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07 - Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen

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<strong>B<strong>und</strong>esamt</strong> zur Regelung <strong>offene</strong>r<br />

<strong>Vermögensfragen</strong><br />

Rechtsprechungsübersicht<br />

<strong>07</strong>/2002<br />

vom 10. Juli 2002<br />

Seite<br />

BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2002, Az.: 7 C 16.01 4717 3<br />

Voraussetzungen eines verfolgungsbedingten Zwangsverkaufs;<br />

redlicher Erwerb nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG; Erbauseinandersetzungsvertrag<br />

über einen zurückverlangten Vermögenswert<br />

§ 1 Abs. 6,<br />

§ 4 Abs. 2 Satz 1 VermG<br />

BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2002, Az.: 8 B 140.01 4596 7<br />

Enteignung auf besatzungsrechtlicher bzw. -hoheitlicher Gr<strong>und</strong>lage;<br />

Enteignungsverbot <strong>für</strong> ausländisches Vermögen; Frage der<br />

Staatsangehörigkeit des Enteigneten; Beweislast; sog. “non liquet”<br />

§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />

BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2002, Az.: 7 C 5.02 4611 9<br />

Rückübertragungsantrag; Ausschlussfrist; Rückgabebegehren<br />

vor In-Kraft-Treten der Anmeldeverordnung; Anpassung; Wertausgleich<br />

§ 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG<br />

BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2002, Az.: 7 C 17.01 4630 13<br />

Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes; isolierte<br />

Rücknahme des Widerspruchsbescheides durch die Ausgangsbehörde;<br />

Ermessen<br />

§ 48 VwVfG<br />

VG Magdeburg, Urteil vom 5. März 2002, Az.: 5 A 327/01 MD 4609 17<br />

Grenzfeststellungskosten; Restitution; Sonderung; Besitzeinräumung;<br />

Beseitigung der Grenzsteine; Kosten des Verfahrens;<br />

Vermessungskosten; Folgemangel; Grenzverwirrung; Abmarkungskosten<br />

§ 34 Abs. 2 <strong>und</strong> 3,<br />

§ 38 Abs. 1 VermG<br />

- 2 -


- 2 -<br />

BVerwG, Beschluss vom 11. März 2002, Az.: 7 B 18.02 4618 21<br />

Ersatzgr<strong>und</strong>stück; Verfassungsmäßigkeit der Aufhebung des<br />

§ 9 VermG; Anwartschaftsrecht; Vertrauensschutz; Gleichheitssatz<br />

§ 9 VermG;<br />

Art. 1 Nr. 2 VermRErgG;<br />

Art. 3 Abs. 1,<br />

Art. 14 GG<br />

BVerwG, Beschluss vom 18. März 2002, Az.: 7 B 80.01 4612 25<br />

Überschuldung, Ursächlichkeit der nicht kostendeckenden Mieten<br />

bei teils eigengenutzten, teils fremdgenutzten Gr<strong>und</strong>stücken<br />

§ 1 Abs. 2 VermG<br />

BVerwG, Urteil vom 8. Mai 2002, Az.: 7 C 18.01 4639 27<br />

Entschädigungsberechtigung; Schädigungstatbestand als Teil<br />

der Berechtigtenfeststellung; Regelungsinhalt des Feststellungsbescheids;<br />

In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetze nach der<br />

Berechtigtenfeststellung; Entschädigung nach dem NS-<br />

VEntschG; nachträglicher Eintritt der Beschwer; Änderung der<br />

Berechtigtenfeststellung; Klagefrist; Jahresfrist; Wiederaufgreifen<br />

des Verfahrens<br />

§ 1 Abs. 1 Buchst. a <strong>und</strong> Abs. 6,<br />

§ 2 Abs. 1 Satz 1 VermG;<br />

§ 1 Abs. 1 Satz 1,<br />

§ 2 Satz 2 NS-VEntschG;<br />

§§ 48, 49, 51 VwVfG<br />

Herausgeber: <strong>B<strong>und</strong>esamt</strong> zur Regelung <strong>offene</strong>r <strong>Vermögensfragen</strong><br />

Mauerstr. 39 - 40, 10117 Berlin; Postfach 305, 101<strong>07</strong> Berlin<br />

Telefon (030) 22310 - 0; Telefax (030) 22310 – 260;<br />

E-Mail: post@barov.b<strong>und</strong>.de;<br />

Internet: http://www.barov.b<strong>und</strong>.de<br />

Ansprechpartner:<br />

- Verteiler <strong>und</strong> Versand der Rechtsprechungsübersicht:<br />

Frau Breitfeld, App. 124<br />

- Für Behörden zwecks Übersendung der Entscheidungen im Volltext<br />

(Bitte die in genannten Ziffern <strong>und</strong> die Nummer der RÜ angeben): Frau Fräsdorf, App. 115<br />

- 3 -


Voraussetzungen eines verfolgungsbedingten<br />

Zwangsverkaufs; redlicher Erwerb nach § 4<br />

Abs. 2 Satz 1 VermG; Erbauseinandersetzungsvertrag<br />

über einen zurückverlangten<br />

Vermögenswert<br />

Leitsätze des Bearbeiters (nicht amtlich):<br />

- 3 -<br />

§ 1 Abs. 6,<br />

§ 4 Abs. 2 Satz 1 VermG<br />

1. Ein Erbauseinandersetzungsvertrag über einen zurückverlangten Vermögenswert begründet<br />

keinen redlichen Erwerb im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG, weil es sich dabei nicht<br />

um einen vom Erbfall losgelösten Folgeerwerb handelt; deshalb ist auch nach der Auseinandersetzung<br />

jeder Miterbe so zu behandeln wie der Erblasser selbst.<br />

2. Zu den Voraussetzungen eines verfolgungsbedingten Zwangsverkaufs im Sinne des § 1<br />

Abs. 6 VermG.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2002, Az.: 7 C 16.01<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Frühere Eigentümer des streitgegenständlichen Gr<strong>und</strong>stücks waren zwei jüdische Geschwister.<br />

Im Jahr 1936 veräußerten diese das Anwesen an den Schwiegervater der Klägerin. Der<br />

Kaufpreis lag über dem vor dem Verkauf herabgesetzten Einheitswert des Gr<strong>und</strong>stücks.<br />

Aufgr<strong>und</strong> eines im Jahr 1967 geschlossenen Erbauseinandersetzungsvertrages ging das<br />

Gr<strong>und</strong>stück auf den Ehemann der Klägerin über.<br />

Nachdem das ARoV den Antrag auf Rückübertragung der Beigeladenen, als Rechtsnachfolgerin<br />

der früheren jüdischen Eigentümer, abgelehnt hatte, übertrug das LARoV das Gr<strong>und</strong>stück<br />

auf die Beigeladene, auf deren Widerspruch hin, zurück. Dies begründete es u. a. damit, dass<br />

die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes nach § 1 Abs. 6 VermG nicht<br />

widerlegt worden sei. Insbesondere fehle es an einem Beweis da<strong>für</strong>, dass der Kaufvertrag auch<br />

ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre.<br />

Das Verwaltungsgericht gab der hiergegen erhobenen Klage im Hinblick auf die Rückübertragung<br />

des Gr<strong>und</strong>stücks statt <strong>und</strong> wies im Übrigen die Klage ab. Zwar habe der Beklagte zu<br />

Recht die Berechtigung der Beigeladenen festgestellt. Jedoch bestehe kein Anspruch auf<br />

Rückübertragung, weil der verstorbene Ehemann der Klägerin das Gr<strong>und</strong>stück im Wege der<br />

Erbauseinandersetzung redlich erworben habe.<br />

Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision begründeten der Beklagte <strong>und</strong> die Beigeladene<br />

damit, dass nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts ein Erbauseinanderset<br />

- 4 -


- 4 -<br />

zungsvertrag über den zurückverlangten Vermögenswert nicht geeignet sei, einen redlichen<br />

Erwerb zu vermitteln.<br />

Die Klägerin beantragte, die Revision zurückzuweisen. Es sei bewiesen, dass das Rechtsgeschäft<br />

seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen<br />

worden wäre. Aus dem von einem der beiden Voreigentümer gestellten Antrag<br />

auf Herabsetzung des Einheitswerts lasse sich entnehmen, dass allein der schlechte Zustand<br />

des Hauses <strong>und</strong> die unzureichenden Einnahmen aus dem Gr<strong>und</strong>stück Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> die Veräußerung<br />

gewesen seien. Aus der Zeugenaussage ihrer Schwiegermutter gehe hervor, dass sich<br />

deren Ehemann widerwillig erst dann zum Kauf des Gr<strong>und</strong>stücks entschlossen habe, als er<br />

von den Verkaufsabsichten erfahren habe. Dabei sei es ihm darum gegangen, seine Investitionen<br />

in das Gebäude zu erhalten <strong>und</strong> den Geschäftsstandort beizubehalten.<br />

Das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht erachtete die Revision <strong>für</strong> begründet.<br />

Aus den Gründen:<br />

Die Teilaufhebung des Widerspruchsbescheids des Beklagten verstoße gegen B<strong>und</strong>esrecht.<br />

Das Erwerbsgeschäft des Rechtsvorgängers der Klägerin sei seiner Art nach nicht geeignet<br />

gewesen, einen Rückgabeausschluss nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG wegen redlichen Erwerbs<br />

zu begründen (1.). Da sich das Urteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstelle,<br />

müsse es aufgehoben <strong>und</strong> die Klage im vollen Umfang abgewiesen werden (2.).<br />

1. Die Rückgabe des Vermögenswertes sei nicht wegen redlichen Erwerbs ausgeschlossen.<br />

Ein Erbauseinandersetzungsvertrag über den zurückverlangten Vermögenswert könne keinen<br />

redlichen Erwerb im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG vermitteln, weil es sich dabei<br />

nicht um einen vom Erbfall losgelösten Folgeerwerb handele; deshalb müsse sich auch<br />

nach der Auseinandersetzung jeder Miterbe behandeln lassen wie der Erblasser selbst (vgl.<br />

BVerwG, Urteil vom 13. September 2000 - 8 C 12.99 - Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG<br />

Nr. 11 = RGV B IX 295).<br />

2. Die in der Teilaufhebung des Widerspruchsbescheids liegende Versagung des Rückübertragungsanspruchs<br />

der Beigeladenen erweise sich auch nicht im Ergebnis deswegen als<br />

richtig, weil das Verwaltungsgericht - wie die Klägerin meine - zu Unrecht den Schädigungstatbestand<br />

des § 1 Abs. 6 VermG bejaht habe. Es sei im Gegenteil aus b<strong>und</strong>esrechtlicher<br />

Sicht nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der Widerspruchsbehörde<br />

die vermögensrechtliche Berechtigung der Beigeladenen festgestellt habe.<br />

Da die früheren Eigentümer des Gr<strong>und</strong>stücks Opfer einer Schädigungsmaßnahme nach § 1<br />

Abs. 6 VermG gewesen seien, ergebe sich die Berechtigung der Beigeladenen als deren<br />

Rechtsnachfolger aus § 2 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Satz 1 VermG.<br />

Nach § 1 Abs. 6 VermG sei das Gesetz entsprechend auf vermögensrechtliche Ansprüche<br />

von Bürgern <strong>und</strong> Vereinigungen anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum<br />

8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt<br />

wurden <strong>und</strong> deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder<br />

auf andere Weise verloren haben. Nach Satz 2 dieser Vorschrift, der seinerseits auf die Regelungen<br />

des Art. 3 der Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin<br />

(Rückerstattungsanordnung - REAO -) vom 26. Juli 1949 (VOBl. <strong>für</strong> Groß-Berlin I S. 221)<br />

- 5 -


- 5 -<br />

verweise, werde zugunsten des Berechtigten ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust<br />

vermutet, wenn ein Vermögensgegenstand in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai<br />

1945 durch jemanden veräußert worden sei, der zu einem von den Nationalsozialisten kollektiv<br />

verfolgten Personenkreis gehört habe. Einer solchen kollektiven Verfolgung seien ab<br />

dem Tag der “Machtübernahme” alle Juden, also auch die früheren Eigentümer des Gr<strong>und</strong>stücks<br />

ausgesetzt gewesen.<br />

Die damit zu ihren <strong>und</strong> ihrer Rechtsnachfolger Gunsten wirkende Vermutung eines verfolgungsbedingten<br />

Vermögensverlustes könne, wenn keine anderen Tatsachen eine ungerechtfertigte<br />

Entziehung beweisen oder <strong>für</strong> eine solche Entziehung sprechen würden, nur durch<br />

den Beweis widerlegt werden, dass die Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis erhalten<br />

<strong>und</strong> über diesen haben frei verfügen können (vgl. Art. 3 Abs. 2 REAO). Für Veräußerungen,<br />

die - wie der hier getätigte Verkauf - in der Zeit vom 15. September 1935 bis zum 8.<br />

Mai 1945 vorgenommen worden seien, sei nach Art. 3 Abs. 3 REAO zur Widerlegung der<br />

Vermutung zusätzlich der Beweis erforderlich, dass das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen<br />

Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden<br />

wäre oder der Erwerber in besonderer Weise <strong>und</strong> mit wesentlichem Erfolg den Schutz der<br />

Vermögensinteressen des Berechtigten oder seines Rechtsvorgängers wahrgenommen habe,<br />

beispielsweise durch Mitwirkung bei einer Vermögensübertragung ins Ausland.<br />

Das Verwaltungsgericht habe ohne Rechtsverstoß festgestellt, dass der Klägerin der hier in<br />

Betracht kommende zusätzliche Beweis, dass das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt<br />

nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre,<br />

nicht gelungen sei. Zum Beweis da<strong>für</strong>, habe sich die Klägerin auf den Antrag auf Herabsetzung<br />

des Einheitswerts <strong>und</strong> das Zeugnis ihrer Schwiegermutter berufen. Zwar habe die<br />

Zeugin bestätigt, dass das Haus in sehr schlechtem Zustand gewesen sei <strong>und</strong> bereits bei ihrem<br />

Einzug im Jahr 1933 zum Verkauf gestanden habe. Auch habe sie Kenntnis davon gehabt,<br />

dass weitere Häuser der Voreigentümer in der Nachbarschaft verkauft worden seien.<br />

Das Verwaltungsgericht habe der Beweisaufnahme jedoch nicht entnehmen können, dass<br />

die Veräußerungen nicht verfolgungsbedingt gewesen seien. Die Beweisaufnahme habe über<br />

die Motive des Verkaufs der anderen Gebäude bzw. darüber, warum das umstrittene<br />

Gebäude 1933 nicht mehr zum Verkauf angeboten worden sei, kein klares Bild ergeben.<br />

Da weitere Beweismittel nicht ersichtlich gewesen seien, sei dies zu Lasten der Klägerin<br />

gegangen. Eine fehlerhafte, § 108 Abs. 1 VwGO verletzende Überzeugungsbildung ergebe<br />

sich daraus nicht.<br />

Mitgeteilt von Thomas Kossin<br />

- 6 -


Enteignung auf besatzungsrechtlicher bzw.<br />

-hoheitlicher Gr<strong>und</strong>lage; Enteignungsverbot<br />

<strong>für</strong> ausländisches Vermögen; Frage der<br />

Staatsangehörigkeit des Enteigneten; Beweislast;<br />

sog. “non liquet”<br />

Leitsatz des Bearbeiters (nicht amtlich):<br />

- 7 -<br />

§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />

Die Frage nach der Beweislast <strong>für</strong> die Staatsangehörigkeit des auf besatzungsrechtlicher bzw.<br />

-hoheitlicher Gr<strong>und</strong>lage Enteigneten bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren,<br />

wenn das Verwaltungsgericht insoweit keine Beweislastentscheidung getroffen, sondern vielmehr<br />

festgestellt hat, dass der Betr<strong>offene</strong> in der Zeit von 1933 bis 1945 von deutschen Stellen<br />

als deutscher Staatsangehöriger angesehen worden ist <strong>und</strong> dass während der sowjetischen Besatzungszeit<br />

keine hiervon abweichenden Erkenntnisse aufgetaucht sind.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2002, Az.: 8 B 140.01<br />

Aus den Gründen:<br />

Das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht hat die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der<br />

Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Mai 2001 - 5 K<br />

2372/97 - zurückgewiesen.<br />

Der Zulassungsgr<strong>und</strong> der gr<strong>und</strong>sätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1<br />

VwGO) scheide aus.<br />

Die Beschwerde habe die Rechtsfragen aufgeworfen, wer die Beweislast <strong>für</strong> die Staatsangehörigkeit<br />

des auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Gr<strong>und</strong>lage Enteigneten sowie<br />

dessen tatsächliche Behandlung als deutscher Staatsangehöriger durch deutsche Behörden<br />

in der Zeit von 1933 bis 1945 trage <strong>und</strong> zu wessen Gunsten bzw. Lasten ein “non liquet” in<br />

diesen Fragen bei Anwendung des Restitutionsausschlusses in § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />

aufzulösen sei.<br />

Diese Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren schon deshalb nicht stellen, weil das<br />

