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Autoren: Reichs- Rundfunk- Gesellschaft, .<br />
Titel: Dichtung und Rundfunk. Reden und Gegenreden.<br />
http:/ /www.mediaculture- <strong>online</strong>.de<br />
Quelle: Die Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste. Berlin<br />
1930. S. 7- 112.<br />
Die Veröffentlichung ist gemeinfrei.<br />
Die Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste<br />
Dichtung und Rundfunk. Reden und<br />
Gegenreden<br />
ERSTER VERHANDLUNGSTAG (30.09.1929) ............................................................2<br />
Literatur und Rundfunk ....................................................................................................2<br />
Alfred Döblin: ......................................................................................................................................................2<br />
Dr. von Boeckmann: ...........................................................................................................................................8<br />
Epik.........................................................................................................................................13<br />
Arnold Zweig: ....................................................................................................................................................13<br />
Dr. Roeseler: ......................................................................................................................................................16<br />
Essay und Dialog ...............................................................................................................19<br />
Hans Flesch: .......................................................................................................................................................19<br />
Herbert Ihering: ................................................................................................................................................23<br />
Aussprache ..........................................................................................................................26<br />
ZWEITER VERHANDLUNGSTAG (1.10.1929) .........................................................42<br />
Drama ....................................................................................................................................43<br />
Ernst Hardt: .......................................................................................................................................................43<br />
Hermann Kasack: .............................................................................................................................................48<br />
Hörspiel .................................................................................................................................53<br />
Alfred Braun: .....................................................................................................................................................53<br />
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Arnolt Bronnen: ................................................................................................................................................57<br />
Lyrik .......................................................................................................................................59<br />
Friedrich Schnack: ............................................................................................................................................59<br />
Dr. Bofinger: .......................................................................................................................................................62<br />
Aussprache ..........................................................................................................................67<br />
VORBEMERKUNG<br />
Dieses Buch enthält Vorträge und Diskussionsreden, gehalten im Herbst<br />
1929 in Kassel- Wilhelmshöhe auf einer Arbeitstagung „Dichtung und Rundfunk“,<br />
zu der die unterzeichneten Stellen eingeladen hatten. Teilnehmer waren Autoren<br />
sowie Vertreter der Behörden und der deutschen Rundfunkgesellschaften. Der<br />
Kreis der Geladenen durfte naturgemäß ein gewisses Maß nicht überschreiten;<br />
doch wird allen denen, die berufen sind, aber nicht gerufen werden konnten,<br />
diese Verhandlungsniederschrift von Wert sein.<br />
Es konnte diesmal noch nicht um L ö s u n g der Probleme gehen, sondern<br />
erst um ihre Klärung, und zur tätigen Mitarbeit daran möchte dieses Buch alle,<br />
die es angeht, anregen.<br />
ERSTER VERHANDLUNGSTAG (30.09.1929)<br />
Vorsitzender Walter von Molo: Meine Herren! Ich eröffne hiermit unsere<br />
Arbeitstagung. Sie haben aus der Einladung entnommen, daß<br />
Begrüßungsansprachen nicht gehalten werden sollen. Wir wollen deshalb sofort in<br />
die Tagesordnung eintreten. Die Herren Referenten wollen sich bei ihren<br />
Vorträgen bitte auf zehn Minuten beschränken. Nach den Vorträgen ist eine<br />
Diskussion vorgesehen. Die Nachmittage und Abende sind der persönlichen<br />
Aussprache vorbehalten. Ich erteile zunächst das Wort Herrn Dr. Döblin zu<br />
seinem Referat.<br />
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Literatur und Rundfunk<br />
Alfred Döblin:<br />
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Ich will, meine Herren, aus dem großen Fragenkomplex „Literatur und Rundfunk“<br />
nur eine bestimmte Fragengruppe herausgreifen und sie mit Ihnen zusammen<br />
betrachten. Das ist die Fragengruppe, die praktisch und technisch für die Autoren<br />
wie für die Radiofachleute mit die wichtigste ist, nämlich nach der formalen Natur<br />
der Literatur und der formalen Natur des Rundfunks; und ich möchte, nachdem<br />
ich die Natur dieser beiden Gebiete erfaßt habe, mit Ihnen zusammen sehen: wie<br />
können sie überhaupt ihrer Natur nach zueinander stehen, welche sachliche<br />
Möglichkeit einer Verbindung zwischen den beiden besteht, und welcher Grad<br />
einer Verbindung ist überhaupt möglich.<br />
Wir von der Literatur haben zu einer solchen Besinnung Grund darum, weil sie<br />
uns selbst von verkehrten Bemühungen abhalten kann - dies im Negativen - ; und<br />
dann im Positiven, weil wir wissen müssen, welche literarischen Möglichkeiten<br />
eventuell der Rundfunk uns bietet. Von den Autoren will noch immer ein<br />
mächtiger Teil, man möchte sagen unbesehen, nichts vom Rundfunk wissen, weil<br />
er den Rundfunk für etwas Vulgäres, für Unterhaltung und Belehrung plumper Art<br />
hält. Da ist die Auffassung: der Rundfunk verfügt über eine ungeheure<br />
Hörermasse; aber das hat gar keinen Wert, denn die Hörermasse ist absolut<br />
unreif für Literatur, und die Leitung der Rundfunkgesellschaften arbeitet<br />
privatkapitalistisch und stellt sich demnach, Angebot und Nachfrage, auf die<br />
Wünsche dieser Hörermassen ein. Man muß durchaus gegen diese nonchalante<br />
und gar zu großartige Geste etwas tun; denn es besteht bei einer Gleichgültigkeit<br />
der Schriftsteller gegen den Rundfunk die Gefahr, daß es mit dem Rundfunk so<br />
geht wie mit dem Film, der ja eigentlich völlig abgerutscht ist zur Industrie und<br />
zu deren Angestellten. Übrigens haben wir von der Literatur doppelten Grund,<br />
uns um den Rundfunk zu kümmern, da es sich um ein sprechendes Gebiet<br />
handelt.<br />
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Zunächst: wer ist und was vermag der Rundfunk? Er ist ein akustisches<br />
Instrument, dem Telefon nahestehend, vermag aber zum Unterschied vom<br />
Telefon Geräusche, Worte und Töne augenblicklich und gleichzeitig zu sehr<br />
vielen, zu unbestimmt vielen Menschen zu tragen. Die Literatur hatte bekanntlich<br />
bisher für Verbreitungszwecke, abgesehen von dem einfachen, natürlichen,<br />
mündlichen Vortrag, zur Verfügung das Buch und das Theater. Wir sehen sofort,<br />
der Rundfunk ist dem Buch und dem Theater überlegen durch seinen ungeheuren<br />
Aktionsradius. Wir müssen freilich zugleich feststellen, daß der Rundfunk<br />
keineswegs etwa die Verbreitung von Literatur als alleinige Aufgabe hat, wie das<br />
Theater und der größte Teil der Bücher. Der Rundfunk vermittelt auch seiner<br />
Natur nach Töne und Geräusche, und da ist ungleich wichtiger als die<br />
Literaturverbreitung für ihn die Verbreitung von Musik. Warum die Musik? Das<br />
folgt einmal aus dem riesigen Umfang der Hörermasse. Die Musik ist einfach<br />
universeller als die Literatur, allgemein leichter verständlich, und darum ist sie<br />
die gegebene Kunst des Rundfunks. Neben die Musik tritt dann als wichtiges<br />
Gebiet des Rundfunks die Nachrichtenverbreitung, die Journalistik, die<br />
gesprochene Tageszeitung. Das ist eine eminent wichtige Sache, und daß der<br />
Rundfunk aufs rascheste Nachrichten übermitteln kann und sie auch rasch<br />
ausmünzen kann, sichert diesem Instrument einen ganz besonderen Platz unter<br />
den Verbreitungs- und geistigen Wirkungsmitteln. Ich möchte glauben, wir tun<br />
nicht unrecht, wenn wir sagen: erst an dritter Stelle kommt das Gebiet, mit dem<br />
wir uns heute befassen, das Gebiet der geformten Sprache, die Literatur. Das nur<br />
nebenbei.<br />
Wie sieht nun in den für unsere Zwecke wichtigen Punkten formal diese Literatur<br />
aus? Wir benennen sie nach der geläufigen Einteilung Lyrik, Dramatik und Epik<br />
und schließen noch das etwas zweifelhafte Gebiet der Essayistik an, das in der<br />
deutschen Literatur nicht sehr groß ist, für den Rundfunk aber sehr wichtig ist<br />
oder sehr wichtig werden kann, weil es zur Journalistik und zur belehrenden<br />
Wissenschaft hinüberführt. Lyrik, Epik und Essayistik nun haben zunächst ein<br />
bestimmtes formales Merkmal: sie stehen in Büchern. Sie werden nicht oder nur<br />
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ausnahmsweise gesprochen. Der Großteil unserer Literatur also steht unter dem<br />
Zeichen der Drucktype, und das Organ, durch das diese Literatur in unsere Köpfe<br />
dringt - wir wollen das gut festhalten - , sind die Augen. Eine Sonderstellung<br />
nimmt die Dramatik ein, deren Produkte auf dem Theater real werden: da wird<br />
gehört und zugleich dreidimensional gesehen. Wenn es aber so steht: der<br />
Rundfunk ist ein akustisches Verbreitungsinstrument für Worte, Töne und<br />
Geräusche, der Großteil unserer bisherigen Literatur aber ist stumm, steht unter<br />
dem Bann der Drucktype, ist geschrieben für den inneren Sinn, die Dramatik zwar<br />
für die Ohren, aber gleichzeitig für die Augen, - wie kommen da Literatur und<br />
Rundfunk zusammen? Sofort wird mit dieser Frage die schwierige, ja fast<br />
unglückliche Rolle der Literatur im Rundfunk deutlich, und da können wir<br />
vollkommen absehen von den vielen Tausenden von Menschen, die etwa keine<br />
Literatur verstehen. Wir reden hier nur von den Schwierigkeiten in der Sache<br />
selbst. Wir wollen das genauer ansehen. Es steht so, um es gleich zu sagen: für<br />
die Musik und die Journalistik bedeutet der Rundfunk im wesentlichen kein<br />
Novum, er ist da nur ein neues technisches Mittel der Verbreitung. Für die<br />
Literatur aber ist der Rundfunk ein veränderndes Medium. Formveränderung muß<br />
oder müßte die Literatur annehmen, um rundfunkgemäß zu werden, und wie<br />
stellt sich oder kann sich überhaupt die Literatur zu diesen Ansprüchen des<br />
Rundfunks stellen?<br />
Ich stelle nun mit Vergnügen fest: in einer Hinsicht kommt der Rundfunk der<br />
Literatur weit entgegen und kann er eine Leistung an der Literatur vollbringen.<br />
Die Literatur baut mit der Sprache, welche an sich ja noch immer ein akustisches<br />
Element ist. Wenn seit der Erfindung der Buchdruckerkunst fortschreitend die<br />
Literatur in unserer Zeit zu einem stummen Gebiet geworden ist, so braucht das<br />
nicht unbedingt ein Vorteil zu sein. Ja, es ist bestimmt für die Literatur und die<br />
Sprache ein Nachteil. Der Buchdruck, die Drucktype hat, um es ruhig<br />
auszusprechen, die Literatur und uns alle in einer unnatürlichen Weise zu<br />
Stummen gemacht; bestimmt hat dadurch unsere Sprache Schaden genommen,<br />
die lebende Sprache ist in ungenügender Weise in die geschriebene<br />
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eingedrungen, und so hatte die Buchdruckerkunst bei uns offenbar eine Anämie<br />
und Vertrocknung der Sprache im Gefolge. Da tritt nun im ersten Viertel des 20.<br />
Jahrhunderts überraschend der Rundfunk auf und bietet uns, die wir mit Haut<br />
und Haaren Schriftsteller sind, aber nicht Sprachsteller, - und bietet uns wieder<br />
das akustische Medium, den eigentlichen Mutterboden jeder Literatur. Ich muß<br />
freilich sofort einen Einwand machen und Wasser in diesen Wein gießen. In eine<br />
ursprüngliche und natürliche Situation werden wir von dem Rundfunk nicht<br />
zurückgeführt. Es ist zwar die mündliche Sprache, die lebende Sprache, die dort<br />
am Mikrophon gesprochen werden kann, aber das Radio zeigt sich doch sofort als<br />
künstliches, sehr künstliches technisches Mittel; denn unsere mündliche Sprache<br />
lebt vom Kontakt zwischen Redner und Hörer. Ferner: die lebende Sprache steht<br />
auch nie allein, sie ist immer begleitet von Mimik, von wechselnden Gebärden,<br />
von Blicken. Diese Situation kann der Rundfunk nicht erneuern. Man weiß zwar,<br />
da es einem gesagt wird, daß jetzt viele tausend Menschen dahinten hören, wenn<br />
man spricht, aber faktisch sitzt man isoliert im Aufnahmeraum, und diese<br />
tausend Menschen existieren bestenfalls in unserer Phantasie. Aber auch dann<br />
erleben wir nicht die Resonanz, die Rückwirkung unseres Publikums auf uns; und<br />
darum fehlt dem Rundfunk die Kraft, die die Sprache und das Gesprochene erst<br />
wirklich zum Leben bringt, es fehlt das letzte Anfeuernde und Regulierende. Also<br />
zur natürlichen menschlichen Situation des Sprechers, des Erzählers etwa<br />
kommen wir doch nicht, aber immerhin zu einer weniger künstlichen Situation.<br />
Immerhin wird hier der Literatur wieder die tönende Sprache angeboten, und das<br />
ist ein großer Gewinn, dessen wir uns einmal ganz bewußt werden müssen. Es ist<br />
ein Vorteil, der ausgenützt werden muß. Es heißt jetzt Dinge machen, die<br />
gesprochen werden, die tönen. jeder, der schreibt, weiß, daß dies Veränderungen<br />
bis in die Substanz des Werkes hinein im Gefolge hat.<br />
Und weiter ein antreibendes Element aus dem Rundfunk: es handelt sich hier um<br />
das Sprechen vor einer wenn auch nicht sichtbaren, so doch real vorhandenen<br />
großen Masse. Dieses formale Merkmal des Rundfunks, an unbestimmt viele<br />
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Menschen zu gelangen, kann im positiven Sinne eine wichtige literarische<br />
Veränderung bewirken. Sie kennen die fatale, ja grausige Lage unserer Literatur:<br />
alles drängt nach Spitzenleistungen, es besteht eine Riesenkluft zwischen der<br />
eigentlichen, schon überartistischen Literatur und der großen Volksmasse. Die<br />
große Literatur ist bald für 1000, bald für 10 000, höchstens für kaum 100 000<br />
Menschen da. Gelegentliche Massenauflagen können darüber nicht wegtäuschen.<br />
Diese überaristokratische Haltung sterilisiert uns, sie ist ungesund und<br />
unzeitgemäß. Wieder tritt da der Rundfunk vor uns, die er eben aufgefordert hat,<br />
die Drucktype zu verlassen, und fordert uns auf, unseren kleinen gebildeten<br />
Klüngel zu verlassen. Wenn ich so sagen kann: das ganze Deutschland soll es<br />
sein. Ich kann das nicht als einen Nachteil bezeichnen. Beides, mündlich zu<br />
sprechen oder sprechen zu lassen, und sich auf den lebenden einfachen<br />
Menschen der Straße und des Landes einzustellen: diese beiden literaturfremden,<br />
funkformalen Ansprüche sind auch literarisch gute Ansprüche. Ich möchte sie als<br />
Sanierungseingriffe des Rundfunks in die gedruckte aristokratische Literatur<br />
bezeichnen und möchte die Autoren auf diese Eingriffe hinweisen.<br />
Aus der „großen Masse,“ folgt übrigens eine bestimmte Haltung des Autors; er<br />
hat diese Verpflichtung auch im Buch und im Theater, dort ist der Verleger, der<br />
Direktor; hier ist Zensur. Ich denke, die Autoren werden von sich aus die richtige<br />
Einstellung auf die Masse vornehmen können.<br />
Nach diesen beiden formalen Merkmalen und Ansprüchen des Rundfunks an die<br />
Literatur, die ich gelten lasse, will ich nun rasch mit einem Blick die vier<br />
Literaturgattungen darauf ansehen, wie sich ihre eigenen Charaktere zu der des<br />
Rundfunks verhalten, und ob da eine Ehe oder etwas Eheartiges, vielleicht bloß<br />
eine Liaison möglich ist.<br />
Nun, es steht gut bei der Essayistik. Der Essay wird vom Rundfunk nur die<br />
Anweisung anzunehmen haben, einmal kurz zu sein - denn man kann nicht<br />
langen gesprochenen Essays folgen, der kleine Mann überhaupt nicht - , und<br />
dann: man wird einfach sein müssen. Das sind wünschenswerte und erreichbare<br />
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Dinge, und der Übergang von der Essayistik in den Rundfunk ist daher<br />
ungezwungen möglich. Übrigens viel leichter möglich, als sich viele Vortragende<br />
des Rundfunks das denken: es muß in die Masse der Vortragenden das Gefühl<br />
hineingetragen werden, daß der Vortrag, auch der wissenschaftliche, den<br />
Charakter eines Essays, eines Literaturproduktes zu haben hat, daß man weder<br />
langweilig noch schwer zu sein hat: Die Rundfunkleiter mögen auf eine solche<br />
essayistische Schulung ihrer Vortragenden sehen. „Fröhliche Wissenschaft“ hat<br />
Nietzsche gesagt; das möge man den Vortragenden vorhalten. Selbstverständlich<br />
bleibt eine Riesenmasse von Essayistik unbrauchbar für den Rundfunk, bleibt<br />
dem Buch und der Zeitschrift reserviert.<br />
Ebenso leicht wie die Essayistik, die übrigens durch die Reportage zu einem<br />
machtvollen Bestandteil der Rundfunkdarbietungen werden kann, ebenso leicht<br />
kann die Lyrik in den Rundfunk eingehen. Die Übersetzung in die tönende<br />
Sprache liegt der Lyrik besonders. Kürze ist ihr von Natur eigentümlich; bleibt nur<br />
die Auswahl auf Einfachheit und Eindringlichkeit und die Anordnung rein<br />
technischer Art innerhalb eines Programms. Ich bin übrigens der Meinung, daß<br />
der Lyrik ein viel größerer Platz im Programm des Rundfunks eingeräumt werden<br />
kann; denn die Lyrik steht der Musik sehr nahe, sie spricht direkt an, wendet sich<br />
an das Gefühl, ruft an. Es kommt nur auf die richtige Anordnung und Auswahl in<br />
Verbindung mit musikalischen Darbietungen an. Ich möchte bei der Gelegenheit<br />
prinzipiell bemerken, daß ich nur einen Vortrag von Lyrik, nicht aber von einer<br />
anderen Literaturgattung durch den Verfasser selbst für wünschenswert halte.<br />
Meist ist es ein Verbrechen, und sachlich ist es ein Unsinn, denn der Autor hat<br />
mit dem fertigen Werk nichts mehr zu tun, und der Vortrag eines Werkes gehört<br />
einer anderen Kunstgattung an, der Sprechkunst oder der Gesangskunst. Nur zu<br />
einer kurzen Vorstellung, zu einer kleinen persönlichen Bemerkung, zu einem<br />
Stimmporträt kann ich die Anwesenheit des Autors bei der Sendung seiner Werke<br />
im Rundfunk billigen.<br />
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Ist eine Ehe von Rundfunk und Literatur im Essayistischen und im Lyrischen leicht<br />
und gut möglich, weil der Rundfunk einen ihnen entsprechenden Charakter hat,<br />
so ist die Sache gefährlich, ja katastrophal, wenn wir uns den heute breitesten<br />
Gebieten der Literatur nähern, der Epik und der Dramatik. Hier stößt eine<br />
Annäherung auf die allergrößten Schwierigkeiten, auf absolut unüberwindliche<br />
Schwierigkeiten.<br />
Unser heutiger Roman ist mit von der Buchform erzeugt. Er ist stumm und mehr<br />
oder weniger lang, zu schweigen davon, ob er schwer ist. Jetzt tritt das Radio auf,<br />
Sprechen wird gefordert, Kürze, plastische Einfachheit. Es sieht so aus, als ob die<br />
Sprache ein Vorteil sei; ich habe das vorhin betont. Aber das gilt nur für eine<br />
kommende Epik, für eine wirkliche Rundfunk- Epik. Ich habe sie den Autoren als<br />
wünschenswert unterbreitet. Der heutige Roman aber ist ein Buchroman, und für<br />
ihn ist der mündliche Vortrag ein Fehler. Die heutigen epischen Werke vom Don<br />
Quichote bis zum Hintertreppen- roman würden am mündlichen Vortrag<br />
zugrunde gehen, denn er verstößt gegen die Grundintentionen und damit gegen<br />
die Natur dieser Werke. Romanen und epischen Werken ist Breite, Ausdehnung<br />
und Fluß wesentlich. Für diese Breite, diese Ausdehnung und den Fluß haben wir<br />
zur Verfügung die Augen, die über die Seiten weggleiten und die es ermöglichen,<br />
innerhalb weniger Stunden zu passieren, wofür ein eventueller Hörer viele Tage<br />
braucht, wenn er es überhaupt aushalten kann. Für diese Ausdehnung sind die<br />
Augen die Schnellreiter und die D- Züge, und sie ermöglichen, das zu fassen, was<br />
man Spannung nennt. Alles, was Spannung ist in diesen großen<br />
Zusammenhängen, wird durch das langsame Fuhrwerk der gesprochenen Sprache<br />
totgefahren.<br />
Das ist das eine. Und das andere ist nicht weniger wichtig. So sehr es zunächst<br />
paradox erscheint nach dem vorher Bemerkten: die mündliche Sprache ist<br />
überhaupt schlecht für das bisherige epische Werk. Die tönende Sprache tut<br />
nichts Positives hinzu, nämlich das Tönen zum Roman, sondern sie engt die<br />
Phantasie ein durch den Stimmklang, die besondere Art der Stimme, ihren<br />
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Tonfall, der vom Autor nicht vorgesehen ist. Der eigentliche Ort des Romans ist<br />
unstreitig die Phantasie, das geistig sinnliche Mitphantasieren, und dahin führt<br />
unendlich besser das Lesen; die Konzentration wird hier tiefer, die Ablenkung ist<br />
geringer, es erfolgt leichter die notwendige Selbsthypnose, die unter Anleitung<br />
des Autors des Romans geschieht.<br />
Danach fällt die überaus wichtige und große epische Gattung jedenfalls in ihrer<br />
heutigen Form für den Rundfunk aus, und zwar zu hundert Prozent. Ich sehe von<br />
gelegentlichen Kurzgeschichten ab ,sie bilden keinen wichtigen Bestandteil<br />
unserer Literatur.<br />
Und nicht besser steht es um das Drama. Man kann keine Romane im Rundfunk<br />
vorlesen, und man kann keine Dramen im Rundfunk aufführen. Ich halte alle<br />
Behauptungen, die etwas anderes besagen, für irrig, und ich habe mich durch<br />
viele Rundfunkaufführungen von dieser Tatsache überzeugt. Die Differenzierung<br />
von Personen erfolgt beim normalen Drama unter Kontrolle der Augen, und so ist<br />
es gedacht vom Autor. Mimik, Geste, stummes Spiel sind wohl bei allen Stücken<br />
wesentlich, in vielen Stücken gibt es noch besondere Bühnenaktionen. Denken Sie<br />
an die Situationskomik, die vom bloß tönenden Rundfunk nicht übernommen<br />
werden kann. Was der Rundfunk an Theaterspielen sendet, sind Reproduktionen<br />
von der Art des Schwarzweißdrucks, der von einem farbigen Bild genommen ist.<br />
Es ist die Vorlesung eines Stückes aus dem Rollenbuch, nie die Aufführung und<br />
schon gar nicht Theater. Denn Theater ist nun etwas, wozu der Rundfunk aus<br />
einem bestimmten Grunde ganz und gar nicht fähig ist. Theater ist ein<br />
Kollektiverlebnis. Im Theater wird vor einer großen Masse und auch mit dieser<br />
Masse ein Drama gespielt. Theater ist erst real, wie sich jeder überzeugen kann,<br />
in der Gemeinsamkeit des Erlebens des Dramas. Das Theater hat, wie eine große<br />
Versammlung, eine elementare gesellschaftliche Funktion. Die fehlt dem Radio<br />
durch seine Konstitution; denn das Radio wendet sich zwar an 100 000, - aber<br />
man darf nicht unterschlagen: an 100 000 Einzelne. Und wie der Autor, der etwa<br />
im Rundfunk spricht, isoliert dasitzt und die 100 000 nur matt in der Phantasie<br />
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erlebt oder auch gar nicht erlebt und keine lebende Resonanz erfährt, so ist hier,<br />
durch dieses großartige, aber mörderische Instrument, die Masse zerteilt; die<br />
Masse ist nicht da, und darum ist Theater nicht möglich im Rundfunk, sondern<br />
nur das Surrogat Sendespiel oder Übertragung. Nun, das sind keine Vorwürfe<br />
gegen das Radio, sondern Bestimmungen seiner Grenzen und seiner Natur.<br />
Wir von der Literatur also, ob wir in Büchern schreiben oder für das Theater<br />
arbeiten, werden trotz allem Anreiz nur unbedeutend und nicht tiefgehend durch<br />
die Tatsache des Rundfunks bewegt und voraussichtlich auch nicht stärker<br />
bewegt werden. Das Manko des Rundfunks gegenüber dem Status der heutigen<br />
Literatur ist zu groß, dies Manko, das dem Rundfunk gegenüber der Musik und<br />
der Journalistik fast völlig fehlt. Wenn wir uns nun als Autoren doch, dem<br />
Rundfunk nicht nur wohlwollend, sondern auch verantwortungsvoll zuwenden, so<br />
wollen wir und die Herren vom Rundfunk, die eigentlichen Radioaktiven, nach<br />
dem eben Gesagten folgendes bedenken und zusammenfassen. Bei der Lyrik und<br />
der Essayistik ist die Annäherungsmöglichkeit leicht und gut. Sie ist von den<br />
Herren des Rundfunks und denen der Literatur gemeinsam mit guter Chance<br />
weiterzubetreiben. Wenn man dem Rundfunk in bezug auf Epik und Dramatik<br />
sagt: möglichst Hände weg, oder: gib deine Sendespiele und Übertragungen -<br />
aber es ist nicht Kunst, sondern nur Abklatsch oder Kunsttorso oder Bericht von<br />
Kunst,- wenn man dies sagt, so darf man aber, muß man zugleich etwas anderes<br />
Positives hinzufügen. Der Rundfunk kann zwar nicht die Epik und die Dramatik<br />
der Literatur übernehmen; aber er muß sich nur wie Antäus auf seinen eigenen<br />
Boden zurückbewegen, dann kann er sich Epik und Dramatik auf eigene Weise<br />
assimilieren und kann eine spezifische, volkstümliche Rundfunkkunst, eine<br />
besondere große, interessante Kunstgattung entwickeln. Diese Gattung hat den<br />
Merkmalen des Radio - Hörbarkeit, Kürze, Prägnanz, Einfachheit - Rechnung zu<br />
tragen. Der Rundfunk hat sein Hörspiel, das bisher mit Ausnahmen fast ganz in<br />
den Händen von Dramaturgen liegt, durchaus mit Hilfe der wirklichen Literatur zu<br />
entwickeln, denn es ist Sprache und dichterische Phantasie dazu nötig. Er bemüht<br />
sich schon, er möge aber, und mit ihm der Produzent solcher Werke, mehr als<br />
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bisher bedenken, daß im Rundfunk jener alte Unterschied zwischen Epik und<br />
Dramatik aufhört. Das sind Trennungen der Literatur, welche das Buch und das<br />
Theater kennen. Es ist mir sicher, daß nur auf eine ganz freie Weise, unter<br />
Benutzung lyrischer und epischer Elemente, ja auch essayistischer, in Zukunft<br />
wirkliche Hörspiele möglich werden, die sich zugleich die anderen Möglichkeiten<br />
des Rundfunks, Musik und Geräusche, für ihre Zwecke nutzbar machen. Ich kann<br />
mir da übrigens auch denken, daß Hörspielfolgen in Fortsetzungen im Rundfunk<br />
möglich werden wie Romane, die da sonst unmöglich sind.<br />
Sie haben von mir gehört: die Aufzeigung einiger wichtiger formaler und<br />
inhaltlicher Merkmale des Rundfunks, der konformen und der widersprechenden<br />
Merkmale der Literatur; und aus diesen Merkmalen habe ich kurz bestimmt den<br />
Grad der Möglichkeit eines Eintritts von Literatur in den Rundfunk.<br />
Dr. von Boeckmann:<br />
Meine Herren! Für uns Programmleiter des Rundfunks bedeuten die Worte<br />
„Literatur und Rundfunk“ eine seit fünf Jahren bestehende Arbeitsverbindung, die<br />
von uns programmatisch und wirtschaftlich, inhaltlich und formal sehr<br />
weitgehend ausgebaut worden ist. Sie hat sich in vier Hauptrichtungen entwickelt,<br />
die ich für mein Referat mit zwei Doppelfragen charakterisieren möchte: Was<br />
bedeutet der Rundfunk heute für die Literatur, nämlich den literarischen<br />
Sendestoff als solchen, und für die Dichter? Und umgekehrt: Was bedeutet die<br />
Literatur für den Rundfunk, nämlich den Rundfunkhörer und die<br />
Sendegesellschaft als solche?<br />
Tatsache ist, daß der Rundfunk sich aller Teilgebiete der Literatur bemächtigt hat.<br />
Ebenso trifft es zu, daß dies teilweise nicht ohne Änderung des ursprünglichen<br />
Wesens der einzelnen literarischen Stoffe möglich ist. Inwieweit dies bei den<br />
verschiedenen Literaturzweigen künstlerisch zulässig und wertvoll ist, werden die<br />
späteren Referate zeigen. Allgemein und grundsätzlich aber darf man für die<br />
Funkbearbeitung doch wohl das gleiche Recht beanspruchen wie für die<br />
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Bühnenbearbeitung. Theater und Funk müssen ihre literarischen Stoffe<br />
dramaturgisch bearbeiten und dürfen es auch, solange sie das innere Wesen des<br />
Originals nicht zerstören und innerhalb der Grenzen des künstlerisch<br />
Vertretbaren bleiben. Wenn der Rundfunk Lyrik, Epik und Essayistik in funkisch<br />
richtiger Auswahl und mit hochwertiger Sprechkultur wiedergibt, so ist seine<br />
Leistung künstlerisch unbedingt positiv. Wenn auch diese Literatur heute zumeist<br />
als Leseliteratur geschrieben wird, so kann das doch niemals heißen, daß sie<br />
einer Wiedergabe durch das lebendige Wort unzugänglich sei. Im Gegenteil: die<br />
echte große Lyrik entsteht nicht am Schreibtisch und nicht für das Buch. Goethe<br />
hat seine Gedichte im Schreiten gefunden, aus der Bewegung, dem Rhythmus, der<br />
Melodie konzipiert. Gelesene Lyrik ist leblos. Der Rundfunk aber ist ein solcher<br />
Sprecher, ein Barde des 20. Jahrhunderts. Dies hat auch mein Herr Vorredner<br />
betont. Schwierig wird die Funkaufgabe erst beim dramatischen Teil. Hier wirft<br />
man dem Rundfunk vor, daß er dreidimensional Gedachtes auf eine Dimension zu<br />
übertragen versuche. Meine Herren, das ist ja gar nicht richtig. Nämlich die eine<br />
Dimension, die Hörfläche, ist ja nur Durchgangsstufe. Der lauschende<br />
Rundfunkteilnehmer hört eindimensional, aber er gestaltet in seiner Phantasie<br />
sofort und automatisch dreidimensional. Wir vergessen hier immer zweierlei: das<br />
Wesen des Lauschens, das es in funktioneller Hochzüchtung vielleicht nur noch<br />
beim täglich intensiv hörenden Rundfunkteilnehmer gibt, - und die aus solcher<br />
Hörschulung hervorgehende, ganz unglaubliche Aktivierung und Verinnerlichung<br />
der Phantasie. So erlebt der Rundfunkhörer in täglich erneuten Momenten<br />
schärfster innerer Konzentration eine wahre Allmacht des Wortes und seiner<br />
Bildkraft. Ich behaupte, daß der zu solcher Konzentration erzogene<br />
Rundfunkhörer an Umsetzung von Gehöreindrücken in Bildvorstellungen<br />
Leistungen fertigbringt, die kein noch so vollendeter Bühnennaturalismus<br />
erreicht. Wenn es nur gelingt, den Gehöreindruck akustisch richtig zu erzeugen,<br />
dann, meine Herren, können Sie dem Lauscher im Rundfunk zumuten, was Sie<br />
wollen; er formt das gewünschte Bild daraus, auch in der vierten Dimension! Auch<br />
hier liegen die Schwierigkeiten nicht in der Sache an sich, sondern nur in der<br />
Form, - in den Personen sowohl der Sprecher wie der Dichter.<br />
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Damit bin ich bei der nächsten Frage, dem Verhältnis der Dichter zu dem neuen<br />
künstlerischen Medium des Rundfunks. Ich meine jetzt natürlich nur lebende<br />
Dichter. Sie können im Rundfunk sprechen oder für ihn schreiben, - in beiden<br />
Fällen müssen sie sich dem Wesen der akustischen Abstraktion, in dem nun<br />
einmal das Geheimnis aller Rundfunkwirkungen beschlossen liegt, anpassen. Sie<br />
müssen begreifen, oder besser, innerlich erleben, daß ein Nursprechen und<br />
Nurhören ohne Sehen und Gesehenwerden keine schlechtere, sondern einfach<br />
eine andere, eine ganz neue Ausdrucksform und Ausdruckswelt ist. Nur wer sie<br />
ernsthaft studiert und künstlerisch durchlebt, kann sie auch gestalten. Der<br />
Rundfunk ist ein neues, vom Himmel gefallenes schöpferisches Instrument<br />
gerade der lebendigen Wortkunst. Es liegt an Ihnen, meine Herren, auf diesem<br />
Instrument ebenso virtuos zu spielen wie auf der Buchpresse und der Rampe. Die<br />
zeitgenössischen Komponisten haben dies klar erkannt. Für sie ist der Rundfunk<br />
nichts Fremdhaftes oder Feindseliges mehr, sondern ein neues, großartiges<br />
akustisches Arbeitsfeld. Aus den Autorenkreisen der Dichtung aber spüren wir<br />
immer noch eine gewisse Scheu, manchmal sogar Mißtrauen und<br />
Geringschätzung. Es wäre sehr schade, wenn hier bei einer doch unaufhaltsamen<br />
Entwicklung unnötig Zeit verloren würde.<br />
Und nun das zweite Fragenpaar: was bedeutet die Literatur für den<br />
Rundfunkhörer und die Sendegesellschaft? Der Rundfunkhörer, - meine Herren,<br />
Sie denken hier immer zu sehr an die Millionenmasse der amtlich registrierten<br />
Teilnehmer. Diese Masse gibt es nur als Zahl, niemals als geistige Einheit. Sie ist<br />
gesellschaftlich, weltanschaulich, politisch und sonstwie derart zerteilt, daß man<br />
ihr nur noch von der psychologischen Seite her nahekommen kann. Wichtiger als<br />
sozialer Rang oder Schulabgangszeugnis erscheint mir die geistige<br />
Beschaffenheit dieser Menschen. Und hier, im Geistigen, gibt es eigentlich nur<br />
drei große Gruppen: geistig regsame, laue und stumpfe Hörer. Die Regsamen und<br />
durch ihre Bildung mit der Literatur bereits vertrauten Hörer werden richtig<br />
gewählte und gut gesprochene Literatur auch im Rundfunk gern anhören und<br />
verstehen. Eine Sonderstellung unter den regsamen Hörern nehmen die geistigen<br />
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Selfmadenaturen ein, die es in jedem Volke zu vielen Tausenden gibt. Diesen<br />
prädestinierten, aber durch äußere Lebensumstände fast immer gehemmten<br />
Naturen kommt nun der Rundfunk auf denkbar einfachste Weise als Rufer,<br />
Erwecker und Führer entgegen; ein ungeheures, neues und dankbares Saatfeld<br />
gerade für die zeitgenössische Literatur. Über den Wert der Rundfunkliteratur für<br />
all diese geistig regsamen Menschen kann wohl kein Zweifel bestehen.<br />
Jetzt aber die große zweite Gruppe, die lauen Hörer. Was bedeutet ihnen die<br />
Literatur, die der Rundfunk bringt? Sie werden sagen: nichts. Gut, aber glauben<br />
Sie, daß diesen Menschen Bücher etwas bedeuten? Ja, Tarzan der Affe,<br />
Detektivgeschichten, Zeitungsromane und ähnliches. Andere Bücher kommen<br />
kaum in Betracht. Und zwar nicht immer nur aus Gleichgültigkeit gegen die<br />
Literatur, sondern - ich spreche hier ja von den Lauen, den Unentschiedenen oder<br />
Gehemmten - sehr oft auch aus Mangel an Ruhe und Zeit. Nun kommt der<br />
Rundfunk auch zu diesen Hörern täglich ins Haus und spricht zu ihnen von<br />
Literatur in einer höchst einfachen und bequemen, einer rezitatorisch<br />
eindringlichen und stofflich geschickt ausgewählten Weise. Sie hören nun doch<br />
von Zeit zu Zeit zu. Sie hören die Werke, die sie längst vergessen oder nie<br />
gekannt haben. Irgend etwas bleibt auch hier hängen. Literarisch aktiviert werden<br />
diese Hörer natürlich nur selten. Aber ein klein wenig disponiert werden sie doch.<br />
Und aus dieser oberflächlichen Disposition erwächst nun etwas anderes: eine, ich<br />
möchte sagen, wohlwollende Neutralität gegenüber der Literatur. Ein derart<br />
disponierter Vater wird seinen literarisch interessierten Sohn gewähren lassen,<br />
ihm vielleicht sogar helfen. Er wird nicht nur für sich persönlich, sondern auch in<br />
seinem Verein, als Elternrat, als Wähler usw. eine etwas positivere Haltung zur<br />
Literatur einnehmen, nicht mehr stumpf oder, aggressiv verurteilen, hier und da<br />
auch einmal ein gutes Buch verschenken oder lesen. Kurz, alle diese auch wieder<br />
nach Hunderttausenden zählenden lauen Hörer sind eine neue Art geistiger und<br />
wissenschaftlicher Rückendeckung für die Literatur.<br />
