pdf (559 KB) - Mediaculture online
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Fortsetzungsroman gemacht hat, - ich dachte also weniger an die Form einer<br />
Fidelitasrede, wenn ich vorschlug, im Rundfunk zu improvisieren, als an die<br />
große improvisierte Komödie, die ein lang erprobtes und traditionserprobtes<br />
Theaterensemble mit seinem Dichter verabredet, zum Beispiel in Neapel. Hierbei<br />
wird zunächst einmal eine Handlung verabredet. Diese Handlung ist insofern<br />
schon vorgezeichnet, als sie immer wieder von den gleichen Typen und in der<br />
gleichen Art des Ablaufs gespielt wird. Diese Komödie nimmt drei bis fünf<br />
Charaktere nach einem immer wieder neuen Handlungsschema in Anspruch,<br />
Charaktere, die charaktermäßig vollkommen festgelegt sind (Harlekin,<br />
Colombine, Polichinell, der gehörnte Ehemann), und dann wird eine Szene nach<br />
der anderen durchgesprochen, danach aber improvisiert gespielt; aus einem Typ<br />
und Charakter heraus, der von vornherein vom Hörer erwartet wird, und der<br />
dadurch völliges Leben bekommt, daß die vorliegende neue Erfüllung sich mit der<br />
jeweilig alten Erwartung deckt oder von ihr in Schattierungen abweicht. So etwa<br />
meine ich den erzählten Roman. Jeder, der gewohnt ist, intensiv zu arbeiten, legt<br />
seinem Roman ein Stadium zugrunde, das vielleicht mehrere Jahre dauert und<br />
darin besteht, die Fabel bis ins kleinste hin zu kristallisieren. Diese Kristallisation<br />
kann nun, wenn sie einmal vorhanden ist, ebensogut Abend für Abend, von 25<br />
Minuten zu 25 Minuten kapitelweise erzählt werden. Ich habe nun ausdrücklich<br />
gesagt, daß diese Form der Erzählung nicht die Anforderungen durchgebildeter<br />
Einzelwortwahl erfüllen kann. Sie soll vielmehr durch ihre Art der gesprochenen<br />
Darbietung, durch die lebendige Wortbildung und die vorwärtsgetragene<br />
Charakteristik und Handlung denjenigen schlechten epischen Gebilden den<br />
Boden abgraben, die heute als Massenromane gelesen werden und eine<br />
ungeheure suggestive Wirkung auf Millionen von Menschen ausüben, nämlich die<br />
des Durchschnittsbuches.<br />
Ich bin der Überzeugung, daß sich besondere Talente für diese Kunstform finden<br />
werden, die sogar hochwertige literarische oder dichterische Produkte dieser Art<br />
schaffen werden. Es gibt noch heute große improvisatorische Talente. Ich nenne<br />
nur Rudolf Borchardt; wer dessen Reden je gehört hat, wird mir beipflichten. Es<br />
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