Verwaltungsgericht keine Beweislastentscheidung getroffen habe. Es habe vielmehr festgestellt,<br />

dass die Klägerin als Enteignungsbetr<strong>offene</strong> in der Zeit von 1933 bis 1945 bereits von<br />

deutschen Stellen als deutsche Staatsangehörige angesehen worden sei <strong>und</strong> dass während der<br />

sowjetischen Besatzungszeit keine hiervon abweichenden Erkenntnisse aufgetaucht seien.<br />

Daher begegne die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Betr<strong>offene</strong> im Hinblick auf<br />

das <strong>für</strong> ausländisches Vermögen bestehende Enteignungsverbot von den mit der Enteignung<br />

befassten deutschen Stellen zu Recht als deutsche Staatsangehörige behandelt worden sei,<br />

keinen rechtlichen Bedenken. Insoweit habe das Gericht die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts<br />

(BVerwG, Beschluss vom 3. August 1999 - 7 B 70.99 - BARoV-RÜ<br />

- 8 -


- 8 -<br />

13/1999 = RGV B II 242; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2000 - 8 B 128.00 -)<br />

seiner Rechtsprechung zugr<strong>und</strong>e gelegt.<br />

Auch liege der u. a. geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) der<br />

Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO nicht vor.<br />

Das Verwaltungsgericht habe keine weiteren Ermittlungen über die angeblich fehlende deutsche<br />

Staatsangehörigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der entschädigungslosen Enteignung im<br />

Oktober 1945 anzustellen brauchen. Aus einer im Urteilstatbestand wiedergegebenen Urk<strong>und</strong>e<br />

des schwedischen Justizministeriums aus dem Jahr 1946 gehe hervor, dass die Rechtsvorgängerin<br />

der Klägerin “deutsche Mitbürgerin” gewesen sei <strong>und</strong> das schwedische Reichsgericht sie<br />

Anfang des Jahres 1946 naturalisiert habe.<br />

Mitgeteilt von Thomas Kossin<br />

- 9 -


Rückübertragungsantrag; Ausschlussfrist;<br />

Rückgabebegehren vor In-Kraft-Treten der<br />

Anmeldeverordnung; Anpassung; Wertausgleich<br />

Leitsatz des Gerichts:<br />

- 9 -<br />

§ 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG<br />

Ein noch vor In-Kraft-Treten der Anmeldeverordnung durch Abschluss eines Kaufvertrages<br />

erfülltes <strong>und</strong> daher zunächst nicht weiter verfolgtes Rückgabebegehren ist jedenfalls dann als<br />

ein die Ausschlussfrist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG wahrender Antrag anzusehen, wenn es<br />

an die - später - nach § 2 Abs. 2 AnmVO zuständige Behörde gerichtet war.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2002, Az.: 7 C 5.02<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Der Kläger beansprucht die Rückübertragung eines Gr<strong>und</strong>stücks, welches er im Rahmen seiner<br />

Ausreise aus der DDR im Mai 1988 an den Magistrat von Berlin veräußert hatte. Das<br />

Gr<strong>und</strong>stück wurde in Volkseigentum überführt <strong>und</strong> vom Ministerium <strong>für</strong> Staatssicherheit genutzt.<br />

Rechtsträger war die Versorgungseinrichtung des Ministerrates der DDR (VEM).<br />

Nach dem Fall der Mauer bemühte sich der Kläger um die Rückübertragung des Anwesens<br />

<strong>und</strong> erklärte im Februar 1990 gegenüber dem Magistrat von Berlin die Anfechtung des Kaufvertrages,<br />

weil seine Ausreise vom Verkauf des Gr<strong>und</strong>stücks abhängig gemacht worden sei.<br />

Nachdem die VEM die Rechtsträgerschaft auf den Rat des Stadtbezirks Berlin-K. übertragen<br />

hatte, verkaufte dieser das Gr<strong>und</strong>stück am 14. Mai 1990 an den Kläger. Gegen die daraufhin<br />

erfolgte Eintragung des Klägers als Eigentümer im Gr<strong>und</strong>buch erwirkte die Treuhandanstalt<br />

einen Widerspruch.<br />

Mit Vermögenszuordnungsbescheid vom 17. November 1994 stellte die Präsidentin der Treuhandanstalt<br />

fest, dass das Gr<strong>und</strong>stück als ehemaliges Vermögen des Ministeriums <strong>für</strong> Staatssicherheit<br />

in das Eigentum der Beigeladenen übergegangen <strong>und</strong> sein Erwerb durch den Kläger<br />

unwirksam sei. Die dagegen erhobene Klage des Klägers wurde rechtskräftig abgewiesen.<br />

Zuvor hatte der Kläger mit einem am 15. April 1994 beim Amt zur Regelung <strong>offene</strong>r <strong>Vermögensfragen</strong><br />

eingegangenen Schreiben die Rückübertragung des Gr<strong>und</strong>stücks beantragt <strong>und</strong><br />

dazu geltend gemacht, dass er mit Rücksicht auf den vor In-Kraft-Treten der Anmeldeverordnung<br />

<strong>und</strong> des Vermögensgesetzes durchgeführten Rückkauf bisher keinen Antrag gestellt habe;<br />

der seinerzeit abgeschlossene Vertrag müsse aber in einen solchen Antrag umgedeutet<br />

werden. Das Landesamt zur Regelung <strong>offene</strong>r <strong>Vermögensfragen</strong> lehnte den Rückübertragungsantrag<br />

ab, weil der Kläger die am 31. Dezember 1992 endende Antragsfrist des § 30 a<br />

Abs. 1 Satz 1 VermG versäumt habe.<br />

- 10 -


- 10 -<br />

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgewiesen, der<br />

Kläger habe erstmals nach Ablauf der Antragsfrist vermögensrechtliche Ansprüche geltend<br />

gemacht. Auch eine Anmeldung im Sinne der Anmeldeverordnung habe er nicht vorgenommen,<br />

denn diese sei erst ab 15. Juli 1990 möglich gewesen. Der Vertrag mit dem Rat des<br />

Stadtbezirks K. über den Rückerwerb des Gr<strong>und</strong>stücks sei jedoch schon vorher abgeschlossen<br />

worden. Eine Nachsicht wegen Säumnis könne ihm nicht gewährt werden.<br />

Mit seiner Revision gegen dieses Urteil verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Rückübertragung<br />

des Gr<strong>und</strong>stücks weiter. Er beruft sich darauf, dass ihm bei Anwendung der Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts Nachsicht wegen Säumnis gewährt werden müsse.<br />

Aus den Gründen:<br />

Die Revision sei begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletze B<strong>und</strong>esrecht; denn<br />

der Kläger habe die Rückübertragung seines Gr<strong>und</strong>stücks rechtzeitig beantragt. Da der Verlust<br />

des Vermögenswertes auf der Gr<strong>und</strong>lage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts<br />

als unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG zu beurteilen sei,<br />

müsse der Klage stattgegeben werden.<br />

1. Nach § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG könnten auf Gr<strong>und</strong>stücke gerichtete vermögensrechtliche<br />

Rückübertragungsansprüche nach dem 31. Dezember 1992 nicht mehr angemeldet<br />

werden. Diese Frist, die nach der ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts<br />

eine materiellrechtlich wirkende Ausschlussfrist sei (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.<br />

März 1996 - 7 C 28.95 - BVerwGE 101, 39 = ZOV 1996, 292 = VIZ 1996, 390 = ZIP<br />

1996, 1020 = RGV G 117), habe der Kläger entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts<br />

<strong>und</strong> der Verfahrensbeteiligten nicht versäumt. Zwar habe er erst im April 1994 ausdrücklich<br />

Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz geltend gemacht. Dabei<br />

handele es sich jedoch nicht um einen erstmaligen Antrag; sondern er sei der Sache nach<br />

auf sein Rückgabebegehren zurückgekommen, das er schon im Februar 1990 an den Magistrat<br />

von Berlin gerichtet hatte. Bereits damals habe er sich zur Begründung auf den seinerzeitigen<br />

Veräußerungszwang berufen, also auf einen Sachverhalt, der von § 1 Abs. 3 der<br />

Anmeldeverordnung - AnmVO - erfasst würde <strong>und</strong> die Tatbestandsvoraussetzungen einer<br />

unlauteren Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG erfülle.<br />

Zwar habe es das Vermögensgesetz im Februar 1990 ebenso wenig wie die Anmeldeverordnung<br />

gegeben, <strong>und</strong> Anmeldungen hätten nach § 3 Satz 1 AnmVO erst ab dem 15. Juli<br />

1990 eingereicht werden können. Gleichwohl könnten frühere Rückübertragungsbegehren,<br />

wenn über sie bei In-Kraft-Treten des § 2 AnmVO oder des § 30 Abs. 1 VermG noch nicht<br />

entschieden worden sei, als Anmeldung im Sinne der Anmeldeverordnung oder - später -<br />

nach § 30 Abs. 1 Satz 5 VermG als vermögensrechtlicher Rückgabeantrag zu behandeln<br />

sein (vgl. Wasmuth, in: Rechtshandbuch Vermögen <strong>und</strong> Investitionen in der ehemaligen<br />

DDR, Band II, B 140, § 3 AnmVO, Rdnr. 6). Sei, wie im Falle des Klägers, dem Rückübertragungsbegehren<br />

zu diesem Zeitpunkt bereits entsprochen worden <strong>und</strong> stelle sich die<br />

Rückgabe im Nachhinein als unwirksam heraus, müsse über den nicht verbrauchten <strong>und</strong><br />

damit noch anhängigen Antrag erneut entschieden werden, nunmehr nach den jetzt anwendbaren<br />

Vorschriften des Vermögensrechts. Dies gelte jedenfalls dann, wenn, wie hier,<br />

- 11 -


- 11 -<br />

das Begehren bei der Behörde eingereicht worden sei, die später auch nach § 2 Abs. 2<br />

AnmVO zuständig war.<br />

2. Gegen die Annahme einer solchen Identität von ursprünglichem <strong>und</strong> neu gestelltem Begehren<br />

des Klägers spreche auch nicht die Regelung des § 6 Abs. 8 VermG. Nach dieser<br />

Vorschrift könne die Anpassung einer nach den Vorschriften des Unternehmensgesetzes<br />

der DDR vom 7. März 1990 (GBl I S. 141) durchgeführten Unternehmensrückgabe an die<br />

Vorschriften des Vermögensgesetzes verlangt werden. Insoweit würden frühere Unternehmensrückgabebegehren<br />

einem vermögensrechtlichen Unternehmensrückgabeantrag<br />

gleichgestellt. Die Beschränkung der Regelung auf Unternehmensrückgaben bedeute jedoch<br />

nicht, dass im Falle der Einzelrestitution eine solche Gleichsetzung des früheren Begehrens<br />

mit einem vermögensrechtlichen Antrag nicht in Betracht käme. Der begrenzte<br />

Anwendungsbereich der Vorschrift erkläre sich vielmehr daraus, dass es im Falle der vorweggenommenen<br />

Einzelrestitution im Regelfall keinen Anpassungsbedarf an das neue<br />

Recht gegeben habe. Insbesondere habe es - anders als bei der Unternehmensrückgabe -<br />

keine gesetzliche Restitutionsregelung gegeben, die durch die Vorschriften des Vermögensgesetzes<br />

abgelöst worden sei.<br />

Demzufolge sei der Rückübertragungsantrag des Klägers rechtzeitig gestellt.<br />

3. Der Rückübertragungsantrag des Klägers sei auch begründet. Da das Verwaltungsgericht<br />

festgestellt habe, dass der Kläger den Vermögenswert im Zusammenhang mit seiner Ausreise<br />

veräußert hat, bestehe eine nach den Regeln des Anscheinsbeweises zu erschütternde<br />

Vermutung da<strong>für</strong>, dass der Eigentumsverlust auf unlautere Machenschaften im Sinne des §<br />

1 Abs. 3 VermG zurückzuführen sei (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Februar 1996 - 7 C<br />

59.94 - BVerwGE 100, 310 = RGV B IX 147 = ZOV 1996, 213 = OV-spezial 1996, 263 =<br />

VIZ 1996, 335 = NJW 1996, 1909 = NJ 1996, 490; stRspr.).<br />

Anmerkungen:<br />

Das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht wertet die im Februar 1990 erfolgten Bemühungen des Klägers<br />

um Rückübertragung des Gr<strong>und</strong>stücks gegenüber dem Magistrat von Berlin als dessen<br />

fristgemäßes Rückgabebegehren <strong>und</strong> muss daher keine Stellung nehmen zu der von Kläger<br />

<strong>und</strong> Verwaltungsgericht aufgeworfenen Frage der sog. “Nachsichtgewährung”. Deren Voraussetzungen<br />

liegen nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts im Bereich des<br />

Vermögensrechts vor, wenn erstens die Versäumung der Anmeldefrist auf staatliches Fehlverhalten<br />

bei der Anwendung von Rechtsvorschriften zurückzuführen sei, ohne deren korrekte<br />

Beachtung der Anmelder seine Rechte nicht wahren könne, <strong>und</strong> wenn zweitens bei Berücksichtigung<br />

der verspäteten Anmeldung der Zweck des § 30 a VermG nicht verfehlt würde<br />

(vgl. BVerwG, Urteil vom 28. März 1996 - 7 C 28.95 -, a. a. O., m. w. N.). Bei der ersten Voraussetzung<br />

stellt das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht klar, dass das staatliche Fehlverhalten nicht<br />

ausschließlich den <strong>für</strong> die Regelung <strong>offene</strong>r <strong>Vermögensfragen</strong> zuständigen Stellen unterlaufen<br />

sein müsse, in dem der Entscheidung zugr<strong>und</strong>e liegenden Fall handelte es sich um das Nachlassgericht.<br />

Bei der zweiten Voraussetzung führt das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht aus, der<br />

Zweck der Vorschrift verlange insbesondere dann die Beachtung der Ausschlussfrist, wenn<br />

am 31. Dezember 1992 bzw. 30. Juni 1993 <strong>für</strong> den betreffenden Vermögenswert überhaupt<br />

keine vermögensrechtlichen Ansprüche angemeldet worden seien oder die Behörde über angemeldete<br />

Ansprüche bereits entschieden habe oder wenn zu einem rechtzeitig gestellten, aber<br />

noch nicht beschiedenen Antrag auf Rückübertragung eines bestimmten Vermögenswerts ein<br />

- 12 -


- 12 -<br />

weiterer Antrag hinzukäme, mit dem ein anderer Schädigungsvorgang oder eine andere Person<br />

als ursprünglicher Rechtsinhaber in das Verfahren eingeführt würden.<br />

Mitgeteilt von Anette Puhl<br />

- 13 -


Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes;<br />

isolierte Rücknahme des Widerspruchsbescheides<br />

durch die Ausgangsbehörde;<br />

Ermessen<br />

Leitsätze des Gerichts<br />

- 13 -<br />

§ 48 VwVfG<br />

1. Die Ausgangsbehörde ist zu einer isolierten Rücknahme des Widerspruchsbescheides nicht<br />

befugt.<br />

2. Die Ausgangsbehörde kann nach § 48 Abs. 1 VwVfG die Sachentscheidung zurücknehmen,<br />

die durch den Ausgangsbescheid in der Fassung des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheids<br />

gebildet wird. Kann sie keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Erkenntnisse<br />

<strong>für</strong> eine solche Rücknahme anführen, ist diese jedenfalls ermessenswidrig.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2002, Az.: 7 C 17.01<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Klägerin (Verfügungsberechtigte) wendet sich gegen die Rückübertragung von Teilflächen<br />

eines Gr<strong>und</strong>stücks an die Beigeladenen.<br />

Eigentümer des Gr<strong>und</strong>stücks war früher eine Erbengemeinschaft. Die heutigen Mitglieder<br />

dieser Erbengemeinschaft sind die Beigeladenen.<br />

Das damals unbebaute Gr<strong>und</strong>stück sollte <strong>für</strong> ein Bauvorhaben von 128 Wohneinheiten in Anspruch<br />

genommen werden. Im Vorfeld einer Enteignung nach dem Aufbaugesetz veräußerte<br />

die Erbengemeinschaft das Gr<strong>und</strong>stück an Volkseigentum. Als Ausgleich erhielt sie ein kleineres<br />

volkseigenes Gr<strong>und</strong>stück sowie Geld.<br />

Unter Einbeziehung von Nachbargr<strong>und</strong>stücken wurden die 128 Wohneinheiten errichtet. Hier<strong>für</strong><br />

wurde ein Drittel des Gr<strong>und</strong>stückes verwandt.<br />

1990 beantragten die Beigeladenen die Rückübertragung hinsichtlich der Teilflächen, die<br />

nicht <strong>für</strong> das Bauvorhaben verwandt worden waren. Sie machten geltend, sie seien seinerzeit<br />

