird, die heute noch viel mehr
wert ist als chinesisches Geld.
173

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ DREIZEHNTES KAPITEL
Pillen für die Krankheiten Chinas
Ich glaube nicht, daß es irgendeinen bedeutenden
Heilmittelfabrikanten auf Erden gibt, der nicht das eine oder
andere Mal seiner Phantasie erlaubt hätte, mit dem Gedanken
an das blendende Geschäft zu spielen, das er machen könnte, und
an den Reichtum, den er zu gewinnen vermöchte, wenn es ihm
irgendwie gelänge, eine größere Zahl von Chinesen von der
Wirksamkeit seiner Medikamente zu überzeugen. Je weniger ein
solcher Fabrikant von China weiß, abgesehen von der
Bevölkerungszahl, desto weniger Beschränkung legt er seinen
Wachträumen auf, und da er gewöhnlich nichts von dem Lande
weiß, steht es seiner Phantasie zumeist frei, in die fernsten Gefilde
üppigsten Wohlstandes zu schweifen. Er weiß aus seiner eigenen
Erfahrung, daß niemand täglich einen Apfel essen wird, um beim
Arzt keine Schulden machen zu müssen, denn so sicher fühlt sich
174

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ der normal gesunde Mensch, daß er nicht einmal eine Rosine im
Tag essen wird, um sich gesund zu erhalten. Aber jeder kauft
Medikamente, so wenige auch sich die Mühe geben vorzubeugen,
selbst wenn das nichts kostet. Alle Leute wissen, daß ein Glas
heißes Wasser vor dem, Frühstück ein ziemlich verläßlicher
Schutz gegen gewisse, recht häufige Beschwerden ist, aber nicht
einer unter tausend nimmt sich die Mühe, dieses Wasser auch zu
trinken. Aber der Medizinmann weiß, daß jemand, der
Leibschmerzen hat oder Rückenschmerzen oder Kopfschmerzen
oder sonst Schmerzen, denen unser Fleisch ausgesetzt ist, fast
unweigerlich irgendeine Arznei einnimmt, die seinen Schmerz
lindert und ihn wieder normal macht. Wenn er also nun die Zahl
der vielen Millionen Chinesen abschätzt, die nach den Gesetzen
der Wahrscheinlichkeitsrechnung irgendwelche Schmerzen haben
müssen, und dann über die Wirksamkeit seiner Pillen nachdenkt,
fällt es ihm leicht, rosige Träume heraufzubeschwören, in deren
Vordergrund eine Privatjacht segelt, während im Hintergrund ein
Landgut zu sehen ist.
Er weiß, daß das Problem einer Reklame für Heilmittel keine
Schwierigkeiten bietet. Man braucht das Interesse des Lesers nicht
erst zu erwecken, bedarf keiner kostspieligen Kunstwerke für die
Reklame, um die Aufmerksamkeit der leidenden Mitmenschen
anzulocken. Wenn man zum Beispiel Pillen ankündigt, die
rheumatische Schmerzen erleichtern, kann man überzeugt sein,
daß ein Patient, der an solchen Schmerzen leidet, nicht nur einen
Blick auf die fettgedruckten Worte wirft, sondern die
Ankündigung vom ersten bis zum letzten Wort genau studiert. Die
erfreulichsten und an Genugtuung reichsten Stunden eines
Kranken sind den Gesprächen mit anderen gewidmet, die an
demselben Übel leiden, dem Vergleich der Symptome und ihrer
ausführlichen Schilderung. Und wenn ein Patient nicht über
Symptome sprechen kann, bietet eine solchen Symptomen
geweihte Lektüre den angenehmsten Ersatz dafür. Rheumatische
Schmerzen machen alle Menschen einander gleich, denn einem
chinesischen Kuli tut zwischen den Deichseln der Rücken genau
so weh wie einem Millionär auf dem Sitz seiner Limousine. Da die
175

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ `Bekenntnis"-Zeitschriften in Amerika solchen Erfolg hatten, frage
ich mich, warum nicht jemand eine hnliche Zeitschrift herausgibt,
in der unheilbar und vorübergehend Kranke sich aussprechen
könnten, mit dem Gefühl, daß sie sich eine Anteilnahme sichern,
die ebenso weit und umfassend ist wie die Verbreitung der
Zeitschrift. Sollte jemand sich mit dem Gedanken an eine solche
Publikation tragen, kann ich ihm prächtige Mitteilungen über
meinen `Hongkonger Fu" und ganz hübsche Bekenntnisse über
Gastritis machen.
Vom theoretischen Gesichtspunkt ist die Annahme, daß China
für fabrikmäßig hergestellte Heilmittel ein großer und
gewinnbringender Markt sein müsse, gewiß begründet. Hier haben
wir eine gewaltige Bevölkerung, die von den Segnungen unserer
modernen Medikamente verhältnismäßig wenig weiß, wenig Ärzte
und noch weniger Spitäler, denn ganz China verfügt nur über
25.000 Spitalbetten. Die Annahme muß daher begründet
erscheinen, daß es hier viele und mannigfache Krankheiten gibt
und eine dringende Nachfrage nach jeder Art von Heilmitteln.
Wenn der Fabrikant sich die Mühe nimmt, der Sache nachzugehen,
indem er die Berichte der ärztlich geschulten Missionare liest, die
im allgemeinen ehrliche und verläßliche Informationsquellen
liefern, wird er sich gewiß ermutigt fühlen. Jeder Bericht dieser
aufopfernden christlichen Missionare spricht von überfüllten
Ordinationen und Ambulatorien und von der dringenden
Notwendigkeit einer Vermehrung der Spitäler. Dem
Pillenfabrikanten erscheint dies als Gelegenheit, der leidenden
Menschheit zu dienen und dabei reich zu werden.
Ich selbst war begeistert von den Möglichkeiten dieses
Geschäftes, bis ich eines Besseren belehrt wurde, indem ich-was
für meine Klienten kostspielig und für mich entmutigend war -
einigen meiner Auftraggeber half, bei der Propaganda für neue
Heilmittel, die niemals einen halbwegs befriedigenden Absatz
fanden, ihr Geld zu vertun. Auf diese Art lernte ich vor allem, daß
die Chinesen ein sehr gesundes Volk sind. Viele, leben in kläglich
ventilierten Häusern und in tiefem Schmutz und kennen keine
körperliche Bewegung. Von Rechts wegen sollten sie also zu
176

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Krankheiten neigen. Warum dies nicht der Fall ist, will ich nicht
zu erklären versuchen, und ich spreche nur die Vermutung aus,
daß die hohe Säuglingssterblichkeit einzig den Kräftigeren
ermöglicht, ein höheres Alter zu erreichen. Was immer aber der
Grund sein mag, die Tatsache bleibt bestehen, daß mehr als ein
Dutzend großer Versicherungsgesellschaften sehr gerne
Lebensversicherungsgeschäfte mit Chinesen abschließen, und
zwar zu genau denselben Prämien, die Angehörige anderer
Nationen in anderen Ländern zu bezahlen haben, in denen die
sanitären Bedingungen wesentlich günstiger sind. Faktisch zahlen
viele Chinesen bei manchen Gesellschaften sogar weit geringere
Prämien als wir Ausländer oder sie erhalten für die gleichen
Prämien größere Begünstigungen, da sie ja, so wie bei allen
Geschäften, auch hier wild feilschen.
Die zweite Entdeckung bei meinen Studien über die
Möglichkeiten eines Medikamentenverkaufes in China war die,
daß ein Chinese, wenn er krank wird, nicht so wie ein anderer
Mensch den Arzt holen läßt oder zur Hausapotheke läuft. Es
würde ihm nicht nützen, zur Hausapotheke zu laufen, weil er keine
hat, obwohl vielleicht einige Heilkräuter in der Küche hängen. In
vielen Fällen legt er sich nur ins Bett und hält, da er keinen
Appetit hat, ein paar Fasttage ein, die ihn weiter nicht belasten.
Das tut er, wenn er erkältet ist, und er erholt sich dabei zumeist so
rasch, als hätte er Medikamente genommen. Ich glaube, britische
Ärzte sagen untereinander, obwohl sie es dem Laien nicht
verraten, daß eine Erkältung bei richtiger Behandlung durch einen
Arzt in zwei Wochen geheilt wird und ohne Behandlung in
vierzehn Tagen. Die Chinesen haben dies schon vor Jahrhunderten
gelernt. Sie täuschen sich nicht einmal mit der Einbildung, daß ein
gutes heißes alkoholisches Getränk ihnen nützen wird.
Meine dritte Erfahrung bei der Frage des Verkaufes von Pillen
in China bestand darin, daß ein Chinese, der so krank geworden
ist, daß er Arzneien für nötig hält, in neun von zehn Fällen einen
altmodischen chinesischen Arzt zu Rate ziehen oder aus einem
altmodischen chinesischen Apothekerladen Heilkräuter holen
lassen oder sich der Behandlung eines alten Mannes der
177

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Nachbarschaft unterwerfen wird, der für seine geschickte
Behandlung Kranker berühmt ist. Diese Vorliebe für Heilmittel,
die durch jahrhundertelangen Gebrauch im Heimatland geheiligt
sind, beschränkt sich nicht auf die Armen und Unwissenden. Ich
kenne wenigstens drei Absolventen amerikanischer Universitäten,
die im Falle von Erkrankungen nur von chinesischen Ärzten und
chinesischen Arzneien wissen wollen, und es gibt gewiß noch
viele andere akademisch Gebildete, die derselben Ansicht sind.
Auf den ersten Blick würde man glauben, daß dies ein Vorwurf
krasser Übertreibung und Verdrehung für die Missionsärzte ist,
doch wäre dieser Schluß ungerechtfertigt. Die Berichte sind
vollkommen korrekt, wenn sie von überfüllten Ambulatorien
sprachen, aber sie fügen nicht hinzu, daß die
Missionsambulatorien so klein sind, das zwei erkrankte Familien
sie schon überfüllen. In wenigen Städten sind sie groß genug, um
mehr als ein Prozent der Kranken zu erfassen, so daß eine auch nur
ganz maßvolle Bekehrung zur `auslndischen Arzneikunst" mehr
Patienten liefern würde als das Ambulatorium abfertigen könnte.
Die moderne, halb ausländische Stadt Shanghai hat, bei einer
Bevölkerung von drei Millionen, 924. in die Liste des Shanghaier
Magistrates aufgenommene Ärzte. Dieses Verhältnis ist viel
günstiger als in irgendeiner anderen Stadt Chinas. Die 25.0oo
Spitalsbetten im ganzen Land würden nur die halbe Zahl von
Weltkriegsteilnehmern aufnehmen können, die jetzt noch in den
Vereinigten Staaten in Spitalsbehandlung stehen.
Obwohl ich in der Unerfahrenheit und jugendlichen
Begeisterung meiner ersten Vierzigerjahre vielen meiner Klienten
behilflich war und ihnen sogar riet, Geld für die Einführung neuer
Heilmittel auszugeben, die dann von bemerkenswert wenig Leuten
gekauft wurden, ist es schon lange her, daß ich aus eigenem solche
Geschäfte gemacht habe. Hätte ich nur einen Bruchteil des Geldes,
das ich den Fabrikanten verschiedener Nationen dadurch ersparte,
daß ich ihnen abriet, sich auf den Medikamentenhandel in China
einzulassen, wäre ich zwar wahrscheinlich nicht imstande, mir
eine Privatjacht zu halten, besäße aber gewiß das schönste
Hausboot in Shanghai. Eine unglückliche Seite meines Berufes ist
178

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ die, daß der wertvollste Dienst, den ein Reklameagent einem
Produzenten leisten kann, darin besteht, daß er ihn abhält, sein
Geld auf hoffnungslose Unternehmungen zu verschleudern, doch
solche Dienste werden leider nur selten bezahlt.
Trotz der mehr oder weniger offenen Verachtung, die dem
chinesischen Arzt und der chinesischen materia medica von fast
allen ausländischen Ärzten gezollt wird, bleibt doch die Tatsache
bestehen, daß diese Ärzte und diese Arzneikunst, so
unvollkommen und primitiv ihre Methoden auch sein mögen,
durch erstaunlich viele Jahrhunderte das Vertrauen von Millionen
Menschen besaßen. Und obwohl die britischen Ärzte die Kunst
ihrer chinesischen Kollegen sehr gering schätzen, darf man nicht
vergessen, daß es in Großbritannien die verschiedensten Arten von
Ärzten gibt und daß jeder Spezialarzt ein gewisses Maß von
Verachtung und Geringschätzung für die anderen hegt und vice
versa. Obwohl die Chinesen andere technische Methoden
befolgen, hat auch die chinesische Arzneikunst auf ihre Helden
zurückzublicken, auf ihre Ärzte von großem Ruf und ihre
ausdauernden wissenschaftlichen Forscher. Im Jahre 1848, in dem
Jahrzehnt, in dem China dem ausländischen Handel geöffnet
wurde und fremde Missionare den Einlaß ins Land fanden, wurde
in China ein Monumentalwerk veröffentlicht: `Forschungen ber
die Namen und Eigenschaften von Pflanzen." Diese Publikation
bestand aus sechzig Bänden und enthielt an zweitausend genaue
botanische Zeichnungen.Obwohl in dieser enzyklopädischen
Zusammenstellung einiges neues Material war, bestand doch ein
sehr großer Teil nur in einem Resümee alter medizinischer Werke.
Mehr als tausend Jahre vor Christi Geburt war die Arzneikunst in
China schon hoch entwickelt, und die Ärzte schrieben
Krankengeschichten und diskutierten miteinander über die
Vorzüge verschiedener Heilpflanzen.
Obwohl ich das Glück habe, ein sehr schlechter Stammpatient
für Ärzte zu sein, und noch weniger von Ärzten und Spitälern
weiß als der durchschnittliche Laie meines Alters, habe ich eine
sehr bestimmte, wenn auch gänzlich amateurhafte und theoretische
Meinung über die chinesischen Ärzte. Ich kann nicht glauben, daß
179

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ hundert Generationen solcher Ärzte mit ihrer sorgfältigen
Beobachtung der Wirkung verschiedener Kräuter auf die Patienten
nicht sehr viel von der Heilkunst erlernt haben sollten. Dieser
Ansicht sind auch die Chinesen, und in den wenigen Fällen, da ich
in China wirklich krank war, beschworen mich meine chinesischen
Freunde, einen chinesischen Arzt zu berufen oder das chinesische
Medikament zu nehmen, das durch Generationen die Übel ihrer
Vorfahren geheilt hatte. Natürlich gehen meine Theorien nicht so
weit, und wenn mir irgend etwas fehlt, hole ich mir bei meinem
alten Freund Dr. Tom Dunn Rat und folge diesem auch
manchmal.
Die Methoden der chinesischen Medizin beruhten nie auf einer
formalistischen oder wissenschaftlichen Basis und pflanzten sich
durch das Lehrlingssystem fort. Jeder Arzt unterwies einen oder
mehrere seiner Söhne oder andere junge Verwandte in seiner
Kunst, ebenso wie es Ärzte in anderen Ländern bis in
verhältnismäßig neue Zeit taten. Bis zum Jahr 1858 wurden in
Großbritannien medizinische Vorschriften erlassen und Grade
verliehen, ohne daß der Staat irgendeine Kontrolle ausgeübt hätte.
In China ist es nicht notwendig, sich bei einer Organisation eine
Lizenz oder ein Diplom zu verschaffen, und wer immer will, kann
sich als Arzt etablieren, wovon viele Quacksalber Gebrauch
machen. In den Augen des Gesetzes stehen alle Spielarten
ärztlicherPraxis hierzulande gleich hoch, aber in allen Zweigen der
öffentlichen Sanitätsverwaltung wendet man die westlichen
Methoden an. Ohne Zweifel glauben viele der chinesischen
Beamten, die für die Durchführung der Quarantäne und anderer
öffentlicher sanitärer Maßnahmen verantwortlich sind, insgeheim
an die Überlegenheit der althergebrachten chinesischen Heilkunst.
Doch da es kein System, keinen ethischen Kodex für den
chinesischen Arzt gibt, ist es viel einfacher, die ausländische
Arzneikunst en bloc zu adoptieren als die alte ärztliche Praxis zu
erneuern und modernen Anforderungen anzupassen, und so ist es
auch geschehen, ebenso wie man es in Japan unter fast denselben
Bedingungen getan hat.
Sehr viele ausländische Fabrikanten verkaufen ihre Heilmittel
180

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ hier, manche als Medikamente, die von Ärzten verschrieben
werden, und andere als Haushaltsmittel, die die Beiziehung eines
Doktors überflüssig machen. Der jährliche Verkauf fabrikmäßig
erzeugter Heilmittel in China beläuft sich auf ungefähr
vierhunderttausend Pfund. Deutschland führt hier mit 36 %, an
zweiter Stelle kommt Großbritannien mit 26 %, sodann folgen
Japan mit 13 / und die Vereinigten Staaten mit io %. Fast alle
Ärzte sprechen dem Ginseng jeden medizinischen Wert ab,
dennoch verkauft Amerika mehr Ginseng als Pillen nach China.
Die Seiten der chinesischen Zeitungen sind voll von ärztlichen
Ankündigungen. Es gibt eine Menge Mittel, die in der ganzen
Welt verkauft werden, und sie alle haben auch in China Absatz.
Für einige von ihnen besorgen wir die Propaganda. Sie alle werden
schon seit einer Generation oder noch länger hier verkauft, haben
sich einen Ruf geschaffen und sind ziemlich weit verbreitet. Diese
Medikamente scheinen der bestehenden Nachfrage vollauf Genüge
zu tun, so daß für die Einführung von Konkurrenzmitteln
eigentlich kaum noch Raum bleibt. Da die Chinesen so wenig
bereit sind, alte Marken gegen neue auszutauschen, überrascht es
einen nicht, daß sie in Dingen von so großer persönlicher
Wichtigkeit ebenfalls konservativ bleiben. Die heutige Generation
will die Pille haben, die den Rheumatismus des Großvaters heilte,
und lehnt alle anderen ab. Das ist ja sehr hübsch für den Artikel,
der den Herrn Großvater kurierte, aber entmutigend für den Mann,
der den Versuch macht, eine neue Pille auf den Markt zu werfen.
Ungefähr das Beste, was er hoffen darf, ist, heute ein paar Käufer
zufriedenzustellen und darauf zu warten, daß die Enkelkinder
aufwachsen, denn erst wenn sie Männer geworden sind, kann er
darauf rechnen, Geschäfte von halbwegs ansehnlichem Umfang zu
machen. Und dieser Umfang ist vielleicht auch nach drei
Generationen noch nicht allzu groß. Die Gesamtsumme der heute
von den einschlägigen Produzenten erzielten Geschäfte ist
eigentlich lächerlich gering im Vergleich mit dem theoretischen
Umfang dieser Geschäfte, den man sich, ohne den Zahlen Gewalt
anzutun, logischerweise errechnen könnte. Der Gesamtverbrauch
ausländischer Pillen beträgt im Durchschnitt kaum mehr als eine
181

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Pille pro Jahr und Kopf.
Eine alte Seemannsgeschichte von China und den Chinesen
sagt, daß die Chinesen ihren Ärzten zahlen, wenn sie gesund sind,
und die Zahlungen einstellen, wenn in der Familie ein
Krankheitsfall auftritt. An dieser Erfindung ist nichts anderes
richtig, als daß vor vielen Jahrhunderten einige Chinesen den
Brauch pflegten, dem Arzt ein regelmäßiges jährliches oder
monatliches Gehalt zu zahlen, wofür er die kranken
Familienmitglieder zu betreuen hatte. Dieses System ist sehr
vernünftig und wurde in letzter Zeit in organisierten
Gesellschaften vieler Länder eingeführt. Es sichert dem Arzt ein
ständiges Einkommen und versichert das Familienoberhaupt gegen
die außerordentlich großen Kosten, die eine lange dauernde
Krankheit verursachen kann. Diese Verwendung von Ärzten auf
monatlicher oder jährlicher Basis ist in China keineswegs
allgemein, sondern beschränkt sich auf einen sehr kleinen Teil der
wohlhabenden Schicht. Vermutlich findet sich diese Konstruktion
in China nicht öfter als Krankheits- oder Unfallsversicherungen in
England.
Sehr viele Leute fragen nur dann einen Arzt, wenn irgendein
Familienmitglied ernsthaft krank ist. Dann stehen sie vor dem
schweren Problem, welchen Arzt aus der Nachbarschaft sie holen
sollen. Gute chinesische Ärzte annoncieren ebenso wenig wie ihre
korrekten ausländischen Kollegen und verdanken ihren Ruf und
ihre Praxis dem ungewissen Medium der Weiterempfehlung, die,
wie jeder Doktor weiß, einem Quacksalber Ruhm und Gewinn
bringen und das Ansehen eines ehrlichen Mannes vernichten kann,
der eine unglückliche Diagnose gestellt hat. Unter diesen
Umständen fühlt daher das Oberhaupt eines chinesischen
Haushaltes, wenn es für einen Sohn, eine Gattin, eine Tochter oder
einen anderen Verwandten einen Arzt berufen muß, die Last einer
sehr schweren Verantwortung auf seinen Schultern. Wählt er den
richtigen Arzt, wird der Kranke vielleicht bald wieder gesund und
munter sein; wählt er den falschen, gibt es unter Umständen bald
einen neuen Hügel auf dem Begräbnisplatz der Familie. Auch in
anderen Ländern haben Familienoberhäupter diese Frage zu
182

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ beantworten, aber nur wenige beantworten sie so entschlossen und
fatalistisch wie die Chinesen. Obwohl das Problem von tragischem
Ernste ist, haben die Chinesen doch eine seltsame Methode, es zu
lösen, eine Methode, die sie für sehr vernünftig halten. Es gibt in
einem Ort vielleicht ein Dutzend angesehener Ärzte, von denen
der eine so annehmbar ist wie der andere. Um nun sicher zu gehen,
daß auch das Geschick die Wahl des Arztes begünstigt, werden die
Namen aller, die in Betracht kommen, auf einzelne
Papierstückchen geschrieben, von denen der Kranke eines zieht.
Dieser Doktor wird nun gerufen, und jedermann ist voll
Zuversicht. Denn alle wissen, daß bei Krankheiten und ärztlichen
Behandlungen der Zufall und das Glück eine große Rolle spielen
und daß der Kranke mit seiner blinden Wahl des Arztes in
gewissem Sinne das Mißgeschick vielleicht vermeidet, das die
Wahl nach einer logischeren Methode begleiten könnte. Sehr
wichtig ist die Tatsache, daß der Kranke, der persönlich den
Namen des Arztes gezogen hat, volles Vertrauen zu diesem hat
und daher bereit ist, gesund zu werden. Sollte ich einmal in einer
fremden Stadt krank werden, werde ich wahrscheinlich nach dieser
Methode meinen behandelnden Arzt wählen.
Während wir in unserer Agentur keine Begeisterung für die Idee
aufbringen können, den Chinesen ein neues ausländisches
Heilmittel anzupreisen, würden wir mit Freuden die Gelegenheit
ergreifen, ein chinesisches Heilmittelfabrikat in einem Lande wie
Australien oder Indien, den größten Heilmittelkonsumenten der
Welt, propagieren zu können. Welch interessanten Text könnte
man da schreiben, ohne allzu sehr vom Pfade der Wahrheit
abzuweichen! Wir propagieren hierzulande ein bekanntes
Kinderheilmittel schon so lange, daß wir inzwischen den Text
ändern mußten. Denn früher rühmten wir uns eines durch ein
halbes Jahrhundert bewährten Rufes, und jetzt mußten wir dies
durch `sechzig Jahre" ersetzen.
Das klingt sehr ehrwrdig für das Alter eines Heilmittels, aber
angenommen, man läse in der Morgenzeitung die Ankündigung
einer Arznei, die diese oder jene Krankheit schon in den Zeiten
Nebukadnezars kurierte! Oder angenommen, man könnte dem
183

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Leser sagen, daß die Riesenkräfte irgendeines chinesischen
Athleten auf die Verwendung desselben Tonikums zurückgehen,
das vor vielen Jahrhunderten dem großen Dschingis Khan half,
Herrscher der Welt zu werden! Wäre das nicht überzeugend?
Natürlich gibt es viele Skeptiker, die über eine solche herrliche
Reklame lachen würden, dennoch bin ich überzeugt, daß sie im
allgemeinen ihre Wirkung täte.
Propaganda für ein Heilmittelfabrikat ist nirgends sehr schwer,
am wenigstens aber in China. Hier fällt es ziemlich leicht, echte
Anerkennungsschreiben zu erhalten, und niemand erwartet für
solche eine Bezahlung. Wenn man einen Chinesen dazu bewegen
kann, ein Heilmittel zu nehmen, und wenn es ihm Linderung
seiner Schmerzen oder Heilung schafft, wird er nichts daran
finden, einem einen entsprechenden Brief zu schreiben, den man
bei der Reklame verwenden kann. Manchmal erhält man sogar
Zeugnisse, wenn man gar keine verlangt hat. Vor einigen Jahren
führten wir eine größere Propaganda für einen britischen
Kakaoerzeuger durch, der die Chinesen zu einer Nation von
Kakaotrinkern machen wollte. Da dieses Genußmittel in China
gänzlich unbekannt war, bemühten wir uns nach Kräften, das
Publikum zur Einsendung von dreißig Cent für eine kleine
Musterdose zu bewegen, und konnten auf diese Art überraschend
viele Muster an den Mann bringen. Jeder Dose, die ungefähr für
zwölf Schalen ausreichte, lag eine genau Gebrauchsanweisung bei.
Doch um uns davon zu überzeugen, daß keine Einzelheit
missverstanden werde, sandten wir ein paar Tage später ein
zweites Exemplar der Gebrauchsanweisung mit einem Brief, in
dem wir höflich unserer Erwartung Ausdruck gaben, daß der
Kakao dem Empfänger munden werde.
Die erste Antwort kam von einem Eisenbahnbeamten in
Hangtschau. Er schrieb, er habe an Schlaflosigkeit und
Verdauungsbeschwerden gelitten und habe seit Jahren ungeheure
Mengen Tee getrunken, um arbeitsfähig zu bleiben. Nachdem er
unsere Mustersendung Kakao versucht hatte, hatte er eine große
Büchse gekauft, hatte das Teetrinken aufgegeben und war
Kakaotrinker geworden. Jetzt, vierzehn Tage nach dieser
184

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Diätänderung, schlief er gut, seine Verdauung wurde besser und er
fühlte sich so wohl wie schon seit Jahren nicht mehr.
Wenn ein Reklameagent einen solchen Brief in seiner
Morgenpost findet, ist das so, als fände man unerwartet in einer
Handvoll Kupfermünzen ein Goldstück. Schon in der nächsten
Woche fanden wir weitere Goldstücke, denn wir erhielten mehrere
Briefe ähnlichen Inhaltes. Hier schien mir eine ganz neue
Grundlage für die Propaganda vorzuliegen, nämlich die
gesundheitsfördernden Wirkungen des Kakaos. Aber es schien mir
zu gut, um wahr zu sein. Um mich davon zu überzeugen, daß ich
mich nicht irrte, besuchte ich einen alten Missionsarzt, der seit
Jahrzehnten kranke Chinesen behandelte, und zeigte ihm den
Brief. Er sagte, daß ihn das gar nicht überrasche. Obwohl der
chinesische Tee sehr schwach sei, müsse er doch, maßlos
genossen, zu nervösen Störungen und in weiterer Folge zu
Schlaflosigkeit und Verdauungsbeschwerden führen. Ein
Übergehen vom Tee zum Kakao könne daher nur heilsam wirken,
und außerdem enthalte der Kakao einige Nährstoffe, die in der
chinesischen Diät vielleicht fehlten.
Nun gab es für uns keinen Zweifel mehr. Wir änderten die
ganze Kampagne, zäumten sie von der gesundheitlichen Seite auf,
verschafften uns Photos von Leuten, denen das Kakaotrinken gut
getan hatte, und vervielfältigten diese Photos mitsamt den
Anerkennungsschreiben. Wir waren ziemlich stolz auf unsere
Leistung, als wir dem britischen Erzeuger darüber berichteten.
Leider teilte dieser unsere Begeisterung nicht. Er war mit unserem
Vorgehen keineswegs einverstanden. Obwohl er uns ziemlich
zurückhaltend schrieb, waren seine Worte doch recht bissig, und
zwischen den Zeilen ließ sich allerhand lesen. Der Ruf seiner alten
und angesehenen Firma sei durch unser marktschreierisches,
unethisches Vorgehen in den Schlamm gezogen worden. Er wollte
von uns nichts mehr wissen, sondern übertrug die Reklame einer
anderen Agentur, die so verläßlich war, daß er ihr den ehrbaren
Namen seiner Firma anvertrauen konnte. Das war vor ungefähr
fünfzehn Jahren. In der Zwischenzeit hat sich manches geändert.
Heute kündigen schon viele Firmen den Kakao als Mittel gegen
185