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Und jetzt die Stumpfen, die geistig Dämmernden. Was fangen die mit der<br />
Rundfunkliteratur an? Nichts; sie schalten ab, wenn eine solche Sendung beginnt.<br />
Aber das ist ja gerade das Gute, meine Herren! Da wir genau wissen, daß dieser<br />
Hörerteil für ernste Literatur überhaupt nicht in Betracht kommt, brauchen wir<br />
auch keine Rücksicht auf ihn zu nehmen, und wir nehmen auch keine. Das<br />
Abschalten der Empfangsanlage durch die geistig stumpfe Hörermasse bei einer<br />
ernsten Literatursendung ist ein sicheres Ventil gegen eine etwaige<br />
Massenverkitschung der Literatur. Selbst wenn wir, wie mein Herr Vorredner<br />
meint, uns privatkapitalistisch auf die literarisch unreife Hörermasse einstellen<br />
wollten - in Wirklichkeit tun wir es nicht, dürfen wir es nicht und können wir es<br />
nicht; wir haben ja Kulturbeiräte und außerdem auch noch ein Gewissen - ; selbst<br />
wenn wir es also wollten und könnten, wäre es gerade privatkapitalistisch sehr<br />
ungeschickt von uns, einen Absatz dort zu suchen, wo keiner möglich ist.<br />
Wenn man die Wirkung der Rundfunkliteratur auf den Hörer in dieser Weise<br />
ansieht und begrenzt, dann kann man sie meiner Überzeugung nach sowohl für<br />
den Rundfunk wie für die Literatur nur positiv werten. Dann ist der Rundfunk für<br />
alle literarisch Empfänglichen ein neuer Helfer und für die Literatur selbst ein<br />
Bahnbrecher in menschliches Neuland.<br />
Und nun als letzte Frage dieser Reihe: wir selbst, die Sendegesellschaften, wie<br />
stehen wir denn zur Literatur? Wir lieben sie als unser schönstes<br />
Gestaltungsgebiet. Ja, meine Herren, ich behaupte das, denn ich bin überzeugt,<br />
daß unsere größten funkischen Stilaufgaben nicht bei der Musik, sondern bei der<br />
Wortkunst liegen. Die musikalische Funkbearbeitung ist mit zwei Ausnahmen, der<br />
Sendeoper und der untermalenden Musik, viel weniger entwicklungsfähig als die<br />
literarische. Bei der Literatur liegen daher unsere ganz großen Stilprobleme. Und<br />
darum ist die Literatur für uns die schwerere, aber auch die wichtigere und<br />
dankbarere Gestaltungsaufgabe. Sprache und Stoff als akustisches Kunstwerk - :<br />
so lautet die Aufgabe, in der wir den höchsten und schärfsten Nachweis unserer<br />
künstlerischen Zeitechtheit zu erbringen haben werden. Und darum setzen wir<br />
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auch so viel gerade an diese Aufgabe. Nur in engem Zusammenwirken von Ihnen<br />
und uns kann die Lösung gelingen: die Überführung der Dichtung unserer Zeit<br />
auch in die neue akustische Formenwelt.<br />
Dieser Ausblick, meine Herren, muß nun noch zu einer ganz anderen Frage<br />
führen, die auch mein Herr Vorredner mit Recht betont hat, zu der Zensurfrage.<br />
Daß Zensurgrenzen bestehen und daß sie oft sehr unbequem sind, wissen wir<br />
alle. Zu fragen ist also: gibt es innerhalb solcher Grenzen überhaupt noch jene<br />
künstlerische Anlaufmöglichkeit, die zu meiner eben aufgestellten Forderung als<br />
Voraussetzung gehört? Ich antworte mit einem glatten Ja. So eng und unbequem<br />
die Grenzen sein mögen, sie lassen für den Anfang trotzdem noch genug<br />
Bewegungsfreiheit übrig. Man kann auch für den zensurierten Rundfunk dichten.<br />
Natürlich weiß ich, daß es hier immer auf die Auslegung ankommt. Aber, meine<br />
Herren, auch dort, wo sie sehr eng ist, haben wir im Rundfunk Hunderte von<br />
großen künstlerischen Sendeerlebnissen gehabt, bei denen die von der Zensur<br />
ausgeschlossenen Dinge fehlten. Es geht für den Anfang wirklich auch so, und im<br />
übrigen gibt es ja nicht nur ewige, sondern auch veränderliche Grenzen.<br />
Veränderlich aber werden sie nur dann, wenn ihre Veränderungsbedürftigkeit<br />
immer wieder durch positive Leistungen nachgewiesen wird. Auch deshalb hilft<br />
hier nicht grollendes Abseitsstehen, sondern nur willige Mitarbeit. Mitarbeit aber<br />
müßte heißen: für Sie: vertiefte Erkenntnis der funkischen Wortkunst in allen<br />
ihren akustischen Elementen, stärkere Beteiligung der Dichter am literarischen<br />
Funkprogramm; für uns: Funkbearbeitung nur dort, wo sie gleichzeitig<br />
funkwirksam und stoffehrlich ist, Vermehrung der Aufträge an Dichter,<br />
Einrichtung von Funkversuchsbühnen für funkisch problematische Aufführungen<br />
und funkbegabte junge Talente.<br />
Ich glaube, das ist in Kürze das Wesentliche, was vom Standpunkt des Rundfunks<br />
aus zu der allgemeinen Frage „Literatur und Rundfunk“ gesagt werden mußte.<br />
Lassen Sie mich nun mit einem vielleicht heute noch kühnen Gedankengang<br />
schließen. Auch die Kunst unterliegt epochalen Reflexen und damit Wandlungen;<br />
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sie ist in der Form zeitgebunden. Die einzelne Wandlungsstufe ergibt sich nicht<br />
nur aus der Einfühlungsmöglichkeit des schaffenden und nachschaffenden<br />
Künstlers in seine Zeit und aus den formbestimmenden Kräften der Kritik,<br />
sondern sehr wesentlich auch aus der Resonanzleistung des Publikums. Diese<br />
Resonanzfläche ist nun durch den Rundfunk plötzlich in eine neue unerhörte<br />
Dimension erweitert worden. Wenn das Publikum als Empfänger einer<br />
Kunstleistung in gewissem Umfange auch Richter und Wegweiser ist, und wenn<br />
diese Fähigkeit sich auch noch anders als grob äußerlich in Applaus,<br />
Kassenrapport oder einer Auflagenhöhe ausdrückt, dann wäre es denkbar, daß<br />
eines Tages auch das unsichtbare Volksauditorium des Rundfunks eine<br />
rückstrahlende Funktion hervorbringt, die bis in die Zentren des literarischen<br />
Schaffens zurückgelangt und dort formgebend und stilbildend auftritt. Denken<br />
wir auch daran, meine Herren, und versäumen wir auf beiden Seiten nicht, dieser<br />
durchaus denkbaren Massenrückstrahlung heute, wo sie noch in der Entstehung<br />
begriffen ist, durch gemeinsame hochwertige Arbeit eine künstlerisch fruchtbare<br />
und zeitechte Richtung zu geben.<br />
Der Vorsitzende: Meine Herren! Ich glaube, wir verlieren uns, wenn wir jetzt<br />
lange debattieren. Wenn aber tatsächlich gleich anschließend eine Aussprache<br />
stattfinden soll, so bitte ich Sie, sie äußerst zu beschränken. Ich frage die Herren,<br />
ob wir jetzt schon in eine Aussprache eintreten wollen.<br />
Es wird beschlossen, daß mit der Aussprache erst nach Beendigung der sechs<br />
Vorträge des ersten Verhandlungstages begonnen werden soll.<br />
Epik<br />
Arnold Zweig:<br />
Meine Damen und meine Herren! Ich möchte mich gern an die mir<br />
vorgeschriebene Zeit von zehn Minuten halten und jetzt nicht auf Dinge<br />
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eingehen, die nicht direkt zu meinem Referat gehören. Mein Nachbar zur Linken<br />
(Dr. Döblin) hat zudem das Gebiet des Erzählens schon berührt. Es ließe sich aber<br />
zeigen, daß bei denselben Problemen des Epischen, die er gestreift hat, man vom<br />
Ohr ausgehend zu einem ganz anderen Ergebnis kommt. Das Ohr des Menschen<br />
hat die merkwürdige Eigenschaft, sich nicht schließen zu können. Ein Mensch ist<br />
imstande, wenn sein Auge überreizt ist, es zuzumachen oder einfach<br />
wegzusehen. Da aber das Ohr nicht zu schließen geht und man auch nicht<br />
imstande ist, wegzuhören und sich so gegen unwillkommene Eindrücke durchs<br />
Ohr zu wehren, hat das Ohr die Eigentümlichkeit, als Zensor zu wirken: der<br />
Mensch fühlt sich gelangweilt. Diese Langweile bei Eindrücken durch das Ohr<br />
erzeugt nun eine Gereiztheit, die sich gegen denjenigen richtet, der sie<br />
verursacht hat, hier also gegen den Rundfunk. Das Ohr interessiert uns hier nach<br />
zwei seiner Eigenschaften - und hier muß ich mich leider gegen Herrn Döblin<br />
werden - , das Ohr ist es zunächst, welches die inneren Wahrnehmungen des<br />
Menschen ununterbrochen in Bewegung hält. Von der Tierreihe unserer Vorfahren<br />
her haben wir die Eigenschaft, auch im Schlaf zu hören, und so Eindrücke<br />
aufzunehmen, auch wenn der andere Sinnesapparat gedämpft ist. Darum wirkt<br />
auch der durch das Ohr gewonnene Eindruck so überaus phantasieanregend.<br />
Gerade das Lesen, lieber Doktor Döblin, ist, wie die Erfahrungen der Seminare<br />
nachweisen, eine Kombination von ruckartigen Bewegungen des Auges und von<br />
Innervationen der Sprach- und Hörzentren, sodaß die Anregung der Phantasie,<br />
die beim Lesen – nach Döblin vom Auge her geboten werden soll, wesentlich<br />
gerade eine von innerem Hören und Mitreden dargebotene Befruchtung des<br />
inneren Lebens des Menschen ist.<br />
Nun haben sich auf der Basis des Hörens zwei große Künste entwickelt, die Musik<br />
und die Epik. Das Epische ist in der Geschichte der Menschheit die<br />
Kunstgestaltung, die ununterbrochen befruchtet wurde vom Aufnehmen der Welt,<br />
und ihre Wiedergabe oder besser Aussprache, Befreiung durch gehörte Sätze. Der<br />
Märchenerzähler, der große Rhapsode hat den Sinn für das Epische geschaffen<br />
lange bevor das Niederschreiben der literarischen Werke jenes Übermaß von<br />
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Intellektualität hinzufügte, das aus dem Dichterischen das Literarische<br />
herausgezüchtet hat.<br />
Der Unterschied zwischen Rundfunk und Buch nun stellt die Frage nach dem Plus<br />
von Kopfarbeit und Intellektualität, das verlangt wird von dem Leser, aber nicht<br />
geleistet werden kann vom Hörer. Wer die Dinge sieht, wie ich sie hier zu<br />
betrachten versuche, wird sich auch nebenbei erinnern müssen, daß das lyrische<br />
Gedicht, ursprünglich von rhythmischen Körperbewegungen durchdrungen, ein<br />
Stück gesungenen Tanzes enthält. Das Erzählen einer Geschichte nun ist<br />
dasjenige, was dem heutigen Rundfunk die Möglichkeit gibt, gerade wieder auf<br />
die hörende, vom Hören, vom Ohr her angeregte Phantasie des Aufnehmenden zu<br />
wirken; sich dem Urquell der Erzählungen, dem Epischen, wieder zu nähern,<br />
kurz, in einem unerhört stärken Sinne fruchtbar und anregend vom Ohr her zu<br />
wirken. Es handelt sich dabei nicht um die Frage, wie sehr das einzelne Wort<br />
bewußt geschliffen oder gewählt wird, das im Epischen ja den gehörten Eindruck<br />
der Erzählung durchaus nicht ausmacht, sondern das vielmehr mit dem<br />
leidenschaftlichen Rhythmus des gesprochenen Dichtersatzes als Teilchen eines<br />
Ganzen in das Epische strömt. Die moderne Gestalttheorie hat längst festgestellt,<br />
daß es nicht die Summe seiner Teile ist, die das künstlerische Gebilde ausmacht,<br />
sondern daß es zunächst selbst ein Ganzes ist, erst einmal als Ganzes<br />
wahrgenommen, erst hinterdrein in Einzelheiten zerlegt wird. Der Mann, der eine<br />
Geschichte erzählt, hat darum zwei große Vorteile vor dem Menschen, der die<br />
Geschichte schreibt. Er ist erstens gezwungen, in seiner zu erzählenden<br />
Geschichte zu leben, um sie unmittelbar mit der Sprache zu übermitteln, und<br />
zwar so, daß der Hörer - unabhängig von dem einzelnen Wort, geschweige daß<br />
die Erzählung in jedem Teilchen etwa vor den Gesetzen des ästhetischen<br />
Geschmackes bestehen könnte - mitgehen muß mit dem Bericht.<br />
Hier kommt hinzu zweitens das Moment der Spannung, das bereits Döblin<br />
gebracht hat, das aber meiner Meinung nach überhaupt nichts zu tun hat mit<br />
dem erzählenden Tempo, der Frage der Schnelligkeit. Eine Geschichte kann von<br />
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einer unendlichen und über viele Jahrhunderte hinaus lebendigen Spannung sein,<br />
auch wenn sie erst im langsamen, ruhigen, epischen Aufnehmen zur Geltung<br />
kommt. Wir kennen nämlich zweierlei Art von Spannung: erstens die<br />
sensationelle und zweitens die dichterische Spannung. Letztere ist es, die das<br />
große Epos trägt. Ich nenne als Beispiel nur den Odysseus; das Wundersame und<br />
Geruhsame des Flusses dieser Erzählung kann nicht genug ausgedehnt werden in<br />
der großen Breite, mit der hier die Welt einströmt in das große Gedicht. Und<br />
dieses epische Element kann der Rundfunk erhalten. Er muß, von der Literatur<br />
wegsehend, versuchen, zu den Märchenerzählern zurückzugehen, die es im Volke<br />
gibt. Er muß die Möglichkeit haben, durch Wettbewerb diejenigen unter uns<br />
Schriftstellern zu suchen, die imstande sind, eine Geschichte langhin zu erzählen,<br />
und diejenigen unter den Nichtschriftstellern, falls solche unter uns Zeitgenossen<br />
noch sein sollten, die in früheren Epochen die Märchen erzählt hätten, jene<br />
Hunderte von wunderbar erzählten Geschichten, die alle Völker aus der Masse<br />
ihrer jeweiligen Literatur zum eisernen Bestandteil und lebendigen Nährboden<br />
ihrer Phantasiebefriedigung gewählt haben. (Zwischenruf Döblin: Die gibt's nicht!)<br />
Es wäre mir sehr unangenehm, von der kurzen Zeit, die mir noch zur Verfügung<br />
steht, noch eine Minute durch eine Pause abzwacken zu müssen. - Diese<br />
Märchenerzähler waren da, und die gibt es auch heute noch. Es kommt nur<br />
darauf an, sinnvoll und spürsam genug zu sein, um sie zu finden. In den<br />
dreieinhalb Jahren, die ich als gemeiner Soldat unter gemeinen Soldaten im Felde<br />
stand, glauben Sie, daß ich da nicht gelernt habe, was erzählen heißt? Und zwar<br />
von den Arbeitern und Bauern, jungen und erwachsenen Männern. Unsere Leute<br />
haben Abend für Abend erzählt, nachdem sie Vertrauen zueinander gefaßt<br />
hatten, von ihren Erlebnissen auf Wanderschaften, mit Frauen, aus ihren Berufen.<br />
Wie diese ungeschulten Leute erzählten, das ist meiner Meinung nach eine Sache,<br />
die für uns, für die Literatur fruchtbar gemacht werden könnte. Nun ist eine<br />
Schwierigkeit dabei zu überwinden: nämlich die Scheu der Menschen, sich zu<br />
entdecken; sich anderen mitzuteilen, die nur durch Mitleben überbrückt werden<br />
kann. Dieses ur- epische Element, mitzuleben mit erzählten erfundenen Personen,<br />
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entstanden aus der Umkehrung, nur denen zu glauben, die mit einem leben,<br />
durch mündlichen Bericht gleichsam Bürgschaft leisten für die Echtheit des<br />
Erzählten, - dieses ur- epische Element ist es ja, das dem Zeitungsroman das<br />
riesige breite Publikum sichert. Ununterbrochen wünschen die Menschen<br />
gedeutet zu bekommen, was sie mitleben, im Gleichnis des Epischen. Das<br />
Epische ist nur der Versuch, die Welt durchs Ohr, vom Munde zum Ohr,<br />
transparent zu machen an einem konkreten Erlebnis. Dieses eine Erlebnis wird<br />
als Rückgrat der Fabel eingebaut in jedes Werk, das um so mehr Bestand haben<br />
kann, je einfacher die Geschichte ist, die erzählt werden soll, dieses eine Thema,<br />
das auseinandergenommen und ganz deutlich dargestellt werden kann. Sie<br />
können die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in vielen Bänden oder in<br />
einem einbändigen Roman erzählen. Das kann ein literarisch hochwertiges Buch<br />
sein, wird aber niemals ein für jeden Menschen über die Vergangenheit<br />
zurückgreifendes literarisches, sondern nur ein antiquarisches Interesse erregen.<br />
Wenn Sie aber einen Grimmelshausen nehmen, der das Schicksal erzählt, das<br />
wunderbare Schicksal eines damals lebenden Menschen - mit Eigenschaften der<br />
Form und Fabel, die auch dem „Don Quichote“ eigen sind - ; darstellend den<br />
immer wieder erneuten Versuch, ein und dieselbe Sache in die Welt zu bringen:<br />
etwa, aus dürftigstem Stande zu hohen Ehren zu kommen, oder als irrender Ritter<br />
Gerechtigkeit und Tugend in eine ganz anders geartete Welt zu bringen - : dann<br />
werden Sie Erfolg haben. Im Rundfunk können Sie nur das klassische Erzählen<br />
gebrauchen, das ein Schicksal bis in seine kleinsten Verästelungen im Tone<br />
menschlich untendenziöser und unübertriebener Wortfertigkeit dem Gehör<br />
darbietet.<br />
Meine Zeit ist um. Ich möchte nur noch einen Satz über die Zensur anbringen.<br />
Das von mir angeführte Erzählen kann nicht anders als improvisierend erfolgen.<br />
Diese Möglichkeit müssen Sie schaffen. Wir wissen vom Diktieren unserer<br />
epischen Arbeiten her, daß es geht. Hier, allein vor dem Mikrophon, können Sie<br />
viel einfacher, aber auch wesentlich eindrucksvoller reden als vor dem<br />
Stenogrammbuch der Sekretärin, - natürlich Menschen, die imstande sind, aus<br />
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gesammelter Seele nach einem bestimmten Schema Kapitel für Kapitel in<br />
regelmäßiger Folge mitzuteilen. Improvisierung und Zensur aber vertragen sich<br />
nicht. Darum müssen wir wissen, ob es Ihnen nicht möglich ist, einen Menschen<br />
zu veranlassen, frei zu erzählen. Wir müßten eigentlich dazu kommen, meine<br />
Herren, und Sie müßten nur in der Lage sein, Vertrauen zu gewinnen zur Reife<br />
der Hörer und zur inneren Anständigkeit der Erzählenden.<br />
Dr. Roeseler:<br />
Meine Damen und Herren! Ich bin nicht so optimistisch in bezug auf die<br />
Durchführung der Wünsche, wie sie mein Herr Vorredner dargelegt hat, und zwar<br />
nicht so sehr deshalb, weil ich bezweifelte, daß solche Erzähler unter den<br />
Dichtern und unter denen, die es werden wollen, sich finden, sondern weil ich<br />
glaube, daß erst von der Hörerseite aus eine gewisse Aufnahmebereitschaft für<br />
den langen Fluß der epischen Erzählung geschaffen werden muß. Vielleicht kann<br />
sie geschaffen werden, wenn das ganze Volk durch den Rundfunk von seiner<br />
Sehkultur her wieder mehr und mehr zu einer auf das Ohr eingestellten<br />
Aufnahmefähigkeit erzogen werden kann.<br />
Die epischen Dichtungen bilden innerhalb der Programme der<br />
Rundfunkgesellschaften einen sehr kleinen Teil. Nehmen Sie die Programme zur<br />
Hand, und Sie werden feststellen, daß sehr wenige, und ich glaube mit Recht sehr<br />
wenige, epische Darbietungen direkt angekündigt werden, daß sie sich<br />
verstecken in der Dichterstunde, der Bücherstunde und der Kinderstunde. Es liegt<br />
in der Tat so, daß wir durch die Erfindung der Buchdruckerkunst neben anderem<br />
den Schnitt erzeugt haben zwischen denjenigen, die durch feinere und höhere<br />
Vorbildung aufnahmefähig geworden sind für das ungemessene Anschwellen der<br />
Dichtung der Jahrhunderte, und denjenigen, die es nicht in diesem Maße sind, für<br />
die wir aber in der Hauptsache werben müssen.<br />
Wir sind genötigt - das ist die Aufgabe des Rundfunks, wenn er die Dichtung in<br />
sein Programm aufnehmen will - , von uns aus erzieherische Tätigkeit auszuüben,<br />
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den höheren Sinn auszubilden und aus den Menschen, die Sehmenschen<br />
geworden sind, wieder Hörmenschen zu schaffen. Ich glaube, daß der Klangsinn<br />
der elementare Sinn ist, daß er uns die einzige Möglichkeit gibt, durch<br />
Aktivierung der Phantasie gewisse irrationelle Erlebnisse zu schaffen, um uns in<br />
die vierte Dimension einzuführen. Das Publikum muß hören lernen, und der<br />
Dichter muß für die hörenden Menschen erzählen lernen, wenn der Rundfunk sie<br />
vereinigen soll. Wie kann das geschehen? Weil wir selbst richtig empfinden, daß<br />
die epische Dichtung nicht eigentlich zeitgemäß ist heute in der Zeit der Hetze<br />
und des Tempos, der Ellenbogen, in der jeder seinen Lebensweg im schwersten<br />
Kampf gegen andere gehen muß, da haben wir nicht die Ruhe und Stille, den<br />
großen Fluß epischer Darstellungen in uns aufzunehmen. Auch ein Gesetz des<br />
Rundfunks, nämlich die notwendige Kürze der einzelnen Darbietungen, spricht<br />
dagegen.<br />
Es muß ein Weg gefunden werden, die Hörer wirklich zu Hörenden zu erziehen.<br />
Man wird vielleicht in stillen Nebenstunden den mutigen Versuch machen<br />
müssen, große und bleibende Dichtungen epischer Natur in Abständen, trotz<br />
allen Geschreies, de Hörern nahezubringen. Ich weiß nicht, ob es radiohaft ist,<br />
wenn man größere Dichtungen vergangener Jahrhunderte, größere Romane,<br />
biographische Romane, Romane von Gottfried Keller – GrünerHeinrich - oder von<br />
Raabe in wesentlichen Strichen, aber in zurechtgemachter Form, in besonders<br />
gearteten und gesprochenen Formen den Hörern nahebringt, um wieder den<br />
Hörsinn eines bestimmten Teiles des Volkes, den es noch gibt, zu wecken und zu<br />
schulen und ihm ein wirkliches Erlebnis charakteristischer Art zu bieten. Wir sind<br />
in den Sendegesellschaften - und das geht auch einen weiteren Kreis an durch<br />
allerhand Umstände mehr oder weniger von der stilleren Menge des Volkes<br />
entfernt, sind großstädtisch gesonnene Menschen geworden und haben<br />
vergessen, daß in der „Provinz“ eine große Fülle von Pflichten ruft und<br />
aufnahmebereite Menschen leben, die den Rundfunk begrüßen und nicht allein<br />
die Verherrlichung des Tempos der Zeit erwarten, sondern auch meinen, daß<br />
ihnen größere Bildungserlebnisse des deutschen Volkes wiedergeschenkt werden<br />
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können. So glaube ich, daß die große bleibende Dichtung ihren Platz im Rundfunk<br />
finden kann; allerdings werden die Hauptstunden bedeutsameren Arbeiten<br />
vorbehalten bleiben müssen. Ich möchte mich nicht auslassen über gewisse<br />
ästhetische Angelegenheiten, über Kriterien der Literatur. Sie wissen, daß die<br />
neue Literaturwissenschaft neue Kriterien aufgestellt hat für das Wesen der<br />
bleibenden Dichtung und den großen Wert zeitgenössischer Dichtung. Es ergibt<br />
sich nun die große Aufgabe für den Rundfunk, neben dieser bleibenden großen<br />
Dichtung der Vergangenheit auch die zeitgenössische Literatur zu pflegen, und<br />
zwar in besonderen Formen; und damit hat Hand in Hand zu gehen die Erziehung<br />
der Hörer zum Hören. Wir gehen in unserer Gesellschaft, der Deutschen Welle,<br />
sehr von dem erzieherischen Gesichtspunkt aus, und ich glaube, daß der<br />
Schulfunk, eine Einrichtung unserer Sendegesellschaft, die besonders gepflegt<br />
wird, ein Weg wäre, um von der Schule aus, vom Kinde her, den Hörsinn lebendig<br />
zu machen. Die Kinderstunde wäre ein weiterer Weg zum Ziel.<br />
Dann aber etwas Zweites. Es ist heute schon davon gesprochen worden, daß der<br />
Rundfunk den Umständen der Zeit entsprechend Mittel und Wege finden soll, um<br />
den Dichter unserer Zeit wieder anzulocken, wirklich vom Schriftsteller zum<br />
Sprachsteller sich zu entwickeln, um einen neuen Erzähler aus ihm zu machen. Es<br />
wird also notwendig sein, genau so wie es in der Musik geschehen ist, neue<br />
Romane, neue Erzählungen, neue Kurzgeschichten in Auftrag zu geben und<br />
Urerzählungen im Rundfunk zu veranstalten. Vielleicht muß man da einen Weg<br />
gehen, den verschiedene Sendegesellschaften gegangen sind, nämlich ein Studio<br />
dafür zu errichten. Man muß mit geeignet erscheinenden Herren den Versuch<br />
machen, für die göttliche Stunde ihrer Schöpfung ihnen ein solches Studio zur<br />
Verfügung zu stellen und den Dichter erzählen zu lassen ohne Einschränkung.<br />
Auf abendfüllende Darbietungen ästhetischer Art wird der Rundfunk hier immer<br />
verzichten, die Epik wird in dieser Hinsicht nur eine Nebenrolle innerhalb des<br />
Rundfunks spielen müssen. Welcher Art voraussichtlich die künstlerische<br />
Gestaltung der Rundfunkdichtung sein wird, das hat Dr. Döblin richtig<br />
angedeutet: eine episch- lyrische, balladistisch- dramatische Mischform mit<br />
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musikalischer Untermalung, wie Sie sie von der musikalischen Seite her kennen<br />
und wie sie, ich glaube, auch von der literarischen Seite her in einigen<br />
Darbietungen gerade der letzten Zeit schon Wirklichkeit geworden ist. Ich möchte<br />
an den „Lindbergh- Flug“, an „Michael Kohlhaas“ erinnern und an eine Darbietung,<br />
die auch hier zu nennen ist, an die von Herrn Bischoff angekündigte<br />
Abenddarbietung. Ich glaube, daß von der Epik und der Ballade her eine gewisse<br />
Befruchtung dieser neu zu schaffenden Rundfunkkunst erfolgen kann, daß<br />
gewisse Anregungen von dort aus zu geben sind. Daß aber aus all den Gebieten<br />
der Dichtkunst, aus Epik, Lyrik, Ballade und Drama die neue Mischform - nennen<br />
Sie sie Singspiel, Fabel, Hörspiel - kommen muß, mit der uns die Möglichkeit<br />
gegeben wird, wirklich Abend für Abend eine geschlossene große Darbietung für<br />
den Hörerkreis zu bringen, das scheint mir die Aufgabe der Zeit zu sein.<br />
Der Dichter hat noch eine andere Rolle im Rundfunk zu spielen. Ich glaube<br />
allerdings, daß ich mich hierbei auf spätere Gebiete beziehen muß: Essay oder<br />
Dialog, der Dichter als Zeitredner. Die Rundfunkgesellschaften sollten sich mehr<br />
als bisher an den Dichter wenden, um ihn zu bitten, in freier Rede über Dinge,<br />
die ihm am Herzen liegen, zum Hörerpublikum zu sprechen, um den Dichter<br />
wieder einzusetzen in seinen alten, ehrwürdigen Beruf als Prediger. Das ist ein<br />
großes Wort. Ich glaube, daß dieser oder jener von Ihnen, meine Herren von der<br />
Dichtung, wohl bereit wäre, dieses Amt anzunehmen und aus der Fülle seines<br />
Herzens und seiner Sorgen durch dieses Instrument zu den Millionen zu<br />
sprechen über eine Sache, die aus der Zeit kommt und die in der Zukunft liegt<br />
und zu der er wirklich von innen heraus etwas zu sagen hat. Der Dichter als<br />
Zeitprediger! Der Dichter als Fernseelsorger! Das kann auch über kleine und<br />
kleinste Angelegenheiten des Tages gehen. Der verstorbene Berliner Literat Sling,<br />
an dessen juristische Berichte in der Tagespresse ich hierbei erinnern möchte,<br />
hatte in seinen Äußerungen in der von ihm geschriebenen Form so etwas, was ich<br />
mir auch für den Rundfunk wünsche.<br />
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Dazu kommt noch etwas Drittes: der Dichter als epischer Gestalter von<br />
Zeitereignissen. Neben mir sitzt Alfred Braun, der es in besonderer Form<br />
verstanden hat, zu Zeitereignissen Stellung zu nehmen und sie vor dem Ohr des<br />
Hörers lebendig zu gestalten. Ich möchte diese Reportage von Zeitereignissen als<br />
eine epische Kunstform innerhalb des Rundfunks werten, die besonders gepflegt<br />
und für die ein besonders befähigter Gestalter gefunden werden muß. Außerdem<br />
sagte ich am Anfang meiner Ausführungen, die Bücherstunde muß zur<br />
Dichterstunde werden, in der der Dichter selbst zu Worte kommen muß. Ich<br />
kenne eine Reihe von Herren, die besonders in der Lage sind, selbst im Rundfunk<br />
zu sprechen, aber es gibt auch ebenso viele, die das nicht können. Es ist auch<br />
keine Frage genereller Natur, ob der Dichter selbst sprechen soll, sondern diese<br />
Angelegenheit ist von Fall zu Fall zu regeln. Das Problem der Rundfunkrede<br />
taucht bei diesen Ausführungen auf; ein Problem, über das wir uns hier nicht<br />
unterhalten werden. Immerhin wird es notwendig sein, den neuen Stil des<br />
Sprechens vor dem Mikrophon auf dem Gebiete der Dichtung und insbesondere<br />
auf epischem Gebiete zu finden und zu pflegen und diejenigen Menschen aus<br />
unserem großen Kreise von Mitarbeitern herauszufinden, die dann immer wieder<br />
erfolgreich vor dem Mikrophon auftreten.<br />
Sie sehen: eine relativ geringe Rolle, die aber, wie ich glaube, eine fruchtbare<br />
Bereicherung unserer gesamten Darbietungen bringen wird, wo dann Dichter und<br />
Rundfunk in enger Gemeinschaft und im Vertrauen zueinander<br />
zusammenarbeiten.<br />
Vorsitzender Ernst Hardt:<br />
Meine Herren! Es wird in vielen von Ihnen das Bedürfnis nach einer allgemeinen<br />
Diskussion sehr lebendig geworden sein. Ich möchte aber doch den Vorschlag<br />
machen, daß wir ruhig noch die drei Referate vornehmen und danach erst in die<br />
allgemeine Diskussion eintreten.<br />
27
Essay und Dialog<br />
Hans Flesch:<br />
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Für eine Betrachtung der essayistischen Form, einer Themenbehandlung im<br />
Rundfunk, mag es dem Rundfunkmann erlaubt sein, von vornherein die Frage, ob<br />
und inwieweit überhaupt die Behandlung von Problemen, Zeiterscheinungen oder<br />
Gedanken in essayistischer Form dem Rundfunkprogramm zuträglich ist, aus der<br />
Diskussion auszulassen. Ich würde mir auch für die nur andeutungsweise<br />
Behandlung dieser Frage zuviel der mir zur Verfügung stehenden zehn Minuten<br />
wegnehmen, und ich möchte deshalb einmal voraussetzen, daß uns das Essay als<br />
ein nicht ungeeigneter Programmpunkt erscheint, daß die essayistische Form der<br />
Themenbehandlung uns im Rundfunkprogramm zusagt, vorausgesetzt, daß das<br />
Thema sich dafür eignet.<br />
Das Essay bedeutet im Rundfunk mit die älteste Form der Gedankenübermittlung.<br />
Mit einem gewissen Schauder erinnern wir uns noch der essayistischen<br />
Vortragsthemen, die uns insbesondere zu Beginn der Rundfunktätigkeit von allen<br />
Seiten angeboten wurden und die auch heute noch einen Hauptteil unseres<br />
ungebetenen Manuskripteingangs ausmachen. Themen wie „Ein Reisetag mit<br />
Mozart und Constanze“, „Hans Sachs bei Lortzing, in den ,Meistersingern‘ und<br />
wie er wirklich war“ oder „Die Jugendliebe großer Männer“ dominierten und<br />
wiesen dem Rundfunk einen Weg in die Gartenlaube. Die Form dieser Essays<br />
unterschied sich in nichts von der schlechter Zeitungsfeuilletons, konnte es auch<br />
schon darum gar nicht, weil sie meistens zurückgeschickte Zeitungsfeuilletons<br />
waren. Aber auch gute, in anständigem Deutsch geschriebene und thematisch<br />
einwandfreie Einsendungen dieser Art wurzeln auch heute noch meist im<br />
geschriebenen Essay. Und hier scheint mir ein Grundfehler zu liegen.<br />
Sieht man den Rundfunk lediglich als ein Vermittlungsinstrument an, das ebenso<br />
wie ein Buch, wie eine Zeitschrift, nur in anderer Form, Gedanken zu verbreiten in<br />
der Lage ist, so tut man sicher das Richtige, wenn man möglichst gute Essays, die<br />
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man in Büchern und Zeitungen findet, vorliest. Darüber sind wir aber hinaus. Wir<br />
finden das eigenste Wesen des Rundfunks darin, daß er es gestattet, als Träger<br />
des Gedankens nicht den Buchstaben, sondern die menschliche Stimme zu<br />
benutzen. Nicht die Tatsache schnellster Verbreitung, sondern die Form der<br />
Übermittlung ist das erschreckend Besondere. Und diese Eigentümlichkeit ist so<br />
stark, daß sie auch die Form des durch Rundfunk zu Sagenden anders gestalten<br />
muß als den zum Lesen bestimmten Zeitungsartikel. Viel mehr möchten wir uns<br />
beim Rundfunkessay an den öffentlichen Vortrag anlehnen.<br />
Aber auch hier besteht ein prinzipieller Unterschied: zunächst fehlt im Rundfunk<br />
der unmittelbare Kontakt zwischen Redner und Hörer, der im Vortragssaal den<br />
Redner beeinflußt, und dann sprechen wir durch den Rundfunk nicht zur<br />
„kompakten“ Masse, sondern zu einer unabsehbar großen Masse von<br />
Einzelpersonen; wir wenden uns an einen Hörer mit x multipliziert. Ernst Hardt<br />
hat einmal diesen Gedanken sehr hübsch weitergeführt, indem er sagte, bei<br />
einem Radiovortrag müsse man daran denken, daß man jedem Hörer etwas ins<br />
Ohr sage. Ein sehr richtiger und hübscher Gedanke, der einem das tolle<br />
Phänomen vor Augen führt, daß man vom Senderaum aus hunderttausend<br />
Einzelwesen, die man nicht sieht und nicht kennt, auf das persönlichste anreden<br />
soll. Das Rundfunk- Essay soll also auf Tausende wirken und doch wieder nur auf<br />
einen Einzigen, Unbekannten. Und dieser Unbekannte soll paradoxerweise<br />
individuell behandelt werden.<br />
Aber die Eigenart des Rundfunks geht noch weiter, und seine letzte Besonderheit,<br />
mit nichts anderem vergleichbar, liegt darin, daß zum Unterschied von einer<br />
Grammophonplatte, die das auf sie Gesprochene zeitlich später wiedergibt, genau<br />
so wie bei einem Gespräch oder wie bei einer Vorlesung der Hörer im gleichen<br />
Augenblick aufzunehmen hat, was der Sprecher sagt. Die Gleichzeitigkeit von<br />
Sagen und Hören, von Geben und Empfangen, trotz räumlicher Trennung, ist<br />
seine sublimste Eigenart, und das führt - ich habe keine Zeit, es ausführlicher zu<br />
begründen - zu der letzten und höchsten Forderung: das Essay des Rundfunk-<br />
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Essayisten darf nicht nach diesen oder jenen Gesetzen verfaßt und aufgesetzt<br />
sein, es sollte eigentlich in seiner besten Form überhaupt nicht vorher zu Papier<br />
gebracht und dann verlesen werden. Der Rundfunk- Essayist müßte vor dem<br />
Mikrophon und ohne andere Vorbereitung als die seines wirklichen und<br />
gründlichen Wissens, seiner Beherrschung der Materie und seiner Überlegenheit<br />
über die Schwierigkeiten des sprachlichen Ausdrucks im Augenblick des<br />
Sprechens, dem gleichen Augenblick, in dem gehört wird, frei und zwanglos<br />
seinen Gedanken sprachliches Leben verleihen. Hier scheint mir eine<br />
Grundforderung für die Form des Rundfunk- Essays zu liegen. Ein Vortrag; der<br />
einen Gedanken erläutern, in knappster Zeit und konzentrierter Darlegung<br />
verständlich machen soll, bedarf vielleicht der ausgearbeiteten Unterlage und<br />
mag verlesen werden; beim Essay aber diene das Mikrophon einer ungeheuren<br />
Menge zum Miterleben eines dichterischen Moments.<br />
Erlauben Sie mir eine Einschränkung: ein derartiges Rundfunk- Essay ist eine<br />
Idealerscheinung. Es ist durchaus zu befürchten, daß von Hunderten, die diesen<br />
Versuch machen würden, neunzig versagen müßten, und daß von diesen neunzig<br />
wieder fünfzig ein brauchbares Essay liefern könnten, das sie vorher<br />
aufgeschrieben hätten, und das doch kein Druck- , sondern ein Rundfunk- Essay<br />
wäre. Was aber in diesem Fall durch das Mikrophon kommt, ist kein Rundfunk-<br />
Essay in der reinsten Form, es ist vielmehr so etwas wie ein Hörspiel. Jemand, der<br />
die Gesetze des Rundfunks kennt, liefert eben eine brauchbare Form des<br />
Rundfunk- Essays, das er nachher vorliest; die ideale Form aber stellt das freie<br />
Rundfunk- Essay, im gleichen Moment konzipiert, gesprochen und aufgenommen,<br />
dar.<br />
Ich darf zusammenfassen: das Rundfunk- Essay, das durch das gesprochene Wort<br />
wirkt, stellt stilistisch und formal eine andere Gedankenübermittlungsform dar<br />
als das geschriebene. Der Unterschied resultiert zunächst aus der<br />
Verschiedenartigkeit des Mediums: beim Buch der Buchstabe, im Rundfunk die<br />
menschliche Sprache. Vom öffentlichen Vortrag grenzt es sich ab durch die<br />
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Trennung des Redners von einer unübersehbar großen Menge von Hörern, zu<br />
deren jedem einzelnen er zu sprechen hat. Die letzte Besonderheit liegt in der<br />
Gleichzeitigkeit des Sprechens und des Aufnehmens. Diese Eigentümlichkeiten,<br />
die wir herausgeschält haben, müssen die Grundlagen zu diesen Forderungen<br />
sein: das Rundfunk- Essay verträgt nur reinstes und klarstes Deutsch in<br />
einfachster Form. Virtuose Satzkonstruktionen, an denen man - gelesen - seine<br />
Freude hat, müssen der höheren Forderung nach leichtester Verständlichkeit<br />
weichen, weil Gelegenheit zu Wiederholungen wie beim Lesen nicht gegeben ist.<br />
Abschweifung vom Thema, auch wenn sie noch so elegant ist, verträgt nur das<br />
Geschriebene und nicht das Gespräch. Der Redner spricht zu einer<br />
unübersehbaren Menge und doch zu lauter Einzelnen ohne Verbindung<br />
miteinander, bei verschiedenster Aufnahmefähigkeit und verschiedensten<br />
Charakteren. Das bedingt äußerste Konzentration auf das Thema in sachlichster<br />
Form. Die Gleichzeitigkeit des Gebens und Aufnehmens stellt als Idealforderung<br />
auf, daß das Rundfunk- Essay selbst erst vor dem Mikrophon in freier Rede<br />
Gestalt gewinnen soll.<br />
Die eben aufgestellten Forderungen lassen sich, weil sie von den gleichen<br />
Grundanschauungen über das Phänomen Rundfunk ausgehen, in mancher<br />
Hinsicht auf den Dialog im Rundfunk anwenden. In primitivster Form läßt sich<br />
