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Rechtsprechungsübersicht 04/2006 - Bundesamt für zentrale ...

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<strong>Bundesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>zentrale</strong> Dienste<br />

und offene Vermögensfragen<br />

<strong>Rechtsprechungsübersicht</strong><br />

<strong>04</strong>/<strong>2006</strong><br />

vom 21. September <strong>2006</strong><br />

Seite<br />

VG Greifswald, Urteil vom 29. April 2005, Az.: 6 A 359/05 [5754] 5<br />

Wertausgleich; Kostennachweis; Sachverständigengutachten;<br />

Rücknahme; Ermessen; Reduzierung des Ermessens; offensichtliche<br />

Unrichtigkeit; Selbstbindung der Verwaltung; Unzumutbarkeit<br />

der Folgen eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes; Wiederaufgreifen<br />

des Verfahrens<br />

§ 7 Abs. 1 VermG;<br />

§ 48,<br />

§ 51 VwVfG<br />

BVerwG, Urteil vom 31. August 2005, Az.: 8 C 11.05 [5735] 9<br />

Anscheinsbeweis; Ausreise; ausreisewillige Miterbin; Erbengemeinschaft;<br />

Gesamthandseigentum; Kausalität; einzelner Nachlassgegenstand;<br />

Nötigung; Verzicht; Mitverzicht; widerlegbare<br />

Vermutung<br />

§ 1 Abs. 3 VermG;<br />

§ 400 Abs. 1 Satz 2 ZGB (DDR)<br />

BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2005, Az.: 7 C 8/05 [5738] 13<br />

Berechtigter; Rechtsnachfolger; Anmeldung; Testamentsvollstreckung;<br />

Anmeldung durch Berechtigten bei Testamentsvollstreckung;<br />

Anmeldung eines vermögensrechtlichen Anspruchs<br />

bei Testamentsvollstreckung<br />

§ 2 Abs. 1 Satz 1,<br />

§ 30 Abs. 1 Satz 1,<br />

§ 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG;<br />

§ 2205,<br />

§ 2212 BGB<br />

BVerwG, Beschluss vom 5. Dezember 2005, Az.: 7 B 81.05 [5774] 17<br />

„Liste 3-Enteignung“; besatzungshoheitliche Enteignung<br />

§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />

BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2005, Az.: 8. C 13.<strong>04</strong> [5751] 21<br />

Rückübertragungsausschluss förmlicher Anordnung der Verwalterbestellung;<br />

Umwandlung einer Kinderkrippe in ein Kinderheim;<br />

Änderung der Zweckbestimmung eines Gebäudes<br />

§ 5 Abs. 1 Buchst. a VermG


BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2005, Az.: 8 B 40.05 [5781] 25<br />

Rückgabe-Liste „B“; Enteignungsverbot; besatzungshoheitlicher<br />

Zurechnungszusammenhang<br />

§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />

BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2005, Az.: 3 B 6.05 [5784] 27<br />

Erhebliches Vorschubleisten gegenüber dem nationalsozialistischen System;<br />

Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit;<br />

Gauredner; Bezirksredner; Amtsleiter NS-Ärztebund;<br />

Kreishauptstellenleiter; Amt <strong>für</strong> Volksgesundheit; Beisitzer am<br />

Erbgesundheitsgericht; SA-Standartenarzt<br />

§ 1 Abs. 4 1. und 3. Alt.,<br />

§ 5 AusglLeistG<br />

VG Gera, Urteil vom 26. Januar <strong>2006</strong>, Az.: 6 K 617/<strong>04</strong> [5805] 29<br />

Schwerwiegender Missbrauch der Stellung zum eigenen Vorteil<br />

bzw. Nachteil anderer; Ausnutzen der Verfolgungslage; legaler<br />

Erwerb<br />

§ 1 Abs. 4 2. Alt. AusglLeistG;<br />

§ 15 Abs. 2 RepG<br />

BVerwG, Urteil vom 23. Februar <strong>2006</strong>, Az.: 3 C 22.05 [5783] 35<br />

Erstreckung der Prüfung von Ausschlussgründen auf denjenigen,<br />

auf den die Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher<br />

Grundlage abzielte; Gauredner, NSDAP; Staatsrat;<br />

Kreisbauernführer<br />

§ 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />

BVerwG, Beschluss vom 28. Februar <strong>2006</strong>, Az.: 8 B 89.05 [5747] 39<br />

Grundstück; Rückgabe; Restitutionsausschluss; Siedlung; Siedlungsbau;<br />

komplexer Siedlungsbau; Einfamilienhäuser; städtebauliche<br />

Einheit<br />

§ 5 Abs. 1 Buchst. c VermG<br />

BVerwG, Urteil vom 29. März <strong>2006</strong>, Az.: 8 C 15.05 [5748] 43<br />

Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes eines<br />

nichtjüdischen Miterben einer sog. „rassisch gemischten“ Erbengemeinschaft<br />

§ 1 Abs. 6 VermG;<br />

Art. 3 REAO<br />

BVerwG, Urteil vom 29. März <strong>2006</strong>, Az.: 8 C 19.<strong>04</strong> [5750] 45<br />

Abgrenzung der Restitutionsberechtigung nach VermG oder<br />

EV/VZOG; öffentlich-rechtliche Stiftung; Enteignung, entschädigungslose<br />

Vermögensverschiebung<br />

§ 1 Abs. 1 Buchst. a,<br />

§ 2 Abs. 1 Satz 1 VermG;<br />

Art. 21, 22 EV;<br />

§ 11 VZOG<br />

2


BVerwG, Beschluss vom 5. April <strong>2006</strong>, Az.: 8 B 22.06 [5767] 49<br />

Vermögenswert; schuldrechtliches Nutzungsrecht; Pachtverhältnis<br />

§ 2 Abs. 2 Satz 1 VermG<br />

VG Berlin, Urteil vom 7. April <strong>2006</strong>, Az.: 31 A 86.06 [5765] 53<br />

Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit;<br />

Denunziation; Gestapo; Schwerwiegender Missbrauch<br />

der Stellung zum eigenen Vorteil oder Nachteil anderer;<br />

Arisierungskauf; Kauf unter Einheitswert<br />

§ 1 Abs. 4 1. und 2. Alt. AusglLeistG<br />

BVerwG, Urteil vom 27. April <strong>2006</strong>, Az.: 3 C 23.05 [5801] 57<br />

Rücknahme eines Bescheides; Ermessen der Vermögenszuordnungsbehörde<br />

bei Beteiligung von öffentlichen Verwaltungsträgern<br />

§ 48 VwVfG;<br />

§ 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Bundesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>zentrale</strong> Dienste und offene Vermögensfragen<br />

- Referat Q 3 -<br />

DGZ-Ring 12, 13086 Berlin<br />

Postfach 3 05, 10107 Berlin<br />

Telefon: (01888) 70 30 - 0<br />

- 1388 (Herr Sellin, Verteilung und Versand der RÜ)<br />

Telefax: (01888) 70 30 - 1140<br />

E-Mail: poststelle@badv.bund.de<br />

Internet: www.badv.bund.de<br />

3


Wertausgleich; Kostennachweis; Sachverständigengutachten;<br />

Rücknahme; Ermessen;<br />

Reduzierung des Ermessens; offensichtliche<br />

Unrichtigkeit; Selbstbindung der Verwaltung;<br />

Unzumutbarkeit der Folgen eines rechtswidrigen<br />

Verwaltungsaktes; Wiederaufgreifen<br />

des Verfahrens<br />

§ 7 Abs. 1 VermG;<br />

§ 48,<br />

§ 51 VwVfG<br />

Leitsatz des Bearbeiters (nicht amtlich):<br />

Zur Frage der Verpflichtung eines Vermögensamtes, einen bestandskräftigen Restitutionsbescheid<br />

wegen dessen Fehlerhaftigkeit zurückzunehmen.<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

VG Greifswald, Urteil vom 29. April 2005, Az: 6 A 359/05<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Klägerinnen wenden sich gegen die Festsetzung eines Wertausgleiches, der im Rahmen<br />

eines vermögensrechtlichen Restitutionsverfahrens zu Gunsten des Entschädigungsfonds<br />

festgesetzt wurde.<br />

Den Klägerinnen wurde dabei ein Grundstück zu Miteigentum zurückübereignet, welches im<br />

Anschluss an die Schädigung (§ 1 Abs. 2 VermG) und den Übergang in Volkseigentum im<br />

Jahre 1979 mit einem Ärztehaus bebaut worden war.<br />

Zur Bestimmung der Höhe der zur Bebauung aufgewendeten Kosten wurde ein Sachverständigengutachten<br />

erstellt, das den Kostenaufwand mit 232.000,00 DM bezifferte.<br />

Der gegen die Höhe der Wertausgleichsfestsetzung eingelegte Widerspruch wurde durch die<br />

Klägerinnen, nachdem diese sich mit der Verfügungsberechtigten, die ebenfalls gegen den<br />

Bescheid Widerspruch eingelegt hatte, auf die Zahlung von 75.000,00 DM einigten, zurückgenommen.<br />