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Schlaflosigkeit an.
186

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ VIERZEHNTES KAPITEL
Haifischflossen und alte Eier
Obwohl die Vorstellung, den Chinesen täglich einen Apfel
zu verkaufen, nach wie vor ein statistischer Wachtraum ist,
haben doch viele ausländische Erzeuger dank einer
hartnäckigen Reklame für gewisse ausländische Lebensmittel
einen ganz guten Markt geschaffen. Kondensmilch war das erste
dieser Lebensmittel und wurde allmählich für Kinder in Gebrauch
genommen. Da es sowohl die Pflicht wie der Wunsch einer jeden
Gattin ist, möglichst viel Kinder zu gebären, überstieg die
Nachfrage nach Ammen das Angebot, und so war Kondensmilch
als Hilfsmittel willkommen. Da es in diesem übervölkerten und
intensiv bebauten Land nur wenig Weidegründe gibt, sind Kühe
selten, und die einheimische Milchbelieferung in allen
Gemeinwesen Chinas würde den Bedarf einer größeren englischen
Mittelstadt nicht decken können. Kondensmilch und verschiedene
187

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Milchpulver werden in allen Teilen des Landes verkauft, obwohl
die Milch niemals als ein Getränk betrachtet wurde. Ihr Verbrauch
beschränkt sich auf Kinder und Kranke, denn kein einziger
Chinese würde freiwillig ein Glas Milch trinken. Hoffentlich wird
dies in ein paar Jahren anders sein, denn wir beginnen eben jetzt
mit einer Reklamepropaganda für Milch als Erfrischungsgetränk,
mit Schokolade oder mit Erdbeeren gewürzt. Da die Chinesen
vielerlei Erfrischungsgetränke zu sich nehmen, rechnen wir auf
Erfolg.
Wir haben viel dazu beigetragen, die Chinesen zu einer Nation
von Rosinenessern zu machen. Vor fünfzehn Jahren war die
Rosine in China nahezu unbekannt, aber jetzt sieht man die
kleinen roten Schachteln, in denen die Rosinen der größten
Exportfirma verpackt sind, schon überall in den Schaufenstern fast
jeder Stadt. Als wir mit unserer Reklame für die Rosinen
begannen, schlug ich einen Kuchenback-Wettbewerb mit
Bargeldpreisen für die besten Kuchen vor, bei denen Rosinen
verwendet waren.
Ich hatte in derlei Dingen noch keine Erfahrung, und erst als die
Einsendungen kamen, erkannte ich, wie stark die Spielleidenschaft
des Chinesen ist und wie gerne er die Gelegenheit ergreift, für
geringen Einsatz etwas zu gewinnen. An dem Tag, da die Frist für
den Wettbewerb ablief, besuchte ich meinen Klienten und fand ihn
inmitten eines Meeres von Kuchen. `Sie haben mir das
eingebrockt," sagte er, `und jetzt mssen Sie mir helfen. Sie sind
einstimmig zum einzigen Preisrichter dieses Wettbewerbes ernannt
worden, und binnen einer Stunde werden alle Kuchen in Ihrem
Büro sein, und Sie brauchen sich nicht die Mühe zu nehmen, sie
mir zurückzusenden."
Ich muß zugeben, daß ich zu der Zeit, da ich den Wettbewerb
vorschlug, gar nicht daran dachte, wie wir den Preisträger
bestimmen würden. Als nun die Kuchen alle in meinem Büro
waren und jeden verfügbaren Tisch und Kasten bedeckten,
zerbrach ich mir vergeblich den Kopf. Meine chinesischen
Angestellten konnten mir nicht helfen, obwohl einer vorschlug,
wir könnten einige Bewerber disqualifizieren, die Puddings an
188

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Stelle von Kuchen geschickt hatten, und einige andere, die an
Stelle von Rosinen Korinthen oder Pflaumen genommen hatten.
Nachdem wir diese Einsender ausgeschieden hatten, blieben uns
noch immer fünfhundert Kuchen zur Beurteilung, und die einzige
Möglichkeit war, sie alle zu kosten.
Als ich noch über das Problem nachdachte, kam ein Rikschakuli
in das Büro und schnupperte wie ein hungriger Hund in einem
Fleischerladen. Als ich ihn aufforderte, sich zu bedienen, musterte
er sorgfältig die ganze Kollektion und schnupperte noch mehrere
Male, bevor er seine Wahl traf. Das löste mein Problem. Ich
forderte ihn auf, fünfzig Kollegen zu suchen und sie nach fünf Uhr
in mein Büro zu bringen, dann könnten sie Kuchen essen, soviel
sie nur wollten. Er bat mich, den Termin dieser Einladung für
vierundzwanzig Stunden später anzusetzen, da heute jeder schon
gegessen habe, und wenn ein derartiger Festschmaus bevorstehe,
wolle man doch die Gelegenheit haben, ihn auszunutzen, indem
man einen Tag vorher faste, was übrigens die meisten Chinesen
tun, wenn sie eingeladen sind. Dies schien mir ein vernünftiger
Vorschlag, und die Gesellschaft wurde verschoben.
Am nächsten Tag kamen die Kulis. Die meisten waren beim
Barbier gewesen und hatten ihre saubersten Kleider angelegt. Sie
alle machten es wie der erste. Sie fielen nicht über die Kuchen her,
sondern wählten, wie es schien, mit viel Sachkenntnis, und die
meisten knabberten erst an mehreren Kuchen, bis sie sich zu einer
Wahl entschlossen. Selbst unter den günstigsten Umständen kann
man die Vorzüge eines Kuchens nicht mit wissenschaftlicher
Genauigkeit feststellen, und mein System bewährte sich ebensogut
wie irgendein anderes. Man konnte leicht sehen, welche Kuchen
am meisten Anklang fanden, und die Preise wurden auf dieser
Basis verteilt. Als die Kulis nicht mehr imstande waren, weiter zu
essen, erklärte ich die Veranstaltung für beendet und gab den
Leuten die Reste der Kuchen nach Hause mit. Noch Monate später
begrüßten mich auf der Straße Rikschakulis mit besonders
freudigem Grinsen, und dann wußte ich, daß sie bei dem
Kuchenschmaus zu Gast gewesen waren. Ich sagte meinem
Klienten nie, wie ich diesen Wettbewerb entschied, aber eine oder
189

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ zwei Wochen später fragte er mich danach. `Nun, ich habe ein
groes Stück von jeder der fünfhundert Einsendungen gegessen",
antwortete ich. `Wie htte ich denn sonst urteilen können?"
Als wir den Verkauf von Rosinen propagierten, führten wir damit
eigentlich kein neues Genußmittel in China ein. Schon zur Zeit
Christi hatten arabische Händler Rosinen nach China gebracht,
und auch später wurden in Nordchina Weinbeeren getrocknet.
Doch erzeugte man diese chinesischen Rosinen in keiner
nennenswerten Menge, und erst als die kalifornischen
Rosinenproduzenten die durchschlagende Propaganda begannen,
bei der wir eine Rolle spielten, wurde dieser Artikel allgemein
bekannt. Die Marktbedingungen waren ideal günstig, denn obwohl
die Chinesen, wie alle anderen Völker, Zucker in jeder Form
lieben, essen sie doch bei ihren regelmäßigen Mahlzeiten keine
süßen Gerichte. Andererseits gibt es wahrscheinlich hier
verhältnismäßig mehr Zuckerwarenläden als in irgendeinem
anderen Lande der Welt, denn die Chinesen lieben es
leidenschaftlich, zwischen den Mahlzeiten zu naschen. So war es
gar nicht schwer, sie davon zu überzeugen, daß man in den
Rosinen den Zucker in seiner reinsten und wohlfeilsten Form
findet und daß das in den Rosinen enthaltene Eisen die Gesundheit
fördert.
Aber ich glaube nicht, daß auch die größte Reklame der Welt
irgendeine nennenswerte Änderung in der chinesischen Kost
herbeiführen wird. Ich könnte eigentlich auch nicht verstehen,
warum ein Chinese den Wunsch haben sollte, die Kost zu ändern,
an die er gewöhnt ist, denn die Chinesen erfreuen sich, mit
Ausnahme der ganz Armen, einer größeren Auswahl von Speisen
und einer besseren Kochkunst als der durchschnittliche Brite oder
Amerikaner. Was mich persönlich betrifft, esse ich nichts lieber
als eine gute chinesische Mahlzeit, und ich wäre gar nicht traurig,
wenn ich wüßte, daß ich mein ganzes Leben lang nichts anderes
mehr essen dürfte als chinesische Kost. Freilich täte mir leid um
Corned Beef und Kohl und Beefsteaks und Nieren und gebackene
Bohnen und warmes Kornbrot, aber eine reiche Entschädigung
wären das süßsaure Schweinefleisch, die Pekinger Ente und die in
190

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Pflanzenmarkgedämpften Kantoneser Hühner. Ich stehe mit dieser
Vorliebe nicht allein, denn sie wird von fast allen Fremden geteilt,
die längere Zeit in China leben und nicht mehr in ihren engen
nationalen Vorurteilen befangen sind. Eigentlich würde es mir
große Freude machen, dieses Problem von der anderen Seite
anzugehen und die Einführung einer gemäßigten chinesischen
Küche und Kost in England und Amerika zu propagieren. Die
Einwohner dieser Länder hätten dann eine bekömmlichere und
sparsamere Ernährung als ihre jetzige und Genüsse des Gaumens,
von denen sie noch nichts ahnen. Einige wenige Chinesen, die im
Ausland gelebt haben, haben sich an die fremde Kost gewöhnt,
essen sie aber nur gelegentlich, der Abwechslung halber und
keineswegs ständig. Ich kenne einen Chinesen, der
Buchweizenkuchen und Ahornsirup leidenschaftlich liebt, das
amerikanische Frühstücksgericht, das Benjamin Franklin
vergebens in England einzuführen suchte. Dieses Gericht wurde
dort niemals populär, und es besteht auch nicht die geringste
Aussicht, daß es in China je populär werden könnte. Die einzige
ausländische Speise, nach der in China ständige Nachfrage
herrscht, ist Porridge, aber das ist so ähnlich dem einheimischen
Congee, der Reisgrütze, daß es eigentlich nur eine Spielart dieser
Speise darstellt.
Ein chinesischer Freund, der in vielen Ländern gelebt hat und
eigentlich ein Kosmopolit ist, erklärte mir neulich, seine
Vorstellung von einem idealen Leben wäre, amerikanischer Bürger
zu sein, eine Japanerin zur Gattin zu haben und chinesische Küche
zu essen. Als amerikanischer Staatsbürger hätte er alles, was die
Welt an Freiheiten und Möglichkeiten zu bieten hat, eine
japanische Gattin ist die treueste, liebevollste und selbstloseste
Lebensgefährtin, und die chinesische Küche ist durch keine andere
auf Erden übertroffen worden. Von diesen drei Idealen mußte er
sich auf das letzte beschränken, doch behauptete er, dieses sei
schließlich und endlich das wichtigste.
Wenn man einem durchschnittlichen Engländer, der nicht in
China lebt, von chinesischer Kost spricht, hat er entweder keine
Ahnung, was man meint, oder er denkt an Haifischflossen,
191

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Schwalbennestersuppe und alte Eier. Keines dieser Gerichte kann
den Appetit des schlichten Angelsachsen reizen. Ich habe sie alle
drei gegessen, und wenn sie mir das nächste Mal bei einem Diner
serviert werden, werde ich sie wieder essen, nicht weil sie mir
besonders gut mundeten, sondern weil ich nichts gegen sie habe
und weil es auffällig und für den Gastgeber beleidigend wäre,
wenn ich mit meinem Eßstäbchen nicht in jede aufgetragene
Schüssel langte. Aus demselben Grund esse ich auch Wrucken,
wenn es nicht zu umgehen ist. Die Haifischflossensuppe kann sehr
gut sein, und in der Vogelnestersuppe konnte ich nie einen
besonderen Geschmack entdecken, aber die alten Eier finde ich ein
wenig seltsam. Diese Eier werden einem Pökelvorgang
unterzogen, der sie hart macht und konserviert, und sie gleichen an
Geschmack und Aussehen am ehesten einem merkwürdigen Käse.
Sehr alt sind diese Eier nicht, denn das Einpökeln ist in ungefähr
einem Monat beendet, und wenn man sie länger als ein Jahr
aufhebt, geschieht dies nur, weil man sie vorher nicht verbraucht
hat. Ein höheres Alter macht sie keineswegs wertvoller, im
Gegenteil, wenn sie zu alt sind, werden sie trocken und können
nicht mehr gegessen werden. Die Geschichte vom großen Alter
dieser Eier war bloß Seemannsgarn, das dann von Roman- und
Abenteurerschriftstellern übernommen wurde, die ein wenig
exotisches Lokalkolorit in ihre Bücher bringen wollten, aber zu
träg waren, sich über die Tatsachen zu informieren. Ich belegte
einst ein Sandwich mit Schnitten solcher Eier, strich Senf darauf
und gab es einem sehr heiklen Freund. Er aß es mit Vergnügen, bis
die obere Brotschnitte herunterfiel und er sah, womit das Brot
belegt war. Wie schon gesagt, mache ich mir nicht sehr viel aus
diesen alten Eiern. Der Geschmack ist nicht widerlich, aber
immerhin sonderbar. Doch da ich gelernt habe, ohne Überwindung
Limburger Käse zu mir zu nehmen, Schnecken, rohe Fische,
schottischen Whisky und holländischen Gin, war es nicht allzu
schwer, mich mit den eingelegten Eiern abzufinden.
Doch diese drei Gerichte und noch einige andere, über die
unwissende Touristen immer wieder sprechen, sind in China gar
nicht allgemein verbreitet, denn sie kosten viel und können als
192

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Leckerbissen bezeichnet werden. Es gibt viele Engländer, die
niemals Kaviar oder Artischocken gegessen haben, und doch sind
diese Nahrungsmittel in England viel mehr verbreitet und werden
von mehr Leuten gegessen als hier die Haifischflossen oder die
Vogelnestersuppe. Alte Eier findet man ein wenig öfter, aber
Millionen Chinesen haben sie nie gesehen - wahrscheinlich im
Verhältnis ebensoviel wie die Engländer, die niemals Roquefort
gegessen haben.
Eine andere chinesische Speise, von der die meisten Ausländer
gehört und viele auch gegessen haben, ist das Chop Suey. Manche
nennen es das chinesische Nationalgericht, und es gilt im
allgemeinen als das chinesische Gegenstück zum englischen
Roastbeef. Nun ist das Chop Suey nicht nur nicht das chinesische
Nationalgericht, sondern überhaupt gar kein chinesisches Gericht,
und kein Chinese ißt es. Die einzige dem Chop Suey ähnliche
Speise ist ein bei den ärmsten Schichten Kantons beliebtes
ragoutartiges Gericht. Die Bettler Kantons gehen mit ihren großen
Eßschalen von Tür zu Tür, und die mildherzigen Hausfrauen
geben allerlei Speisereste hinein, die von der Familienmahlzeit
übriggeblieben sind. Da der Bettler mehrere Häuser aufsuchen
muß, ehe er seine Schale genügend gefüllt hat, gibt es schließlich
ein sonderbares Durcheinander von Fleischstücken und
Gemüseresten, wenn er sich dann in einen schattigen Winkel
zurückzieht, die Speisereste mit seinen Eßstäbchen vermischt und
sein Mahl verzehrt.
Dr. Wu Ting Fang, der berühmte chinesische Diplomat, erzählte
mir, unter welchen sonderbaren Umständen dieses Bettlergericht
das beliebteste exotische Gericht so vieler Ausländer wurde. Die
Entdeckung von Gold in Kalifornien brachte tausende Chinesen
nach San Francisco, von denen einige in den Goldminen
arbeiteten, die meisten aber einen geringeren, aber sichereren
Verdienst in verschiedenen Berufen suchten. Lange Zeit wurden
alle Schuhe und Zigarren in San Francisco von Chinesen
hergestellt, die auch zumeist als Zimmerleute tätig waren. Bald
nach der Auffindung von Gold war die chinesische Kolonie in der
Stadt schon so groß, daß man einige Restaurants eröffnete, in
193

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ denen kantonesische Köche einzig und allein für ihre Landsleute
aus dem Reich der Mitte kochten. Die Weißen hatten die üblichen
Flunkereien über die Kost dieser bezopften gelben Leute gehört,
und eines Abends beschloß eine Schar von Goldwäschern, des
Spaßes halber die sonderbaren Speisen zu versuchen.
Sie hatten gehört, die Chinesen äßen Ratten, und jetzt wollten
sie wissen, ob dies richtig sei. Als sie in das Restaurant kamen,
hatten die Stammgäste ihre Mahlzeit schon beendet, und der
Eigentümer war eben im Begriffe, sein Lokal zu sperren. Aber die
Neuangekommenen verlangten zu essen, darum bemühte er sich so
gut er konnte, einen Krach zu vermeiden und die späten Gäste so
bald wie möglich abzufertigen. Er ging in die Küche, schüttete alle
Reste zusammen, die seine chinesischen Besucher in den
Schüsseln gelassen hatten, goß ein wenig chinesische Sauce
darüber und trug das den Gästen auf. Da diese den Kantoneser
Slang nicht verstanden, wußten sie nicht, was der Mann meinte,
als er ihnen erklärte, sie äßen jetzt Chop Suey oder Bettlerragout.
Doch das mundete ihnen so gut, daß sie wiederkamen, und
darauf beruhte der große Erfolg, den das Chop Suey später hatte.
Viel mehr chinesische Vermögen wurden daran verdient als am
Goldgraben, und tausende Chinesen haben durch Jahrzehnte
darüber gelacht, denn jede Schüssel mit Chop Suey ist ein
kulinarischer Scherz auf Kosten des Ausländers. Chinesische
Restaurants, auf deren Speisekarte das Chop Suey steht, gibt es in
allen großen Städten der Welt, nur nicht in China. Unser
chinesischer Koch kann es zubereiten, aber nur, weil meine Frau
es ihm an Hand eines San Franciscoer Kochbuches beigebracht
hat. Er hat einmal davon gegessen, sagte aber, er möge es nicht.
Da er aus dem Yangtze-Tal kommt, verabscheut er alles, was auch
nur entfernt mit Kanton zu tun hat. Es geht die gänzlich absurde
Geschichte, daß diese Speise von Li Hung Chang in Amerika
popularisiert wurde, doch kann man guten Gewissens erklären,
daß der große chinesische Staatsmann mit seinem gewaltigen
Reichtum und seinen vornehmen Gewohnheiten nie im Leben
Bettlerragout gegessen hat. Dieses war übrigens in San Francisco
schon bekannt, als Herr Li seine berühmte Weltreise machte. Dr.
194

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Wu erzählte mir, er habe es einmal bei einem Bankett in der
chinesischen Gesandtschaft in Washington servieren lassen, aber
nur deshalb, weil die Amerikaner es offenbar von ihm erwarteten.
Da ich die Freude des alten Herrn an persönlicher Publizität
kannte, habe ich ihn sehr im Verdacht, daß er genau wußte, das
Bankett werde auf der Titelseite der Zeitungen mit allen
Einzelheiten beschrieben werden.
Sachverständige streiten über die Vorzüge der französischen
und der chinesischen Küche, aber jeder, der der französischen
Küche den Vorrang einräumt, spricht der chinesischen den zweiten
Platz zu und erklärt, daß in weiterer Folge der dritte Platz so weit
hinter der französischen und chinesischen kommt, daß es gar nicht
die Mühe lohnt, den Träger des dritten Preises festzustellen. Die
Amerikaner werden für diesen Platz hauptsächlich in Amerika
vorgeschlagen, aber wenn man die Küchenökonomie in Betracht
zieht, muß man sie überhaupt ausscheiden, denn
verschwenderischer als in Amerika wird nirgends gekocht. Eine
größere Provinz Chinas könnte sich an dem satt essen, was in den
Küchen der Vereinigten Staaten vergeudet wird. Die Engländer
sind sonst immer bestrebt, ihr nationales Prestige auf jedem Gebiet
zu betonen, doch ich habe bemerkt, daß sie niemals eine
Überlegenheit der britischen Küche für sich in Anspruch
nahmen.
Lang vor der christlichen Ära experimentierten die Chinesen
schon in ihrer Suche nach Nahrungsmitteln mit allem möglichen,
das zu kauen und zu schlucken ging. Sie kannten keine ererbten
Vorurteile und keine religiösen Verbote. Der Buddhismus
untersagt das Töten von Tieren und infolgedessen das
Fleischessen, aber der Buddhismus wurde aus Indien nach China
gebracht, lange nachdem die Chinesen ihre Kochkunst
vervollkommnet und ihre Art des Essens eingebürgert hatten. Die
buddhistischen Verbote, die einen sehr großen Teil der
Bevölkerung trafen, stellten die chinesischen Köche vor ein sehr
schwieriges Problem, nämlich vor die Aufgabe, einem Volke, das
an Fleischnahrung gewöhnt war, eine rein vegetarische Kost
vorzusetzen und schmackhaft zu machen. Ich bin überzeugt davon,
195

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ daß wir heute, wenn es den chinesischen Köchen nicht gelungen
wäre, dieses Problem mit solchem Erfolg zu lösen, die herrlichen
buddhistischen Tempel und Klöster nicht sähen, die man in allen
Teilen des Landes als Zeugnis für die Macht und Größe Gautamas
finden kann. Die chinesischen Köche machten die vegetarische
Diät so annehmbar, daß es keine Entsagung bedeutete, zu ihr
überzugehen, und so wurde ein ständiges Fasten zu einem
ständigen Festschmaus. Dr. Wu Ting Fang war Vegetarier, nicht
weil er Buddhist gewesen wäre, sondern weil irgendeine versnobte
Dame in Washington ihn davon überzeugte, daß die vegetarische
Kost sein Leben verlängern werde. In seinem Hause aß ich zum
erstenmal vegetarische chinesische Kost, und sie mundete mir sehr
gut. Aber ich hatte nie geahnt, wie geschickt man vegetarischen
Gerichten den Geschmack und das Aussehen von Fleisch geben
kann. Dies sah ich erst, als ich und meine Frau von dem Abt eines
buddhistischen Klosters, in dem wir unseren Weihnachtsurlaub
verbrachten, mit einem ziemlich üppigen Mahl bewirtet wurden.
Hätte ich nicht gewußt, daß es in einer Klosterküche nichts
anderes geben kann als pflanzliche Nahrungsmittel und daß der
fromme alte Abt eher Selbstmord begangen hätte als auch nur
einen Löffel voll Hühnertunke auf seinem Tische zu sehen, hätte
ich geglaubt, dies sei ein übliches chinesisches Mahl. Die
verschiedenen Speisen hatten nicht nur das Aussehen und den
Geschmack von Fleisch, sondern auch dessen Konsistenz. Da das
Fleischessen eine solche Sünde ist, fragte ich, warum es keine
Sünde sei, diesem buddhistischen Bankett so sehr den Anschein
des Bösen zu geben, aber der Abt verstand nicht, was ich meinte,
denn nichts in der buddhistischen Lehre verbietet das Erwecken
eines bösen Anscheines. Es gibt einige protestantische Sekten, die
die Pflanzenkost zu einem Glaubenssatz erhoben haben, aber
schamlos Nachahmungen von Schweinekoteletten und anderen
sündhaften Speisen auf ihren Tischen dulden. Ich würde sie gerne
fragen, wie sie dies im Licht ihrer Bibelauffassung rechtfertigen
können. Ich weiß im voraus, daß ihre Antwort stichhältig wäre und
mich als einen Sünder hinstellen würde, der dumm gefragt hat,
aber ich bin bereit, dies auf mich zu nehmen, denn ich wußte zu
196

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ gerne, wie die Antwort lautet. Die christlichen Theologen sind
bekanntermaßen sehr gewandt bei der Exegese, und die
Buddhisten stehen ihnen nicht nach. Der Abt erklärte mir die
buddhistische Lehre, die es verbietet, ein Leben zu vernichten, und
um mir die Sache verständlich zu machen, verzichtete er auf
metaphysische Abhandlungen und beschränkte sich darauf, mir die
Harmlosigkeit verschiedener Mitgeschöpfe zu erläutern und den
Nutzen zu schildern, den sie dem Menschen bringen, auch wenn
man sie nicht als Nahrung verwendet. Er hielt ein schönes
Plädoyer für den Ochsen und das Pferd, was leicht war, und sprach
gut von Ratten und Mäusen, was ich schon für übertrieben hielt,
und daher fragte ich ihn schließlich nach den Stechmücken.
`Der Mensch soll den Stechmcken sehr dankbar sein," sagte der
Abt, `denn sie retten vielen das Leben. Wenn es im Sommer hei
ist, werden die Landarbeiter sehr müde und legen sich in den
Schatten zur Ruhe. Manchmal schlafen sie ein, und wenn sie lange
schlafen, erkälten sie sich und werden krank. Aber sie können
nicht lange schlafen, weil die Mücke, von der Vorsehung
ausgeschickt, sie sticht und aufweckt."
Während der vierzehn Tage, die wir in diesem buddhistischen
Kloster verbrachten, waren wir nicht ausschließlich auf pflanzliche
Kost angewiesen, denn wir hatten Vorrat mitgebracht, und
darunter auch alle die Getränke und Speisen, die zu den
Weihnachtsfeiertagen gehören. Ein Flügel des Klosters war uns
eingeräumt worden, und in einem der vielen Räume hatte unser
Koch sich ganz bequem eingerichtet. Kurze Zeit vor unserer
Rückkehr nach Shanghai konnte ich die Sache ohne besondere
Gefahr zur Sprache bringen, und so fragte ich den Abt, warum er
so nachsichtig gewesen sei und uns gestattet habe, Fleisch
mitzubringen, gar nicht zu reden vom Gin. Seine Erklärung war
ebenso interessant wie seine Auslassung über die Vorzüge der
Moskitos. Er erinnerte mich, daß ich vor zwei Jahren mehr oder
weniger als Obdachsuchender in sein Kloster gekommen war,
denn auf einer Hausbootfahrt über die Ningpoer Seen hatte mich
ein Taifun überrascht und ich mußte im Kloster Schutz suchen, da
ich nirgends sonst hätte unterkommen können. Er sagte, er habe
197

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ damals gewußt, daß unter den Vorräten, die meine Diener
mithatten, auch sündhafte seien, und eigentlich hätte er mir nicht
gestatten sollen, sie mitzubringen, aber ich sei ein Fremder
gewesen und hilfsbedürftig und krank, und so habe er gefürchtet,
es könnte meiner Gesundheit Schaden bringen, wenn er mich
meiner gewohnten Kost beraubte. Darum habe er nichts gegen das
Fleisch gesagt, was keinerlei böse Folgen zeitigte. Im Gegenteil,
dem Kloster sei es seither ungewöhnlich gut ergangen. In den
fünfhundert Jahren, die das Kloster bestehe, hätte ich als erster
Fremder eine Nacht unter dessen Dach geschlafen, und darum
liege der Schluß nahe, daß die mir gewährte Gastfreundschaft die
Ursache dieses Wohlergehens sei. Ich hätte mich auch nicht so
betragen, wie man es von einem Ausländer voraussetze, denn ich
zeigte Ehrfurcht bei den Zeremonien und trug großmütig zur
Ausbesserung des Tempels bei. Daher betrachte mich die
Brüderschaft als eine Art Laienbruder, wenngleich als einen
sündhaften, und ich sei immer willkommen, sogar mit gebratenem
Truthahn und gekochtem Schinken und schottischem Whisky,
doch warne er mich, keine anderen Fremden zum Besuch seines
Klosters zu ermutigen.
Bei ihrer Suche nach Nahrungsmitteln nutzten die Chinesen die
sehr verschiedenen klimatischen Verhältnisse aus, die man
zwischen dem subtropischen Kanton und dem halbarktischen
Sibirien finden kann. Hier gab es eine reiche Auswahl an
Säugetieren, Fischen, Vögeln, Krustentieren, Obst, Getreidearten,
Nüssen, Wurzeln und Gemüsen, und die Chinesen versuchten es
mit allem, kochten alles auf jede erdenkliche Art und würzten es
mit einer Unmenge von Saucen. Zeiten der Hungersnot machten
diese Suche nur noch gründlicher. Die Geschichte zeichnete weder
den Namen noch die Nationalität des Mannes auf, der die erste
Auster gegessen hat, aber nach meiner Ansicht muß es ein Chinese
gewesen sein. Jedenfalls hatten die Chinesen, schon lange, ehe die
Engländer gelernt hatten, Tee oder Kaffee zu trinken, die Austern
so gründlich studiert, daß sie es verstanden, sie zu trocknen, um
sie für lange Zeit aufbewahren zu können. Der einzige wirkliche
Austernladen in Shanghai - das heißt ein Laden, der nichts anderes
198