über den Umfang getäuscht worden, in dem das veräußerte Gr<strong>und</strong>stück tatsächlich <strong>für</strong> das<br />

Bauvorhaben benötigt worden sei.<br />

Das Landsratsamt D. lehnte durch Bescheid vom 22. Oktober 1992 den Antrag mit der Begründung<br />

ab, die Beigeladenen seien nicht Berechtigte.<br />

Gegen diesen Bescheid legten die Beigeladenen Widerspruch ein. Die Beklagte (Widerspruchsbehörde)<br />

erlies daraufhin am 4. Mai 1994 einen Widerspruchsbescheid, in dem die<br />

- 14 -


- 14 -<br />

Berechtigung der Beigeladenen sowie das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen festgestellt<br />

wurden. Weil die Gegenleistung nach § 7 a VermG noch zu ermitteln <strong>und</strong> die Teilflächen<br />

noch zu vermessen waren, verpflichtete die Beklagte das Landratsamt den Antrag unter Beachtung<br />

der Rechtsauffassung der Widerspruchsbehörde erneut zu bescheiden.<br />

Die Klägerin legte gegen den Widerspruchsbescheid kein Rechtsmittel ein.<br />

Durch Bescheid vom 25. April 1995 übertrug das Landratsamt die Teilflächen an die Beigeladenen<br />

<strong>und</strong> verpflichtete diese zur Rückübertragung des seinerzeit erhaltenen volkseigenen<br />

Gr<strong>und</strong>stückes sowie zur Zahlung eines Betrages von 4.335,00 DM an den Entschädigungsfonds.<br />

Gegen diesen Bescheid legten sowohl die Klägerin als auch die Beigeladenen Widerspruch<br />

ein. Die Beigeladenen wandten sich gegen die Verpflichtung zur Rückübertragung des seinerzeit<br />

als Gegenleistung erhaltenen Gr<strong>und</strong>stücks.<br />

Das BARoV äußerte im Mai 1995 gegenüber dem Landratsamt Zweifel am Vorliegen der<br />

Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 3 VermG <strong>und</strong> regte an, den Bescheid des Landratsamtes<br />

in der Gestalt des Widerspruchsbescheides gemäß § 48 VwVfG zurückzunehmen.<br />

Durch Abänderungsbescheid vom 20. September 1995 hob das Landratsamt sowohl seinen<br />

Restitutionsbescheid vom 25. April 1995 als auch den Widerspruchsbescheid vom 4. Mai<br />

1994 auf. Es stellte aber ausdrücklich unter Punkt 3 des Tenors fest, sein ursprünglicher Bescheid<br />

vom 22. Oktober 1992 sei von dieser Entscheidung nicht betroffen.<br />

Gegen den Abänderungsbescheid legten die Beigeladenen Widerspruch ein.<br />

Der Beklagte entschied durch Bescheid vom 1. Juli 1996 sowohl über die Widersprüche der<br />

Beigeladenen <strong>und</strong> der Klägerin gegen den Restitutionsbescheid vom 22. September 1995 als<br />

auch über den Widerspruch der Beigeladenen gegen den Abänderungsbescheid.<br />

Der Beklagte hob den Abänderungsbescheid insgesamt <strong>und</strong> den Restitutionsbescheid insoweit<br />

auf, als er die Beigeladenen zur Rückübereignung des als Gegenleistung erhaltenen Gr<strong>und</strong>stücks<br />

verpflichtete. Er verpflichtete die Beigeladenen stattdessen zur Hinterlegung eines Betrages<br />

von 7.449,00 DM. Im Übrigen wies er die Widersprüche zurück.<br />

Die Klägerin klagte auf Aufhebung dieses Widerspruchsbescheides.<br />

Das Verwaltungsgericht hob den Widerspruchsbescheid vom 1. September 1996 auf <strong>und</strong> begründete<br />

seine Entscheidung damit, dass der Abänderungsbescheid des Landratsamtes rechtmäßig<br />

gewesen sei, weil die Beigeladenen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht Berechtigte<br />

seien. Ihre Berechtigung sei nicht durch den Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 1994<br />

bestandskräftig festgestellt worden. Diesen Widerspruchsbescheid habe die Klägerin mangels<br />

Beschwer nicht anfechten können. Jedenfalls habe das Landratsamt die Berechtigtenfeststellung<br />

zu Recht zurückgenommen. Das Landratsamt sei <strong>für</strong> die Rücknahme zuständig, die Jahresfrist<br />

des § 48 Abs. 4 VwVfG sei nicht verstrichen.<br />

Mit der Revision verfolgen die Beigeladenen ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.<br />

Sie tragen u. a. vor, ihre Berechtigung sei bereits durch den ersten Widerspruchsbescheid der<br />

Beklagten aus dem Jahre 1994 bestandskräftig festgestellt worden.<br />

- 15 -


Aus den Gründen:<br />

- 15 -<br />

Das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Revision der Beigeladenen begründet<br />

ist. Das Urteil des VG verletze B<strong>und</strong>esrecht. Entgegen der Auffassung des VG habe die<br />

Klägerin die bestandskräftig gewordene Feststellung der Berechtigung der Beigeladenen nicht<br />

mehr anfechten können. Das VG habe deshalb nicht in der Sache nachprüfen dürfen, ob die<br />

Beigeladenen Berechtigte seien (1.).<br />

Die weitere Annahme des VG, das Landratsamt habe den Widerspruchsbescheid rechtmäßig<br />

zurückgenommen, sei nicht mit § 1 des Vorläufigen Verwaltungsverfahrensgesetzes des Freistaates<br />

Sachsen (SächsVwVfG) i. V. m. § 48 VwVfG vereinbar (2.).<br />

Die Klage sei abzuweisen gewesen, weil der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 1. Juli<br />

1996 die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt habe (3.).<br />

1. Die Beklagte habe in dem Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 1994 die Berechtigung der<br />

Beklagten sowie das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nach §§ 4, 5 VermG festgestellt.<br />

Diese zulässige Teilentscheidung habe auch gegenüber der Klägerin Bindungswirkung<br />

entfaltet, die nur durch eine Anfechtung zu beseitigen gewesen wäre. Da die Klägerin<br />

den Widerspruchsbescheid nicht angefochten habe, sei die Teilentscheidung bestandskräftig<br />

geworden.<br />

2. Die Rücknahme des Widerspruchsbescheides durch den Änderungsbescheid des Landratsamtes<br />

sei rechtswidrig gewesen. Denn das Landsratsamt habe sich nur darauf beschränkt,<br />

den Widerspruchsbescheid der Beklagten zurückzunehmen. Der Abänderungsbescheid<br />

stelle ausdrücklich fest, dass der Ausgangsbescheid aus dem Jahre 1992 nicht von<br />

der Rücknahmeentscheidung betroffen werde <strong>und</strong> die Widerspruchsbehörde über den Widerspruch<br />

erneut zu entscheiden hätte. Zu einer solchen isolierten Aufhebung des Widerspruchsbescheides<br />

aber sei das Landratsamts nicht berechtigt gewesen.<br />

Der Widerspruchsbescheid habe eine doppelte Funktion, zum einen schließe er das Rechtsbehelfsverfahren,<br />

verbrauche den Rechtsbehelf, beseitige den Suspensiveffekt, treffe eine<br />

eigenständige Entscheidung über die Verfahrenskosten <strong>und</strong> eröffne den Weg zu dem Verwaltungsgericht.<br />

Zum anderen enthalte der Widerspruch eine Sachentscheidung über den<br />

Regelungsgegenstand des Ausgangsbescheides. Ändere der Widerspruchsbescheid den<br />

Ausgangsbescheid, so bildeten beide Bescheide zusammen die einheitliche Sachentscheidung<br />

über den Verfahrensgegenstand, § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.<br />

In seiner Funktion als verfahrensabschließende Entscheidung stehe der Widerspruchsbescheid<br />

nicht zur Disposition der Ausgangsbehörde. Diese könne nicht das abgeschlossene<br />

Widerspruchsverfahren wieder eröffnen, indem sie den Widerspruchsbescheid zurücknimmt.<br />

Der als Rücknahme des Widerspruchsbescheids rechtswidrige Abänderungsbescheid lasse<br />

sich auch nicht nach § 1 SächsVwVfG i. V. m. § 47 VwVfG in einen Rücknahme des Ausgangsbescheides<br />

in der Fassung des Widerspruchsbescheides umdeuten. Es könne offen<br />

bleiben, ob eine solche Umdeutung schon an der Andersartigkeit der Rechtsfolgen scheitere.<br />

Eine Umdeutung scheitere bereits daran, dass auch die Rücknahme des Ausgangsbescheides<br />

in der Fassung des Widerspruchsbescheides rechtswidrig wäre.<br />

- 16 -


- 16 -<br />

Die Ausgangsbehörde könne allerdings gr<strong>und</strong>sätzlich den Ausgangsbescheid in der Fassung<br />

des Widerspruchsbescheides nach § 48 VwVfG zurücknehmen. Denn sie sei <strong>für</strong> den<br />

Erlass der Sachentscheidung <strong>und</strong> damit auch <strong>für</strong> deren Rücknahme zuständig. Daran ändere<br />

sich nichts, wenn die Sachentscheidung Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens gewesen<br />

sei. Dies gelte sowohl im Falle der Abänderung der Ausgangsentscheidung durch die<br />

Widerspruchsbehörde als auch im Falle der Bestätigung der Ausgangsentscheidung durch<br />

die Widerspruchsbehörde. Auch der Ausgangsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides<br />

werde der Ausgangsbehörde zugerechnet.<br />

Die Zuständigkeit der Ausgangsbehörde gehe nur <strong>für</strong> die Dauer des Widerspruchsverfahrens<br />

(auch) auf die Widerspruchsbehörde über. Nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens,<br />

d. h. spätestens mit Ablauf der Rechtsmittelfrist, sei wieder allein die Ausgangsbehörde<br />

<strong>für</strong> die Sachentscheidung <strong>und</strong> damit auch <strong>für</strong> die Rücknahme zuständig.<br />

Das Landratsamt durfte den eigenen Ausgangsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides<br />

in diesem Fall jedoch nicht zurücknehmen, weil es über keine neuen tatsächlichen<br />

oder rechtlichen Erkenntnisse in der Sache verfügt habe. In einem solchen Fall sei die<br />

Rücknahme stets ermessenswidrig. Es könne offen bleiben, ob unter dieser Voraussetzung<br />

bereits die Befugnis der Ausgangsbehörde zur Rücknahme fehle.<br />

Die Befugnis zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte sei der Behörde nicht zu<br />

dem Zwecke eingeräumt worden, die von der Widerspruchbehörde als rechtswidrig beanstandete<br />

Rechtsauffassung nachträglich doch noch durchzusetzen. Im Verhältnis der Ausgangsbehörde<br />

zur Widerspruchbehörde bestimme die Widerspruchsbehörde, wie über den<br />

Restitutionsantrag zu entscheiden sei. Könne die Ausgangsbehörde keine neuen, bisher<br />

nicht berücksichtigten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkte anführen, so müsse<br />

sie aus Gründen der Rechtssicherheit <strong>und</strong> des Vertrauensschutzes begünstigter Dritter die<br />

Widerspruchsentscheidung unangetastet lassen.<br />

In dem zu entscheidenden Fall lagen keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Erkenntnisse<br />

vor.<br />

3. Der streitige Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 1996 verletze die Klägerin auch insoweit<br />

nicht in eigenen Rechten als er die Beigeladenen nach § 7 a Abs. 2 VermG zur Hinterlegung<br />

eines Betrages von 7.600,00 DM verpflichte. Die herauszugebende Gegenleistung<br />

stehe nicht der Klägerin, sondern nach § 7 a Abs. 2 Satz 4 VermG dem Entschädigungsfonds<br />

zu, da sie aus dem Staatshaushalt der DDR erbracht worden sei. Das im Tausch<br />

übereignete Gr<strong>und</strong>stück stand im Volkseigentum, der VEB Kommunale Wohnungsverwaltung<br />

war lediglich Rechtsträger. Die Entschädigung in Geld sei zwar vom Rat der Stadt<br />

R. gezahlt worden <strong>und</strong> damit aus Mitteln, die einer örtlichen Gebietsverwaltung zugewiesen<br />

worden waren; diese seien jedoch als solche Teil des zentral geführten einheitlichen<br />

Staatshaushaltes gewesen.<br />

Anmerkungen:<br />

Das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht hat entschieden, dass eine Rücknahme durch die Ausgangsbehörde<br />

auch dann möglich ist, wenn im Widerspruchsverfahren eine eigene Sachentscheidung<br />

getroffen worden ist. D. h., es ist der Ausgangsbehörde nicht gr<strong>und</strong>sätzlich verwehrt, nach<br />

Abschluss des Widerspruchsverfahrens den Ausgangsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides<br />

nach § 48 VwVfG zurückzunehmen.<br />

- 17 -


- 17 -<br />

Ein Ermessensentscheidung zugunsten einer Rücknahme setzt nach der Entscheidung des<br />

B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts jedoch voraus, dass die Ausgangsbehörde über neue tatsächliche<br />

oder rechtliche Erkenntnisse verfügt.<br />

Mitgeteilt von Katrin Holst<br />

- 18 -


Grenzfeststellungskosten; Restitution; Sonderung;<br />

Besitzeinräumung; Beseitigung der<br />

Grenzsteine; Kosten des Verfahrens; Vermessungskosten;<br />

Folgemangel; Grenzverwirrungen;<br />

Abmarkungskosten;<br />

Leitsatz der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

- 19 -<br />

§ 34 Abs. 2 <strong>und</strong> 3,<br />

§ 38 Abs. 1 VermG<br />

Die Kosten zur Grenzfeststellung zurückübertragener Flurstücke sind vom Restitutionsberechtigten<br />

selbst aufzubringen <strong>und</strong> nicht Gegenstand des vermögensrechtlichen Verfahrens.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

VG Magdeburg, Urteil vom 5. März 2002, Az.: 5 A 327/01 MD<br />

Tatbestand/Problem:<br />

An die Klägerinnen wurde als Rechtsnachfolgerinnen eines NS-Verfolgten mehrere Flurstücke<br />

auf Gr<strong>und</strong> einer mit Bescheid vom 22. Dezember 1995 festgestellten gütlichen Einigung<br />

restituiert. Die restituierten Teilflächen waren in einem dem Bescheid beigefügten Lageplan<br />

rot umrandet. Das Katasteramt stellte die so gekennzeichneten Flächen auf Antrag des beklagten<br />

Landes wieder her. Anschließend trug das zuständige Gr<strong>und</strong>buchamt die Klägerinnen<br />

ebenfalls auf Antrag des beklagten Landes als Eigentümer im Gr<strong>und</strong>buch ein. Die Klägerinnen<br />

verkauften die Flurstücke an einen Dritten. Dieser konnte die Flurstücke mangels Grenzfeststellung<br />

nicht in Besitz nehmen. Er forderte die Klägerinnen zur Grenzfeststellung auf,<br />

wozu diese sich im Kaufvertrag verpflichtet hatten. Die Klägerinnen verlangen vom beklagten<br />

Land die Übernahme der Kosten <strong>für</strong> die Grenzfeststellung. Sie sind der Auffassung, dass die<br />

§§ 34, 38 VermG das beklagte Land zur Übernahme der Grenzfeststellungskosten verpflichte,<br />

weil die Grenzsteine zur Zeit der Bodenreform entfernt worden seien. Das beklagte Land geht<br />

davon aus, dass die Angelegenheit <strong>für</strong> das LARoV mit der Restitution <strong>und</strong> dem Gr<strong>und</strong>buchvollzug<br />

erledigt sei.<br />

Aus den Gründen:<br />

Die Klage sei unbegründet. Für den erhobenen Anspruch fehle die Rechtsgr<strong>und</strong>lage. Eine solche<br />

ergebe sich nicht aus dem Vermögensgesetz.<br />

Gemäß § 34 Abs. 2 Satz 3 VermG sei das Gr<strong>und</strong>buchverfahren zwar <strong>für</strong> die Berichtigung des<br />

Gr<strong>und</strong>buchs in den durch das Vermögensgesetz vorgesehenen Fällen gebührenfrei. Hieraus<br />

ergebe sich <strong>für</strong> den Streitfall aber nichts.<br />

- 20 -


- 20 -<br />

Auch § 34 Abs. 3 VermG, wonach Personen, deren Vermögenswerte von Maßnahmen nach<br />

§ 1 VermG betroffen sind, sowie deren Erben hinsichtlich der nach dem Vermögensgesetz<br />

erfolgenden Gr<strong>und</strong>stückserwerbe von der Gr<strong>und</strong>steuer befreit sind, sei nicht einschlägig.<br />

Ebenso handele es sich nicht um Kosten nach § 38 Abs. 1 VermG. Zwar sei der Begriff der<br />