Der Bescheid wurde bestandskräftig.<br />

Die Klägerinnen begehrten nunmehr dennoch eine Reduzierung der Wertausgleichsfestsetzung<br />

und beriefen sich dabei auf die vermeintlich fehlerhafte Schätzung des Kostenaufwands<br />

durch den Sachverständigen. Dieser habe die vormaligen Rechnungsbeträge auf der<br />

Grundlage eines DM-Betrages ermittelt, obwohl die Baumaßnahmen innerhalb der Existenz<br />

der damaligen DDR durchgeführt wurden. Somit hätte allenfalls ein Wertausgleich in Höhe<br />

von 116.000,00 DM festgesetzt werden dürfen. Im Übrigen hielten die Klägerinnen lediglich<br />

einen Kostenaufwand in Höhe von 105.000,00 DM <strong>für</strong> gerechtfertigt.<br />

Das LARoV teilte den Klägerinnen jedoch mit, dass eine Rücknahme der Wertausgleichsfestsetzung<br />

nicht in Betracht komme, da nicht offensichtlich feststehe, dass die gutachterliche<br />

Schätzung fehlerhaft sei. Zum einen sei die Feststellung der Rechtswidrigkeit nur nach<br />

erneuter Prüfung durch den Gutachter möglich, zum anderen stehe die festgestellte Summe<br />

in DM in keinem Missverhältnis zu den sich aus den Unterlagen ergebenden Umbaukosten<br />

in<br />

M-DDR, da nur ein Teil der Kosten mit Rechnungen habe belegt werden können. Der übrige<br />

Kostenaufwand beziehe sich auf Leistungen, die in Feierabend- und Wochenendarbeiten<br />

erbracht worden seien.<br />

5


Die gegen die Versagung der Rücknahme erhobene Klage blieb erfolglos.<br />

Das Gericht wies zunächst darauf hin, dass das Schreiben des LARoV, in welchem das<br />

Begehren der Klägerinnen auf Abänderung der Wertausgleichsfestsetzung zurückgewiesen<br />

wurde, aus der Sicht der Klägerinnen einen ablehnenden Verwaltungsakt darstellte und folglich<br />

sowohl mit einer Rechtsbehelfsbelehrung hätte versehen, als auch gemäß § 32 Abs. 4<br />

VermG hätte zugestellt werden müssen.<br />

Da sich der Landrat als Beklagter im Übrigen rügelos auf das Verfahren eingelassen habe,<br />

sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die an sich notwendige vorherige Durchführung<br />

eines Widerspruchsverfahrens überflüssig gewesen.<br />

Das Gericht bestätigte jedoch die Rechtsauffassung des LARoV, dass die Klägerinnen<br />

keinen Anspruch auf Rücknahme der Wertausgleichsfestsetzung hätten.<br />

Im Regelfall bestehe im Rahmen der Rücknahmeprüfung nach § 48 VwVfG (bzw. der<br />

entsprechenden Vorschrift nach dem jeweiligen VwVfG der Bundesländer) lediglich ein<br />

Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens. Nur im Ausnahmefall, wenn ein Festhalten<br />

an der rechtswidrigen Entscheidung unerträglich erscheine, sei eine Reduzierung des<br />

Ermessens auf nur eine einzige rechtmäßige Entscheidung möglich und bestehe ein entsprechender<br />

Anspruch auf Rücknahme.<br />

Unerträglich sei ein Festhalten regelmäßig dann, wenn entweder die Nichtaufhebung zu<br />

unzumutbaren Folgen <strong>für</strong> den Betroffenen führen würde, oder die Behörde in vergleichbaren<br />

Fällen sich ebenfalls <strong>für</strong> die Rücknahme des Bescheides entschieden habe, oder wenn der<br />

Bescheid offensichtlich rechtswidrig sei, oder schließlich einer der Wiederaufnahmegründe<br />

des § 51 VwVfG vorliegen würde.<br />

Das Gericht sah keinen der o. g. Ausnahmefälle im vorliegenden Fall <strong>für</strong> gegeben. Insbesondere<br />

sei die Rechtswidrigkeit der Wertausgleichsfestsetzung nicht offensichtlich, sondern<br />

bedürfe zuvor der erneuten Hinzuziehung des Gutachters und der Auseinandersetzung mit<br />

der von ihm angewandten Methode der Wertermittlung.<br />

Bestand mithin lediglich ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, so sei die von der<br />

Behörde angestellte Abwägung der widerstreitenden Interessen ausreichend und nachvollziehbar.<br />

Die Ablehnung der Rücknahme der Wertausgleichsfestsetzung sei somit rechtmäßig.<br />