zunächst zur Themenstellung sagen, daß man nur dann ein Problem im Rundfunk<br />
im Zwei- oder Dreigespräch behandeln lassen sollte, wenn man tatsächlich<br />
verschiedene Ansichten über das gleiche Thema hören will. Ein Dialog, in dem<br />
beide Teile sich vollkommen einig sind, erscheint sinnlos; es sei denn, daß es<br />
sich gar nicht um einen echten Dialog oder vielmehr eine Diskussion handelt,<br />
sondern darum, daß zum Nutzen der Mithörenden ein an einer Frage<br />
Interessierter sich bei einem Orientierten Auskunft holt. In diesem Fall wendet<br />
man besser den Ausdruck Interview an, wobei man nicht an Zeitungsinterviews<br />
über die nur sensationellen und im übrigen durchaus nicht interessierenden<br />
Privatgepflogenheiten Prominenter zu denken braucht, sondern an solche, bei<br />
denen tatsächlich ein Fachmann auf Grund von Fragen eines gescheiten Laien in<br />
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einer einfachen und leichtverständlichen Form über irgendeine Sache belehrt.<br />
Beim Interview und beim wirklichen Dialog aber, bei dem zwei verschiedene<br />
Einstellungen zu einem Problem sich auseinandersetzen und damit den Hörer<br />
zum Nachdenken anreizen, wird zum Unterschied vom Essay der Zuhörer direkt<br />
nicht angeredet. Die Redner wenden sich nicht an jeden einzelnen des<br />
Zuhörerkreises, ja, sie kümmern sich sogar nicht um ihn. Sie diskutieren und<br />
erlauben anderen, Fremden, Unbekannten, zuzuhören. Hier erscheint es noch<br />
klarer und natürlicher, daß ein solches Gespräch auch wirklich ein<br />
augenblicklicher Meinungsaustausch sei. Wenn, wie das oft noch im Rundfunk<br />
geschieht, ein Dialog Satz für Satz festgelegt und niedergeschrieben wird, um<br />
dann vor dem Mikrophon abgelesen zu werden, dann bedeutet das nichts<br />
anderes als ein Hörspiel, dazu noch ein Hörspiel, das meist schlecht probiert und<br />
von Laien gesprochen wird; deshalb hat man beim Hören auch abgelesener<br />
Dialoge, selbst wenn der Inhalt geistvoll und interessierend ist, stets ein<br />
persönliches Gefühl von Dilettantismus. Vom Dialog gilt also noch in viel<br />
höherem Maße als vom Essay: er muß sich frei vor dem Mikrophon entwickeln.<br />
Hier machen sich zwei Bedenken geltend. Zunächst einmal können einer oder<br />
auch beide Gesprächspartner vom Thema abschweifen, irgendein Nebengedanke<br />
erscheint den beiden im Augenblick interessant, und sie vertiefen sich so hinein,<br />
daß das Thema selbst nach Ablauf der Zeit kaum erörtert wurde. Dann kann es<br />
aber auch passieren, daß die beiden gerade in ungeeigneter Stimmung sind,<br />
ebenso wie auch sonst ein Gespräch zwischen gleichen Partnern einmal geistvoll,<br />
ein andermal seicht verläuft. Man könnte dem Rundfunk dann den Vorwurf<br />
machen, sein Mikrophon einer gleich gültigen Unterhaltung zur Verfügung<br />
gestellt zu haben. Die erste Schwierigkeit ist, glaube ich, leicht zu überwinden,<br />
wenn beide Partner sich vorher zwar nicht vorbereiten, sich aber doch so weit klar<br />
werden, daß jeder das Resultat, auf das er hinauskommen will, dem anderen<br />
bekannt gibt. Mit dieser Zielsetzung wird vermieden, daß das Gespräch zerläuft.<br />
Die zweite Gefahr wollen wir gern in Kauf nehmen. Sie wird nicht sehr groß sein,<br />
wenn es uns gelingt; wirklich bedeutende Köpfe zusammenzubringen.<br />
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Wir wollen nun zum Schluß noch einmal feststellen, daß sowohl das Rundfunk-<br />
Essay als auch der Rundfunk- Dialog erst vor dem Mikrophon erstehen sollen. Das<br />
hilft uns auch in Fragen der Programmgestaltung weiter. Das Essay, das für den<br />
Rundfunk Bedeutung haben soll, kann sich weder mit gleichgültigen noch mit<br />
fernliegenden Dingen beschäftigen. Das Thema muß vitales Interesse besitzen,<br />
um gleichzeitig den Sprecher zum Reden und den Hörer zum Aufnehmen zu<br />
veranlassen. Rein didaktische Themen müssen dem ausgearbeiteten Vortrag<br />
vorbehalten bleiben. Aber im höchsten Grade soll das Essay anregend auf den<br />
Hörer wirken, sich selbst mit dem Thema weiter zu beschäftigen. Im übrigen gilt<br />
selbstverständlich für das Rundfunk- Essay, ebenso wie für das geschriebene, daß<br />
es Fragenkomplexe gibt, an die in essayistischer Form heranzugehen, sei es aus<br />
geschmacklichen oder sonstigen Gründen, als oberflächlich abzulehnen wäre. Für<br />
den Dialog aber sei wiederholt: die Zeiten, in denen man im Rundfunk,<br />
gleichgültig, um welches Problem es sich handelt, nur auf jeden Fall um der Form<br />
willen den Vortrag in den Dialog auflöste, sind vorbei. Nur wenn man eine<br />
wirklich fruchtbare Diskussion erwarten kann, nur wenn es produktiver erscheint,<br />
eine echte Auseinandersetzung herbeizuführen als etwa durch zwei antithetische<br />
Vorträge die gleiche Frage von verschiedenen Standpunkten aus zu beleuchten,<br />
nur endlich, wenn man sicher ist, die richtigen Persönlichkeiten gefunden zu<br />
haben, sollte man einen Dialog ansetzen. Essay und Dialog, beide bergen eine<br />
Gefahr in sich: die nämlich, daß man in ihnen ein Mittel sucht, einem Thema eine<br />
formale und äußerliche Lebendigkeit zu verleihen. Aber nicht die Form, sondern<br />
nur der Inhalt vermag echtes Leben widerzuspiegeln.<br />
Herbert Ihering:<br />
Ich möchte an den Satz von Herrn Dr. Flesch anknüpfen, daß der Rundfunk nicht<br />
lediglich ein Vermittlungsinstrument ist, welches, wie ein Buch, wie eine<br />
Zeitschrift, nur in anderer Form, Gedanken verbreitet. Es ist also nicht richtig, daß<br />
man gute Essays, die man auch in Büchern oder Zeitungen finden könnte,<br />
vorliest. Wenn man diesen Satz zu Ende denkt, so kommt man doch dahin, daß<br />
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die Form des Essays für den Rundfunk überhaupt ungeeignet ist. Essay wird<br />
immer eine schriftstellerische Leistung sein. Die Art der Gedankenentwicklung,<br />
die Durchfeilung des Sprachlichen, - alles ist für den Leser bestimmt, nicht für<br />
den Hörer.<br />
Man täte deshalb, meiner Meinung nach, gut daran, die Form des Essays für den<br />
Rundfunk überhaupt fallen zu lassen. Gewiß wird es immer möglich sein, bei<br />
bestimmten Anlässen, das Essay eines Schriftstellers, der geehrt werden soll, vor<br />
dem Mikrophon zur Verlesung zu bringen. Das heißt: ein abgeschlossenes, für<br />
einen anderen Zweck geschriebenes Werk reproduzierend wieder in Erinnerung<br />
zu rufen. Das kann aber selbstverständlich nur ein Nebengebiet des Rundfunks<br />
sein. Als spezielle funkische Form, als Vortrag, der für das Radio verfaßt ist,<br />
kommt das Essay kaum in Frage. Herr Dr. Flesch hat ausgezeichnet dargelegt, wie<br />
der Rundfunk sich an eine Vielzahl von Einzelnen wendet, ohne daß diese vielen<br />
Einzelnen, wie in Versammlungen oder im Theater, zu einer Masse verschmelzen.<br />
Er hat den Satz Ernst Hardts zitiert, daß der Radiovortragende jedem einzelnen<br />
Hörer etwas ins Ohr sage. Ich glaube aber, es gibt doch eine Möglichkeit, die<br />
Zehntausende, die Hunderttausende von Radiohörern zu einer bewegten Masse<br />
zusammenzuschließen, bewegt durch Zuspruch und Widerspruch. Ich meine den<br />
kämpferischen, den polemischen Vortrag. Ich glaube, daß diese Form im<br />
Rundfunk noch nicht genügend zur Geltung gekommen ist.<br />
Es ist schon vieles besser geworden. Wenn man daran denkt, daß der Rundfunk in<br />
Deutschland erst seit wenigen Jahren existiert, so ist seine Entwicklung sogar<br />
schneller vor sich gegangen als, die oft zum Vergleich herangezogene<br />
Entwicklung des Films. Aber im allgemeinen instruiert, unterrichtet, belehrt man<br />
den Hörer mehr, als daß man ihn niederringt. Man gibt den Hörer zu schnell<br />
wieder frei. Man läßt ihn entgleiten. Wenn man gegen etwas polemisiert, wenn<br />
man sich scharf für etwas oder gegen etwas einsetzt, zwingt man den Hörer<br />
sofort zur Stellungnahme. Es bilden sich - unsichtbar - Gruppen, die sich für<br />
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oder gegen die Meinung des Redners zusammenschließen. So entprivatisiert man<br />
den Hörer und erzielt eine in Zustimmung und Widerspruch aufgeteilte Masse.<br />
Es ist gegen die Form des polemischen Rundfunkvortrages vieles eingewandt<br />
worden, Kluges und Dummes. Kluges, wenn man sagte: der Hörer kann sich<br />
gegen die aggressive Rede nicht wehren, er kann nicht, wie in der<br />
Volksversammlung, sofort widersprechen. Er kann weder Beifall noch<br />
Widerspruch kundgeben. Der Gedankengang ist folgender: man dürfe den Hörer<br />
nicht vor den Kopf stoßen, weil er nicht die Möglichkeit habe, unmittelbar zu<br />
reagieren, sich von einem unwillkommenen Eindruck zu befreien. Ich verstehe<br />
diese Argumente, aber ich kann ihnen nicht zustimmen. Ich glaube, man kann<br />
inhaltlich sehr viel wagen, wenn man in der Form nicht verächtlich wird. Ich<br />
glaube, man kann, wenn man mit einem angenommenen oder wirklich<br />
vorhandenen Gegner polemisiert, dem Hörer vieles nahebringen, was ihm sonst<br />
nur in langweiliger akademischer oder in anbiedernd feuilletonistischer Weise<br />
eingetrichtert werden könnte. Das polemische Essay spannt den Hörer, zieht ihn<br />
in einen dramatischen Vorgang hinein, zwingt ihn zu aktiver Teilnahme. Das<br />
Thema des Vortrages beschäftigt den Hörer. Er kann ihm nicht entrinnen; sogar<br />
dann, wenn der Hörer ablehnt, wenn er tobsüchtig widersprechen möchte, wenn<br />
er von einer Meinung nichts wissen will, sogar dann beschäftigt sie ihn mehr,<br />
wenn sie ihm kämpferisch, als wenn sie ihm belehrend gesagt wird. Jede Schärfe<br />
ist erlaubt, nur nicht der Hohn, der persönlich aufgefaßt werden könnte. Deshalb<br />
ist Kritik, deshalb ist Politik im Rundfunk nicht nur möglich, sondern sogar<br />
notwendig.<br />
Von hier aus scheint es mir weniger wichtig zu sein, ob der Vortrag gelesen oder<br />
frei vorgetragen wird. Wenn nicht die akademische Betrachtung, nicht das<br />
weitläufig geschriebene Essay, nicht der gediegene, mit komplizierten<br />
Konstruktionen beladene Aufsatz gewählt wird, sondern nur kurze, knappe Sätze<br />
in klaren und einfachen Formulierungen, dann kann man, glaube ich, ruhig zur<br />
schriftlichen Festlegung übergehen. Das Ideal müßte natürlich der freie, dem<br />
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Augenblick entspringende Vortrag sein. Wenn aber ein bestimmtes Thema in<br />
einer bestimmten Form abgehandelt werden muß, wenn man keine Gelegenheit<br />
hat, ein zweites Mal den Vortrag zu ergänzen oder zu berichtigen, dann wird es<br />
gut sein, die Gedanken genau zu fixieren, den Aufbau und das Endziel genau<br />
festzulegen.<br />
Regeln und allgemein gültige Gebrauchsanweisungen kann es hier nicht geben;<br />
hier ebensowenig wie beim Dialog. Daß der Dialog überhaupt im Rundfunk so<br />
beliebt geworden ist, das beweist ja auch nur, wie sehr man des ewigen,<br />
eintönigen, monologischen Vortrages, des akademischen Essays müde geworden<br />
war. Die Entwicklung zum Dialog, - auch sie zeigt deutlich, wie notwendig das<br />
polemische, das kontradiktorische Element für das Radio ist. Denn was ist der<br />
Dialog anderes als aufgeteilte Polemik? Hier werden heute allerdings noch viele<br />
Fehler gemacht. Nicht jedes Rundfunkthema eignet sich zur dialogischen<br />
Behandlung. Ein akademisches Essay mit aufgeteilten Rollen bleibt ein Essay. Ein<br />
Frage- und Antwortspiel über Interna des Theaters oder des künstlerischen<br />
Schaffens ist überflüssig. Ein solches Gespräch über die Entstehung eines<br />
Kunstwerkes oder über das individuelle Schaffen des Einzelnen ist sinnlos, weil<br />
die Vortragenden erstens den Partner, zweitens das Publikum für dümmer halten<br />
müssen, als sie sind. Denn sonst käme es bei einer so banalen Themenwahl<br />
überhaupt zu keiner Frage und erst recht zu keiner Antwort. Das Gespräch wäre<br />
entschieden, bevor es angefangen hätte. Nein, der Dialog des Rundfunks muß<br />
etwas ganz anderes sein. Der eine Partner darf nicht den anderen nach<br />
persönlichen Erlebnissen ausfragen, - das ist das Interview, das wieder ganz<br />
woanders hingehört und mit dieser Frage nichts zu tun hat. Es muß ein objektives<br />
Thema sein, über das gesprochen wird. Dieses Thema kann man entweder von<br />
Vertretern verschiedener Gebiete kontradiktorisch behandeln oder von zwei<br />
ausgesprochenen Gegnern durchfechten lassen. Alle Gespräche im Rundfunk, die<br />
sich um Privatdinge drehten, waren, wenn sie nicht die Sensation eines aktuellen<br />
Interviews, wie bei Zeppelinempfängen, für sich hatten, peinlich und überflüssig.<br />
„Was schaffen Sie?“ „Wie schaffen Sie?“ - Nein, das sind Indiskretionen, die wir<br />
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nicht wissen wollen. Die Gespräche, die ein objektives Thema behandeln, ein<br />
politisches, wirtschaftliches oder soziales oder geistiges Problem, diese<br />
Gespräche haben ihren Sinn und ihre Bedeutung.<br />
Darüber hinaus allerdings glaube ich, daß sich die Form des Dialogs im Radio<br />
später einmal überleben wird, daß er nur eine Übergangsform ist. Wenn man erst<br />
einmal von dem ruhigen Einzelvortrag zum angreifenden, advokatorischen<br />
Vortrag übergegangen sein wird; wird sich die Form des Dialogs oder des<br />
sogenannten Streitgesprächs erledigen. Man hat mit Recht gesagt, daß ein<br />
schriftlich fixiertes, abgelesenes Zwiegespräch absurd sei. Trotzdem wird man<br />
vorläufig, wenn man ein wirkliches Thema wirklich zu Ende führen will und nicht<br />
Gelegenheit hat, in periodischen Fortsetzungen den Dialog weiterzuführen und<br />
zu ergänzen, um die schriftliche Festlegung kaum herumkommen. Dr. Flesch ist<br />
deshalb - aus dem Gefühl heraus, daß abgelesene Dialoge unnatürlich sind -<br />
dazu übergegangen, die Gesprächsform in der Hauptsache nur bei Interviews<br />
oder bei rekonstruierten Verhandlungen und Versammlungsreden zuzulassen,<br />
wie es in Frankfurt auch schon Dr. Schütte eingeführt hat. Das heißt:<br />
Parlamentsduelle oder Versammlungsreden, die einmal wirklich stattgefunden<br />
und Bedeutung erlangt haben, werden nach dem Stenogramm oder der<br />
Grammophonplatte rekonstruiert und nun als Rollen auf Sprecher und<br />
Schauspieler verteilt. Hier macht der Rundfunk mit Reden bekannt, die wirklich<br />
gewesen sind, hier gibt er einen Tatbestand wieder. Vorläufig aber, als<br />
Übergangsform, scheint der unmittelbare Dialog über ein objektives Thema am<br />
Rundfunk doch noch möglich zu sein. Eine Übergangsform, die sich in den<br />
modernisierten Einzelvortrag hineinretten wird; denn der Vortrag vor dem<br />
Mikrophon oder das Essay - eine Bezeichnung, die wir für den Rundfunk nie<br />
wieder anwenden wollen - wird nur dann lebendig sein, wenn er im geheimen<br />
doch ein Dialog ist, der Dialog des Redners mit einem unbekannten und nur<br />
vorgestellten oder bekannten und wirklich vorhandenen Gegner: das ist der<br />
polemische Vortrag.<br />
37
Aussprache<br />
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Vorsitzender Ernst Hardt: Meine Herren! Ich möchte auf einige Punkte in den<br />
Ausführungen der Herren Referenten zurückkommen, weil uns daran liegen muß,<br />
Seitenwege, die nach unseren Erfahrungen vielleicht Irrwege sind, sofort zu<br />
verbauen. Jemand hat gesagt, der Autor solle vor dem Mikrophon möglichst nicht<br />
selbst lesen, wenn er nicht zufällig sehr gut lesen kann. Ich möchte dazu<br />
bemerken, daß wir ja alle aus den literarischen Gesellschaften, aus den<br />
Vortragssälen diejenigen Autoren unter uns kennen, welche, wenn sie selbst<br />
lesen, ihre Werke fördern, und solche, die das Werk dadurch schädigen. Aber vor<br />
dem Mikrophon steht die Geschichte etwas anders. Wir können im Rundfunk<br />
nicht jenen Vortragskünstler brauchen, den man, glaube ich, Rezitator nennt, wir<br />
können auch nicht den Schauspieler gebrauchen, welcher Epik und Lyrik<br />
vorspielt. Denn dieses rätselhafte weiße Ding Mikrophon hat eine ganz gemeine<br />
Eigenschaft, es offenbart nicht nur den akustischen Ton, sondern alles, was<br />
dahinter ist, und bei dem Rezitator ist gewöhnlich etwas dahinter, das in gar<br />
keinem Verhältnis zu der geistigen und seelischen Haltung dessen steht, was er<br />
vortragen will. Der Autor aber, der sich selbst liest, der vielleicht schlecht spricht,<br />
meinetwegen lispelt, ist jedoch menschlich seinem Werke gewachsen, und das ist<br />
für das Mikrophon wichtiger als alle Rezitatorenkünste. Ich selbst habe einen<br />
großen Teil deutscher Dichter in ihrer Persönlichkeit und Menschlichkeit erst<br />
durch das Mikrophon kennen und lieben gelernt, obwohl sie nicht übermäßig gut<br />
lasen.<br />
Dann möchte ich einen zweiten, wie ich glaube, irrtümlichen Weg verbauen. Herr<br />
Zweig hat von dem Stegreiferzähler vor dem Mikrophon gesprochen, und schon<br />
vor Monaten hat ein sehr rundfunkverwandter Mensch einen ähnlichen Gedanken<br />
geäußert. Ich glaube, dem liegt ein großer Irrtum zugrunde. Der Rhapsode des<br />
Mittelalters, der Minnesänger, hat, ehe er seine Vortragstournee, von der er leben<br />
mußte, anfing, das, was er dort scheinbar improvisiert vortragen wollte, mühsam<br />
und fleißig auswendig gelernt und den Anschein der Improvisation<br />
schauspielerisch geübt. Alle künstlerische Form bedingt unendliche künstlerische<br />
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Arbeit. Alle Genies haben immer wieder wesentlich von ihrem Fleiß gesprochen,<br />
das heißt von der Arbeit an ihren Dingen. Nun kann es natürlich geschehen, daß<br />
einen Dichter im Zusammensein mit anderen Menschen, hervorgerufen durch den<br />
Anreiz der Geselligkeit, plötzlich ein Schöpfungsmoment überkommt und er zu<br />
erzählen anfängt. Ich entsinne mich, oft genug in meinem Leben bedauert zu<br />
haben, daß man seine Stegreiferzählung nicht aufschreiben konnte. Aber dies<br />
Improvisieren entsteht ja gerade dadurch, daß ich in anderer Menschen Augen<br />
sehe, daß es mich plötzlich zwingend interessiert, diesem oder jenem Menschen<br />
ein Erlebnis zu vermitteln. Dies Improvisieren ist also nur in leiblicher Gegenwart<br />
anderer möglich, und ich glaube nicht, daß sich eine Kunstform daraus<br />
entwickeln kann, daß jemand allein in einem kleinen Kämmerchen sitzt und vor<br />
gedachten Menschen nun sich selber gewissermaßen etwas vorimprovisiert. Ich<br />
glaube, daß dieser Traum des improvisierenden Dichters vor dem Mikrophon ein<br />
künstlerischer Irrtum ist.<br />
Drittens bitte ich bemerken zu dürfen, daß die Länge eines epischen Werks gar<br />
kein Hindernis für den Rundfunk bildet. Man braucht sich nur dazu zu<br />
entschließen, ein wertvolles Werk etwa so vortragen zu lassen, wie das viele<br />
Sendegesellschaften getan haben, - nämlich so, daß diejenigen Menschen, die es<br />
hören wollen, Zeit haben, täglich um die gleiche Stunde die Fortsetzung von Tag<br />
zu Tag zu hören. Ich weiß, daß z. B. Berlin, Frankfurt und Köln große epische<br />
Werke ohne Striche den Hörern erzählt haben und daß sich große Gruppen<br />
bildeten, die täglich zu diesen fortlaufenden Erzählungen zurückkehrten, im<br />
Westdeutschen Rundfunk sogar einmal zwei Jahre lang mit der gleichen Begierde<br />
zurückgekehrt sind.<br />
Dr. Fulda: Meine Damen und Herren! Ich will nur eine ganz kurze Ergänzung zu<br />
dem geben, was hier über Epik gesagt worden ist, oder vielmehr eine Lücke<br />
ausfüllen, ohne mich auf theoretische und ästhetische Ausführungen<br />
einzulassen. Ich möchte darauf hinweisen, daß Sie nur gesprochen haben von<br />
einer Epik - und auch Hardt sprach davon - , die einen weiten Umfang, einen<br />
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breiten Fluß hat. Es gibt auch noch eine andere Epik, und auf die möchte ich<br />
hinweisen, weil sie mir für den Rundfunk wie geschaffen erscheint und noch<br />
ausgebildet werden muß; das ist die kurze Epik. Herr Zweig hat von dem<br />
Märchenerzähler gesprochen. Gewiß ist das Märchen die Urform aller Epik. Aber<br />
gerade das Märchen ist kurz. Es läßt sich jedes Grimmsche oder Andersensche<br />
Märchen in zehn Minuten oder einer Viertelstunde vorlesen. Ebenso gibt es eine<br />
Epik, die man in England und Amerika weit mehr pflegt und weit mehr als<br />
Kunstform ausgebildet hat und die die Bezeichnung ;,Short Story“ führt, die<br />
heitere oder ernste Erzählung in knappester Form, die kleine Novelle, die kleine<br />
Skizze. Hier scheint mir ein ganz besonderes Gebiet für den Rundfunk zu sein.<br />
Gewiß ist hier noch viel zu leisten, und gerade unsere ersten epischen Dichter<br />
würden nach meiner Meinung hier ein Feld finden, wenn sie versuchten, nicht<br />
mehr in breit ausgesponnenen epischen Gedichten, sondern auch in ganz<br />
knapper, gedrängter epischer Form sich auszuleben und damit gerade dem<br />
Rundfunk etwas zu geben, was ihm gehört. Darauf wollte ich hinweisen.<br />
Dr. Döblin: Meine Damen und Herren! Erst möchte ich einen Vorschlag machen.<br />
Wir haben zwar zugehört, aber ich habe schon wieder das meiste vergessen, und<br />
anderen wird es ebenso gehen. Ich möchte vorschlagen, daß von der Tagung<br />
beschlossen wird, daß die Vorträge gesammelt und etwa hundert Durchschläge<br />
gemacht und den Interessenten diese Durchschläge zugesandt werden, damit<br />
man sich zu Hause die Sachen durch den Kopf gehen lassen kann, und damit die<br />
Vorträge nicht in entstellter oder unzulänglicher Form an uns kommen. Ich bitte,<br />
diesen Vorschlag als Antrag zu behandeln.<br />
Zweitens möchte ich Herrn Hardt zustimmen in dem, was er zu, den Worten des<br />
Herrn Zweig gesagt hat.<br />
1. Kunst ist nicht zu improvisieren, das ist ein allgemeiner Satz. Und wenn<br />
Herr Zweig glaubt, darüber könnte man sich hinwegschwingen, so bin<br />
ich nicht dieser Meinung. Ich glaube aber, daß Herr Zweig dies selbst<br />
auch weiß.<br />
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2. „Epik“ und das, was Herr Zweig im Kopf hat, ist nicht dasselbe. Auch<br />
Kurzgeschichten sind nur ein minimaler Ausschnitt der Epik. Es steht<br />
eben so: richtige geschriebene Epik geht nicht in den Rundfunk ein, der<br />
Rundfunk braucht seine besondere Form: die Epik- Dramatik. - Für<br />
Märchenstunden, besonders improvisiert, bedanke ich mich. Ich halte<br />
das für einen Atavismus und für ganz und gar keine<br />
Fortentwicklungsmöglichkeit der Epik.<br />
3. Ich will ich Herrn Roeseler zustimmen. Der Rundfunk muß in der Tat<br />
eine Umstellung von Sehmenschen in Hörmenschen in uns vollziehen. Es<br />
ist übrigens notwendig, daß Hörwerke, die gedruckt sehr wenig<br />
Bedeutung haben können, besonders bezahlt werden. Die<br />
Rundfunkgesellschaft hat hier die Entwicklung etwas in der Hand.<br />
Zuletzt möchte ich gerne wissen, und ich bitte, hierüber abzustimmen, ob es<br />
heißt „der Essay“ oder „das Essay“. Es ist eine große Differenz entstanden, und ich<br />
gehe mit persönlicher Verwirrung aus der Tagung. Ich habe bisher immer<br />
geglaubt, daß es heißt „der Essay“.<br />
Vorsitzender Ernst Hardt: Ich möchte dazu bemerken, daß es in der Tat, soweit<br />
meine Erfahrungen reichen, „der Essay“ heißt. Es war Herrn Ihering vorbehalten,<br />
diese falsche Bezeichnung „das Essay“ zu wählen.<br />
Herbert Ihering: Ich weiß es wirklich selbst nicht!<br />
Walter von Molo: Meine Damen und Herren! Es ist das Wort „Prediger“<br />
gesprochen worden. Das ist doch ein etwas pathetisches Wort. Ich sage lieber<br />
Mensch dafür. Was ist für den Dichter das Schönste? Wenn Leute, vor allem junge<br />
Menschen zu ihm kommen und ihn um Rat fragen über rein menschliche Dinge.<br />
Ich möchte sagen, daß der Rundfunk Selbstbekenntnisse über alle möglichen<br />
Probleme der Menschen bringen soll. Die Scham des Sprechenden fällt weg, man<br />
sieht die Leute nicht, ebenso stört die Scham den Zuhörer nicht; er hört allein.<br />
Das ist Ähnliches wie die Beichte, oder psychoanalytisch: Befreiung durch<br />
Geständnis, Abreagieren. Ich glaube, es ist deshalb auch zweckmäßig, weniger<br />
hier über Ästhetik zu sprechen, als den Menschen zu suchen und diesen<br />
Menschen zu Menschen sprechen zu lassen. Ich muß vorschlagen, daß darauf hin<br />
die Debatte geleitet wird. Allerdings müßte dann die Zensur fallen. Denn wenn<br />
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wir frei über innere Erlebnisse sprechen sollen, über sexuale Probleme, aufrichtig<br />
über Erleben und Irren, und der Zensor kommt und verlangt, daß alles vorher<br />
aufgeschrieben wird, bevor man spricht, dann hört die Chose auf: Leben zu sein,<br />
dazu anzuregen.<br />
Hans Kyser: Ich gehe von der Begriffsbestimmung meiner Vorredner aus, die von<br />
Sehmenschen und Hörmenschen sprachen. Unsre Zeit hat zwei neue<br />
Ausdrucksformen der schöpferischen Phantasie geschaffen: den Film und den<br />
Funk. Die Bewegungstechnik unseres letzten Jahrhunderts, die den bisherig<br />
gültigen Zeitraumbegriff aufhebt, sucht nach künstlerischer Formung. Der Film<br />
diente dem Auge und zwang ihm neue Gesetze auf. Der mächtig aufgeregte<br />
Sehsinn bedurfte eines organischen Ausgleiches in den neuen Erregungen des<br />
Hörsinns, die uns die Darbietungen des Radios boten. Wir sind begnadet, an<br />
diesen Kunstformen der neuen Zeit nicht nur mitarbeiten zu dürfen, sondern sie<br />
selbst erst mitschaffen zu helfen. Unter diesem Gesichtspunkt muß der Begriff<br />
des Dichters, der zu eng gezogen ist, erweitert werden. Auch die Niederschrift<br />
erschauter Bilder oder erlauschter und zur Sichtbarkeit sprachlich gezwungener<br />
Seelenvorgänge ist Dichtung. Wenn Herr Döblin von dem veränderten Medium<br />
spricht, so darf dieser Gedanke nicht etwa dazu verleiten, bestehende Dichtwerke<br />
einfach für den Rundfunk umzubilden, das heißt ein Drama oder eine Novelle als<br />
Sendespiel „umzuarbeiten“. Das würde nur zu einer Vergewaltigung der<br />
Kunstformen führen, die wir im Film als abschreckendes Beispiel noch immer<br />
beobachten können. Wir dürfen nicht die bestehenden Kunstformen umwandeln,<br />
sondern müssen versuchen, neue zu schaffen.<br />
Herr Arnold Zweig sprach vom Märchenerzähler. Für den Rundfunk gibt es nur<br />
einen Märchenerzähler: das ist der Reporter. Der erzählt uns wirklich das große<br />
Märchen unserer Zeit. (Zwischenruf Döblin: Das ist gut!)<br />
Diese Anschaulichkeit der Gegenwart läßt sich auch auf die Vergangenheit<br />
anwenden. In einer neuen Form historischer Funkreportage können wir vor allem<br />
unserer Jugend eine neue Geschichtsanschauung schaffen. Auch die Geographie<br />
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als Anschauung der Erde, als lebendige Reisebilder, müßte so übermittelt werden,<br />
Das Essay als Erlebnis, der Dialog, diese außerordentliche Kunstform, die einst<br />
die größten Gedanken der Menschheit etwa in Platos Dialogen trug, als neue<br />
Schöpfung des Rundfunks, wobei ich allerdings bezweifle, daß hier durch<br />
Improvisation Wesentliches geleistet werden kann. Dazu ist die Verantwortung<br />
des geistigen Menschen vor dem Wort zu groß.<br />
Aber geben wir uns keiner Täuschung hin: die Entwicklung des Radios ist an das<br />
Wirtschaftliche gebunden. Wer bloß schnell mit der linken Hand etwas<br />
wegschreibt, um Geld zu verdienen, der schadet mehr, als er nützt. Wer ernsthaft<br />
und verantwortlich arbeitet, muß in der heutigen äußerst schweren<br />
Lebenssituation die Möglichkeit sehen, daß seine Arbeit auch ihren Lohn findet.<br />
Hierzu sind die bestehenden Tarifverträge, die sich nicht auf Originalwerke des<br />
Rundfunks beziehen, nicht ausreichend. Nach diesen Tarifen würde etwa<br />
München 350 Mark für ein abendfüllendes Hörspiel zahlen. Deswegen muß dafür<br />
gesorgt werden, daß eine Zentralstelle der Programmgestaltung des Deutschen<br />
Rundfunks für Hörspiele geschaffen wird, die eine Verflechtung der<br />
Rundfunkprogramme gewährleistet. Sonst würde Berlin langsam die Zentralstelle<br />
für wichtige Originalrundfunkaufführungen werden, während sich die Sender im<br />
Reich mit geringeren Arbeiten begnügen müßten, ein Zustand, der durchaus nicht<br />
wünschenswert ist.<br />
Gerade die Auswertung und Wirkungsmöglichkeit einer neuen Kunst ist sehr<br />
mitbestimmend für die Mitarbeit jener schöpferischen Menschen, die der<br />
Rundfunk, wie es schon diese Veranstaltung lehrt, sucht.<br />
Arnold Zweig: Ich erleide den ganzen Nachteil eines Menschen, der eine<br />
Verabredung hält, nämlich nur zehn Minuten zu sprechen. Infolgedessen muß ich<br />
an meine Hörer wesentliche Ansprüche der Ergänzungsfähigkeit stellen, die zum<br />
Teil nicht erfüllbar scheinen. Ich meine nicht, daß sich jemand aus der Fülle des<br />
Gemüts vor das Mikrophon stellt und dort seine Ausführungen macht. Vielmehr<br />
legte ich meinen Worten die Erfahrungen zugrunde, die die Zeitung mit dem<br />
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Fortsetzungsroman gemacht hat, - ich dachte also weniger an die Form einer<br />
Fidelitasrede, wenn ich vorschlug, im Rundfunk zu improvisieren, als an die<br />
große improvisierte Komödie, die ein lang erprobtes und traditionserprobtes<br />
Theaterensemble mit seinem Dichter verabredet, zum Beispiel in Neapel. Hierbei<br />
wird zunächst einmal eine Handlung verabredet. Diese Handlung ist insofern<br />
schon vorgezeichnet, als sie immer wieder von den gleichen Typen und in der<br />
gleichen Art des Ablaufs gespielt wird. Diese Komödie nimmt drei bis fünf<br />
Charaktere nach einem immer wieder neuen Handlungsschema in Anspruch,<br />
Charaktere, die charaktermäßig vollkommen festgelegt sind (Harlekin,<br />
Colombine, Polichinell, der gehörnte Ehemann), und dann wird eine Szene nach<br />
der anderen durchgesprochen, danach aber improvisiert gespielt; aus einem Typ<br />
und Charakter heraus, der von vornherein vom Hörer erwartet wird, und der<br />
dadurch völliges Leben bekommt, daß die vorliegende neue Erfüllung sich mit der<br />
jeweilig alten Erwartung deckt oder von ihr in Schattierungen abweicht. So etwa<br />
meine ich den erzählten Roman. Jeder, der gewohnt ist, intensiv zu arbeiten, legt<br />
seinem Roman ein Stadium zugrunde, das vielleicht mehrere Jahre dauert und<br />
darin besteht, die Fabel bis ins kleinste hin zu kristallisieren. Diese Kristallisation<br />
kann nun, wenn sie einmal vorhanden ist, ebensogut Abend für Abend, von 25<br />
Minuten zu 25 Minuten kapitelweise erzählt werden. Ich habe nun ausdrücklich<br />
gesagt, daß diese Form der Erzählung nicht die Anforderungen durchgebildeter<br />
Einzelwortwahl erfüllen kann. Sie soll vielmehr durch ihre Art der gesprochenen<br />
Darbietung, durch die lebendige Wortbildung und die vorwärtsgetragene<br />
Charakteristik und Handlung denjenigen schlechten epischen Gebilden den<br />
Boden abgraben, die heute als Massenromane gelesen werden und eine<br />
ungeheure suggestive Wirkung auf Millionen von Menschen ausüben, nämlich die<br />
des Durchschnittsbuches.<br />
Ich bin der Überzeugung, daß sich besondere Talente für diese Kunstform finden<br />
werden, die sogar hochwertige literarische oder dichterische Produkte dieser Art<br />
schaffen werden. Es gibt noch heute große improvisatorische Talente. Ich nenne<br />
nur Rudolf Borchardt; wer dessen Reden je gehört hat, wird mir beipflichten. Es<br />
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handelt sich, ich möchte nicht mißverstanden werden, jetzt nicht um Szenen, ich<br />
spreche jetzt von Reden. Die Rede ist eine große menschliche Kunstgattung<br />
gewesen. Zwei Dichter, Schiller und Lessing, hätten meiner Meinung nach fast<br />
keine Stücke geschrieben, wenn sie Gelegenheit gehabt hätten, in einem<br />
Parlament oder von einer Kanzel zu einer Menschenmenge zu reden.<br />
Rudolf Borchardt also improvisiert seine Reden; er spricht wirklich und frei aus<br />
der Fülle seiner Gedanken, aus der Fülle seines Dichtertums. Sie finden freilich<br />
solche Menschen unter den literarischen Typen unserer Tage selten; eher<br />
vielleicht unter Anwälten oder Menschen des tätigen Lebens, - solchen, die durch<br />
die Art unserer Parteiapparate und durch die Methoden, nach denen heute<br />
Politiker ausgesiebt werden, auch vom politischen Reden ferngehalten werden.<br />
Sie müssen sie suchen; Talente, die tatsächlich innerlich vieles zu sagen hätten,<br />
können wir Ihnen hier und jetzt nicht präsentieren.<br />
Sie haben, wie wir bereits hörten, die Möglichkeit, Studios zu schaffen. Tun Sie<br />
das; versuchen Sie es auch mit Anekdotenerzählern. Es gibt in allen Kreisen<br />
Talente, die in der Lage sind, Dutzende von Witzen und kleinen Geschichten<br />
hintereinander zu erzählen, die imstande sind, aus trockenen Handlungen<br />
wirkliche Kunstwerkchen zu machen. Die Anekdote ist eingeschlafen, weil die<br />
lebendige Rede eingeschlafen ist.<br />
Ich glaube, daß auch diese kurze Art, ein fruchtbares Moment darzustellen, dem<br />
Rundfunk viel Lebendigkeit geben könnte. Nur denke ich dabei nicht an Ihre<br />
„Märchenerzähler“ und Funkheinzelmännchen. Wohl aber, daß irgend etwas von<br />
einem Märchenerzähler in jedem unserer Dichter lebt und wirkt.<br />
Vorsitzender Ernst Hardt: Vielleicht darf ich noch eine kurze Bemerkung zu den<br />
Ausführungen des Herrn Zweig machen. Er hat von der improvisierten Erzählung<br />
als einer möglichen Kunstform gesprochen, und nur dagegen habe ich mich<br />
gewandt. Daß es Menschen gibt, die entzückend erzählen können, das wissen wir<br />
alle. Wenn wir also jemanden finden, der das auch vor dem Mikrophon kann, so<br />
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bleibt das wie im Leben ein Sonderfall. Ich glaube also nicht, daß die<br />
improvisierte Erzählung jemals zu einer gültigen Kunstform sich auswachsen<br />
kann.<br />
Alfons Paquet : Ich bin beglückt, daß wir Gelegenheit haben, von verschiedenen<br />
Seiten aus theoretisch diese Fragen durchdenken zu können. Ich habe keinen<br />
anderen Wunsch, als mir diese Dinge durch den Kopf gehen zu lassen, ohne jetzt<br />
auf Einzelheiten einzugehen. Ich bin - und die meisten Kollegen sind es genau so<br />
wie ich - dem Rundfunk gegenüber Autodidakt. Ich bin langsam, ohne praktische<br />
Anleitung, in ein Verhältnis zum Rundfunk hineingewachsen. Das einzige war,<br />
daß mir glücklicherweise Gelegenheit gegeben wurde, im Rundfunk zu sprechen<br />
und dort einige Erfahrungen zu sammeln. Es ist mir so gegangen, daß auch ich<br />
zunächst mit einer ausgearbeiteten Niederschrift zum Rundfunk kam, die ich<br />
vorlas. Ich habe keine Äußerung gehört, ob das richtig war oder nicht. Mir sind im<br />
Anfang nur einige allgemeine Verhaltungsmaßregeln gegeben worden, daß ich z.<br />
B. recht deutlich und verständlich sprechen soll. Das ergab kein unbefangenes<br />
Sprechen. Heute sagt man: Sprechen Sie frei und leicht wie immer. Von<br />
vornherein habe ich empfunden: ich spreche zu einem Publikum, das ich zwar<br />
nicht sehe und höre, das aber überall und wirklich vorhanden ist; ich muß den<br />
Menschen etwas leicht Verständliches, Einfaches sagen, dann werden sie schon<br />
aufpassen. Deswegen brauche ich nicht platt zu sein! Ich bin dann nach und nach<br />
vom Manuskript unabhängiger geworden. Schließlich kam es so, daß ich es wagen<br />
konnte, in meinen Vorträgen ganze Teile zu überspringen, Texte<br />
zusammenzuziehen, Übergänge zu improvisieren. Manchmal habe ich dabei<br />
sogar Jacke und Weste ausgezogen, so stark hatte ich das Gefühl einer vollen<br />
Unmittelbarkeit des Sprechens. Ich hatte dabei merkwürdigerweise das Gefühl,<br />
daß ich da recht gut gesprochen habe, man brauchte mich im Raum nur allein zu<br />
lassen. Ich konnte mich da benehmen, wie ich wollte. Nur einmal kam der<br />
Rundfunkleiter herein und schob mich wieder in die Nähe des Mikrophons, von<br />
dem ich mich zu weit entfernt hatte.<br />
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Auf diese Weise habe ich ein paar Erfahrungen gesammelt, und ich bin heute<br />