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ verkauft als Austern - ist ein altes Unternehmen in der Nähe der
chinesischen Restaurants an der Fuchow Road und führt nur
getrocknete Austern. Ich weiß nicht, wie man es zustande bringt,
eine Auster zu trocknen, aber man bringt es zustande.
Obwohl die Chinesen überall ihre Nahrung suchten, auf der
Erde, im Wasser und in der Luft, lernten sie es doch nie, sich mit
Milchprodukten zu befreunden. Bevor die Ausländer die Milch
einführten, bildeten weder Milch noch Butter noch Käse einen
Bestandteil der chinesischen Ernährung. Milch wird jetzt von ganz
Jungen oder ganz Alten ziemlich reichlich verbraucht. Sonst aber
gewinnt man einen recht annehmbaren Milchersatz, indem man
den Saft aus den Soyabohnen preßt. Dieser Saft sieht aus wie
Milch, schmeckt ähnlich, hat nahezu denselben Nährwert und ist
wesentlich wohlfeiler. Gegen Butter verhalten sich die Chinesen
kühl und verwenden sie kaum.
Den Käse aber verabscheuen sie und essen ihn um keinen Preis.
Selbst wenn sie Käse äßen, wäre dieser kein beliebtes
Nahrungsmittel, denn ein ziemlich naheliegendes Wortspiel mit
der chinesischen Bezeichnung für Käse verwandelt dieses Wort in
den Namen eines Gegenstandes, der für den menschlichen Genuß
keineswegs taugt. Während eines der vielen Bürgerkriege, die
durch zehn Jahre das Leben in Shanghai so aufregend machten,
legte eine Schar von mehr als tausend hungrigen und besiegten
Soldaten die Waffen nieder und suchte in der internationalen
Ansiedlung Schutz. Während dieser hektischen Tage diente fast
jeder körperlich taugliche Ausländer in Shanghai als freiwilliger
Soldat oder Polizist, und in dieser zweiten Funktion hatte ich
einmal in einem Flüchtlingslager Dienst zu machen. Meine einzige
Aufgabe bestand darin, aufzupassen, daß die Flüchtlinge nicht
davonliefen, und diese Aufgabe war sehr leicht, denn die Leute
dachten an alles eher als an Flucht. Aber sie hatten schon zwei
Tage nichts zu essen gehabt und litten verzweifelten Hunger. Ich
wandte mich also an den ersten Menschen, der des Weges kam,
einen Kapitän der britischen Armee. Er nahm die Sache sofort in
die Hand, und in weniger als einer halben Stunde kamen mehrere
hundert Büchsen mit Käse und Zwieback, die er irgendwie aus den
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ britischen Lebensmitteldepots beschafft hatte. Wir öffneten ein
paar Büchsen, um den Flüchtlingen zu zeigen, wie man das macht,
und nahmen nun an, daß sie sogleich darüber herfallen würden.
Sobald sie jedoch den Käse sahen und rochen, stießen sie ein
schmerzliches Gebrüll aus. Es wäre für sie keine größere
Enttäuschung gewesen, wenn wir ihnen Konservenbüchsen mit
Steinen gegeben hätten. Einen Augenblick sah es so aus, als würde
es einem Kapitän des britischen Heeres und einem
Amateurpolizisten recht übel ergehen. Aber wir schlossen
Waffenstillstand, und ich gelangte zu einem sehr übereilten und
recht unkaufmännischen Geschäftsabschluß mit einem
chinesischen Gastwirt in der Nachbarschaft, dem ich den ganzen
Käsevorrat für ein paar tausend gedämpfte Klöße überließ.
Nachdem diese Transaktion zustandegekommen war und unsere
Schützlinge die Klöße gegessen hatten, bemerkte der Kapitän, ich
hätte mich eines Verbrechens schuldig gemacht, indem ich
Armeevorräte Seiner Majestät verkaufte, und es sei mein Glück,
daß ich ein amerikanischer Amateurpolizist und nicht ein
britischer Soldat sei, denn sonst müßte er mich vors Kriegsgericht
bringen. Übrigens hatte er eine Büchse mit Käse zurückbehalten,
und da wir nicht wußten, was wir sonst essen sollten, verzehrten
wir den Käse gemeinsam zum Frühstück, zum großen Entsetzen
der Flüchtlinge, die einfach nicht verstanden, warum wir
angesichts der dampfenden Klöße so widerliches Zeug schlucken
konnten.
Ich hoffe, daß Käseproduzenten diesen Abschnitt lesen und
endlich an die Unmöglichkeit glauben, in China einen Markt für
ihre Erzeugnisse zu finden. Übrigens macht es mir nichts aus,
immer wieder die Briefe zu beantworten, in denen nach den
Verkaufsmöglichkeiten in China gefragt wird. Da es für Käse nicht
einmal die Spur einer solchen Möglichkeit gibt, sind die Briefe
leicht zu beantworten. Die Schwierigkeit liegt darin, daß mir
offenbar niemand glaubt. Es scheint aussichtslos zu sein, einen
Käseproduzenten davon zu überzeugen, daß es Leute auf Erden
gibt, die keinen Käse essen wollen.
Im Frühjahr 1923 übertraf eine Gruppe von Banditen in
200

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Shantung alle früheren Heldentaten chinesischer Banditen, indem
sie den Shanghai-Pekinger Expreßzug überfiel und alle Passagiere
in ihr Banditenlager entführte - ungefähr dreißig Ausländer und
etliche hundert Chinesen. Fast eine Woche nach der
Gefangennahme gab es noch keine Nachricht von den Vermißten.
Wir wußten eigentlich nichts anderes, als daß sie nichts zu essen
hatten, denn sie befanden sich in einem der ärmsten und
unwirtlichsten Teile des Landes. Da die meisten der Gefangenen
aus Shanghai waren, darunter sehr angesehene Ausländer
verschiedener Nationalität, gab es in der Stadt mehr Aufregung,
als man für möglich gehalten hätte.
Ich suchte damals nach einer Begründung, aus Shanghai
fortzukommen und mir einen Urlaub zu gönnen, und bei der
großen Erregung über den Banditenstreich gelang es mir leicht,
meine Gefährten im Komitee des Amerikanischen Roten Kreuzes
dazu zu überreden, daß sie mich in das Gebiet der Banditen
entsandten, damit ich versuchte, mit den ausländischen
Gefangenen in Fühlung zu treten, ihre Nahrungsmittelbelieferung
zu organisieren und ihnen außerdem Kleidung und Arznei
zukommen zu lassen. Ich hatte eben erst die diplomatischen
Beziehungen zu den Banditen aufgenommen, hatte die
Lebensmittelbelieferung organisiert und stand bereits in Kontakt
mit den Gefangenen, als einer der dortigen Kriegsherren seinen
Sekretär mit einem Geldbetrag von etwa dreitausend Dollar zu mir
sandte und mich ersuchen ließ, auch für die chinesischen
Gefangenen Nahrung und Kleidung und Medikamente zu
beschaffen, denn diese litten Hunger, weil die Banditen selbst
kaum zu essen hatten. Diesem ersten Beitrag des Kriegsherren
folgten andere, sooft mir die Mittel ausgingen. Einen Monat später
warum das ganze Banditengebiet ein Ring chinesischer Truppen
gezogen, so daß die Lebensmittelbelieferung gänzlich
abgeschnitten wurde, und nun beauftragte mich die chinesische
Regierung auch mit der Ernährung der zweitausend Banditen,
damit sie nicht aus Hunger den Gefangenen die Vorräte wegäßen.
Bisher hatten die Räuber ihre Versprechungen gewissenhaft
gehalten und nichts von den Vorräten gestohlen, obwohl die
201

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Versuchung stark sein mußte. Diese Aufgabe hielt mich sechs
Wochen in dem Gebiet der Banditen zurück, und einen
spannenderen Urlaub kann ich mir nicht vorstellen. Ich lernte
ungemein viel über die Technik und die Ethik des Banditenwesens
- Kenntnisse, die wahrscheinlich nie von Wert für mich sein
werden --, und ich lernte auch sehr viel über die Lebenskosten in
China.
Auf Grundlage meiner Ausgaben für das Hilfswerk und meiner
Nachforschungen über die Lebensweise der dortigen Bevölkerung
kam ich zu dem Schluß, daß sich jeder Chinese für fünf
chinesische Dollar im Monat leicht mit Nahrung, Kleidung und
Unterkunft versorgen kann und daß auch ich, wenn auch nicht sehr
gerne, für fünf Dollar leben könnte. Nach dem gegenwärtigen
Kurs macht dieser Betrag sechs englische Shilling aus. Meine
Zahlen wurden später zu meiner Freude durch ziemlich
eingehende Untersuchungen derselben Art bestätigt, die die
christliche Universität in Shantung, ein Missionsinstitut von sehr
hohem Rang, anstellte. Diese Nachforschung führte zu einem
Betrag von fünfzehn chinesischen Cent pro Tag und Person, also
zweieinhalb Pennys, für die Ernährung allein. Es blieben also nur
fünfzig Cent im Monat für Bekleidung und Unterkunft, was ein
ziemlich kleiner Betrag ist, aber die Nachforschungen der
Universität umfaßten auch die wohlhabendere Mittelschicht, die
sich in der Ernährung keine allzu große Beschränkung auferlegen
muß.
Die folgende Tabelle zeigt den Prozentsatz der verschiedenen,
von den Chinesen in Shantung konsumierten Nahrungsmittel nach
den Angaben der Shantunger Enquete im Vergleich mit dem
Prozentsatz einer typisch englischen Lebensführung.
Brot, Cerealien und Bohnen
Obst und Gemüse
Fleisch und Fische
Butter, Fett, Zucker
Eier
Milch und Käse
Andere Nahrungsmittel
202

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Chinesischer Prozentsatz
Britischer Prozentsatz
Die erste Tatsache, die dem Leser auffallen wird, ist die, daß in
dieser Tabelle der Reis nicht erwähnt wird. Es herrscht der
weitverbreitete Irrtum, daß der Reis das wichtigste Nahrungsmittel
der Chinesen ist. Tatsächlich kann man den Reis in der Gegend
südlich des Yangtze als wichtigstes Nahrungsmittel betrachten,
aber im Norden ist er nahezu unbekannt, denn dort wird kein Reis
gepflanzt. Die obige Liste ist geeignet, den Schluß auf eine sehr
beschränkte Anzahl von Lebensmitteln nahezulegen, aber dies ist
in Wirklichkeit nicht der Fall. Der Weizen wird nicht nur zu Brot
verbacken, sondern auch für zahllose andere Speisen verwendet,
wie zum Beispiel für Maccaroni, Spaghetti, andere Nudelsorten
und Klöße. Es gibt neunundzwanzig verschiedene
Gemüsegattungen und allein von Bohnen fünfzehn Spielarten. Die
detaillierte Statistik zeigt, daß ein gewisses Quantum irischer
Kartoffeln gegessen wird, ungefähr halb soviel wie Obst und ein
Sechstel der Menge an Garnelen. Die Kartoffel wurde nach ihrem
Siegeszug durch Europa von den Holländern nach China gebracht.
In Tibet heißt sie daher auch `Hollndischer Weizen". Kleinere
Kartoffeläcker findet man in manchen Gegenden Chinas, aber
nirgends bildet die Kartoffel einen wichtigen Bestandteil der
Nahrung oder wird als unentbehrliches Lebensmittel betrachtet.
Ein weiteres Lebensmittel amerikanischer Herkunft, der Mais, ist
viel mehr verbreitet. Die Einwohner Shantungs verbrauchen davon
viel größere Mengen als von Reis.
Eine zweite von der Shantunger Universität durchgeführte
Untersuchung ist ebenfalls von sehr großem Interesse, da sie die
Prozentsätze der Ausgaben mit den Prozentsätzen der
durchschnittlichen amerikanischen Nahrungskosten vergleicht.
Mir stehen für Europa keine Zahlen zur Verfügung, aber sie
dürften sich von den amerikanischen kaum unterscheiden.
Fleisch und Fisch
Milch
Eier
Brot, Cerealien und Bohnen
203

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Butter, Fett, Zucker
Obst und Gemüse
Andere Nahrungsmittel
Chinesischer Prozentsatz
Britischer Prozentsatz
Ein Studium dieser Zahlen wird fast jedermann davon überzeugen,
daß vieles für eine gemäßigte Einführung der chinesischen
Ernährungsweise in Amerika und England sprechen würde. Es
wäre zwar wahrscheinlich nicht möglich, in diesen Ländern die
Ernährungskosten auf ungefähr sechs Shilling herabzudrücken,
immerhin ließen sie sich um die Hälfte kürzen, ohne daß jemand
zu hungern brauchte. Es gäbe dann nicht so viel dicke Frauen,
sondern schlanke, mädchenhaftere Gestalten und geringere
Auslagen für Ärzte. Andererseits wäre es aber schwer, ein
Argument zu finden, das einem Chinesen eine Änderung seiner
Kost plausibel machen könnte.
204

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ FÜNFZEHNTES KAPITEL
Gewahrtes und verlorenes Gesicht
Obwohl das Wort `Gesicht" nicht neu ist, haben doch die
Chinesen unsere europischen Sprachen bereichert, indem
sie dem Worte eine neue Bedeutung gaben. In dieser
neuen sinologischen Bedeutung war der Ausdruck ein ganzes
Jahrhundert lang auf die Küsten Chinas beschränkt und außerdem
nur noch an der Westküste des Pazifischen Ozeans bekannt, drang
aber immer mehr in den Sprachgebrauch ein und steht heute sogar
schon im Oxford Dictionary, das `Gesicht verlieren" und
`jemandes Gesicht retten" mit `gedemtigt werden" und `jemandem
offene Beschmung ersparen" erläutert.
Diese kurzen Definitionen sagen nichts davon, welch wichtige
Rolle das Gesicht in allen Dingen des chinesischen Lebens spielt.
Es geht auf einen Kodex menschlicher Beziehung zurück, der
jedermann die Verpflichtung auferlegt, unter allen Umständen
205

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ seinen Mitmenschen behilflich zu sein, ihre Selbstachtung zu
bewahren und den Kopf stolz zu erheben. In gewissem Sinne ist es
ein Kodex der Duldsamkeit und Nachsicht, der es den Chinesen
ermöglicht, zusammengepfercht und in hartem Kampfe ums
Dasein mit einem Minimum an Reibung zu leben. Das
Mißgeschick eines Menschen oder die Folgen seiner törichten
Handlungen dienen nicht als Anlaß zum Spott, denn sonst würde
er das Gesicht verlieren. Darum geht man Feindschaften aus dem
Wege. Wenn jemand bei einem Geschäftsabschluß den kürzeren
zieht, nutzt der Sieger seinen Triumph nicht bis zum Äußersten
aus, sondern gewährt dem Unterlegenen irgendein kleines
Zugeständnis, um der Niederlage den Stachel der Demütigung zu
nehmen. Das Ganze ist gleichzeitig ein geistiger Ansporn und ein
moralisches Bollwerk für das Individuum, da jeder mehr oder
weniger instinktiv versucht, einen Akt oder eine Handlungsweise
zu vermeiden, die ihm einen Gesichtsverlust, das heißt öffentliche
Beschämung oder Demütigung bringen könnte. Auf ethischem
Gebiete führt diese Einstellung natürlich manchmal zur
Unaufrichtigkeit, denn der Gesichtsverlust liegt sehr oft nicht in
dem Beschämenden des eigenen Vorgehens, sondern in dem
Mißgeschick des Verspottetwerden.
Niemand ist in China zu nieder, um sein Gesicht, also seine
Würde und Selbstachtung hoch einzuschätzen und zu wahren. Und
kein Ausländer hat bei Geschäften mit Chinesen je etwas erreichen
können, wenn er es unterließ, diesen Faktor in Rechnung zu
stellen. Wer ihn andererseits geschickt nutzen kann, hat ein
angenehmes und manchmal sehr gewinnreiches Leben.
Jedermanns Gesicht muß respektiert werden. Man kann einen
chinesischen Diener oft und scharf tadeln, kann ihn etwas falsch
Gemachtes immer wieder neu machen lassen, und doch stört das
den Haushalt nicht. Wird aber der Tadel vor anderen
ausgesprochen, besonders vor anderen Dienern, ist die Sache nicht
mehr so. Der unglückliche Diener hat sein Gesicht verloren und
leidet darunter mehr, als der Ausländer verstehen kann. Wenn der
Herr oder die Herrin ihm noch weiterhin solche Gesichtverluste
zufügen, indem sie seine Fehler vor aller Ohren besprechen, wird
206

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ es bald einen Hausangestellten weniger geben. Der Boy oder der
Koch oder der Kuli wird traurig melden, daß er für ein paar Tage
fort müsse, um dem Begräbnis seines Bruders beizuwohnen, und
dann sieht man nichts mehr von ihm. Später kommt ein Freund,
um den rückständigen Lohn einzuheben und zu erklären, der
Abwesende sei von einer schweren Krankheit befallen worden,
und die Aussicht darauf, daß er in der nächsten Zeit seinen Dienst
wieder aufnehmen könne, sei so unsicher, daß es am besten wäre,
sich nach einem Ersatz umzusehen. Es gibt in Shanghai viele
Hausboys, Köche und Kulis, die für lächerlich geringen Lohn in
fremden Häusern arbeiten und nie daran denken, um eine
Lohnerhöhung zu bitten, sondern vergnügt Jahr für Jahr
weiterschuften. Andererseits müssen sehr viele Fremde ganz gegen
ihren Willen in Hotels oder Pensionen leben, weil sie keinen
Haushalt führen können, denn kein Diener will für sie arbeiten,
mag der gebotene Lohn noch so hoch sein. Eine Tätigkeit im
Haushalt eines solchen Fremden wäre an sich schon ein
Gesichtsverlust, denn dieser Ausländer ist für seine Behandlung
der Dienerschaft schon berüchtigt, und wer in seinen Dienst träte,
wäre dem Spott der Gefährten ausgesetzt. Obwohl sehr selten,
haben sich doch sogar Mordanschläge gegen Ausländer ereignet,
und die Polizeibeamten, die solche Fälle untersuchen, behaupten
immer, daß die meisten dieser Anschläge in einem Gesichtsverlust
ihren Grund haben. Der Ausländer hat den Boy oder den Koch so
gedemütigt, daß er ihn mordgierig machte. Lange Arbeitszeit,
schwere Plage, karger Lohn, ein nörglerischer, ja sogar
unvernünftiger Herr alles das erträgt der Diener freudig und
philosophisch, solange er nicht gedemütigt wird.
Manchmal hängt das Gesicht des Dieners nicht nur von der
Behandlung durch seinen Dienstgeber ab, sondern auch davon,
wie der Diener den sozialen Rang seines Herrn einschätzt. Ich half
einst einem Boy, indem ich ihm bei einem Junggesellen einen
Posten als Kammerdiener verschaffte. Der Lohn war
zufriedenstellend und es überraschte mich sehr, als der Mann
vierzehn Tage später wiederkam und erklärte, er habe gekündigt
und sehe sich nach einer anderen Stelle um. Es hieß, daß dieser
207

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Junggeselle nur zwei Passionen im Leben habe: Pferde und
schottischen Whisky, und so beschäftigte er den Boy noch spät
abends mit dem Servieren von Whisky, und er mußte früh
aufstehen, um dem Herrn vor dem Morgenritt eine Kanne Tee zu
kochen. Aber das war es nicht, was den Boy störte. Dieser
Junggeselle verwendete soviel Zeit und Geld an Whisky und
Pferde, daß seine Garderobe recht schäbig war. Ich habe alle die
schmachvollen Einzelheiten, die mir der entsetzte Boy enthüllte,
vergessen, aber mir scheint, der Mann hatte nur drei Paar Socken
und davon eines voll Löcher. Die Gleichgültigkeit jenes
Junggesellen gegen sein Äußeres war allen anderen Boys in der
Nachbarschaft wohl bekannt, und in den Dienerstuben wurde
darüber viel gesprochen und gelacht, so daß schließlich niemand
mehr für ihn arbeiten konnte, ohne ernstlich das Gesicht zu
verlieren. Wäre der Mann zu arm gewesen, sich besser zu kleiden,
hätte die Sache, so sagte der Boy, anders ausgesehen, aber sein
Herr sei schäbig aus Schlampigkeit und Gleichgültigkeit und
beweise dadurch, daß er kein echter Gentleman sei.
Die diversen Tätigkeiten rangieren nach dem Gesicht, das sie
den Angestellten geben. Banken stehen an erster Stelle, und jede
Bank hat eine lange Vormerkungsliste von Söhnen hervorragender
Familien, jungen Männern, deren einziger Ehrgeiz im Leben es ist,
Bankangestellter zu sein. Für sie spielt das Gehalt keine Rolle.
Viele reiche chinesische Väter sind sogar bereit, dafür zu zahlen,
daß ihr Sohn in einer Bank arbeiten darf, und sie geben dafür mehr
aus, als der Sohn in einigen Jahren verdienen kann. Eine solche
Anstellung gibt nicht nur dem Beamten Gesicht, sondern auch
allen Mitgliedern der Familie. Dieser Wunsch nach Stellen, die
Gesicht verleihen, hat zu der Entwicklung eines Systems
betrügerischer Anstellungen geführt, das für China eigentümlich
ist. Ein solcher Dienstgeber, gewöhnlich eine Bank oder
Speditionsgesellschaft, umgibt sich mit der ganzen Szenerie, die
gewöhnlich ein betrügerisches Ausgeben von Aktien begleitet -
mit schönen Büros und imposanten Drucksorten. Er verkauft
vielleicht einige Aktien, aber das ist nicht das Hauptziel des
ganzen Unternehmens, denn es ist leichter und ebenso
208

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ gewinnbringend, Stellungen zu verkaufen. Der Beamtenstab dieser
künftigen Bank ist schon doppelt überzählig, und vom Kassier bis
zum jüngsten Bürovolontär hat jeder für seine Anstellung gezahlt
und eine Kaution oder, wie man sie in China nennt, ein
`Ehrlichkeitsgeld" erlegt. Wenn nach einiger Zeit die Mglichkeiten
erschöpft sind, verschwindet der Gründer in eine ferne Provinz
und wird nicht mehr gesehen.
Dieser Verkauf von Anstellungen bei einer fiktiven Firma ist ein
alter Schwindel in China, aber die neue Schwärmerei fürs Kino hat
eine moderne Spielart davon ins Leben gerufen, an der eine Bande
meiner Landsleute ziemlich viel Geld verdient hat. Ich selbst
konnte bei dieser Sache keine sehr nützliche Rolle spielen. Ein
Mann forderte mich auf, ihn in seinem Hotel zu besuchen, um eine
große Reklamepropaganda zu besprechen, und als ich ihn
aufsuchte, erklärte er mir, er wolle in Shanghai einen
Schönheitssalon eröffnen und speziell junge Chinesinnen der
reicheren Schichten als Kundinnen werben. Der Mann gefiel mir
nicht, und ich wußte, daß wir miteinander nicht gut auskommen
würden. Auch versprach ich mir von der Reklame für einen
Schönheitssalon nicht allzu viel, obwohl der Fremde Andeutungen
gemacht hatte, dies sei ein ganz anderer Schönheitssalon, bei dem
man viel Geld verdienen könnte. So erklärte ich ihm, eine
Reklame für Schönheitssalons liege ein wenig abseits von unserer
Linie, und er werde wahrscheinlich von einer der kleineren
chinesischen Agenturen besser bedient werden.
Ich wußte damals noch nicht, welch genialen Schwindel er
beabsichtigte. Der Schönheitssalon war nur die Falle, in die er
seine Opfer lockte, und seine Methode bestand in folgendem. Eine
hübsche junge Chinesin, Angehörige einer reichen Familie, wurde
Kundin seines Ladens, und nach wenigen Besuchen fragte sie der
Direktor, der angeblich aus Hollywood kam, ob sie jemals daran
gedacht habe, zum Film zu gehen. Natürlich ist das der Traum
eines jeden Mädchens, welcher Nation sie auch sein mag, und
jedes Mädchen fühlt sich durch eine solche Frage geschmeichelt.
Sodann wurden ein paar Probeaufnahmen gemacht, und dank
einem merkwürdigen Zufall befand sich ein Hollywooder
209

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Regisseur gerade auf der Durchreise durch Shanghai, und ein
einziger Blick auf die Probeaufnahme bewies ihm, daß gerade
dieses Mädchen der Typ sei, den man in Hollywood suche -ein
Mädchen, der berühmten Anna May Wong in jeder Beziehung
überlegen. Dies zu glauben fiel der jungen Chinesin nicht schwer,
denn Anna May Wong hatte vor ein paar Monaten zum erstenmal
China besucht, und die Chinesinnen hatten sie genau gemustert,
ohne daß sie allzu viel Gefallen an ihr gefunden hätten.
Der falsche Hollywooder Direktor bot dem Mädchen einen
Vertrag mit sehr schmeichelhaften Bedingungen an. Immerhin gab
es noch einige Präliminarien zu erledigen, ehe der Vertrag in Kraft
trat und der Embryo-Star die phantastischen Gagen einstreichen
konnte, die ihm versprochen waren. Sie mußte zuerst eine gewisse
Schulung durchmachen, die zwar sehr leicht, aber auch sehr
kostspielig war. Und so nahm der Schwindel programmgemäß
seinen Lauf, und die Familie des Mädchens zahlte immer mehr
und mehr Geld, bis sie endlich daraufkam, daß das Ganze ein
Betrug war. Diese Methode bewährt sich seit mehreren Jahren in
Shanghai, und es besteht kaum die Möglichkeit, daß den Betrügern
der Prozeß gemacht werden wird, da die geschädigten Familien
zuviel Gesicht verlören, wenn ihr Hereinfall bekannt würde. Als
ich mit der Einrichtung meiner Reklameagentur begann, begegnete
ich sofort Schwierigkeiten, die mit dem Gesicht zusammenhängen.
Es hatte bisher noch keine richtig organisierte Reklameagentur
gegeben, und die bekanntesten und tätigsten Vertreter der
Reklameprofession bestanden aus Gruppen von Kulis, die
Zirkulare über Geschlechtskrankheiten auf leere Mauern klebten.
Das Reklamegeschäft hatte nicht nur kein Gesicht, sondern war
nicht einmal achtbar. Ich wollte einen jungen Mann anstellen, der
eine amerikanische Universität absolviert, einen Reklamekurs
gemacht und ein Jahr lang in einer New Yorker Agentur gearbeitet
hatte. Erst nach seiner Heimkehr war es seiner Familie bekannt
geworden, daß er sich mit Reklame als Erwerb befaßte, und als sie
die traurige Nachricht vernahmen, waren sie entsetzt. Hätte er
erklärt, er beabsichtige Bandit zu werden oder sich der Seeräuberei
zu widmen, wäre die Verblüffung auch nicht größer gewesen. Ihm
210

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ lag viel daran, bei mir eine Anstellung zu erhalten, doch war er
genötigt, mein Angebot dem Familienrat vorzulegen. Die
Entscheidung fiel gegen mich aus, und er nahm einen Posten bei
einer Importfirma an, wo er halb soviel Gehalt bekam, wie ich ihm
angeboten hatte. Seine Arbeit dort war die Reklame für die Firma.
Da das aber nur eine interne Angelegenheit war, konnte er so tun,
als arbeitete er kaufmännisch, und dies rettete das Gesicht der
Familie. Eine meiner ersten Bemühungen galt dem Ziel, dem
Reklamewesen Gesicht zu geben, und wenn ich jetzt die Zahl
chinesischer Konkurrenten betrachte, die sich diesem Geschäft
zugewendet haben, glaube ich manchmal, daß meine Bemühungen
in dieser Richtung erfolgreicher gewesen sind, als unbedingt
notgetan hätte. Als das Geschäft noch weniger angesehen war, war
es viel exklusiver.
Wenn eine dieser Konkurrenzfirmen uns heute einen Klienten
abfängt, machen sich meine chinesischen Angestellten viel mehr
Sorge wegen des Gesichtes, das wir verloren haben, als des
Gewinnes wegen, der uns entgangen ist. Auch mir bereitet so
etwas keine Freude, aber ich trage es philosophischer als sie.
Wenn irgend jemand, ein Ausländer oder ein Chinese, eines
zweifelhaften Vorgehens wegen vor Gericht kommt, drehen sich
die allgemeinen Gespräche nicht um seine Schuld oder Unschuld,
sondern darum, wieviel Gesicht er verloren hat. Liefert uns ein
Drucker einen schlechten Text, appellieren wir nicht an seine
Fairness, Ehrlichkeit und Anständigkeit, sondern wir weisen
darauf hin, wieviel Gesicht wir verlieren würden, wenn unser
Klient, was unbedingt der Fall wäre, die Übernahme dieses Textes
verweigerte. Um unser Gesicht zu retten, macht er die Arbeit von
neuem. Die einzigen Zeiten, in denen unser Koch aus seiner
gewohnten Trägheit erwacht, sind die Fälle, da wir Gäste zum
Essen haben, denn sollte da irgend etwas nicht stimmen; wäre gar
nicht abzuschätzen, wieviel Gesicht der ganze Haushalt verlieren
müßte. In meinen Junggesellentagen erschien mir ein Dinner, das
ich einmal gab, einfach als ein Wunder, denn die Tafel erstrahlte
in üppigster Schönheit von Silber, Porzellan und Leinen, Dingen,
die ich nicht nur nicht besaß, sondern nie gesehen hatte. Der Koch
211