Kosten nach herrschender Auffassung umfassend zu verstehen. Er umfasse nicht nur eine Gebühr<br />

<strong>für</strong> das Verfahren als solches, sondern auch sämtliche im Verfahren entstandenen Kosten<br />

der Behörde jeglicher Art, wie z. B. Schreib- <strong>und</strong> Portoauslagen, Reisekosten, Kosten der Beschaffung<br />

von Unterlagen <strong>und</strong> der Ermittlung des Sachverhaltes. Hierunter fielen sicherlich<br />

auch die Kosten einer Vermessung eines Gr<strong>und</strong>stückes, um dessen restituierbaren Teil zu ermitteln<br />

(vgl. VG Leipzig, Beschluss vom 18. Juli 1997 - 6 K 501/97 - BARoV-RÜ 14/1997 =<br />

OV-spezial 1997, 355 = VIZ 1997, 692 = ZOV 1998, 84 = RGV G 145). Denn in einem solchen<br />

Fall diene die Vermessung der Ermittlung des Sachverhaltes <strong>und</strong> sei Voraussetzung, um<br />

bei dem Gr<strong>und</strong>buchamt die entsprechenden Eintragungsanträge stellen zu können. Hierum<br />

gehe es aber vorliegend nicht.<br />

Das beklagte Land habe die Altflurstücke von der Katasterbehörde durch Sonderung wieder<br />

herstellen lassen <strong>und</strong> nach Durchführung der Sonderung beim Gr<strong>und</strong>buchamt <strong>für</strong> eine entsprechende<br />

Eintragung der Berechtigten gesorgt. Vorliegend gehe es um eine ganz andere<br />

Frage, nämlich um notwendige Grenzfeststellungen, weil die vormals vorhandenen Grenzsteine<br />

nicht mehr vorhanden seien. Das habe aber mit der Eigentumsentziehung, dem schädigenden<br />

Ereignis <strong>und</strong> dessen Rückgängigmachung gar nichts zu tun. Vielmehr seien hier in der<br />

Folgezeit tatsächliche Veränderungen an den geschädigten Gr<strong>und</strong>stücken vorgenommen worden,<br />

nämlich die Entfernung der Grenzsteine. Hierbei handele es sich nicht um Rechtsakte,<br />

die eine vermögensrechtliche Schädigung darstellten. Diese Veränderung seien auch nicht<br />

während der NS-Herrschaft im Zusammenhang mit dem Zwangsverkauf im Jahre 1937 geschehen,<br />

sondern vielmehr im Rahmen der Bodenreform, der Aufteilung des Gutes bzw. der<br />

Zusammenlegung mit benachbarten Flächen. Sofern hier ein schädigendes Ereignis überhaupt<br />

vorliege, hätte dieses gem. § 1 Abs. 8 a VermG ohnehin außer Betracht zu bleiben. Die Klägerinnen<br />

verlangten hier letztlich die Beseitigung von Folgenachteilen aus der Eigentumsentziehung.<br />

Solches sei aber im Vermögensgesetz nicht vorgesehen. Selbst die vormalige Regelung<br />

über Wertminderungen gem. § 7 VermG aus der Fassung des Vermögensgesetzes nach dem<br />

Einigungsvertrag sei schon durch das Vermögensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung<br />

vom 3. August 1992 aufgehoben worden. Gr<strong>und</strong>stücksbezogene Ausgleichsansprüche gebe es<br />

neben der Restitution selbst nicht mehr. Vorliegend handele es sich aber um einen typischen<br />

“Folgemangel”, welcher nach einem schädigenden Ereignis heute die tatsächliche Nutzbarkeit<br />

eines entzogenen Wertes beeinträchtige.<br />

Die unklaren Gr<strong>und</strong>stücksgrenzen stellten im Übrigen kein typisches Problem im Bereich des<br />

Vermögensrechts dar. Vielmehr seien im Zuge der kollektiven Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen<br />

Flächen auch solche Eigentümer von Grenzverwirrungen betroffen, deren Eigentum<br />

nach Einbringung in eine LPG selbst niemals berührt worden sei. Die LPG-Bauern<br />

blieben nämlich Eigentümer ihrer eingebrachten Flächen. Gleichwohl wären häufig Grenzsteine<br />

entfernt <strong>und</strong> eine einheitliche Bewirtschaftung durch die LPG durchgeführt worden.<br />

Auch solche Eigentümer stünden heute vor dem Problem einer notwendigen Grenzfeststellung,<br />

ohne dass <strong>für</strong> sie das Vermögensgesetz auch nur thematisch in Betracht komme.<br />

Unzutreffend sei im Übrigen die Auffassung der Klägerinnen, das beklagte Land habe ihnen<br />

nicht nur das Eigentum, sondern auch den Besitz an den restituierten Gr<strong>und</strong>stücken zu ver<br />

- 21 -


- 21 -<br />

schaffen. Die Durchsetzung des wieder eingeräumten Eigentumsrechts sei allein eine Aufgabe<br />

der Berechtigten gegenüber den Besitzern <strong>und</strong> sei zivilrechtlich zu klären. Der Beklagte habe<br />

mit der Rückübertragung des Eigentums <strong>und</strong> den entsprechenden Anträgen beim Gr<strong>und</strong>buchamt,<br />

denen entsprochen worden sei, seine gesetzlichen Pflichten erfüllt.<br />

Anmerkung:<br />

Das Problem der Gr<strong>und</strong>stücksvermessungskosten als Teil der Verfahrenskosten im Sinne des<br />

§ 38 VermG wurde bisher im Wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der Teilrestitution von<br />

Gr<strong>und</strong>stücken diskutiert (vgl. Schmidt, in: Kimme, 12 § 38 VermG, Rdnr. 10; Redeker/Hirtschulz,<br />

in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, § 38 VermG, Rdnr. 3) <strong>und</strong><br />

war insoweit Gegenstand der Erörterung der 16. Fachreferentensitzung vom 1. März 1994<br />

(TOP 5 des Protokolls zur 16. Fachreferentensitzung am 1. März 1993 vom 4. März 1994) im<br />

<strong>B<strong>und</strong>esamt</strong> zur Regelung <strong>offene</strong>r <strong>Vermögensfragen</strong>. Auch das in der Entscheidung zitierte<br />

Urteil des VG Leipzig hatte über einen Sachverhalt zu entscheiden, in dem es um die Teilrestitution<br />

eines Gr<strong>und</strong>stücks ging. Die Frage, wer die Kosten <strong>für</strong> die Grenzfeststellung von<br />

Gr<strong>und</strong>stücken, die zwar vom Kataster erfasst, aber tatsächlich wegen Beseitigung der Grenzsteine<br />

nicht zuzuordnen sind, zu tragen hat, war bislang nicht Gegenstand der Diskussion. Das<br />

VG Magdeburg lehnt eine Einbeziehung der Grenzfeststellungs- oder Abmarkungskosten in<br />

die Verfahrenskosten i. S. d. § 38 VermG ab. Dabei überzeugen im Wesentlichen zwei Argumente.<br />

Zum einen ist das Verfahren nach dem Vermögensgesetz mit der Gr<strong>und</strong>buchberichtigung<br />

beendet. Ist das Gr<strong>und</strong>stück im Kataster mit Gr<strong>und</strong>stücksgröße <strong>und</strong> -lage erfasst, reicht<br />

das zur Gr<strong>und</strong>buchberichtigung aus. Zum anderen unterliegt die Besitzeinräumung <strong>und</strong> die<br />

damit verb<strong>und</strong>ene Grenzfeststellung dem Zivilrecht. Diese Auffassung wird von der Entscheidung<br />

des 1. Senats des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 19. April 1994 (- 1 BvR 395/94 - VIZ<br />

1994, 349 = ZOV 1994, 182 = RGV B X 21) insoweit getragen, als die Restitutionsberechtigten<br />

zur Durchsetzung ihres Besitzrechts auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden. Mit der<br />

Ausübung des Besitzrechts ist aber auch die Feststellung der tatsächlichen Lage des Gr<strong>und</strong>stücks<br />

verb<strong>und</strong>en. Die Betr<strong>offene</strong>n können daher nur auf die Möglichkeiten der Grenzabmarkung<br />

gem. § 919 BGB hingewiesen werden.<br />

Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem o. g. Urteil<br />

des VG Magdeburg wurde durch Beschluss des BVerwG - Az.: 8 B 71.02 – vom 28. Mai<br />

2002 mangels ausreichender Darlegung der Gründe (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) zurückgewiesen.<br />

Mitgeteilt von Marie-Luise Schiffer-Werneburg<br />

- 22 -


Ersatzgr<strong>und</strong>stück; Verfassungsmäßigkeit der<br />

Aufhebung des § 9 VermG; Anwartschaftsrecht;<br />

Vertrauensschutz; Gleichheitssatz<br />

Leitsatz der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

- 23 -<br />

§ 9 VermG;<br />

Art. 1 Nr. 2 VermRErgG;<br />

Art. 3 Abs. 1,<br />

Art. 14 GG<br />

Die Aufhebung des § 9 VermG durch Art. 1 Nr. 2 des Vermögensrechtsergänzungsgesetzes<br />

(VermRErgG) vom 15. September 2000 (BGBl. I S. 1382) ist verfassungsgemäß (Bestätigung<br />

des Urteils vom 30. Mai 2001 - 8 C 13.00 - BVerwGE 114, 291 = VIZ 2001, 539 = NJW<br />

2001, 3065 = ZOV 2001, 354 = IFLA 2001, 141 = Buchholz 428 § 9 VermG Nr. 5 = RGV L<br />

42).<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG, Beschluss vom 11. März 2002, Az.: 7 B 18.02<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Der Kläger beanspruchte die Übereignung eines Ersatzgr<strong>und</strong>stücks an die Erbengemeinschaft<br />

nach Frau S. Diese war Eigentümerin eines Einfamilienhausgr<strong>und</strong>stücks, das 1983 in VE<br />

überführt wurde. Der Rückübertragungsantrag wurde wegen redlichen Erwerbs abgelehnt. Der<br />

Antrag auf Übereignung eines Ersatzgr<strong>und</strong>stücks hatte in der Revisionsinstanz mit dem Ergebnis<br />

einer Verpflichtung des Beklagten zur erneuten Bescheidung Erfolg (BVerwG, Urteil<br />

vom 17. September 1998 - 7 C 6.98 - BARoV-RÜ 18/1998 = BVerwGE 1<strong>07</strong>, 205 = OVspezial<br />

1998, 297 = OV-spezial 1999, 103 = ZOV 1999, 451 = RGV L 20 = Buchholz 428 § 9<br />

VermG Nr. 2). Durch Bescheid vom 22. Juli 1999 lehnte der Beklagte den Antrag auf Übereignung<br />

eines Ersatzgr<strong>und</strong>stücks mit der Begründung ab, dass ein geeignetes Ersatzgr<strong>und</strong>stück<br />

nicht zur Verfügung stehe. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das<br />

VG Berlin mit Urteil vom 30. November 2001 (31 A 338.99) abgewiesen, weil die in Betracht<br />

kommende Anspruchsgr<strong>und</strong>lage (§ 9 VermG) im September 2000 außer Kraft getreten sei.<br />

Weitere Einzelheiten zum Sachverhalt können der unter der Ordnungsnummer 4517 in der<br />

BARoV-RÜ 03/2000 enthaltenen Besprechung entnommen werden.<br />

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem o. g. Urteil des VG Berlin hat der Kläger Beschwerde<br />

eingelegt. Er möchte geklärt wissen, ob die Aufhebung des § 9 VermG durch Art. 1<br />

Nr. 2 des VermRErgG verfassungsgemäß ist.<br />

Das BVerwG hat die Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 11. März 2002 zurückgewiesen.<br />

Aus den Gründen:<br />

- 24 -


- 24 -<br />

Die Rechtssache habe nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene gr<strong>und</strong>sätzliche Bedeutung<br />

(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage rechtfertige<br />

nicht die Zulassung der Revision, da sie in der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts<br />

geklärt sei.<br />

Das BVerwG habe entschieden, dass die Aufhebung des § 9 VermG mit dem Gr<strong>und</strong>gesetz<br />

vereinbar sei (BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2001 - 8 C 13.00 -). Es habe zur Begründung<br />

ausgeführt, das Eigentumsrecht (Art. 14 GG) sei nicht verletzt, weil der Anspruch auf Übereignung<br />

eines Ersatzgr<strong>und</strong>stücks nach § 9 VermG von derart ungewissen Voraussetzungen<br />

abhängig gewesen sei, dass es sich der Sache nach als bloße Chance dargestellt habe, die<br />

durch Art. 14 GG nicht geschützt sei. Selbst wenn § 9 VermG eine vom Schutzbereich des<br />

Art. 14 GG erfasste Rechtsposition gewährt hätte, habe der Gesetzgeber durch die Aufhebung<br />

dieser Vorschrift Inhalt <strong>und</strong> Schranken des Eigentumsrechts in zulässiger Weise bestimmt <strong>und</strong><br />

dabei die verfassungsrechtlichen Grenzen beachtet, die Regelungen mit sog. unechter Rückwirkung<br />

gezogen seien. Die Aufhebung des § 9 VermG verstoße auch nicht gegen den<br />

Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).<br />

Die gegenteilige Auffassung der Beschwerde gebe keinen Anlass zu weiterer revisionsrechtlicher<br />

Klärung der aufgeworfenen Frage. Die Behauptung, der Kläger habe durch § 9 VermG<br />

ein konkretes Anwartschaftsrecht auf Überlassung eines Ersatzgr<strong>und</strong>stücks erworben gehabt,<br />

das ihm durch die Aufhebung der Vorschrift entschädigungslos enteignet worden sei, treffe<br />

nicht zu. Ob dem Kläger bei Fortgeltung des § 9 VermG ein Ersatzgr<strong>und</strong>stück hätte übereignet<br />

werden müssen, sei offen, nach den Gründen des angefochtenen Bescheids <strong>und</strong> des Widerspruchsbescheids<br />

sogar zu verneinen. Angesichts der Ungewissheit der Erfolgsaussichten<br />

seines Antrags könne keine Rede davon sein, dass dem Kläger bei Aufhebung des § 9 VermG<br />

bereits ein Anwartschaftsrecht auf Übereignung eines Ersatzgr<strong>und</strong>stücks zugestanden hätte.<br />

Allerdings sei die Entschädigungsberechtigung des Klägers bestandskräftig festgestellt. Die<br />

Neuregelung der Entschädigungsmodalitäten habe zur Folge, dass die früher bestehende<br />

Möglichkeit der Wahl zwischen Überlassung eines Ersatzgr<strong>und</strong>stücks <strong>und</strong> Entschädigung in<br />

Geld entfallen ist. Die hierin liegende Neubestimmung des Entschädigungsanspruchs <strong>für</strong> die<br />

Zukunft sei aus den Gründen, die das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 30.<br />

Mai 2001 - 8 C 13.00 - a. a. O. im Einzelnen dargelegt habe, verfassungsrechtlich nicht zu<br />

beanstanden.<br />

Art. 14 GG schütze nur den konkreten Bestand vorhandener vermögenswerter Rechte, nicht<br />

aber Vorteile, die sich aus dem bloßen Fortbestand einer günstigen Gesetzeslage ergäben. Die<br />

Aufhebung der Regelung über die Übereignung eines Ersatzgr<strong>und</strong>stücks, durch die eine künftig<br />

möglicherweise erst entstehende eigentumsrechtliche Position beseitigt wurde, berühre den<br />

Schutzbereich dieses Gr<strong>und</strong>rechts nicht. Mangels schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand<br />

der Regelung begegne ihre Aufhebung auch unter dem Gesichtspunkt der unechten<br />

Rückwirkung des Gesetzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da den Betr<strong>offene</strong>n der<br />

Anspruch auf Geldentschädigung erhalten bliebe. Bereits § 9 VermG i. d. F. vom 23. September<br />

1990 (BGBl. II S. 889, 1159), der die Wahlmöglichkeit im Entschädigungsbereich eingeführt<br />

habe, habe die Schranke der näheren Regelung durch Gesetz enthalten. Die durch Art. 1<br />

Nr. 2 VermRErgG aufgehobene Ersatzgr<strong>und</strong>stücksregelung habe unter dem Vorbehalt des<br />

Möglichen gestanden. Ersatzgr<strong>und</strong>stücke seien bereitzustellen gewesen, wenn ein in kommunalem<br />

Eigentum stehendes Gr<strong>und</strong>stück im gleichen Stadt- oder Gemeindegebiet zur Verfügung<br />

gestanden habe <strong>und</strong> einer Eigentumsübertragung keine berechtigten Interessen entgegengestanden<br />

hätten. Die Grenzen einer Aktualisierung der Überlassung eines Ersatzgr<strong>und</strong>stücks<br />

stünden der Annahme entgegen, dass vor Außerkrafttreten des § 9 VermG bereits kon<br />