schon fast so weit, daß ich imstande bin, vor dem Rundfunk zu improvisieren. Ich<br />
nehme auch noch kaum ein ausgearbeitetes Manuskript mit. Vielmehr überlege<br />
ich mir vorher genau, über was ich sprechen will. (Zwischenruf: Über was<br />
sprechen Sie?) Über einen Gegenstand, den ich beherrsche, meinetwegen die<br />
Weltstadt Berlin. Ich übersehe vorher den Stoff und gestalte ihn neu beim<br />
Sprechen. (Zwischenruf: Das ist die richtige Form der Reportage!) Es kommt auf<br />
das Zusammenraffen des Stoffes, das blitzartige Formfassen an. Auf dieses Ziel<br />
sollte hingearbeitet werden. Ich habe gestern in Frankfurt interessante<br />
Ausführungen über dieses Problem gehört, und ich möchte dem nur die eine<br />
Forderung hinzufügen: Geben Sie uns ein Studio. Geben Sie uns die Möglichkeit,<br />
uns selbst zu hören, aber auch die, aus einer vorbereiteten Stoffülle immer<br />
wieder zu sprechen. (Zwischenruf: Und die Zensur?) Davor habe ich keine so<br />
große Angst. (Zwischenruf: Sie müssen doch das Manuskript vorlegen!) Gewiß,<br />
doch ich hatte niemals ernstliche Schwierigkeiten. Ich habe vor allem den einen<br />
Wunsch, daß es möglich gemacht werde, aus dem autodidaktischen Stadium<br />
herauszukommen, in das einer wirklichen Beherrschung der technischen<br />
Möglichkeiten des Rundfunks. Dann kommen. wir schon ein großes Stück weiter.<br />
Dazu müßte allerdings auch wirtschaftlich eine gewisse Grundlage gegeben<br />
werden.<br />
Vorsitzender Ernst Hardt: Ich bitte um die Erlaubnis, über den dunklen Begriff<br />
der Rundfunkzensur einiges sagen zu dürfen. Es wird damit besonders in den<br />
Zeitungen sehr viel Unfug getrieben. Der Verband der Berliner Kritiker hat sogar<br />
eine Resolution gegen die Rundfunkzensur gefaßt. Wie wirkt sich denn diese<br />
Rundfunkzensur aus? Angenommen, es gäbe jemand von Ihnen eine<br />
Abendgesellschaft und hat dazu zum ersten Male auch eine Persönlichkeit<br />
eingeladen, die er nicht genau kennt, die ihm aber sagt: Ich werde heute abend<br />
über den Antisemitismus sprechen. Dann würden Sie doch als Gastgeber<br />
sicherlich fragen: Was wollen Sie denn sagen; es sind mehrere jüdische Freunde<br />
bei mir zu Gast. Mehr tut der Rundfunk auch nicht. Für die Rundfunkleitung ist es<br />
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doch einfach unmöglich, ihr unbekannte Redner ohne Kenntnis des Manuskripts<br />
zu Worte kommen zu lassen! Sie können im deutschen Rundfunk sagen, was Sie<br />
wollen, vorausgesetzt, daß Sie nicht ganz so sprechen wie in einer Versammlung<br />
von lauter Gesinnungsgenossen. Wenn Sie das, was Sie sagen, mit Anstand und<br />
innerer Artigkeit vorbringen, werden Ihnen auch die Andersdenkenden ruhig<br />
zuhören. Unsere Pflicht gegen die Andersdenkenden ist es, für einen solchen<br />
nicht verletzenden Ton vor dem Mikrophon zu sorgen. Sobald jemand jedoch<br />
einer Rundfunkstelle bekannt ist, wird sie in vielen Fällen auf ein Manuskript<br />
verzichten. Dann trägt eben der verantwortliche Rundfunkleiter seine eigene Haut<br />
zu Markte, und ihm muß überlassen bleiben, zu entscheiden, wann er es wagen<br />
will und wann nicht. Solche manuskriptlosen Vorträge oder Reden müssen aber in<br />
jedem Falle mitstenographiert werden; denn Sie können sich nicht vorstellen,<br />
meine Herren, was Hörer manchmal alles gehört zu haben glauben, wovon doch<br />
niemals die Rede, geschweige denn das Wort gewesen ist.<br />
Alfons Paquet: Bei der Erörterung des Improvisierens im Rundfunk will ich mich<br />
keineswegs nur auf die Reportage oder den Essay bezogen haben. Auch beim<br />
Vortrag von Gedichten oder einer Erzählung hatte ich gelegentlich das Gefühl,<br />
daß ich über einzelne Stellen hinweggehen müsse, und ich habe es getan;<br />
zuweilen fand ich irgendeinen freien Übergang. Das kommt mir vor wie die Arbeit<br />
auf der Bühne. Die Figuren müssen natürlich ihre Worte sprechen, aber sie<br />
können es auf verschiedene Weise tun, und die Handlung kommt auch auf<br />
anderen Wegen als denen der starren, einmaligen Vorschrift zum Ziel.<br />
Aus der Versammlung wird der Wunsch geäußert - der die Zustimmung aller<br />
findet - , daß die Rundfunkstellen den Autoren die Kritiken über ihre Vorträge<br />
zukommen lassen möchten.<br />
Georg Engel: Ich möchte vom Standpunkt der Erzähler aus etwas nicht<br />
unwidersprochen lassen. In den sehr interessanten Ausführungen unseres<br />
Freundes Dr. Döblin befindet sich der Satz: Der Roman ist stumm. Dem möchte<br />
ich widersprechen. Der Roman ist nicht stumm. Herr Döblin hat zweifelsohne<br />
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vergessen, daß es zwei Formen der Epik gibt. Eine, ich möchte sie die „rein<br />
epische Epik“ nennen und dabei ihren Hauptvertreter Gottfried Keller. Es handelt<br />
sich hier um eine Diktion, die hemmungslos stundenlang, tagelang dahinfließt, in<br />
aller Großartigkeit freilich, die aber trotzdem meiner Meinung nach für den<br />
Rundfunk kaum oder gar nicht verwendbar ist. Es gibt aber auch eine<br />
dramatische Epik. Wir sind alle Zeugen, daß die heutige Schaubühne in einer<br />
Krise begriffen ist. Manche sagen, daß sie vor einer Katastrophe stehe. Jedenfalls<br />
ist das eine private Ansicht. Sicher aber ist, daß sich manche Grundelemente des<br />
Dramas, viele seiner kräftigsten Bekundungen, in den Roman gerettet haben. Es<br />
gibt eine dramatische Epik, die heute von unserer Jugend mit „Tempo“ bezeichnet<br />
wird. Diese wahrhaft dramatischen Romane sind zweifellos für den Rundfunk<br />
überaus gut geeignet, nämlich dann, wenn eine ganz besonders dramatische<br />
Episode aus ihnen ausgewählt wird, und wenn es dem Autor selbst gelingt, die<br />
Vorgeschichte bis zu dem Moment, wo die Episode einsetzt, in kurzen, treffenden<br />
Worten dem Hörer zu charakterisieren, so daß er nicht fremd in den<br />
Geschehnissen herumplätschert. Dies sei den Herren vom Rundfunk als<br />
praktischer Vorschlag empfohlen.<br />
Ganz sicher ist folgendes: es mag viele Romane geben, auch selbst Tempo-<br />
Romane, die sich gegen das Mikrophon sträuben; aber eine Abart wird es immer<br />
geben, das sind jene ersten Kapitel eines Romans, in denen man bereits den Pfeil<br />
fliegen sieht, also wo schon, im ersten Kapitel die Richtung angegeben wird, das<br />
Ziel, in das der epische Fluß münden wird. Darüber hinaus gibt es aber auch<br />
erste Kapitel, die in sich eine runde Vorgeschichte enthalten und vollständig<br />
abgeschlossen sind.<br />
Im übrigen möchte ich noch bemerken, auch im Gegensatz zu meinem Herrn<br />
Vorredner und Herrn Döblin: auch das Drama ist sendbar. Es ist es nicht, sobald<br />
es 30 bis 50 Mitwirkende zählt. Der Wallenstein und die Königsdramen von<br />
Shakespeare sind nicht sendbar. Da es aber Dramen von vier bis fünf Personen<br />
gibt, die eine ungeheure Leidenschaft in die Höhe treiben, so ist das meiner<br />
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Meinung nach das Beste, was der Rundfunk produzieren kann. In einem solchen<br />
Falle wird auch die nicht sichtbare Bühne einem jeden Hörer sichtbar werden. Ich<br />
weiß nicht, warum wir tiefer stehen sollen als jenes Publikum, dem man bei den<br />
Shakespeare- Dramen einfach eine Stange mit einem Schild auf die Bühne setzte,<br />
auf dem stand: Das ist der Wald. Und die Leute befanden sich mitten im Haine<br />
der Zauberer und Elfen.<br />
Zum Schluß noch einige Worte über die Rundfunkzensur. Ich stimme dem Herrn<br />
Vorsitzenden, dem Dichter Ernst Hardt, zu: wir haben einen gerüsteten und<br />
kampfbereiten Gegner dieser Zensur unter uns. Das ist die Kritik. Wir haben<br />
sogar ein Mitglied dieser Schutztruppe hier sprechen gehört, Herrn Dr. Ihering.<br />
Nur eine Bedingung muß diese Kritik allerdings erfüllen. Sie muß wie im Falle<br />
Ihering autoritär sein. Daß die Rundfunkkritik das nicht immer ist, wissen wir alle,<br />
das ist ein öffentliches Geheimnis.<br />
Vorsitzender Ernst Hardt: Ich bitte, auf die Ausführungen des Herrn Engel über<br />
Dramatik nicht einzugehen, da erst morgen die Referate hierüber gehalten<br />
werden. Eine Bemerkung aber möchte ich Herrn Engel gegenüber machen über<br />
die Verantwortung des Rundfunks. Man spricht von 100 000. Wir würden sagen,<br />
daß es Millionen sind, und zu einem großen Teil Menschen, die überhaupt erst<br />
durch den Rundfunk in sinnvolle Berührung mit Kunstwerken kommen. Diesen<br />
Menschen dürfen wir doch niemals ein Kunstwerk vermitteln, ohne zugleich das<br />
Gefühl in ihnen zu erregen: Hier wird mir etwas Besonderes gereicht, - lassen Sie<br />
mich ruhig die abgebrauchten Worte anwenden: etwas Hohes und Heiliges. Wenn<br />
wir die Werke zerstückeln, Anfangskapitel lesen, das Gesamtwerk zerstören und<br />
gewissermaßen Leseproben geben, so glaube ich, ruinieren wir die<br />
Empfangsbereitschaft und die gehobene Empfindung, mit der Kunstwerke<br />
aufgenommen werden sollen. Ich persönlich habe mich sogar gesträubt, Arien<br />
aus Opern singen zu lassen; später habe ich nachgegeben, weil sie für den<br />
musikalischen Menschen alte Bekannte sind, deren Umwelt ihm lebendig<br />
innewohnt; ich würde mich aber stets scheuen, Stücke aus Romanen zu geben.<br />
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Dr. Freiherr von Münchhausen: Meine Damen und Herren! Ich habe den<br />
Eindruck, als ob die Reden, die wir bisher gehört haben, allzusehr spekulativ<br />
gewesen sind. Wir haben immer nur Gedanken gehört, wie sie am stillen<br />
Schreibtisch sich leicht ausdenken lassen, Gedanken, wie das Kunstwerk des<br />
Rundfunks sein könnte und sein müßte. Aber nicht eine einzige Erfahrung aus<br />
dem Vortragssaal darüber, was denn eigentlich wirkt beim Vortrag. Es wäre<br />
besser, wenn nicht so viele Theoretiker sprächen, die vielleicht kaum einige<br />
dutzendmal öffentlich literarische Werke vorgetragen haben, sondern wenn wir<br />
mehr die Praktiker zu Worte kommen ließen.<br />
Ich komme in diesem Zusammenhang zu meinem aufrichtigen Bedauern nicht um<br />
eine persönliche Feststellung herum: ich glaube für mich in Anspruch nehmen zu<br />
können, seit vielen Jahren der am häufigsten seine Gedichte vorlesende Dichter<br />
zu sein. Ich bin auf jährlich über hundert Vorträge gekommen und habe seit<br />
dreißig Jahren in fast allen Ländern Europas öffentlich gesprochen.<br />
Es ist heute morgen das Wort vom Rhapsoden, vom Barden gesprochen worden.<br />
Wenn ein Barde ein Mann ist, der Heldenlieder dichtet und sie dann selbst<br />
vorliest, so stelle ich mich hiermit als den letzten Barden vor und gebe mich mit<br />
dem schönen Titel gern Ihrer freundschaftlichen Neckerei preis. Andererseits<br />
muß ich auch annehmen, daß meine Verse besonders häufig von anderen<br />
gesprochen werden, wenigstens bekomme ich von dem Zeitungsinstitut<br />
Schustermann zu neunzig Prozent die Mitteilung davon, daß der<br />
Kaninchenzüchterverein in X oder die Konditorlehrlinge in Y sich meine Verse<br />
vorgelesen haben.<br />
Im Rundfunk habe ich wenig häufig gesprochen, nach Zusammenstellungen<br />
meines Büros habe ich im Jahre etwa 400 bis 600 RM. im Rundfunk verdient. Ich<br />
würde alle diese Feststellungen selbstverständlich nicht gewagt haben, wenn sie<br />
irgend etwas zu tun hätten mit dem Wert meiner Gedichte. Das hat dies alles<br />
ganz und gar nicht! Das ist meine feste Überzeugung, und ich habe viel zu oft<br />
selbst erlebt, daß Dichter, die ich in aufrichtiger Demut weit höher stelle als mich,<br />
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vor leeren Sälen gesprochen haben und weniger häufig eingeladen werden als<br />
ich. Die Häufigkeit meines Sprechens beruht darauf, daß ich Balladen spreche!<br />
Die Ballade ist meiner Überzeugung nach das Sprechding in Versen. Ich habe<br />
bisweilen auch Lyrik dazwischen gesprochen. Ein lyrisches Gedicht vorzulesen<br />
dauert etwa eine viertel bis eine halbe Minute. Man kann in einer Stunde also 40<br />
bis 60 lyrische Gedichte vorlesen. So schnell kann der menschliche Geist sich<br />
nicht umstellen, und selbst wenn der liebe Gott anfinge, lyrische Gedichte<br />
vorzulesen, man würde sich dabei langweilen! Ebenso scheidet für das Sprechen<br />
aus der Roman. Ich halte es für ganz unmöglich, aus einem Kunstwerk Teile<br />
herauszubrechen, und möchte meinem verehrten Herrn Nachbar Georg Engel in<br />
dem, was er über den Roman gesagt hat, widersprechen. Es ist mir unerträglich<br />
gewesen, wenn z. B. Kapitel 1 bis 30 erzählt wurden, Kapitel 31 vorgelesen, 32,<br />
34 wieder halb erzählt und halb vorgelesen wurden. Ebensowenig kann man ein<br />
Epos vorlesen. Die balladische Dichtung dagegen steht mit einer Länge von fünf<br />
bis acht Minuten gerade da, wo wir sie brauchen. Die Ballade hat auch einen<br />
erlauchten Stammbaum des Vortrags, wenn wir annehmen, daß die Gesänge<br />
Homers und das deutsche Nibelungenlied ursprünglich aus einzelnen<br />
Heldenliedern bestanden. Den gleichen Stammbaum hat in Prosa die Novelle. Ich<br />
verweise hierbei auf das Dekameron von Boccaccio, der diese Geschichten von<br />
den aus Florenz geflohenen jungen Leuten erzählen läßt. Auch die Novelle hat an<br />
Länge das, was nötig ist, und sie hat noch etwas, das sie mit der Ballade<br />
verbindet: ein gutes lyrisches Gedicht, ein guter Roman können nämlich auch<br />
langweilig sein, aber bei der Ballade und Novelle ist Spannung immer ein<br />
künstlerischer Wert. Balladen und Novellen, die nicht spannend sind, sind<br />
schlecht und fallen unter den Tisch beim Vortrag. Ich habe viele Male die<br />
Erfahrung gemacht, daß die Spannung bei der mündlichen Wiedergabe etwas<br />
ungeheuer Wesentliches ist, und ich möchte deshalb glauben, daß alle<br />
Spekulation auf neue Formen eines Kunstwerkes für den Rundfunk hoffnungslos<br />
ist, wenn sie nicht diesen Gedanken aufnimmt.<br />
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Ich möchte ein zweites Wort über das Sprechen der Dichter sagen. Ich glaube, daß<br />
die zweitgradigen Künstler - also Schauspieler und Rezitatoren - uns, den<br />
Dichtern, als Lehrer beinah nur schaden können, und ich habe es deshalb immer<br />
abgelehnt, bei einem Schauspieler oder Rezitator sprechen zu lernen. Was diese<br />
Herren auszeichnet, ist eine gewisse wasserklare Mundart, die für uns durchaus<br />
nicht in Betracht kommt. Wir vortragenden Dichter alle lesen im Jahre x- mal, daß<br />
der Dichter nicht „der rechte Interpret seiner Schöpfung“ sei. Aber wir müssen<br />
unterscheiden zwischen der Sprechunart und der Sprecheigenart: Es versteht sich<br />
von selbst, daß ein Dichter, der öffentlich spricht, nicht so leise sprechen darf,<br />
daß er in dem großen Saale nicht gehört wird, er darf auch nicht so stark<br />
mundartlich sprechen, daß die Leute zu lachen anfangen, er darf nicht sitzen und<br />
den ganzen Abend die Worte aus seinem Buche holen, indem er den Kopf auf das<br />
Buch neigt. Das sind Unarten. Der gebildete Mensch sieht demjenigen, mit dem<br />
er spricht, offen und gerade ins Gesicht, läßt seine Hände zwanglos hängen und<br />
redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Alles das, was darüber hinausgeht, ist<br />
fast immer ein Verlust an Eigenwüchsigkeit und Wert.<br />
Ich habe niemals einen Rezitator so gut sprechen hören als jeden Dichter! Gerade<br />
die Spracheigenarten sind ein ganz besonderer Reiz, - eine leise Tönung von<br />
Mundart; der eine spricht liebenswürdig, der andere rauh, der eine hat mehr<br />
einen Wachtmeisterton, der andere mehr einen zärtlichen Ton. Diese<br />
Spracheigenheiten möchte ich auf keinen Fall beim Gedichtvortrag durch den<br />
Dichter missen. Gerade der Dichter soll vorlesen, er allein ist der geborene<br />
Interpret seiner Gedichte.<br />
Auch ein Drama kann man nicht im Rundfunk vorlesen, ich halte das für ganz<br />
ausgeschlossen. Man kann ja kaum im Nebenzimmer, wenn ein Mann mit einer<br />
Frau spricht, unterscheiden, wer redet! Mir sind vorgelesene Dramen einfach<br />
qualvoll. Wenn ich sie noch dazu im Rundfunk höre, wo ich die Vortragenden<br />
nicht einmal sehe, dann geht mir alles verloren.<br />
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Ich glaube auch nicht, daß es richtig ist, wenn hier alternativ von dem hörenden<br />
und dem sehenden Menschen gesprochen wurde. Meine Herren! Das, was den<br />
Vortragssaal vom Rundfunk scheidet, ist etwas ganz anderes als bloß das Sehen!<br />
Das ist der berühmte Kontakt zwischen dem Vortragenden und dem Hörer!<br />
Kontakt ist nicht bloß das Sehen, sondern contingere heißt berühren, und deshalb<br />
faßt man den Mann, den man überzeugen will, am Rockknopf und legt ihm die<br />
Hand auf die Schulter. Daß der Kontakt nicht bloß das Sehen ist, erkennen Sie<br />
auch hieraus: wenn die erste Stuhlreihe zehn Schritte von mir entfernt ist, so ist<br />
der Kontakt nicht hergestellt, ja, er ist vom besten Sprecher nicht zu erreichen.<br />
Das Wesen des Kontaktes liegt also nicht bloß darin, daß die Hörerschaft sieht,<br />
sondern offenbar in noch etwas anderem, meinethalben einem Fluidum.<br />
Es ist von einem Vorredner von einem Kollektiverlebnis gesprochen worden.<br />
Gewiß: die Hörerschaft selbst regt sich auf und begeistert damit den Redner.<br />
Ich glaube, abschließend sagen zu können, daß das Vortragsding in Versen die<br />
Ballade, in Prosa die Novelle ist, und damit ist auch gesagt, daß nur diese beiden<br />
aus dem Gebiete des Schrifttums sich für den Rundfunk eignen.<br />
Dr. Fulda: Ich möchte noch einmal kurz auf die Frage der Zensur zurückkommen,<br />
die zwar hier angeschnitten, aber keineswegs geklärt worden ist. Ich wundere<br />
mich über die Auffassung, die Herr Alfons Paquet an den Tag gelegt hat, wonach<br />
er ohne weiteres im Rundfunk improvisieren konnte. Das ist nach meinen<br />
Erfahrungen etwas ganz Neues. Gerade die vielfache Anregung, daß im Rundfunk<br />
nicht bloß von dem Papier abgelesen werden soll, sondern daß dem spontanen<br />
Empfinden die Möglichkeit gegeben werden soll, sich zu entfalten, dies ist nach<br />
meiner Kenntnis bei der bisherigen Handhabung der Zensur nicht der Fall. Ich<br />
kann sagen, daß ich überall, wo ich bisher gesprochen habe - in Berlin und auch<br />
an anderen Sendern - , veranlaßt wurde, mein Vortragsmaterial vorher<br />
einzureichen, und zwar jedes einzelne Gedicht, das ich sprechen wollte.<br />
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Hardt hat von Unterschieden in der Handhabung der Zensur gesprochen. Ich<br />
durfte wohl voraussetzen, daß die Art meiner Vorträge und meine Produktion den<br />
Herren vom Rundfunk nicht ganz unbekannt war; trotzdem wurde von mir<br />
verlangt, jedes einzelne Gedicht vorzulegen. Das ist deshalb gerade nicht<br />
angenehm, weil - ganz abgesehen von der Improvisation - die Stimmung des<br />
Vortragenden im Augenblick unter Umständen auf ein ganz anderes Gedicht<br />
verfallen kann; das darf ich aber nicht bringen, da ich es vorher nicht eingereicht<br />
habe. Das sind Fragen, die zu den allerwichtigsten gehören, die wir heute zu<br />
verhandeln haben.<br />
Ich finde auch, daß die Zensurierung eine höchst prekäre Einrichtung schon<br />
deshalb ist, weil sie immer subjektiv sein muß. Eine absolut objektive Zensur<br />
kann ich mir nicht denken; es wird immer dadurch die Gefahr entstehen, daß<br />
Dinge unterdrückt werden, die andere für ganz harmlos oder ungefährlich halten;<br />
und es wird - ich kann das Wort nicht unterdrücken - einer gewissen<br />
Leisetreterei Tür und Tor geöffnet.<br />
Ich glaube, daß gerade wir Autoren, die wir hier mit den Herren vom Rundfunk<br />
versammelt sind, eine Reform der Funkzensur anregen müssen. Gerade da, wo es<br />
sich um bekannte Persönlichkeiten handelt, deren Charakter und Weltanschauung<br />
Ihnen einigermaßen geläufig sein müssen, sollte man nicht mehr so penibel sein<br />
wie bisher.<br />
Vorsitzender Ernst Hardt: Ich freue mich, daß das Wort Zensur eine so lebhafte<br />
Debatte hervorgerufen hat. Leider steht sie nicht auf unserer Tagesordnung. Ich<br />
möchte, verehrter Ludwig Fulda, nur an die selbstverständliche Haltung des<br />
Verlegers einer Zeitung erinnern. Er wird doch stets fordern, daß seine<br />
Redakteure gelesen haben, was sie drucken lassen. Das hat doch nichts mit<br />
Zensur zu tun! Ich weiß nicht, ob Sie einmal durch einen ungeschickten Herrn<br />
einer Rundfunkstelle gekränkt worden sind. Es hat den Anschein! Meine Herren!<br />
Die Richtlinien, die für den Rundfunk erlassen sind, lauten: Der Rundfunk ist<br />
überparteilich. Das besagt nichts weiter, als daß nicht Agitations- und Wahlreden<br />
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über den Rundfunk gehalten werden sollen. Ferner heißt es: Der Rundfunk soll<br />
religiös und sittlich anders Denkende nicht verletzen. (Zuruf: Das ist ein sehr<br />
gefährlicher Paragraph!) Es muß also jemanden geben, der die Einhaltung dieser<br />
Richtlinien überwacht, und das ist der Redakteur, der Intendant. Ich kenne keine<br />
Zeitung, an der nicht eine Stelle aus einem Aufsatz, die unter Umständen nur<br />
einen Inserenten ärgern könnte, vom Redakteur ruhig gestrichen wird. Ich meine<br />
also, man erregt sich im Rundfunk über Dinge, die man sich von jedem<br />
Zeitungsredakteur ruhig gefallen läßt, ohne eine Prinzipienfrage daraus zu<br />
machen. Im Rundfunk nennt man jede auch noch so selbstverständliche<br />
Rücksichtnahme: Zensur.<br />
(Zurufe: Dann ist Zensur, wenn man vom Standpunkt der Hörerwarte aus . . . Es<br />
handelt sich ja hier darum, daß wir improvisieren sollen, und wir können nicht<br />
improvisieren, wenn solche Zensur geübt wird.)<br />
Vorsitzender (fortfahrend): Ich glaube, wir können aus Zeitmangel dieses Thema<br />
nicht weiter verfolgen. Ich bitte aber die anderen Herren der deutschen Sender,<br />
sich zu äußern. Bei uns z. B. haben etwa 30 Gespräche unter vier Menschen<br />
stattgefunden über das Thema: Was ist der Staat? Es ist vorher keinmal<br />
verabredet worden, was gesprochen werden würde, wir haben keinerlei Kontrolle<br />
geübt, ich nahm nur persönlich an diesen Gesprächen teil, um die Verantwortung<br />
für die Improvisation auf mich zu nehmen.<br />
Arnold Zweig: Ich möchte zu diesem Thema noch verschiedene Erfahrungen<br />
berichten, die uns alle angehen könnten.<br />
Ich habe drei Reden im Berliner Rundfunk gehalten, von denen ich für zwei<br />
Manuskripte eingereicht hatte, die dritte aber improvisierte. Die erste handelte<br />
von dem Dichter Lion Feuchtwanger, die zweite war eine Ehrung der gefallenen<br />
Dichter. Diese zweite Rede, im Manuskript vorgelegt, gedachte nicht nur der im<br />
Kriege gefallenen Dichter, sondern auch der in der Revolution und Nachrevolution<br />
getöteten Geistigen und Dichter. Der Rundfunk ließ mir dies Manuskript,<br />
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nachdem wir uns über bestimmte Passagen geeinigt hatten, unverkürzt durch. Er<br />
wurde von einigen Seiten in der Presse daraufhin angegriffen, aber im großen<br />
und ganzen hat man mich dieses Erlebnis so aussprechen lassen, wie ich es<br />
vorhatte. Die dritte Rede nun, die ich nach diesem Vorgange frei hielt, war die<br />
Lessingrede für die Stadt Berlin, bei der ich vorher mitgeteilt hatte, ich würde<br />
mich an die Gedanken meines Lessingessays in dem Buche „Lessing, Kleist,<br />
Büchner“ halten. Ich charakterisierte scharf den Revolutionär Lessing und seine<br />
Gegenspieler in der heutigen Zeit, worauf wiederum bestimmte Teile der<br />
Öffentlichkeit angriffslustig reagierten. Aber den Berliner Rundfunk ließ dies<br />
ruhig und unbeeinflußt. Wir haben hier also Fälle, in denen keine Zensur des<br />
geschilderten Sinnes ausgeübt wurde, wie sie ja auch für uns unerträglich wäre.<br />
Dagegen muß ich kurz die Geschichte eines Vortrages erwähnen, den Werner<br />
Hegemann in Berlin für eine Siedlungsgesellschaft halten sollte. Hegemann ist -<br />
außer daß er ein großer Schriftsteller ist - Stadtbaumeister und arbeitet gerade an<br />
einem großen Buche über das „Steinerne Berlin“. In Zusammenhang damit lief er<br />
in jenem Vortrage Sturm gegen den alten Bebauungsplan Berlins, der vor siebzig<br />
Jahren von einem Mann, der lange tot ist, erdacht worden war. Dieser Mann fand<br />
einen posthumen Anwalt in einem Rundfunkzensor: Hegemann wurde dieser<br />
ganze breite Passus gestrichen, obwohl sein Angriff vollkommen gerechtfertigt<br />
war. Ich weiß, daß der Vortrag kein Reklamevortrag in jenem Sinne war, der<br />
irgendeine Sache oder ein Lebensmittel anpreist, sondern daß es sich in diesem<br />
Vortrag um Werbung für das Siedlungswesen, einen wichtigen Kulturgedanken<br />
handelte. Wir wenden uns nun nicht gegen jegliche Zensur, wir wollen aber nicht,<br />
daß beliebige Leute ohne Kontrolle solche Zensur ausüben. Es muß eine Stelle<br />
geschaffen werden, zu der wir gehen können und sagen: Hier liegen Eingriffe in<br />
das Manuskript vor, die nicht geduldet werden können. Zensur hinter den<br />
Kulissen darf nicht getrieben werden. Wir lassen uns gern beraten und wollen<br />
gerne mitarbeiten; was wir aber nicht zulassen können, ist die unzuständige<br />
Einmischung einzelner Beamter oder Personen, die von ihrem subjektiven<br />
Empfinden her eine Sache für „unmöglich“ oder „unerlaubt“ halten.<br />
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Nehmen wir nun den Fall des gestrichenen Satzes im Roman, von dem Ernst<br />
Hardt sprach. Denken Sie einmal an den Dichter Gottfried Benn, der vorhin einmal<br />
der größte lebende deutsche Lyriker genannt worden ist: von ihm gibt es eine<br />
Fülle Gedichte, die man im Rundfunk „weglassen“ würde. Hier erhebt sich das<br />
ernsthafte Problem, wie weit die Frage gesellschaftlichen Taktes mit einer<br />
Kunstdarbietung verquickt werden kann. Ich maße mir nicht an, diese Sache<br />
schon jetzt entscheidend durchdacht zu haben. Es gibt aber bestimmt<br />
Kunstwerke sehr hohen Ranges, die in diesen Gesellschaftsmaßstab nicht<br />
hineinpassen wollen Sie solche für die Offentlichkeit notwendige Aussprecher<br />
neugeformter Empfindungen einfach ausschließen? Hier scheint das wahre<br />
Problem zu liegen. Es gibt „gewagte“ Kunstwerke, wie auch solche, die nicht<br />
„gewagt“ sind; aber es gibt doch auch Kunstwerke, die nur gewagt klingen,<br />
solange eine bestimmte Prüderie von ihnen verletzt wird. Die Überempfindlichkeit<br />
des Menschen dem Geschlechtlichen gegenüber ist ja schon ganz bedeutend<br />
abgeklungen; aber es gibt immer noch Schichten, in denen sie noch recht aktiv<br />
ist. Der Dichter nun ist der Vorposten des zukünftigen Empfindens von ganzen<br />
Massen. Das, was Goethe und Klopstock aussprachen, erregte das Entsetzen der<br />
damaligen Menschen, weil die Empfindungen und Wortweisen, die dort zum<br />
Ausbruch kamen, den allgemein herrschenden Schichten und ihrem Geschmacke<br />
nicht entsprachen, so daß selbst Lessing an gewissen Stellen des jungen Goethe<br />
nicht mitkam. Soll der Rundfunk nun diese Empfindungen, diese neuen<br />
Seeleneroberungen von seiner Produktion ausschließen? Oder sollte er nicht<br />
vielmehr eine besondere Stunde schaffen, in der diese vorwärtsweisenden<br />
Menschen ihre Dichtung zum Vortrag bringen können, wo dann dem Publikum<br />
vorher gesagt wird: Diese Darbietungen sind Vorposten des modernen<br />
Empfindens, richten Sie sich darauf ein, oder schalten Sie aus. Ich glaube nicht,<br />
daß wir den Rundfunk nur denjenigen reservieren dürfen, die entweder selbst<br />
imstande sind, sich auf ein bestimmtes durchschnittliches Lebensniveau<br />
zurückzuschalten, oder deren Kunstübung zwar eine Gestaltung des modernen,<br />
des vorgeschobenen Empfindens bringt, aber so zurückhaltend vorgeführt, daß<br />
sie funkmäßig heute schon allgemein dargeboten werden kann. Wir dürfen von<br />
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der Produktion nicht Begabungen ausschließen, die revolutionär und eruptiv das<br />
aussprechen und empfinden, und zwar schon heute sagen, was in dreißig oder<br />
vierzig Jahren allen geläufig ist, auch denen, die daran Anstoß nehmen, solange<br />
es „gewagt“ klingt.<br />
Dr. Fulda übernimmt den Vorsitz.<br />
Ernst Hardt: Ich möchte die Anregung geben, daß jetzt in der Debatte<br />
fortgefahren und über Zensur morgen gesprochen wird, und daß wir dann auf<br />
alles das, was Herr Zweig gesagt hat, nochmals eingehen. Nur kurz erwähnt sei,<br />
daß wir im Westdeutschen Rundfunk den Wojzek von Büchner ohne Änderung des<br />
Textes und ohne Protest von irgendeiner Seite gespielt haben. Aber was Georg<br />
Büchner recht ist, ist manchmal nicht jedem kleinen Lyriker billig.<br />
Dr. Flesch: Ich möchte nur einiges zum Fall Hegemann bemerken. Es handelte<br />
sich dabei um Vorträge einer Baugesellschaft, die nicht wir, sondern die<br />
Reichspostreklame annahm, und auf die Postreklame haben wir keinen Einfluß.<br />
Die Berliner Funkstunde wußte überhaupt von diesen Dingen nichts, es hat sich<br />
hier um einen bezahlten Reklamevortrag gehandelt.<br />
Es wird beschlossen, die Debatte über die Zensur erst am zweiten Tage<br />
fortzusetzen.<br />
Direktor Marschall: Die Hörer haben eigentlich bei unseren Diskussionen gefehlt.<br />
Ich möchte versuchen, sie zu vertreten. Ich gehöre selbst zu der Hörergemeinde,<br />
die es mit dem Rundfunk als Volksbildungsmittel ernst nimmt. Wir katholischen<br />
Volksbildner haben uns schon früh mit den Rundfunkproblemen im<br />
Zentralbildungsausschuß befaßt. Wir gründeten zum Studium und zur<br />
praktischen Arbeit die Rundfunkarbeitsgemeinschaft der deutschen Katholiken,<br />
hinter der alle katholischen Rundfunkkräfte der Organisationen und der Presse<br />
stehen. Ich habe den Vorsitz und bin als solcher auch Mitglied des Kulturbeirats<br />
im Westdeutschen Rundfunk. Ich habe die Freude, in Herrn Generalintendanten<br />
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Hardt den Rundfunkführer zu finden, der gerade den volksbildnerischen<br />
Aufgaben des Rundfunks mit uns zusammen zum Durchbruch verholfen hat. Alle<br />
deutschen Rundfunkintendanten pflegen die volksbildnerischen Kräfte des<br />
Rundfunks und haben ihn nicht zum Variete werden lassen. Anderenfalls säßen<br />
wir heute nicht mit den deutschen Dichtern zur Erörterung von Rundfunkfragen<br />
zusammen.<br />
Meine Herren, ich darf nach diesen Erklärungen wohl im Namen der<br />
Rundfunkhörer und auch als volksbildnerischer Fachmann meine Bemerkungen<br />
machen. Die Zensur soll gesondert behandelt werden. Ich werde mich dann dazu<br />
äußern. Die Rundfunkhörer haben ein Anrecht auf Rücksichtnahme, - sie sind die<br />
Zahlenden, also die Erhalter des Rundfunks, vor allem aber deshalb, weil wir uns<br />
nach der Wirkung der Sendung fragen. Es kommt nach unserer Meinung bei jeder<br />
volksbildnerischen Arbeit - also auch im Rundfunk - nicht nur darauf an, wie<br />
man etwas meint, sondern vor allem darauf, wie es wirkt. Der Rundfunk trägt<br />
seine Arbeit in die Häuser, in die Familien. Er unterscheidet sich in diesem Punkte<br />
wesentlich vom Theater, das man aufsuchen muß. Drum ist seine Verantwortung<br />
auch größer und verpflichtet deshalb besonders.<br />
Die Ansichten der Hörer ersehen wir aus den vielen Zuschriften. Diese müssen<br />
nach psychologischen Methoden bearbeitet werden. Bei allen Programmfragen<br />
sind diese Ergebnisse mit zu berücksichtigen. So fassen auch wir unsere Aufgabe<br />
auf. Wir wollen die Wellen unserer lebendigen Arbeit und des flutenden Geistes<br />
und auf diesen Wellen die geeigneten Wortführer an die Rundfunkleitungen<br />
heranbringen, damit die Arbeit der Sendeleitungen immer lebendig bleibt; denn<br />
die Sendeleitungen haben allmählich Berge von Arbeiten zu bewältigen, so daß<br />
man für Mißgriffe schon gern ein Wort der Verzeihung und des Verständnisses<br />
findet. Das möge auch unsere Aussprache beseelen, auch bei der Zensurfrage.<br />
Zu einer besonderen Frage möchte ich noch von unserem Standpunkt aus<br />
sprechen, und zwar zur sogenannten Kampfrede, von der Herr Ihering sprach. Wir<br />
stehen grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß der deutsche Rundfunk eine<br />
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Gesamtschau des geistigen Deutschland sein muß. Wesentliche Züge dieser<br />
Schau dürfen im Rundfunk nicht fehlen. Die Rundfunkarbeitsgemeinschaft der<br />
deutschen Katholiken will keinen ehrlichen Bekenner, auch nicht wenn er<br />
sogenannter Freidenker ist, vom Rundfunk fernhalten; aber er darf nicht „im<br />
polemischen Sinne“ reden, sondern jeder soll seine Überzeugung sagen und nicht<br />
beweisen wollen, daß eine andere Überzeugung nicht richtig ist, also er darf eine<br />
andere Überzeugung nicht bekämpfen, nicht polemisch reden. Vor dem<br />
Mikrophon darf nicht gegen unsichtbare und erst recht nicht gegen „vorgestellte“<br />
Gegner polemisiert werden.<br />
Nur so können wir den Rundfunk „aktualisieren“. Dann können wir auch wohl<br />
einmal vor das Mikrophon einen überzeugten Katholiken, einen überzeugten<br />
Protestanten, einen überzeugten Sozialisten und einen überzeugten Juden stellen<br />
und sie zu einem lebendigen Gegenstand der Gegenwart sprechen lassen. Sie<br />
sollen ihre Überzeugung sagen, und der Intendant als Verantwortlicher des<br />
Hauses nimmt daran teil und wird zum Schlusse das allgemein menschlich<br />
Verbindende zwischen diesen verschiedenen Meinungen festhalten: Wie könnten<br />
wir dann im Rundfunk Erziehungsarbeit am deutschen Volke leisten! Wenn wir<br />
das zehn Jahre getan haben, können wir auch vielleicht einen Dichter vor das<br />
Mikrophon stellen, der spontan seine Meinung vertritt, gegen die noch viele<br />
auftreten. Diese hätten aber dann gelernt, auch den Mann anzuhören. Es würde<br />
keiner dem anderen seine Meinung persönlich übelnehmen, es wäre anders, wie<br />
es heute ist, da man sich mit dem besten Freunde wegen einer anderen Meinung<br />
verkrachen kann.<br />
Dr. Eulenberg: In dem Punkt, den Ihering schon angeschnitten hat, nämlich im<br />
Punkte der Kritik, bin ich der Ansicht, daß man hier nicht scharf genug vorgehen<br />
kann. Ich spreche nicht gegen irgendwelche Lebenden, - ich spreche auch nicht<br />
pro domo, weil ich selber Kritiker bin. Ich spreche nur für den Dichterstand. Mein<br />
Namensvetter Herbert Ihering hat von einer „Polemik ohne Hohn“ gesprochen, die<br />
man treiben dürfe. Nun, man kann den Ton nicht vor Gericht stellen. Wenn einer<br />
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im Rundfunk höhnisch und herabsetzend über einen Lebenden spricht, so ist dies<br />
ein Urteil, das in Millionen Ohren weiterläuft, das auch nicht mit einer<br />
Zeitungskritik zu vergleichen ist, gegen die ich als Angegriffener nicht wehrlos<br />
bin. Ich kann gegen sie einen Gegenartikel veröffentlichen. Ich weiß auch von<br />
vornherein - und andere wissen es mit mir - : die Zeitung ist gegen mich<br />
eingestellt, ich kann sogar eventuell die Zeitung vor Gericht verklagen. Ich finde,<br />
die Verantwortung des Funkredakteurs ist größer. Denn der Funk wendet sich -<br />
wenn ich zu dem Ausdruck von Herrn Döblin von den „Radioaktiven“ ein<br />
Gegenstück bilden darf –auch an eine Unzahl von „Rad- ioten“. Aber die große<br />
Masse ist zu einer stumpfen Masse geworden. Infolgedessen müssen wir uns<br />
schützen gegen eine Kritik, die am lebenden Dichter geübt wird. Sie kennen,<br />
glaube ich, die ungeheure Gewalt der Fama, die schon Vergil dichterisch<br />
geschildert hat, wie die Verleumdung ins Ungemessene weitergreift. Gerade das<br />
Radio ist ja ein Mittel, wodurch die Verleumdung am meisten in die Welt getragen<br />
werden kann. Der Rundfunk kann nach einem Dichterwort nur eines: Stets<br />
verehren! Und das sei ihm nie genug! Das ist der Wert und die Aufgabe des<br />
Radios gegen die lebenden Künstler.<br />