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ und der Boy hatten, im Gegensatz zu mir, die Schäbigkeit und
Mangelhaftigkeit meiner Habe erkannt und auf eigene Faust in
einem Nachbarhaushalt, dessen Herr außerhalb der Stadt weilte,
die Sachen ausgeborgt. So wurde mein Gesicht gewahrt. Vor mehr
als zwanzig Jahren kaufte ich mehrere Anzüge bei einem
Londoner Schneider, und zehn Jahre später sah ich, daß ein
Anzug, den ein chinesischer Schneider für mich angefertigt hatte,
mit einer Vignette aus der Regent Street geschmückt war. Als ich
ihn danach fragte, erklärte er, er habe, als ich meine alten Anzüge
ablegte, die Londoner Etiketten entfernt und in die neuen Anzüge
genäht, denn ein Londoner Etikett gebe mir mehr Gesicht. Da
außer der Dienerschaft im Hause niemand diese Etiketten sah,
weiß ich nicht recht, wie sich dieses Gesicht für mich auswirken
konnte, aber immerhin hatte der Mann die beste Absicht gehabt.
Alle meine Anzüge trugen Londoner Firmenbezeichnung, bis die
Schildchen schließlich schäbig wurden.
In jedem Büro werden die Probleme der Beförderung und der
Gehaltserhöhung durch das Gesicht ungemein erschwert. Die
außertourliche Beförderung eines Angestellten bedeutet einen
Gesichtsverlust für alle Übergangenen, und sie fühlen sich nicht
nur sehr gedemütigt, sondern auch ungerecht behandelt. Eine
einzige Beförderung dieser Art kann ein einträchtiges und
leistungsfähiges Kontor in ein regelloses Chaos verwandeln, mit
soviel Gehässigkeit, daß es für eine Arche Noah ausreichen
könnte. Es ist gar nicht ungewöhnlich, daß ein verdienter Beamter,
der seine überlegenen Fähigkeiten bewiesen hat, eine Beförderung
ausschlägt, weil er weiß, wieviel Zwist entstehen und wieviel
Feindseligkeit er auf sich laden würde. Die Probleme, die sich um
eine Gehaltserhöhung erheben, fallen in dieselbe Kategorie. Jede
Gehaltserhöhung oder Zulage, die nicht der ganzen
Angestelltenschaft zugute kommt, ist die Ursache von
Gesichtsverlust und heimlicher Feindschaft. Das Problem, wie
man einem Angestellten eine Gehaltsaufbesserung gewährt, ohne
die anderen zu berücksichtigen, ist sehr schwer zu lösen. Nur der
Neuling, der von der chinesischen Arbeitsweise noch wenig weiß,
stellt sich in solchen Dingen auf einen starren Standpunkt.
212

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Lange Zeit war dieser Fetisch des Gesichtes ein scheinbar
unüberwindliches Hindernis für die Entwicklung des
Körpersportes in China, denn der in einem Wettbewerb
unterliegende Teil, sei das nun eine Mannschaft oder eine
Einzelperson, empfand den Gesichtsverlust als solche
Demütigung, daß es unmöglich war, einen richtigen Sportbetrieb
zu entfalten. Es kam sogar vor, daß Teams mitten im Spiel das
Feld verließen, wenn sie erkannten, daß die Niederlage
unvermeidlich war. Da die körperliche Entwicklung des Volkes in
dem Aufbauprogramm des neuen Chinas eine wichtige Rolle
spielt, befaßten sich die chinesischen Führer eingehend mit dieser
Frage und haben nach einem Jahrzehnt der Arbeit die Begriffe ein
wenig ändern können. Durch provinzielle und nationale
olympische Spiele, bei denen alle Teilnehmer geehrt und gefeiert
und fürstlich freigehalten wurden, erreichten sie, was scheinbar
unmöglich gewesen war, und schufen einen Sportgeist, der es dem
Besiegten möglich macht, die Niederlage ohne Scham auf sich zu
nehmen - das heißt ohne soviel Scham wie früher.
Bis vor wenigen Jahren war das Gesicht eine rein persönliche
Angelegenheit, und die verschiedenen Auffassungen in dieser
Sache gingen auf sehr alten Ursprung zurück, ohne auf die
modernen Lebensbedingungen Bedacht zu nehmen. Jetzt unterliegt
die Einstellung unter der Führung der chinesischen Staatsmänner
allmählich einer Wandlung, und man verwendet den Begriff vom
Gesicht, um auf die Erneuerung Chinas hinzuarbeiten. Der
Wechsel in der Einstellung zum Sport ist nur eines der vielen
Symptome. Die Chinesen sind seit langem bekannt für ihren
Mangel an Gemeinsinn. Schmutzige Straßen, deren Zustand selbst
den Ausländer, dem das gleichgültig sein kann, in Wut versetzt,
wurden offenbar von den chinesischen Bewohnern gar nicht
bemerkt, die ihr Leben lang über Schlammlöcher sprangen und
sich nie die Mühe nahmen, ein solches Loch auszufüllen. Jetzt
begreifen sie allmählich, daß die Stadt, wenn ihre Straßen
schmutzig sind, Gesicht verliert und daß an dieser Demütigung des
Gemeinwesens alle Einwohner teilhaben. Vor fünfundzwanzig
Jahren hätte ich es nicht für möglich gehalten, aber die Bewohner
213

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ vieler chinesischer Städte sind jetzt auf die Tatsache stolz, daß ihre
Stadt sauberer ist als die benachbarte. Wir sind hier noch nicht in
dem Stadium eines aggressiven Wettbewerbes wie in manchen
amerikanischen Städten, zum Beispiel zwischen Seattle und Los
Angeles, immerhin findet man eine heilsame Rivalität. In den
letzten Jahren gab es mehr Straßensäuberung als früher in zehn
Jahrhunderten.
Aber die alten Traditionen im öffentlichen Leben bleiben
unverändert. Ein ehrgeiziger Kriegsherr erhebt sich gegen die
Autorität der Zentralregierung. Die Revolte wird
niedergeschlagen, manchmal nach wirklichen Kämpfen, aber öfter
noch durch eine Demonstration bewaffneter Macht, begleitet von
irgendeinem klugen politischen Manöver. In jedem anderen Land
würde man den aufrührerischen General seines Ranges entkleiden,
ihn ins Gefängnis werfen, vielleicht auch wegen Hochverrates
hinrichten. In China ist das anders. Derartige strenge Maßnahmen
würden für den Kriegsherrn einen Gesichtsverlust bedeuten, den
nicht einmal seine bittersten Feinde billigen könnten. So erhält er
einen hohen Rang und wird mit irgendeiner harmlosen Aufgabe
betraut, die ihn weit aus dem Wege führt, zum Beispiel einem
Studium der Unterseeboote in der Schweiz oder der
Kartoffelpflanzungen im Hyde Park. Dies ist politisch sehr
nützlich, denn bei den Anhängern des geschlagenen Generals sind
keine Feindseligkeiten geschaffen worden, und man kann sich
ihrer Treue leichter versichern. Viele große ausländische Firmen
befolgen eine ähnliche Politik, wenn sie es aus dem oder jenem
Grunde für notwendig erachten, einen höheren chinesischen
Angestellten zu entlassen. Er wird befördert und in irgendein
Zweigbüro abgeschoben, und da er den Wink versteht, bittet er
bald um seine Enthebung, die mit dem lebhaftesten Bedauern
gewährt wird. Die große Bedeutung, die dem Gesicht beigemessen
wird, führt, was bei einer vorgetäuschten Sache unvermeidlich ist,
zu vielen Absurditäten. In Shanghai werden die
Automobilnummern niemals geändert, und der Eigentümer behält
Jahr für Jahr dieselbe Nummer. Da die erste Nummer natürlich Nr.
i war, bedeutet eine niedere Zahl, daß der Eigentümer dieses
214

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Wagens einer der ersten Automobilbesitzer in Shanghai gewesen
ist, was auf alten und fortdauernden Wohlstand schließen läßt.
Alle diese frühen Wagen waren im Besitz von Fremden, denn die
Chinesen fanden sich erst sehr spät mit diesem kostspieligen und
gefährlichen Spielzeug ab. Aber alle heutigen Besitzer niedriger
Nummern sind Chinesen. Nachdem das Automobil in Mode
gekommen war, kauften sie um der Nummerntafeln willen die
alten Wagen auf, und mancher Ausländer erhielt einen
Phantasiepreis für eine ratternde alte Karre, die sonst ganz
unverkäuflich gewesen wäre.
Reiche chinesische Geschäftsleute sind der Meinung, es gebe
ihnen viel Gesicht, wenn sie spät ins Büro kommen und dadurch
beweisen, daß sie sich nicht um kleiner Beträge willen plagen
müssen. Dies hat zu der Sitte geführt, daß man Geschäftsbesuche
am Nachmittag machen muß. Einen Chinesen am Vormittag
aufzusuchen, hieße der Meinung Ausdruck geben, daß er von
minderem Rang sei und darum früh an die Arbeit gehen müsse -
wie die Kulis, die die Büroräume scheuern. Diese Sitte ist so
verbreitet und ein Vormittagsbesuch ist so ungewöhnlich, daß ich
mich, wenn ein Chinese von irgendeiner Bedeutung vormittags bei
mir vorspricht, erstaunt fragen muß, welche verzweifelte
Notwendigkeit diesen Bruch der Konvention herbeigeführt hat. Es
gibt in China keine einzige wirklich große und erfolgreiche
Nachmittagszeitung, und meines Wissens nur deshalb, weil die
Morgenzeitungen dem chinesischen Geschäftsmann die viele Zeit
vertreiben, die er hat, ehe er ins Kontor geht.
215

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ SECHZEHNTES KAPITEL
Die geheiligte Reisschale
Die Rücksicht auf das Gesicht des Mitmenschen wird durch
einen anderen Faktor ergänzt, der in China von gleicher
Bedeutung ist. Man darf niemanden beschämen, indem
man ihn um sein Gesicht bringt, aber man darf ihn auch nicht um
seinen Lebensunterhalt bringen oder, nach der ausdrucksvollen
chinesischen Phrase, `ihm die Reisschale zerbrechen". Es ist ganz
in der Ordnung, wenn man ihn bei einem Geschft übervorteilt,
wenn man den Preis bis zu den Grenzen des Möglichen drückt und
dann noch alle möglichen Versuche unternimmt, indem man
Rabatte, Diskonte und dergleichen Dinge fordert. Aber ihm den
Lebensunterhalt abzubinden, ihm unnötigen Verlust zu bereiten,
Formalitäten auszunutzen, darauf zu bestehen, daß er einen
Vertrag erfüllt, wenn er durch diese Erfüllung verarmen muß - all
das wird als abschreckend unmenschlich angesehen. Das Recht
216

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ aufs Leben ist einem jeden angeboren, und wer seinen
Mitmenschen dieses Rechtes beraubt, ist nicht mehr wert als ein
Kannibale. Alles in allem gibt es überraschend wenig Prozesse in
China. Der eine Grund hierfür ist, daß die meisten Geschäfte
zwischen Freunden oder Verwandten abgeschlossen werden und
daß die mächtigen und gutorganisierten Gilden alle
Meinungsverschiedenheiten gewöhnlich auf freundschaftliche und
vernünftige Art schlichten, ohne daß man gerichtliche Hilfe in
Anspruch nehmen müßte. Ein anderer Grund ist der, daß man, wie
günstig ein Vertrag auch sein mag und wieviel ein anderer einem
auch schuldet, nur selten einen Prozeß anstrengt, um einen
Anspruch durchzusetzen oder einen Ausstand einzutreiben, wenn
dadurch der andere Teil in Zahlungsschwierigkeiten kommen
könnte. Wenn aber ein solcher Streit vor Gericht gelangt, wird er
gewöhnlich mit der größten Erbitterung ausgefochten, denn bevor
die Parteien dahin gekommen sind, haben sie sich bereits in so
tolle Wut gesteigert, daß sie von Freundschaft, von Gesicht und
von zerbrochenen Reisschalen nichts mehr wissen.
Man darf nun nicht glauben, daß Gier und Geiz im Leben
Chinas etwa keine große Rolle spielten, denn auch hier gibt es
Shylocks, wenngleich nur selten und allgemein verachtet. Die
populären Volkssagen Chinas sind voll von Berichten über
habgierige alte Männer, die ein böses Ende nehmen, und über die
angehäuften Schätze des Geizhalses, die immer auf geheimnisvolle
Art verschwinden. Confucius teilte das Alter des Menschen in drei
Teile und warnte alte Männer vor der Sünde der Gier. `Es gibt drei
Dinge, vor denen sich der hherstehende Mensch hütet. In der
Jugend, wenn die körperlichen Kräfte noch nicht zur Ruhe
gekommen sind, hütet er sich vor der Wollust. Wenn er stark
geworden ist und seine Körperkraft gereift, hütet er sich vor
Streitsucht. Wenn er alt ist und die Körperkräfte schwinden, hütet
er sich vor der Gier." Vielleicht deshalb, weil der Charakter
Shylocks den Chinesen einen solchen Schauer des Entsetzens
einjagt, wird der `Kaufmann von Venedig" hier von allen
Shakespeare-Stcken am meisten gespielt, aber vielleicht auch
deshalb, weil chinesische Mädchen gern die Rolle der Porzia
217

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ darstellen. Hier ist eine ausländische Frau, deren Einstellung man
völlig versteht, denn Porzia hätte Chinesin sein können. Ich
glaube, sie fassen die Figur des Shylock zu buchstäblich auf, denn
ein chinesischer Freund erklärte mir einmal, er könne nicht
begreifen, warum Shylock auf einem Pfund menschlichen
Fleisches bestehe, das ja keinen Handelswert habe. Er hätte das
Ganze viel eher erfaßt, wenn der Mann ein Pfund Schweinefleisch
verlangt hätte.
Für einen Westländer nimmt die Rücksicht des Chinesen auf die
Reisschale seines Mitmenschen Ausmaße an, die schon unlogisch
und absurd sind. Ein Angestellter einer ausländischen Firma, der
sich so wenig hervortut, daß er der Aufmerksamkeit des fremden
Direktors entgeht, kann hoffnungslos dumm und unglücklich sein.
Jeder Mensch im Haus und auch seine chinesischen Vorgesetzten,
die ihn ja eigentlich zu maßregeln hätten, wissen von seiner
Untüchtigkeit, decken aber seine Fehler und leisten die Arbeit für
ihn. Natürlich, wenn er lange Zeit in der Firma dient und unter den
Angestellten Freunde oder Verwandte hat, setzt man sich mehr für
ihn ein als für einen Neuen. Aber beiden Fällen liegt das gleiche
Gefühl zugrunde, und es handelt sich nur um einen Unterschied im
Grad. In dieser Richtung hatte einer unserer Klienten vor ein paar
Monaten ein belehrendes Erlebnis, als die Geschäftsdepression es
notwendig machte, Angestellte abzubauen. Er befragte seine
älteren Angestellten, wer entlassen werden solle, und hörte zu
seiner großen Überraschung, daß sie einhellig den Abbau eines der
besten Beamten im Hause vorschlugen, sich aber hartnäckig der
Entlassung eines dummen Menschen widersetzten. Als mein
Bekannter der Sache nachging, entdeckte er schließlich, daß
niemand sich ein Gewissen daraus machte, den tüchtigen Beamten
zu entlassen, denn dem konnte es nicht schwer fallen, eine neue
Stellung zu erhalten, während dies dem dummen wahrscheinlich
kaum gelang.
Da nahezu alle auf den Philippinen lebenden Chinesen aus dem
südchinesischen Hafen Amoy kommen, herrscht ein reger Verkehr
zwischen den Inseln und dieser Stadt, und die amerikanische
Regierung unterhielt früher einen Sanitätsbeamten in Amoy, der
218

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ die Auswanderer zu untersuchen und ein Verschleppen von
Infektionskrankheiten nach den Philippinen zu verhindern hatte.
Gesundheitsstatistiken sind für einen Beamten der
Sanitätsverwaltung das tägliche Brot, und dieser Arzt war sehr
unglücklich darüber, daß es in Amoy solche Statistiken nicht gab.
Tatsächlich sind Gesundheitsstatistiken erst vor ein paar Jahren in
chinesischen Städten durchgeführt worden. In Washington wollte
man aber Daten haben, und so machte sich unser Mann an die
Arbeit, nach einer selbsterdachten Methode Daten zu sammeln. Er
entsandte einen seiner Gehilfen mit dem Auftrag, allwöchentlich
die Sargläden der Stadt zu besuchen und festzustellen, wieviel
Särge verkauft worden seien. Er hatte mit der Annahme recht, daß
die Zahl der verkauften Särge ziemlich genau der Anzahl der
Todesfälle entsprechen müsse, und konnte auf diese Art den
Fortschritt von Epidemien verfolgen und abschätzen. Diese
reichlich primitive Art, statistische Daten aufzuzeichnen, wurde
vor der jährlichen Heimsuchung durch Cholera und Pest in Angriff
genommen, wodurch sich die normale Todesfallzahl für Amoy
ergab, und als diese beiden furchtbaren Krankheiten wieder
auftauchten, stieg der Verkauf der Särge, wie der Doktor vermutet
hatte, und so konnte er auf seinen graphischen Darstellungen die
unheilverkündenden Kurven ziehen.
Schließlich kam mit dem Herbst das kalte Wetter, und die
Jahreszeit der Cholera und Pest war vorbei. Nun erwartete der
Arzt, daß seine Statistik diese Rückkehr zu gesünderen
Bedingungen widerspiegeln werde, doch nach seinen
wöchentlichen Berichten blühte das Sarggeschäft noch immer wie
während des schlimmsten Wütens der Seuche.
Das war unlogisch und unheimlich, denn die Epidemien waren
vorüber und die Krankheitsfälle in der Stadt hatten wieder ihr
normales Ausmaß erlangt. Mit Hilfe eines verständnisvollen
chinesischen Arztes ging er der Sache nach und entdeckte
schließlich den Grund. Einer der Sargtischler klärte den Fall auf
und sagte, er und seine Gefährten wüßten, daß der Chinese, der für
den amerikanischen Arzt den Absatz an Särgen feststelle, dies
wegen der Todesfälle infolge von Cholera und Pest tue, und sie
219

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ hätten Angst gehabt, er könnte seine Anstellung verlieren, wenn
ihr Bericht ergab, daß diese Krankheiten in der Stadt erloschen
waren, und darum hätten sie die alten Zahlen angegeben. Als man
ihnen versicherte, daß die Zahl der als verkauft gemeldeten Särge
den Angestellten des Arztes nicht um den Posten bringen werde,
erklärten sie sich bereit, künftighin genaue Daten zu liefern.
Einige Schwierigkeiten unter den Rikschakulis in Shanghai
boten in letzter Zeit eine sehr auffällige Illustration der
chinesischen Einstellung zum Gegenstand der Reisschale. Durch
viele Jahre war der Shanghaier Rikschakuli ein unterdrückter und
ausgebeuteter Arbeiter, der kaum genug Geld verdienen konnte,
um Leib und Seele zusammenzuhalten, während die Eigentümer
der Rikschas aus der unverschämt hohen Miete für ihre Fahrzeuge
ungeheueren Gewinn erzielten und große Vermögen anhäuften.
Bis auf wenige Ausländer, die an dieser Ausbeutung der Kulis
teilhatten, betrachtete jeder Fremde in Shanghai, der über diese
Frage überhaupt nachdachte, die Rikschabesitzer als ein Rudel
reißender Wölfe und sympathisierte mit den schwerarbeitenden,
jämmerlich bezahlten Kulis. Von Zeit zu Zeit begannen durch
Jahre verschiedene ausländische Organisationen
Propagandafeldzüge zugunsten der Rikschakulis, aber die
Chinesen schlossen sich solchen Bewegungen nicht an, obwohl
man manche Versuche machte, ihre Unterstützung zu gewinnen.
Eigentlich schienen die Chinesen an dieser ganzen Sache nicht im
mindesten interessiert zu sein, und sie konnten es nicht verstehen,
warum die Ausländer soviel Aufhebens davon machten. Vor ein
paar Jahren wurde die Sache schließlich so schlimm, daß der
Shanghaier Stadtrat, der die internationale Niederlassung
verwaltet, ein Programm beschloß, das die Lebensbedingungen der
Rikschakulis bessern und ihnen durch eine Herabsetzung der
Wagenmiete die Möglichkeit eines Existenzminimums sichern
sollte. Fast ausnahmslos schlossen sich die in Shanghai lebenden
Fremden dieser Bewegung freudig an, aber fast ebenso
ausnahmslos waren die Chinesen entweder dagegen oder blieben
gleichgültig, solange die Diskussion über den Vorschlag geführt
wurde. Als der Beschluß des Stadtrates am Ende veröffentlicht
220

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ war, weigerten sich die Rikschabesitzer, einer Herabsetzung der
Miete zuzustimmen und erklärten die Aussperrung, indem sie
überhaupt keine Rikschas mehrvermieteten und dadurch an
fünfunddreißigtausend Kulis brotlos machten.
Für den chinesischen Standpunkt änderte dies die ganze
Sachlage. Durch Generationen hatte man unbeschwert zugesehen,
wie Tausende armer Kulis all das Leid erduldeten, das die
jammervollste Armut begleitet. Aber in dem Augenblick, da die
Rikschabesitzer den Kulis die Reisschale zerbrachen, und mochte
diese Reisschale noch so jammervoll und unzureichend gewesen
sein, schlug die Stimmung der Chinesen fast über Nacht um, und
die unglücklichen Raubritter sahen sich plötzlich ohne jeden
Anhang. Die Chinesen, und zwar sowohl Einzelpersonen wie
öffentliche Körperschaften, beschimpften sie in offenen Briefen an
die Zeitungen. `Menschenfresser" war der Lieblingsausdruck, den
man fr sie verwendete. Am nächsten Tag waren die
Rikschabesitzer nachgiebig geworden, und weitere
vierundzwanzig Stunden später ergaben sie sich und willigten in
die Herabsetzung der Miete.
Für einen Chinesen ist die Verantwortung eines Menschen, der
aus irgendeinem Grunde einen anderen um seinen Lebensunterhalt
bringt, ohne jeden Zweifel festgestellt. Die Einführung des
Automobils hat zu den unvermeidlichen Unfällen und
Katastrophen geführt. Diese sind sogar viel zahlreicher als in
anderen Ländern. Die Chinesen waren nie an Fahrzeuge gewöhnt,
die sich rascher bewegten als eine Schiebkarre, und das Automobil
hat sie oft schon niedergestoßen, bevor ihnen die Notwendigkeit,
zur Seite zu springen, eingeht. Die allgemeine Regel erfordert, daß
der Automobilist zahle. Es spielt keine Rolle, wenn er völlig
schuldlos ist und wenn sich der Beschädigte der
verbrecherischesten Leichtfertigkeit schuldig gemacht hat. Diese
Anschauung ist so allgemein, daß sogar die
Versicherungsgesellschaften im Falle eines Automobilunglückes
prompt zahlen, ohne die Sache vor Gericht zu bringen. Gewiß
wäre in manchen Fällen die gerichtliche Entscheidung für die
Versicherungsgesellschaft günstig, aber keine Firma würde es
221

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
wagen, dem Sturm der Entrüstung standzuhalten, der
unvermeidlich darauf folgen müßte.
Es gab eine Zeit, da ich der Meinung war, der Herausgeber einer
Tageszeitung Shanghais zu sein, und in dieser Meinung verharrte,
bis der Freund, der mich bei diesem Unternehmen finanzierte, sich
anders besann. Während ich mich der besagten Täuschung hingab,
hatte ich mit einem Druckerstreik zu tun, der eine Menge
Verästelungen zeitigte. Einer der Streikenden verstellte in allzu
großem Eifer einem Zeitungsjungen den Weg und vernichtete alle
Zeitungen, die jener austrug, und so ließ ich ihn verhaften und
anklagen. Zu meiner großen Überraschung nahm der chinesische
Richter die Sache sehr ernst und verurteilte ihn zu neun Monaten.
Am nächsten Tag kam die ganze Familie angerückt und wollte
wissen, wie sie nun leben sollte, da ihr Reisverdiener im Kerker
saß. Es nützte mir nichts, daß ich erklärte, die Sache gehe mich
nichts an. Sie behaupteten, ich sei an seiner Verurteilung schuld
und habe es ihm unmöglich gemacht, seine Reisschale gefüllt zu
erhalten, weshalb die Verantwortung für seine Familie jetzt auf
mir ruhe. Ich schien der einzige Mensch zu sein, der in dieser
Sache eine andere Meinung hatte, so gab ich schließlich nach, und
die Familie erhielt eine Pension. Dies dauerte mehrere Monate. In
der Zwischenzeit wurde der Streik beigelegt, und ich nahm einen
Anwalt, der den Verurteilten aus dem Gefängnis befreien sollte, so
daß er wieder arbeiten konnte.
Wir haben es bei vielen Gelegenheiten für notwendig und
nützlich befunden, bei unseren Geschäften an die Heiligkeit der
Reisschale zu appellieren. In fast allen Städten des unteren
Yangtzetales gibt es Steuern auf Ankündigungen im Freien, und in
den meisten Fällen sind dies Gemeindesteuern, die in jeder Stadt
anders bemessen werden, so daß zum Beispiel ein Plakat in
Ningpo doppelt soviel kostet wie in Sutschau. Das ist nicht das
Schlimmste daran, aber die lokalen Steuerbehörden erhöhen
manchmal ohne jede Verständigung die Sätze, und so stehen wir
oft der Tatsache gegenüber, daß wir in einer Stadt ein Seifenplakat
herstellen müssen, jedoch nicht in der Lage sind, unseren Vertrag
ohne beträchtlichen Verlust zu erfüllen, denn die Steuern sind viel
222

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ höher, als wir berechnet hatten. Immerhin ist diese Situation nicht
hoffnungslos, und wir zerbrechen uns nicht allzu lange den Kopf
darüber. Der Obmann der Plakatierer tritt gegen die neue
Gebühren auf, und wenn er auf andere Weise nicht durchdringt,
zeigt er bei der Behörde unsere Kontrakte und
Kostenvoranschläge, weist auf den Verlust hin, den wir erleiden
müßten, und ruft: `Ihr knnt meinem Herrn die Reisschale nicht
zerbrechen." Natürlich bin ich der Reiskonsument, von dem hier
die Rede ist.
Dieser Appell verfehlt nie seine Wirkung, obwohl wir nicht
immer eine solche Ermäßigung durchsetzen können, wie wir sie
erhofft haben. Wahrscheinlich wäre es müßig, dieses Argument ins
Treffen zu führen, wenn wir uns nicht darauf vorbereitet hätten,
die wirkliche Gefahr nachzuweisen, die unserer Reisschale droht.
Doch sobald der Beamte einmal von der Richtigkeit unserer
Zahlen und von unserem guten Glauben beim Vertragsabschluß
überzeugt ist, zeigt er uns Entgegenkommen. Natürlich könnten
wir ganz logisch ausländische Ansichten vorbringen und davon
sprechen, daß man der Gans, die die goldenen Eier legt, das Leben
nicht nehmen dürfe, denn die Reklamegänse Chinas legen eine
Menge kleine, aber gewinnbringende Eier für die Steuerämter.
Aber ich bin überzeugt davon, daß wir mit diesem utilitaristischen
Argument nicht durchdrängen.
Nun würde es in den wenigsten Ländern von praktischem
Nutzen sein, die Sympathie eines Steuereinhebers zu gewinnen,
denn dieser Beamte bestimmt ja nicht die Tarife und hat keine
Befugnis, sie zu ändern. Zum Glück behandelt man solche Dinge
in China vernünftiger, denn hier sind Erwägungen des
Hausverstandes und Kompromisse immer wichtiger als der
Buchstabe des Gesetzes. Der Steuereinheber kann natürlich auch
in China den Steuersatz nicht ändern, der von seinen Vorgesetzten
bestimmt worden ist, aber er muß sich ja nicht unbedingt müde
laufen und alle Plakate zählen, die wir anbringen. So zahlen wir im
gegenseitigen Einvernehmen Steuern für fünfzehn Plakate, haben
aber zwanzig angebracht. Auf solche Art wird der Steuersatz
ermäßigt und auf eine vernünftige Basis gestellt. Niemandem darf
223

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
die Reisschale zerbrochen werden, und jedermann muß des
Nebenmenschen Gesicht wahren.
Der gegenseitige Respekt vor den Reisschalen hat ganz logisch
zu der Bildung von Verbänden und Gilden geführt, die man fast in
allen Geschäftszweigen finden kann, mit Ausnahme der neueren,
wie zum Beispiel des Reklame- und Verlagsgeschäftes. Die Gilden
der Bankiers, Seiden- und Reishändler sind wahrscheinlich die
reichsten und ältesten, und ihre Häuser sehen so prächtig aus, daß
Touristen sie oft irrtümlich für Tempel halten. In gewissem Sinne
sind diese Häuser auch religiöse Stätten, denn sie enthalten ein
Heiligtum des Gottes, unter dessen speziellem Schutz die
betreffende Gilde steht. Manche dieser Gilden haben ungeheuere
Geldreserven und tragen in Fällen von Hungersnot oder
Überschwemmung freigiebig zu wohltätigen Sammlungen bei. Im
gegenwärtigen Zeitpunkt ist die beliebteste Art, Patriotismus und
Gemeingeist zu zeigen, die, daß man dem Heer Aeroplane schenkt,
und die reichen Gilden haben schon viele Flugzeuge beige- stellt,
aber auch die ärmeren, die ziemlich mäßige Fonds besitzen, haben
ihrer Pflicht nicht vergessen.
Dieses Zunftwesen ist so allumfassend, daß sogar die Diebe und
Bettler ihre Gilden haben. Soviel ich weiß, bin ich nie mit einem
Mitglied der Diebszunft bekannt geworden, denn Shanghai ist zu
groß und zu sehr von der Polizei beaufsichtigt, als daß diese Gilde
hier erfolgreich arbeiten könnte, aber viele alte Bewohner der
Stadt, die in den kleineren Orten im Inneren des Landes Jahre
verbracht haben, wissen zu erzählen, wie solche Diebsverbände
vorgehen. Das Oberhaupt der Gilde führt gewissermaßen ein
Diebstahlverhütungsbüro, und wenn man ihm einen kleinen
jährlichen Betrag für die Gilde zahlt, garantiert er einem, daß man
von Dieben nicht behelligt werden wird. Viele Leute betrachten
dies als eine ideale Lösung. Da jeder, der über irgendwelche
Wertsachen verfügt, gern diesen kleinen Tribut zahlt, können die
Diebe in Behagen und Sicherheit ein ehrbares Leben führen, ohne
daß sie gezwungen wären, ihren Beruf auszuüben. Ich glaube
nicht, daß schon irgendeinmal jemand über die Frage nachgedacht
hat, ob nicht auch ein Dieb den Anspruch erheben darf, daß seine
224

