pdf (559 KB) - Mediaculture online
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Aussprache<br />
http:/ /www.mediaculture- <strong>online</strong>.de<br />
Vorsitzender Ernst Hardt: Meine Herren! Ich möchte auf einige Punkte in den<br />
Ausführungen der Herren Referenten zurückkommen, weil uns daran liegen muß,<br />
Seitenwege, die nach unseren Erfahrungen vielleicht Irrwege sind, sofort zu<br />
verbauen. Jemand hat gesagt, der Autor solle vor dem Mikrophon möglichst nicht<br />
selbst lesen, wenn er nicht zufällig sehr gut lesen kann. Ich möchte dazu<br />
bemerken, daß wir ja alle aus den literarischen Gesellschaften, aus den<br />
Vortragssälen diejenigen Autoren unter uns kennen, welche, wenn sie selbst<br />
lesen, ihre Werke fördern, und solche, die das Werk dadurch schädigen. Aber vor<br />
dem Mikrophon steht die Geschichte etwas anders. Wir können im Rundfunk<br />
nicht jenen Vortragskünstler brauchen, den man, glaube ich, Rezitator nennt, wir<br />
können auch nicht den Schauspieler gebrauchen, welcher Epik und Lyrik<br />
vorspielt. Denn dieses rätselhafte weiße Ding Mikrophon hat eine ganz gemeine<br />
Eigenschaft, es offenbart nicht nur den akustischen Ton, sondern alles, was<br />
dahinter ist, und bei dem Rezitator ist gewöhnlich etwas dahinter, das in gar<br />
keinem Verhältnis zu der geistigen und seelischen Haltung dessen steht, was er<br />
vortragen will. Der Autor aber, der sich selbst liest, der vielleicht schlecht spricht,<br />
meinetwegen lispelt, ist jedoch menschlich seinem Werke gewachsen, und das ist<br />
für das Mikrophon wichtiger als alle Rezitatorenkünste. Ich selbst habe einen<br />
großen Teil deutscher Dichter in ihrer Persönlichkeit und Menschlichkeit erst<br />
durch das Mikrophon kennen und lieben gelernt, obwohl sie nicht übermäßig gut<br />
lasen.<br />
Dann möchte ich einen zweiten, wie ich glaube, irrtümlichen Weg verbauen. Herr<br />
Zweig hat von dem Stegreiferzähler vor dem Mikrophon gesprochen, und schon<br />
vor Monaten hat ein sehr rundfunkverwandter Mensch einen ähnlichen Gedanken<br />
geäußert. Ich glaube, dem liegt ein großer Irrtum zugrunde. Der Rhapsode des<br />
Mittelalters, der Minnesänger, hat, ehe er seine Vortragstournee, von der er leben<br />
mußte, anfing, das, was er dort scheinbar improvisiert vortragen wollte, mühsam<br />
und fleißig auswendig gelernt und den Anschein der Improvisation<br />
schauspielerisch geübt. Alle künstlerische Form bedingt unendliche künstlerische<br />
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