Vorsitzender Dr. Fulda: Die Rednerliste ist geschlossen, das Wort wird weiter<br />
nicht gewünscht. Zum Schluß möchte ich nur noch feststellen, daß nur von der<br />
Sektion für Dichtkunst und der Rundfunkgesellschaft Geladene an der Tagung<br />
und an unseren Sitzungen teilnehmen.<br />
Schluß der Verhandlungen des ersten Tages<br />
ZWEITER VERHANDLUNGSTAG (1.10.1929)<br />
Vorsitzender Theodor Däubler: Ich eröffne hiermit die Sitzung und erteile<br />
zunächst Herrn Hardt das Wort zu seinem Referat.<br />
62
Drama<br />
Ernst Hardt:<br />
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Meine Herren! Die schon gestern erwähnte seltsame Eigenschaft des Rundfunks,<br />
nicht etwa nur kühl den reinen physikalischen Ton zu übertragen, sondern im<br />
Gegenteil auf eine fast mirakulöse Weise die feinen und feinsten seelischen<br />
Modulationen und Spannungen. des Tones - im Falle der Dichtkunst also des<br />
gesprochenen Wortes - eindeutiger und eindringlicher vor unserer<br />
Aufnahmefähigkeit erklingen zu lassen, als sie innerhalb der sichtbaren Welt<br />
klingen, verlockte den Rundfunk von Anbeginn, Werke der Dichtung und<br />
insonderheit der dramatischen Dichtung zu verbreiten. Die Wirkungsgesetze der<br />
neuen Bühne, der Hörbühne oder des „Theaters ohne Augen“, wie Schmidtbonn<br />
sie genannt hat, ließen ihren Regisseur sehr bald von einer neuen dramatischen<br />
Kunstform sprechen, die Hörspiel genannt wurde, und über die Sie in der<br />
Funkliteratur unzählige theoretische Erörterungen finden können. Über diese<br />
vorerst noch mehr erträumte als erkannte oder gar geschaffene Kunstform habe<br />
ich nicht zu Ihnen zu sprechen, sondern recht eigentlich über die Gesetze und<br />
Regeln dieser neuen Bühne und über die Art und Weise, in der der Funkregisseur<br />
es vollbringen kann, ein für die Schaubühne geschaffenes Werk für die Hörbühne<br />
einzurichten. Diese seine künstlerische Arbeit offenbart, glaube ich, am besten<br />
auch die Regeln und Gesetze der erhofften neuen dramatischen Form. Vor allem<br />
scheint mir folgende Erkenntnis wichtig zu sein: die Entwicklung unserer<br />
Bühnenkunst hat dazu geführt, daß der Regisseur, der die ihm überreichte<br />
dramatische Wortpartitur zu sinnlicher Wahrnehmung auf der Bühne erlösen soll,<br />
ein so hohes Maß der sinnlichen Verwirklichung anstrebt, daß der Phantasie des<br />
Zuschauers am liebsten gar nichts mehr selbst zu gestalten übrigbleibt. Welchen<br />
Stil das zu gestaltende Drama auch haben mag - der Regisseur strebt, seine<br />
Leiblichkeit mit so plastischer Greifbarkeit zu gestalten, daß die aufnehmenden<br />
Sinne des Zuschauers gerade dann die Vollkommenheit der Regie bestätigen,<br />
wenn die Bühnenwirklichkeit sie mit solcher Wucht trifft, daß jede nachschaffende<br />
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oder gar schöpferische Tätigkeit der Phantasie zur Unmöglichkeit wird. Hierin<br />
erblicken alle Gestalter der Sichtbarkeitselemente der Dramenpartitur - der<br />
Schauspieler in Kostüm und Maske, der Bühnenbildner in Licht und Farbe und<br />
aller Gegenständlichkeit, und über sie alle hinaus der Regisseur als ihr Führer -<br />
das höchste Ziel der Dramenpartitur. Ich darf daran erinnern, daß Reinhardt vor<br />
Jahren sogar den Geruchssinn neben dem Auge und dem Ohr des Zuschauers mit<br />
einer Wirklichkeitssuggestion zu beherrschen suchte, indem er einmal Weihrauch<br />
und ein andermal Orangenduft die Luft des Zuschauerraumes über und über<br />
erfüllen ließ. Kurz, in gewissem Sinne bestand oder besteht die Aufgabe des<br />
Schauspielregisseurs darin, jedes Produktivwerden der Zuschauerphantasie durch<br />
die Harmonie und durch die plastische Greifbarkeit seines Regiewerkes, das alle<br />
Sinne fast gewalttätig gefangenhält, vollkommen unmöglich zu machen.<br />
Die Aufgabe des Regisseurs der Hörbühne, meine Herren, besteht im absoluten<br />
Gegenteil. Er kann nur auf einen einzigen menschlichen Sinn, auf das Gehör<br />
wirken, und er muß mit aller nur denkbaren Gewalt und zugleich aller nur<br />
denkbaren Feinheit und Feinfühligkeit diesen Sinn benutzen, um durch ihn die<br />
Wunderkraft der Phantasie des Hörers zu einer möglichst reichen, aber ebenso<br />
sicher geführten Traumtätigkeit zu zwingen. Er muß auf der menschlichen<br />
Vorstellungskraft, falls der Ausdruck erlaubt ist, mit einer vollkommenen und<br />
stets künstlerisch erfüllten Virtuosität spielen, wie der Pianist auf dem Klavier,<br />
dessen Saiten alle seinen Fingern untertan sind. Das Nichts, der unbegrenzte<br />
lichtlose Raum, Körperlichkeit und Geschehen in diesem Raum sind für die<br />
menschliche Vorstellungskraft völlig unerträglich; infolgedessen muß der<br />
Regisseur der Hörbühne auf das hörende Sinnesorgan dergestalt zu wirken<br />
wissen, daß die Phantasie des Hörers sozusagen unwillkürlich all jene<br />
künstlerische Tätigkeit vollbringt, welche auf der Schaubühne Bühnenbilder,<br />
Beleuchter, Kostümier und die Körperlichkeit des Schauspielers unter Führung<br />
des Regisseurs ihr vorwegnehmen. Die Menschen, meine Herren, die auf der<br />
Funkbühne spielen, sind so charakteristisch schön oder so charakteristisch<br />
häßlich, so eindeutig besonders und körperlich wesensvoll, wie eben nur<br />
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menschliche Seelen zu träumen vermögen; alle Wirklichkeit ist schal und blaß<br />
davor, und sie gehen durch den unausschöpflichen Zauber geträumter<br />
Landschaften oder in der Grausigkeit des Alpdruckes oder durch die schillernde<br />
Farbigkeit gläserner Luftschlösser - unwirklich - überwirklich; und daß sie<br />
erwuchsen und aus dem Dunkel sich schälten mit schwellender Leuchtkraft auf<br />
tausend und aber tausend Bühnen, von denen eine jede nur einen einzigen, tief<br />
versunkenen Zuschauer hat - : dies ganze Zauberwerk, meine Herren, ist<br />
abhängig von dem Maße, in dem der Regisseur durch alles, was klingt, der<br />
gewaltigsten menschlichen Kraft, der phantasierenden und träumenden<br />
menschlichen Seele Geburtshelfer zu sein vermag. Sie versetzt nicht nur Berge,<br />
sondern sie türmt sie sogar! Falsche Töne, - und nichts entsteht; ein falscher<br />
Ton, - und die ganze entstandene Herrlichkeit sinkt in Dunkelheit zusammen.<br />
In der Schule lernten wir, daß auf den primitiven Bühnen Shakespeares und der<br />
Antike ein großer Teil der Sichtbarkeitselemente ebenfalls der Phantasie des<br />
Zuschauers überlassen gewesen sei, daß sie Rom römischer erbaut und starre<br />
Masken innerlicher habe weinen und lachen lassen, als heute Leinwand oder<br />
nacktes Schauspielerantlitz es vermögen; und wenn nicht alles trügt, sucht die<br />
jüngste Regiekunst heute wiederum den Rückweg aus einer Bühnenform, die sich<br />
des Zuschauers allzusehr nicht als eines mitschaffenden, seelenhaften<br />
Lebewesens, sondern einer zwar fühlenden, aber eben doch nur registrierenden<br />
photographischen Platte bedient hatte.<br />
Wenn sich vor dem Zuschauer im Schauspiel der Vorhang hebt, so sieht er eine in<br />
Licht, Form und Farbe gestaltete Örtlichkeit, in der die Szene abrollen wird. Der<br />
Regisseur suchte entweder das von ihm aus der Dramenpartitur erkannte innere<br />
Örtlichkeitsbild des Dichters zu gestalten, oder er folgte unmittelbaren<br />
Anweisungen, die der Dichter gab. Der Beginn einer Aufführung des gleichen<br />
Dramas auf der Hörbühne ist nichts als ein Gongschlag, und wollte man nun vor<br />
dem Ohr des ins Dunkle lauschenden Hörers einfach eine Bühnenanweisung<br />
sprechen lassen, so kann man zwar seinem Verstande vermitteln, was er sich als<br />
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Örtlichkeit der Szene zu denken hat, nicht aber seine Phantasie zwingen, die<br />
Örtlichkeit unwillkürlich selbsttätig aufzubauen. Es gilt also, Worte oder Klänge<br />
oder Klänge und Worte zu erfinden, welche die Phantasie des Hörers über das<br />
Ohr zu einer deutlichen Vorstellung der Örtlichkeit zwingen: Die Stimmen, die in<br />
dieser Örtlichkeit hörbar werden, sind so zu wählen, daß ihr Klang, der nicht wie<br />
auf der Bühne unter Umständen durch die Sichtbarkeit korrigiert wird, eine<br />
möglichst eindeutige Vorstellung der sprechenden Persönlichkeit verursacht. Man<br />
wird daher z. B. auf der Hörbühne kaum eine Knabenrolle oder die Rolle eines<br />
Jünglings von einem Mädchen sprechen lassen können, es fehlt die Korrektur der<br />
sichtbaren Hose, und das Mikrophon ist unerbittlich wie die Handschrift, und die<br />
erregte Hörerphantasie ist unerbittlich wie der Graphologe, der kaum je eine<br />
weibliche Handschrift für eine männliche nehmen wird. Der Funkregisseur muß<br />
bemüht sein, keine Person sprechen zu lassen, die nicht durch Anrede oder sonst<br />
ein Mittel für den Verstand des Hörers sofort klar gekennzeichnet ist, sonst setzt<br />
anstatt der Gestaltungskraft der Phantasie ein trockenes Rätselraten des<br />
Verstandes ein, wer jetzt da wohl sprechen mag? Wort für Wort und Satz für Satz<br />
muß der Regisseur erfühlen, ob das hörbar Werdende sich in einem ebenmäßigen<br />
Verhältnis zu der bereits geleisteten Phantasiearbeit des Hörers entwickelt; denn<br />
was der Schauspielregisseur schon im voraus als ein Gegebenes mit Licht, Farbe,<br />
Pappe und Leinwand aufgebaut hatte, muß er in der Phantasie des Hörers<br />
zugleich mit der Entwicklung der Szene zu immer höherer Deutlichkeit<br />
aufblenden, sei es durch Worte, sei es durch Geräusche, sei es durch Klänge.<br />
Im Schauspiel begegnet es gelegentlich, daß gerade der Höhepunkt einer Szene<br />
nur durch die Geste, nur durch etwas Sichtbares gestaltet ist. Der Funkregisseur<br />
muß diesen nur sichtbaren Höhepunkt in einen hörbaren übertragen. Im Drama<br />
erscheinen Gestalten, deren zwiespältige Existenz oder deren Unwirklichkeit für<br />
den Zuschauer eben durch etwas an ihnen zu Schauendes gekennzeichnet ist; ich<br />
nenne als Beispiele den Herrn Amtsvorstand in der „Armut“ von Wildgans, der<br />
zugleich der Tod ist, und meinetwegen den Geist im „Hamlet“. Diese auf der<br />
Bühne zwiespältige oder gespenstische Wirklichkeit ist hörmäßig so zu gestalten,<br />
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daß der Verstand des Hörers nicht nur sofort begreift, Sondern daß auch seine<br />
Phantasie durch das Ohr alle Anregung empfängt, um jene schwankende<br />
Zwiespältigkeit oder jene unheimliche Unwirklichkeit eines scheinbar Seienden<br />
erst zu gestalten und dann zu erleben. Dem Funkregisseur steht hier ein<br />
Reichtum von Hörwirkungen zur Verfügung, welche die Wirkungsmöglichkeiten<br />
auf das Auge weit übertreffen. Da der Darstellung eines Dramas allein für das<br />
Ohr jenes Hin und Her zwischen Auge und Ohr fehlt, das vor der Schaubühne<br />
bald den einen, bald den anderen der beiden Sinne ein wenig ausruhen und<br />
gewissermaßen zu Atem kommen läßt, muß die Dramenpartitur mit einer<br />
Unerbittlichkeit auf das Wesentliche revidiert werden, die man als<br />
Schauspielregisseur zwar anstrebt, die man jedoch allein als Hörspielregisseur<br />
wirklich lernen kann, und zwar meiner Erfahrung nach zum Besten des<br />
Dichtwerks. Zu dieser notwendigen Komprimierung des Wesenhaften und<br />
Wesentlichen tritt auf der Hörbühne der durch keine Umbauten zerrissene,<br />
unaufhaltsame Ablauf des Dichtwerkes, der das gesamte seelische und geistige<br />
Wesen des Hörers in atemloser Gespanntheit dem Dichterwillen untertan und<br />
unentrinnbar im Banne der unaufhaltsam weiterklingenden Hörwelt erhält.<br />
Ein Philologe und Germanist hat mir zwar widersprochen, aber ich wiederhole<br />
noch einmal: das Urelement der dramatischen Partitur scheint mir das Wort,<br />
scheint mir die Sprache zu sein, und der Rundfunk bedeutet die Reintronisation<br />
ihrer ursprünglichen Macht, die wir fast vergessen hatten. Der Hörspieler, erlöst<br />
von der hemmenden Zwangsvorstellung des vergessenen Textes, befreit von<br />
Schminke, Kostüm und aller körperlichen Ablenkung, ist für seine Wirkung einzig<br />
und allein gestellt auf die seelische und gedankliche Erfülltheit seines Innern, das<br />
sich nicht anders als in den abertausendfachen Tönungen des gemeisterten<br />
Wortklangs offenbaren kann. Vertiefung in die Dichtung und durch die Dichtung<br />
heißt für ihn also Leben oder Sterben, und wehe ihm, wenn er nicht ein Mensch<br />
ist; den größten, den berühmtesten Komödianten zerbricht das Mikrophon bis<br />
zur Kläglichkeit.<br />
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Meine Herren, manche von Ihnen werden meinem Versuch, von der Hörbühne<br />
und dem Schaudrama auf ihr zu sprechen, erstaunt etwas wie eine Parteinahme<br />
für eben diese Bühne entnehmen, und so will ich zum Schluß ein volles<br />
Geständnis nicht scheuen. Ich habe von einem eigenen Werk eine ganze Reihe<br />
von Bühnendarstellungen teils mitwirkend gesehen, teils sehen müssen, darunter<br />
zwei, die an sich zu den berühmtesten Aufführungen ihrer Zeit gehörten, die<br />
zweite Aufführung des Tantris bei Brahm und die Burgtheateraufführung mit<br />
Kainz; und es hat mich fast erschreckt, als ich vor zwei Jahren für mich feststellen<br />
mußte, daß ich in einer Höraufführung die erste vollkommene Wiedergabe der<br />
Dichtung zu erleben glaubte. Noch verwirrter und erschrockener war ich damals,<br />
als zwei Kritiker, unter Berufung auf verschiedene ihnen bekannte Aufführungen,<br />
unter denen sich auch jene beiden erwähnten befanden, für ihre Person die<br />
gleiche Feststellung machten. Inzwischen haben sich solche Äußerungen über<br />
dieses oder jenes Drama durch diesen oder jenen Hörer gehäuft; aber ich möchte<br />
meine im Letzten auf das Hörspiel hinzielende Werbung für die Hörbühne nicht<br />
beschließen, ohne ein Zeugnis anzufügen, das mir um der Person und um des<br />
Werkes willen von äußerster Wichtigkeit zu sein scheint.<br />
Ich hatte im Juli mit einigem Bangen den Versuch unternommen, den Hamlet auf<br />
der Hörbühne zu inszenieren. Der mir persönlich unbekannte Schmidtbonn<br />
schrieb mir, die Aufführung habe ihm das Werk näher gebracht als alle<br />
Hamletaufführungen, die er in seinem Leben gesehen. Ich bat ihn, dem<br />
deutschen Funkregisseur und der Hörbühne den unendlich wertvollen Dienst zu<br />
erweisen, einmal genau zu schildern, auf welchen Eindrücken dieses sein Erleben<br />
beruht habe. Ich zitiere ein paar Sätze aus seiner eben im Druck befindlichen<br />
Antwort, einem Aufsatz, den er „Theater ohne Augen“ betitelt hat:<br />
„Man zweifelt die Fähigkeit der Klassiker, selbst Shakespeares an, lebendig zu<br />
bleiben für unsere Tage. Das ist sicher, daß, je mehr die Schaubühne äußere<br />
Mittel anwendet, die Klassiker am Leben zu erhalten, sie desto schneller<br />
hinsterben. Sie sterben daran, daß das Wort in ihnen gemordet ist . . . Der<br />
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Rundfunk gibt diesen Werken ihre ihnen angeborene und ihnen bestimmte<br />
Macht, die Macht des Wortes, zurück, und zwar in einer ungeahnten zwingenden,<br />
siegreichen Form. Wer hätte, wenn er im Theater besonders stark sich angerührt<br />
fühlte, nicht schon die Augen geschlossen, um eindringlicher, innerlicher zu<br />
erleben? Ja, man darf paradox sagen: um besser zu sehen? . . . Im Rundfunk<br />
fühlen wir köstlich reich, wie die geheimnisvoll schöpferische Kraft in uns zu<br />
wirken anfängt, weil die Augen untätig bleiben müssen, weil nur der Schall des<br />
Wortes die Membrane unseres Ohres, unserer Seele trifft. Seele spricht<br />
unmittelbar zu Seele. Fehlt uns das Bild des Schauplatzes? Vermissen wir Bäume,<br />
Fels, Meer, Schloßhalle, Fabrikraum? Mitnichten! Die ewig wache Zeugungskraft<br />
des menschlichen Hirns beschenkt uns, und die Einfachsten unter uns, mit einem<br />
Reichtum an atmender, stets sich wandelnder Bildkraft, neben dem der starre,<br />
fremde Aufbau eines Bühnenbildes aus Pappe und Holz geradezu lächerlich<br />
versinkt . . . Wie atmete man im Hamlet die schaurige Luft der Terrasse am Meer<br />
ein; man fror, man war in Versuchung, sich tiefer in seine Kleider zu packen vor<br />
der feuchten Kühle, aus der jetzt mit Naturgewalt sich das Gespenst herauslöste.<br />
Bisher, im Theater, saß man vor diesem Gespenst, trotz Shakespeare, bestenfalls<br />
skeptisch sich begnügend, meistens aber überlegen, zum Spott gereizt. Hier aber<br />
verging einem der Spott! Aus kaum bestimmbaren Geräuschen, aus dem Hallen<br />
einer Tür, von Stillschweigen gefolgt, aus dem hier und da andringenden Klang<br />
eines schlürfenden Schrittes, wie von einem Wesen, das abgestorbene Beine zu<br />
bewegen schwer sich mühte, aus einer Stimme, die unmittelbar aus dem<br />
Weltraum zu kommen schien, daher, wo der Aufenthalt der Gespenster ist: wie<br />
sah man die Gestalt des Unheils sich entfalten und erstarrte dabei wie Hamlet<br />
selbst! An keinem Beispiel vermöchte ich die Überlegenheit des Rundfunks<br />
gerade im Visuellen, da, wo es auf Selbstschöpferisches ankommt, besser<br />
aufzuweisen, als gerade hier. Wo, um es offen zu sagen, hätte ich die Macht der<br />
Dichtung je unbeschwerter, unirdischer, das Innerste anrührender, ja, um es ganz<br />
offen zu sagen, vollkommener gespürt? . . . Ist es nicht auch seltsam, wie nicht<br />
nur der allgemeine Schauplatz Gestalt gewinnt, sondern auch der einzelne<br />
Sprecher? Wer empfände den Wunsch, einen dieser Darsteller zu sehen? Wie? Das<br />
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wäre ja ein schreckliches Erwachen, ein völliges Ernüchtertwerden! In uns gewinnt<br />
der Darsteller Gesicht, Körper. Nie werde ich das Bild dieser Ophelia wieder los,<br />
die ich nicht sah, die ich gleichsam als Lauscher hinter der Wand beschlich, und<br />
die mit der seelenhaften Lauterkeit ihrer Stimme mein Herz zittern machte, deren<br />
süßes Bild in mir aufstand, nie zu erreichen, das Bild einer Unirdischen. Die<br />
Musik der Stimmen aller, aus der die Stimme Hamlets einsam wie Geigenton<br />
herausklang: Welch ein glücklicher Abend war das, neu, vor ein paar Jahren noch<br />
nicht zu ahnen. Nie erdrückte diese heimliche Musik des Wortes den Gedanken.<br />
Sie war da, immer. Aber sie stieg wie das Bild aus den Worten von selbst auf. : . :<br />
Dinge, wie Hamlets Monolog, die man, um ehrlich zu sein, auf der Bühne kaum<br />
noch hören kann, hier waren sie neu, wie zum ersten Male gesprochen. Sie<br />
wirkten in einem nach, zeugend, wie zum ersten Male vernommen. Wir wenigen<br />
Zuhörer um den Apparat sahen zum ersten Male in das innerste Herz all dieser<br />
Gestalten einer großen Dichtung, zum ersten Male ganz in das Herz Shakespeares<br />
selbst.“ –<br />
Meine Herren, zur Nachprüfung der unverbrüchlichen Treue, mit der die<br />
menschliche Stimme die Wesenheit ihres Trägers über das Mikrophon offenbart:<br />
die Ophelia unserer Aufführung war die junge Phoebe Monnard, die Schmidtbonn<br />
nie gesehen hat und die den Theaterbesuchern unter Ihnen auf den<br />
Reinhardtbühnen im letzten Winter bekannt geworden sein wird. Möge das<br />
zitierte, von tiefem Erleben durchbebte Echo einer Höraufführung mithelfen, das<br />
Schaffen des deutschen Dichters einer Bühne zuzuführen, die ihm, sobald er nur<br />
ihre Gesetze meistert, solche Wirkungen verbürgen kann.<br />
Vorsitzender Theodor Däubler: Ich danke unserem Herrn Hardt für seine<br />
dichterischen Worte. Es ist eigentlich, was wir erlebt haben, eine Rechtfertigung<br />
der Technik. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, in der Technik etwas zu<br />
sehen, das uns nicht feindlich ist, sondern im Laufe der Zeit in unseren<br />
Kulturbereich vollkommen einbezogen werden kann.<br />
70
Hermann Kasack:<br />
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Meine Herren! Ernst Hardt hat davon gesprochen, daß die Substanz und die<br />
Atmosphäre einer dramatischen Dichtung im Wort beruht, und er hat uns die<br />
Verwandlung des Zuschauers in den Typus des Zuhörers dargestellt. Ich will von<br />
der gleichen Voraussetzung ausgehen, um einige Fragen und Forderungen zu<br />
berühren, die auf die konkrete Gestaltung einer Beziehung zwischen Dichtung<br />
und Rundfunk, in Hinsicht auf das Drama, zielen. Vor allem liegt mir daran, Ihnen<br />
einige Stichworte für unsere anschließende Diskussion zu geben.<br />
Erstes Stichwort: Hörbühne. Meine Herren, die Situation der Dramensendung liegt<br />
doch so: vom Dichter oder von der gesamten Dramenliteratur der Welt aus<br />
gesehen, scheint es möglich, aber nicht zwingend notwendig zu sein, daß sich<br />
die künstlerische Wirkung durch die rein akustische Umsetzung am stärksten, am<br />
reinsten entfaltet. Vielmehr tritt zu den beiden bisher vorhandenen Formen,<br />
durch die sich ein Drama dem Publikum erschließen kann, nämlich der Form der<br />
Lektüre und der Form der Aufführung, jetzt eine neue, dritte Möglichkeit: die der<br />
akustischen Wiedergabe durch Rundfunk. Und zwar scheint es eine bestimmte<br />
Zwischenform zwischen Lektüre und Theateraufführung zu sein, die weder die<br />
eine noch die andere Vermittlungsform ersetzen oder nachahmen soll; also<br />
praktisch gesprochen weder eine Theaterwirkung vortäuschen, noch in einer<br />
bloßen Deklamation mit verteilten Rollen bestehen darf.<br />
Hält man hieran fest, so ergibt sich sogleich die Frage: inwieweit kann, soll oder<br />
muß ein Drama, das ursprünglich für die Lektüre oder für die Theateraufführung<br />
geschrieben ist, für eine Funkwiederwiedergabe bearbeitet werden? Gestern ist<br />
bereits darüber gesprochen worden. Herr Kyser lehnt jede Bearbeitung des<br />
Stückes, die eine Veränderung der künstlerischen Form bedeutet, ab.<br />
Zweites Stichwort: Funkbearbeitung. Hier lautet die Forderung, die allerdings<br />
später noch etwas einzuschränken ist: es dürfen an dem vorliegenden Text eines<br />
Dramas nur dramaturgische Änderungen vorgenommen werden. Also in<br />
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derselben Art, wie der Theaterdramaturg Streichungen, Zusammenziehungen<br />
usw. für eine Aufführung vornimmt, soll ein Drama für die Hörbühne, ihren<br />
Gesetzen entsprechend, dramaturgisch eingerichtet werden. Niemals aber sollte<br />
eine derartige Bearbeitung so weit gehen, daß sie gattungsändernd wirkt, das<br />
heißt, daß sie aus einer dramatischen Dichtung ein ausgesprochenes „Hörspiel“<br />
macht. Über die durch den Rundfunk neu erstandene Gattung des Hörspiels habe<br />
ich hier nicht zu sprechen. Ich will es nur insoweit von dem bisherigen Begriff<br />
Drama abgrenzen: das Hörspiel gestattet ganz andere Bedingungen und<br />
Auflösungen von Zeit und Raum als das Drama. Verwandelt man aber über die<br />
dramaturgische Arbeit hinaus ein Drama in ein Hörspiel - was an sich möglich ist<br />
- , so enthebt man es damit seiner ursprünglichen dichterischen Atmosphäre. Und<br />
hiermit komme ich auch zu der Einschränkung der aufgestellten Forderung für<br />
Funkbearbeitung des Dramas: wir können die gesamte vorliegende<br />
Dramenliteratur nicht als eine Einheit ansehen. Wir müssen wenigstens eine<br />
große Unterscheidung treffen zwischen Stücken, die ihrem Wesen nach<br />
dramatische Dichtungen bedeuten, und Stücken, die ihrer Art nach<br />
Unterhaltungs- , besser Gesellschaftsliteratur, Konversationsstücke sind. Wir<br />
wollen jetzt nicht konkret darüber streiten, was zu der einen und was zu der<br />
anderen Dramengruppe gehört. Aber wenn ich ein paar Extreme nenne, etwa<br />
Shakespeare und Goethe auf der einen, Iffland, Sudermann, Rößler auf der<br />
anderen Seite, so ist es wohl selbstverständlich, wohin sie gehören.<br />
Zwischen dramatischer Dichtung und Unterhaltungs- , Konversationsstück zu<br />
unterscheiden, ist aus folgenden Gründen für die Dramenwiedergabe im<br />
Rundfunk wichtig. Die Forderung nämlich, am Drama keine gattungsändernde<br />
Funkbearbeitung vorzunehmen, erstreckt sich nur auf die Gruppe der<br />
dramatischen Dichtung, während im Gegensatz dazu das ausgesprochene<br />
Konversations- , das Gesellschafts- und Zeitstück der Schaubühne nur als eine<br />
Textunterlage gelten darf, die, mit aller nur möglichen Freiheit und Konsequenz,<br />
in eine funkgemäße, hörspielgemäße Montage einzurichten ist. Es hat meiner<br />
Meinung nach gar keinen Sinn, derartige Unterhaltungsstücke aus späterer oder<br />
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neuerer Zeit ohne grundlegende; gattungsverändernde Bearbeitung auf der<br />
akustischen Bühne erstehen zu lassen. Drama bedeutet Gegenwart,<br />
Funkwiedergabe des Dramas Vergegenwärtigung dieser Gegenwart. Darum sollte<br />
ein Drama, das stofflich milieu- oder zeitgebunden in gesellschaftlicher<br />
Vergangenheit wurzelt, nicht gesendet werden. Vielmehr sollte in solchen Fällen<br />
aus der aufgeworfenen Problemstellung eine neue Textpartitur für ein Hörspiel<br />
geschaffen werden.<br />
Beim Unterhaltungsstück: jede Konzession an funkentsprechende Umsetzung. Bei<br />
der dramatischen Dichtung: keine andere Tendenz als die, die Gültigkeit des<br />
Wortes und die Einmaligkeit des Kunstwerks zu vermitteln.<br />
Es gibt in der Gruppe der dramatischen Dichtung auch Werke, die von sich aus<br />
weniger aufs Wort und mehr auf das Optische, Schaubühnenhafte gestellt sind.<br />
Wenn es, wie ich wiederhole, bei der Sendewiedergabe einer dramatischen<br />
Dichtung in erster Linie darauf ankommt, die dichterische Atmosphäre zu<br />
übertragen, und weniger darauf, die funkgemäße Eignung zur Geltung zu<br />
bringen, so wird es im allgemeinen natürlich richtiger sein, sich vor allem an<br />
Stücke zu halten, die von vornherein aufs Wort gestellt sind. Man kann paradox<br />
sagen: je weniger ein Stück schaubühnenwirksam ist, um so funkmöglicher wird<br />
es sein. Aber zu den Bemerkungen über dichterische oder unterhaltende Stücke<br />
gehört nun das Stichwort: Bildungsapparat.<br />
Meine Herren! So sehr ich davon überzeugt bin, daß der Rundfunk eine<br />
Kulturinstanz sein soll, so sehr glaube ich auch, daß er, abgesehen vom reinen<br />
Unterrichtsfunk, kein Apparat für sogenannte Bildungsvermittlung sein darf.<br />
Gerade in Hinsicht auf die Funkwiedergabe von Dramen wäre es ganz verkehrt, in<br />
den alten Fehler zu verfallen und Kunstwerke, Dichtungen, zu Bildungswerten zu<br />
mißbrauchen. Literatur, die lediglich aus Bildungsgründen vermittelt wird; ist tot.<br />
Dichtung soll um ihrer selbst willen dargestellt werden, das heißt, um des Ewig-<br />
Lebendigen willen, das ihr und uns innewohnt. Das Ewig- Lebendige, das heißt<br />
Gestaltung und Anruf der überzeitlichen Kräfte und Mächte. Ich weiß, daß es<br />
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vielfach heute für lebendiger gilt, Zeitkunst, Gebrauchskunst statt Dichtung oder<br />
als Dichtung zu bringen. Ich will zu diesem Thema, das eigentlich einen ganzen<br />
Vortrag allgemeinerer Art beansprucht, nur einen Satz anführen, den ich vor<br />
einigen Tagen in einem Aufsatz von Paul Rilla gelesen habe; und der lautet:<br />
„Gegen die flüchtigen und flüchtig gefärbten Aktualitätsreize, mit denen eine<br />
programmatische Zeitgemäßheit paradiert, wird die dauernde innere Aktualität<br />
der Kunst gesetzt.“ Und auf Grund dieser Fixierung will ich sagen: wenn das<br />
Lebendige überhaupt der Sinn des Rundfunks ist, dann forme er das Gesicht der<br />
Zeit, aber er zeige auch das eindeutige Gesicht der Dichtung.<br />
Damit komme ich zu dem Stichwort: Spielplan. Zuweilen sah es leider so aus, als<br />
ob der Rundfunk eine sprechende Literaturgeschichte sein wollte, die aus<br />
praktischen Beispielen besteht. Es ist verkehrt, die Literatur - und ich sage das<br />
hier in besonderer Hinsicht auf die dramatische Literatur - durch den Rundfunk<br />
„beleben“ zu wollen. Man kann das nicht, und man soll das nicht. Und gewiß<br />
beruhen die vielfachen Widerstände des allgemeinen Publikums gegen<br />
literarische Darbietungen auf dieser irrtümlichen Methode. Wenn der Rundfunk in<br />
seinem Dramenspielplan einmal deutlich erkennen lassen würde, daß nur<br />
dramatische Dichtungen - verschiedener Qualität, aber eben Dichtungen -<br />
unverfälscht zu Worte kommen, dann wird sich überhaupt erst eine<br />
Kunstbereitschaft im Hörerpublikum bilden. Denn die dramatische Dichtung muß<br />
aus einer Vereinzelung in ein Ganzes verwoben werden, um die ihr<br />
entsprechende künstlerische und lebendige Wirkung zu entfalten. Das bedeutet<br />
praktisch: Schaffung eines Spielplanes, der die Selbständigkeit dichterischer<br />
Werte einheitlich schon dadurch betont, daß er die ganze Konversationsliteratur<br />
der Schaubühne ausschaltet, das heißt, sie durch Umgestaltung in funkgemäße<br />
Hör- und Zeitspiele ersetzt. Das bedeutet im einzelnen weiter: Einrichtung einer<br />
lebendigen Hörbühne für die konsumierende Jugend und einer Studiobühne von<br />
der produzierenden Jugend, und zwar eines Studios, das unabhängig von der<br />
notwendigen Versuchsbühne für akustische Experimente auf dem Gebiete der<br />
werdenden Hörspielkunst besteht, sich also jener jungen Dramenliteratur<br />
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annimmt, die, als Experiment wichtig, nicht in ausschließlicher Absicht auf die<br />
Funkbühne geschrieben ist. Der Rundfunk ist nicht nur der durch ihn<br />
geschaffenen Hörspielgattung etwas schuldig, sondern er ist auch der Dichtung<br />
vieles schuldig.<br />
Wir sind uns darüber im klaren, daß im Gesamtprogramm des Rundfunks der<br />
Literatur und im besonderen der Dichtung nur ein verhältnismäßig kleiner oder<br />
eigentlich ein unverhältnismäßig kleiner Raum bisher zur Verfügung steht. Um so<br />
wichtiger ist es, daß dieser geringe Prozentsatz des allgemeinen Programms ein<br />
einhelliges Gesicht zeigt, daß man hier wirklich der Dichtung gibt, was der<br />
Dichtung gebührt.<br />
Noch einen Augenblick zu dem Stichwort Spielplan: es ist eigentlich nicht<br />
einzusehen, warum sich der Dramenspielplan des Rundfunks davor scheut,<br />
Wiederholungen einer Aufführung in kurzem Abstand anzusetzen.<br />
Wiederholungen würden, von allem anderen abgesehen, zum Beispiel auch die<br />
sorgfältige Vorbereitung einer Funkaufführung günstig beeinflussen. Ich weiß,<br />
daß es in einer Reihe von Fällen schon praktisch geschieht, aber es geschieht<br />
nicht mit der notwendigen Konsequenz. Warum auch nicht einmal während des<br />
Winters eine Art Festspielwoche, eine Woche, an der an jedem Abend eine<br />
besonders wertvolle und besonders gut vorbereitete Sendeaufführung<br />
dramatischer Dichtungen stattfindet. Dies, um einmal ganz stark nach außen zu<br />
betonen: der Rundfunk stellt sich als Vermittlungsfaktor in den Dienst lebendiger<br />
Dichtung.<br />
Hier ist noch etwas kurz zu streifen: der Rundfunkkomplex wird nach außen hin<br />
nicht nur durch den Sender und seine Darbietungen sichtbar, sondern auch durch<br />
seine jeweilige offizielle Programmzeitschrift. Gewiß soll diese Zeitschrift keine<br />
Literaturzeitschrift sein. Aber es ist doch nicht ganz einzusehen, warum die<br />
dichterischen Werte, wenn sie nun einmal im Sendeprogramm berücksichtigt<br />
werden, derart stiefmütterlich, und man kann wohl wirklich sagen,<br />
qualitätsfeindlich behandelt werden, wie es vielfach geschieht. Wenn es aber<br />
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immer wieder heißt, daß das Wort und die Sprache der Nerv und das Zentrum der<br />
Rundfunksendung sind: warum müssen dann eigentlich die feuilletonistischen<br />
Artikel der Programmzeitschriften sich häufig so sehr gegen den Geist der<br />
Sprache versündigen? Warum schreiben darin nicht unsere besten Journalisten?<br />
Ebenso noch ein kurzer Hinweis auf die Frage des schauspielerischen Ensembles<br />
einer Funkbühne. Wir sind wohl alle einer Meinung, daß hier die Stimme<br />
stellvertretend für die durch den Schauspieler verkörperte Person steht. Wenn<br />
nun in verschiedenen Stücken immer wieder die gleichen Stimmen verwandt<br />
werden, so bedeutet das eine Gefahr für die Phantasie und die Illusionslust des<br />
Zuhörers. Gerade weil die optische Korrektur bei der Hörbühne fortfällt und allein<br />
die Stimmen durch das Wort die plastischen Gestalten des Dramas erwirken<br />
müssen, dürfen nicht immer die gleichen Sprecher verwandt werden. Ich weiß<br />
durchaus, meine Herren, wie schwierig das in der Praxis ist, aber man sollte doch<br />
wenigstens auch in dieser Richtung immer wieder von neuem einen Versuch<br />
unternehmen und es nicht aus Bequemlichkeit oder Gewohnheit beim Alten<br />
belassen. Aber das weiter zu verfolgen, führt schon in das Gebiet der Funkregie.<br />
Mir liegt daran, noch kurz einiges zu den Stichworten Spielplan und Jugendbühne<br />
im besonderen zu sagen. Es liegt durchaus im Sinne der durch den Funk neu<br />
entstandenen Vermittlungsform, eine dramatische Dichtung nicht immer als<br />
Ganzes, sondern auch durch Szenenausschnitte zu vertreten. Der<br />
Szenenausschnitt steht stellvertretend für das Ganze. Die Beschränkung auf die<br />
Wiedergabe einzelner dichterischer Szenen, die unter Umständen durch kurze<br />
verbindende Texte zu einem Ganzen gestaltet werden können, wird besonders<br />
für das dramatische Studio und für die sogenannte Jugendbühne in Frage<br />
kommen. Bei der Jugendbühne ist man vielfach davon ausgegangen, Stücke der<br />
sogenannten Klassiker, die in das allgemeine Gebiet der Schullektüre fallen,<br />
durch eine akustische Aufführung für die Jugend gegenständlicher und<br />
lebendiger zu machen. Ich habe wiederholt Gelegenheit gehabt, mit Jugendlichen<br />
darüber zu sprechen. Das fast übereinstimmende Resultat ist eine vollständige<br />
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Ablehnung. Die jungen Menschen wollen durch den Rundfunk nicht an die<br />
Bildungselemente der Kunst erinnert sein. Das besorgt ihnen die Schule schon<br />
zur Genüge. Außerdem interessiert sie eine derartige Wiedergabe nur in jenem<br />
Augenblicke, wo sie zufällig das genannte Stück als Klassenlektüre haben und<br />
womöglich in den nächsten Tagen darüber einen Aufsatz schreiben sollen! Alle,<br />
die das Stück schon vorher gelesen haben oder erst in der nächsten Klasse lesen<br />
werden, sind grundsätzlich uninteressiert, - man soll sich Tatsachen nicht<br />
verschließen. Bei der Jugendbühne muß der Gedanke grundlegend sein, Stücke<br />
oder Szenen aus Stücken, die im allgemeinen die Schule nicht vermitteln kann,<br />
aufzuführen, das heißt also vor allen Dingen Stücke aus der gegenwärtigen<br />
Literatur. Also nicht die „Journalisten“ von Freytag, sondern z. B. „Armand Carrel“<br />
von Moritz Heimann.<br />
Aber auch die Frage der textlichen Überleitung bei Dramenausschnitten und die<br />
Frage der sogenannten Einführungen für Gesamtaufführungen der Hörbühne<br />
bedarf einer prinzipiellen Anregung. Hier scheint jede philologische, jede<br />
berufsmäßige Kritikereinstellung verfehlt. Hier müßte grundsätzlich mit jenem<br />
Vorurteil gebrochen werden, das meint, derartige literarische Einführungen<br />
könnten und sollten nur von Kritikern hergestellt werden. Es ist einzig<br />
sinngemäß, daß derartige Ein- und Überleitungen von Schriftstellern, von<br />
Dichtern übernommen werden. Ich darf hierzu einige Sätze von Alfred Döblin<br />
anführen, die er in seiner ersten Akademierede gesprochen hat, und die gerade<br />
in Hinsicht auf die Verbindung des Schriftstellers und des Rundfunks von<br />
praktischem Wert sind. Döblin sagt da: „Es muß klar sein, daß über die Sachen<br />
der Kunst, ich will mich milde ausdrücken, auch, auch die Produzenten etwas zu<br />
sagen haben. Der Produzent, also der Autor im Literarischen, steht nicht so<br />
gedankenlos neben seinem Werk, wie die Kritiker und Gelehrten es uns gerne<br />
einreden wollen. Der Autor ist durchaus nicht hundert Prozent Idiot in bezug auf<br />
sein Werk. Wir wissen aus der Vergangenheit, und es ist von der<br />
Literaturgeschichte anerkannt, daß außerordentliche, wenn nicht die besten,<br />