- 25 -


- 25 -<br />

krete Ansprüche auf Übereignung eines Ersatzgr<strong>und</strong>stücks bestanden hätten, in die Art. 1 Nr.<br />

2 VermRErgG eingegriffen haben könnte. Auch in einem Verzicht der Berechtigten auf Weiterverfolgung<br />

ihres Rückübertragungsanspruchs habe keine Vermögensdisposition gelegen,<br />

die ein schutzwürdiges Vertrauen auf Beibehaltung der Ersatzgr<strong>und</strong>stücksregelung rechtfertigen<br />

könnte. Schutzwürdig sei aufgr<strong>und</strong> der Berechtigtenfeststellung allein das Vertrauen auf<br />

eine Entschädigung gewesen. Der Gleichheitssatz habe die Gesetzesänderung nicht deswegen<br />

ausgeschlossen, weil die Übereignung eines Ersatzgr<strong>und</strong>stücks dem Inhalt eines Rückübertragungsanspruchs<br />

näher gekommen sei als eine Entschädigung in Geld. Bei der Entschädigungsregelung<br />

verfüge der Gesetzgeber über einen besonders weiten Gestaltungsspielraum.<br />

Die Aufhebung des § 9 VermG sei, wie das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung<br />

ausgeführt habe, durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. Die Ersatzgr<strong>und</strong>stücksregelung<br />

sei in der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland <strong>und</strong> der DDR zur Regelung <strong>offene</strong>r <strong>Vermögensfragen</strong> vom 15. Juni 1990 angesichts<br />

der Bodenwertverhältnisse der DDR als einer Entschädigung in Geld annähernd<br />

gleichwertige Entschädigungsvariante angesehen worden. Demgegenüber habe die anschließende<br />

marktorientierte Entwicklung der Gr<strong>und</strong>stückspreise zu einer deutlichen Wertdifferenz<br />

der beiden Entschädigungsmodalitäten geführt, die der Gesetzgeber durch Beschränkung auf<br />

eine willkürfreie Entschädigung in Geld habe beseitigen dürfen.<br />

Ein Verfassungsverstoß folge schließlich auch nicht daraus, dass die Übereignung von Ersatzgr<strong>und</strong>stücken<br />

bereits in Nr. 3 Buchst. b der Gemeinsamen Erklärung vorgesehen gewesen sei.<br />

Die Vorschrift des Art. 41 Abs. 3 des Einigungsvertrages (EV), wonach die B<strong>und</strong>esrepublik<br />

keine der Gemeinsamen Erklärung widersprechende Regelung erlassen werde, habe von Verfassungs<br />

wegen der Aufhebung des § 9 VermG nicht entgegengestanden, weil der Vertrag als<br />

einfaches B<strong>und</strong>esrecht durch Gesetz geändert werden könne (vgl. Art. 45 Abs. 2 EV). Durch<br />

diese Änderung sei der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, weil er die Wahrung der<br />

Rechte aus dem EV nicht beanspruchen können (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2001 - 8 C<br />

13.00 - a. a. O.).<br />

Anmerkungen:<br />

Mit der vorliegenden Entscheidung hat der 7. Senat des BVerwG - wie bereits zuvor der 8.<br />

Senat im Rahmen seiner Entscheidung vom 30. Mai 2001 - 8 C 13.00 - (abgedr. in: ZOV<br />

2001, 354 = VIZ 2001, 539 = NJW 2001, 3065 = IFLA 2001, 141 = Buchholz 428 § 9 VermG<br />

Nr. 5 = RGV 42) - nochmals klargestellt, dass ein Eigentumsschutz bei öffentlich-rechtlichen<br />

Ansprüchen nur unter besonderen Voraussetzungen, nämlich insbesondere dann in Betracht<br />

kommt, wenn der Anspruch auf einer eigenen Leistung des Anspruchsberechtigten beruht.<br />

Diese Voraussetzung ist nach Auffassung des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts bei vermögensrechtlichen<br />

Rückübertragungsansprüchen nicht erfüllt, da sie ausschließlich der Wiedergutmachung<br />

erlittenen Unrechts dienen, die ihre Wurzeln im Rechts- <strong>und</strong> Sozialstaatsprinzip<br />

haben <strong>und</strong> nicht unmittelbar auf einer eigenen Leistung des Berechtigten, sondern auf staatlicher<br />

Gewährung beruhen.<br />

Mitgeteilt von Ellen Hirschinger<br />

- 26 -


Überschuldung, Ursächlichkeit der nicht kostendeckenden<br />

Mieten bei teils eigengenutzten,<br />

teils fremdgenutzten Gr<strong>und</strong>stücken<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

- 27 -<br />

BVerwG, Beschluss vom 18. März 2002, Az.: 7 B 80.01<br />

Tatbestand/Problem:<br />

§ 1 Abs. 2 VermG<br />

Das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig vom<br />

18. Juli 2001 - 2 K 464/96 - über die Nichtzulassung der Revision aufgehoben <strong>und</strong> die Revision<br />

wegen gr<strong>und</strong>sätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Das<br />

Revisionsverfahren gebe Gelegenheit, die Frage weiter zu klären, unter welchen Voraussetzungen<br />

bei teils eigengenutzten, teils fremdgenutzten Wohngebäuden die nicht kostendeckenden<br />

Mieten <strong>für</strong> eine Überschuldung des Gr<strong>und</strong>stücks ursächlich waren.<br />

Das Revisionsverfahren wird unter dem Aktenzeichen 7 C 14.02 geführt<br />

Mitgeteilt von Axel Hermann<br />

- 28 -


Entschädigungsberechtigung; Schädigungstatbestand<br />

als Teil der Berechtigtenfeststellung;<br />

Regelungsinhalt des Feststellungsbescheids;<br />

In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetze<br />

nach der Berechtigtenfeststellung;<br />

Entschädigung nach dem NS-VEntschG;<br />

nachträglicher Eintritt der Beschwer; Änderung<br />

der Berechtigtenfeststellung; Klagefrist;<br />

Jahresfrist; Wiederaufgreifen des Verfahrens<br />

Leitsatz des Gerichts:<br />

- 29 -<br />

§ 1 Abs. 1 Buchst. a <strong>und</strong> Abs. 6,<br />

§ 2 Abs. 1 Satz 1 VermG;<br />

§ 1 Abs. 1 Satz 1,<br />

§ 2 Satz 2 NS-VEntschG;<br />

§§ 48, 49, 51 VwVfG<br />

Hat die Vermögensbehörde eine Restitutionsberechtigung wegen der Schädigung eines Vermögenswertes<br />

festgestellt, setzt eine Feststellung der Berechtigung wegen einer anderen<br />

Schädigung desselben Vermögenswertes auch dann die Aufhebung des früheren Bescheides<br />

voraus, wenn der jeweilige Berechtigte ein <strong>und</strong> dieselbe Person ist (im Anschluss an BVerwG,<br />

Urteil vom 21. Juni 2001 - 7 C 4.00 - BARoV-RÜ 10/2001 = ZOV 2001, 403 = RGV G 254 =<br />

VIZ 2002, 35 = IFLA 2002, 46 = Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 26).<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

VerwG, Urteil vom 8. Mai 2002, Az.: 7 C 18.01<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Klägerinnen begehrten die Feststellung, dass sie aufgr<strong>und</strong> einer zwangsweisen Veräußerung<br />

ihrer Unternehmen im Mai 1939 zur Entschädigung nach dem NS-VEntschG berechtigt<br />

sind. Der Beklagte, das Sächsische LARoV (nachfolgend: LARoV), hatte mit Bescheiden aus<br />

dem Jahr 1992 die (Restitutions-)Berechtigung der Klägerinnen festgestellt, diese aber auf die<br />

Überführung der Unternehmen in VE im Jahre 1953 gestützt.<br />

Die beiden Unternehmen, die H. OHG <strong>und</strong> die E. K. GmbH, gehörten jüdischen Eigentümern.<br />

Im Mai 1939 wurden die Unternehmen zum Gesamtpreis von 880.000,00 RM veräußert. Die<br />

OHG wurde von dem Erwerber in die H. H. KG umgewandelt; die GmbH blieb ohne den Zusatz<br />

“E. K.” bestehen. Mit Bescheid des Oberbürgermeisters der Stadt Dresden vom 20. Juni<br />

1945 wurde die Firma H. H. KG in Dresden “mit sämtlichen Aktiven <strong>und</strong> Passiven” auf W.<br />

K., einen Sohn des Firmengründers E. K., übertragen. Der Bescheid wurde vom Rat der Stadt<br />

Dresden am 2. Juli 1945 dahin ergänzt, dass auch sämtliche Anteile an der GmbH auf W. K.<br />

übertragen wurden. Nach den im Jahr 1946 geschlossenen Gesellschaftsverträgen waren W.<br />

K. mit 60 % <strong>und</strong> F. S. mit 40 % an dem Unternehmen W. F. K. <strong>und</strong> der GmbH. Beide Gesellschafter<br />

verließen die DDR im Jahr 1953. Die Vermögenswerte wurden daraufhin auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 beschlagnahmt<br />

<strong>und</strong> in VE überführt.<br />

- 30 -


- 30 -<br />

Mit Schreiben vom 26. September 1990 meldete ein Bevollmächtigter <strong>für</strong> den Gesellschafter<br />

W. K. <strong>und</strong> <strong>für</strong> Frau St. als Erbin des früheren Mitgesellschafters F. S. Ansprüche auf Rückübertragung<br />

des Betriebsvermögens der beiden Firmen an. In dem Verwaltungsverfahren der<br />

W. F. K. i. L. erließ das LAROV am 26. November 1992 einen Feststellungsbescheid mit folgendem<br />

Verfügungssatz:<br />

“1.Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin zur Unternehmensrückübertragung der ehemaligen<br />

W. F. K. OHG berechtigt ist.<br />

2. Das 1953 in Volkseigentum überführte Unternehmen ist heute ein Produktionsbereich der<br />

Regler <strong>und</strong> Schaltgeräte Dresden GmbH i. L. Eigentümer der Gr<strong>und</strong>stücke G. Straße 132<br />

<strong>und</strong> S. Straße 40 .... war zum Zeitpunkt der Schädigung Dr. W. K. ....”<br />

In den Gründen dieses Bescheides ist ausgeführt:<br />

“Die im Jahre 1939 erfolgte Arisierung des ehemaligen Unternehmens wurde 1945 rückgängig<br />

gemacht. Entscheidend <strong>für</strong> die Feststellung, dass die Antragstellerin gem. § 2 Abs. 1 Satz<br />

1 n. F. <strong>und</strong> § 6 Abs. 1 a Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 a VermG Berechtigte ist, ist jedoch, dass<br />

das ehemalige Unternehmen 1953 beschlagnahmt <strong>und</strong> in Volkseigentum übergeleitet wurde.”<br />

Ein im Wesentlichen gleich lautender Bescheid erging in dem Verwaltungsverfahren der Klägerin<br />

zu 2.<br />

In zwei Entschädigungsgr<strong>und</strong>lagenbescheiden des LARoV vom 26. August 1994 ist in dem<br />

jeweiligen Verfügungssatz ausgeführt, dass die Antragstellerin dem Gr<strong>und</strong>e nach berechtigt<br />

sei, bezüglich des im Jahr 1953 entschädigungslos enteigneten <strong>und</strong> in VE überführten Unternehmens<br />

die Rückübertragung geltend zu machen. In den Gründen der Bescheide weist das<br />

LARoV darauf hin, dass die Berechtigung zur Rückgabe der ehemaligen Unternehmen bereits<br />

mit bestandskräftigen Bescheiden vom 26. November 1992 festgestellt worden sei.<br />

Die Klägerinnen beantragten mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 6. März 1998 bei der<br />

OFD Berlin Entschädigung nach dem NS-VEntschG. Die OFD lehnte die Durchführung eines<br />

Verfahrens nach dem NS-VEntschG ab, nachdem das LARoV auf ihre Nachfrage mitgeteilt<br />

hatte, dass die Enteignung aus rassischen Gründen nach dem 8. Mai 1945 wieder rückgängig<br />

gemacht worden <strong>und</strong> die Unternehmensentschädigung erst im Jahr 1953 eingetreten sei. Mit<br />

Schreiben vom 3. April 1998 stellten die Klägerinnen daraufhin beim LARoV den Antrag, in<br />

den Bescheiden vom 26. November 1992 <strong>und</strong> vom 26. August 1994 die jeweilige Nr. 1 des<br />

Bescheidtenors dahin zu korrigieren, dass eine entschädigungslose Enteignung der beiden<br />

Firmen in der NS-Zeit aus rassischen Gründen erfolgt sei. Den Antrag lehnte das LARoV mit<br />

Schreiben vom 27. April 1998 unter Hinweis darauf ab, dass die Unternehmensentschädigung<br />

erst im Jahr 1953 eingetreten sei. Dies sei in den Bescheiden vom 26. November 1992 bestandskräftig<br />

festgestellt worden. Mit Schreiben vom 16. Oktober 1998 beantragten die Klägerinnen<br />

- unter Änderung ihres Antrags vom 3. April 1998 - den Erlass eines (erstmaligen) Bescheids<br />

darüber, dass der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG erfüllt sei; hierüber sei<br />

bisher nicht entschieden worden. Das LARoV teilte mit Schreiben vom 14. Dezember 1998<br />

mit, dass es die Verfahren zu den vermögensrechtlichen Anträgen auf Rückübertragung der<br />

beiden ehemaligen Unternehmen nach dem VermG als abgeschlossen ansehe. Die weitere<br />

Bearbeitung der Anträge erfolge nach dem EntschG.<br />

- 31 -


- 31 -<br />

Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage haben die Klägerinnen jeweils beantragt, den Beklagten<br />

zur Feststellung zu verpflichten, dass sie aufgr<strong>und</strong> des durch “Arisierung” am 6. Mai 1939<br />

erfolgten Vermögensverlustes zur Entschädigung nach dem NS-VEntschG berechtigt seien.<br />

Das VG Dresden hat die Klagen mit Urteil vom 7. September (7 K 319/99) als unzulässig<br />

abgewiesen, weil über die von den Klägerinnen geltend gemachten Ansprüche bereits durch<br />

die Bescheide vom 26. November 1992 <strong>und</strong> vom 26. August 1994 bestandskräftig entschieden<br />

worden sei <strong>und</strong> <strong>für</strong> ihre Klagen deshalb das Rechtsschutzbedürfnis fehle. In den Gründen der<br />

genannten Bescheide sei festgestellt worden, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 VermG<br />

nicht gegeben seien.<br />

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerinnen, mit der<br />

sie ihr Klagebegehren weiterverfolgen. Zur Begründung führen sie aus: Sie hätten wegen der<br />

unterschiedlichen Art <strong>und</strong> Bemessung der Entschädigung im EntschG <strong>und</strong> im NS-VEntschG<br />

einen Anspruch darauf, dass über die Schädigung im Jahr 1939 erstmals oder neu entschieden<br />

wird. In den Bescheiden vom 26. November 1992 sei keine Feststellung zu der Schädigungsmaßnahme<br />

(1939 oder 1953) getroffen worden. Jedenfalls enthalte der allein maßgebliche<br />

Bescheidtenor keine Regelung, dass eine Berechtigung aufgr<strong>und</strong> des Schädigungstatbestandes<br />

des § 1 Abs. 6 VermG ausgeschlossen sei. Entsprechendes gelte <strong>für</strong> die Entschädigungsgr<strong>und</strong>lagenbescheide<br />

vom 26. August 1994. Das EntschG <strong>und</strong> das NS-VEntschG könnten<br />

auch kumulativ Anwendung finden, wenn es von 1933 bis 1945 zu einer Schädigungsmaßnahme<br />

im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG <strong>und</strong> anschließend zu Vermögensverlusten nach § 1<br />

Abs. 1 VermG gekommen sei. Die Frist <strong>für</strong> ihre Klage sei nicht abgelaufen; vor In-Kraft-<br />

Treten der Entschädigungsgesetze hätten sie nicht erkennen können, dass es <strong>für</strong> die Art <strong>und</strong><br />

die Bemessung der Entschädigung auf den Schädigungstatbestand ankomme.<br />

Der Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen. Zur Begründung verwies er auf die<br />

Bestandskraft der Entschädigungsgr<strong>und</strong>lagenbescheide vom 26. August 1994 <strong>und</strong> der Bescheide<br />

vom 26. November 1992. Darin sei auch zur Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 6<br />

VermG eine Regelung getroffen worden.<br />

Der Vertreter des B<strong>und</strong>esinteresses hob hervor, dass die Zweistufigkeit des Verfahrens es ausschließe,<br />

die bei In-Kraft-Treten des NS-VEntschG bereits bestandskräftigen Berechtigtenfeststellungen<br />

generell auf übersehene oder verkannte Fälle des § 1 Abs. 6 VermG hin zu<br />

überprüfen. Ob die Voraussetzungen <strong>für</strong> eine Überwindung der Bestandskraft der Bescheide<br />

nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vorlägen, sei eine Frage des Einzelfalles.<br />