Anmerkungen:<br />

Die Entscheidung des VG Greifswald beinhaltet keine neuen Erkenntnisse, berührt jedoch<br />

eine häufig anzutreffende Problematik. Auf Initiative eines Betroffenen hin soll die Behörde<br />

einen belastenden bestandskräftigen Bescheid wegen vorgeblicher Rechtswidrigkeit zurücknehmen.<br />

Grundsätzlich gewährt § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG dem Betroffenen lediglich einen Anspruch<br />

darauf, dass die Behörde über den erneuten Eintritt in eine Sachbehandlung ermessensfehlerfrei<br />

entscheidet.<br />

Einen Anspruch auf Rücknahme hat die Rechtsprechung allerdings dann bejaht, falls:<br />

- die Aufrechterhaltung des Erstbescheides schlechthin unerträglich wäre (BVerwG, Urteil<br />

vom 30. Januar 1974 - VIII C 20.72 - BVerwGE 44, 333), oder<br />

- Umstände ersichtlich sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit des<br />

Erstbescheides als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen<br />

lassen (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1967 - I C 30.67 - DVBl. 1968, 918), oder<br />

- wenn eine Änderung der Sach- oder Rechtslage oder Wiederaufnahmegründe des<br />

Prozessrechts geltend gemacht werden (BVerwG, Urteil vom 7. September 1960 - VI C<br />

6


22.58 - BVerwGE 11, 106), in bestimmten Fällen auch das Auffinden sonstiger Beweismittel<br />

(BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1966 - VII C 38.66 - BVerwGE 25, 241), oder<br />

- die Behörde auch sonst in vergleichbaren Fällen eine neue Sachentscheidung getroffen<br />

hat (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 1974 - VIII C 20.72 - BVerwGE 44, 333)<br />

- höchstrichterlich ungeklärt ist, ob auch die Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit eines<br />

Erstbescheides einen Anspruch auf Rücknahme gewährt.<br />

Die behauptete Rechtswidrigkeit des unanfechtbar gewordenen Erstbescheides allein gibt<br />

jedenfalls keinen Anspruch auf Eintritt in eine umfassende Rücknahmeprüfung. Sie ist lediglich<br />

eine Voraussetzung <strong>für</strong> eine Ermessensentscheidung der Behörde.<br />

Dabei ist es grundsätzlich Aufgabe des Antragstellers, die tatsächlichen Voraussetzungen<br />

darzulegen, die - ihre Richtigkeit unterstellt - die Rechtswidrigkeit des Erstbescheides ergeben.<br />

Anders muss es aber zumindest dann gesehen werden, wenn die Rechtswidrigkeit evident<br />

ist. Diesbezüglich kann auf die Jurisdiktion hinsichtlich des Begriffs der Offensichtlichkeit<br />

in § 44 Abs. 1 VwVfG zurückgegriffen werden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG-Komm., §<br />

44 Rdnr. 12 m. w. N.). Ist die Rechtswidrigkeit offenkundig, ist die Behörde zumindest zum<br />

Eintritt in eine umfassende Rücknahmeprüfung verpflichtet.<br />

Dies bedeutet indessen noch nicht, dass der Bescheid auch tatsächlich zurückgenommen<br />

werden muss. Vielmehr ergeben sich hieraus lediglich weitergehende Prüfungs- und Begründungspflichten<br />

<strong>für</strong> die Behörde und mithin eine nähere Auseinandersetzung mit der Sache.<br />

In diesem Fall würde somit der lapidare Hinweis, dass das Vorbringen des Antragstellers<br />

keinen Anlass biete, das Verfahren wieder aufzugreifen, nicht genügen (BVerwG, Urteil<br />

vom 6. Januar 1972 - III C 83.70 - BVerwGE 39, 231 = Buchholz 427.3 § 33 a Nr. 41).<br />

Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung sind dabei die beiden, gegeneinander abzuwägenden<br />

Prinzipien der materiellen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit grundsätzlich gleichwertig,<br />

sofern dem anzuwendenden Recht keine andere gesetzliche Wertung zu entnehmen<br />

ist.<br />

Im Wiedergutmachungsrecht, welches von dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden<br />

Grundgedanken beherrscht wird, dass es geboten ist, einen Ausgleich <strong>für</strong> ein zugefügtes<br />

Staatsunrecht in Gestalt von gezielten, die Freiheit, die wirtschaftliche Existenz, die Gesundheit<br />

oder das Leben zerstörenden Verfolgungen zu schaffen, kommt dem Prinzip der materiellen<br />