schärfsten und tiefsten Worte über Kunst vom Künstler selbst stammen. Neben<br />
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die Kritik der Konsumenten und Zwischenträger also hat die sachliche und<br />
führende Kritik der Produzenten zu treten. Ja ich halte die normierende und<br />
voraus wissende Kritik des Autors für höher, wichtiger und fruchtbarer als die der<br />
bloßen Zuschauer und Beschreiber und geistreichen Vergleicher.“<br />
Also grundsätzliche Forderung für Einleitungen dieser Art im Rundfunk:<br />
Produzentenkritik statt Konsumentenkritik. Auch hierin könnte sich konkret eine<br />
engere Mitarbeit des Schriftstellers und des Dichters am Rundfunk ausdrücken.<br />
Auch dies ist schon zuweilen im Rundfunk gemacht worden. Aber es kommt nicht<br />
darauf an, daß es eben zuweilen geschieht. Es müßte ausschließlich geschehen.<br />
Es ist hier ebenso wie bei der vorhin erwähnten Frage des Spielplanes: es nutzt<br />
nichts, einmal eine dramatische Handlung zu bringen, sondern man muß der<br />
Tatsache der dramatischen Dichtung im ganzen Rechnung tragen. Man kommt<br />
nur weiter, wenn man fordert: Alles oder gar nichts. Halbes ist unnütz,<br />
unfruchtbar und schafft nur Verwirrungen.<br />
Denn, meine Herren vom Funk, wenn ich dies als Schluß meiner Bemerkungen<br />
noch sagen darf, es kommt darauf an, daß sich der Rundfunk innerhalb des für<br />
ihn vielleicht relativ unerheblichen, aber für uns um so wichtigeren Gebietes der<br />
dramatischen Sendungen einmal ganz auf den Dichter verläßt, der vielleicht doch<br />
in diesem Fall der beste Fachmann ist. Man nützt der Dichtung nicht, wenn man<br />
sie zufällig auch einmal im Rundfunk bringt. Aber man kann ihr nützen, wenn<br />
man in der programmatischen Haltung die Verwirrung zu lösen versucht, die<br />
durch die Vermengung von unterhaltender oder zeitbelehrender Literatur und<br />
gültiger Dichtung entstanden ist, aber nicht immer wieder neu zu entstehen<br />
braucht. Dafür, wie sich das in manchen Einzelheiten der dramatischen Sendung<br />
in die Praxis umsetzen ließe, wollte ich einige Anregungen geben.<br />
78
Hörspiel<br />
Alfred Braun:<br />
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Meine Damen und Herren, wenn ich in diesem Kreis vom „Hörspiel“ reden darf, so<br />
lassen Sie mich bitte - nach der Zusammensetzung dieser Versammlung - meine<br />
Aufgabe darin sehen, vor Dichtern vom Standpunkt der praktischen Arbeit im<br />
Rundfunk Bericht zu erstatten über den Gang und den Stand der Dinge, durch die<br />
die Versuche zu einem Hörspiel im Rundfunk bezeichnet werden. Ersparen Sie<br />
mir grundlegende Darlegungen über die Frage der Möglichkeit künstlerischer<br />
Mitteilung durch den Rundfunk, Ausführungen über das Problem neuer<br />
künstlerischer Formgebung; eine Diskussion über diese Punkte scheint mir viel<br />
zu abhängig von der individuellen Stellung zu ästhetischen Fragen überhaupt.<br />
Lassen Sie mich allgemein vorweg nur eine Feststellung machen, die, daß ich<br />
nicht vom Hörspiel als von einem existierenden gewissen Besitz des<br />
Rundfunkprogramms rede - von einer bereits gelungenen Lösung, einer bereits<br />
erlebten Völlendung - ; ich spreche lediglich von der Möglichkeit eines Hörspiels,<br />
vielleicht auch von den Möglichkeiten eines Hörspiels und von Versuchen zu<br />
einem Hörspiel.<br />
Der Rundfunk war an seinem Anfang wie junge Kunstgattungen, die frisch und<br />
rätselhaft eben in Erscheinung treten, die noch keine Geschichte haben, die vieles<br />
vor sich sehen und glauben, aber noch nichts hinter sich haben, in eine Situation<br />
gesetzt ähnlich der, in der junge Völker sind, die zu politischer und sprachlicher<br />
Selbständigkeit kommen. Ohne sprachliches und dichterisches Erbe plötzlich in<br />
den geistigen Weltverkehr eingeschaltet, können sie sich mit nichts anderem<br />
helfen als mit Übersetzungen. Sie decken mit Gedanken, die auf dem Wege der<br />
Übersetzung aus anderen Sprachen importiert werden, ihren geistigen Bedarf;<br />
und indem sie sich um gleichwertigen Ausdruck in ihrer Sprache mühen, bauen<br />
sie an der Grundlage zu eigenem literarischen Schaffen.<br />
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Im Rundfunk nennen wir unsere Übersetzungsliteratur - übertragen aus einem<br />
älteren Kunstbezirk, dem Schauspiel - allgemein das Sendespiel. Und wenn wir<br />
Veranlassung gehabt haben, im besonderen von funkgeborener dramatischer<br />
Literatur zu sprechen, sagten wir Hörspiel.<br />
Unser allgemeines Sendespiel ist ein Spiel, dessen künstlerische Sendung nicht<br />
eine Funksendung ist; das besondere Hörspiel des Rundfunks ist einzig für die<br />
Aufnahme durch das Ohr geschaffen, aus den Gegebenheiten des Mikrophons<br />
und allein für die Möglichkeiten des Mikrophons. Eine Diskussion über das<br />
allgemeine Sendespiel des Rundfunks hat es nur mit Problemen künstlerisch-<br />
technischer Art zu tun; das Hörspiel wird immer mehr zu einer künstlerisch-<br />
geistigen Frage werden.<br />
Welche Versuche zu einem Hörspiel sind bereits unternommen worden und<br />
welche Ergebnisse liegen vor? Als ein erster, grundlegender Versuch erscheint<br />
mir die Aufführung eines akustischen Films im zweiten Jahr der deutschen<br />
Sendespieltätigkeit. Akustischer Film, - so nannten wir in Berlin in einer Zeit, in<br />
der ein Funkregisseur nicht nur das Regiebuch zu besorgen hatte, sondern sich<br />
auch seine Manuskripte mehr schlecht als recht selber schreiben mußte, ein<br />
Funkspiel, das in schnellster Folge traummäßig bunt und schnell<br />
vorübergleitender und springender Bilder, in Verkürzungen, in Überschneidungen<br />
(im Tempo), im Wechsel von Großaufnahmen und Gesamtbild mit Aufblendungen,<br />
Abblendungen, Überblendungen bewußt die Technik des Films auf den Funk<br />
übertrug. Jedes der kurzen Bilder stand auf einer besonderen akustischen Fläche,<br />
in einer besonderen akustischen Dekoration, zwischen besonderen akustischen<br />
Kulissen (wie man damals so gern sagte):<br />
1 Minute Straße mit der ganzen lauten Musik des Leipziger Platzes,<br />
1 Minute Demonstrationszug,<br />
1 Minute Börse am schwarzen Tag,<br />
80
1 Minute Maschinensymphonie,<br />
1 Minute Sportplatz,<br />
1 Minute Bahnhofshalle,<br />
1 Minute Zug in Fahrt usw.<br />
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Das Decrescendo, das Abblenden oder, um ins Akustische zu übersetzen, das<br />
Abdämpfen, das Abklingen einer Szene leitet über in das Aufklingen, das<br />
Crescendo der nächsten Szene. Eine einfache, typisch primitive Kientopphandlung<br />
mit Verfolgungen, mit Irrungen, Wirrungen und all den unbegrenzten<br />
Möglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, die wir aus den ersten Filmen her<br />
kennen, ging durch das Spiel. Warum nicht, - uns handelte es sich ja nur um die<br />
Form; füllen sollten und sollen sie andere, Sie, meine Herren von der<br />
Dichterakademie, und Ihre Herren Kollegen.<br />
Und das Ergebnis dieses ersten gewiß nicht vollkommenen Versuches? Unser<br />
Publikum hat uns mit größter Begeisterung länger als zwei Stunden zugehört.<br />
Selbstverständlich, meine Herren, darf kein Hörspiel - auch dann nicht, wenn es<br />
ein Dichter schreibt auch nur annähernd so lange dauern. Wir waren damals so<br />
unerfahren, wie wir jung und wagemutig waren. Aber interessiert hat das lange<br />
Spiel mit der neuen - für den Funk neuen - Technik nicht nur das große<br />
Publikum. Ein erster Berliner Theaterkritiker, nebenbei bemerkt einer, der<br />
nachweislich wirklich zugehört hat, nicht bloß kritisiert hat, schrieb folgende<br />
Sätze in seiner Kritik: ;,Eine rapid springende, über den ganzen Erdkreis<br />
gespannte Handlung, die teils durch Dialog, teils durch Töne und Geräusche,<br />
Gesang und Instrumentalmusik deutlich gemacht wurde. Sodann die<br />
Mannigfaltigkeit dieser Geräusche selbst, erzeugt mit Hilfe der Apparatur eines -<br />
damals - neuen und modernen Sendesaales, die eine große Zahl von<br />
Schauplätzen zu Wasser und zu Lande, in der Großstadt und auf einsamer<br />
Südseeinsel wahrnehmbar zu machen suchte.“<br />
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Auf die dem Film entlehnte Technik gründet sich seit unserem ersten Versuch mit<br />
dem „Akustischen Film“ die größte Zahl aller bisher dagewesenen<br />
Hörspielversuche: keine Szene breit ausspielen; sowie der Fortgang der Handlung<br />
erfaßt ist: fertig, abblenden, keine Pause, kein Zwischenspiel; sowie die neue<br />
Situation genügend bezeichnet ist: fertig, überblenden! Welche<br />
Ausdrucksmöglichkeiten bieten sich einem dramatischen Dichter in einem<br />
solchen Spiel! Die der größten Unbegrenztheit, wie sie nicht einmal der Film hat;<br />
Zeit und Raum sind aufgehoben. Auch Herr Hardt hat das bereits ausgesprochen.<br />
Neben den Hörspielversuchen, deren Technik dem Film nachgebildet ist,<br />
erscheinen andere, die die Hörbühne des Rundfunks, der Schaubühne parallel<br />
behandeln: Spiele, die auf großer Fläche aktmäßig, schaubühnengemäß breit<br />
auslaufen. Musik wird dabei, wie Hagemann, der erste Berliner<br />
Rundfunkintendant, einmal ausgesprochen hat, zur Darstellung von nur optisch<br />
aufnehmbaren Vorgängen benutzt. Musik ist die akustische Kulisse zur<br />
Verdeutlichung der inneren und äußeren Situation einer Szene, zur<br />
Charakterisierung eines bestimmten Schauplatzes. Musik wird zur Untermalung<br />
von Dialogpartien verwendet, zu Akzentuierungen, zu Stilisierungen der<br />
Geräusche usw. Das Ergebnis dieser Versuche ist die Feststellung, daß sich auch<br />
mit einem Hörspiel, das schaubühnengemäß gestaltet ist, starke künstlerische<br />
Wirkungen erzielen lassen.<br />
Hagemann hat mit seiner Salome- Inszenierung im Rundfunk, die nach diesen<br />
Punkten wesentlich auf das Musikalische gestellt war, großen Erfolg gehabt. Der<br />
Erfolg wäre noch größer gewesen, wenn ihm für diesen seinen Versuch ein für<br />
den Rundfunk geschriebenes Spiel, das den Anforderungen seiner Auffassung<br />
entsprach, zur Verfügung gestanden hätte. Andere Hörspielversuche aus dieser<br />
Gruppe der schaubühnenmäßig gedachten helfen sich - wohl im Gedanken an die<br />
Shakespearebühne - mit einem Ansager, der den Szenenwechsel bezeichnet, die<br />
Figuren einführt usw. Diesen Ansager läßt man nicht immer nur fremd von außen<br />
eingreifen. In einer Hörspielarbeit, die Brecht und ich für Berlin machten, geschah<br />
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diese Ansage in Stil und Art eines Ausrufers, der wie der Direktor eines<br />
Guckkastentheaters mit naiven Sprüchlein sein Publikum von Bild zu Bild geleitet.<br />
Bronnen benutzt in einem Hörspielversuch einen Ausfrager und einen Ansager,<br />
die das Stück einleiten, einleitend gleich die Exposition geben, dann von Bild zu<br />
Bild überleiten, auch manchmal in ihrem Dialog die Handlung weiterführen,<br />
immer bis zu dem Doppelpunkt, auf den dann das nächste Bild, die nächste<br />
Hörszene folgt. Andere Hörspielversuche dieser Gruppe verwenden die Musik,<br />
ohne ihr eine so vielseitige Rolle zuzuweisen, wie Hagemann in seiner Funk-<br />
Salome. Interessant waren unsere Versuche, bühnenmäßige Hörspieldialoge, die<br />
ohne Geste und Mimik leer schienen, durch akustische Interpunktionen zu<br />
akzentuieren.<br />
Es bleibt so, wie sich mir die bisherigen Versuche zu einem Hörspiel vor dem<br />
Mikrophon darstellen, zuletzt noch übrig, vom Hörspiel des reinen Dichterwortes<br />
zu reden: „Laß dich mit der Materie ein, und du bist in Gefahr, daß sie dich<br />
totschlägt.“ Das gilt für die Hörbühne ebenso wie für die Schaubühne.<br />
Künstlerisch war unser Gewissen nie so rein, wie bei den Hörspielversuchen des<br />
reinen Dichterwortes. Des Wortes, das manchmal gar nicht mehr die Aufgabe<br />
hatte, optische Vorstellungen zu erwecken, bei dem es gleich war, ob es im<br />
Himmel oder auf der Erde oder unter der Erde gesprochen wird. Hörspiele, die<br />
dem Wort des Dichters die größte Suggestivkraft zusprechen, - ich brauche vor<br />
Ihnen, meine Herren, nicht erst auszusprechen: wenn einmal ein solches Hörspiel<br />
gelingt, dann haben wir das erhabenste, reinste Kunstwerk.<br />
Meine Herren, alle Möglichkeiten zu ernsthaften Hörspielversuchen sind bereits<br />
gegeben. Bitte, kommen Sie in unsere „Studios“, lassen Sie sich zeigen, was alles<br />
zu sagen hier in einem Referat nicht möglich ist. Lassen Sie sich Lust machen,<br />
mitzuversuchen, mitzuarbeiten, es lohnt sich, - künstlerisch. Daß es sich auch<br />
materiell lohnt, dazu müssen die Mittel und die Wege gefunden werden.<br />
Schopenhauer hat gesagt: „Das Gesicht ist der Sinn des Verstandes, welcher<br />
anschaut, das Gehör der Sinn der Vernunft, welche denkt und vernimmt.“ Wir<br />
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sprechen vom Hörspiel. Darf ich Sie um Gehör bitten, zu denken und zu<br />
vernehmen: hier ist trotz aller Einwände etwas Neues im Werden. Sie dürfen nicht<br />
beiseite stehen, wie beim Film. Achtung, Achtung, hier sind neue künstlerische<br />
Möglichkeiten! Beachtung jedem ernsthaften Versuch - auch dem mißlungenen<br />
nicht Verachtung - und Hochachtung, höchste Wertung, ideell und materiell, für<br />
jeden Schritt, der vorwärts führt, zum Hörspiel, zu einer Kunst des Rundfunks.<br />
Arnolt Bronnen:<br />
Der verehrte Herr Vorredner ist von der Ansicht ausgegangen, das Hörspiel sei<br />
ein praktisches Problem. Wäre dies hier eine auf die Rundfunkinteressen<br />
beschränkte Tagung, so wäre den Ausführungen aus einem so berufenen Munde<br />
wenig hinzuzufügen. Der besondere Anlaß dieser Tagung ermutigt mich, mich<br />
mit dem praktischen Problem des Hörspiels nicht zufrieden zu geben. Eine<br />
Tagung „Dichtung und Rundfunk“ will nicht aussagen, daß Dichtung und<br />
Rundfunk dasselbe sind. Indem sie von den Verschiedenheiten ausgeht, hat sie<br />
die Forderung zur Spezialisierung, die von der Dichtung an den Rundfunk und<br />
von dem Rundfunk an die Dichtung erhoben wird. Wir haben bis jetzt wenig<br />
Forderungen hier gehört. Wenn wir aber welche gehört haben, so waren es nur<br />
die materieller Art (Lebhafter Widerspruch). Wir haben hier Leute reden hören, die<br />
der bedauerlichen Ansicht gehuldigt haben, der Rundfunk sei eine<br />
Versorgungsanstalt für ausgediente Literaten (Lebhafter Widerspruch und<br />
Proteste aus der Versammlung). In Wirklichkeit ist der Rundfunk nicht für die<br />
Dichter da, sondern für die Nation. Ihn interessiert an den Dichtern nicht das<br />
Schaffen des einzelnen, er sieht in dem Dichter nur das Instrument der Gedanken<br />
der Nation.<br />
Naturgemäß erweckt jede neue Technik einen neuen Anreiz zur Spezialisierung.<br />
Indem die bis jetzt vorliegenden Ansätze des Rundfunks das optische Gebiet<br />
ausschalteten, erhob sich eine Reihe von Leuten, denen ein schöpferisches Auge<br />
nicht gegeben war, und warf sich in die Arme einer angeblichen neuen Kunst.<br />
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Nicht aber die neue Begrenztheit dieser neuen Möglichkeit schuf die neue Kunst,<br />
sondern vielmehr die fehlerhafte Veranlagung von Literaten, welche weder die<br />
Begrenztheit noch die Möglichkeiten erkannten und ausnützten.<br />
Es muß demgegenüber mit Entschiedenheit ausgesprochen werden, daß jede<br />
Spezialisierung - auf irgendeinem menschlichen Gebiet - nur vorübergehend sein<br />
kann. Das vor unseren Augen abrollende Schicksal des stummen Films sollte Sie<br />
belehren, daß die leicht feststellbare Zufriedenheit des Intellekts mit einem Teil<br />
des irdischen Komplexes - und es ist immer nur ein Teil, welcher den Intellekt<br />
befriedigt, nie ein Ganzes - nicht genügt, Entwicklungen aufzuhalten, welche von<br />
den Instinkten diktiert werden. Jede künstlerische Entwicklung aber geht zur<br />
Erringung der Gesamtgestalt. Der heutige Zustand beweist nichts als die völlige<br />
Anarchie unseres Kunstwillens. Diese Anarchie, verglichen mit dem lächerlichen<br />
und nichtswürdigen Zustand unserer Einzelkünste, ist noch unser Bestes. Und es<br />
spricht wenig für die Ehrlichkeit der heute schaffenden Kunstproduzenten, daß<br />
sie nicht einmal das erkennen.<br />
Das Hörspiel frißt sich wie ein Spaltpilz in die heutige dramatische Produktion<br />
ein; die neuesten Manuskripte verschimmeln. Der Rundfunkdramaturg sieht sich<br />
diese Hörspiele an und fragt verwundert: warum schrieb jener kein Drama? Und<br />
der Dramatiker sieht sie sich an und fragt verwundert: warum schrieb jener sie<br />
überhaupt? Und er vernimmt die Antwort: man hatte einen Anlaß. Die Dichtung,<br />
entwöhnt des inneren Triebes, griff nach den äußeren.<br />
Man hört vielfach die Ansicht, ein goldenes Zeitalter der Kunst: habe immer dann<br />
geherrscht, wenn Reichtum, Fürstentum oder Institutionen den Kunstschöpfer mit<br />
Aufträgen versorgten und ihn so zu glanzvollen Leistungen anspornten. Zu einer<br />
solchen Auftragskunst entwickelt sich zweifellos das Hörspiel, und wir müßten<br />
demnach, bei steigender Macht und Bedeutung des Rundfunks, einer<br />
wundervollen Entwicklung des Hörspiels entgegengehen. Ein solcher Glaube ist<br />
verderblich, weil die ihm zugrunde liegende Ansicht verderblich ist. Diese Ansicht<br />
aber ist verderblich, weil sie ihre eigenen Fundamente nicht kennt.<br />
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Jede Kunst muß ihren Antrieb haben aus dem Unendlichen. Wir erwarten vom<br />
Künstler mehr als das Können: die Verantwortung, mehr als die Verantwortung:<br />
die Berufung. Können Institutionen Berufungen ersetzen? Darf der Rundfunk<br />
einen Dichter zu seinem Werk veranlassen - mag es auch Hörspiel heißen - ,einen<br />
Dichter, der in diesen Augenblicken sich fern weiß jedem göttlichen Strom? Sie<br />
weisen wieder auf die Vergangenheit und sagen: er darf es. Das aber ist der<br />
entscheidende Punkt, indem nämlich jene Mächte der Vergangenheit von einem<br />
so starken Kulturwillen aus ihre Aufträge diktierten, daß selbst der gottloseste<br />
Künstler wieder erfüllt wurde von den Kräften des Himmels, während die<br />
heutigen Institutionen ihren Auftrag formal beschränken. Der Rundfunk fordert<br />
ein Hörspiel und erhält es; aber wäre es nicht besser, er forderte Dichtungen und<br />
erhielte sie, wenn er dann auch statt eines Hörspiels eine Novelle erhielte?<br />
Der Rundfunk ist heute die größte Macht für alle Künste des Wortes. Diese Macht<br />
ist leer und wesenlos, ein schlotternder Schemen, der sich drahtlos verbreitet.<br />
Diese Macht muß erfüllt werden. Sie muß erfüllt werden vom Geiste, der<br />
ausströmt, vom Volke, das empfängt. In einer Zeit, die verworren ist bis zur<br />
letzten Schraube, die keiner brauchen kann, in einem Land, in dem sich eine<br />
schamlose Zunft verantwortungsloser, dem eigenen Volke entfremdeter, keiner<br />
Rasse, keiner Landschaft verhafteter Literaten breit macht (Zwischenruf: Hört!<br />
Hört!), mögen Männer aufstehen, die diese Macht lebendig machen von innen<br />
heraus: im Dienste der Nation. (Widerspruch.)<br />
Vorsitzender Theodor Däubler: Es scheint mir notwendig zu sein, daß wir über<br />
das „Drama“ und das „Hörspiel“ jetzt in die Debatte eintreten, weil die „Lyrik“ mit<br />
neuen Momenten kommt. Ich glaube, wir lenken die innere Erregung über die<br />
Dinge am besten ab, wenn wir ein Kunstgebiet, das mit diesem sehr wenig zu tun<br />
hat, hier abtrennen. Ich bitte darum, eine Abstimmung über meinen Vorschlag<br />
vorzunehmen, ob jetzt eine Diskussion erfolgen soll.<br />
Friedrich Schnack: Das Thema Lyrik kann von den übrigen nicht getrennt<br />
werden.<br />
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Der Vorsitzende: Ich frage die Herren, ob wir bei unserem ersten Beschluß<br />
bleiben und die Diskussion am Ende der Vorträge einlegen wollen. Wir haben das<br />
gestern beschlossen. Wir müßten danach jetzt zur Lyrik übergehen.<br />
Die Mehrheit stimmt für die Entgegennahme der weiteren Referate über Lyrik.<br />
Lyrik<br />
Friedrich Schnack:<br />
Meine Damen und Herren! Die Arbeitstagung „Dichtung und Rundfunk“ wird<br />
durch das Referat „Lyrik und Rundfunk“ beendet. Die lyrische Dichtung, die ich<br />
vor Ihnen zu vertreten die Ehre habe, hat also das letzte Wort, - im Hinblick auf<br />
öffentliche Bewertung heutiger lyrischer Dichterwerke hat sie es in einem Sinne,<br />
zu dem mir die Vertreter der lyrischen Wortkunst ihre ironische Zustimmung<br />
nicht versagen werden. Ich muß die Rangordnung unseres Programms - Lyrik an<br />
letzter Stelle - zurückweisen, denn die Lyrik ist für die gesamte Literatur und für<br />
das Sprachsein und Sprachwerden ungeheuer wichtig, nicht minder auch für den<br />
Rundfunk. Es wäre eigentlich angebracht gewesen, die Lyrik zum Ausgangspunkt<br />
unserer Betrachtungen zu machen, um die Ur- und Grundwerte, nämlich Klang<br />
und Wort, herauszuheben. Es ist nicht der Zweck meiner Ausführungen, die<br />
Ursachen zu ergründen, weshalb im Geisteshaushalt des Volkes zeitgenössische<br />
lyrische Dichtung als seelisches Nahrungsmittel nicht mehr erscheint oder doch<br />
nur in geringen Dosen erscheint: es genüge der Hinweis, daß die Ausschaltung<br />
der gegenwärtigen lyrischen Wortkunst zur Verarmung und Verblassung unserer<br />
Sprache führen muß, ja, schon geführt hat. Wo das lyrische Vitamin der Sprache<br />
mangelt, gehen die Wortbilder unter, der Vorstellungsreichtum des Volkes<br />
schwindet, die sinnliche Kraft der Darstellung erlischt in seinen schriftlichen<br />
Äußerungen, ein abstrakter, leerer Sprachmechanismus, ein Wörterfriedhof bleibt<br />
zurück. Es ist eine der Wirkungen der lyrischen Dichtung, immer wieder neue<br />
Werte der alten Sprache hinzuzufügen, sie zu beleben und sie beständig zu<br />
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verjüngen. Die Lyrik ist eigentlich die Seele im Sprachleib. Wo die Seele fehlt, ist<br />
der Leib ein Automat. Wo ein Volk sich nicht mehr am lyrischen Wortkunstwerk<br />
bewährt, hat es sich bereits zur Sprache der Kriminalromane entschieden, darin<br />
nur noch die Leichname früherer Lyrik ein Mumienleben führen, mit anderen<br />
Worten: wo eine Phrase, ein aufgeklebtes Klischee auf das andere folgt. In einer<br />
Zeit, da die Technik und der Sport so vorherrschen wie in der unsrigen und die<br />
tiefsten Fähigkeiten des Seelischen nur noch ein wissenschaftliches Dasein<br />
haben, ist es wohl verständlich, daß die Lyrik allenthalben vernachlässigt wird.<br />
Die Lyrik selbst erscheint in mehreren Ausstrahlungen. Ihr Wesen wird wohl am<br />
besten getroffen sein, wenn man sie, die natürlich nicht ganz unbegrifflich sich<br />
auswirken kann, vorwiegend als geformte Gefühlswelle anspricht. Danach gibt es<br />
Lyrik in allen Künsten. Wir behandeln hier, wie schon angedeutet, die Lyrik<br />
innerhalb der Wortkunst, es ist wohl aber klar, daß von der Lyrik, die in den<br />
anderen Künsten west, die Dichtkunst am innigsten mit der Lyrik des<br />
Musikalischen auftritt. Man könnte fast sagen, je weniger Begriffe die Sprache<br />
benötigt und je mehr sie sich musikalisch gibt, desto reiner lyrisch ist ihre<br />
Stimme, wie ja wohl auch die reine Musik der vollendete, höchste lyrische<br />
Ausdruck des Menschen ist.<br />
Mit Klang und Wort arbeitet der Rundfunk. Angewiesen auf diese Elemente,<br />
müßte also dieser multiplizierte menschliche Mund ein ganz hervorragendes<br />
Mittel sein, das lyrische Sprachwerk zu verbreiten. Vom unendlich großen<br />
Sprechraum und vom unendlich großen Hörraum, den der Rundfunk heutzutage<br />
aufgerichtet hat, läßt sich vielleicht - ja vielleicht - die teilweise Zurückeroberung<br />
der urtümlichen Stellung der Lyrik innerhalb des Volkes erhoffen.<br />
Die Frage ist nun, welche lyrische Dichtung sich am besten, am wirkungsvollsten<br />
für die Verbreitung durch den Rundfunk als Hördichtung eignet. Wahrscheinlich<br />
die rhapsodische, die immer wieder den Zustand des begeisterten und<br />
begeisternden Sänger- Sprechers kundgibt. Ich weiß, es wird nicht jeder einsehen<br />
wollen, daß eine Wortsymphonie, meinetwegen von wechselnden Sprechern<br />
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musiziert, wirklich am allerbesten für den Sender geeignet wäre. Wir sind längst<br />
nicht mehr fähig, langhinrollende Strophen aufzunehmen. Wenn wir aber<br />
tatsächlich Lyrik durch den Rundfunk senden wollen - und man soll es tun, mehr<br />
als bisher, mit größerem Wagemut, wir bitten darum: denn auch die lyrische<br />
Stimme bezeugt die Zeit und den gegenwärtigen Menschen - , wenn wir also Lyrik<br />
senden, werden wir zunächst eine nur schmale Hörerschaft unter dem<br />
vorhandenen Publikum treffen, wir werden uns erst ein eigentliches Publikum zu<br />
schaffen haben, eine Rundfunkaufgabe von großer Bedeutung, eine<br />
ohrenschärfende Aufgabe. Ist erst eine gewisse Übung im Sendestil, in der<br />
Instrumentierung und im Hören erreicht, das Bedürfnis nach lyrischer Wortkunst<br />
geweckt, dann werden die Hörer Lyrik nicht leicht entbehren wollen.<br />
Was nun den Vortrag lyrischer Dichtung anlangt, so möchte ich dafür eintreten,<br />
daß der Verfasser möglichst selbst spricht, weil er, nach meinem Dafürhalten, die<br />
genaue rhythmische Vorstellung seines Gedichtes hat, die kaum ein Sprecher<br />
haben kann, und weil er dem Gedicht etwas Persönliches, gleichsam etwas<br />
Mutterwärme mitgeben kann, Lebendigstes.<br />
Das reine Stimmungsgedicht wird wegen seiner Stille, der außerordentlichen<br />
Intimität seines Zaubers nicht so recht zweckdienlich sein, es müßte denn sich<br />
auszeichnen durch scharf umrissene bildliche Vorstellungen, durch reiche, nicht<br />
verschwimmende Klänge und Farben, und durch die Triebkraft wechselnder,<br />
unruhiger Rhythmen: seine plastischen Klangfiguren müßten sich spontan als<br />
plastische Hörfiguren dem Ohr des Empfängers einprägen. Zu vermeiden ist<br />
wahrscheinlich das rhythmisch eintönige Gedicht, in dem heimlicher<br />
Leierkastentakt schwingt, also das registerarme Versgebilde und das abstrakte<br />
Gedicht, das sich an den Intellekt wendet.<br />
Von den edlen Bastardformen der Lyrik werden Sinngedicht und Epigramm ihre<br />
Sendetauglichkeit durch Witz, Kürze, Schlagkraft erweisen. Von den unedlen<br />
Bastardformen der Lyrik werden zweifellos die Anekdotenlyrik und die<br />
humoristische Lyrik, die Couplets und Songs, an Wirkung jene übertreffen, was ja<br />
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auch erprobt ist. Es dürfte sich empfehlen, die gereimte Dichtung der reimlosen<br />
vorzuziehen, weil der Reimklang Lautgrenzen absteckt, funkdramaturgisch von<br />
höchster Wichtigkeit in dem uferlosen Klangraum des Senders vor dem<br />
multiplizierten menschlichen Ohr der Empfänger.<br />
Es ist nicht abzuweisen, daß dem Dichter, der die Forderungen beachtet, wie sie<br />
der Rundfunk an ein Hörgedicht stellt, das ich das elektrische Gedicht nennen<br />
möchte, bestimmte formale Aufgaben zuwachsen: er wird eine vokale, bildliche<br />
und rhythmische Bereicherung seiner Dichtungen gewinnen oder anstreben.<br />
Diese plastische lyrische Wortkunst von Mund zu Ohr - im Gegensatz zur<br />
stilleren Dichtung von Buch zu Auge, jener also, die ihrer Art nach für den<br />
Rundfunk nicht in Betracht kommt - wird sich mit ihren bildnerischen Kräften zu<br />
stellen haben und in der Gedrängtheit ihres Ablaufs, ihres lyrischen Geschehens<br />
Rhythmen vielfacher Brechung und stärkster Bewegung anschlagen müssen, um<br />
ein Höchstmaß an Hörwirkung zu erreichen.<br />
Von seiten der Rundfunkfachleute hört man gelegentlich, die lyrische Dichtung<br />
sei innerhalb der Sende- und Hörtechnik nicht am Platze, weil sie sich dem<br />
funkdramaturgischen Zugriff verweigere; ihre Wortdimension lasse sich nicht<br />
umwandeln in eine für den Höreffekt notwendige Klangdimension. Mein verehrter<br />
Gegenreferent vom Bau wird vielleicht zu diesem Punkt Stellung nehmen. Eine<br />
Frage an die Fachleute scheint mir aber statthaft: wieso verstoßen die zahlreichen<br />
Leitartikel, die man uns ins Haus schickt, diese oft grauen, eintönigen<br />
Leseaufsätze, die besser in der Tageszeitung oder in Fachzeitschriften Platz<br />
fänden, und die täglichen Wetter- und Börsennachrichten, - wieso verstoßen<br />
diese Stilübungen und Meldungen nicht gegen jene primäre funkdramaturgische<br />
Forderung des Inhaltswerts, wonach die lyrische .Dichtung zum Senden nicht<br />
geeignet sei? Der Inhaltswert von Leitartikel und Nachricht kann nicht<br />
ausschlaggebend sein; denn auch das lyrische Gedicht hat einen Inhaltswert.<br />
90
Dr. Bofinger:<br />
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Meine Herren! Die Auffassung des Herrn Referenten vom Wesen der Lyrik stimmt<br />
leider so sehr mit der meinigen überein, daß sich aus einer Gegenüberstellung<br />
der beiden Meinungen nur wenig Stoff im Sinne eines Korreferates ergibt. Um so<br />
dankbarer muß ich dem Herren Referenten dafür sein, daß er selbst zwei Fragen<br />
aufgeworfen hat, die ich beantworten soll und beantworten werde.<br />
Da ist zuerst eine große Frage und Klage, die durch das ganze Referat hinzieht;<br />
die Frage nämlich: warum vernachlässigt unsere Zeit, und in ihr der Rundfunk,<br />
die Lyrik in einer so geradezu schmerzhaften Weise? Weiß der Rundfunk, was die<br />
Lyrik für die Sprache eines Volkes, und damit für das Volk selbst, bedeutet? Ja!<br />
Der Rundfunk weiß es, hat es immer gewußt, und der Rundfunk hat darum auch<br />
in der kurzen Zeit seines Bestehens dem deutschen Volke mehr lyrisches Gut<br />
vermittelt, als in irgendeiner anderen Epoche geschehen ist und geschehen<br />
konnte. Ich sage: der Rundfunk hat seine Pflicht gegenüber der lyrischen<br />
Dichtung von Anfang an erkannt und erfüllt. Der allererste, der durch das<br />
Mikrophon des Süddeutschen Rundfunks zu Worte kam, war Hölderlin und der<br />
zweite: Mörike. Und seit jener Stunde verging kaum ein Tag und sicherlich keine<br />
Woche, da nicht die Lyrik ihren guten Platz in der Sendefolge gehabt hätte.<br />
Meine Herren, es ist langweilig, Aufzählungen zu machen; aber es scheint<br />
notwendig, wenigstens im gröbsten Umriß ein Bild zu geben von dem, was der<br />
Rundfunk für die Verbreitung und das Verständnis der Lyrik tut; verzeihen Sie,<br />
wenn ich hierbei vom Südfunk ausgehe, mit dessen Programm ich natürlich am<br />
besten vertraut bin.<br />
In den neun Monaten, die nun vom Jahre 1929 um sind, brachte der Süddeutsche<br />
Rundfunk lyrische Dichtungen von über hundert deutschen Autoren der<br />
Gegenwart. 36 Dichter haben persönlich aus ihren Werken an unserem<br />
Mikrophon gelesen, Dichter jeder künstlerischen Richtung: Ehrler und Lersch,<br />
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Reinacher und Paquet, Diehl und Friedrich Wolf, Brandenburg ebenso wie die<br />
Lasker- Schüler, Bernus ebenso wie Schnack.<br />
Daneben hat unser Sender das unabsehbare Gebiet der Lyrik nach beiden Seiten<br />
durchpflügt: nach der zeitlichen und räumlichen; und in zyklischem Aufbau ist<br />
Lyrik hier mehr gewesen als Schmuck und Zierde einer Stunde, - sie wurde<br />
Ausdruck einer Zeit, einer Epoche, einer kulturell- repräsentativen dichterischen<br />
Erscheinung. Wir führten die Hörer über die verschiedenen Kulturstufen vom<br />
Mittelalter bis in die Zeit des Motors. Wir brachten die Verse der Minnesänger und<br />
- in didaktischem Gegensatz - die stolpernden Reime des 16. Jahrhunderts, die<br />
nicht mehr nach einer unsichtbaren Laute tanzten und nicht mehr den Ambraduft<br />
ritterlicher und höfischer Gewänder mit sich führten, sondern nach Werkstatt und<br />
bürgerlichem Alltag rochen. Wir zeigten den barocken Faltenschwung der<br />
Gedichte Lohensteins und Hofmannwaldaus - die kühle Leidenschaft der Oden<br />
Klopstocks - die einsamen Strophen Günthers die wohlerzogene Lebensfreude<br />
der Anakreontiker - die Verswelt Göethes! Und weiter von Stufe zu Stufe bis in<br />
unsere Zeit.<br />
Von fremder Lyrik sei nur weniges angedeutet: sie schenkte unserem Programm<br />
die weltmännische Ironie des Horaz, die taumelnden Weinsänge des Hafis und<br />
des Litaipe, die zarten Lieder der Japaner, die ehernen Strophen Dantes, - und in<br />
näherer Zeit Verlaines und Baudelaires lyrische Dokumente und das<br />
gespenstische Pathos in den Gedichten Poes.<br />
Und diese Aufzählung aus der Sendefolge einer einzigen von den zehn<br />
Rundfunkgesellschaften stellt in Wahrheit nur einen kleinen Ausschnitt des<br />
weiten Bereiches dar, den die Lyrik im Programmgefüge einnimmt.<br />
Wenn man - wie der Herr Referent es getan hat- die barditische rhapsodische<br />
Zeit als die hohe Zeit der Lyrik preist, dann kann man unmöglich am<br />
künstlerischen Liedgesang vorübergehen, ohne ihn der lyrischen Kunstübung<br />
zuzuzählen. Welch großes Gebiet der Herr Referent damit in die Lyrik einberaumt<br />
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hat, muß Sendefolge einsehen, der auch nur einen flüchtigen Blick in die<br />
Sendefolge des Rundfunks tut.<br />
Ich allerdings rechne den liedmäßigen Vortrag lyrischer Gedichte nicht zur Lyrik.<br />
Ich schätze es gar nicht, wenn ein lyrisch echtes Gedicht „vertont“ wird, denn die<br />
Vertonung ist ja gerade das Beste, was der Dichter seinem Werke gibt. Daß seine<br />
Verse schon ganz Musik waren und dabei doch immer Verse geblieben sind, das<br />
war das Höchste, was Frangois Coppeé am Grabe Verlaines von dessen Kunst<br />
rühmen durfte. Mittelmäßige Gedichte profitieren immer durch die Musik, die von<br />
außen an sie herangetragen wird, denn es wird dabei der natürliche Mangel<br />
solcher Gedichte, wenn auch nicht behoben, so doch wenigstens verdeckt. Aber<br />
die echte Lyrik wirklicher Dichter müßte nach meiner Überzeugung unter<br />
Denkmalschutz gestellt werden und vor der Vertonung bewahrt bleiben. Ich<br />
nehme dabei auch Komponisten vom musikalischen Range eines Schumann,<br />
Schubert, Brahms, Reger, Wolf und Strauß keineswegs aus. Ich gebe zu, man kann<br />
diesen Standpunkt als einseitig und übertrieben bezeichnen, aber es wird mich<br />
jeder verstehen, der sich schon darum gemüht hat, die Melodie des Konzertsaales<br />
zu vergessen und die den Worten selbst inneseiende Musik eines lyrischen<br />
Gedichtes wiederzufinden. Denn die original und organisch wirksame Musik im<br />
Sprachkörper - das lyrische „Vitamin“, wie es der Herr Referent genannt hat -<br />
geht in der Garküche des künstlerischen Liedgesanges nicht nur verloren; es wird<br />
ersetzt durch Essenzen, die aromatisch sehr stark sind, und die den Sinn für das<br />
Ursprüngliche und Artgemäße herabsetzen, ja sogar zerstören können. Es hängt<br />
dies damit zusammen, daß, wie Dessoir sagt, die Musik „die zudringlichste aller<br />
Künste“ ist: wenn sich Lyrik und Musik kopulieren, zieht die Musik die Hosen an.<br />
Und aus diesem Grunde ist es nur natürlich, daß nach ästhetischem Brauche der<br />
Gesang auch nicht zur Dichtung, sondern zur Musik gezählt wird.<br />
Ich habe noch einem möglichen Irrtume vorzubeugen. Man könnte bei meiner<br />
Einstellung zum lyrischen Kunstgesang annehmen, ich schätzte die Musik nicht,<br />
oder ich hätte kein Organ für sie! Meine Herren! Ludwig XV. liebte es nicht, wenn<br />
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seine Freundinnen parfümiert waren, nicht etwa, als ob er ein Feind der<br />
Wohlgerüche gewesen wäre, - durchaus nicht; aber er hatte gefunden, daß durch<br />
die künstlichen Wohlgerüche seiner königlichen Nase ein Olfaktorisches geraubt<br />
wurde, das ihm wesenhafter und darum wichtiger erschien.- So geht es mir mit<br />
der Musik. Ich liebe die Musik sehr, aber wenn sie mir den Genuß an etwas, das<br />
mir wertvoller sein muß, wegnimmt, dann höre ich auf, ihr Freund zu sein.<br />
Ich würde es also durchaus verstehen, wenn der Herr Referent eine Einbeziehung<br />
