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1 Zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft: Zur Mehrdeutigkeit des ...

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Stamm <strong>und</strong> Herkunftsort. Sich als "Individuum" vorzustellen ist im besten Falle<br />

irrelevant, im schlimmsten Falle gilt es als schlechter Stil. In der Vorstellung<br />

eingeschlossen ist eine Würdigung der andern Anwesenden. Das ist nicht nur<br />

eine Formalität, sondern hat zwei Funktionen: (1) Es drückt aus, dass Sprecher<br />

<strong>und</strong> Zuhörer jeweils eine bestimmte Position haben, von der aus sie hören oder<br />

sprechen: Es gibt unterschiedliche Kontexte, mit unterschiedlichen Wahrheiten.<br />

Ein Mihi betont ein multiples Wahrheitsverständnis. (2) Die Würdigung aller<br />

Anwesenden betont auch das Kollektive, das Gemeinsame <strong>des</strong> Unternehmens.<br />

Der Erfolg der Versammlung beruht auf gemeinschaftlicher Anstrengung (vgl.<br />

Love 2005). Angelpunkt der Identität ist das Whakapapa, der Stammbaum, der<br />

die Stellung <strong>des</strong> Einzelnen in Relation zu anderen <strong>und</strong> zum Herkunftsort<br />

bestimmt. Familie, Verwandtschaft <strong>und</strong> Sippe sind für die Erklärung der eigenen<br />

Haltung, Ziele, Leistungen von zentraler Bedeutung. Der einzelne Mensch wird<br />

gesehen als ein Bestandteil seiner Hapu, Iwi (Stamm, Sippe) <strong>und</strong> Whanau<br />

(Großfamilie, ein Wort, das mittlerweile auch westliche Einwanderer in<br />

Neuseeland benutzen, wenn sie den Kreis der Menschen meinen, der wichtig<br />

für sie ist.) Die Leute von Maunga Pohatu, westlich von Gisborne,<br />

beispielsweise rezitieren ihr Whakapapa bis zu Huti, <strong>des</strong>sen Boot ihre<br />

Vorfahren vor h<strong>und</strong>erten von Jahren von weit her zum "Land der langen weißen<br />

Wolke" (Aotearoa, Maorisprache für Neuseeland) brachte.<br />

Die ethnologische Einleitung deutet die These <strong>des</strong> Artikels an: Der Familienrat<br />

als Hilfeplanungsverfahren ist eine Modellierung von Problemlösungspraktiken,<br />

die im modernen Sozialstaat nicht vorgesehen sind, weil sie auf traditionalen<br />

Werten <strong>und</strong> Gepflogenheiten beruhen, die in der verwissenschaftlichten,<br />

verrechtlichten <strong>und</strong> institutionalisierten Sozialarbeit keine tragende Rolle<br />

spielen. Man könnte auch sagen, der Familienrat ist die Inszenierung eines<br />

Anachronismus. Diese These werde ich nun ausführlicher mit einem<br />

Begriffspaar zu erklären, das Ferdinand Tönnies geprägt hat: "<strong>Gemeinschaft</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong>":<br />

<strong>Gemeinschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

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