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hat, muß Sendefolge einsehen, der auch nur einen flüchtigen Blick in die<br />
Sendefolge des Rundfunks tut.<br />
Ich allerdings rechne den liedmäßigen Vortrag lyrischer Gedichte nicht zur Lyrik.<br />
Ich schätze es gar nicht, wenn ein lyrisch echtes Gedicht „vertont“ wird, denn die<br />
Vertonung ist ja gerade das Beste, was der Dichter seinem Werke gibt. Daß seine<br />
Verse schon ganz Musik waren und dabei doch immer Verse geblieben sind, das<br />
war das Höchste, was Frangois Coppeé am Grabe Verlaines von dessen Kunst<br />
rühmen durfte. Mittelmäßige Gedichte profitieren immer durch die Musik, die von<br />
außen an sie herangetragen wird, denn es wird dabei der natürliche Mangel<br />
solcher Gedichte, wenn auch nicht behoben, so doch wenigstens verdeckt. Aber<br />
die echte Lyrik wirklicher Dichter müßte nach meiner Überzeugung unter<br />
Denkmalschutz gestellt werden und vor der Vertonung bewahrt bleiben. Ich<br />
nehme dabei auch Komponisten vom musikalischen Range eines Schumann,<br />
Schubert, Brahms, Reger, Wolf und Strauß keineswegs aus. Ich gebe zu, man kann<br />
diesen Standpunkt als einseitig und übertrieben bezeichnen, aber es wird mich<br />
jeder verstehen, der sich schon darum gemüht hat, die Melodie des Konzertsaales<br />
zu vergessen und die den Worten selbst inneseiende Musik eines lyrischen<br />
Gedichtes wiederzufinden. Denn die original und organisch wirksame Musik im<br />
Sprachkörper - das lyrische „Vitamin“, wie es der Herr Referent genannt hat -<br />
geht in der Garküche des künstlerischen Liedgesanges nicht nur verloren; es wird<br />
ersetzt durch Essenzen, die aromatisch sehr stark sind, und die den Sinn für das<br />
Ursprüngliche und Artgemäße herabsetzen, ja sogar zerstören können. Es hängt<br />
dies damit zusammen, daß, wie Dessoir sagt, die Musik „die zudringlichste aller<br />
Künste“ ist: wenn sich Lyrik und Musik kopulieren, zieht die Musik die Hosen an.<br />
Und aus diesem Grunde ist es nur natürlich, daß nach ästhetischem Brauche der<br />
Gesang auch nicht zur Dichtung, sondern zur Musik gezählt wird.<br />
Ich habe noch einem möglichen Irrtume vorzubeugen. Man könnte bei meiner<br />
Einstellung zum lyrischen Kunstgesang annehmen, ich schätzte die Musik nicht,<br />
oder ich hätte kein Organ für sie! Meine Herren! Ludwig XV. liebte es nicht, wenn<br />
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