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Reisschale gefüllt sei. So ist es möglich, daß die Diebe und die
ehrsame Bürgerschaft miteinander in Frieden leben, in einem
Frieden, der nur dann gestört wird, wenn ein Amateur, der der
Zunft nicht angehört, sich fremdes Gut aneignet. Dann werden die
Angehörigen der Gilde zu Diebsjägern, und wenn es ihnen nicht
gelingt, den gestohlenen Gegenstand zu finden und
zurückzugeben, entschädigen sie den Eigentümer für seinen
Verlust. Diese Schilderung ist keineswegs übertrieben, nur muß
man ihr hinzufügen, daß es sich hier eher um ein Bild der
Vergangenheit als um ein solches der Gegenwart handelt, denn
seit man in allen Teilen des Landes die Polizei und Gendarmerie
gründlich organisiert hat, verschwinden die Diebsgilden immer
mehr und mehr.
Ich wurde sehr gut bekannt mit dem Obmann einer Bettlergilde,
und dieser Mann war einer meiner ersten chinesischen Bekannten.
Im Sommer 1911 gab es im Yangtzetal eine sehr arge
Überschwemmung. Inzwischen erlebten wir dort ein noch
schwereres Hochwasser, aber die Überschwemmung von 1911 war
die furchtbarste, deren sich damals selbst die ältesten Leute
erinnern konnten. Man schickte mich nach Hankau, damit ich für
die Shanghaier Zeitung, bei der ich arbeitete, und auch für ein
Syndikat amerikanischer Blätter eine Artikelserie verfaßte. In
Hankau begegnete ich zum erstenmal der Schwierigkeit, konkrete
Daten zu erlangen, und der chinesischen Gleichgültigkeit gegen
Dinge, die den einzelnen nicht persönlich betreffen. Das
Hochwasser war unmittelbar, in der Nähe Hankaus. Der Fluß
führte allerlei Trümmer, und die tieferliegenden Teile der Stadt
standen schon unter Wasser. Leichen, die in entsetzlichen Mengen
vorbeitrieben, bewiesen die Tatsache, daß der Menschenverlust
ungeheuer groß sein mußte, aber niemand schien etwas Näheres zu
wissen oder sich um die Angelegenheit viel zu kümmern. Ein alter
französischer Pater leistete große Hilfe, aber als ich ihn nach dem
Umfang der Katastrophe fragte, sagte er: `Wir wollen unsere
christlichen Toten betrauern und bestatten; die Heiden aber mu
Gott zählen."
Der Herausgeber der einzigen chinesischen Zeitung konnte mir
225

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ nicht behilflich sein. Seine Zeitung diente lediglich dem Zweck,
eine Revolution gegen die Mandschus zu fördern, und interessierte
sich daher für nichts anderes. Übrigens war das der Mann, der
einige Monate später sein Leben dadurch rettete, daß er sich bei
einer britischen Firma hatte versichern lassen. Ich hatte in Hankau
einen Dolmetsch aufgenommen, und nach ein paar Tagen
ergebnisloser Arbeit deutete ich ihm an, daß ich ihn entlassen
würde, wenn es ihm nicht gelang, mir Daten zu liefern, die des
Verdolmetschens wert waren. Jetzt kam ihm zum erstenmal ein
vernünftiger Gedanke, und er führte mich zum Obmann der
Bettler.
Das war ein sehr tüchtiger und kluger alter Mann mit einem
ehrwürdigen grauen Zopf, und während er meine Fragen nach der
Überschwemmung beantwortete, erzählte er mir auch viel über die
Methoden des Bettlerberufes in China. Er hatte die Obmannstelle
von seinem Vater geerbt, doch war er von allen Bettlern der Stadt
im Amte bestätigt worden und herrschte jetzt autokratisch über sie,
trat aber auch als ihr Geschäftsleiter und offizieller Repräsentant
in allen Angelegenheiten auf, die die Zunft mit der Polizei oder
mit Handelsleuten in Berührung brachten. Hier war so wie in den
meisten chinesischen Städten das Betteln gründlich organisiert.
Die Bettler hatten ihre Stammplätze und unterstanden mehreren
Vorgesetzten, die alle dem Obmann der Bettler verantwortlich
waren. Keinem war es erlaubt, anderswo milde Gaben zu erbitten,
aber auch in seiner Straße durfte er nur am Ersten und Fünfzehnten
eines jeden Monats betteln. Dieses Übereinkommen wurde von
dem Obmann der Bettler und den Kaufmannsgilden nach vielen
Konferenzen getroffen und war ein Fortschritt gegenüber dem
administrativen Apparat, den er von seinem Vater geerbt hatte. Er
war sehr stolz auf seine Leistung, die es den Seinen ermöglichte,
bis auf zwei Tage des Monats müßig zu gehen, und gleichzeitig
eine allzu große Behelligung der Kaufleute verhinderte. An den
freigegebenen Tagen grasten die Bettler ihre jeweiligen Straßen ab
und fuhren auch nicht schlechter. Der Betrag, der in jedem Laden
gegeben wurde, hing von der Größe des Unternehmens ab und war
in einem gestaffelten Tarif genau festgelegt.
226

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Dieser wunderbaren Organisation wegen interessierte sich der
Obmann der Bettler so lebhaft für die Überschwemmung, und er
war imstande, mir die Einzelheiten zu liefern, die ich suchte. Die
Überschwemmung hatte eine Anzahl benachbarter Dörfer und
viele Bauernhöfe betroffen, deren Einwohner nun in die größeren
Städte geflüchtet waren. Sie lagerten in Mengen vor dem Stadttor,
viele waren aber auch in die Stadt gekommen, erzählten jedem
Vorübergehenden die Geschichte ihres Mißgeschickes und
drohten, auf der Stelle zu sterben, wenn ihnen nicht Hilfe zuteil
wurde. Darüber ärgerte sich der Bettlerobmann natürlich sehr, und
er war ganz empört, als er mir erzählte, wie diese `wilden", seiner
Zunft nicht angehrenden Bettler Konkurrenz machten.
`Alle Kaufleute beklagen sich bei mir," sagte er, `aber was kann
ich machen? Diese Leute essen den Meinen das Brot weg, und ich
finde bei den Behrden keinen Schutz, die einem jeden
Vagabunden, der hierher kommen will, um zu betteln, das Tor
öffnen. Diese Leute gehören nicht unserer Gilde an; sie haben hier
nichts zu suchen."
Dank ihren Gilden genießen die Chinesen seit jeher unter einer
sehr autokratischen Regierung eine recht demokratische
Verwaltung. Unter der Mandschuherrschaft besaßen die lokalen
Behörden, die Tao Tais oder Präfekten, theoretisch fast
unumschränkte Macht. In der Praxis mußten sie sich aber sehr
davor hüten, nicht gegen die Satzungen der Gilden zu verstoßen
oder die öffentliche Meinung so aufzubringen, daß alle Gilden sich
gegen sie vereinigten. In diesem Falle erklärten die Gilden ein
`Aufhren des Handels", eine Art Kombination von Streik,
Aussperrung und Boykott. Die Arbeiter ließen die Arbeit ruhen
und die Kaufleute schlossen die Läden. Niemand kaufte etwas und
niemand verkaufte. Die ganze Stadt hatte Ferien, und das dauerte,
solange der Beamte verstockt blieb.
Die Gilden mit ihrer Selbstverwaltung förderten natürlich den
demokratischen Geist, und während der republikanischen
Revolution leisteten viele derartige Verbände der republikanischen
Sache wertvolle Dienste. Die ersten Spenden für die Fonds der
Revolutionäre wurden von einer Kaufmannsgilde in Hankau
227

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ gemacht, und viele andere Beiträge der Zünfte ermöglichten es den
Republikanern, den Kampf durchzuhalten und schließlich die
Monarchie zu stürzen. Die Gilden konnten dies wohl tun, denn
einige sind märchenhaft reich, besitzen Häuser mit kostbaren
Schnitzereien, Lack-und Goldarbeiten und zählen Millionen Taels
in ihren Schatzkammern. In vielen Fällen gehen diese Fonds auf
Jahrhunderte zurück, denn die meisten Zünfte haben in ihren
Mitgliederlisten Namen von Leuten, deren Ahnen und Urahnen
durch Dutzende Generationen in ununterbrochener Linie dem
Verband angehörten, und einige datieren den Beginn ihrer
Geschichte kühn mit dem Jahr 2000 v. Chr. In einem von der
Statistik noch ziemlich wenig verwirrten Land kann man den
Reichtum der Gilden nur annähernd schätzen, doch jede Schätzung
müßte mit neunstelligen Zahlen arbeiten. Immerhin kann man die
Gilden nicht danach beurteilen, denn ihre Bedeutung liegt nicht im
Reichtum, sondern in der Macht, die sie ausüben und mit der sie
den ganzen Handel und alle Gewerbetätigkeit eines Viertels der
Menschheit regeln.
Geschäftliche Zusammenbrüche sind in China selten, denn die
Gilden übernehmen gewöhnlich die Verpflichtungen des
Zahlungsunfähigen, wodurch sie eine Erschütterung des Kredits
verhindern. Daher kommt es auch selten zu Zivilprozessen, denn
geschäftliche Meinungsverschiedenheiten werden fast immer von
den Verbänden beigelegt. Ein chinesischer Seidenhändler würde
über die Vorstellung lachen, daß irgend jemand anderer als die
Seidenhändlergilde einen Streit im Seidenhandel beilegen könnte,
und wenn man sieht, mit welcher Schnelligkeit solche Fälle vor
den Zunftgerichten geregelt werden und mit welcher
Bereitwilligkeit alle Beteiligten das Urteil entgegennehmen, ist
man geneigt, dem chinesischen Standpunkt beizupflichten.
228

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ SIEBZEHNTES KAPITEL
Verschiedene dunkle Wege
Viele scharfe Beobachter, darunter auch solche, die den
größten Teil ihres Lebens in China verbracht und mit den
Chinesen Handel getrieben haben, bezeugen in den
enthusiastischesten Ausdrücken die Ehrlichkeit und Anständigkeit
der Söhne Hans. Die ausländischen Händler der frühesten Zeiten
erklärten, daß das Wort eines Chinesen ebenso gut sei wie seine
Unterschrift, und die meisten behaupten, daß dieser Ausspruch
auch heute noch Geltung habe. Sehr viele andere Leute,
wahrscheinlich ebenso scharfe Beobachter, die die gleichen
Gelegenheiten gehabt haben, die Chinesen und ihre
Geschäftsgebräuche eingehend kennen zu lernen, wissen lange
und jämmerliche Geschichten von krummen und dunklen Pfaden
zu erzählen. Sie erklären die Behauptung, daß das Wort eines
Chinesen ebenso gut sei wie seine Unterschrift, für grundfalsch
229

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ oder billigen ihr nur insoferne Richtigkeit zu, als auch seine
Unterschrift nichts wert sei; sie führen unzählige Beispiele an, die
nachprüfbar und beweiskräftig sind. Für den Außenstehenden sind
diese beiden widersprechenden Meinungen sehr verwirrend, und
ehe er sich selbst ein Bild formen kann, fragt er sich natürlich, wer
recht hat. Diese Verschiedenheit der Anschauungen ist jedoch sehr
leicht zu erklären, denn eigentlich haben beide Teile recht. Die
zwei Parteien, die sich so gegensätzlich äußern, sind eben mit
verschiedenen Arten von Chinesen in Berührung gekommen. Der
eine hat in seinen Bekanntschaften Glück gehabt und der andere
nicht, und jeder gab sich derselben irrigen Meinung hin, daß seine
Erlebnisse und das Verhalten der ihm bekannten Chinesen für alle
typisch seien. Jeder, welchem Lande er auch angehören mag, weiß,
daß es unter seinen Landsleuten ehrliche und unehrliche Leute gibt
und dazwischen eine große Mittelschicht, und wenn er je darüber
nachdenkt, muß er darauf kommen, daß es auch in anderen Teilen
der Welt, also auch in China, wahrscheinlich ebenso zugeht.
Es ist sehr leicht, über andere Völker und Nationalitäten ein
Urteil zu fällen, ja, bei dem unvollkommenen geistigen und
Gefühlsapparat, den wir besitzen, ist es sogar schwer, das zu
vermeiden. Vor mehr als zwanzig Jahren lebte ich in Tokio, und
dort brachte mich ein Belgier durch äußerst kluge
Vorspiegelungen um eine Schreibmaschine. Er war der erste
Belgier, den ich je gesehen hatte, und auch der erste, mit dem ich
ein Geschäft machte, und ich beschloß, er solle auch det letzte
sein. Einige Jahre später überließ ich in Shanghai absichtlich
einem Konkurrenten eine belgische Kundschaft, die ich ohne
weiteres hätte haben können, denn ich hatte die Angehörigen
dieser Nation auf eine schwarze Liste gesetzt und wollte mit ihnen
nichts zu tun haben.
Fünfzehn Jahre verabscheute ich die Belgier und mißtraute
ihnen, und plötzlich hatte ich eine Menge mit Belgiern zu tun,
ohne daß ich mich darum bemüht hätte, und eigentlich sehr gegen
meinen Willen. Ein estnischer Angestellter hatte Fernunterricht im
Verbrechen genommen, indem er die amerikanischen
Detektivzeitschriften las und Gangsterfilme besuchte, und hatte
230

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ damit gute Erfolge erzielt, bis er den albernen Mißgriff beging,
meinen Namen auf dem Scheck an eine Bank zu fälschen, bei der
ich kein Konto hatte. Dadurch erfuhr ich von seiner Tätigkeit,
doch vorher war es ihm gelungen, mir allerlei Verpflichtungen
gegen eine belgische Firma aufzuladen, in meinem Namen Geld
einzukassieren und mich in eine Patsche zu bringen, die mich
wahrscheinlich teuer zu stehen gekommen wäre, wenn die Belgier
auf ihr Recht gepocht hätten, was ich eigentlich von ihnen
erwartete. Aber als ich ihnen den Fall erzählte, stornierten sie
ihren Kontrakt und schnitten mir nicht den Hals ab. Ja, wenn ich
nicht darauf bestanden hätte, sie schadlos zu halten, wären sie
bereit gewesen, einen großen Teil des Verlustes zu tragen, der
sowohl moralisch wie auch gesetzlich auf mich fiel. Niemand hätte
billiger oder großzügiger vorgehen können. Nachdem ich fünfzehn
Jahre den Belgiern mißtraut hatte, werde ich hoffentlich noch so
lange leben, daß ich dies durch weitere fünfzehn Jahre bedauern
kann.
Die Seidenhändler Chinas, die gleichzeitig auch Weber sind,
repräsentieren wahrscheinlich den ältesten Geschäftszweig im
Lande, wenn nicht überhaupt auf der Welt, denn sie webten und
verkauften Seide schon tausend Jahre oder noch länger vor Christi
Geburt und üben ihre Tätigkeit ohne Unterbrechung aus. Die
Qualität ihrer Erzeugnisse ist immer sehr hoch gewesen. Die
Japaner erzeugten Exportseide kaum zehn Jahre, als sie von den
Ausländern schon lernten, wie man dem Produkt künstlich ein
Mehrgewicht verleiht, so daß es heute eine wirklich reine
japanische Seide gar nicht gibt. Die Chinesen hatten genau
dieselbe Gelegenheit, derartige Kniffe zu erlernen und
anzuwenden, doch machten sie nie davon Gebrauch. Jeder
chinesische Seidenhändler freut sich, wenn er einem die
Fehlerlosigkeit seines Erzeugnisses dadurch zeigen kann, daß er
ein Stückchen abschneidet und in einer Untertasse verbrennt.
Reine Seide ist das einzige Material, das von der Flamme gänzlich
verzehrt wird und keine Spur von Asche hinterläßt. Wenn auch nur
die kleinste Verfälschung vorliegt, zeigt sich Asche. Da die
chinesische Seide rein ist und die Chinesen dieser Reinheit
231

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ vertrauen, wird die Seide nach dem Gewicht und nicht nach der
Länge verkauft. In allen guten Läden ist das Feilschen verpönt,
gewöhnlich hängt ein Schild in dem Laden mit der Aufschrift:
`Fixe Preise. Wir betrgen weder jung noch alt."
Auch die Silberschmiede üben ein sehr altes Handwerk aus und
sind in einer mächtigen Zunft mit strengen Satzungen
zusammengeschlossen. jedes Stück Silberware trägt die Marke des
Ladens, in dem es hergestellt wurde, und diese Marke wird in
China mit ebenso viel Hochachtung betrachtet wie die Aufschrift
einer geprägten Münze. Sie garantiert die Reinheit des Metalls und
ist gleichzeitig die bedingungsloseste und großzügigste
Rückkaufbürgschaft, die jemals ein Erzeuger irgendeines Landes
für seine Waren gegeben hat. Wie alt oder zerbeult das Stück auch
sein mag, der Silberschmied kauft es immer wieder mit einem
geringen Abzug vom ursprünglichen Preis zurück. Die Häuser
wohlhabender Chinesen sind voll mit silbernen Gefäßen und
Büchsen, die man nicht nur deshalb kauft, weil man sie für sehr
schön hält, sondern weil man sie auch jederzeit wieder zu Bargeld
machen kann.
Andere Geschäftszweige erfreuen sich jedoch keiner so hohen
Moral. Aus Gründen, für die ich noch keine befriedigende
Erklärung gehört habe, bauen die Chinesen nicht für die Dauer,
wie wir diesen Begriff auffassen. Obwohl viele ihrer Tempel und
Paläste großen Eindruck machen, sind sie nicht so fest, wie sie
aussehen, und überleben nur selten den Enkelsohn des Erbauers.
Dies galt sogar in der Zeit, da guter Baustein in Mengen zur
Verfügung stand. Die Hohlziegelmethode des Bauens, die im
allgemeinen als moderne Einführung betrachtet wird, war schon
vor Jahrhunderten in China gebräuchlich, wurde jedoch nicht zur
Verbesserung der Baumethoden angewandt. Ihr einziger Zweck
bestand darin, an Stelle eines dicken Ziegels zwei dünne zu
nehmen und dadurch einem zarten Bau das trügerische Aussehen
der Massigkeit zu geben, woran der Baumeister nur profitierte.
Diese Feststellung unterliegt jedoch einer Ausnahme. Auch
moderne Architekten würden nur schwer an dem Entwurf oder an
der Bauart der Großen Mauer etwas auszusetzen haben, die auch
232

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ heute noch nach mehr als zweitausend Jahren der Sonnenhitze, des
Frostes und der Erschütterung durch Erdbeben feststeht. Aber
dieses große Bollwerk wurde von einem militärischen Genie zum
Schutz gegen barbarische Horden errichtet. Die Gefahr war
wirklich, und zarte Mauern hätten keinen Dienst getan. Hundert
Generationen von Baumeistern haben die Große Mauer studiert
und bewundert, aber kein einziger hat je versucht, sie
nachzuahmen. Wenn man ihnen nicht ständig und sachkundig auf
die Finger sieht, verwenden sie das billigste Material, dessen sie
habhaft werden können, und betrügen einen sogar bei der Menge,
falls sich ihnen die Möglichkeit dazu bietet. Sie verdecken ihre
schlampige Arbeit mit viel vortrefflich ausgeführtem Gipsverputz.
Die Tatsache, daß sie nicht das ganze minderwertige Material
verstecken können, hält sie nicht von dessen Verwendung ab.
Außer bei ein paar modernen Bauten, die unter strenger
ausländischer Aufsicht hergestellt wurden, sieht man in ganz
China kein einziges Fenster mit tadellosen Scheiben. Die
ausländischen Fensterglasfabriken finden in China Absatz für das
schadhafte Glas, das sie anderswo nicht verkaufen können, und in
der Glasbranche heißt dies sogar `China-Qualitt".
Ein Architekt in Shanghai zeigte einmal einem chinesischen
Baumeister eine Abbildung des Empire State Building und fragte
ihn scherzhaft, was er dazu sagen würde, wenn er den Auftrag für
eine solche Arbeit bekäme. `Wie prchtig", sagte der Baumeister,
der ebenfalls Humor hatte. `Wie prchtig! Ich könnte ein ganzes
Stockwerk weglassen, und niemand würde es bemerken!" Ohne
Zweifel gäbe es, wenn nach festgebauten Häusern und nach
öffentlichen Bauten Nachfrage bestanden hätte, die Jahrhunderte
überdauern, auch in der Baumeisterzunft eine hohe Moral, aber
derlei Anforderungen wurden nie gestellt, ja eigentlich von den
Herrschern nicht gerne gesehen, denn sie beschränkten die Größe
und die Pracht der Bürgerhäuser, wie reich deren Besitzer auch
sein mochten.
Die neueren Berufe, wie zum Beispiel die Journalistik und der
Exporthandel, haben noch keinen nennenswerten ethischen Kodex
ausgebildet. Auch die chinesische Manufaktur folgt fast
233

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ unvermeidlich einem circulus vitiosus. Der Erzeuger beginnt mit
neuer Einrichtung, liefert ein gutes Produkt und erzielt lebhaften
Absatz für seine Ware. Wenn ihm dies gelungen ist, kann er
offenbar der Versuchung, minderwertiges Material zu verwenden,
nicht mehr widerstehen - die Qualität seines Produktes wird
schlechter, der Verkauf sinkt, das Geschäft geht zurück. Dann
kauft jemand ihn auf, beginnt von neuem und macht denselben
Kreislauf durch. Ich habe Dutzende Beispiele dafür in der
Zigarettenbranche gesehen. Die meisten Zigaretten in China
werden von einer britischen Gesellschaft erzeugt, die so groß ist,
daß sie beinahe Monopolstellung einnimmt. Dies macht es einem
Chinesen ziemlich leicht, eine Fabrik in Betrieb zu setzen, ein
wenig Geschrei über einheimische Zigaretten an Stelle der
britischen zu erheben und so ein gewinnbringendes Produkt auf
den Markt zu werfen. Sobald er dies erreicht hat, glaubt er, seinen
Profit sehr vermehren zu können, indem er ein wenig billigeren
und schlechteren Tabak verwendet. Die Raucher brauchen einige
Zeit, bis sie die Veränderung der Qualität bemerkt haben, und von
der Tatsache ermutigt, daß die Verschlechterung der Zigaretten
den Verkauf nicht beeinträchtigt hat, ergreift der Erzeuger weitere
Sparmaßnahmen. Dann findet er eines Tages, daß seine
Zigarettensorte nicht mehr gekauft wird, und jetzt ist es zu spät,
den Schaden gutzumachen. Heute gilt es schon als
selbstverständlich, daß keine einzige von einer chinesischen
Fabrik erzeugte Zigarettenmarke länger als ein paar Jahre im
Handel bleiben kann.
Der chinesische Fabrikant ist auch ein plumper und schamloser
Nachahmer von Schutzmarken. Sobald eine ausländische Ware,
die leicht herzustellen ist, in China guten Absatz findet, erzeugen
schon mehrere Chinesen eine Ware in ähnlichen Packungen und
mit ähnlichem Markennamen. Einmal propagierten wir eine
Pomade, die das Haar niederpreßte, so daß die Köpfe aussahen wie
lackiert. Dieses Zeug wurde gut verkauft, denn damals war es noch
nicht Mode, daß die Chinesen ihr Haar kurz scheren ließen wie
Soldaten oder Mönche, und das Haar der Chinesen ist zumeist
rauh und widerspenstig. In wenigen Wochen gab es schon eine
234

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Nachahmung auf dem Markt, und jeden Monat gab es zumindest
eine weitere. Schließlich sammelten wir sie wie Briefmarken.
Einmal hatten wir einundzwanzig, aber einige seltene Sorten
waren uns nicht zugänglich gewesen.
Diese Nachahmungen sind geeignet, einen zu verärgern, doch
vermochte ich nie so ungeheuere moralische Entrüstung darüber
zu empfinden wie meine Klienten, denn eine solche Nachahmung
kann niemanden täuschen. Genau genommen weiß ich gar nicht,
ob sie überhaupt allzu sehr darauf berechnet ist, jemanden zu
täuschen. Vielleicht werden viele Sorten von den chinesischen
Erzeugern nur deshalb so aufgemacht, weil die Leute nicht fähig
sind, etwas Originelles und Eigenes zu ersinnen. In jeder Stadt des
Yangtzetales findet man zahlreiche Läden, die
Taschenlampenbatterien verkaufen. Verlangt man nun von dem
Händler eine ziemlich bekannte amerikanische Marke, gibt er sie
einem; findet man aber den Preis zu hoch, bietet er einem sogleich
eine andere Batterie an, die den gleichen Namen und oft auch eine
genau nachgeahmte Schutzmarke führt, wobei er einem erklärt,
daß er diese Ware billiger verkaufen könne, weil sie eine
Nachahmung sei. Es ist nicht leicht, einen ganz neuen Entwurf für
eine Packung zu finden. Das entdeckten auch die Väter Amerikas,
als sie versuchten, eine Fahne zu entwerfen, die die einzelnen
Fahnen der dreizehn Kolonien ersetzen sollte. Die endgültige
Form der Fahne erwies sich als genaue Kopie der Fahne der
Ostindischen Kompanie, nur fügten meine Vorfahren zwei weitere
Streifen hinzu. Wenn irgendein Fabrikant heute die Schutzmarke
seines Konkurrenten ebenso skrupellos nachmacht, wie es die
alten Amerikaner mit der Flagge der Ostindischen Kompanie taten,
würde er unzweifelhaft wegen Vergehens gegen den
Markenschutz verurteilt werden. Die Tatsache, daß die
handeltreibenden Yankees jener Tage dem britischen
Kommerzmonopol die heftigste Konkurrenz machten, legt den
vielleicht unpatriotischen Gedanken nahe, daß die Ähnlichkeit der
beiden Flaggen kein bloßer Zufall gewesen sein mag.
Jeder scharfe Beobachter, der Shanghai besucht, muß zu der
Ansicht gelangen, daß das Barbiergewerbe hier sehr gut geht und
235

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ sehr durchorganisiert ist, denn von den Hunderten Läden tragen
neun Zehntel den Namen `Excelsior" und sind also offenbar
Glieder einer gewaltigen Kette. Aber die Verbindung zwischen
den einzelnen Lden besteht lediglich in der Gleichheit des
Namens, denn jeder Laden ist individuelles Eigentum und wird
individuell geführt. Einer der ersten nach amerikanischer Art
geführten Friseurläden, die aufkamen, als die Chinesen im Jahre
igt2 begannen, sich den Zopf abzuschneiden, wurde von einem
chinesischen Friseur aus San Francisco eröffnet, der dort in einem
Lokal namens `Excelsior" gearbeitet hatte. Darum nannte er auch
seinen Laden so, und als spterhin andere Lokale eröffnet wurden,
ahmten die Konkurrenten sein Geschäftsschild nach. So ging es
Jahr für Jahr, und heute sieht ein Friseurladen, der nicht diese
Aufschrift hat, schon sonderbar aus.
Der chinesische Fabrikant imitiert zwar auf recht plumpe Art
ausländische Marken und Packungen, fälscht sie aber nur selten,
ungleich dem japanischen, der in dieser Kunst Meister ist. Die
japanische Imitation wohlbekannter Marken war schon vor vierzig
Jahren ein übelriechender Skandal und stinkt heute genau so. Das
Zentrum dieser Tätigkeit ist von Yokohama und Kobe nach Dairen
verlegt worden. Dort kann man Imitationen jeder bekannteren
Marke schottischen Whiskys oder englischen Gins in Flaschen
kaufen, deren Etiketten den Originalen so geschickt nachgebildet
sind, daß sie niemand von den echten unterscheiden kann.
Wahrscheinlich werden in einem halben Jahrhundert auch die
chinesischen Zeitungsherausgeber und Reklameagenten eine
Geschäftsmoral angenommen haben, die ebenso hoch steht wie die
der Seidenweber und der Silberschmiede des Landes, aber bis jetzt
liegen für eine solche Prophezeiung noch keinerlei Anhaltspunkte
vor. Die Zahlen der Zeitungsauflagen werden ebenso kraß
übertrieben, wie das in Amerika geschah, bevor die gesetzlichen
Bestimmungen die Herausgeber sehr gegen deren Willen zur
Aufrichtigkeit zwangen. Da wir das Geld unserer Klienten zumeist
für die Ankündigung in chinesischen Zeitungen verwenden, ist die
Auflagenhöhe von großer Wichtigkeit für uns. Weil wir keine
genauere Methode kennen, müssen wir verschiedene Umwege
236