Gerechtigkeit zwar im Rahmen der Ermessensausübung ein Übergewicht zu. Dennoch<br />

gewährt es nicht ohne weiteres einen Anspruch auf Rücknahme des erkanntermaßen<br />

rechtswidrigen Bescheides, sondern ist nur als Ermessensfaktor von erheblichem Gewicht<br />

zu behandeln (BVerfG, Entscheidung vom 17. Dezember 1969 - 2 BvR 23/65 - BVerfGE 27,<br />

297).<br />

Wäre im vorliegenden Fall allerdings die Rechtswidrigkeit evident gewesen und auch kein<br />

überzeugender Grund erkennbar, der eine andersartige Ermessensentscheidung hätte<br />

rechtfertigen können, insbesondere weil alle <strong>für</strong> die Ermittlung der richtigen Wertausgleichshöhe<br />

maßgeblichen Faktoren bekannt gewesen wären, hätte auch der Gesichtspunkt der<br />

Verwal-<br />

7


tungspraktikabilität schwerlich zu Gunsten der Aufrechterhaltung des bestandskräftigen, aber<br />

rechtswidrigen Bescheides ins Feld geführt werden können.<br />

Mitgeteilt von Oliver Reibling<br />

8


Anscheinsbeweis; Ausreise; ausreisewillige<br />

Miterbin; Erbengemeinschaft; Gesamthandeigentum;<br />

Kausalität; einzelner Nachlassgegenstand;<br />

Nötigung; Verzicht; Mitverzicht;<br />

widerlegbare Vermutung<br />

§ 1 Abs. 3 VermG;<br />

§ 400 Abs. 1 Satz 2 ZGB (DDR)<br />

Leitsatz des Gerichts:<br />

Verzichteten in der DDR verbleibende Miterben in zeitlichem Zusammenhang mit dem Verzicht<br />

eines ausreisewilligen Miterben auf ihr durch die Erbengemeinschaft gesamthänderisch<br />

gebundenes Eigentum an einzelnen Vermögenswerten, so spricht der Beweis des ersten<br />

Anscheins da<strong>für</strong>, dass die Nötigung des ausreisewilligen Miterben kausal <strong>für</strong> den Verzicht<br />

der verbleibenden Miterben war.<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 31. August 2005, Az.: 8 C 11.05<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Klägerinnen begehrten die Rückübertragung eines landwirtschaftlichen Grundstücks an<br />

die Erbengemeinschaft nach dem Alt-Eigentümer. Neben den Klägerinnen, den Töchtern des<br />

ursprünglichen Eigentümers, gehörten dieser Erbengemeinschaft auch dessen Witwe und<br />

sein Sohn an.<br />

Nachdem die Witwe im Jahre 1978 die Ausreise zu ihrem in der BRD lebenden Sohn beantragt<br />

hatte, wurde <strong>für</strong> dessen Anteil an der Erbengemeinschaft ein staatlicher Verwalter<br />

bestellt. Daraufhin erklärten die Witwe und die Klägerinnen den Verzicht auf ihre Erbanteile<br />

am Grundstück. Im Anschluss daran verkaufte der staatliche Verwalter den Anteil des<br />

Sohnes an den Rat des Kreises. Am selben Tag wurde zunächst die Erbengemeinschaft als<br />

Eigentümer im Grundbuch eingetragen und sogleich wieder gelöscht und daraufhin Eigentum<br />

des Volkes eingetragen. Ende des Jahres 1979 reiste die Witwe mit staatlicher Genehmigung<br />

in die BRD aus. Die Klägerinnen verblieben in der DDR.<br />

Während zunächst lediglich der „Anteil“ des Sohnes an dem streitgegenständlichen Grundstück<br />

aufgrund der Schädigung nach § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG restituiert wurde, wurde im<br />

anschließenden Rechtsbehelfsverfahren durch das VG Frankfurt (Oder) auch die erbrechtliche<br />

Mitberechtigung der Witwe an dem Grundstück an die Klägerinnen und den als Miterbe<br />

nach seiner Mutter in das Verfahren eingetrene Sohn des Alt-Eigentümers aufgrund der<br />

Schädigung nach § 1 Abs. 3 VermG zurückübertragen.<br />

Dabei führte es aus, der Beweis des ersten Anscheins spräche <strong>für</strong> die Annahme einer schädigenden<br />

Maßnahme. Der Verzicht der Witwe sei prima facie auf eine Nötigung durch staatliche<br />

Organe und folglich auf Machtmissbrauch zurückzuführen.<br />

Eine Nötigung der Klägerinnen zu deren Verzicht sei nach Auffassung des VG jedoch nicht<br />

erwiesen. Insbesondere würden die Regeln des Anscheinsbeweises nicht zu ihren Gunsten<br />

eingreifen. Insoweit wurde die Klage abgewiesen.<br />

Die von den Klägerinnen hiergegen eingelegte Revision hatte Erfolg.<br />

Das BVerwG legte zunächst nochmals die Grundsätze der Anscheinsbeweisführung im<br />