Das BVerwG hat die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des VG Dresden vom 7.<br />

September 2000 (7 K 319/99) als unbegründet zurückgewiesen.<br />

Aus den Gründen:<br />

1. Die Auffassung der Revision, dass die Feststellungsbescheide vom 26. November 1992<br />

keine Regelung zum Schädigungstatbestand enthielten, auf den sich die Berechtigtenfeststellung<br />

stütze, gehe ebenso fehl wie die Annahme, dass durch die genannten Bescheide jedenfalls<br />

nur über den Vermögensverlust im Jahr 1953, nicht aber über denjenigen im Jahr<br />

1939 entschieden worden sei (a). Beide Bescheide seien spätestens mit Ablauf eines Jahres<br />

- 32 -


- 32 -<br />

nach dem In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetzes am 1. Dezember 1994 bestandskräftig<br />

geworden (b).<br />

a) Zwar stelle Nr. 1 des Verfügungssatzes der beiden Bescheide vom 26. November 1992<br />

lediglich die Berechtigung der Klägerinnen zur Rückübertragung des jeweiligen Unternehmens<br />

fest, ohne anzugeben, auf welchen Schädigungstatbestand sich die Berechtigung<br />

nach dem VermG stütze. Die Auslegung dürfe sich jedoch nicht allein auf den<br />

Wortlaut dieses Teil des Verfügungssatzes beschränken, sondern habe auch den weiteren<br />

Inhalt des Verfügungssatzes <strong>und</strong> die Begründung des Bescheides zu berücksichtigen.<br />

Entsprechend dem in § 133 BGB enthaltenen Rechtsgedanken komme es darauf an,<br />

welcher Regelungsinhalt den Bescheiden nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt aus<br />

der Sicht des oder der Adressaten zukomme. Danach hätten die Klägerinnen die Feststellungsbescheide<br />

nur dahin verstehen können, dass sie allein aufgr<strong>und</strong> der Schädigung<br />

im Jahr 1953 zur Rückübertragung der Unternehmen berechtigt seien <strong>und</strong> der Vermögensverlust<br />

im Jahre 1939 keine Berechtigung begründe. Dies ergebe sich aus der Begründung<br />

der beiden Bescheide, in denen ausgeführt sei, dass die im Jahr 1939 erfolgte<br />

“Arisierung” der ehemaligen Unternehmen im Jahr 1945 rückgängig gemacht worden<br />

sei. “Entscheidend” <strong>für</strong> die Feststellung der Berechtigung gemäß § 6 Abs. 1 a Satz 1 i.<br />

V. m . § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG sei, dass die ehemaligen Unternehmen 1953 beschlagnahmt<br />

<strong>und</strong> in VE übergeleitet worden seien. Hieraus gehe deutlich hervor, dass<br />

das LARoV eine Berechtigung wegen des Vermögensverlustes im Jahr 1939 abgelehnt<br />

habe, weil es insoweit an einer fortbestehenden Schädigung fehle. Die Ablehnung sei<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> die Annahme des LARoV gewesen, dass Gr<strong>und</strong>lage der Berechtigung<br />

erst die Unternehmensschädigung im Jahr 1953 sei. Feststellungen, die in den Gründen<br />

eines Verwaltungsaktes enthalten seien, könne Regelungscharakter zukommen, wenn<br />

sich aus dem weiteren Inhalt des Bescheids hinreichende Anhaltspunkte <strong>für</strong> einen dahin<br />

gehenden Regelungswillen ergäben. Dies sei hier der Fall. Solche Anhaltspunkte seien<br />

darin zu sehen, dass im unmittelbaren Anschluss an die Berechtigtenfeststellung in Nr. 2<br />

des Verfügungssatzes von den im Jahr 1953 jeweils in VE überführten Unternehmen gesprochen<br />

<strong>und</strong> im folgenden Satz darauf verwiesen werde, dass Eigentümer der dort aufgeführten<br />

Gr<strong>und</strong>stücke “zum Zeitpunkt der Schädigung” W. K. gewesen sei, was sich<br />

nur auf dessen Alleineigentum im Jahr 1953 beziehen könne. Auch wenn sich die Nr. 2<br />

des Verfügungssatzes nicht unmittelbar mit der Berechtigtenfeststellung befasse, werde<br />

aus der ausdrücklichen Erwähnung des Schädigungsvorgangs im Verfügungssatz deutlich,<br />

dass das LARoV die Schädigung erst im Jahr 1953 gesehen habe <strong>und</strong> dass sich<br />

hierauf auch der Regelungswille erstrecke. Bestätigt werde dies durch die Entschädigungsgr<strong>und</strong>lagenbescheide<br />

des LARoV vom 26. August 1994, die zwar selbst keine Regelung<br />

zur Berechtigung enthielten, aber als Inhalt den Bescheid vom 26. November<br />

1992 wiedergäben, dass die Klägerin jeweils “bezüglich des im Jahre 1953 ... in Volkseigentum<br />

überführten Unternehmens” zur Unternehmensrückgabe berechtigt seien.<br />

Dass der Regelungswille des LARoV die Ablehnung einer Restitutionsberechtigung<br />

wegen der Unternehmensentschädigung im Jahr 1939 umfasst habe, erschließe sich auch<br />

aus der rechtlichen Bedeutung, die der Feststellung eines bestimmten Schädigungstatbestandes<br />

nach den Vorschriften des VermG - auch in der zum Zeitpunkt des Erlasses der<br />

Feststellungen geltenden Fassung vom 3. August 1992 (BGBl. I S. 1446) - zukomme.<br />

Nach dem VermG könne die Behörde nicht offen lassen, auf welchen Schädigungstatbestand<br />

sich die Berechtigtenfeststellung stütze, sondern müsse, wenn nach der Anmeldung<br />

- wie hier - mehrere Sachverhalte in Betracht kämen, festlegen, welcher Schädi<br />

- 33 -


- 33 -<br />

gungsvorgang die Berechtigung begründe. Dies folge daraus, dass das VermG Rechtsfolgen<br />

an den Schädigungsvorgang <strong>und</strong> damit auch den Schädigungszeitpunkt knüpfe<br />

(wird ausgeführt <strong>und</strong> anhand von Beispielen konkretisiert).<br />

Mit den genannten Regelungen sei die Vorstellung der Klägerinnen nicht vereinbar, dass<br />

eine festgestellte Berechtigung zur Rückübertragung der Unternehmen durch eine andere,<br />

auf eine zeitlich frühere Schädigung der Unternehmen bezogene Berechtigung desselben<br />

Geschädigten ergänzt oder ersetzt werden könne. Habe die Behörde die Restitutionsberechtigung<br />

des Geschädigten festgestellt, setze eine Feststellung der Berechtigung<br />

aufgr<strong>und</strong> einer anderen Schädigung des Vermögensgegenstandes vielmehr selbst<br />

dann regelmäßig die Aufhebung des früheren Bescheides voraus, wenn davon dieselbe<br />

Person betroffen sei.<br />

b) Das VG sei im Ergebnis zu Recht von der Bestandskraft der Feststellungsbescheide vom<br />

26. November 1992 ausgegangen. Die Bescheide seien nicht mehr anfechtbar, da zum<br />

Zeitpunkt der Erhebung der Verpflichtungsklage im Jahr 1998 die Klagefrist bereits abgelaufen<br />

gewesen sei. Dies gelte <strong>für</strong> die Monatsfrist des § 74 VwGO. An der Bestandskraft<br />

der Feststellungsbescheide vom 26. November 1992 würde sich aber auch dann<br />

nichts ändern, wenn die durch sie begründete Beschwer der Klägerinnen erst mit dem<br />

In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetze am 1. Dezember 1994 hervorgetreten wäre.<br />

Auch wenn man von dem Vorbringen der Klägerinnen ausginge, dass sie erst aufgr<strong>und</strong><br />

des In-Kraft-Tretens der Entschädigungsgesetze im Jahre 1994 hätten erkennen können,<br />

dass es <strong>für</strong> die Art <strong>und</strong> die Bemessung der Entschädigung auf den Schädigungsvorgang<br />

ankommt, würde - trotz Ablaufs der Frist des § 74 VwGO - eine Klagemöglichkeit, <strong>für</strong><br />

die sich die Klägerinnen der Sache nach auf den Rechtsgedanken der Wiedereinsetzung<br />

in den vorigen Stand wegen nicht zurechenbarer Versäumung der Klagefrist beriefen,<br />

nicht unbefristet bestehen. Sie wäre jedenfalls ein Jahr nach In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetze<br />

entfallen. Denn sie hätten erst im Jahr 1998 ihr Anliegen wieder<br />

aufgegriffen, obwohl sie mit dem In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetzes am 1.<br />

Dezember 1994 die unterschiedliche Art <strong>und</strong> Bemessung der Entschädigung hätten erkennen<br />

können.<br />

Durch die Frist von einem Jahr werde der Rechtsschutz nicht in unzumutbarer <strong>und</strong> mit<br />

Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbarer Weise erschwert (wird ausgeführt <strong>und</strong> im Einzelnen<br />

näher begründet).<br />

2. Im Hinblick darauf, dass die Feststellungsbescheide vom 26. November 1992 aus den genannten<br />

Gründen unanfechtbar seien, könne eine neue Sachentscheidung nur in der Weise<br />

erreicht werden, dass das LARoV das Verfahren wieder aufgreife <strong>und</strong> unter Aufhebung der<br />

Bescheide eine neue Sachentscheidung treffe. Der Antrag der Klägerinnen umfasse ein solches<br />

Begehren. Ihnen stünde jedoch kein entsprechender Anspruch zu (a); die Weigerung<br />

der Behörde, sich erneut mit der Sache zu befassen, sei auch nicht ermessensfehlerhaft gewesen<br />

(b).<br />

a) Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG habe die Behörde auf Antrag des Betr<strong>offene</strong>n über die<br />

Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden,<br />

wenn sich die dem Verwaltungsakt zugr<strong>und</strong>e liegende Rechtslage nachträglich zugunsten<br />

des Betr<strong>offene</strong>n geändert habe. Voraussetzung hier<strong>für</strong> sei, wie die Formulierung “die<br />

- 34 -


- 34 -<br />

dem Verwaltungsakt zugr<strong>und</strong>e liegende Rechtslage” verdeutliche, dass nachträglich die<br />

<strong>für</strong> den Verwaltungsakt maßgeblichen Rechtsnormen, also dessen entscheidungserhebliche<br />

rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen, geändert würden. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Die<br />

im Jahr 1994 in Kraft getretenen Entschädigungsgesetze regelten lediglich die Rechtsfolgen,<br />

die sich an die Berechtigtenfeststellung im Fall der Unmöglichkeit der Restitution<br />

oder der Wahl <strong>für</strong> eine Entschädigung knüpften. Die <strong>für</strong> den Erlass der Berechtigtenfeststellung<br />

maßgeblichen Vorschriften des VermG seien dagegen nicht geändert worden.<br />

b) Ebenso wenig könnten die Klägerinnen die Rücknahme oder den Widerruf der Feststellungsbescheide<br />

nach § 48 Abs. 1 Satz 1 oder § 49 Abs. 1 VwVfG verlangen, deren Anwendbarkeit<br />

nach § 51 Abs. 5 VwVfG von den - besonderen - Bestimmungen über das<br />

Wiederaufgreifen des Verfahrens unberührt bleibe. Die Weigerung der Behörde, erneut<br />

in eine Prüfung der Sache einzutreten, sei vor dem Hintergr<strong>und</strong> dieser Vorschriften nicht<br />

ermessensfehlerhaft gewesen. Im Hinblick darauf, dass die Klägerinnen ihren Antrag lediglich<br />

damit begründet hätten, über den Antrag nach § 1 Abs. 6 VermG sei noch nicht<br />

entschieden worden, habe das LARoV sich <strong>für</strong> seine ablehnende Entscheidung auf den<br />

Hinweis beschränken können, dass in den Feststellungsbescheiden vom 26. November<br />

1992 eine Berechtigung aufgr<strong>und</strong> des Schädigungsvorgangs im Jahr 1939 wegen der im<br />

Jahr 1945 erfolgten Wiedergutmachung abgelehnt worden sei <strong>und</strong> die Feststellungsbescheide<br />

inzwischen bestandskräftig seien. Auch sei das Ermessen nicht in der Weise reduziert,<br />

dass allein eine Aufhebung der Feststellungsbescheide hinsichtlich der Berechtigtenfeststellung<br />

als Folge davon eine neue Berechtigtenfeststellung aufgr<strong>und</strong> der<br />

Schädigung im Jahr 1939 in Betracht gekommen wäre. Auch wenn die Auffassung des<br />

LARoV, dass die Schädigung durch den Zwangsverkauf im Jahr 1939 mit der Übergabe<br />

des Vermögens der beiden Unternehmen im Jahr 1945 wieder rückgängig gemacht worden<br />

sei, rechtsfehlerhaft wäre, sei die Aufrechterhaltung der Feststellungsbescheide vom<br />

26. November 1992 weder schlechthin unerträglich noch seien Umstände erkennbar, die<br />

die Berufung des LARoV auf die Bestandskraft dieser Bescheide als einen Verstoß gegen<br />

die guten Sitten oder Treu <strong>und</strong> Glauben erschienen ließen (zu den Voraussetzungen<br />

einer Ermessensreduzierung auf Null, vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1994 - 2 C<br />

12.92 - BVerwGE 95, 86 = NVwZ 1995, 388 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr.<br />

31.<br />

Anmerkungen:<br />

Das VG Dresden ist in seiner Entscheidung - m. E. zu Recht - davon ausgegangen, dass in<br />

Bezug auf die Antragstellerinnen eine Berechtigung nach § 1 Abs. 6 VermG gegeben ist (1.).<br />

Gleichwohl hat es die von ihnen vor diesem Hintergr<strong>und</strong> begehrte Entschädigung nach dem<br />

NS-VEntschG unter Hinweis auf die Bestandskraft der Bescheide des LARoV vom 26. November<br />

1992 <strong>und</strong> vom 26. August 1994 verneint. Das BVerwG ist dieser Rechtsauffassung im<br />

Ergebnis gefolgt. Die Entscheidung gibt insoweit Anlass, auf die Auslegung von Verwaltungsakten<br />

(2.), die Bindungswirkung bestandskräftiger Verwaltungsakte (3.), die Gr<strong>und</strong>sätze<br />

zum Wiederaufgreifen des Verfahrens (3.) sowie die im Rahmen der §§ 48, 49 VwVfG zu<br />

beachtende Jahresfrist (4.) einzugehen.<br />

1. § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG begründet Rückübertragungsansprüche <strong>für</strong> Bürger <strong>und</strong> Vereinigungen,<br />

denen durch NS-Verfolgungsmaßnahmen auf dem Gebiet der späteren DDR <strong>und</strong><br />

- 35 -


- 35 -<br />

des sowjetischen Sektors von Berlin Vermögen entzogen wurde. Insoweit ist der Zweck<br />

des VermG die Wiedergutmachung von Unrechtsmaßnahmen des NS-Staates in der Zeit<br />

vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 <strong>und</strong> der späteren DDR, zu der sich der Gesetzgeber<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik mit Blick auf den Rechts- <strong>und</strong> Sozialstaatsgedanken des Gr<strong>und</strong>gesetzes<br />

verpflichtet hat (vgl. BVerfGE 84, 90 ). Soweit es um die Wiedergutmachung<br />

nationalsozialistischen Unrechts geht, wird damit der Tatsache Rechnung getragen,<br />

dass es in der sowjetischen Besatzungszone ebenso wie später in der DDR <strong>und</strong> im sowjetischen<br />

Sektor Berlins bis zum Erlass des VermG keine Wiedergutmachungsgesetzgebung<br />

gegeben hat, die den in den westlichen Besatzungszonen <strong>und</strong> Sektoren Berlins <strong>und</strong> später<br />

in der B<strong>und</strong>esrepublik geltenden Wiedergutmachungsgesetzen gleichwertig gewesen wäre<br />

(vgl. Gesetz Nr. 59 der Militärregierung Deutschland - britisches Kontrollgebiet - vom 12.<br />

Mai 1949; Verordnung Nr. 120 des französischen Oberbefehlshabers in Deutschland vom<br />

10. November 1947; Anordnung BK/O 180 der Alliierten Kommandantur Berlin -<br />

REAO - vom 26. Juli 1949; VOBl <strong>für</strong> Groß-Berlin I S. 221; BVerwG 98, 137 98,<br />

261 ).<br />

Wie das alliierte Rückerstattungsrecht sieht auch das VermG die Wiedergutmachung in der<br />

Form der Rückübertragung des konkret entzogenen Vermögenswertes vor, sofern nicht der<br />

Berechtigte eine Entschädigung wählt (§§ 3 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Satz 1; § 8 VermG).<br />