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ einschlagen, um uns über die Verbreitung eines Blattes ein Bild zu
machen. Die eine Methode nennen wir die `Surenprobe", und viele
chinesische Zeitungsleute hätten es gerne gesehen, wenn die
erwähnte Säure mir die Augen ausgebrannt hätte, ehe es mir
möglich gewesen wäre, ihre falschen Daten richtig zu stellen.
Wir kündigen keine freien Musterpackungen an, sondern geben
den Lesern der chinesischen Zeitungen oft die Gelegenheit, uns
fünf bis zehn Cent in Briefmarken einzusenden, wofür wir ihnen
Musterpackungen von Reinigungscreme, Coldcream,
Toilettenseife oder Pulvern gegen Kinderkolik geben. Jedem
solchen Brief muß ein aus der Zeitung geschnittener Kupon
beiliegen, und aus der Menge der eingesendeten Kupons können
wir uns ein halbwegs genaues Bild davon machen, wieviel Leute
dieses oder jenes Blatt lesen.
Einmal konnten wir auf diese Art eine Publikation feststellen,
die ohne Zweifel für alle Zeiten den Weltrekord halten wird, denn
die wirkliche Verbreitung dieses Blattes war null. Es handelte sich
um eine sehr hübsch gedruckte Monatsschrift, die nach der
angegebenen Zahl dreißigtausend Leserinnen hatte. Die dicken
Blätter waren voll mit Annoncen. Unserem Kunden gefiel das sehr
gut, denn das Juliheft erschien wirklich im Juli und nicht, wie es
bei vielen chinesischen Monatsschriften üblich ist, im Herbst. Oft
fällt es uns schwer, den New Yorker und Londoner
Steuerbehörden begreiflich zu machen, daß wir den Betrag für eine
Ankündigung in einem Juliheft deshalb in unsere
Septemberrechnung nicht aufgenommen haben, weil dieses Heft
noch nicht erschienen ist. Nun schlug einer unserer Klienten eine
Annonce in der oben erwähnten Publikation vor, und wir
schalteten eine ganzseitige Ankündigung ein, die den
dreißigtausend Damen eine große Musterpackung
Reinigungscreme für fünf Cent in Briefmarken versprach. Als
diese Ankündigung schon durch drei Monate erschienen war, ohne
daß eine einzige der dreißigtausend Damen Neugier nach unserem
Präsent gezeigt hätte, dachten wir, daß hier etwas nicht stimmen
könne, und gingen der Sache nach, wobei wir entdeckten, daß
allmonatlich nur soviel Exemplare der Zeitschrift hergestellt
237

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ wurden, wie für Belegsendungen nötig waren. Und das war noch
nicht alles. Der redaktionelle Teil dieser Zeitschrift änderte sich
nie, sondern war Monat für Monat der gleiche Text, und zwar
überhaupt so lange, wie wir es feststellen konnten. Änderungen
ließen sich nur im Annoncenteil und im Datum auf dem Titelblatt
finden. Und selbst das war nicht alles. Der Text, der Monat für
Monat und Jahr für Jahr abgedruckt wurde, bot nicht das geringste
Interesse für Frauen, aber auch nicht für Männer, denn er bestand
aus einem Nachdruck uralter Shanghaier Zeitungsspalten. Die
Herausgeber bewarben sich nur bei Ausländern um Annoncen und
nahmen mit Recht an, daß der Inhalt ihrer Zeitschrift gleichgültig
sein werde, da die Fremden doch nicht chinesisch lesen könnten.
Sie änderten jeden Monat die Farbe des Umschlages, und das war
alles. Diese Zeitschrift erscheint noch immer und macht gute
Geschäfte, und gelegentlich schreiben uns Kunden aus der Heimat,
alle ihre Konkurrenten kündigten in dieser Zeitschrift für
dreißigtausend Damen an, und daher dürften wir wohl bei unserer
Propaganda ein wertvolles Organ übersehen haben.
Am dunkelsten werden jedoch die Wege des chinesischen
Geschäftslebens im Gewerbe der Exporteure. Die Chinesen sind
nicht die einzigen Leute, die es als gewinnbringend erkannt haben
und als verhältnismäßig leicht, auf dem Exportmarkt Waren zu
verkaufen, die strengeren Anforderungen nicht standhalten, und
sie fühlen sich sicher in dem Wissen, daß die Täuschung erst dann
entdeckt werden wird, wenn in irgendeinem fernen Hafen die
Waren unter Umständen ausgepackt werden, die es schwer
machen, die Schuld einer bestimmten Person festzustellen. Die
aggressiven Verkaufsmethoden, zu denen Sir Thomas Lipton seine
Zuflucht nahm, verlegten das Ziel der großen englischen
Nachfrage von China nach Indien, aber das wäre nicht möglich
gewesen, oder er hätte keinen so leichten Erfolg haben können,
wenn die Chinesen die Qualität des von ihnen ausgeführten Tees
aufrechterhalten hätten. Statt dessen ließen sie sich von der
Aussicht auf leichten Gewinn verleiten. Es herrschte große
Nachfrage nach chinesischem Tee, und die Lieferanten sahen, wie
leicht es war, minderwertigen oder ungenügend gepflegten Tee zu
238

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ verkaufen. Zu derselben Zeit, da die chinesischen Teehändler die
Qualität des chinesischen Tees herabdrückten und so dessen
Ansehen schädigten, taten die britischen Baumwollhändler
desgleichen mit den Erzeugnissen der Manchester-Webereien.
Britische Baumwollstoffe waren immer in China mit einer
bestimmten Handelsmarke eingeführt worden, und manche dieser
Marken wurden berühmt und allgemein beliebt. Dann errichtete
man in China und Japan zahlreiche Webereien und unterbot die
Preise Manchesters. Die britischen Erzeuger begegneten dieser
Konkurrenz durch Herstellung eines minderwertigen Gewebes, das
sie unter der alten Marke verkauften. Dies ging so durch ungefähr
dreißig Jahre und hatte zur Folge, daß heute eine britische
Schutzmarke auf Baumwollwaren, abgesehen von einigen
Ausnahmen, höchst geringen Wert hat und daß es dem britischen
Baumwollzeug-Export nach China ebenso ergeht wie dem
chinesischen Tee-Export nach Großbritannien.
Die große chinesische Bohne, im Handel als`Pferdebohne`
bekannt, ist das bescheidenste Mitglied der Bohnenfamilie. Sie
gedeiht auf einem Boden, in dem Wurzel zu schlagen ihre
aristokratischeren Verwandten sich schmen würden, und liefert
reiche Ernten einer Frucht, die zwar eßbar und nahrhaft, aber so
derb ist, daß kein Mensch sie genießt, wenn ihn nicht der
grimmigste Hunger dazu treibt. Als Exportware hat diese
Pferdebohne eine sehr eigenartige Bestimmung. Sie wird in
Kohlenbergwerks-Gebiete versendet und dient dort als Nahrung
der unglücklichen Tiere, der Grubenpferde, die ihr Leben in der
Dunkelheit der Bergwerksstollen verbringen. Aus unbekannten
Gründen ist die chinesische Pferdebohne das Lieblingsfutter der
Grubenpferde in der ganzen Welt, erhält diese armen Tiere in
erträglichem Gesundheitszustand und verlängert ihnen das Leben.
Der Bohnenexporteur, der mir das erzählte, behauptete, diese
Hülsenfrüchte enthielten das D-Vitamin, das in einem gewissen
Maß den Mangel des Sonnenlichtes ersetzt.
Da diese Bohne wie Unkraut wächst und sich vermehrt, ist sie
unglaublich wohlfeil. In Hankau liegt das Zentrum des
Bohnenbaues, und dort kostet sie nicht mehr als ein paar
239

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Kupferstücke das Pfund. Tatsächlich dürfte sie wohl das billigste
Nahrungsmittel sein, das im Welthandel bekannt ist, und es
erscheint unmöglich, daß es Gewinn bringen könnte, diese Bohne
zu verfälschen, aber mein Freund, der Exporteur, mußte andere
Erfahrungen machen. Nachdem er mehrere Jahre Bohnen
ausgeführt hatte, gingen ihm eines Tages Beschwerden darüber zu,
daß die Bohnen einer bestimmten Ladung mit Lehm schwerer
gemacht worden seien und daß alle Säcke kleine
Schlammklumpen enthalten hätten. Dies war ihm ein Rätsel, denn
vor der Verladung hatte man die Säcke wie üblich untersucht, und
sie hatten allem Anschein nach nichts anderes enthalten als gute
getrocknete Bohnen und nicht mehr Mist und Staub, als bei einer
billigen Ware dieserArt üblich ist.
Dennoch war jetzt sein Verdacht geweckt worden, und er
untersuchte persönlich und sehr genau einige Säcke mit Bohnen,
die auf die Verladung warteten. Anfangs schien alles in Ordnung
zu sein. Wenn ein Sack geöffnet und der Inhalt auf den Boden des
Lagerhauses geschüttet wurde, waren scheinbar nur getrocknete
Bohnen zu sehen. Aber eine sorgfältigere Prüfung zeigte, daß ein
paar Bohnen entzweigebrochen waren, und das war verdächtig,
denn eine gute Bohne bricht niemals. Nun wurden die einzelnen
Bohnen genau besichtigt. Mein Freund war ein alter Hase im
chinesischen Exportgeschäft, stand aber jetzt vor einer neuen und
fast unglaublich seltsamen Tatsache. Auf ungefähr zwanzig
richtige Bohnen kam eine in der Sonne getrocknete Nachahmung
aus Lehm. An Form, Farbe und Gewicht glich sie den Bohnen
genau. Der Schwindel war wohl nur deshalb aufgekommen, weil
durch ein Mißgeschick ein paar Säcke mit Bohnen so gründlich
durchnäßt wurden, daß sich die Lehmkügelchen wieder in den
ursprünglichen Yangtzeschlamm verwandelten, aus dem sie
geformt worden waren.
Mit Schrecken erkannte er, daß er durch Jahre diese Bohnen
ausgeführt hatte und daß seine Kunden, die ihm Vertrauen
schenkten, schon viele Tonnen Yangtzeschlamm erhalten haben
mußten. Tobend vor Zorn betätigte er sich nun als
Amateurdetektiv. Dank seinen unermüdlichen Anstrengungen,
240

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ zum Teil auch dank einem glücklichen Zufall entdeckte er bald in
der Nähe Hankaus eine Lehmbohnenfabrik. In einer Unzahl
hölzerner Formen wurden aus dem Flußschlamm Bohnen erzeugt
und in der Sonne getrocknet. Der Zwischenhändler, der dem
Exporteur die Bohnen lieferte, kaufte diese Lehmbohnen zu einem
ganz niederen Preis und vermischte sie, soweit es sein Gewissen
und seine Vorsicht nur zuließen, mit den wirklichen. Das war ein
gewinnbringendes Geschäft, und niemand hatte einen Schaden
davon, wenn man von den Grubenpferden absieht.
Nachdem der Exporteur den Trick enthüllt hatte, fand er nur
geringen Anlaß zur Freude, denn sein Geschäft war die Ausfuhr
von Bohnen, nicht die Arbeit eines Detektivs, und er war jetzt
genau so hilflos dem Schwindel preisgegeben wie bisher. Die
Lehmbohnen gleichen den wirklichen Bohnen haargenau an Form,
Größe, Gewicht und Farbe. Man hätte die beiden Arten nur durch
eine Prüfung jeder einzelnen Bohne unterscheiden können, und
das wäre viel zu mühsam gewesen. Da kam ihm ein Gedanke, der
sich für die Lehmbohnenindustrie vernichtend auswirkte, aber den
Grubenpferden alle Vitamine verschaffte, für die die
Bergwerksleitungen zahlten. Er ließ in seinem Lagerhaus ungefähr
fünfzehn bis zwanzig Fuß über dem Boden eine kleine Plattform
zimmern. Als er die nächste Bohnensendung erhielt, wurden die
Kulis angewiesen, die Ware auf diese Plattform abzuladen, die
Säcke zu öffnen und den Inhalt auf den Zementboden
hinabzuschütten. Wie erwartet, hielten die echten Bohnen diese
Behandlung aus, während die nachgeahmten zerbrachen. Es
bedeutete einen großen Gesichtsverlust für den Zwischenhändler,
als nun die zerbrochenen Bohnen weggefegt und die
Bestimmungen des Kontraktes geändert wurden, und die
Lehmbohnenfabrik mußte ihre Pforten schließen. Soweit wir
wissen, bekommen die Grubenpferde schon seit Jahren keine
Lehmhülsenfrüchte mehr zu fressen, aber der Exporteur hat seine
Holzplattform noch immer nicht entfernen lassen, und dann und
wann werden auch heute ein paar Säcke mit Bohnen auf den
Boden geleert, eigentlich nur der moralischen Wirkung und des
Spaßes halber.
241

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Als im sechsten Jahrhundert vor Christus der große Reformator
Confucius zum Gouverneur einer kleinen Stadt in der heutigen
Provinz Shantung ernannt wurde, erließ er verschiedene
Vorschriften, die den Zweck hatten, ehrenhafte Geschäftssitten zu
fördern. So durften zum Beispiel Bauern, die ihr Vieh zum Markt
trieben, die Tiere unterwegs nicht tränken, damit das Gewicht
nicht größer werde. Auch die Kaufleute mußten die falschen
Waagen und Gewichte, die sie in Verwendung hatten, entfernen
und alle Waren auf normalisierten Waagschalen abwägen. Die
Geschichte erwähnt diese Neuerungen, ohne zu berichten, wie
lange sie wirksam waren, doch da in den darauffolgenden
fünfundzwanzig Jahrhunderten die Gewichte und Maße viele Male
reformiert wurden, können wir annehmen, daß jede dieser
Reformen nur kurzlebig war und einer baldigen Neuerung
bedurfte.
Gewiß war zu derzeit, da China vor weniger als einem
Jahrhundert dem ausländischen Handel geöffnet wurde, eine Pinte
nicht immer eine Pinte und auch ein Pfund nicht notwendigerweise
ein Pfund. Jedes Maß und Gewicht richtete sich nach den
Wünschen seines Eigentümers und nach den Erfordernissen seines
Nutzens. Britische Kaufleute, die Pioniere im Handel mit China,
bestanden darauf, genau zu erfahren, was sie kauften und was sie
verkauften, und das Ergebnis war eine Reihe von
Handelsverträgen, die mit ihren Begriffsdefinitionen der
englischen Unzen, Pinten und Inches gesetzliche Maße und
Gewichte in China erst einführten.
Dies beschränkte den chinesischen Händler in seinen
Geschäften und verschüttete ihm eine Quelle sicheren und leichten
Gewinns, an die er sich gewöhnt hatte, doch fand er schon nach
kurzer Zeit, daß man auf eine andere Art, nämlich mit nicht gerade
falschen, aber ein wenig übertriebenen Rechnungen die gleichen
Ergebnisse zeitigen kann. So wird zum Beispiel das Papier vom
Fabrikanten pfundweise gekauft, wird aber in Ballen verkauft, und
wenn eine Rechnung dreiundvierzig Pfund als Gewicht für einen
Ballen Plakatpapier angibt, werden sich nur wenige Leute die
Mühe nehmen, den Ballen zu wägen, wobei sie sehen könnten, daß
242

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ der Ballen neununddreißig Pfund wiegt. Wenn die Plakate einmal
gedruckt sind, ist es schon unmöglich, das ursprüngliche Gewicht
des Papiers festzustellen.
Falsche Gewichtsangaben sind bei Papiergeschäften schon so
allgemein, daß sich nur noch der Anfänger täuschen läßt. Wir
wissen, daß sechzehn Pfund Papier in Wirklichkeit nur vierzehn
Pfund sind, daß dreiundvierzig Pfund Plakatpapier neununddreißig
Pfund bedeuten, daß hundertdreißig Pfund Zeichenpapier keine
Unze schwerer sind als hundertzehn Pfund. Wir wissen, daß dies
so ist, ungeachtet der Tatsache, daß der Drucker immer die
Rechnung einer sehr angesehenen ausländischen Firma vorweisen
kann, worin scheinbar bewiesen ist, daß die Ware das angegebene
Gewicht hat. Dieses Beliefern chinesischer Händler mit falschen
Rechnungen ist in allen Ländern ziemlich verbreitet und bezieht
sich auf viele Warenbranchen, nicht nur auf das Papiergeschäft. In
den meisten Fällen ist die Schuld des ausländischen Importeurs
recht schwer zu erkennen und unmöglich zu beweisen. Er weiß
gewöhnlich, daß derartige Dinge in seinem Kontor geschehen, hat
aber keine Ahnung von den Einzelheiten, denn die werden von
seinen chinesischen Angestellten besorgt, und er kann mehr oder
minder wahrheitsgetreu erklären, daß er mit der Sache nichts zu
tun habe.
Vor kurzer Zeit besprach ich mit einem ausländischen Importeur
das Problem dieser falschen Rechnungen und er sagte mir, er habe
nicht nur niemals selbst eine falsche Rechnung ausgestellt,
sondern auch allen seinen chinesischen Untergebenen strenge
Weisung erteilt, dies zu unterlassen. `Da mssen Sie ja viel
Geschäftsverbindungen verloren haben", erklärte ich mitfühlend.
`Ich habe keinen einzigen Cent Verlust", versicherte er mir. `Wenn
wir einem chinesischen Hndler Waren verkaufen, geben wir ihm
ein paar unausgefüllte Rechnungsformulare, und die kann er dann
nach Belieben verwenden."
243

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ ACHTZEHNTES KAPITEL
John Bull und Onkel Sam als
Exporteure
Wenn ein Exportdirektor nach China kommt, um
irgendeinem verläßlichen Agenten die Vertretung seiner
Waren zu übertragen, ist er zumeist ziemlich entsetzt
über den Mangel an Begeisterung, mit dem man seinen
Vorschlägen begegnet. Natürlich hat er, wenn seine Ware schon
lange Zeit auf dem Markte ist und sich gut verkauft, die
Möglichkeit einer großen Auswahl von Agenten, ist aber seine
Firma unbekannt, bereitet es ihm zumeist eine große
Enttäuschung, wenn er erfahren muß, wie restlos unbekannt sie ist
und wie wenig Neugier danach herrscht. Shanghai, wo der größte
Teil des chinesischen Auslandhandels konzentriert ist und wo die
meisten Agenten ihren Sitz haben, ist eine große und lebhafte
244

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Stadt, aber merkwürdig blasiert. Douglas Fairbanks, Charlie
Chaplin und Oberst Lindbergh, gar nicht zu reden von unzähligen
britischen Lords, amerikanischen Senatoren und europäischen
Prinzen, haben die Stadt besichtigt und sind durch unsere
Geschäftsbezirke gegangen, ohne daß es Verkehrsstockungen
gegeben hätte. Wenn hohe amerikanische Regierungsbeamte
Shanghai besuchen, muß die hiesige amerikanische
Handelskammer den Lokalpatriotismus zur Weißglut anfachen,
damit dem Manne überhaupt Aufmerksamkeit geschenkt werde.
Wenn dies nicht geschähe und dem Besucher nicht solche
künstliche Ehren widerführen, würden wohl die meisten derartigen
Würdenträger Shanghai mit dem Gefühl verlassen, daß die
amerikanische Kolonie für menschliche Größe merkwürdig wenig
übrig hat. Ähnlich liegt der Fall bei unseren britischen Nachbarn,
aber die britischen Notabeln scheinen sich mit weniger greller
Beleuchtung zu begnügen. Das ist auch gut so, denn ihre
Landsleute sind nicht so geschickt wie wir, wenn es sich darum
handelt, Massenwirkungen künstlicher Begeisterung und gut
durchorganisierte lärmende Gastfreundschaft in Szene zu setzen.
Offenbar regen wir uns deshalb nicht über Fremde auf, weil die
Vertreter aller Nationen der Welt täglich in unsere Stadt kommen.
Doch haben wir viel für unsere kleinen Lokalheroen übrig, und aus
diesem Grunde scheint der Shanghaier Importeur an den alten
Vertretungen, die er schon hat, viel mehr interessiert zu sein als an
den neuen, die ihm angeboten werden. Wahrscheinlich hat schon
jeder Fabrikant der Welt irgendeinmal versucht, in Shanghai einen
Vertreter zu gewinnen, und es gibt hier nicht genug Vertreter für
eine solche Nachfrage. Das hat zur Folge, daß es der Erzeuger
eines in China neuen Produktes gar nicht leicht hat, einen
tüchtigen Vertreter in Shanghai zu finden, und daß er nach einem
solchen so lange suchen muß, daß er gewöhnlich erst nach
Wochen jemanden findet. Während er nach China reist, bildet er
sich ziemlich deutliche Ideen über die Eigenschaften, die er von
seinem Vertreter fordern möchte, gewöhnlich aber nimmt er dann
den ersten, den er dazu beschwatzen kann und der irgendwie
akzeptabel ist. Dies gilt für alle Fabrikanten, wenn es sich aber um
245

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ einen Amerikaner handelt, sind die Agenten ein wenig spröder als
bei Engländern oder Deutschen, denn die amerikanischen
Fabrikanten haben einen Ruf, der manches zu wünschen übrig
läßt.
Vor ein paar Jahren ging einer der lokalen Verkaufsagenten
einer großen Shanghaier Importfirma zu seinem Chef und legte
ihm einen Plan vor, der nach seiner Ansicht den Verkauf der
amerikanischen Automobilreifensorte, die die Firma vertrat,
gewaltig heben mußte. Der Chef lauschte ihm aufmerksam und
überzeugte sich davon, daß dieses Verkaufsprogramm Erfolg
versprach. Dann ließ er sich die Verkaufslisten der Ware geben,
studierte sie sorgfältig und faßte seinen Entschluß.
`Nein," sagte er, `wir machen mit diesem Artikel gerade soviel
Geschfte, wie uns erwünscht ist. Wenn wir Ihren Vorschlag
durchführen und den Verkauf heben, was gewiß der Fall wäre,
würden wirwahrscheinlich die Vertretung verlieren. Der Fabrikant
wird sehen, wieviel Geschäfte wir ihm bringen, und zu dem
Schluß kommen, daß er mehr Geld verdienen kann, wenn er uns
die Agentur wegnimmt und hier eine Zweigstelle errichtet. Darum
soll es so weitergehen wie bisher, und wir dürfen den Leuten
keinen enthusiastischen Brief schreiben und ihnen nichts von den
großen Möglichkeiten sagen, die es auf dem chinesischen Markt
für sie gäbe."
Der Mann hatte recht. Als der Verkauf immer weiter stieg, kam
nach ein paar Jahren ein smarter Jüngling aus Akron, kündigte der
Agentur den Vertrag auf und etablierte eine Filiale der
amerikanischen Firma. Da fast alle Agenturverträge dem
Fabrikanten die Möglichkeit geben, den Vertrag ohne
Entschädigung aufzulösen, haben die Agenten von solchen
Geschäftsbeziehungen zumeist nur die bittere Genugtuung, daß sie
für den von ihnen Vertretenen große Geschäfte gemacht und die
Agentur durch ihre eigene Tüchtigkeit verloren haben. Ich habe
gesehen, wie mindestens einem Dutzend Agenturen die Vertretung
wichtiger amerikanischer Firmen auf solche Art entzogen wurde,
offenbar aus keinem anderen Grunde als deshalb, weil der
Erzeuger glaubte, so seinen Gewinn vermehren zu können. In den
246

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ meisten Fällen waren die guten chinesischen Geschäfte, die er
übernahm, ausschließlich auf die Bemühungen des Agenten
zurückzuführen, und dessen Erbitterung beim Ende des
Agenturvertrages läßt sich leicht vorstellen.
Trotzdem scheint es sich nicht in allen Fällen um ein so
kaltblütiges und undankbares Vorgehen zu handeln, wenn
Filialstellen in Shanghai eröffnet werden. Es ist wirklich
bemerkenswert, wieviel Eitelkeit in anerkannt tüchtigen
Geschäftsleuten wohnen kann. Aber auch wieviel Romantik. Und
so ist entweder die Eitelkeit oder die romantische Vorstellung, daß
das Geschäftsleben ein Abenteurerroman sei, der Grund, warum
man oft in allen Teilen der Welt kostspielige Zweigstellen
eröffnet. Solche Filialen brachen in Shanghai während der
Hausse-Jahre nach dem Ende des Krieges wie die Masern aus, und
man kann nur hoffen, daß die Fabrikanten viel Spaß daran hatten,
denn viel Geld verdienten sie nicht, und die meisten hätten eine
bessere Bilanz aufweisen können, wenn sie nicht die alten
Abmachungen über den Haufen geworfen hätten. Als die
Depression es dann nötig machte, überflüssige Auslagen und
unnötige Aufmachung abzubauen, wurden viele dieser Filialen
geschlossen, und die jungen Männer, die sie eröffnet hatten,
übertrugen nun, ein wenig älter geworden, die Geschäfte wieder
irgendeiner ortsansässigen Firma. Bei der nächsten Hausse werden
wahrscheinlich alle Filialen abermals eröffnet werden, und noch
einige neue dazu.
Abgesehen von dieser Leidenschaft, den Kopf ihres
Briefpapiers mit den Namen der Städte zu schmücken, in denen
die Firma Filialen hat, scheinen die amerikanischen Erzeuger ihre
Vertretungen besonders gerne zu wechseln, offenbar weil sie -
zumeist grundlos - hoffen, die neue Vertretung werde besser sein
als die alte. Dies geschieht so oft, daß wir, wenn uns aus New
York ein Reklamevertrag erneuert wird, uns gewöhnlich davon
überzeugen müssen, ob die Firma noch immer den alten Vertreter
hier hat. Wir führen für sehr viele amerikanische Fabrikanten die
Propaganda durch, und augenblicklich kann ich mich nur an zwei
erinnern, die in den letzten zehn Jahren ihren Shanghaier Vertreter
247

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ nicht gewechselt oder nicht eine Filialstelle errichtet hätten;
manche haben während dieser Zeit drei oder vier Veränderungen
durchgeführt. Andererseits kann ich mich bei einer ebenso großen
Zahl britischer und kontinentaler Klienten nur an zwei erinnern,
die während derselben Zeit eine Änderung vornahmen. Mein
Geschäft bringt mich in täglichen Kontakt mit den
Verkaufsagenten verschiedener Nationen, und ich weiß, daß sie
alle davon überzeugt sind, eine Geschäftsverbindung von
dauerndem Wert zu haben, wenn sie eine britische Firma vertreten
können, und so widmen sie dieser Firma ihre besten Bemühungen;
wenn es aber eine amerikanische Agentur ist, haben sie das
unbehagliche Gefühl, daß ihnen die Vertretung jederzeit auf Grund
einer Laune des Exportdirektors weggenommen werden kann, und
die amerikanischen Exportdirektoren genießen - ich weiß nicht, ob
zu recht oder unrecht - den Ruf großer Launenhaftigkeit. Die
britischen Fabrikanten sollten es als vorteilhaft und
gewinnbringend betrachten; ihre Vertretungen ein wenig öfter zu
ändern, als sie es tun. Zu viele Agenten britischer Firmen fühlen
sich so sicher, daß sie sich gar nicht bemühen, den Verkauf zu
heben, sondern sich mit den Provisionen begnügen, die ihnen ohne
besondere Bemühung zugehen. Es gibt unter den Shanghaier
Vertretern britischer Häuser allzu viele ausgezeichnete
Golfspieler.
Das System des Anstellens und Entlassens, das in Amerika viel
verbreiteter ist als in irgendeinem anderen Lande, mag ganz
vernünftig sein, soweit es sich um die Tätigkeit daheim handelt,
wirkt aber im Exportgeschäft sehr störend, und amerikanische
Exportdirektoren scheinen recht unsichere Stellungen zu haben.
Tatsächlich ist das Entlassen der alten und das Anstellen der neuen
Direktoren oft die Ursache des Wechsels in der Vertretung, denn
der neue Mann macht sich mit Feuereifer an die Aufgabe, die
Organisation seines Vorgängers zu verbessern, und schließt mit
einer Menge neuer Vertreter ab. Sooft ich auf einem Brief den
Namen eines neuen Exportdirektors sehe, weiß ich, daß uns ein
ganzer Stoß lästiger Briefe bevorsteht, ehe wir wieder an dieselbe
Stelle gelangen, von der wir ausgingen. Wir wissen ja auch nicht
248