des sogenannten künstlerischen Liedgesanges in den lyrischen Bestand des<br />
Rundfunks ablehnen würde. Anders hingegen ist es mit einem lyrischen Gebiete,<br />
das unmittelbar der Dichtkunst zugehört und dessen Betrachtung unabweislich<br />
ist, wenn über Lyrik und Rundfunk gehandelt wird. Ich meine damit nicht etwa die<br />
edlen und unedlen Bastardformen der Lyrik, die der Herr Referent erwähnt hat;<br />
ich spreche von der echten und legalen Lyrik im Dramatischen und Epischen.<br />
Wenn der Rundfunk den Nachweis erbringen soll, daß er seine<br />
Programmgeschäfte als ordentlicher Sachwalter der Dichtkunst und gerade auch<br />
der Lyrik besorgt, dann muß er mit allem Nachdruck auf diesen Aktivposten<br />
seiner Bilanz hinweisen. Man braucht dabei nicht an jene lyrischen Einschiebsel<br />
zu denken, mit denen so manche Dramen verziert wurden; man kann auch<br />
absehen von solchen Dramen, die gar keine Dramen, sondern nur<br />
Stimmungsdialoge sind. Das Lyrische in diesen Dingen ist in der Regel auch nicht<br />
allzu wertvoll. Ein reicher Schatz echtester lyrischer Kunst aber ist in den großen<br />
Dramen der Weltliteratur eingeschlossen, ja, man möchte fast glauben, daß ein<br />
Drama nur dann in eine andere Zeit hinüberleben kann, wenn es einen gewissen<br />
lyrischen Fundus in seiner dramatischen Struktur aufweist. Unerläßlich ist dabei<br />
immer, daß das Lyrische ein organisches Element des Dramatischen sei; und<br />
wenn ich Beispiele für die Einschmelzung des wirklich Lyrischen in ein wahrhaft<br />
Dramatisches nennen soll, so stehen natürlich Shakespeare und Calderon<br />
vornean. Oder nehmen Sie Goethes „Faust“, Kleists „Penthesilea“. Der Herr<br />
Referent hat das Wesentliche an der Lyrik als eine „geformte Gefühlswelle“<br />
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angesprochen. Ist es etwas anderes als eine Brandung des Gefühls, des<br />
künstlerisch geformten Gefühls, wenn Penthesilea aufschreit:<br />
„Eh ich Mars' Töchter nicht, wie ich versprach,<br />
Jetzt auf des Ruhmes Gipfel jauchzend führe,<br />
Eh möge seine Pyramide schmetternd<br />
Zusammenbrechen über mich und sie!<br />
Verflucht das Herz, das sich noch mäßigen kann!“<br />
Das ist im Grunde lyrisch und kann auch als dramatischer Faktor hier nichts<br />
anderes sein als eben lyrisch. Es braucht ja nicht alle Lyrik auch sentimental zu<br />
sein.<br />
Für das Lyrische in der epischen Gattung weise ich auf „Werthers Leiden“, Gogols<br />
„Taras Bulba“, Pierre Lotis „Mon frère Yves“ und tausend andere Werke.<br />
Worauf ich hinauswollte, war, darzutun, daß der Bereich des Lyrischen im<br />
Rundfunk doch nicht ganz so eng abgesteckt werden kann, wie das Referat wohl<br />
vorausgesetzt hat. Daß der Rundfunk die großen Möglichkeiten, die ihm zur<br />
Darstellung des Lyrischen gegeben sind, auch wirklich ergriffen und genützt hat,<br />
dafür sprechen die Programmbände des Rundfunks stärker und besser, als ich es<br />
zu tun vermöchte.<br />
Die andere Frage des Referates: Gibt es eine besondere Rundfunklyrik und wie<br />
sind ihre Gesetze? - Nach meiner Überzeugung gibt es eine besondere<br />
Rundfunklyrik nicht. Und dementsprechend gibt es natürlich auch keine Gesetze<br />
für eine rundfunkmäßige Gestaltung der Lyrik. Warum sollte es denn auch etwas<br />
Derartiges geben? Der Herr Referent sagt: man höre gelegentlich von seiten der<br />
Rundfunkfachleute, die lyrische Dichtung sei innerhalb der Sende- und<br />
Hörtechnik nicht am Platze, weil sie sich dem funkdramaturgischen Zugriff<br />
verweigere. Das stimmt, ich habe derartiges schon selbst gehört, - damit ist aber<br />
nicht gesägt, daß es auch richtig sei. Wir würden doch wohl alle dem Herrn<br />
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„lyrischen Funkdramaturgen“ ganz gehörig auf die Finger schlagen, wenn er sich<br />
einfallen ließe, an der Lyrik Goethes oder Hölderlins herumzubosseln, um sie<br />
funkgerecht zu machen. Das ist aber auch gar nicht nötig. Die Lyrik ist aus ihrer<br />
eigenen Natur heraus so funkgerecht wie nur irgend etwas auf der Welt, und es<br />
gibt so wenig eine Rundfunklyrik, wie es eine Rundfunkmusik gibt. Alle echte<br />
Lyrik ist rundfunkgeeignet, alle gute Musik ist funkgerecht.<br />
Es will mir scheinen, daß hier ein gewisser funkdramaturgischer Übereifer auf<br />
einen ästhetischen Irrweg geführt wird. Was könnte denn angeführt werden für<br />
die Notwendigkeit einer besonderen Rundfunklyrik; wodurch unterscheidet sich<br />
die Lyrik im Rundfunk von der Lyrik, die ich selbst lese oder die mir im<br />
Vortragssaal zu Gehör gebracht wird? Der Herr Referent spricht von einem<br />
Gegensatz der Dichtung, die vom Mund zum Ohre, zu jener, die vom Buch zum<br />
Auge geht. Es ist zuzugeben, daß der Mensch von heute einen Roman fast immer<br />
stille liest, aber bei Gedichten ist das ursprüngliche akustische Wesen der<br />
Sprache auch in der Gegenwart noch lebendig geblieben; und selbst wenn wir ein<br />
Gedicht nur still in uns aufnehmen, so bedeutet das nicht, daß das Akustische<br />
damit ausgeschaltet wäre; soweit ist das ästhetische Bewußtsein unserer Zeit<br />
nicht heruntergekommen. Das Akustische wirkt sich beim stillen Lesen als<br />
phantasiemäßige Gestaltung aus, und zwar gerade beim Lyrischen in der<br />
stärksten und klarsten Form. In dieser Hinsicht also besteht kein wichtiger<br />
Unterschied zwischen der Lyrik, wie sie ist, und einer sogenannten oder<br />
sogewollten Rundfunklyrik.<br />
Als Zweites könnte man für die Notwendigkeit einer Rundfunklyrik ins Feld<br />
führen, daß der Weg über Mikrophon, Sender und Lautsprecher den Eindruck der<br />
Sprache und die aus ihr entstehenden künstlerischen Gebilde verändere. Daran<br />
ist wohl etwas Wahres. Aber dieser Unterschied ist keineswegs so groß, daß sich<br />
daraus das Bedürfnis nach einer etwa nuancenärmeren und gröbergeschnitzten<br />
Lyrik ableiten ließe. Die heutige Technik ist in der Lage, einen nahezu<br />
vollkommenen ästhetischen Eindruck vom Vortrage eines lyrischen Gedichtes zu<br />
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vermitteln, und die Überwindung des letzten kleinen Restes technischer<br />
Beschwertheit ist nur noch eine Frage ganz kurzer Zeit.<br />
Die Lyrik führt ihr real- sinnliches Dasein im Akustischen und nur im Akustischen,<br />
und dieses Akustische ihrer Formgebung kann durch den Rundfunk zu genau<br />
derselben künstlerischen Wirkung gebracht werden wie sonstwo.<br />
Wenn man die aufgeworfene Frage ästhetisch korrekt behandeln wollte, so müßte<br />
man zunächst die Apperzeption des Sprachlichen und insbesondere der Lyrik<br />
untersuchen, und man müßte das Ergebnis in Beziehung setzen zur Psychologie<br />
der rundfunkmäßigen Darstellungsmittel oder - wie Dessoir gegenständlicher<br />
sagen würde - zur „Spielregel“ des Rundfunks. Daraus würde sich dann ergeben,<br />
welche Bestandteile des Lyrischen bei der Rundfunkwiedergabe unversehrt in das<br />
Bewußtsein des Hörers eingehen, welche verkümmert werden, und welche sogar<br />
ausfallen. Eine solche Untersuchung zeigt auf, daß alle Qualitäten, aber auch alle<br />
Mängel der Lyrik bei der Rundfunkübertragung im einzelnen und als Ganzes<br />
erhalten bleiben. Die Lyrik wird durch den Materialstil des Rundfunks überhaupt<br />
nicht berührt. Man darf natürlich nicht verlangen, daß durch die<br />
Rundfunkwiedergabe nun der ästhetische Mangel, der dem Lyrischen aus seiner<br />
eigenen Natur anhaftet, behoben werde. Es liegt im Wesen der Lyrik, und es<br />
wiederholt sich dieser Zug in der Lyrik aller Nationen, daß ihre Anschauungskraft<br />
nicht die hohen Grade wie bei der epischen und dramatischen Literatur erreichen<br />
kann. Das lyrische Kunstwerk gefällt sich auch in einer geradezu souveränen<br />
Haltung gegenüber der logischen Disziplin. Aus diesen Gründen ist es mit dem<br />
Inhaltswerte der Lyrik nie so weit her, daß man etwa auf das Inhaltliche pochen<br />
dürfte. Der Herr Referent sagte: die Rundfunklyrik müsse sich auszeichnen durch<br />
scharf umrissene bildliche Vorstellungen, durch reiche, nicht verschwimmende<br />
Klänge und Farben, sie werde sich mit ihren bildnerischen Kräften zu stellen<br />
haben und in der Gedrängtheit ihres Ablaufs, ihres lyrischen Geschehens<br />
Rhythmen vielfacher Brechung und stärkster Bewegung anschlagen müssen . . .<br />
Nun, meine Herren, ich glaube, für eine solche Bereicherung der Ausdruckskraft<br />
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des Lyrischen wird der Leser im stillen Kämmerlein dem Dichter ebenso dankbar<br />
sein wie der Rundfunkhörer. Da ist doch kein Unterschied. Ich bezweifle nur, ob<br />
sich das Programm des Herrn Referenten durchführen läßt, ohne daß dadurch das<br />
innere Wesen der Lyrik angetastet würde. Um diesen Preis wäre die<br />
Anschaulichkeit allerdings teuer erkauft, denn dadurch würden letztlich sogar die<br />
ästhetischen Werte des Lyrischen berührt werden: die Unmittelbarkeit und die<br />
Naturnähe ihrer ganzen seelischen Haltung, die hohe Wirklichkeit ihrer Gefühle,<br />
der Zauber ihres musikischen Wesens, die starke Strahlung ihrer Phantasie, und<br />
die in all dem liegende lebenbejahende und damit ethische Wirkung.<br />
Aussprache<br />
Vorsitzender Dr. Flesch: Meine Herren! Ich glaube, daß die Diskussion über die<br />
sehr interessanten Themen, die heute morgen verhandelt worden sind, Sie<br />
anregen wird, etwas dazu zu sagen; und ich glaube, daß der Wert der Diskussion<br />
darin besteht, daß wir möglichst verschiedene Meinungen bekommen. Ich darf Sie<br />
aber im Interesse der Zeit bitten, sich mit allem, was Sie sagen wollen, möglichst<br />
kurz zu fassen und sich auf das Wesentlichste zu beschränken, da wir nur so<br />
weiter kommen können.<br />
Hans Kyser: Die heutigen Referate müßten uns eigentlich bewiesen haben, daß<br />
wahre Kunst keiner anderen Form bedarf als jener, in der sie bisher gewirkt hat.<br />
Es gibt keine besondere Rundfunklyrik, und vielleicht gibt es auch keine<br />
besondere Rundfunkdramatik, und unsere Sender haben genug zu tun, das<br />
außerordentliche Material der großen Dichtwerke der Weltliteratur ihren Hörern<br />
zu übermitteln.<br />
Aber das Braunsche Referat über das Hörspiel selbst hat uns doch ganz neue<br />
technische Möglichkeiten gezeigt, und hier hat eine jahrelange, an Versuchen<br />
sich klärende Erfahrung gesprochen. Die Nachahmung filmischer Formen halte<br />
ich für bedenklich, da die Sprache immer einen gewissen Raum braucht,<br />
98
Eindrücke dialogisch zu über- mitteln. Warnen möchte ich vor der<br />
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überhandnehmenden sogenannten Modernität in der Pogrammbildung. Es wird<br />
zuviel mit Songs und ähnlichen Sachen gearbeitet. Es gibt auch eine Modernität<br />
der geistigen Bourgeoisie, die die einzige immer siegreiche Partei gegen das<br />
Genie gewesen ist.<br />
Der Unterschied zwischen der Sprechbühne und der sogenannten akustischen<br />
Bühne ist mir bewußt geworden, als ich in diesem Jahre nach dramatischen<br />
Arbeiten begann, mein erstes Hörspiel zu schreiben. Ich mußte den Dialog anders<br />
gestalten, hatte Raum zu größeren Reden, und in Stimmenkomplexen, die die<br />
Handlung begleiteten, fühlte ich den antiken Chor, freilich in neuer Gestaltung,<br />
wieder lebendig werden. Er bietet die Möglichkeit, die unsichtbaren Vorgänge<br />
sichtbar zu machen und die Handlung zu exponieren oder ihren Verlauf zu<br />
verdeutlichen. Gerade diese Formen werden uns eine neue ekstatische<br />
Sprechbühne mitschaffen helfen, die auch die religiösen Elemente in sich<br />
einbeziehen wird. Von einer besonderen Jugendbühne verspreche ich mir nichts.<br />
Sie hätte in jedem Fall genau so ernst zu sein wie die große Bühne.<br />
Herr Bronnen hat hier etwas kapuzinerhaft gegen Dinge gewettert, von denen gar<br />
nicht die Rede war. Da er es aber zu wünschen scheint, daß auch über<br />
wirtschaftliche Fragen eingehender gesprochen wird, will ich ihm gern den<br />
Gefallen tun. Ich habe bereits gestern diese Fragen berührt. Ich will hier mit<br />
Zahlen dienen. Die Reichsrundfunkgesellschaft hat mit der Gesellschaft für<br />
Senderechte einen Tarifvertrag abgeschlossen, der für die Sendung von<br />
Bühnenwerken Sätze von 200 Mark bis 1600 Mark ansetzt. Diese Sätze sind<br />
ausschließlich gemacht für die Wiedergabe bereits vorhandener Werke. Sie<br />
können aber nicht zur Grundlage von Werken gemacht werden, die mit oder ohne<br />
Auftrag für den Rundfunk als abendfüllende Werke geschaffen sind. Solch ein<br />
Werk ist ein Drama und bedarf zu seiner Schöpfung auch bei angestrengtester<br />
Konzentration einer gewissen Zeit. Ich habe an einem Hörspiel ununterbrochen<br />
sechs Wochen gearbeitet, und das ist wenig. Gewöhnlich kommt es zu einer oder<br />
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zwei Aufführungen. Nehmen wir an, es sei für solch ein Werk 2000 Mark Honorar<br />
gezahlt worden, wofür sich vielleicht die auftraggebende Gesellschaft das Recht<br />
der mehrmaligen Aufführung ohne Sonderhonorar sichert, so ist es eine einfache<br />
Rechnung, daß der Hörspielverfasser sogar noch weniger erhält, als der Verfasser<br />
bereits gespielter und nur vom Rundfunk wiederholter Werke: In Berlin z. B.<br />
würden nach dem Tarif für Bühnenwerke bei zwei Aufführungen bis 3200 Mark<br />
bezahlt werden; der Rundfunkverfasser, der für diesen Sender eine<br />
Pauschalgebühr erhalten hätte, bekäme nur 2000 Mark. Er bekäme also 1200<br />
Mark weniger als der Schriftsteller, der ohne besondere Mühe sein Bühnenwerk<br />
überläßt, das vielleicht schon von hundert Bühnen Tantiemen bezogen hat. Wie<br />
lassen sich diese recht ungünstigen Verhältnisse - ungünstig für die Produktion,<br />
die doch gewünscht wird - ändern? Meine Vorschläge gehen dahin, daß der<br />
bestehende Programmrat oder sonst eine Instanz solche Werke über mehrere<br />
Sender nacheinander leitet, daß bei Erfolgen entsprechende Wiederholungen<br />
stattfinden, daß die Reichsrundfunkgesellschaft Mittel zur Verfügung stellt,<br />
besonders wertvolle Werke in billigen Exemplaren zum Druck zu bringen, daß sie<br />
die Propagierung dieser Werke durch den Rundfunk mit übernimmt und sich so<br />
eine gewisse Grundlage einer neuen Hörspielliteratur schafft. Sie wird ihr<br />
Repertoire bilden. Ohne ein Repertoire wird man für die Dauer nicht auskommen.<br />
Manuskripte gehen leicht verloren. Die Rundfunkgesellschaften sollten sich<br />
bemühen, zur Schaffung einer Hörspielliteratur mit beizutragen.<br />
Ernst Hardt: Ich bitte um die Erlaubnis, Herrn Kasack auf eine Ausführung<br />
antworten zu dürfen, die mir ganz irrtümlich erschien. Er hat gesagt, die<br />
Hörbühne müsse sich davor hüten, die gleichen Stimmen zu oft auftreten zu<br />
lassen, die Hörer verlangten darin Abwechselung. Das ist falsch. Unsere<br />
Sendebühne krankt daran, daß der Rundfunk nicht die Mittel besitzt, ein eigenes,<br />
festverpflichtetes Hörensemble zu besitzen. Der Hörer will durchaus die Stimmen<br />
wiederhören, die er als künstlerische Gestalter bereits kennt und liebt, genau wie<br />
wir Kainz oder Knauß immer wieder sehen wollen, nachdem wir sie kennengelernt<br />
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haben. Der vor zwei Monaten den Wallenstein spielte, spielt heut den König<br />
Philipp, und gerade das wollen wir sehen.<br />
Dann möchte ich Herrn Bronnen kurz antworten. Ich habe ihn einen Augenblick<br />
lang nicht ganz genau verstanden. Ich glaube, er sprach von unserer wirren Zeit<br />
und sagte, daß sie ausgeschöpft sei bis auf den letzten Bronnen und es daher<br />
keinen Zweck habe, sich mit Aufträgen für Hörspiele an die Dichter zu wenden. Er<br />
hat dem Rundfunk gewissermaßen Vorwürfe gemacht, Hörspielaufträge vergeben<br />
zu haben. Ich für meine Person möchte darauf antworten, daß ich zufällig<br />
vorgestern in einem Gespräch unter Zustimmung der Mitsprechenden geäußert<br />
habe: wir wüßten, daß in der Musik ein großer Teil der bedeutendsten Werke aus<br />
Aufträgen entstanden sei; aber ebenso wüßten wir aus Erfahrung, daß - ich wage<br />
sogar den Namen Goethe zu nennen - dichterische Aufträge dem Dichter immer<br />
zu seinem schlechtesten Werke verholfen haben. Ich habe mich also gleich<br />
Bronnen gegen Auftragserteilung für Hörspiele gewendet. Wenn es aber<br />
geschehen ist, so geschah es, weil das unwillkürliche Streben des Dichters nach<br />
dem Rundfunk noch nicht so groß war, daß das ideelle Lockmittel der Sache<br />
selbst ausgereicht hätte; wir mußten versuchen, eine Leimrute aus Honoraren<br />
herzustellen.<br />
Dem Herrn Kyser, der gesagt hat, diese Leimrute sei noch nicht dick genug<br />
bestrichen, möchte ich antworten, daß er recht hat. Wir haben aber nicht so viel<br />
Leim, wie wir gern möchten. Jeder von uns Rundfunkleitern gilt für den Verwalter<br />
eines ganz ungeheuren und unerschöpflichen Geldsackes, so kann also nur seine<br />
eigene Knauserei schuld daran sein, wenn nicht der größte Teil dieses Geldsackes<br />
denjenigen Menschen zufließt, die das meiste Anrecht daran haben. Ich für meine<br />
Person glaube, daß dies die Musiker, die Dichter und die geistigen Menschen<br />
sind, deren Schöpfungen den Rundfunk speisen. Aber, meine Herren, wissen Sie<br />
denn, ob dieser Geldsack, der unserer Verwaltung untersteht, wirklich so groß<br />
ist? Man weiß, daß der Rundfunk jetzt etwa drei Millionen Hörer hat, und rechnet<br />
sich aus, daß das im Monat sechs Millionen Mark einbringt. Das sind im Jahre 72<br />
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Millionen Mark, die einzig und allein dem deutschen Wissenschaftler, Musiker<br />
und Dichter zur Verfügung stehen sollten, abzüglich natürlich der Verwaltungs-<br />
und Sendekosten. Sie vergessen aber, daß nicht die deutschen<br />
Rundfunkgesellschaften diese 72 Millionen einkassieren, sondern die deutsche<br />
Reichspost, und sie führt von diesen 72 Millionen an die Rundfunkgesellschaften<br />
etwa 50 Prozent ab, das heißt, die Reichspost behält von diesem Geld zunächst<br />
zurück 36 Millionen. Von der Summe, die für uns übrigbleibt, ist noch die<br />
monatliche Amortisation der deutschen Sender, sind noch die Unkosten für den<br />
rein technischen Betrieb der Reichspost zu erstatten. Ja, der Anteil, den die<br />
deutschen Rundfunkgesellschaften von der Reichspost bekommen, hat erneut<br />
beschnitten werden müssen, sodaß ich für meine Person voll Sorge glaube, daß<br />
der bisher glanzvollen Entwicklung des deutschen Rundfunks damit ein Ende<br />
gesetzt ist. Die zwei Millionen, die der deutsche Rundfunk bisher im Jahre als<br />
Lizenzen an Sie gezahlt hat, sind also die im Rahmen der zur Verfügung<br />
stehenden Mittel bestenfalls erschwingliche Summe!<br />
Friedrich Schnack: Zu den Ausführungen meiner Herren Vorredner möchte ich<br />
einiges hinzufügen. Ich erkläre, daß ich nach den Einwendungen meines sehr<br />
verehrten Herrn Korreferenten Dr. Bofinger die Zweiteilung des lyrischen Gebiets<br />
in „rundfunkgeeignet“ und „rundfunkungeeignet“ nicht mehr aufrechterhalten<br />
will. Diese Zweiteilung ist künstlich, beabsichtigt, gleichsam ein Trick. Ich wollte<br />
den Herren vom Rundfunk nicht von vornherein den Mut nehmen, indem ich<br />
zuviel verlangte. Ich habe ihnen daher bloß einen Finger gereicht. Sie können die<br />
ganze Hand haben, Sie können die ganze Lyrik haben, - ohne Einschränkung. Das<br />
‚Was‘ ist auch hier nicht so wichtig wie das ,Wie‘. Wie müssen Sie es anstellen,<br />
daß das ,Was‘, daß möglichst alle Lyrik wirkt? Das ist eine Frage der Anwendung,<br />
der Regie, der Instrumentierung, - eine technische Frage, die ich gern<br />
beantwortet hätte.<br />
Intendant Bischoff: Ich möchte auf die “feinsinnigen“ Ausführungen des Herrn<br />
Kyser nicht eingehen, sie waren- „erschöpfend“; aber aus einer Anzahl Notizen<br />
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möchte ich mir erlauben, einiges Grundsätzliche herauszuschälen. Warum<br />
Rundfunk und Dichtung in Gegensatz bringen? Die Fragestellung lautet: wie ist<br />
dieser anscheinende Gegensatz zu überbrücken?<br />
Gestern hat Herr Paquet außerordentlich Beachtenswertes mitgeteilt. Er erzählte,<br />
wie er bei seiner ersten Vorlesung vor einem Mikrophon das wichtige Problem,<br />
das Formproblem von Dichtung und Rundfunk erlebte. Er schilderte, wie ihm<br />
während des Vortrages die von ihm geschaffene Form gewissermaßen zerrann,<br />
und wie er während des Sprechens instinktiv eine Neugliederung vornahm,<br />
zusammenfaßte, konzentrierte, kurzum also eine radikale Tempoverlagerung<br />
vornahm. Herr Paquet hat also nicht nur den Rundfunk als den großen Vermittler<br />
erlebt, sondern als das Instrument, das aus dem Dichter den eigenen Ton zieht<br />
und von ihm fordert. Und diese Forderung, meine Herren, ist nachdrücklich zu<br />
erheben. Sonst ist der Rundfunk ein Kulturverschleißinstitut, sonst wird er nichts<br />
anderes als ein ungegliedertes Gebilde von bildungsmäßigem Ungeschmack. Der<br />
Autor muß lernen, mit dem Rundfunk und seinen künstlerischen Gesetzen zu<br />
rechnen. Es geht nicht nur an, Novellen und Gedichte und Dramen vorlesen zu<br />
wollen oder sprechen zu lassen. Es geht nicht an, einer werdenden akustischen<br />
Kunst, die das Wort vertausendfacht, konservativ rückwärts gerichtet das<br />
Kunstideal des Schrifttums gegenüberzustellen. Es geht darum, zu einer<br />
produktiven Zusammenarbeit zu gelangen, das in ihren Schriften eingelagerte<br />
Bild der Welt in der neuen Form des Rundfunks auftönen zu lassen. Die Lösung<br />
des Problems liegt dort, wo der Versuch unternommen wird, die dichterische<br />
Äußerung in eine funkgesetzliche Gliederung einzubeziehen. Daher meine<br />
Forderung: daß im Augenblick jegliche Literatur dem Rundfunk und seinen<br />
beispiellosen akustischen Möglichkeiten erst einmal nichts anderes zu bedeuten<br />
hat als geistig- stoffliche Substanz, die, in eine bestimmte Funkform verarbeitet,<br />
erst dann zu letzter hörmäßiger Wirkung gelangen kann, wenn sie ein funkisch-<br />
produktiver Einfall zusammenschließt. Ich weiß, meine Herren, alles das klingt<br />
wie Ketzerei an der Dichtung, die Sie uns gegenüber zu vertreten haben. Aber wir<br />
haben alle in einer Zeit der Umwandlung gewisser Wertkategorien nicht das<br />
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Recht, glaube ich, das Dichterische gegenüber einer werdenden technischen<br />
Kunst, die das Wort weitergibt an alle, überwertig erscheinen zu lassen. Sie alle<br />
werden das Problematische der Kunstäußerung schon gefühlt haben in einer Zeit,<br />
die aus fruchtbarem Chaos in eine neue Epoche drängt, in eine Epoche, deren<br />
Schwung in eine Ferne zielt, die wir uns unbedingt, auch unter Aufgabe<br />
überkommener Begriffe, erobern müssen.<br />
Ich komme zum Schluß: Zeitbewußtsein haben ist keine Todsünde. Das Märchen<br />
vom lodernden Blick des Dichters ist vorbei. Dieses Zeitbewußtsein haben, heißt:<br />
nicht nur diese Zeit bejahen. Ich denke mir das so: der Blick des Dichters, der in<br />
die Ewigkeit schaut, wenn wir es einmal so nennen wollen, schaue auch in und<br />
durchschaue die Zeit. Dann wird er das Gültige finden, das uns angeht.<br />
Alfred Braun: Nur ein paar sachliche Feststellungen: Herr Kyser irrt, wenn er sagt,<br />
daß ich mich in meinen Darlegungen einseitig für einen der Stilversuche im<br />
Hörspiel ausgesprochen hätte. Im Gegenteil: ich habe hier aufgezeigt, was alles<br />
ich versucht habe, und habe mich bemüht, eine lückenlose Darlegung meiner<br />
Versuche zu geben. Zu gleicher Zeit habe ich aber meinen verehrten Zuhörern<br />
überlassen, für sich von Fall zu Fall die Entscheidung zu treffen, welche Stilart in<br />
Regie und Darstellung dem jeweils zur Diskussion stehenden Hörspiel am besten<br />
entspricht.<br />
Ferner möchte ich bemerken, daß im Lauf der Diskussion ein weiterer Irrtum<br />
auftauchte, indem hier von tarifmäßigen Honorarsätzen für Hörspiele gesprochen<br />
wurde. Jedem Autor ist es unbenommen, für sich und sein Werk den<br />
höchstmöglichen Preis auszuhandeln. Die Sätze beziehen sich nur auf Lizenzen,<br />
die bereits bestehen.<br />
Ernst Lissauer: Ich möchte nur zwei Bemerkungen machen. Herr Bronnen hat<br />
gesagt: der Dichter soll die Gedanken der Nation ausdrücken. Das Verhältnis des<br />
Dichters zur Nation ist vollständig irrational. Die Nation besteht auch nicht nur<br />
aus den nebeneinander Lebenden, sondern auch aus den nacheinander<br />
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Lebenden. Und wer im 19. Jahrhundert die Nation ausgedrückt hat, darüber<br />
gehen heute die Ansichten weit auseinander. Wohl aber besteht<br />
selbstverständlich im höchsten Maße die Möglichkeit für solche Menschen,<br />
welche Kollektiverlebnisse haben, mit Hilfe des Rundfunks zu dem großen<br />
Kollektiv zu sprechen. Ich bedauere es nicht, daß Hans Kyser die materielle Frage<br />
angeschnitten hat, und ich muß Herrn Hardt darin beipflichten, daß große Werke<br />
nicht selten durch Auftrag entstanden sind. Ich glaube aber, daß das eigentliche<br />
Hörspiel erst dann entstehen wird, wenn es uns selbstverständlich geworden ist.<br />
Ich glaube, daß, wie der Dramatiker sich dramatischer Formen bedient, so auch<br />
Menschen kommen werden, welche sich des neuen großen Mittels bedienen<br />
werden, weil sie dazu geeignet sind. Und sie sind dazu geeignet, wenn sie<br />
vielstimmig sind, wenn sie Hörvisionen haben.<br />
Dr. Döblin: Ich trinke zwar dauernd Selters, habe mich aber immer noch nicht<br />
beruhigt. Ich spreche an zwei Adressen: die Herren Hardt und Bronnen. (Unruhe!<br />
Döblin schlägt auf den Tisch.)<br />
Ich bin empört, daß diese Rede von Herrn Bronnen hier gehalten worden ist.<br />
(Bravo!) Ich selbst bin es gewesen, der Herrn Bronnen von der Dichtersektion aus<br />
vorgeschlagen hat. Ich bedauere es aber, daß wir Herrn Bronnen als Referenten<br />
eingeladen haben, und daß ich mich gedrängt fühlte, Herrn Bronnen<br />
vorzuschlagen. Ich bedauere, daß der Herr Vorsitzende, dem die Ausführungen<br />
des Herrn Bronnen scheinbar nicht ganz klar waren, den Redner nicht scharf und<br />
sofort zurückgewiesen hat. Es ist empörend, daß Herr Bronnen hier zu sprechen<br />
wagte von uns als von Leuten, die Literatur treiben, aber keiner Rasse<br />
angehörten. Ich selbst bin Jude von Abstammung. (Zwischenruf: Bronnen auch! -<br />
Heiterkeit!) Ich habe die Ahnenreihe von Herrn Bronnen nicht durchanalysiert.<br />
Herr Bronnen sprach von Leuten, die nicht einer bestimmten Rasse verhaftet<br />
seien, die nicht berufen seien, zu sprechen. Ich weiß nur das eine, daß Herr<br />
Bronnen mit vielen Irrtümern behaftet ist, und daß das einer seiner Irrtümer war,<br />
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daß ihm nicht klar war, wo er sprach und wer ihn eingeladen hatte. Hier durfte<br />
von politischen Dingen nicht gesprochen werden. Dies ist eine Arbeitstagung.<br />
Würde Herr Bronnen in einer politischen Versammlung so gesprochen haben,<br />
hätten wir ihn anhören müssen. Auf einer Arbeitstagung, bei einem Referat über<br />
das Hörspiel, war die Rede unerlaubt. Ich bin empört, ich möchte das noch einmal<br />
feststellen!<br />
Das Zweite betrifft Herrn Hardt und ist eine sachliche Bemerkung. Herr Hardt hat<br />
ausgezeichnet und ebenso ausgezeichnet wie Herr Kasack uns Dinge gezeigt, die<br />
das Drama betreffen, und er hat dabei Schmidtbonn zitiert. Schmidtbonn hat eine<br />
gute Analyse gegeben der Eindrücke, die er erfahren hat, und man hat zum<br />
ersten Male seit langer Zeit wieder eine Hymne auf das Wort und seine großen<br />
Kräfte gehört, die ihm innewohnen: Herr Hardt hat sich mit dem identifiziert, was<br />
andere die magische Kraft des Wortes nennen. Ich möchte das ein ganz kleines<br />
bißchen einschränken und - ohne Herrn Hardt oder Herrn Schmidtbonn zu<br />
widersprechen - ergänzend bemerken: es gibt zweierlei Dinge, - einmal ist das<br />
Wort tatsächlich magisch und großartig und in vielem befähigt. Andererseits ist<br />
es nicht ausreichend und nicht magisch und zu manchen Dingen unbefähigt.<br />
Wollen Sie das bitte nicht als Widerspruch ansehen. Ich zum Beispiel höre sehr<br />
gut, aber ich bin auch ein Gesichtsmensch, und wenn Herr Schmidtbonn gesagt<br />
hat, daß die größte Suggestivkraft dem Wort innewohnt, so erinnere ich mich,<br />
vom stummen Film her Eindrücke von der Japanerin May Wong erfahren zu<br />
haben, die noch heute in mir leben und seelenmäßig verankert sind. Das haben<br />
Sie doch im Funk nicht. Aus dem Stanislowsky- Theater erinnere ich mich eines<br />
fünf Minuten stummen Spieles, wo „Seele zu Seele“ sprach. Das hat mich bewegt<br />
und ist produktiv in mir geblieben. Also beides ist richtig. Wollen wir das nicht<br />
vergessen!<br />
Vorsitzender Dr. Flesch: Die letzten Ausführungen des Herrn Dr. Döblin waren<br />
besonders interessant. Ich darf mitteilen, daß auf der sozialistischen Tagung in<br />
Frankfurt sich Jeßner gegen das vom Rundfunk übernommene Drama<br />
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ausgesprochen hat. Er sagte, daß ein Schauspiel, dem man das Optische nehme,<br />
noch kein Hörspiel sei und eine Berechtigung im Sendespielplan nicht habe; eine<br />
Ansicht, die wir vom Funk nicht haben, weil wir zum Standpunkt Hardt hinneigen.<br />
Es scheint sehr bedeutungsvoll, wenn dieser Punkt besonders behandelt würde,<br />
und ich möchte die Herren Redner bitten, ihr Augenmerk darauf zu richten.<br />
Arnolt Bronnen: Ich kann auf die Empörung des Herrn Döblin wenig antworten.<br />
Ich habe von der Rasse nur gesagt, daß in der jetzigen Zeit sich eine schamlose<br />
Zunft verantwortungsloser, dem eigenen Volke entfremdeter, keiner Rasse, keiner<br />
Landschaft verhafteter Literaten breit mache.<br />
(Zwischenruf Dr. Döblin: Sie dürfen mich nicht angreifen! Ich verbitte mir das!<br />
Das ist eine Frechheit! Ich bitte, mich gegen diese Unverschämtheiten in Schutz<br />
zu nehmen! Sie wissen wohl nicht, daß wir hier eine Arbeitstagung haben; da<br />
müssen Sie solche Sachen weglassen! Wir haben hier keine Zeit, uns in politische<br />
Diskussionen einzulassen!)<br />
Es mußte der Begriff „Arbeitstagung“ so festgelegt werden, damit man vorher<br />
weiß, ob die eingeladenen Leute überhaupt ein Recht haben, hier zu sprechen. Ich<br />
wußte erst gar nicht, daß die Akademie eingeladen hatte.<br />
(Zwischenruf Dr. Döblin: Ich habe Sie selbst vorgeschlagen.)<br />
Ich habe weiter gesagt, daß uns nicht ein einzelner Dichter, sondern der Dichter<br />
als Instrument interessiert.<br />
(Zwischenruf: Sie haben die Anwesenden des Jobbertums beschuldigt. Das ist<br />
eine Taktlosigkeit, die wir uns verbitten müssen!)<br />
Ich möchte hier gern darauf antworten, was Herr Kyser gesagt hat, finde aber<br />
keinen Anhaltspunkt. Herr Hardt hat erklärt, ich hätte gesagt, die Zeit sei<br />
erschöpft bis zum letzten Bronnen. Diese Ausführung des Herrn Hardt finde ich<br />
zu hart. Ich habe die Ansicht vertreten, daß es wesentlich sei, Aufträge nicht an<br />
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einzelne Dichter zu erteilen, sondern auszugehen von dem Kulturmoment; um es<br />
zu präzisieren: daß, wer einen Auftrag gibt, auch einen Auftrag haben muß.<br />
Ernst Hardt: Wollen Sie mir bitte erlauben, aus den Regionen einer im Augenblick<br />
verklungenen Dichtergeneration etwas von dem Öl heranzuholen, mit dem wir<br />
manchmal uns einbildeten, gesalbt zu sein, und es auf die Wogen Ihrer zornigen<br />
Auseinandersetzung zu gießen. Es unterliegt keiner Frage, daß Herr Bronnen hier<br />
niedliche, mit entzückendem Sprengstoff gefüllte Miniaturbömbchen geworfen<br />
hat, die bald den einen und bald den anderen Herrn getroffen haben. Es war<br />
prachtvoll, als seine kleinen Bomben durch die große Bombe des Herrn Döblin<br />
abgewehrt wurden. Mich selbst verleitete diese Schießerei, wenigstens mit einer<br />
Knallerbse nach Bronnen zu werfen, damit ihr lustig gemäßigter Knall unsere<br />
Verhandlungen nach dem ganzen erheiternden Handbombengefecht zurückführe<br />
zu der, meiner Meinung nach, sehr erfreulichen Art, in der die zwei Tage unserer<br />
sachlichen Arbeit verlaufen sind. Lassen Sie uns also bitte in ihr fortfahren.<br />
Arnold Zweig: Ich möchte hier noch zu einigen Fragen sprechen, die von Herrn<br />
Hardt in besonders feiner und eindringender Überlegung zum Verhältnis von<br />
Drama und Rundfunk berührt worden sind, und zu der Frage: Kunst und Auftrag.<br />
Lassen Sie mich mit der letzteren beginnen. Aus meiner geringen Kenntnis der<br />
Malerei aller Zeiten erinnere ich mich etwa der Sixtinischen Fresken des<br />
Michelangelo. Wollen Sie mir mitteilen, aus welcher autonomen Inspiration diese<br />
Werke entstanden sind? Sie, wie die gesamte große Malerei bis tief ins 19.<br />
Jahrhundert hinein, waren Auftragskunst, Auftragskunst wie die Athene des<br />
Phidias, die Madonnen des Fra Angelico, die Porträts des Velasquez oder Tizians.<br />
Dieses Beauftragtsein des Künstlers hat nicht daran gehindert, daß diese<br />
Kunstwerke ebenso wie die ägyptischen Plastiken, die Metopen von Selinunte<br />
oder der Isenheimer Altar zu den großartigsten Schöpfungen des menschlichen<br />
Kunsttriebes gehören. Alle diese Werke waren Aufträge, die gesamte Kunst zu<br />
jenen Zeiten. (Zuruf: Beethovenl) Jawohl, zur Musik komme ich noch. Es gehörte<br />
zu den Eigenarten des 19. Jahrhunderts, daß mangels Auftraggebern die Künstler<br />
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gezwungen wären, neben großen schöpferischen Impulsen und ihrem großen<br />
Können auch noch den Anstoß und Anlaß zu ihrer Schöpfung aus sich selbst zu<br />
holen. Daß es daran gemangelt hat, von außen solche Impulse zu schaffen, das<br />
war ein Defekt der Zeit. Und wenn Sie mir einwenden, daß unsere Klassiker ihre<br />
Dramen ganz aus sich geholt haben, entgegne ich Ihnen: Shakespeare und<br />
Molière haben ihre Arbeiten vom Repertoire diktiert bekommen, und Johann<br />
Sebastian Bach hat alle seine Passionen und Kantaten für seine Funktion als<br />
Kantor komponiert. Es kann gegen die Tatsache, daß der Rundfunk Aufträge gibt,<br />
höchstens eingewendet werden, daß er zu wenig Aufträge gibt und bis jetzt zu<br />
wenig wagemutig darangegangen ist.<br />
Dazu kommt noch etwas anderes. Die Künstler der eben zitierten Zeitalter hatten<br />
etwas gelernt, sie wußten, wie sehr Können und Form erarbeitet werden mußten,<br />
um jederzeit auf einen Auftrag von außen her die Quellen der Inspiration<br />
aufzuschlagen und fließen zu machen. Leonardo da Vinci wußte, wie man malte,<br />
und Beethoven wußte, wie man komponierte, und Mozart hatte nicht nur<br />
unerschöpfliche Schätze der Melodie in sich, sondern auch absolute Kenntnis all<br />
dessen, was dazu gehört, um sie formgerecht den empfangenden Menschen<br />
eindringlich zu machen. Die moderne Bildung hat vollkommen vergessen, was an<br />
Handwerk und Traditionalität im Wesen der Form selber liegt; und wenn sie nicht<br />
davon ausgeht, dies wieder zu entdecken, so wird sie gezwungen sein, halb<br />
dilettantische und halb genialische Schöpfung von sich zu geben, die je nachdem,<br />
ob der Mann, der sie schreibt, bedeutend ist oder nicht, die Empfänger etwas<br />
angeht oder nicht. Die Fragestellung ist also so: bringt der Rundfunk vielleicht<br />
eine neue Kollektivität, einen neuen Auftragsgeist in die Literatur? Ich würde das<br />
sehr begrüßen.<br />
Nun ist aber ein Zweites hervorzuheben. Was waren denn das für Auftraggeber,<br />
die in den großen schöpferischen Epochen die großen Künstler zu ihren Werken<br />
veranlaßten? Jedenfalls: keine Individuen. Es war die Polis, die Kirche, die<br />
Dynastie der absoluten Monarchie oder der italienischen Stadtstaaten, und es war<br />