Rahmen der Anwendung von § 1 Abs. 3 VermG dar.<br />

Danach sei in den Fällen des ausreisebedingten Verlustes von Grundstücken und Gebäuden<br />

eine unlautere Machenschaft in Gestalt einer Nötigung und gleichzeitig eines Machtmissbrauchs<br />

im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG gegeben, wenn staatliche Stellen die Erteilung der<br />

9


Genehmigung zur ständigen Ausreise von der vorherigen Aufgabe des Grundeigentums<br />

abhängig gemacht haben. Habe ein Ausreisewilliger in zeitlichem Zusammenhang mit der<br />

Ausreise ein Grundstück veräußert, könne nach den Grundsätzen des Beweises des ersten<br />

Anscheins deshalb davon ausgegangen werden, dass dies auf unlautere Machenschaften im<br />

Sinne von § 1 Abs. 3 VermG zurückzuführen sei (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1995 - 7 C<br />

52.93 - NJW 1995, 2741 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 48 = RGV B IX 116). Der<br />

Anscheinsbeweis gelte sowohl <strong>für</strong> die Tatsache, dass die staatlichen Organe einen entsprechenden<br />

Verkaufsdruck ausgeübt hatten, als auch <strong>für</strong> die Ursächlichkeit zwischen Verkaufsdruck<br />

und Veräußerung. Der Anscheinsbeweis finde nach der Rechtsprechung aber grundsätzlich<br />

nur <strong>für</strong> den Ausreisewilligen selbst Anwendung. Es gebe keinen Anscheinsbeweis<br />

dahingehend, dass in der DDR verbleibende Familienangehörige generell ebenfalls auf<br />

Eigentumsrechte verzichten mussten, damit dem Ausreisewilligen die Ausreise genehmigt<br />

wurde. Die Anscheinsbeweisführung setze voraus, dass ein Sachverhalt vorliege, der nach<br />

der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweise und es deshalb<br />

rechtfertige, die besonderen Umstände des einzelnen Falles in ihrer Bedeutung zurücktreten<br />

zu lassen. Für die Annahme eines typischen Geschehensablaufs, dass auch in der DDR<br />

verbliebene Familienangehörige von Ausreisewilligen grundsätzlich auf Vermögenswerte<br />

verzichten mussten, damit die Ausreisegenehmigung erteilt wurde, fehle es nach derzeitigem<br />

Stand jedoch an ausreichenden Erfahrungen.<br />

Anders als in den geschilderten Fällen, in denen Miteigentum aufgegeben worden sei,<br />

gebiete die vorliegende gesamthänderische Verbundenheit der Mitglieder der Erbengemeinschaft<br />

eine andere Betrachtung. Die Beschränkung der Verfügungsbefugnis der Miterben<br />

über ihren Anteil an einzelnen Nachlassgegenständen gemäß § 400 Abs. 1 Satz 2 ZGB<br />

(DDR) habe bewirkt, dass die ausreisewillige Miterbin nicht allein auf ihre erbrechtliche Mitberechtigung<br />

an dem Grundstück verzichten konnte. Hier<strong>für</strong> wäre vielmehr eine gemeinschaftliche<br />

Verfügung aller Miterben notwendig gewesen.<br />

Daher spreche eine Vermutung da<strong>für</strong>, dass, wenn die in der DDR verbliebenen Miterben in<br />

zeitlichem Zusammenhang mit dem Verzicht eines ausreisewilligen Miterben auf ihr durch<br />

die Erbengemeinschaft gesamthänderisch gebundenes Eigentum an einzelnen Vermögenswerten<br />

verzichteten, dieser Verzicht darauf beruhte, dass der ausreisewillige Miterbe zur<br />

Aufgabe seiner erbrechtlichen Mitberechtigung an dem Grundstück genötigt wurde. Dessen<br />

Nötigung wäre damit kausal auch <strong>für</strong> den Verzicht der anderen Miterben auf ihre Rechte, so<br />

dass auch deren Verzicht auf unlauteren Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG<br />

beruhte. Die widerlegbare Kausalitätsvermutung zugunsten der in der DDR verbleibenden<br />

Miterben rechtfertige sich durch die Rechtslage (§ 400 Abs. 1 Satz 2 ZGB [DDR]), die zu der<br />

Erfahrungstatsache führe, dass bei typischem Geschehensablauf der durch die Nötigung des<br />