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ allzuviel, denn wir `alten Chinesen" haben, wenn man der
Wahrheit die Ehre geben will, mehr Enttuschungen gesammelt als
Kenntnisse, aber der neue Direktor besitzt weder die einen noch
die anderen.
Diese Personalpolitik der amerikanischen Firmen kostete mich
bei meinem letzten Besuch in Amerika, vor ungefähr fünf Jahren,
Zeit und Geld. Wir führten die Reklame einer großen
Automobilfirma durch, und als deren Chef von meiner
bevorstehenden Reise nach Amerika hörte, wollte der
Exportdirektor für den Fernen Osten unbedingt haben, daß ich das
Zentralbüro in Detroit besuchte, um dort die Möglichkeiten der
Reklame inChina zu besprechen, und er gab mir
Empfehlungsbriefe an fünf verschiedene Funktionäre. Es lagen
mehrere Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnisse vor,
und der Mann glaubte, ich würde imstande sein, dies alles
aufzuklären. Darum sollte ich ein paar Tage an der Quelle des
automobilistischen Wissens der Welt verbringen. Sobald ich es
bewerkstelligen konnte, reiste ich von New York nach Detroit,
fuhr dann im Taxi durch viele Meilen der uninteressanten Straßen
dieser Massenproduktions-Stadt und erreichte schließlich das
imposante Zentralbüro der Firma. Ich hatte mir nicht die Mühe
genommen, mein Erscheinen telegraphisch anzukündigen, denn
mein Freund hatte mir versichert, daß ein jeder der fünf
Funktionäre alles liegen und stehen lassen und mich sofort
empfangen werde, sobald ich meine Karte hineinschickte. Ich gab
der entzückenden jungen Dame an einem der vielen Tische den
wichtigsten Empfehlungsbrief, doch kam sie bald mit dem
Bescheid zurück, daß der Mann, an den der Brief gerichtet sei,
nicht mehr der Firma angehöre. Sie wußte nicht, wo er war,
glaubte aber, er halte sich in New York auf. Der zweite Brief
zeitigte dasselbe Ergebnis, und darum gab ich ihr, um Zeit zu
ersparen, die übrigen drei Briefe und bat sie, sie den Adressaten zu
geben, wenn diese noch hier seien. Sie brachte mir dann die
traurige Nachricht, daß keiner mehr bei der Firma arbeite und daß
alle Detroit schon verlassen hätten. Ich ärgerte mich, daß ich diese
lange Fahrt ganz ergebnislos gemacht hatte, darum gab ich ihr ein
249

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ paar meiner Geschäftskarten und sagte:
`Ich mache schon seit mehreren Jahren die Reklame fr Ihre Firma
in China. Auf Ersuchen Ihres Direktors für den Fernen Osten bin
ich eigens aus New York nach Detroit gekommen, um mit den
Leuten in Ihrer Exportabteilung zu sprechen. Bitte gehen Sie doch
hin und sagen Sie ihnen das, und fragen Sie, ob irgend jemand je
von mir gehört hat oder mich sehen möchte."
Sie nahm diese Aufgabe offenbar ernst, denn sie blieb lange fort,
doch als sie zurückkam, konnte sie mir nur mitteilen, daß keine
Menschenseele von mir etwas wisse und daß niemand mit mir
sprechen wolle. So fuhr ich ein wenig spazieren und bestieg dann
den nächsten Zug nach New York. Ich dachte mir, die einzige
Genugtuung, die ich über diesen Zwischenfall haben würde, werde
die Geschichte sein, die ich meinem Freunde in Osaka erzählen
konnte, aber selbst das war mir verwehrt, denn als ich nach ein
paar Monaten wieder in den Fernen Osten kam, entdeckte ich, daß
auch er entlassen worden war.
Der Shanghaier Vertreter eines Fabrikanten vertraute mir vor
etlichen Jahren folgendes an: `Ich bin jetzt daraufgekommen, wie
man New Yorker Exportdirektoren zu behandeln hat. Man mu
ihnen unzählige Briefe schreiben. Es macht ihnen furchtbaren
Spaß, diese Briefe zu beantworten und die Durchschläge dem
Generaldirektor vorzulegen, damit der sieht, wieviel sie arbeiten.
Ungefähr alles, was ein Exportdirektor überhaupt kann, ist
Briefeschreiben, und es ist nur anständig, ihm die Möglichkeit
dazu zu geben. Natürlich müssen sie eine vernünftige Zahl
vonAufträgen erhalten, aber wenn man ihnen genug Briefe
schreibt, kümmern sie sich nicht allzusehr um Umfang oder Zahl
der Bestellungen."
Da er noch immer hier ist und noch immer dieselben Vertretungen
führt, muß sein System manches für sich haben. Die
Exportdirektoren können, weil sie nicht am selben Ort sind wie die
Leute, mit denen sie zu tun haben, natürlich nicht umhin, eine
große Korrespondenz zu führen, aber sie sind auch nicht die
einzigen im amerikanischen Geschäftsleben, die es lieben, Briefe
zu schreiben. Die Zahl und die Länge der Briefe, die
250

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ amerikanische Geschäftsleute für notwendig halten, setzen die
Geschäftsleute aller anderen Nationen in Staunen - mit Ausnahme
der Spanier. Die sind womöglich noch weitschweifiger und
können ohne allzu große Schwierigkeit Aleman oder Cervantes
zitieren und sprechen vom Wetter, von ihrem Gesundheitszustand
und ähnlichen Dingen. Die Schuld an dem Wortreichtum der
Amerikaner hat, davon bin ich fest überzeugt, die überaus tüchtige
amerikanische Stenotypistin, deren Fingerfertigkeit die
Versuchung, geschwätzig zu werden, allzu nahe legt. Es scheint,
daß in manchen Büros das Briefschreiben heute schon ein eigener
Beruf ist, wie etwa die Schriftstellerei, und nicht ein Mittel zum
Zweck. Kein Mensch auf Erden ist mit der getanen Arbeit so
zufrieden wie der amerikanische Geschäftsmann am Feierabend,
wenn er soviel Briefe diktiert hat, daß seine Sekretärin
Überstunden machen muß. Das erste Anzeichen der Depression in
Amerika war für mich die Feststellung, daß ich weniger und
kürzere Briefe erhielt. Offenbar war es nötig geworden,
Stenotypistinnen abzubauen. Heute werden die Geschäfte wohl
wieder besser, denn die Briefe mehren sich und werden länger und
werden bald den Stand von 1928 erreicht haben.
Es ist meine aufrichtige Überzeugung, nachdem ich ungefähr
zwanzig Jahre solche Briefe gelesen habe, daß man fünfzig
Prozent der Schreibmaschinen in Amerika vernichten und fünfzig
Prozent der Stenotypistinnen verheiraten könnte, ohne daß die
Räder des Geschäftes langsamer liefen, und mit viel weniger Lärm
und vergeudeter Arbeit. In anderen Ländern wird mit einem
Bruchteil der in Amerika für nötig gehaltenen Korrespondenz
erfolgreich gearbeitet. Jeder Mann, dessen Aufgabe es ist, Briefe
zu diktieren, sollte am Beginn jedes Arbeitstages gezwungen
werden, die Abschriften der Briefe zu lesen, die er vor einem Jahr
diktierte, und darüber nachzudenken, wie viele dieser Briefe
doppelt so lang waren, als nötig gewesen wäre, und wie viele
überhaupt nicht hätten geschrieben werden müssen.
Es mag ungerecht sein, aber ich kann mich des Gefühles nicht
erwehren, daß die meisten Briefe, die ich erhalte, nicht für mich
bestimmt sind, sondern für den leitenden Funktionär, der die
251

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Durchschläge ansieht. Wenn der Brief von einer New Yorker
Reklameagentur kommt, ist ganz deutlich zu bemerken, daß die
Durchschläge einen guten Eindruck auf den Kunden machen
sollen, der nun sieht, daß der Agent tüchtig ist und nichts anderes
im Auge hat als das Interesse seines Klienten. Die englischen
Tippfräulein sind nicht so geschickt, und darum ist der Engländer
nicht so sehr der Versuchung ausgesetzt, weitschweifig zu werden.
Erst unlängst erhielt ich mit derselben Post Briefe aus New York
und London. Diese Briefe waren mir besonders willkommen, denn
sie erneuerten für ein weiteres Jahr den Reklamevertrag, den wir in
beiden Fällen schon vor ungefähr zehn Jahren abgeschlossen
hatten.
Der Brief aus New York umfaßte mehrere Schreibmaschinseiten
mit Instruktionen, formellen Aufträgen, einem Plan der
Ankündigungszeiten und so weiter. Wir wurden darin ermahnt,
nach bestem Wissen und Können die geeignetsten Plätze für die
Plakate auszuwählen, die geeignetsten Zeitungen zu suchen,
darauf zu achten, daß keine Konkurrenzankündigungen auf
derselben Seite gebracht würden, Druckfehler zu korrigieren, den
Verkauf im Auge zu behalten und dergleichen mehr. Mit anderen
Worten: wir wurden aufgefordert, das zu tun, was jeder
Reklameagent von selbst tun muß, und außerdem hatten uns die
Leute durch mehr als zehn Jahre immer wieder dasselbe erzählt.
Eigentlich müßte es in einem anständig geführten Reklamebetrieb
die Arbeit stören und eine Menge Schwierigkeiten verursachen,
wenn man anders vorgehen wollte. Der letzte Absatz des Briefes
war fast lyrisch in seinem Appell, ich möge die Interessen des
Auftraggebers wahren.
Der Engländer hatte zum Diktieren seines Briefes nicht lange
gebraucht. Der Brief war sogar so kurz, daß ich überzeugt bin, er
sei mit der Hand geschrieben und dann erst abgetippt worden. Der
Brief lautete: `Sehr geehrter Herr, wir besttigen den Empfang Ihres
geschätzten Schreibens vom 17. v. M. und teilen Ihnen mit, daß
wir mit Ihren Reklamevorschlägen einverstanden sind. Wir sind
überzeugt davon, daß Sie das Geschäft mit der gewohnten Sorgfalt
durchführen werden, und verbleiben mit dem Ausdruck der
252

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ vorzüglichsten Hochachtung"
Ich glaube, es war ein englischer Edelmann, der von einem
Jagdausflug seiner Frau schrieb: `Madame, es ist sehr kalt, und ich
habe zwei Schafe gettet."
Während die knappen Briefe des Engländers in der gewöhnlichen
Geschäftskorrespondenz ungemein erfreulich sind, ist doch der
durchschnittliche englische Korrespondent ein hoffnungsloser
Fall, wenn es sich darum handelt, einen Verkaufsbrief zu
schreiben. Man gebe einem Amerikaner auch nur ganz wenig
Ermutigung, und er bombardiert einen mit Verkaufsbriefen, die
einen von den überlegenen Qualitäten seiner Ware überzeugen
sollen. Der Engländer stellt sich einen guten und wirksamen Brief
dieser Art folgendermaßen vor: `In Beantwortung Ihrer Anfrage
mchten wir darauf hinweisen -"
Der Amerikaner schreibt zwar viele lange Briefe, konzipiert sie
aber nicht immer sorgfältig. Wenn man einen wichtigen
Geschäftsbrief an einen mehrere tausend Meilen entfernten
überseeischen Ort zu schicken hat, muß man diesen Brief prüfen
und nochmals prüfen, um sich genau davon zu überzeugen, ob er
auch klar und vollständig ist. Die meisten Briefe englischer
Firmen tragen eine Menge verschiedener Anfangsbuchstaben, was
beweist, daß der Brief von mehreren Leuten gelesen wurde. Dies
ist weit entfernt von der Gummistampiglie mancher
amerikanischer Briefe, aus der hervorgeht, daß ein Brief zwar
diktiert, aber nicht gelesen worden: ist, oder von der Tatsache, daß
in vielen amerikanischen Betrieben offenbar ein jeder, mit
Ausnahme des Lehrjungen, Briefe schreiben und unterzeichnen
darf. Ich erinnere mich der Nachlässigkeit eines Briefschreibers,
die uns sowohl Arbeit wie unnötige Kosten verursachte. Wir
erhielten einen Brief, der die Instruktionen eines früheren
Schreibens, angeblich vom 16. Januar, widerrief. Wir sahen unsere
Korrespondenz durch, konnten aber keine Mitteilung dieses
Datums finden und nahmen an, der Brief habe sich verspätet und
werde noch kommen. Doch der Brief langte nicht ein, und
schließlich machte unser chinesischer Lehrjunge die interessante
Entdeckung, daß der 16. Januar ein Sonntag war, also offenbar gar
253

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ nicht gemeint sein konnte. Schließlich mußten wir telegraphisch
nach dem Datum des Schreibens fragen, denn wir hatten mehrere
vom Januar datierte Briefe dieser Firma. Wenn nun jemand eine
registrierte Telegrammadresse hat und einen Telegrammcode,
kann man weit billiger kabeln, doch war dies hier nicht der Fall.
Wir mußten für jedes Wort der ganzen Adresse zahlen, und die
Kosten waren betrübend hoch. Am Ende erfuhren wir, daß der
erwähnte Brief am 6. Januar abgegangen war.
Es gibt wenige Leute, die bestreiten werden, daß Onkel Sam in
der Technik der Reklame John Bull weit übertrifft, obwohl er ihm
in anderen Dingen gewaltig nachsteht, die den Export
beeinflussen. Das auffälligste Beispiel für Onkel Sams überlegene
kommerzielle Methoden findet man bei der Verpackung, in der die
Erzeuger der beiden Länder den Kunden ihre Ware anbieten. Viele
englische Packungen von Marken, die weltberühmt sind, wurden
s c h o n v o r Generationen e n t w o r f e n , e h e d i e
Vervielfältigungstechnik ihren gegenwärtigen hohen Stand
erreicht hatte. Damals konnten bessere Entwürfe gar nicht gemacht
werden, und das ist mehr, als man von der heutigen britischen
Verpackung sagen kann, denn die Fabrikanten machen von den
modernen Talenten, die jedes englische Reklameatelier beistellen
könnte, keinen Gebrauch. Sie erzeugen möglichst gute Waren und
glauben, damit alles getan zu haben, was man von einem
Fabrikanten erwarten kann. Gewiß gibt es viele
Meinungsverschiedenheiten darüber, welche der beiden Nationen
künstlerisch höher steht, aber über die Tatsache, daß der
amerikanische Fabrikant als erster die wertvolle Rolle der Kunst
beim Absatz seiner Waren entdeckte, kann nicht gestritten werden.
Als im Jahre 1882 Oscar Wilde das Land von New York nach San
Francisco bereiste, warf er den Amerikanern vor, daß sie die Kunst
nicht zu schätzen wüßten und die Häßlichkeit ihrer Umgebung so
widerspruchslos duldeten. Er fand nichts zu bewundern, wenn er
aber heute lebte, würde er ohne Zweifel den amerikanischen
Produzenten für ihre Verpackungen Lob spenden.
Und wahrscheinlich würde er seine britischen Landsleute
ermahnen, dem amerikanischen Beispiel zu folgen. Der
254

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Sicherheitsrasierapparat, den ich verwende, ist in England
entworfen und hergestellt. Er ist von ausgezeichneter Arbeit und
für einen Rasierapparat ziemlich teuer.Aber an der Schachtel, in
die er verpackt ist, ist nichts zu sehen, was auf einen besseren
Artikel hinweisen würde. Wer diese Schachtel zum erstenmal
sieht, könnte sie leicht für eine Sardinenbüchse von neuartigen
Ausmaßen halten. Jeder amerikanische Fabrikant würde ohne
besondere Mehrkosten eine würdige und schöne Pakkung
herstellen, die zu der hohen Qualität der Ware selbst paßt, und
dadurch den Artikel verkäuflicher machen. Ja, jeder Chinese in
meiner Kunstabteilung könnte ein hübscheres Muster für die
Packung entwerfen.
Im britischen Reklamewesen herrscht dieselbe Gleichgültigkeit
gegen Stil und Schönheit und dieselbe Nachlässigkeit, was
typographische Dinge betrifft. Aber in einer Beziehung, nämlich
im Export, ist der Brite ein besserer Reklamemann und Händler als
der Amerikaner. Ich habe nie erlebt, daß dieser Pläne entworfen
oder auch nur besprochen hätte, die über die Tätigkeit der
allernächsten Zeit hinausgegangen wären. Alle scheinen sich
darauf einzustellen, daß die Welt am Ende des laufenden
Geschäftsjahres untergehen werde. Und sobald einmal der Verkauf
nachläßt, sieht man schon eine Auflösung des Geschäftes voraus.
Die Engländer haben solche Flauten schon oft erlebt und wissen,
daß das Geschäft doch viele Jahre weitergegangen ist und kein
plötzliches Ende nehmen wird. Dieser Unterschied mag zum Teil
psychologische Ursachen haben, geht aber zum Teil auf den
Unterschied der Firmenorganisation zurück. Zu viele
amerikanische Fabrikanten sind darauf gekommen, daß sie mehr
Geld verdienen könnten, wenn sie sich in Aktiengesellschaften
verwandeln und mit ihren Aktien spekulieren, statt Dividenden zu
verdienen. Das Ergebnis war Überkapitalisierung und Gier der
Aktionäre, deren einziges Interesse am Geschäft der
vierteljährlichen Abrechnung gilt. Die meisten großen britischen
Firmen sind Individualbesitz. Sie haben in der Regel viel größere
Reserven als die amerikanischen Firmen und lassen sich von einer
vorübergehenden Abschwächung des Verkaufes nicht so leicht ins
255

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Bockshorn jagen. Einer dieser britischen Kunden verwendet
nebenbei bemerkt seine Geldreserven großzügig für Reklame,
denn er zahlt ein Jahr im voraus, und wir können ihm dafür so
großen Rabatt. gewähren, daß er eigentlich achtzehn Prozent daran
verdient. Unsere amerikanischen Kunden zahlen vierteljährlich.
Der Engländer hat den weiteren Blick. Seine Firma arbeitet schon
lange, und er setzt es als selbstverständlich voraus, daß sein
Geschäft auch im nächsten und übernächsten Jahr bestehen wird.
Er liebt es nicht, nur für das nächste Jahr Pläne zu machen,
sondern will dies auch für die folgenden tun.
Sobald der britische Fabrikant einen Artikel erzeugt hat, der
verkäuflich ist, ändert er selten etwas an der Ware und setzt allen
Vorschlägen, diese zu verbessern, hartnäckigen Widerstand
entgegen. Es ist wirklich nicht übertrieben, wenn man behauptet,
daß er nur dann etwas ändert oder verbessert, wenn die Umstände
ihn dazu zwingen. Was den chinesischen Markt betrifft, ist dieser
Konservativismus eher eine Hilfe als ein Hindernis beim Verkauf,
denn die chinesischen Kunden sind ebenso konservativ. Solange
eine Ware zufrieden stellt, sieht weder der Chinese noch der
Engländer einen Grund dafür, sie zu ändern, und betrachtet jeden
Wechsel mit einigem Argwohn. Die Erfahrung hat ihn gelehrt,
skeptisch zu sein, und er glaubt viel eher, eine Ware sei geändert
worden, damit man die Erzeugungsspesen auf Kosten der Qualität
verringere, als daß er glauben würde, der Fabrikant habe freiwillig
versucht, ohne Erhöhung des Preises etwas Besseres zu liefern.
Diese konservative Haltung der britischen Produzenten bildet
einen krassen Gegensatz. zu dem ständigen Streben nach Wechsel,
das den Amerikaner so rastlos macht und ihm oft den Lohn nicht
bringt, auf den ehrliche und ernste Arbeit rechnen darf.
Die Taschenlampe ist einer der neuesten Artikel ausländischer
Herkunft, die in China allgemein Verbreitung fanden, und die
kleinen elektrischen Batterien für diese Lampen werden in großen
Mengen verkauft. Einer unserer Freunde sicherte sich die
Vertretung einer sehr bekannten amerikanischen Batteriemarke
und erzielte in kurzer Zeit einen überraschend großen Verkauf,
woran auch wir ein gewisses Verdienst hatten, da wir die Reklame
256

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ machten. Dann kam jemand in der Fabrik auf den Gedanken, die
Packung zu verbessern, und erfahrene Verpackungszeichner
wurden mit dieser Aufgabe betraut. Ohne eine Mitteilung, daß eine
Änderung beabsichtigt sei, wurde eine große Sendung Batterien in
neuer Packung mit wenigen breiten Streifen statt vieler dünner
Streifen nach China geschickt. Ohne Zweifel war die Auffassung
der neuen Zeichnung psychologisch richtig, denn sie vermittelte
einen Eindruck der Dauerhaftigkeit, der den alten Packungen
gänzlich fehlte. Aber den chinesischen Käufern war das
gleichgültig. Sie wußten nur, daß hier eine neue Packung vorlag,
die sie sofort für eine japanische Imitation und daher für
minderwertig hielten. Wir mußten dann den größten Teil der für
die Propaganda ausgeworfenen Gelder dafür verwenden, den
Kunden zu erklären, daß die neuen Batterien wirklich ebenso gut
seien wie die alten.
All das schädigte natürlich den Verkauf, der sich jedoch
allmählich erholte und gerade wieder zum Normalen zurückkehrte,
als wir durch einen anderen Beweis der Geschäftstüchtigkeit einen
noch schwereren Schlag erlitten. Diesmal war es ein Ingenieur. Er
hatte die Berichte über den Verkauf in der Heimat studiert und
entdeckt, daß alle Batterien innerhalb von sechs Wochen nach der
Erzeugung nicht nur verkauft, sondern auch verbraucht wurden.
Ohne an das hübsche Geschäft zu denken, das in China aufgebaut
wurde, kam er zu dem Schluß, daß es eine Geldvergeudung sei,
eine Batterie zu erzeugen, die so lange funktionierte. Nun wurde
eine hergestellt, die nicht so lange brannte und daher auch eine
bedeutende Reduktion der Herstellungskosten ermöglichte. Wir
wußten nichts von diesem Wechsel, bis zornige Kaufleute im
Yangtzetal sich weigerten, ihre Rechnungen zu zahlen, und dies
mit Recht damit begründeter., daß die Batterien nicht
funktionierten. Die Lebensdauer war abgelaufen, während die
Batterien auf See waren. Schon im Schiff hätte man sie in
Segeltuch wickeln und ihnen ein Seemannsbegräbnis geben
können. Das war das Ende unseres vielversprechenden
Batteriengeschäftes.
Die Briten und Amerikaner sind im Exporthandel aktiver als
257

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ alle anderen Nationalitäten. In China haben sie überhaupt nur zwei
ernst zu nehmende Konkurrenten, nämlich die Japaner und die
Deutschen. Gäbe es die Japaner nicht, würden die beiden großen
englisch sprechenden Nationen nicht nur in China, sondern auch in
anderen Teilender Welt viel mehr Geschäfte machen können. Aber
Japan hat den Warenmarkt der Erde durch nichts Neues bereichert
und sich auch nicht dank irgendeiner Überlegenheit der
Erzeugungsmethoden oder des Handels festgesetzt. Die japanische
Konkurrenz verdankt ihren Erfolg ausschließlich den Preisen, den
niederen Produktionskosten, die nur durch schamlose Ausbeutung
menschlicher Arbeitskraft ermöglicht werden. Auf den Märkten
der Welt führt Japan einen ständigen Ramschverkauf durch.
Die deutsche Konkurrenz fällt in eine andere Kategorie. In den
Produktionskosten hat sie weder vor John Bull noch vor Onkel
Sam einen Vorsprung. In den kaufmännischen Methoden zeigt sie
alle Fehler und alle Vorzüge der beiden, doch gibt es einen
gewaltigen Unterschied: der Deutsche arbeitet viel mehr. Er ist
energischer als der Amerikaner und weit energischer als der
Engländer, der alles in allem wahrscheinlich der bequemste
Geschäftsmann der Welt ist.
Der französische Fabrikant brauchte niemals für seinen Export
zu arbeiten und hat darum auch kein großes Feld für die Ausfuhr.
Er verwendet keine Exportdirektoren, denn für ihn halten
französische Soldaten Kolonien besetzt, die die Soldaten
vergangener Generationen erobert haben, und französische
Gesetzgeber bauen eine Tarifmauer auf, die hoch genug ist, alle
Konkurrenz fernzuhalten. Seine Vorstellung eines idealen Marktes
ist die, daß kein anderer die Chance des Wettbewerbes hat, so daß
er allein die Waren erzeugen kann, ohne sich weiter den Kopf zu
zerbrechen oder für Reklame etwas ausgeben zu müssen. Die
französischen Staatsmänner des letzten Jahrhunderts brachten ihm
den Glauben bei, daß man ihm alle Exportmöglichkeiten, die er
brauchte, fertig liefern werde. Heute hinkt Frankreich im Export
nach, und die Staatsmänner würden den Fabrikanten gerne
wachrütteln und zur Arbeit antreiben. Sie haben überall
Handelsattachds und haben in gewissem Sinn die Arbeit des
258

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ amerikanischen Staatsdepartements für Handel kopiert. Dennoch
ist es ihnen nicht gelungen, den französischen Produzenten zu
erwecken, und einer meiner Freunde im französischen
Konsulatsdienst erklärt, daß diese Bemühungen nahezu
aussichtslos seien.
Der Verkauf französischer Waren in China beträgt weniger als
eineinhalb Prozent der Gesamteinfuhr Chinas. Australien, Belgien,
Britisch-Indien, Deutschland, Japan, Kanada, Siam, Vereinigte
Staaten - sie alle gehen voraus. Deutschlands Handel mit China
beträgt fast ein Zehnfaches des französischen.
259

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ NEUNZEHNTES KAPITEL
Ein Apfel täglich
Nehmen wir den Apfel als ein gutes praktisches Beispiel für
die Möglichkeiten des chinesischen Marktes, mit denen
ich mich als Reklameagent vertraut machen mußte. Äpfel
wachsen in allen gemäßigten Zonen, es gibt selten eine Mißernte,
sie sind verhältnismäßig billig, leichter zu verpacken und zu
verschicken als jedes andere Obst und stellen ohne Zweifel ein
sehr volkstümliches und bekömmliches Nahrungsmittel dar. Man
kann sie essen, so wie sie vom Baum fallen, oder auf allerlei
schmackhafte Arten zubereiten. Man kann sie dämpfen, braten,
backen oder zu Fruchtsaft oder Obstsalat verwenden. Ein einzelner
Apfel kann fein säuberlich in ganz kleine oder ganz große Stücke
geteilt werden und kann daher allen möglichen Bedarf decken.
Aus diesen und anderen Gründen ist der Apfel das am leichtesten
verkäufliche Obst. Angenommen, wir könnten die vierhundert
260

[xiù ¡ cai - sju tsai] 2004¢10£24¤
Millionen potenzielle Kunden in China davon überzeugen, daß ein
Apfel täglich den Doktor erspart.
Abgesehen davon, daß er ein verläßliches Lebensmittel,
wohlfeil und leicht verfrachtbar ist, hat der Apfel, wenn man seine
Verkäuflichkeit in China erwägt, viele Faktoren, die einen
ermutigen könnten. Der Chinese glaubt, daß alles, was er ißt, auch
medizinischen Wert hat, und darum wäre er den
gesundheitsfördernden Eigenschaften des Apfels gegenüber
weniger skeptisch als die meisten anderen Leute. Sehr viele Briten
zweifeln heute, nach mehreren Jahrzehnten der Reklame, noch
immer daran, daß Rosinen eisenhältig sind, die Chinesen aber
nicht mehr, obwohl ihnen dies ziemlich neu ist. Es bedurfte keiner
allzu großen Propaganda, sie davon zu überzeugen, daß das
Rosinenessen ihnen Eisen zuführt, denn sie kurierten ihre
Krankheiten mit Früchten, Kräutern und anderen pflanzlichen
Produkten schon tausend Jahre vor Christus, und die Idee war
ihnen nicht neu. Obwohl im Lande nur wenig Äpfel wachsen,
essen die Chinesen doch ziemlich viele, die aus Korea, aber auch
aus Amerika und Neuseeland kommen. So handelt es sich hier
nicht darum, Nahrungsvorurteile zu überwinden oder einer.
heftigen Widerstand gegen die Ware zu brechen. Es fragt sich nur,
wie man den derzeit noch zu schütteren Verkauf der Äpfel
allgemeiner gestalten könnte.
Berechnet man künftige Verkäufe, tut man gut daran,
konservativ zu sein, selbst wenn alle Faktoren sich als so günstig
erweisen, daß ein Mißerfolg unmöglich scheint, darum wollen wir
annehmen, daß die Propaganda- und Verkaufskampagne kein
völliger Erfolg wird, und daß nur die Hälfte des Volkes sich zum
Apfelkonsum bekehrt. Wir müssen ja von den Alten absehen, die
die Zähne verloren haben, und von den Jungen, deren Gebiß noch
unvollständig ist und für die Orangensaft besser taugt. Und dann
wollen wir, da man von keinem menschlichen Beginnen starre
Konsequenz erwarten darf, annehmen, daß die eine Hälfte der
eingefleischten Apfelesser sich nicht an die Diät halten, sondern
ihrer müde werden und sie nach dem ersten oder zweiten Monat
aufgeben wird. Und schließlich wollen wir, um nur ja recht
261