Der Betr<strong>offene</strong> soll Genugtuung durch eine Wiedereinsetzung in den vor der Unrechtsmaßnahme<br />

bestehenden rechtlichen Stand erhalten: die staatliche Rückübertragungsentscheidung<br />

ist insoweit der actus contrarius zu der vom damaligen Staat durchgeführten<br />

oder ermöglichten Entziehung des Vermögenswertes (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. April<br />

1995 - 7 C 5.94 - BVerwGE 98, 137 ff. = VIZ 1995, 4<strong>07</strong>, 409 = ZOV 1995, 300, 303 =<br />

RGV B III 25).<br />

Eine Rückübertragung nach dem VermG ist nur dann ausgeschlossen, wenn bestimmte<br />

nach dem Vermögensverlust eingetretene Voraussetzungen erfüllt sind. Das gilt zum einen<br />

<strong>für</strong> Fallgestaltungen, bei denen eine Rückübertragung von der Natur der Sache her, etwa<br />

bei Untergang des Vermögenswertes nicht mehr möglich ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 VermG;<br />

ähnlich § 4 Abs. 1 Satz 2 VermG <strong>für</strong> nicht mehr betriebene Unternehmen). Zum anderen ist<br />

eine Rückübertragung ausgeschlossen, wenn der entzogene Vermögenswert zwar noch<br />

vorhanden ist, aber bestimmte private oder öffentliche Interessen an der Beibehaltung des<br />

gegenwärtigen Zustandes höher als das Restitutionsinteresse zu werten sind.<br />

Nach den zwischen den Beteiligten unstreitigen Feststellungen des LARoV <strong>und</strong> des VG<br />

Dresden wurden die Unternehmensgesellschaften im Zuge der “Arisierung” verkauft. Inzident<br />

wurde damit auch seitens der die angegriffenen Verwaltungsakte erlassenden Behörde<br />

von einem verfolgungsbedingten Vermögensverlust i. S. v. § 1 Abs. 6 VermG ausgegangen,<br />

mit der Konsequenz, dass an sich eine Rückübertragung hätte erfolgen müssen. Nach<br />

den insoweit nicht beanstandeten Tatsachenfeststellungen des LARoV (vgl. Ziff. 4 des Tenors<br />

der Entschädigungsgr<strong>und</strong>lagenbescheide) war die Rückgabe der Unternehmen allerdings<br />

ausgeschlossen, da der Geschäftsbetrieb eingestellt <strong>und</strong> die Voraussetzungen <strong>für</strong> eine<br />

Wiederaufnahme nicht gegeben waren. Ist eine Wiedergutmachung durch Rückübertragung<br />

nach Maßgabe des VermG indessen nicht möglich, so sieht § 1 Abs. 5 EntschG als zwingende<br />

Rechtsfolge zugunsten der Berechtigten die Gewährung einer Entschädigung nach<br />

Maßgabe des NS-EntschG vor.<br />

- 36 -


- 36 -<br />

Der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG wäre nur dann nicht eröffnet, wenn die<br />

durch den verfolgungsbedingten Vermögensverlust Geschädigten oder ihre Rechtsnachfolger<br />

die über § 1 Abs. 6 VermG zurückverlangte Rechtsposition bereits auf andere Weise<br />

erlangt hätten, d. h. wenn eine dauerhafte <strong>und</strong> nachhaltige Wiedergutmachung des während<br />

der NS-Zeit erlittenen Vermögensverlustes schon erfolgt wäre (vgl. BT-Drucks. 12/2480,<br />

S. 39; BVerfG, Beschluss vom 18. April 1996 - 1 BvR 1452/90, 1459/90, 2031/94 -<br />

BVerfGE 94, 12 = NJW 1996, 1666 = VIZ 1996, 325 = ZOV 1996, 181 = RGV B II<br />

131; BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1997 - 7 C 67.96 -). Diese Voraussetzung ist jedoch m.<br />

E. aus den vom VG Dresden in seinen Urteilsgründen zutreffend dargelegten Gründen (s.<br />

S. 8) in Bezug auf die Rechtsnachfolger der ursprünglichen Gesellschafter der arisierten<br />

Unternehmen nicht der Fall. Die Wiedergutmachung war insbesondere nicht dauerhaft, da<br />

die im Jahre 1945 eingeräumte Rechtsposition 1953 gem. § 2 der Vermögenssicherungsverordnung<br />

vom 17. Juli 1952 entzogen wurde. Durch die Schädigung gem. § 1 Abs. 1<br />

Buchst. a VermG wurde der Geschädigte auf den ursprünglichen Schädigungstatbestand<br />

“zurückgeworfen”. Dem trägt § 1 Abs. 5 EntschG Rechnung. Immer dann, wenn ein Schädigungstatbestand<br />

gem. § 1 Abs. 6 VermG gegeben <strong>und</strong> eine Wiedergutmachung in Form<br />

der Rückübertragung nach den Bestimmungen des VermG nicht möglich ist, soll die<br />

Rechtsfolge nach Maßgabe des NS-VEntschG greifen. Diese Vorschrift ist so weit gefasst,<br />

das auch eine eventuelle nachhaltige Wiedergutmachung eines Vermögensverlustes, die<br />

sich durch eine weitere nachfolgende Schädigung “überholt”, nach dem NS-VEntschG<br />

wieder gut zu machen ist. Die Tatsache, dass den Klägerinnen im vorliegenden Fall seitens<br />

des VG Dresden - wie vom BVerwG im Ergebnis bestätigt - gleichwohl eine Entschädigung<br />

nach dem NS-VEntschG versagt wurde, ist mithin nicht dem materiellen, sondern<br />

dem Verfahrensrecht geschuldet (vgl. hierzu unter 4.).<br />

2. Bei der Auslegung von Verwaltungsakten (VA) ist nach h. M. die Regelung des § 133<br />

BGB analog anzuwenden, mit der Konsequenz, dass der jeweilige Erklärungsgehalt nicht<br />

dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu entnehmen ist, sondern dass es auf den zum<br />

Ausdruck gebrachten wirklichen Willen ankommt, wie er von dem Adressaten zu verstehen<br />

ist (zur entsprechenden Anwendung des § 133 BGB vgl. auch BVerwG, Beschluss<br />

vom 6. April 1989 - 7 B 55.89 - Buchholz 316 § 37 VwVfG Nr. 4; Urteil vom 15. Dezember<br />

1989 - 7 C 35.87 - BVerwGE 84, 220 ; Urteil vom 8. Oktober 1998 - 4 C 6.97 -<br />

BVerwGE 1<strong>07</strong>, 264 sowie Urteil vom 15. Dezember 1989 - 7 C 35.87 - BVerwGE<br />

84, 220 ). Ausgehend von diesem Gr<strong>und</strong>satz ist das BVerwG im vorliegenden Fall<br />

zu dem Schluss gelangt, dass die Klägerinnen die Feststellungsbescheide nur dahin verstehen<br />

konnten, dass sie allein aufgr<strong>und</strong> der Schädigung im Jahr 1953 zur Rückübertragung<br />

der Unternehmen berechtigt sind, der Vermögensverlust im Jahr 1939 dagegen keine Berechtigung<br />

begründet (zur Begründung im Einzelnen vgl. S. 8 - 10 der Entscheidung).<br />

3. Das VG Dresden hat die Klage der Klägerinnen unter Hinweis darauf abgewiesen, dass<br />

über die von ihnen geltend gemachten Ansprüche bereits durch die Bescheide des LARoV<br />

vom 26. November 1992 bzw. vom 26. August 1994 bestandskräftig entschieden worden<br />

sei.<br />

Ein bestandskräftiger VA entfaltet gr<strong>und</strong>sätzlich sog. Tatbestandswirkung (vgl. Geiger, in:<br />

Eyermann/Fröhler, 10. Aufl., zu § 86 VwGO, Rz. 16). Dies bedeutet, dass er mit dem von<br />

ihm in Anspruch genommenen Inhalt von allen rechtsanwendenden Stellen (Behörden <strong>und</strong><br />

Gerichte, letztere, soweit sie nicht zur Entscheidung über Rechtsbehelfe gegen den Bescheid<br />

berufen sind) zu beachten <strong>und</strong> eigenen Entscheidungen zugr<strong>und</strong>e zu legen ist (vgl.<br />

Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, 5. Aufl., zu § 43 VwVfG, Rz. 134; BGHZ<br />

- 37 -


- 37 -<br />

74, 114 = NJW 1979, 597 f.). Eine Bindung an den Inhalt des erlassenen Hoheitsaktes<br />

ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetz, denn eine dem § 318 ZPO entsprechende<br />

Vorschrift gibt es im Verwaltungsrecht nicht. Auch bei Verwaltungsakten besteht<br />

jedoch ein sich aus dem Gebot der Rechtssicherheit - als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips,<br />

ergebendes begründetes Interesse daran, dass ihre Regelungen, stehen sie einmal<br />

fest, gr<strong>und</strong>sätzlich nicht mehr in Frage gestellt werden, sondern auch bei einem anderen<br />

Verfahrensgegenstand als gegeben zugr<strong>und</strong>e zu legen sind (vgl. Kollmann, DÖV 1990, 189<br />

ff. ). Unzulässig ist es danach, sich über getr<strong>offene</strong> Entscheidungen hinwegzusetzen<br />

<strong>und</strong> den ihnen zugr<strong>und</strong>e liegenden Lebenssachverhalt bei unveränderter Sach- <strong>und</strong> Rechtslage<br />

zum Gegenstand erneuter Prüfung <strong>und</strong> Regelung zu machen. Eine entsprechende Bindungswirkung<br />

besteht dabei gr<strong>und</strong>sätzlich selbst dann, wenn der wirksam gewordene VA<br />

rechtswidrig ist (vgl. Kopp, 5. Aufl., Vorbem., § 35 VwVfG Rdnr. 26 w. w. N.). Art. 19<br />

Abs. 4 GG steht diesem Ergebnis nicht entgegen, vielmehr garantiert die vorbenannte<br />

Norm Rechtsschutz “unbeschadet” der Tatbestandswirkungen von Verwaltungsakten<br />

(BVerfGE 61, 82 = NJW 1982, 2173 ff.).<br />

Was die Reichweite der Bindungswirkung eines VA anbelangt, so lässt sich diese nicht generell<br />

<strong>und</strong> losgelöst vom jeweiligen Rechtsgebiet bestimmen (vgl. Rennert, in: Eyermann/Fröhler,<br />

10. Aufl., zu § 121 VwGO, Rz. 18). Die Bindung beurteilt sich unterschiedlich,<br />

je nachdem, ob sie sich auf die erlassende Behörde oder den Betr<strong>offene</strong>n bezieht <strong>und</strong><br />

ob es sich um einen belastenden oder einen begünstigenden VA handelt (vgl. Redeker/von<br />

Oertzen, 10. Aufl. zu § 42 VwGO, Rdnr. 91). In abstracto kann zu ihrer Bestimmung aber<br />

auf die im Zusammenhang mit der materiellen Rechtskraft bei gerichtlichen Urteilen entwickelten<br />

Gr<strong>und</strong>sätze zurückgegriffen werden (vgl. BVerfGE 60, 253 ). Bei diesen<br />

ist hinsichtlich des sachlichen Umfangs der Bindungswirkung von der Urteilsformel auszugehen.<br />

Die Entscheidungsgründe nehmen an der Rechtskraft nicht teil, sind aber in vielen<br />

Fällen zur Bestimmung der Rechtskraftwirkung mit heranzuziehen. Auch bei einem<br />

VA ist dementsprechend der Entscheidungsgegenstand in erster Linie aus dem Tenor zu<br />

entnehmen (s. Kopp, 6. Aufl., Vorbem. § 35, Rdnrn. 7 <strong>und</strong> 18; BVerwG, Urteil vom 28.<br />

November 1986 - 8 C 122 - 125/84 - NVwZ 1987, 496 ff. = NJW 1987; Kollmann, in:<br />

DÖV 1990, 193). Die Bindungswirkung kann dabei nur soweit reichen, wie dessen Entscheidungsinhalt<br />

reicht (vgl. Kopp, 5. Aufl., Vorbem. zu § 35 Rdnr. 28).<br />

Im Tenor der vom VG Dresden in Bezug genommenen Bescheide des LARoV wurde in einer<br />

ersten Teilentscheidung über die Berechtigung der Antragstellerinnen bef<strong>und</strong>en (=<br />

Feststellungsbescheide vom 26. November 1992). In einer weiteren Teilentscheidung wurde<br />

ihnen das Bestehen eines Entschädigungsanspruches dem Gr<strong>und</strong>e nach bestätigt <strong>und</strong><br />

zugleich - unter Verweis auf ein künftiges Gesetz - festgestellt, dass über die Höhe der Entschädigung<br />

noch gesondert zu entscheiden ist (= Entschädigungsgr<strong>und</strong>lagenbescheide vom<br />

26. August 1994). Eine ausdrückliche Feststellung, dass bestimmte Schädigungstatbestände<br />

(hier: § 1 Abs. 6 VermG) nicht bestehen oder ausgeschlossen sind erfolgte dagegen - worauf<br />

das VG Dresden in seiner Entscheidung (s. S. 7 des Urteils) selbst hingewiesen hat - in<br />

keinem der Bescheide. Das VG Dresden hat jedoch aus der Tatsache, dass das LARoV in<br />

seinen Bescheiden davon ausgegangen ist, dass der im Jahre 1939 erfolgte Verkauf der<br />

Unternehmen eine “Arisierung” der Rechtsvorgängerinnen der Klägerinnen darstellte geschlossen,<br />

dass die Behörde dem Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG eine eigenständige<br />

Bedeutung beigemessen hat. Diese Einschätzung wird vom BVerwG - mit Blick<br />

auf den Regelungswillen der Behörde - geteilt (vgl. S. 7 f. d. U.) <strong>und</strong> dürfte aus den in diesem<br />

Zusammenhang aufgeführten Gründen (vgl. auch Ziff. 2 der Anmerkungen) im Ergeb<br />

- 38 -


- 38 -<br />

nis nicht zu beanstanden sein. Dass seitens des LARoV allerdings tatsächlich - wie das VG<br />

Dresden in seiner Entscheidung (vgl. S. 7) konstatiert - eine “umfassende” Auseinandersetzung<br />

mit der - im Ergebnis verneinten - Frage nach der “Anwendung des § 1 Abs. 6<br />

VermG” stattgef<strong>und</strong>en hat, muss m. E. bezweifelt werden. Da nach § 6 Abs. 7 Satz 1<br />

VermG in der bis zum Inkrafttreten des EALG geltenden Fassung ausdrücklich normiert<br />

war, dass maßgeblich <strong>für</strong> die Höhe eines Entschädigungsanspruchs der Wert des Unternehmens<br />

zum Zeitpunkt der Übernahme in VE oder in staatliche Verwaltung ist, spricht m.<br />

E. vielmehr vieles da<strong>für</strong>, dass das LARoV Sachsen - nach damalige Rechtslage durchaus<br />

zu Recht - vorrangig auf die im Jahre 1953 stattgef<strong>und</strong>ene Schädigungsmaßnahme <strong>und</strong> die<br />

mit ihr einhergehende Überführung des Vermögenswertes VE abgestellt hat, die Voraussetzungen<br />

des § 1 Abs. 6 VermG hingegen - da es ihnen keine eigenständige Bedeutung<br />

beizumessen brauchte - nur am Rande geprüft hat.<br />

4. Die Vorschrift des § 51 VwVfG ist auch im Verfahren nach dem VermG nicht generell<br />

ausgeschlossen. Sie ist weder insgesamt durch spezialgesetzliche Regelungen des VermG<br />

verdrängt noch stehen Sinn <strong>und</strong> Zweck des Wiedergutmachungsrechts dem Wiederaufgreifen<br />

bestandskräftig abgeschlossener Restitutionsverfahrens von vornherein entgegen (vgl.<br />

BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 1997 - 7 B 336.97 -). Die Voraussetzung der Unanfechtbarkeit<br />

eines Verwaltungsaktes bedeutet insoweit lediglich, dass dieser nicht mehr mit<br />

Rechtsbehelfen angefochten werden kann (§ 51 Abs. 2 VwVfG), nicht jedoch seine sachliche<br />

Unabänderbarkeit (vgl. dazu auch BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1984 - 9 C 875.81 -;<br />

vom 13. September 1984 - 2 C 22.83 -; vom 28. Juli 1989 - G 7 C 78.88 -; vom 8. Dezember<br />

1992 - 1 C 12.92 - <strong>und</strong> vom 27. Januar 1994 - 2 C 12.92 -). Die Vorschrift des § 51<br />

Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG führt andererseits die Gründe, die dem Betr<strong>offene</strong>n einen Anspruch<br />

auf Wiederaufgreifen vermitteln, enumerativ auf <strong>und</strong> erkennt damit den Katalogtatbeständen<br />

Ausschließlichkeitscharakter zu. Dies verbietet eine beliebige Erweiterung der<br />

vom Gesetzgeber normierten Tatbestände. Denn nur in einzelnen besonders gravierenden<br />