Ausreisewilligen bedingte Verzicht auf die erbrechtliche Mitberechtigung auch die Ursache<br />

<strong>für</strong> den gleichzeitigen Verzicht auf die erbrechtlichen Mitberechtigungen der anderen Miterben<br />

gewesen sei.<br />

Somit sei auch im hier vorliegenden Fall aufgrund des zeitlichen und sachlichen Konnexes<br />

zwischen der Nötigung der ausreisewilligen Miterbin und dem Verzicht der in der DDR verbliebenen<br />

Klägerinnen ein durch Nötigung erzwungener Vermögensverlust zu vermuten.<br />

Dieser Anscheinsbeweis werde noch nicht durch das Vorhandensein weiterer möglicher Motive,<br />

etwa einer erdrückenden Schuldenlast, <strong>für</strong> den Verzicht erschüttert. Eine staatliche Nötigung<br />

sei auch dann ursächlich <strong>für</strong> einen Vermögensverzicht, wenn sie nicht die alleinige<br />

oder wesentliche Ursache war. Bloße Mitursächlichkeit sei unschädlich.<br />

Die im Vorfeld der Umschreibung des Grundbuchs auf Eigentum des Volkes dennoch<br />

erfolgte Veräußerung des Miterbenanteils des in der BRD lebenden Sohnes durch den staatlichen<br />

Verwalter sei demgegenüber in Anbetracht des zeitlichen Zusammenhangs eher als<br />

Bestätigung der gesetzlichen Regelung zu verstehen, wonach eine gesonderte Verfügung<br />

über die erbrechtliche Mitberechtigung an dem Grundstück unzulässig gewesen sei. Die<br />

Verfügung erfolgte noch vor der Grundbuchumschreibung auf Eigentum des Volkes. Es sei<br />

somit beabsichtigt gewesen, zumindest insoweit der Rechtslage des § 400 Abs. 1, Satz 2<br />

10


ZGB (DDR) zu genügen, als bei Übergang des Eigentums am Grundstück in Volkseigentum<br />

eine Verfügung aller Miterben, diesmal unter Beteiligung von Volkseigentum, vorlag.<br />

Gegen die weitere Annahme, die Klägerinnen und die ausreisewillige Miterbin hätten in<br />

Wahrheit nicht auf ihre erbrechtlichen Mitberechtigungen am Grundstück, sondern auf ihre<br />

Erbanteile als Ganzes verzichtet (§ 401 Abs. 1 ZGB [DDR]), spreche schließlich sowohl die<br />

fehlende notarielle Beurkundung, als auch der Wortlaut der Verzichtserklärungen und der<br />

Grundbucheintragungen.<br />

Anmerkungen:<br />

Zum ersten Mal hat sich das BVerwG mit der Frage des Vorliegens von unlauteren Machenschaften<br />

im Zusammenhang von Eigentumsverzicht und Ausreisebewilligungsverfahren hinsichtlich<br />

der in der DDR verbliebenen Familienangehörigen befasst.<br />

Dabei hat es sein Hauptaugenmerk auf die Möglichkeit der Anwendung des Beweises des<br />

ersten Anscheins gelegt. Hierzu war die Darstellung der Rechtslage in der DDR bezüglich<br />

der gesamthänderischen Bindung innerhalb der Erbengemeinschaft notwendig, um hieraus<br />

die erforderliche Erfahrungstatsache zu formulieren, dass die Nötigung der ausreisewilligen<br />

Miterben zum Eigentumsverzicht nur dann Erfolg haben konnte, wenn gleichzeitig auch alle<br />

anderen Miterben ihrerseits einen entsprechenden Verzicht erklärten.<br />

Dies ist folgerichtig und nachvollziehbar.<br />

Wäre die Erbengemeinschaft, also sämtliche Mitglieder, demgegenüber nicht als solche<br />

geschädigt worden, wäre die Restitution sicherlich unmöglich gewesen. Die Unmöglichkeit<br />

der Restitution ergäbe sich aus dem Ausscheiden des Nachlassgegenstandes aus dem<br />

Nachlassvermögen. Damit wäre die frühere Berechtigung der geschädigten Miterben an dem<br />

Vermögenswert ohne gleichzeitige Begünstigung der nicht geschädigten übrigen Miterben<br />

und damit ohne Durchbrechung des vermögensrechtlichen Grundsatzes der Konnexität zwischen<br />