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erst später die persönliche Willkür oder der persönliche Geschmack von<br />
einzelnen Auftraggebern, die imstande waren, den Künstler in Bewegung zu<br />
setzen. Es ist wahr, daß die Quartette von Beethoven inspiriert wurden von<br />
einzelnen Aristokraten; aber der Isenheimer Altar wurde für ein Kloster gemalt,<br />
also für eine überpersönliche und überindividuelle Gemeinschaft; die<br />
florentinische Freskomalerei wurde gemalt im Auftrage einer Stadt, und die<br />
großen Dome wurden gebaut von großen Gemeinschaften für Generationen,<br />
beseelt von dem einheitlichen Kulturwillen der Kirche, die eine einheitliche<br />
Grundgesinnung zur Welt hatte. Wenn wir nun vielleicht heute wieder anfangen,<br />
Aufträge zu geben, so glaube ich, daß wir, besonders wenn sie von einem so<br />
unpersönlichen Medium wie dem Rundfunk oder auf dem Wege über diesen<br />
gegeben werden, eine gewisse, sagen wir neue allgemeine Konvention oder, um<br />
es pathetisch zu sagen, einen oder gar den Grundwillen unserer und vielleicht<br />
auch der kommenden Generation zurück oder vorwärts entdecken werden.<br />
Jedenfalls muß der Rundfunk vorläufig in Kauf nehmen, daß die Werke, die er<br />
schaffen läßt, vorübergehend sind. Vielleicht aber auch entsteht auf dieser Basis<br />
eine dauernde, verbindende, alte oder neue Gesinnung der Künstler und für sie<br />
die Notwendigkeit, ihre Kunst zu erweitern, weg vom Individuellen.<br />
Die Kunst hat gesellschaftlich betrachtet eine Funktion: sie macht den Menschen<br />
die Welt verständlich, in der sie leben, und zwar verständlich für ihr Gefühl, ihre<br />
empfundene Einsicht. Ihre Autonomie liegt auf einem anderen Gebiete als dem,<br />
daß man die Schöpfer ihrer Willkür überläßt und ihnen erlaubt, mit den großen<br />
Formen, die von Hunderten von Generationen geschaffen worden sind, zu walten<br />
wie mit Gläsern, in die sie das Beliebigste hineinschütten können.<br />
Das andere Thema, auf das ich eingehen möchte, zweigt von dieser Betrachtung<br />
etwas ab und geht auf die Frage „Drama und Sendespiel“ ein. Herr Hardt hat<br />
außerordentlich glücklich und sehr einschneidend mit den tiefen Worten von<br />
Schmidtbonn operiert, die Seele des Wortes im Drama wiederhergestellt. Es wäre<br />
unendlich gut, wenn über die Sendung des Dramas im Rundfunk die Schauspieler<br />
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wieder sprechen lernten, und wenn wir die Möglichkeit hätten, wieder mal einen<br />
Vers von der Bühne zu hören.<br />
Aber zum Thema selbst erlaube man mir folgende Fragen:<br />
Sie alle haben „Hamlet“ gesehen, und gerade von Hamlet hat Hardt gesprochen.<br />
Im Hamlet gibt es zwei Szenen, die polar gegeneinander eingespannt sind, und in<br />
denen das Schicksal des Helden, also eines bestimmten Menschentyps, sich<br />
deklariert. jedes große Drama hat diese beiden bestimmenden Szenen. Die erste<br />
Szene ist jene, in der Hamlet, vom Geiste berührt, darauf ausgeht, die Welt wieder<br />
einzurenken, mit dem Gefühl im Herzen: „Wehe mir, daß ich kam“; und die<br />
andere ist jene bei den Totengräbern. Nach unendlichem Geschehen, nachdem<br />
sich Taten und große oder niedere Gesinnung ganzer Menschengruppen entlarvt<br />
haben, steht nun dieser junge, vom Schicksal geschlagene edle Mensch da,<br />
spricht Worte und hält dabei einen Totenschädel - Yoricks Schädel - in der Hand.<br />
Und dieses ungeheure Symbol der menschlichen Vergänglichkeit können Sie im<br />
Rundfunk nicht übermitteln, diese zentrale Szene muß der Rundfunk dem Drama<br />
schuldig bleiben. Selbst wenn man Shakespeare aus dem Grabe holte und<br />
verlangte von ihm: montiere mir diese Szene so, daß der Hörer diesen<br />
Totenschädel sieht,- wäre dies unmöglich. Weil hier das sakramentale Element<br />
des Dramas offen liegt. Ich bitte, dieses Wort nicht pathetisch und kirchlich<br />
aufzufassen, sondern ganz einfach. Wie der Priester z. B. der Gemeinde das<br />
Sakrament entgegenhält, damit diese es sehe, genau so bietet die Bühne dem<br />
Zuschauerraum den bewegten Schauspieler und seine Haltung dar. Diese Gebärde<br />
des Schauspiels ist eine Grundgebärde des Dramas. Das Drama ist nicht<br />
ursprünglich aus dem Worte entstanden, sondern aus dem Worte als Begleitung<br />
und Deutung dieser sakramentalen Geste, die ein Grundverhältnis des Menschen<br />
zur Welt zum Ausdruck bringt. (Zuruf: Aristoteles!)<br />
In einem Satze: es gibt drei Funktionen des Anschauens im Drama. Die erste ist<br />
die des äußerlichen Stimmungsdramas, die läßt sich restlos im Rundfunk durch<br />
Geräusche oder Worte ersetzen. Die zweite ist die, welche die Körperlichkeit des<br />
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Schauspielers mit sich bringt, das wundervolle Phänomen, daß ein lebender<br />
Mensch zur Ausdruckskraft einer Seelenregung wird, mit seinem ganzen Körper,<br />
bekleidet oder nackt. Und die dritte sind jene hohen Augenblicke des Dramas, wo<br />
die Worte des Dichters plus der Anwesenheit eines Mimen plus seiner Gebärde in<br />
eine Sphäre des Schicksalhaften hinauflangen und damit durch die pure Tatsache<br />
des Sakramentalen ein Grundverhältnis des Menschen zum Rätsel seines Daseins<br />
anschaulich darstellen. Diese Dinge, z. B. die anschauliche Blindheit des Oedipus,<br />
können Sie im Rundfunk durch nichts ersetzen. Sie müssen bei der Auswahl der<br />
Dramen, die Sie senden, diese Tatsachen mit in Kauf nehmen, und wenn Sie sich<br />
an die großen Werke der Weltliteratur wagen, darauf sinnen, wie Sie vorher<br />
irgendein Surrogat einfügen, das dem Zuschauer - dem unsichtbaren Hörer -<br />
diesen Schicksalspunkt hervorhebt. Ebenso pathetische Szenen gibt es auch in<br />
der Komödie, vor allem bei Aristophanes und Shakespeare.<br />
Wir wollen keinen Ersatz für die Schaubühne. Wir wollen, daß die Schaubühne<br />
wieder anfängt, ihre alte Gewalt zu bekommen und ein Wesenselement wird für<br />
unsere Erlebnisse, die wir als Dichter gestalten, und für unsere Erlebnisse als<br />
Zuschauer, die wir erschüttert sein wollen.<br />
Ernst Hardt: Ich muß Herrn Arnold Zweig auf seine Ausführungen erwidern, daß<br />
ich von ihm irgendwie mißverstanden worden bin. Ich habe nicht gesagt, daß die<br />
Hörbühne an die Stelle der Schaubühne treten soll. Ich habe nur zeigen wollen,<br />
bis zu welchem Grad die Hörbühne in der Lage ist, Wirkungen der Schaubühne<br />
notgedrungen in das Hörbare zu übertragen. Ich bin ein sehr schlechter<br />
Theoretiker. Wir lernen am besten aus Erlebnissen. Ich hatte auch die Absicht,<br />
Ihnen ein paar besondere Beispiele aus Hamlet hier zu zeigen. Die<br />
Totengräberszene stellt dem Regisseur gewiß eine große Aufgabe. Darf ich kurz<br />
sagen, wie ich sie gelöst habe? Ich habe mir erlaubt, einen der Verse, die der alte<br />
philosophische Totengräber später singt, an den Anfang des Aktes zu setzen, so<br />
daß schon hinter dem unsichtbaren Vorhang seine bekanntlich immer versoffene<br />
Stimme gehört wird. Gleichzeitig stieß er rhythmisch mit dem Spaten zu seinem<br />
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Lied in Erde und grub das Grab. Ich sage Ihnen, daß sämtliche erlebten<br />
Bühnenbegräbnisse mich nicht mit einem solchen Schauder angefaßt haben wie<br />
dieses isolierte Geräusch, das der Spaten machte, wenn er in die Erde fuhr, und<br />
das schaurig aus unserem Unterbewußtsein den Komplex Begräbnis erlöste. So<br />
wurde durch ein akustisches Mittel die Atmosphäre Kirchhof grausiger gestaltet,<br />
als die Schaubühne es visuell zu tun vermag.<br />
Und nun zu der Frage des Totenschädels! Meine Generation, meine Herren, hat ja<br />
immer auf dem Schreibtisch einen Totenschädel stehen gehabt! Während ich nun<br />
auf der Bühne immer nur Pappschädeln begegnet war, habe ich als Regisseur in<br />
Weimar für den Hamlet meinen Totenschädel mit auf die Bühne gebracht, aber ich<br />
mußte ihn wieder mit nach Hause nehmen, weil die Bühnenarbeiter ihren Ulk mit<br />
diesem wirklichen Totenschädel nicht sein ließen. Auf der Hörbühne blieb er, und<br />
ich gebe Ihnen die Versicherung, daß alles, was um uns war, den Totenschädel<br />
sakral behandelt und empfunden hat. Als der Schädel aus dem Geräusch der Erde<br />
knochenklappernd geschaufelt wurde, und Hamlet mit dem Wort: „Gib mir den<br />
Schädel“ ihn sich reichen ließ, ward er sichtbar für alle Hörer; und als Hamlet ihn<br />
wegwarf, war sein Hinpoltern in die Erde bildlich viel wuchtiger, als jemals die<br />
Pappe des Bühnenschädels es bewirken kann. Ich kann mich des Verdachtes nicht<br />
erwehren, Herr Zweig, daß das große visuelle sakrale Erlebnis, von dem Sie<br />
sprachen, in Ihnen nicht lebendig ist von der Bühne her, sondern daß es<br />
herstammt von dem bekannten Ölbild, das Kainz als Hamlet mit dem Schädel in<br />
der Hand darstellt.<br />
Meine Darlegungen aber sollten nur zeigen, daß solche Szenen sich darstellen<br />
lassen durch den sakral gefühlten Klang der stummen Dinge, deren Leben sich<br />
eben in diesem ihrem Urlaut tiefer offenbart als in ihrem visuellen Abbild. Ihr<br />
Gesang macht die unsichtbare Handlung so wesenhaft, daß die drei- bis<br />
vierhunderttausend Menschen, die jenen Abend den Shakespeare hörten, keine<br />
Bedingtheiten und keine Verhunzung des Werkes sahen, das sie nur hörten.<br />
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Dr. von Boeckmann: Die Diskussion ist zwar inzwischen zu anderen Problemen<br />
übergegangen. Ich möchte aber noch einmal an die Worte von Herrn Zweig<br />
erinnern. Daß der Rundfunk Aufträge gibt, ist selbstverständlich und wohl<br />
unbestritten. Fraglich ist nur, wem er sie gibt. Keinesfalls darf es uns bei<br />
Aufträgen oder Engagements nur auf die Namen ankommen, denn der<br />
prominente Name allein verbürgt durchaus nicht die funkische Qualität. Wichtig<br />
muß uns vor allem sein die unmittelbare lebendige Mitarbeit des Autors bei uns.<br />
Nur dann, wenn wir den Autor und der Autor uns richtig kennenlernt, kann auch<br />
das wirkliche Hörspiel entstehen.<br />
Ich habe mir gestern den Spaß gemacht und herumgefragt, wer denn eigentlich<br />
von Ihnen überhaupt Rundfunk hört. Da habe ich überall zur Antwort bekommen:<br />
ich nicht. Ja, meine Herren, wie wollen Sie denn über etwas urteilen oder für<br />
etwas schreiben, was Sie gar nicht kennen! Sie täuschen sich über das Ausmaß<br />
spezifischer Eigenarten der akustischen Formenwelt. Bitte, meine Herren, werden<br />
Sie Rundfunkhörer, dann werden Sie auch Rundfunkdichter!<br />
Ernst Hardt: Noch ein Wort über das Auftragerteilen, weil mir in den<br />
ausgezeichneten historischen Erinnerungen von Herrn Zweig doch ein tiefer<br />
Irrtum zu stecken scheint. Man konnte früher in der Malerei, der Musik, der<br />
Bildhauerei und auch der Dichtkunst einen Auftrag erteilen, weil da nämlich das,<br />
was man von dem Künstler haben wollte, etwas Selbstverständliches war, nämlich<br />
der an einen großen Kollektivismus gebundene Stoff. Man bestellte einfach eine<br />
Madonna, und der Künstler brauchte gar keinen Einfall zu haben, die Köstlichkeit<br />
seines Bildes lag in seinem persönlichen Können. In unserem<br />
Glaubenskollektivismus und unserer Heldengeschichte lebt ein solcher allgemein<br />
gültiger Stoff nicht mehr. Wir müssen von dem Künstler, dem man einen Auftrag<br />
dichterischer Art erteilt, etwas anderes verlangen, nämlich gerade einen Einfall.<br />
Den muß er haben, sonst ist sein Werk nichts. Der Künstler aber ist heute auf den<br />
individuellen Einfall gestellt, und die Werke, die wir durch Auftrag bekommen,<br />
sind leider einfallslose Werke. Denn das „Können“ läßt sich wohl willkürlich<br />
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kommandieren, nicht aber der Einfall, er ist ganz und gar unwillkürlich, man<br />
kann ihn nicht haben, wann man will, sondern wann er will. Das scheint mir der<br />
große und wichtige Unterschied zu sein. Und der heutige Kollektivismus? Meine<br />
Herren! Wenn heute jemand die sehr oberflächlichen Schaumspritzer unserer Zeit<br />
- Songs, Jazz, Grammophon und Film - in der einen oder anderen amüsanten,<br />
lustigen und künstlerischen Form aufblendet, so kann das artistisch unendlich<br />
reizvoll sein; geht er aber durch das Ruhrgebiet und sieht, wie die Ruhrarbeiter<br />
arbeiten und leben, so wird er erkennen, welch grandioser Ernst eigentlich das<br />
Wesen unserer Zeit ausmacht. All jene entzückenden, auch von mir geliebten<br />
Dinge der Oberfläche haben damit nichts zu tun. Unsere Zeit tut weiter nichts, als<br />
auf den großen Dichter warten, der diese Tiefe unserer Zeit gestaltet; und<br />
diejenigen, die es bis zu einem gewissen Grad bereits getan haben, haben auch<br />
den Zustrom der Menschen wiederum erfahren.<br />
Arnold Zweig: Darf ich noch folgendes sagen. Ich sehe nicht ein, warum nicht der<br />
Rundfunk in der Lage sein sollte, einer Anzahl von Dichtern - oder in Form eines<br />
Preisausschreibens - einen Auftrag zu erteilen, z. B. den, eine Grubenkatastrophe<br />
zu gestalten. Ich gehe also aus von den Dingen, die unsere Zeit ausmachen. Ich<br />
bin zwar entzückt von Songs und allen möglichen Auflockerungen, aber ich weiß<br />
auch genau, wo die Realität kracht. Und da ist folgende Frage zu stellen: wie<br />
verhält sich der Auftrag zum Einfall? Das ist nämlich ein ganz wesentliches<br />
Problem, das Hardt aus meinen Worten herausgeschält hat. Selbstverständlich<br />
brauchte jemand, der eine Madonna oder eine Athene in Auftrag bekam, keinen<br />
thematischen Einfall zu haben, aber einen formalen Einfall mußte er immer<br />
haben; Einfälle muß jeder Künstler haben. Ich erinnere mich aus der letzten Zeit<br />
vor dem Kriege. Da hatte der Maler Hodler den Auftrag bekommen, die Schlacht<br />
von Marignano zu malen; Sie wissen, es ist ein einmaliges Bild geworden, das<br />
Ihnen allen bekannt ist und das nur ein Hodler hatte so malen können. Auch der<br />
„Aufbruch der Lützower Jäger“, gemalt für die Universität Jena, ist ein Bild, das<br />
auf Grund eines solchen Auftrages entstand und dessen formale Lösung damals<br />
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unerwartet und befremdend erschien, inzwischen aber sich als außerordentlich<br />
und einwandfrei herausgestellt hat.<br />
Sie müssen als Auftraggeber an die Dichter herantreten und sagen daß du einen<br />
Einfall hast, ist die Voraussetzung dafür, daß wir dich beschäftigen. Du selbst<br />
weißt, wie man eine Grubenkatastrophe aufreißt, du mußt das in den<br />
Fingerspitzen haben, mußt wissen, daß hier oder hier der fruchtbare Punkt liegt.<br />
Du mußt aus dem Alltag des Bergmanns die Voraussetzungen wissen, die<br />
Hauptpunkte der Katastrophe, etwa giftige Gase, unzureichende<br />
Schutzmaßnahmen mußt du zusammenstellen, ihnen dann die kapitalistische<br />
Rente gegenüberstellen, die diese Schutzmaßnahmen verbietet, und die, weil sie<br />
aus der Arbeit herausgeholt werden muß, die Grubenverwaltung zu solchen<br />
Maßnahmen zwingt. Diese drei Gruppen etwa mußt du im Kopf haben, bevor der<br />
Einfall kommen kann.<br />
Diese Auftragsweise - und ich muß den Herren vom Rundfunk mit Vergnügen<br />
zustimmen - kann selbstverständlich nur im Zusammenhang mit technisch und<br />
rundfunkmäßig geschulten Menschen gegeben werden. Es ist klar, daß die Zeit<br />
vorüber ist, wo für neue technische Mittel aus der Fülle des Gemüts etwas<br />
geschaffen wurde. Wir sind durch die Art, wie das Theater mit den Dramen<br />
umgeht, sehr bescheiden geworden. Es ist uns sehr angenehm, wenn man mit<br />
uns spricht, ehe wir an die Arbeit gehen und unsere Gebilde sich kristallisiert<br />
haben. Denn daß man hernach in fertige Werke hineinschneidet, das können wir<br />
nicht machen, und darüber beschwert man sich in Artikeln usw. Diese erste Art<br />
von Kollektivarbeit wird kein Künstler für eine Störung seiner Inspirationen<br />
halten. Die Hauptsache ist, daß er wirklich ein Künstler ist, nämlich inspirierende<br />
Kräfte enthält und jenen Kommandoton der Poesie gegenüber aufbringt, den<br />
Goethe vom Poeten gefordert hat.<br />
Vorsitzender Dr. Flesch: Ich möchte noch etwas zur Tagesordnung sagen. Es<br />
wurde gestern beschlossen, im Anschluß an die heutige Diskussion nochmals<br />
über die Frage der Zensur zu sprechen. Im Laufe des Tages ist mir nun von vielen<br />
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Seiten gesagt worden, daß man sich durch die Aussprache außerhalb der<br />
Versammlung so geeinigt habe, daß dieser Punkt nicht mehr wesentlich sei, und<br />
zwar deshalb, weil die Ansicht des Rundfunks viel weniger mit der Zensur als mit<br />
der Programmgestaltung zu tun habe; wobei man voraussetzt, daß der Intendant<br />
jeden Baustein seines Programms kennt. Es ist dies ein erfreuliches Resultat des<br />
Sichkennenlernens auf einer Tagung. Darf ich also fragen, ob wir diese Debatte<br />
über die Zensur beiseite lassen können?<br />
Die Versammlung stimmt zu.<br />
Hans Kyser: Es ist durch Beschluß abgelehnt worden, über die Zensur zu<br />
sprechen. Im Interesse der Dichter muß aber gesagt sein, daß es wünschenswert<br />
wäre, bei der Vorlesung aus einem Werk auch den Verlag desselben nennen zu<br />
dürfen. Bisher wurde solcher Hinweis als unzulässige Reklame gestrichen. Der<br />
Rundfunk hat aber doch die ausgesprochene Absicht, für ein Kulturgut, die<br />
Dichtung, Reklame zu machen. Darum müssen diese Zensurstriche künftighin<br />
wegfallen. Der Schriftsteller soll sagen dürfen, wo sein Werk erschienen ist, damit<br />
es der Hörer, den es interessiert, sich auch kaufen kann.<br />
Ernst Hardt: Das ist falsch und hat mit der Zensur nichts zu tun. Die<br />
Reichspostreklame hat in ihrem Vertrag mit der Deutschen Reichspost einen<br />
Paragraphen, wonach die den Sendegesellschaften entzogene Reklame nicht<br />
indirekt von ihnen ausgeübt werden darf.<br />
Hans Kyser: Wenn Ernst Hardt sich auf einen bestehenden Vertrag beruft, so<br />
können solche Verträge modifiziert werden. Fassen wir nur einen Beschluß und<br />
ersuchen wir in demselben die Reichrundfunkgesellschaft, sich mit den<br />
betreffenden Reklamestellen in Verbindung zu setzen zwecks Zubilligung, daß<br />
der Autor berechtigt sei, den Verlag seines Werkes zu nennen.<br />
Im übrigen habe ich mich gewundert, daß im Laufe der Debatte die Herren vom<br />
Rundfunk sich so wenig zum Worte gemeldet haben. Mit mir wären viele sehr<br />
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dankbar gewesen, wenn sie uns recht viel aus ihrer Praxis mitgeteilt hätten. Wir<br />
begrüßen es, daß so viele junge Kräfte verantwortlich im Rundfunk tätig sind,<br />
aber, meine Herren, mißachten Sie auch nicht Ihre eigene Verantwortlichkeit vor<br />
den Kulturgütern, die wir schon besitzen, und lehnen Sie nicht mit einer<br />
Handbewegung die Schriftsteller ab, die schon einer älteren Generation<br />
angehören. Ich spreche nicht aus irgendeiner Verstimmung, denn gerade ich<br />
habe sowohl bei der Direktion der Reichsrundfunkgesellschaft wie auch bei Herrn<br />
Intendanten Dr. Flesch für meine Pläne das beste Entgegenkommen gefunden.<br />
Man hat meine Arbeiten sofort bestellt. Wenn ich hier vom Wirtschaftlichen<br />
gesprochen habe, so wissen wir alle und spüren es täglich, wie schwer es heute<br />
ist, künstlerisch überhaupt noch arbeiten zu können. Sie, meine Herren vom<br />
Rundfunk, können uns die Möglichkeit geben zu einer neuen künstlerischen<br />
Betätigung. Seien Sie die großen und neuen Mäzene dieser Zeit! Sie werden nicht<br />
nur für sich, sondern auch für die geistige Kultur Wesentliches mitschaffen<br />
helfen.<br />
Alfons Paquet: Ich möchte Herrn Braun dafür danken, daß er uns das<br />
arbeitstechnische Problem so nahe gebracht hat, wie wir es hier gewünscht<br />
hatten zu hören. Ich empfinde die heutige Tagung als eine wertvolle Fortsetzung<br />
der Besprechung über Film und Rundfunk in Frankfurt a. M. Bei dieser Tagung<br />
sprach Professor Marck kluge Dinge über den Rundfunk. Er charakterisierte ihn<br />
durch die Mittelbarkeit seiner Wirkung. Ich bin über diesen Ausdruck gestolpert.<br />
Ich empfinde die Wirkung des Rundfunks als unmittelbar. Sie bezieht sich eben<br />
nicht nur auf die Gesamtheit als Masse, sondern auch auf jeden einzelnen. Es gibt<br />
kaum etwas, was unmittelbarer in Haus und Stube hineinwirkt. Und für den<br />
Menschen, der am Sender steht, ist das Gefühl der Unmittelbarkeit seiner<br />
Wirkung einfach hinreißend. Keiner kann das stärker empfinden als der Dichter,<br />
der Phantasiemensch, der sensibel ist. Man darf die Sorgen, die Dinge des Tages<br />
in Rechnung ziehen. Man muß es tun. Man stellt sich vor, daß ein Mensch einem<br />
genau zuhört, ihm gehen dieselben Fragen durch den Kopf wie mir, nun berührt<br />
man die getragene Stimmung dieses Menschen, spricht in diese Stimmung<br />
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hinein. Da gibt es schon einen Ton, einen Einfall. Und wenn wir so am Mikrophon<br />
stehen und aus der Schreibe eine Rede machen, so ist die Wirkung eine<br />
unmittelbare. Ich glaube, es ist auch so, daß der Einfall, die Veränderung des<br />
geschriebenen Manuskripts nichts Endgültiges ist. Wenn ich vor der Aufgabe<br />
stehe, denselben Gegenstand vor einem anderen Sender noch einmal zu<br />
behandeln, so ändere ich abermals, was ich niedergeschrieben habe, und ändere<br />
es zum dritten Male bei der nächsten Gelegenheit. Ich weiß nicht, warum es so<br />
ist, aber ich habe am Sender genau wie auf dem Rednerpult einem sichtbaren<br />
Publikum gegenüber den Eindruck von einem mitschaffenden Auditorium.<br />
Ich freue mich, daß wir auch in der Behandlung der Frage des Dramas, des<br />
Hörspiels auf das Wort gelangt sind. Was Schnack gesagt hat, trifft zu. Es handelt<br />
sich hier wirklich um eine Möglichkeit, die über alles uns bisher Bekannte<br />
hinausgeht. Wir können dem Rundfunk sehr dankbar sein, daß er dem Leben das<br />
gesprochene Wort wieder nahebringt. Und daß er die Dichter mit etwas bekannt<br />
macht, was seit den Rhapsoden der alten Zeit verloren ging und auch, trotz<br />
Luther, in einem papiernen Zeitalter der Literatur nicht wieder erwachte. Ich bin<br />
von diesen Möglichkeiten des gezielten, fliegenden Wortes ganz ergriffen. Ich<br />
finde es erfreulich, daß hier von Mann zu Mann gesprochen wird über Dinge, die<br />
uns so sehr berühren. Ich habe das Gefühl, daß hier ein Funke übergesprungen<br />
ist. Wir, die wir in den technischen Problemen der Sprachgestaltung drinstecken,<br />
und Sie, die verwandte Probleme im Sinne größter Übertragungen bearbeiten,<br />
haben etwas Gemeinsames. Sie müssen die Weiterleitung übernehmen. Wenn hier<br />
ein Kontakt sich schließt, ist etwas Fabelhaftes geschaffen. Aus dieser Tagung<br />
braucht kein Beschluß und keine gemeinschaftliche Maßnahme hervorzugehen,<br />
wenn nur einfach die Intensität derer, die hier zusammenkamen, in ihrem<br />
Verhältnis zum Instrument der Fernwirkungen sich steigert. Alles weitere wird<br />
von selbst daraus folgen.<br />
Nur noch eins. Es ist wahr, daß viele von uns, die gelegentlich für den Funk<br />
arbeiten, nicht regelmäßige Rundfunkhörer sind. Ich gestehe, ich habe selbst<br />
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keinen Apparat. Ich habe mir noch keinen anschaffen können. Ich habe mir zu<br />
helfen gewußt, aber oft gibt es doch Dinge, die ich gern hören würde, sie gleiten<br />
mir dann weg. Ich möchte, was hier mit einer kleinen Ironie gesagt wurde, nicht<br />
ganz so ironisch betrachten; denn es ist wirklich so, daß mancher von uns sich<br />
einfach keinen Apparat anschaffen konnte, wenigstens keinen guten. Ich denke,<br />
daß wir bei größter Intensität der Arbeit auch über diese Klippe hinwegkommen<br />
werden.<br />
Dr. Döblin: Ich habe zwei kleine Anregungen zu geben. Ich glaube nicht, daß Herr<br />
Paquet vollkommen recht hat. Ein kleiner Apparat ist nicht sehr teuer, wir können<br />
ihn wirklich alle anschaffen. Aber ich möchte anregen, eine Verbindung der<br />
Autoren, wie sie hier besteht, mit den Rundfunkgesellschaften, eine solche<br />
Verbindung in irgendeiner Weise fest und permanent zu gestalten. Diese müßte<br />
uns die Möglichkeit geben, die wir in Sendestädten wohnen, die Arbeit an einer<br />
Funkstelle zu sehen, damit wir die technischen Mittel kennenlernen, mit denen<br />
wir arbeiten sollen. Wie Sie das einrichten wollen, überlegen Sie sich bitte selbst.<br />
Zweitens möchte ich zu der Kontroverse Zweig und Hardt über die Frage des<br />
Auftrages folgendes ausführen. Hardt sieht ein ausgeprägtes Kollektivum im<br />
Mittelalter, das Madonnenbilder und alle möglichen anderen Aufträge geben<br />
konnte. Solche Kollektiva sind auch heute wirksam und real. Wir könnten in<br />
derselben Weise wie von Päpsten und Fürsten heute Aufträge bekommen; und ich<br />
möchte unterstreichen, daß wir diese Aufträge ersehnen, nicht aus materiellen,<br />
sondern aus ideellen Gründen. Unsere Isoliertheit ist grenzenlos, und die<br />
Wirkung eines großen Kollektivismus ist uns erwünscht und macht produktiv.<br />
Geben Sie uns doch diesen Kontakt! Jetzt fragen die Sender: wie sollen wir das<br />
machen? Da fällt mir ein sehr unangenehmes Möbel der Rundfunkgesellschaften<br />
ein, das ist der Beirat und die politische Kontrollkommission, die Sie überall<br />
haben und die dazu da ist, politisch das Ganze zu „neutralisieren“. Sie ist an sich<br />
wohl für bestimmte Zwecke notwendig. Aber, meine Herren, aktivieren Sie im<br />
Sinne der „Auftraggeber“ diese Kommissionen! Neutralisieren ist gut, Aktivieren<br />
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ist besser: das mögen diese Kommissionen wissen und uns Themen geben. Sie<br />
mögen Aufträge produzieren! Bedenken Sie in den Funkgesellschaften, daß Sie in<br />
sich die Möglichkeit haben, Kollektivaufträge uns zu vermitteln.<br />
Vorsitzender Dr. Flesch: Zu dem, was Herr Döblin gesagt hat, möchte ich<br />
bemerken: so unerwünscht uns auch die Neugierigen im Senderaum sind, so<br />
erwünscht sind uns diejenigen, von denen wir das kommende Hörspiel erwarten.<br />
Es war aber in Berlin immer so, daß der wirklich Befugte sich mit großem<br />
Interesse unserer Arbeit zugewandt hat, daß er auch bei der Arbeitsausfeilung<br />
dabei war.<br />
Intendant Bischoff: Ich habe einige Bemerkungen zur Praxis zu machen. Was<br />
Herr Döblin und Herr Zweig vorgeschlagen haben, geschieht bereits bei uns im<br />
Schlesischen Sender. Es dürfte vielleicht einigen von Ihnen durch die<br />
Veröffentlichung unseres Winterprogramms nicht ganz unbekannt sein, daß die<br />
Schlesische Funkstunde nicht nur einzelne Aufträge, sondern überhaupt das<br />
ganze Winterprogramm, soweit es Musik und Hörspiele umfaßt, in Auftrag<br />
gegeben hat. Ich gebe die Aufträge selbst an die betreffenden Autoren weiter auf<br />
Grund bereits entwickelter Szenarien. Nur so ist der Autor in der Lage, sich mit<br />
den Formproblemen des Rundfunks auseinanderzusetzen. Wir haben bereits<br />
dergestalt eine Arbeitsgemeinschaft geschaffen, die sich nicht nur auf das kleine<br />
Schlesien bezieht, sondern auch durch Korrespondenz in sehr fruchtbarer und<br />
ausführlicher Weise in Gemeinschaft mit auswärtigen Kräften arbeitet. Ich<br />
wundere mich deshalb darüber, daß Herr Kyser, mit dem polemisch mich<br />
auseinanderzusetzen ich nun wieder das Vergnügen hatte, sagt, ich hätte vorhin<br />
seine Anfrage mit einer Handbewegung abgetan. Gerade ich stehe auf dem<br />
Standpunkt, daß aufgerufen werden muß, damit alle Autoren mit uns arbeiten.<br />
Herr Hardt hat bereits gesagt, daß gemeinsam die Absicht bestand, die<br />
Arbeitstagung praktischer zu gestalten durch Vorführung geeigneter Aufnahmen<br />
aus bereits erprobter Hörspielliteratur. Es ist schade, daß die<br />
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Schallplattenaufnahmen nur teilweise gelangen und ein Vorführungsapparat nicht<br />
zur Verfügung steht.<br />
Um noch einmal meinen Standpunkt zusammenzufassen: wenn diese<br />
Hörspielliteratur noch nicht gültige Dichtung ist, so besagt das für die<br />
augenblickliche Entwicklung gar nichts. Es ist mir tausendmal lieber, wenn sich<br />
ein lebendig vorgetragener Inhalt mit einer lebendigen, einfallsreichen Funkform<br />
deckt, als vor das Mikrophon ein Buchdrama zu bringen; vor das Mikrophon, das<br />
völlig anderen Gesetzen gehorchen muß, wenn man, wie ich, an die Entwicklung<br />
unseres Instruments glaubt.<br />
Dr. von Boeckmann: Wenn ich Sie gebeten habe, einmal selbst Rundfunkhörer zu<br />
werden, so habe ich dabei zunächst an eine mehr gefühlsmäßige Beziehung zum<br />
Rundfunk im Ganzen gedacht, die ja doch wohl immer die erste Voraussetzung<br />
auch für den Einfall ist. Aus dem, was Sie bei uns hören, wird Ihnen der Einfall<br />
kommen. Mit diesem Einfall kommen Sie nun zu uns, und wir werden ihn<br />
gemeinsam besprechen und Ihnen dabei das, was Herr Döblin meint, vermitteln,<br />
nämlich die Tonwirkung im Lautsprecher zu studieren. Ich halte es für<br />
unerläßlich, daß Sie sich, unterstützt durch uns, persönliche Kenntnis der<br />
Lautübermittlung durch Rundfunk verschaffen. Die Sendegesellschaften werden<br />
zweifellos Sie hierbei stets mit offenen Armen empfangen. Jedenfalls ist dies bei<br />
uns in München immer so gewesen.<br />
Von Lernkursen verspreche ich mir sehr wenig. Man kann diese Dinge, die sehr<br />
stark erlebnishafter Natur sind, nicht schulmäßig betreiben. Es wird sich folglich<br />
immer um individuelle und spezielle Aufklärung handeln.<br />
Georg Engel: Meine Damen und Herren! Ich möchte mir eine kleine Anregung<br />
erlauben. Es ist hier von unserem Freunde Dr. Döblin angeregt worden, daß die<br />
Kontrollkommission am letzten Ende der große Mäzen sein soll. (Nein!) Ich<br />
möchte sagen,. ohne mich darauf einzulassen, daß mir ein anderes beim<br />
Rundfunk bereits bestehendes Institut viel geeigneter erscheint, Kulturgüter<br />
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auftragsmäßig zu vergeben, nämlich der Kulturbeirat des Rundfunks, dessen<br />
Präsidenten ich in meinem verehrten Nachbarn, Herrn, Geheimrat Waetzoldt,<br />
neben mir sitzen sehe. Gestatten Sie mir darüber einige kurze Worte! Ich will<br />
nicht etwa über Zensur reden, ich halte es aber doch für sehr möglich, daß wenn<br />
einem Dichter von der Rundfunkzensur irgendein Leid geschehen sollte, was bei<br />
der heutigen Zusammensetzung der Intendantur des Rundfunks allerdings nicht<br />
sehr wahrscheinlich ist, daß wir eine Appellationsbehörde schaffen, die wiederum<br />
durch den Kulturbeirat gestellt wird.<br />
Als letztes habe ich den dringenden Wunsch, daß innerhalb des Kulturbeirats<br />
auch der Dichter vertreten sein möge, was bisher nicht der Fall ist. Ich möchte die<br />
Rundfunkgesellschaften also bitten, da, wo ein Kulturbeirat existiert, auch dem<br />
Dichter Gehör zu verschaffen.<br />
Vorsitzender Dr. Flesch: Ich möchte dazu nur sagen, daß sowohl der Kulturbeirat<br />
als auch der Überwachungsausschuß sich dem Einfluß des Rundfunks entziehen;<br />
das sind reine Behördenangelegenheiten.<br />
Hans Heinrich Ehrler: Ich hätte gern manches von meinem abseits gebildeten<br />
Standpunkt auf dieser Tagung gesagt, aber die. Zeit reicht nicht dazu. Ich will<br />
deshalb nur auf einen Gedanken eingehen, den Herr Ernst Hardt vorhin über<br />
Gesicht und Gehör vorgebracht hat.<br />
Ich war einmal mit mehreren Personen zusammen; unter uns befand sich auch<br />
ein Fräulein. Da trat ein Blinder in unseren Raum und begrüßte das Fräulein. Das<br />
Fräulein begrüßte ihn. Darauf sagte der Blinde zu dem Fräulein: „Fräulein, Sie<br />
sind blond und haben blaue Augen“.<br />
Der Blinde hat nach dem Gehör, aus der Stimme des Mädchens auf die Art ihrer<br />
Erscheinung geschlossen. Oder vielmehr die Stimme schuf ihm die Erscheinung.<br />
Auch wir sahen plötzlich das Mädchen ganz neu geoffenbart blond und<br />
blauäugig, sahen nicht nur ihre Erscheinung, sondern ihr Wesen. Sie wissen, was<br />
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ich mit dieser Geschichte andeutend sagen möchte, daß wir vielleicht hinter den<br />
Sinnen einen unserer Erfahrung nach magisch wirkenden Zentralsinn haben. Von<br />
der Andeutung mag Licht auf die erst begonnene Aufgabe des Rundfunks fallen,<br />
dem Wort die Macht eines reicheren und empfindsameren Formvermögens zu<br />
geben für unsere ganze innere Vorstellungswelt, als wir es bisher an uns<br />
dürftigen Sinnesmenschen gewohnt sind. Das sichtbare Wort wird uns geschenkt.<br />
Ich glaube, daß man diese Dinge vorerst nicht sachlich darstellen kann, aber<br />
irgendwie möchte ich damit anzeigen, daß der Rundfunk eine sehr schöne und<br />
edle Aufgabe hat und wir kein Gebiet der Dichtung von ihm ausschließen wollen.<br />
Nur müssen die Dichter ihres ernsten Amtes, ihrer Berufung bewußt sein; es<br />
muß, was sie geben, wesentliches Wort sein. Denn wie die Stimme unbarmherzig<br />
im Mikrophon wahr oder falsch wirkt, um wieviel mehr ihr eingeschlossener<br />
Körper und ihre innewohnende Seele?<br />
Vorsitzender Dr. Fulda: Am Schlusse unserer offiziellen Tagung angelangt,<br />
glaube ich im Namen aller Kollegen von der Literatur zu sprechen, wenn ich der<br />
Freude und Befriedigung Ausdruck gebe über den Verlauf dieser Tagung. Wir<br />
haben wohl allgemein die Meinung gewonnen, daß unser Verhältnis zum<br />
deutschen Rundfunk nicht nur klarer, sondern auch herzlicher geworden ist, daß<br />
man da Verständnis für die Forderungen der modernen Literatur besitzt, und daß<br />
Sie, was an Ihnen liegt, das neue bedeutsame Instrument ausbauen werden im<br />
Interesse des deutschen Schrifttums.<br />
Ich möchte Ihnen im Namen der Sektion für Dichtkunst der Preußischen<br />
Akademie der Künste eine Resolution vorschlagen, mit der wir hoffen, den<br />
deutschen Rundfunkgesellschaften im Hinblick auf das Ziel zu Hilfe zu kommen;<br />
eine Resolution, die selbstverständlich nur die Literaturvertreter fassen können:<br />
„Die zu einer Arbeitstagung „Dichtung und Rundfunk“ versammelten Vertreter<br />
des deutschen Schrifttums sprechen das dringende Verlangen aus, daß die<br />
Reichspost dem Rundfunk die Mittel nicht noch mehr verkürzt, deren er zu seiner<br />
weiteren Entwicklung und zur Erfüllung seiner Kulturpflichten bedarf.“<br />
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Die Resolution wird von den anwesenden Autoren angenommen.<br />
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Vorsitzender Oskar Loerke: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Erlauben<br />
Sie mir ein kurzes abschließendes Wort. Die Absicht der einladenden<br />
Körperschaften, durch diese Tagung ihre Vorträge, ihre Aussprachen und auch<br />
ihre Geselligkeit - die Vertreter des Rundfunks und die Vertreter der<br />
verschiedenen Dichtungsgebiete in eine nähere Beziehung zu bringen und eine<br />
vertrauensvolle Zusammenarbeit anzubahnen, scheint mir erfüllt, und gewiß darf<br />
die Tatsache, daß Sie der Einladung willig gefolgt sind und hier als Sprecher und<br />
Hörer hingegeben mitgearbeitet haben, als Dokumentierung eines schon früher<br />
vorhanden gewesenen Vertrauens gedeutet werden. Steht also der Anfang<br />
unseres Zusammenschlusses zu gemeinsamem Wirken für Verbreitung und<br />
Entfaltung der Dichtung unter einem glücklichen Zeichen, so dürfen wir wohl<br />
herzlich hoffen und bestimmt erwarten, daß wir in Zukunft die Verbindung nicht<br />
nur nicht verlieren, sondern zur Beratung immer fruchtbarerer Arbeiten<br />
zusammenkommen.<br />
Schluß der Tagung<br />
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede<br />
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist<br />
ohne Zustimmung des Rechteinhabers unzulässig und strafbar. Das gilt<br />
insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und<br />
die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />
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