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ vorsichtig zu sein und uns keinen falschen Hoffnungen
hinzugeben, nur annehmen, daß die übrigbleibenden Konsumenten
bloß jeden zweiten Tag einen Apfel zu sich nehmen. Dies gäbe uns
einen täglichen Verbrauch von fünfzig Millionen Äpfeln, keine
phantastische Zahl für eine so ungeheuer große Bevölkerung,
vorausgesetzt, daß unsere Propaganda sie von den Vorteilen der
Apfeldiät überzeugt hat. Mittelgroße Äpfel kann man zu
zweihundert in einer Kiste verpacken, und eine Schiffstonne faßt
fünfundzwanzig solche Kisten; daher würde das Ganze ungefähr
zehntausend Schiffstonnen Äpfel täglich ausmachen. Das sind sehr
viele Äpfel, mehr als ein durchschnittliches Schiff aufnehmen
kann, selbst wenn es keine andere Ladung hat. Kommt man aber
zu den Einzelheiten des Planes, zeigt sich die Undurchführbarkeit.
Wenn alle britischen Schiffe, die in Shanghai anlegen, nichts
anderes täten als Äpfel führen, könnten sie nur einen Bruchteil des
Geschäftes erledigen. Und wenn es auch genug Schiffe gäbe, die
Äpfel herzubringen, wären die chinesischen Eisenbahnen und
Flußdampfer nicht imstande, sie ins Innere des Landes zu führen.
Und wenn wir den Chinesen soviel Äpfel verkauften, gäbe es
keine Äpfel mehr für die übrige Welt.
Sooft ein Exportdirektor sich einem angenehmen Wachtraum
von einer Zukunft hingeben will, in der Ruhm und Reichtum sich
vereinen, die täglichen Sorgen zu verjagen, braucht er nichts
anderes zu tun, als einen Bleistift und ein Blatt Papier zu nehmen
und sich auszurechnen, welche Mengen er absetzen könnte, wenn
es ihm nur gelänge, einen Reklameagenten zu finden, der klug
genug wäre, einen ansehnlichen Teil der vierhundert Millionen
Chinesen zum Kauf seiner Ware zu bewegen. Schon viele
Kaufleute haben bei diesen erfreulichen Berechnungen
Gänsekielfedern zuschanden geschrieben, lange ehe es Füllfedern,
Rechenmaschinen und irgendwie ernst zu nehmende
Reklameagenten gab. Solange die Menschen eines Landes Güter
erzeugen, um sie anderen Ländern zu verkaufen, solange Schiffe
den Ozean überqueren und ein internationaler Handel existiert, ist
die goldene Illusion des Geschäftes mit den vielen fleißigen
Millionen Chinesen ein besonderer Anreiz. Was immer man
262

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ verkauft, das Geschäft mit China könnte ungeheuer groß sein,
wenn der Chinese, der diese Waren kaufen sollte, sie auch kaufen
wollte.
Chinas Handel mit fremden Ländern erstreckt sich beinahe ohne
Unterbrechung durch eine Periode von fast zweitausend Jahren,
aber erst in verhältnismäßig jüngster Zeit, nämlich im letzten
Jahrhundert, kamen ausländische Händler mehr des Verkaufes als
des Einkaufes wegen nach China. Vor jener Zeit war China die
größte produzierende Nation der Erde, und es erzeugte die feinsten
Waren in größter Menge. Schon im ersten Jahrhundert unserer
Zeitrechnung wurde chinesische Seide in Rom verkauft und hatte
wahrscheinlich vor dieser Zeit bereits einen Absatz bei arabischen
Händlern. So kommt das Wort Satin von Zayton, dem Namen
eines alten chinesischen Hafens, von dem aus die Seide versandt
wurde.
Die Seide im alten China galt dem Behagen betagter Leute und
wurde nicht nur der Schönheit, sondern auch der Wärme wegen
hergestellt und war viel schwerer als die heute erzeugte Seide.
Dies paßte den römischen Damen nicht, die das chinesische
Gewebe auftrennten, die Fäden feiner spannen und dann
Kleidungsstücke von spinnwebendünner Durchsichtigkeit
herstellten, woran die ehrbaren Leute Anstoß nahmen.
Sittenrichter jener Tage schlugen deshalb ebensoviel Lärm wie die
Sittenrichter der heutigen Generation über die geteilten
Badeanzüge - mit ebenso wenig Wirkung. Die Seide, ein
chinesischer Monopolartikel, war nicht die einzige Ware, die
China nach Rom ausführte. Trotz den Schwierigkeiten und hohen
Kosten des Transportes wurden zu jener Zeit auch chinesische
Werkzeuge aus Eisen und Stahl in Rom verkauft und erzielten
dank ihrer vorzüglichen Qualität so hohe Preise, daß der Handel
Gewinn brachte und chinesische Werkzeuge in der ganzen
zivilisierten Welt berühmt wurden.
Ungefähr tausend Jahre später, zur Zeit der Sung-Dynastie,
erreichte das chinesische Porzellan, damals noch in den
Kinderschuhen seiner Entwicklung, ein Stadium, das den
primitiven Töpferwaren anderer Länder so hoch überlegen war,
263

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ daß die Reichen in Europa und im nahen Osten alle Gefäße und
Vasen, derer. sie nur habhaft werden konnten, kauften und sie oft
mit Silber aufwogen. Die europäischen Wissenschaftler hatten sich
erfolglos den Kopf darüber zerbrochen, wie die Seide hergestellt
werde, und jetzt gab ihnen das Porzellan ein neues Rätsel auf, das
sie ebenso wenig zu lösen vermochten. Die holländischen
Kaufleute, die große Mengen Seide nach Europa gebracht hatten,
führten im 16. Jahrhundert auch den chinesischen Tee ein, der
durch mehr als zweihundert Jahre einen wichtigen und
gewinnbringenden Exportartikel darstellte. In gewissem Sinne war
er ein drittes Geheimnis, denn die Pflanzenkundigen Europas
wußten nichts von ihm. Erst wenige Jahrhunderte vor der
Entdeckung Amerikas lernten die Chinesen die Existenz der
Baumwolle kennen, ließen aus Persien Samenkörner bringen und
begannen die `Tuchpflanze" anzubauen. Sie waren Neulinge im
Baumwollpflanzen, brachten aber beim Spinnen und Weben des
neuen Materiales die fortgeschrittene Technik der
Seidenerzeugung mit, die ihnen schon seit viertausend Jahren
bekannt war, und wurden auf diese Art, sowohl was Menge wie
auch was Qualitt betraf, die ersten Baumwollspinner der Welt.
Während des 16., 17. und 18. Jahrhunderts und noch einige Zeit
später kam das beste auf Erden erhältliche Baumwollzeug von den
Webstühlen Chinas. Kein englischer Gentleman hätte sich für
elegant gehalten, hätte er nicht Kniehosen aus handgewebter
chinesischer Baumwolle getragen, und keine Dame gab sich ohne
mindestens ein Kleid aus Kantoneser Seide zufrieden.
Während dieser ganzen Zeit hatte der Westen den Chinesen nur
wenig zu bieten, das sie gebraucht hätten. Von frühesten Zeiten an
kauften sie schon Sandelholz, Pfauenfedern, Gewürze,
Elefantenzähne und Edelsteine, und die Nachfrage nach diesen
Waren hielt an, aber solche Artikel füllen keine Schiffsladeräume,
und durch Generationen kamen die Schiffe halbleer oder mit
Ballast in China an und fuhren vollbeladen mit den reichen
Erzeugnissen des Landes wieder heim. Die Entdeckung, daß
Ginseng, eine Wurzel, der die Chinesen großen Heilwert
zuschreiben, im Bergland Neu-Englands wild wächst, ermöglichte
264

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ einigen amerikanischen Kaufleuten früherer Zeiten, mühelos zu
großem Vermögen zu kommen, denn sie brauchten diese Wurzel
nur auszugraben und konnten sie in China sehr teuer verkaufen.
Die Ladung des ersten amerikanischen Schiffes, das - im Jahre
1784 - in Kanton anlegte, bestand hauptsächlich aus Ginseng, und
diese Pflanze bildete durch manche Jahre einen sehr wichtigen
amerikanischen Exportartikel. Doch trotzdem deckten diese
Ladungen nicht die Kosten der Produkte, die Amerika kaufen
mußte, und auch kein anderes Land konnte den Chinesen
ebensoviel verkaufen, wie sie selber erstanden. Ein wesentlicher
Teil der Ladung eines jeden nach China segelnden Schiffes
bestand damals aus spanischen oder mexikanischen Silberdollars,
denn die Handelsbilanz Chinas war immer sehr aktiv, und da man
keine Bankverbindungen hatte, waren alle Verkäufe
Bargeschäfte.
Ohne daß ich eine Kontroverse wieder ins Leben rufen möchte,
die schon vor langer Zeit ohne geistlichen Beistand begraben
wurde, kann ich sagen, daß die Fortdauer des verhaßten
Opiumhandels in China auf die Tatsache zurückging, daß das
Opium damals der einzige Artikel war, den die englischen und
amerikanischen Händler den Chinesen in Mengen liefern konnten,
die ausreichten, einen nennenswerten Teil der Zahlungen für Seide
und Tee zu decken. Tausende alte Silberdollars, von denen
manche schon ein Jahrhundert oder länger gedient haben, werden
jetzt in der Shanghaier Münze in Durchführung des Programmes
der neuen Währungspolitik eingeschmolzen. Solche Münzen sind
oft schon glattgescheuert, haben aber niemals die Grenzen Chinas
verlassen, denn die Chinesen fanden im Westen nichts, das
einzukaufen die Mühe gelohnt hätte. Vom Morgendämmern der
Geschichte an waren alle Produkte Chinas einem jeglichen
Erzeugnis der Barbaren überlegen. Die Chinesen glaubten, dies
werde ewig so weitergehen, und schenkten daher den Waren, die
die ausländischen Händler zu verkaufen hatten, nur wenig
Beachtung. Den ersten Schlag erlitt dieser übermäßige Stolz, als
sie entdecken mußten, daß auch die Barbaren wirklich gute Waren
erzeugen konnten. Diese Gleichgültigkeit gegen die Produkte
265

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Europas dauerte etwa bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts an, da
sich das Blatt wandte und der Verkauf ausländischer Güter in
China den fremden Händlern wichtiger und gewinnbringender
wurde als der Verkauf chinesischer Waren nach dem Westen. Dies
begann damit, daß man in Manchester Dampfmaschinen zur
Herstellung von Baumwollstoffen verwendete. Die maschinell
hergestellte englische Baumwolle war weder so kräftig noch so gut
wie das Erzeugnis des chinesischen Handwebstuhles, war aber viel
wohlfeiler, und jede nach China geschickte Schiffsladung wurde
sofort zu Preisen abgesetzt, die sowohl dem Fabrikanten wie auch
dem Zwischenhändler befriedigenden Gewinn abwarfen. Einige
Jahrzehnte vor der Jahrhundertwende wurden mehr als fünfzig
Cent von einem jeden Dollar, den der Chinese für ausländische
Waren ausgab, zum Ankauf von Baumwollstoffen verwendet.
Manchester machte hier das größte Geschäft, aber das
neuenglische Geschäft in der Mandschurei war wichtig genug, daß
die Vereinigten Staaten die Öffnung mandschurischer Häfen für
fremde Handelsschiffe durchsetzten.
Der Handel mit China ist nicht nur in der Theorie faszinierend,
sondern war auch sehr profitreich, und in allen Teilen der Welt
gibt es viele in China erworbene Vermögen. Da jede Generation
von Fabrikanten den Weltmarkt mit neuen Produkten bereichert,
wurden in China Konsumenten gefunden und Vermögen gemacht.
Die chinesische Einfuhr besteht nicht mehr in Sandelholz,
Pfauenfedern, Ginseng und Opium, sondern in Baumwollwaren,
Kerzen und Petroleum. Diese moderneren Artikel haben ältere
Produkte verdrängt und werden jetzt von neueren Erzeugnissen
ersetzt. Das Petroleum schädigte den Verkauf von Kerzen, jetzt
machen elektrische Taschenlampen dem Petroleum starke
Konkurrenz und sind so in Mode gekommen, daß das frühere
gewaltige Geschäft mit Windlaternen faktisch gestorben ist. Die
große Beliebtheit der elektrischen Taschenlampen in China geht
auf einen ziemlich sonderbaren Grund zurück. Die chinesischen
Landleute haben eine angeborene Furcht vor Räubern und Dieben
und wissen, daß die Banditen ihnen, wenn sie mit einer
angezündeten Laterne durch die Felder gehen, leicht folgen
266

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ können. Die elektrische Taschenlampe wird aber nur im
Bedarfsfall angeknipst und ist von der Ferne nicht so leicht zu
bemerken.
Heute läßt das Petroleumgeschäft zwar nach, aber die
Ölgesellschaften besäen das Land mit Tankstationen für die
Automobilisten auf den tausende Meilen langen neuen
Autostraßen des Landes. China hat jetzt 26.000 Meilen
Autostraßen, die nahezu alle in den letzten zehn Jahren gebaut
wurden. Die Chinesen, die noch vor zwanzig Jahren Peitschen
gekauft haben, kaufen jetzt Autobestandteile. Mit der Änderung
des Bedarfes und der Änderung der Belieferung haben die
Millionen Menschen Chinas gelernt, viele verschiedene Dinge zu
kaufen, und sie sind seit je treue Kunden, und man kann sich
darauf verlassen, daß sie einen großen Teil der Überproduktion der
Welt aufkaufen. Jetzt erstehen sie eine mannigfaltige Vielheit von
Dingen, deren Liste aussehen würde wie ein Warenhauskatalog.
Doch trotz dem Reichtum einiger weniger ist die durchschnittliche
Kaufkraft noch immer seht nieder, und nur ein geringer Teil der
Bevölkerung ist nicht nur theoretisch und vom Standpunkt der
Statistik als Kunde zu betrachten. Es ist sehr zweifelhaft, ob mehr
als zehn Millionen Chinesen imstande wären, einen Apfel täglich
zu kaufen, ohne ihren Eßschalen den Reis oder die Nudeln zu
entziehen.
Seit dem Beginn unseres Jahrhunderts zeigt die
Verkaufs-Statistik ein ständig wechselndes Bild dessen, was das
chinesische Volk braucht. Im Jahr 1900 betrug der Gesamtverkauf
von Zigaretten in China 300 Millionen, also weniger als ein Stück
pro Person und Jahr. Zehn Jahre später war er auf 7500 Millionen
oder ungefähr neunzehn Stück gestiegen. Nun beträgt er 80.000
Millionen oder nahezu eine Zigarette täglich für jeden männlichen
Einwohner des Landes. Während dieser Zeit ist der Verkauf
importierter Baumwollwaren von mehr als fünfzig Prozent der
Totalsumme auf weniger als drei Prozent gesunken. Der Import an
Kerzen, Seifen, Ölen, Fetten, Wachs, Gummi und Rosinen ist jetzt
größer als die Einfuhr von Baumwollstoffen. Dies bedeutet keine
Verminderung des Bedarfes an Baumwollwaren, sondern die
267

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Entwicklung einer neuen Erzeugungsquelle. Die meisten heute
verkauften Baumwollwaren stammen aus einheimischen
Webereien, die in japanischen, chinesischen und britischen
Händen sind.
Die Chinesen brauchten lange Zeit, bis sie sieh entschlossen,
moderne, im Westen erzeugte Waren haben zu wollen, doch
sobald sie zu kaufen anfingen, kamen sie darauf, daß sie alles zu
haben wünschten, was sie sich leisten konnten, ja noch viel mehr.
Jetzt kaufen sie Aeroplane, Automobile und unter anderem auch
moderne Wäschereimaschinen. Der Katalog des chinesischen
Bedarfes ist nicht mehr durch Unwissenheit und Vorurteil
beschränkt, sondern einzig durch die Kaufkraft. Faktisch stehen
die vierhundert Millionen Kunden dem gleichen Problem
gegenüber, das die Dame zu lösen hat, deren Einkaufsliste
Ausgaben von zehn Dollar erfordern würde, während sie nur vier
Dollar fünfundneunzig in der Börse hat. Bevor man irgend etwas
kauft, muß man genau den Wert und die Notwendigkeit der Ware
im Vergleich mit anderen ähnlichen Gegenständen erwägen und
auch im Vergleich mit einer Anzahl anderer Waren ganz
verschiedener Art. Dies gilt sowohl für kleine wie auch für große
Einkäufe und wird durch die alljährliche Sommerflaute im
Zigarettengeschäft deutlich illustriert.
Die vielen Melonenarten, die im Juni auf den Markt kommen,
sind wohl das einzige Lebensmittel, das die Chinesen ungekocht
essen, und der Absatz ist ungeheuer, aber viele können sich nicht
den doppelten Luxus leisten, Melonen und Zigaretten zu kaufen.
Daher geben manche der Melonen wegen das Rauchen auf, und
der Zigarettenverbrauch nimmt erst nach dem Ende der
Melonenzeit im Frühherbst normale Ausmaße an.
So ist jeder in China getätigte Verkauf das Ergebnis
erfolgreicher Konkurrenz nicht nur mit ähnlichen, von einer
Konkurrenzfirma erzeugten Waren, sondern auch mit vielen
anderen Dingen, mit denen die gekaufte Ware scheinbar in
keinerlei Verbindung steht. Darum müßte zum Beispiel der
Apfelesser, ebenso wie der Melonenesser, zwischen seiner Frucht
und den Melonen wählen, und wenn die Wahl auf den Apfel fiele,
268

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ müßten die Äpfel die Konkurrenz mit allen anderen Früchten
bestehen, bevor es zu dem Verkauf kommt. Dies schafft im
chinesischen Handel Komplikationen, die man eher nach
geometrischer als nach arithmetischer Progression berechnen muß,
und Verkaufsdirektoren und Reklameagenten bekommen graue
Haare.
Im Vergleich finit dem Wirrsal des heutigen Kommerzes in
China war der Handel in der Blütezeit der Clipper-Schiffe und der
frühen Tage der Webereien von Manchester eine sehr einfache
Angelegenheit. Als ich vor fünfundzwanzig Jahren nach China
kam, führte ich viele Gespräche mit einem alten britischen
Kaufmann, der auf eine fünfzigjährige Erfahrung zurück blicken
konnte und daher noch jene alten Zeiten gekannt hatte. Er wurde
nie müde, mir zu erzählen, wie einfach es damals war, Geschäfte
zu machen, welch bequemes Leben man führen konnte und wie
gewiß der Profit war. Er sprach mit großer Erbitterung über die
modernen kommerziellen Methoden, über das kleinliche Feilschen
und Verhandeln, das unvermeidlich geworden ist, wenn man
Gewinn erzielen oder auch nur sich vor Schaden bewahren will. In
den Tagen seiner Jugend wurde das Geschäft ganz anders geführt.
Die Firma, bei der er als Lehrling gearbeitet hatte, unterhielt zwei
Hauptkontore, das eine in London und das andere in Shanghai,
und jedes Kontor unterstand einem Partner der Firma. Der
Londoner Partner kaufte Baumwollstoff, der dann an das
Shanghaier Kontor geschickt und dort versteigert wurde. Das
Ergebnis dieses Verkaufes wurde in Tee investiert, den man nach
London verfrachtete und dort versteigerte, um vom Erlös weiteres
Baumwollzeug zu kaufen, mit dessen Erlös wieder Tee gekauft
wurde -und so weiter in infinitum. Das ging ewig so fort, und es
wurde damals als ein recht gehetzter Betrieb betrachtet, wenn
jedes Schiff, das in Shanghai ankam, eine Ladung Baumwolle
brachte und jedes abfahrende Schiff Tee mitnahm. Manchmal
kamen im selben Monat sogar zwei Schiffe oder zwei Schiffe
stachen in See, und das waren dann arbeitsreiche Tage, von denen
man durch Monate sprechen konnte.
Der alte Kaufmann erklärte, dies sei die einzige wirklich ehrbare
269

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ und über jeden Zweifel erhabene Art, Handel zu treiben. Was er
von moderner Reklame und von intensiven Verkaufsmethoden
gehört hatte, die jetzt überall angewendet wurden und langsam
auch nach Shanghai ihren Weg nahmen, erfüllte ihn mit tiefem
Abscheu. Das Ganze roch, so meinte er, nach unreellem Vorgehen,
ja nach Unanständigkeit. Er behauptete, wenn ein Chinese bei
einer Versteigerung einen Ballen Baumwollstoff kaufe, zahle er
dafür genau das, was die Ware wert sei, nicht mehr und nicht
weniger. Die Waren wurden vor dem Verkauf immer in der
Auktionshalle zur Schau gestellt, jedermann konnte sie nach
Belieben besichtigen, und von Beschwerden war keine Rede, denn
beschädigte Artikel oder Artikel minderer Qualität wären sogleich
aufgefallen. Heute aber mußte man sich aus London die Preise
bestätigen lassen und mußte seinen Profit beschneiden, um
schurkischer Konkurrenz die Stirn zu bieten. Ferner hatte man
Sorgen, ob die Kunden die Rechnungen zahlen würden oder nicht.
In den alten Zeiten hatte jedermann Bargeld bei sich gehabt. Die
Tatsache, daß das Geschäft seiner Firma noch immer gut ging,
verminderte seinen Enthusiasmus für jene idealen Zustände
nicht.
Denn es war in vielen Beziehungen wirklich eine ideale und
sparsame Verkaufsmethode. Die Buchführung in London und in
Shanghai ließ sich so einfach durchführen, daß die Partner
persönlich sie besorgen konnten. Es gab ständigen Profit und
gelegentlich entzückende Glücksfälle, zum Beispiel wenn eine
Ladung erstklassigen Tees als erste in der Saison in London
ankam oder wenn ein Schiff mit Baumwolle zu einer Zeit in
Shanghai einlief, da andere Schiffe verspätet waren und der Markt
große Aufnahmefähigkeit zeigte. Vor ungefähr fünfundsechzig
Jahren ermöglichte es die Vollendung des Suezkanals einem
Shanghaier Teehändler, ganz London durch seine wagehalsigen
Verkaufsmethoden in Staunen zu setzen. Er belud ein ganzes
Segelschiff mit Tee und begleitete die Ladung bis Marseilles. Von
diesem Hafen fuhr er, so schnell er konnte, zu Land nach London,
wies dort Muster seines Tees vor, und als das Schiff anlangte, war
die ganze Ladung bereits verkauft. Ein Konkurrent, dessen. Schiff
270

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ noch vor dem anderen in der Themse Anker warf, fand den Markt
bereits wohl versorgt. Damals machte man sich sowohl in London
wie in Shanghai viel Kopfzerbrechen über die moralische Seite
dieses Vorgehens. Der unglückliche Konkurrent nahm sich auch
kein Blatt vor den Mund.
Die moderne Überproduktion sei, so erklärte mein alter Freund,
nicht nur ganz unerhört, sondern niemand hätte sich so etwas je
träumen lassen. Der englische Markt konnte immer wieder allen
nach London verschifften Tee aufnehmen, und der chinesische
Markt konsumierte alle nach Shanghai gebrachten
Baumwollwaren. Die Preise mochten ja schwanken, aber nie unter
ein Maß, das den Verkauf unprofitabel gemacht hätte. Tatsächlich
hatten in diesem angenehmen Geschäft die Partner kein anderes
Problem zu entscheiden als die Frage, ob sie auch weiterhin ihren
Gewinn in immer größere Ladungen von Tee und Baumwolle
investieren oder einen Teil des Nutzens verbrauchen sollten.
Diese guten alten Zeiten sind verschwunden, und nur wenige
erinnern sich daran. Die Versteigerung von Baumwollstoffen, die
jährlich Millionen Pfunde einbrachte, dauerte bis in unser
Jahrhundert und wurde schließlich ein Opfer des Weltkrieges. Es
gibt noch immer ein paar solche Auktionen in Shanghai, aber sie
sind von keiner Wichtigkeit mehr. Die Shanghaier Auktionäre
verkaufen jetzt verfallene Waren, das Lager Zahlungsunfähiger
und die Hauseinrichtungen von Leuten, die in ihre Heimat
zurückkehren. Die intensiven Reklame- und Verkaufsmethoden
Sir Thomas Liptons machten im Verein mit der chinesischen
Kurzsichtigkeit bei der Produktion und Pflege des chinesischen
Tees das britische Publikum dem zartschmeckenden chinesischen
Tee abspenstig, und die Engländer gewöhnten sich an den starken
indischen Tee, und schon seit vielen Jahren hat es in London keine
Versteigerung chinesischen Tees mehr gegeben.
Jetzt haben wir in China die regelrechten Fahrpläne der
Schiffahrtsgesellschaften, haben Verkaufsdirektoren, Konferenzen
und Reklameagenten. Sehr viele in China lebende Ausländer sind
gleich mir unmittelbar daran interessiert, möglichst vielen der
vierhundert Millionen Kunden Waren zu verkaufen. Wir studieren
271

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ den Markt, denken nach, welche Artikel Anklang finden werden,
wie man sie verpacken soll, wie die Propaganda durchgeführt
werden muß und welche kommerziellen Methoden sich überhaupt
empfehlen. Die Probleme sind die gleichen wie die, die man
daheim lösen muß, weisen jedoch eine Anzahl von
Komplikationen und Schwierigkeiten auf, und jedes Land, das sich
nur einer einzigen Fabrik rühmen kann, tritt als Konkurrent auf
den Plan. Keinem von uns geht es so gut, wie er nach seiner Arbeit
für gerechtfertigt hielte, aber es gibt so manche Entschädigung
dafür. Die Arbeit ist immer spannend, und trotz vieler
Enttäuschungen hegen wir alle zärtlich den Gedanken, daß
vielleicht im nächsten Jahr eine beträchtliche Zahl dieser
vierhundert Millionen unsere Waren kaufen wird.
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[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ ZWANZIGSTES KAPITEL
Diese kleine Welt
Vielleicht haben Sie bemerkt, daß die letzte Zahnbürste, die
Sie kauften, nicht ganz so gut war wie die vorige derselben
Marke. Sie haben vielleicht auch gelesen, daß die
chinesische Regierung unlängst Soldaten ausschickte, um
Szetschuan, diese erstaunlich reiche und bevölkerte Provinz, die
an das geheimnisvolle und unzugängliche Tibet grenzt, von
Banditen und Kommunisten zu säubern. Wahrscheinlich ist Ihnen
nie der Gedanke gekommen, daß es zwischen diesen beiden
Tatsachen einen Zusammenhang geben kann oder daß das
Banditenwesen irgendwo am Yangtze die Qualität englischer
Zahnbürsten beeinflussen könnte.
Alle Zahnbürsten werden aus Schweinehorsten verfertigt, und
der größte Lieferant von Schweinehorsten auf dem Weltmarkt ist
China. Die besten Borsten aber, die für die erstklassigen
273

[xiù cai - sju tsai] 2004¢10£24¤ ¡ Zahnbürsten verwendet werden, kommen aus Szetschuan. Zur
Herstellung von Zahnbürsten braucht man weiße Borsten, und
China produziert mehr weiße Borsten als jedes andere Land der
Welt, und zwar aus demselben Grunde, warum die schwarzen
Pferde des Bauern mehr fraßen als seine weißen. Der Bauer hatte
mehr schwarze Pferde als weiße, und der Chinese hat mehr weiße
Sichuanschweine als schwarze.
Sehr wenige der in anderen Teilen der Welt gezüchteten weißen
Schweine tragen zur Zahnbürstenerzeugung bei, denn die
Schweinezüchter sind, ungleich den Chinesen, nicht
geschäftstüchtig genug, die Borsten aufzubewahren, sie zu
säubern, zu sortieren und zu einem Handelsartikel zu machen.
Selbst wenn sie es täten, wäre die Menge nicht sehr groß, denn in
der ganzen Welt, mit Ausnahme Chinas, werden blonde Schweine
nicht bevorzugt, vielleicht weil sie so leicht schmutzig werden.
Die Russen lieferten früher große Mengen weißer Borsten, aber als
die Sowjetregierung daran ging, die heimischen Schweinerassen
aufzubessern, wurden schwarze Zuchtschweine aus dem
kapitalistischen Amerika eingeführt, und das weiße Schwein ist
jetzt so rar, daß es für die Zahnbürstenerzeugung nicht mehr in
Betracht kommt.
Sei dem wie immer, die Tatsache bleibt bestehen, daß die
Belieferung der Welt mit guten Zahnbürsten von dem
Gesundheitszustand und dem Wohlergehen der Szetschuaner
Schweine abhängt. Würden die Szetschuaner Herden von der
Cholera befallen, könnte sich die Menschheit entweder nicht mehr
die Zähne putzen oder müßte sich an die Absonderlichkeit
schwarzer Zahnbürsten gewöhnen. Betrachten Sie ihre Zahnbürste
und denken Sie darüber nach, wie klein diese Welt ist, daß Sie ein
Nachbar der vierhundert Millionen Chinas sind.
Xiù Cai erscheint monatlich, aus aktuellem Anlaß öfter.
Herausgeber: Ostasieninstitut der FH Ludwigshafen, Dr. Jörg-M. R udolph.
Veranwortlicher Redakteur: Dr. Jörg-M. Rudolph. Anschrift: Ostasieninstitut der Fachhochschule
Ludwigshafen, Rheinuferstraße 6, 67061 Ludwigshafen. Tel. 0621-586670, Fax 5866777, email:
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Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Ansicht der Herausgeber wieder.
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