1 Zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft: Zur Mehrdeutigkeit des ...
1 Zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft: Zur Mehrdeutigkeit des ...
1 Zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft: Zur Mehrdeutigkeit des ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Sozialarbeiters auf der Hand: Emotionale Neutralität hilft in schwierigen<br />
Situationen einen klaren Kopf zu behalten, verschiedene Perspektiven<br />
zuzulassen <strong>und</strong> unterschiedliche Lösungswege abzuwägen. Die neutrale<br />
Betrachtung ist beweglicher, vielleicht auch gerechter.<br />
In der derzeitigen Praxis scheinen beide Maximen auffindbar <strong>und</strong> bilden eine<br />
eigenartige Ambivalenz: Die klientenzentrierte Beratung beispielsweise legt<br />
besonderen Wert auf Emotionalität <strong>und</strong> macht Empathie zum Haltungsprinzip<br />
Professioneller. Sozialarbeiter sehen eine auf Respekt <strong>und</strong> Wertschätzung<br />
basierende Arbeitsbeziehung als entscheidende Gr<strong>und</strong>lage für gelingende<br />
Arbeit an (Gehrmann / Müller 2010, 60). Hilfeplanungsverfahren dagegen sind<br />
affektiv neutral konzipiert, lassen wenig Raum für Streit, für Versöhnung, für<br />
Trauer, für Ehre, für Großzügigkeit, für Hilfsbereitschaft, für das Fühlen von<br />
Zusammengehörigkeit. Sie orientieren sich eher an einer bürokratischen<br />
Zweckmäßigkeit: Was ist das Problem <strong>und</strong> wie lösen wir es am effektivsten <strong>und</strong><br />
schnellsten? Für die Pläne gibt es Formulare, damit sie einheitlich werden,<br />
Hilfen haben Standards, Ziele werden "smart" formuliert. Und die Ressource<br />
"Betroffenheit" bleibt in der modernen Sozialarbeit weitgehend ungenutzt. Wenn<br />
einer Nachbarin das Wohlergehen <strong>des</strong> Nachbarskin<strong>des</strong> am Herzen liegt, spielt<br />
das in der professionellen Jugendhilfe, wenn überhaupt, nur zufällig eine Rolle,<br />
aber auch nur eine Nebenrolle.<br />
3. Kollektivorientierung <strong>und</strong> Individualorientierung<br />
War in der "<strong>Gemeinschaft</strong>" die Gruppe der Mittelpunkt, ist es in der<br />
"<strong>Gesellschaft</strong>" der Einzelne. Individualität ist das Markenzeichen der Moderne.<br />
Selbstverwirklichung, Selbstwert, Selbstbestimmung sind ihre wertvollsten<br />
Güter. Wir sind heute freier als jede Generation vor uns. Auch <strong>des</strong>halb weil<br />
jeder von uns individuelle sozialstaatlich garantierte Rechte auf Hilfe hat, <strong>und</strong><br />
wir dadurch zwar abhängig von der <strong>Gesellschaft</strong> als ganzer, aber vollkommen<br />
unabhängig von jedem bestimmten anderen Menschen werden. Das ist eine<br />
enorme soziale Errungenschaft. Andererseits werden die Notwendigkeit <strong>und</strong> der<br />
Einfluss von "Beziehungen" durch die Forschung immer deutlicher erkannt.<br />
15