Fällen sieht der Gesetzgeber das Zurücktreten des Prinzips der materiellen Gerechtigkeit<br />

gegenüber dem formalen Prinzip der Bestands- bzw. Rechtskraft als so unerträglich, den<br />

Rechtsfrieden nachhaltig beeinträchtigend an, dass er in diesen Fällen den Konflikt zugunsten<br />

des Prinzips der materiellen Gerechtigkeit löst <strong>und</strong> dem Betr<strong>offene</strong>n einen Anspruch<br />

auf neue Sachentscheidung zugesteht (so expressis verbis BVerwG, Urteil vom 27.<br />

Januar 1994 - 2 C 12.92 - BVerwGE 95, 86 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 31). Allerdings<br />

ist der Beklagte gr<strong>und</strong>sätzlich befugt, nach pflichtgemäßem Ermessen über einen<br />

durch unanfechtbaren VA beschiedenen materiellrechtlichen Anspruch erneut sachlich zu<br />

entscheiden (stRspr., vgl. u. a. BVerwG, Urteile vom 28. Juli 1976 - 8 C 90.75 - Buchholz<br />

412.3 § 16 BVFG Nr. 2; vom 14. Dezember 1977 - 8 C 79.76 - Buchholz 412.3 § 16<br />

BVFG Nr. 2; vom 8. Dezember 1992 - 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256 = Buchholz 310 §<br />

121 VwGO Nr. 63 <strong>und</strong> vom 27. Januar 1994 - 2 C 12.92 - BVerwGE 91, 256 = Buchholz<br />

310 § 121 VwGO Nr. 63 sowie Beschluss vom 25. Mai 1981 - 8 B 89, 93.80 - NJW 1981,<br />

2595= Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 9). Die im Vorprozess obsiegende Behörde ist durch<br />

die Rechtskraftwirkung allein nicht gehindert, unter Beachtung des Gr<strong>und</strong>satzes der Gesetzmäßigkeit<br />

der Verwaltung auf die Durchsetzung des von ihr erlassenen belastenden<br />

Verwaltungsakts zu verzichten oder den begehrten begünstigenden Verwaltungsakt zu erlassen<br />

(vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1992 - 1 C 12.92 - a. a. O., 261).<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich handelt die Behörde jedoch nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie eine erneute<br />

Sachentscheidung wegen eines Anspruchs ablehnt, dessen Bestehen gerichtlich bestätigt<br />

worden ist. Insoweit bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins einzelne gehenden Ermessenserwägung<br />

der Behörde. Umstände, die eine erneute Entscheidung im Einzelfall gebie<br />

- 39 -


- 39 -<br />

ten, müssen von einer den in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG geregelten Fällen vergleichbaren<br />

Bedeutung <strong>und</strong> Gewicht sein. Derartige Umstände, nach denen die Aufrechterhaltung<br />

des Erstbescheides schlechthin unerträglich wäre, können z.B. die offensichtliche Fehlerhaftigkeit<br />

des rechtskräftigen Urteils sein oder ein Verstoß gegen die guten Sitten oder<br />

Treu <strong>und</strong> Glauben sein (vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 19. Oktober 1967 - 3 C 123.66 -<br />

BVerwGE 28, 122 = Buchholz 427.3 § 342 LAG Nr. 10; vom 30. Januar 1974 - 8 C 20.72<br />

- BVerwGE 44, 333 = Buchholz 310 Vorbem. III zu § 42 VwGO Ziff 5 Nr. 75 LT1-2;<br />

vom 27. Januar 1994 - 2 C 12.92 - BVerwGE 95, 86 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 31<br />

sowie Beschluss vom 16. August 1989 - 7 B 57.89 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr.<br />

268).<br />

Nach der im vom VG Dresden zu entscheidenden Fall allein in Betracht kommenden Vorschrift<br />

des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist die nachträgliche Änderung der Sach- oder<br />

Rechtslage zugunsten des Betr<strong>offene</strong>n ein Gr<strong>und</strong>, das Verfahren wieder aufzugreifen. Das<br />

BVerwG hat das Vorliegen dieser Voraussetzung hier mit der Begründung verneint, dass<br />

die im Jahr 1994 in Kraft getretenen Entschädigungsgesetze lediglich die Rechtsfolgen regeln,<br />

die sich an die Berechtigtenfeststellung im Fall der Unmöglichkeit der Restitution<br />

oder der Wahl <strong>für</strong> eine Entschädigung knüpfen, während die <strong>für</strong> den Erlass der Berechtigtenfeststellung<br />

maßgeblichen Vorschriften des VermG nicht geändert worden seien. Eine<br />

Änderung der Rechtslage ist aber grds. nur dann anzunehmen, wenn es sich um Änderungen<br />

im Bereich des materiellen Rechts handelt, denen eine allgemein verbindliche Außenwirkung<br />

zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1994 - 2 C 12.92 - m. w. N.). Der<br />

Tatsache, dass mit der im Rahmen des Art. 10 EALG erfolgten Novellierung des § 6 Abs. 7<br />

VermG a. F. sowohl in Bezug auf die Berechnung der Entschädigungshöhe als auch in Bezug<br />

auf deren Erfüllungsmodalitäten eine Änderung eingetreten ist hat das BVerwG dementsprechend<br />

mithin keine eigenständige Bedeutung beigemessen.<br />

5. Ohne Erfolg blieb schließlich auch der Vortrag der Klägerinnen, dass sie vor In-Kraft-<br />

Treten der Entschädigungsgesetze nicht hätten erkennen können, dass es <strong>für</strong> die Art <strong>und</strong> die<br />

Bemessung der Entschädigung auf den Schädigungstatbestand ankomme <strong>und</strong> dass das VG<br />

Dresden infolgedessen nicht von der Bestandskraft der Feststellungsbescheide vom 26.<br />

November 1992 hätte ausgehen dürfen. Hierzu ist Folgendes anzumerken: Im Zeitpunkt<br />

des Erlasses der LARoV-Bescheide konnten die Berechtigten m. E. in der Tat gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

noch davon ausgehen, dass der in den Feststellungsbescheiden vom 26. November<br />

1992 zur Bejahung ihrer Berechtigteneigenschaft herangezogene Schädigungstatbestand<br />

keinen Einfluss auf die Rechtsfolge - “Entschädigung” - haben wird. Die Unterschiede in<br />

der Berechnung, die sich aus den unterschiedlichen Schädigungstatbeständen (hier: § 1<br />

Abs. 1 Buchst. a VermG einerseits; § 1 Abs. 6 VermG andererseits) ergeben, waren <strong>für</strong> die<br />

Berechtigten nicht konkret absehbar. Denn weder das EntschG noch das NS-VEntschG waren<br />

zu dieser Zeit schon im Gesetzblatt verkündet. Zwar bestand in Bezug auf NS-<br />

Verfolgte von Anfang an Einigkeit darüber, dass sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung<br />

der Höhe der an Betr<strong>offene</strong> dieser Personengruppe zu gewährenden Entschädigung an den<br />

Vorgaben des B<strong>und</strong>esrückerstattungs- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esentschädigungsgesetzes zu orientieren<br />

haben würde um den Verpflichtungen aus der Vereinbarung vom 27./28. September 1990<br />

(BGBl. II S. 1386) zum Überleitungs- <strong>und</strong> Deutschlandvertrag gerecht zu werden. Darüber<br />

hinaus wurde bereits im laufenden Gesetzgebungsverfahren zum EALG, das sich - vor dem<br />

Hintergr<strong>und</strong> divergierender politischer Zielvorstellungen <strong>und</strong> der finanziellen Rahmenbedingungen<br />

- als äußerst langwierig erwies <strong>und</strong> über einen Zeitraum von nahezu drei Jahren<br />

erstreckte, auch erwogen, die Frage der NS-Verfolgtenentschädigung in einem eigenständigen<br />

Gesetz nach besonderen Gr<strong>und</strong>sätzen zu regeln. Maßgebend <strong>für</strong> diesen Ansatz war<br />

- 40 -


- 40 -<br />

letztlich ebenfalls die Überlegung, dass die Entschädigung <strong>für</strong> diesen Personenkreis nicht<br />

hinter dem Anspruch zurückbleiben sollte, der nach dem alliierten Rückerstattungsrecht<br />

seinerzeit im Westen bestanden hätte (vgl. Begr. RegE EALG, BT-Drucks. 12/4887, S. 30).<br />

Niederschlag fanden diese Überlegungen erstmals in den Eckwerten des sog. Bohl-Papiers,<br />

die im Anschluss an die vom Finanz- <strong>und</strong> Rechtsausschuss am 15./16. September 1993<br />

gemeinsam durchgeführte öffentliche Anhörung zum Entwurf des EALG erarbeitet wurden.<br />

Am 23. November 1993 wurden die in dem vorbenannten Papier enthaltenen Eckwerte<br />

sodann von den damaligen Koalitionsfraktionen beschlossen <strong>und</strong> durch Formulierungshilfen<br />

der B<strong>und</strong>esregierung vom 10. Januar 1994 in das parlamentarische Verfahren<br />

eingebracht. Obgleich die <strong>für</strong> die Überlegung der Schaffung eines eigenständigen NS-<br />

VEntschG maßgeblichen Gründe in der Folgezeit nicht mehr Gegenstand von Kontroversen<br />

waren, bleibt zu konstatieren, dass seine Regelungsinhalte im Detail erst mit Inkrafttreten<br />

des EALG <strong>für</strong> die Öffentlichkeit bekannt wurden. Unabhängig davon konnte seitens<br />

der Antragstellerinnen eine Folgenabwägung in Bezug auf Art <strong>und</strong> Höhe der Entschädigung<br />

bei einer auf den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG - statt auf §<br />

1 Abs. 6 VermG - gestützten Berechtigtenfeststellung aber vor diesem Zeitpunkt auch deshalb<br />

nicht erfolgen, weil der vom LARoV in seinen Entschädigungsgr<strong>und</strong>lagenbescheiden<br />

expressis verbis in Bezug genommene § 6 Abs. 7 VermG bis zum Inkrafttreten des EALG<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich eine Aussage dahingehend traf, dass es <strong>für</strong> die Bemessung der Entschädigung<br />

stets auf den Zeitpunkt der Übernahme des Vermögenswertes in VE <strong>und</strong> nicht auf Schädigungszeitpunkte<br />

davor ankomme. Danach stand also fest, dass sich ein Entschädigungsanspruch<br />

unter den genannten Voraussetzungen (Unmöglichkeit der Rückgabe oder Ausübung<br />

des Wahlrechts) auf den in Deutsche Mark zu erstattenden Wert des Unternehmens<br />

zum Zeitpunkt der Übernahme in VE oder in staatliche Verwaltung bezieht, <strong>und</strong> zwar unabhängig<br />

von dem Schädigungstatbestand. Erst durch Art. 10 EALG wurde der Rechtsfolgenverweis<br />

in § 6 Abs. 7 VermG dahingehend geändert, dass sich die Entschädigung nach<br />

dem EntschG bestimmt, dessen Absätze 2 bis 4 über § 2 NS-VEntschG auch <strong>für</strong> Anspruchsberechtigte<br />

nach § 1 Abs. 6 VermG Anwendung finden. Mit In-Kraft-Treten des<br />

EntschG <strong>und</strong> dem dort in § 1 Abs. 5 enthaltenen Verweis auf das NS-VEntschG (Art. 3<br />

EALG), war andererseits aber auch klar erkennbar, dass der Schädigungszeitpunkt im Hinblick<br />

auf die Berechnungsunterschiede <strong>und</strong> Erfüllungsmodalitäten von entscheidender Bedeutung<br />

ist. Da die Klägerinnen ihr Anliegen aber erst vier Jahre nach In-Kraft-Treten des<br />

EALG wieder aufgegriffen haben, waren die Bescheide des LARoV nicht mehr anfechtbar.<br />

Zur Begründung hat das BVerwG in diesem Zusammenhang auf dies prozessualen Ausschlussfristen<br />

der §§ 58 Abs. 2, 60 Abs. 3 VwGO hingewiesen (vgl. S. 11 f. der Entscheidung).<br />

Zwar erfolgte im vorliegenden Fall die Mitteilung der OFD, eine Berechnung der<br />

Entschädigung nach Maßgabe des NS-VEntschG nicht vorzunehmen, aufgr<strong>und</strong> derer die<br />

Klägerinnen letztlich aktiv wurden, erst 1998. Dieser Umstand ändert aber nichts daran,<br />

dass die der Entscheidung der OFD zugr<strong>und</strong>eliegenden maßgeblichen Entschädigungsgesetze<br />

bereits vier Jahre zuvor in Kraft getreten sind. Von diesem Zeitpunkt an bestand mithin<br />

<strong>für</strong> die Klägerinnen auch die Gelegenheit zur Wahrnehmung der entsprechenden<br />

Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Bescheide des LARoV. In Übereinstimmung mit<br />

dem BVerwG wird man auch davon ausgehen können, dass die Jahresfrist regelmäßig ausreichend<br />

ist, um von einer eingetretenen Gesetzesänderung Kenntnis zu nehmen <strong>und</strong> sich<br />

über die rechtlichen Konsequenzen schlüssig zu werden. Dies lässt sich, worauf das<br />

BVerwG in der vorliegenden Entscheidung expressis verbis hingewiesen hat, u. a. aus § 93<br />

Abs. 3 BVerfGG entnehmen, wonach eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen ein Gesetz<br />

richtet, ebenfalls nur binnen eines Jahres seit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes erhoben<br />

werden kann<br />

- 41 -


- 41 -<br />

Dass auch in Bezug auf die in den §§ 58 Abs. 2, 60 Abs. 3 VwGO normierten Ausschlussfristen<br />

keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, hat das BVerwG im Übrigen in<br />

einer Entscheidung aus dem Jahre 1979 dezidiert ausgeführt (BVerwG, Urteil vom 11. Mai<br />

1979 - 6 C 70/78 -). Dort heißt es :<br />

“Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts gehört die zeitliche Befristung<br />

von Rechtsmitteln <strong>und</strong> Rechtsbehelfen seit jeher zum Inhalt rechtsstaatlicher<br />

Verfahrensordnung. Die Befristung dient, wenn sie auch nicht selten mit der<br />

Forderung nach möglichst weitgehender materialer Gerechtigkeit in Widerstreit<br />

geraten mag, der Rechtssicherheit, die ihrerseits ein Element des Rechtsstaatsprinzips<br />

ist (BVerfGE 41, 323 [326]). Es ist deshalb nicht bezweifelt worden, dass die<br />

Anrufung der Gerichte von der Erfüllung der in den Prozessordnungen bestimmten<br />

formalen Voraussetzungen, etwa von der Einhaltung bestimmter Fristen, abhängig<br />

gemacht werden darf (vgl. BVerfGE 10, 264 [267 f.]). Die prozessualen<br />

Gr<strong>und</strong>rechte des Art. 19 Abs. 4 <strong>und</strong> des Art. 103 Abs. 1 GG haben nicht den Sinn,<br />

den Bürger aus der Beachtung aller Fristen <strong>und</strong> anderer Förmlichkeiten zu entlassen,<br />

ohne die ein geordnetes Verfahren <strong>und</strong> damit Rechtssicherheit <strong>und</strong> Rechtsstaatlichkeit<br />

nicht zu verwirklichen sind (vgl. BVerfGE 42, 120 [124]). Auch die<br />

einjährige Ausschlussfrist der §§ 58 Abs. 2, 60 Abs. 3 VwGO verstößt nicht gegen<br />

die genannten prozessualen Gr<strong>und</strong>rechte. Der Rechtsschutz bleibt vielmehr sachlich<br />

in vollem Umfang gewährleistet. Er wird im Interesse der Rechtssicherheit<br />

nur in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt, was mit den Rechtsschutzgarantien der<br />

Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG durchaus vereinbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom<br />

10. November 1966 - 2 C 99.64 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 8 = NJW 1967,<br />

591)”<br />

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ablauf der Jahresfrist ist nur ganz ausnahmsweise,<br />

nämlich im Fall der höheren Gewalt möglich. Davon kann nach der Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts nur dann ausgegangen werden, wenn unter den<br />

gegebenen Umständen auch durch die größte, nach den Umständen des gegebenen Falles<br />

vernünftigerweise von dem Betr<strong>offene</strong>n unter Anlegung subjektiver Maßstäbe - also unter<br />

Berücksichtigung seiner Lage, Erfahrung <strong>und</strong> Bildung - zu erwartende <strong>und</strong> zumutbare<br />

Sorgfalt die Fristversäumung nicht abgewendet werden konnte (so ebenfalls das BVerwG<br />

in der oben zitierten Entscheidung vom 11. Mai 1979).<br />

Diese Voraussetzung war im Falle der Klägerinnen unzweifelhaft nicht erfüllt.<br />

Mitgeteilt von Ellen Hirschinger

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