Schädigungstatbestand, betroffenem Vermögenswert und Restitution nicht mehr<br />

wiederherstellbar.<br />

Zukünftig wird mithin stets nach der Art der gemeinschaftlichen Verbundenheit einer Mehrheit<br />

von Eigentümern zu differenzieren sein.<br />

Grundsätzlich ist jedoch eine Beweiserleichterung zugunsten nicht-ausreisewilliger Dritter<br />

nicht statthaft.<br />

So wird es etwa im Falle einer Bruchteilsgemeinschaft (Miteigentümer) auch in Zukunft weiterhin<br />

keinen allgemeinen Erfahrungssatz dergestalt geben, dass die Nötigung eines ausreisewilligen<br />

Miteigentümers auch die übrigen Miteigentümer betroffen hat. Vielmehr wäre hier<br />

eine entsprechende Überzeugungsbildung des Vermögensamtes mittels regulärer Beweisführung<br />

notwendig.<br />

Mitgeteilt von Oliver Reibling<br />

11


Berechtigter; Rechtsnachfolger; Anmeldung;<br />

Testamentsvollstreckung; Anmeldung durch<br />

Berechtigten bei Testamentsvollstreckung;<br />

Anmeldung eines vermögensrechtlichen Anspruchs<br />

bei Testamentsvollstreckung<br />

§ 2 Abs. 1 Satz 1,<br />

§ 30 Abs. 1 Satz 1,<br />

§ 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG;<br />

§ 2205,<br />

§ 2212 BGB<br />

Leitsatz des Gerichts:<br />

Der Erbe eines vor In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes verstorbenen Geschädigten<br />

kann vermögensrechtliche Ansprüche auch dann selbstständig geltend machen, wenn Testamentsvollstreckung<br />

angeordnet ist.<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2005, Az.: 7 C 8.05<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Klägerin begehrte als Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Eigentümerin die Restitution<br />

jeweils einer Miteigentumshälfte an 2 Grundstücken in der Z-Straße 244 und 246 in<br />

Chemnitz.<br />

Nachdem die ursprüngliche Eigentümerin 1958 die DDR ohne Beachtung der damals geltenden<br />

Meldepflichten verlassen hatte, wurde ihr Vermögen unter treuhänderische Verwaltung<br />

gestellt. In den Jahren 1971/1972 wurden die Miteigentumshälften an das Volkseigentum<br />

veräußert.<br />

Die Alt-Berechtigte verstarb im Jahre 1989 und wurde von der Klägerin allein beerbt. Ergänzend<br />

wurde Testamentsvollstreckung angeordnet.<br />

Die Klägerin meldete 1990 als Rechtsnachfolgerin der Alt-Berechtigten vermögensrechtliche<br />

Ansprüche hinsichtlich der Grundstücke „Z-Straße 44/46“ an. Aus den beigefügten Anlagen<br />

ergab sich allerdings die Bezugnahme auf die Grundstücke Z-Straße 244 und 246. Erst im<br />

Jahre 1998 stellte die Klägerin klar, dass der Antrag sich tatsächlich auf die Grundstücke Z-<br />

Straße 244 und 246 bezogen hat. Dennoch lehnte das ARoV die Restitution unter Berufung<br />

auf die falsche Bezeichnung der Grundstücke und zwischenzeitlich eingetretenen Fristablauf<br />

ab. Der Widerspruchsausschuss teilte die Auffassung des ARoV und wies den Widerspruch<br />

zurück.<br />

Am 26. Januar 2005 stimmte der Testamentsvollstrecker der Antragstellung nach dem<br />

VermG und der gerichtlichen Geltendmachung der vermögensrechtlichen Ansprüche durch<br />

die Klägerin zu.<br />

Die gegen die ablehnenden Bescheide eingelegte Klage blieb jedoch erfolglos. Das VG sah<br />

die Anmeldung der vermögensrechtlichen Ansprüche durch die Klägerin als unzulässig an,<br />

da der Restitutionsanspruch nach der neuen Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 8.<br />

Mai 2003 - 7 C 63.02 – BARoV-RÜ 02/20<strong>04</strong> = VIZ 2003, 473 ff. = Buchholz 428 § 30 a<br />

VermG Nr. 27) wie eine Nachlassforderung zu behandeln sei und somit allein der Testamentsvollstrecker<br />

im Rahmen seiner unbeschränkten Verfügungsmacht zur Geltendmachung<br />

befugt gewesen sei.<br />

Die gegen das Urteil des VG eingelegte Revision war erfolgreich.<br />

Das BVerwG hielt den Erben eines vor In-Kraft-Treten des VermG verstorbenen Erblassers<br />

auch im Falle der Anordnung von Testamentsvollstreckung <strong>für</strong> antragsbefugt. Die zivilrechtlichen<br />

Vorschriften über die Beschränkung der Verfügungsmacht des Erben aufgrund angeordneter<br />

Testamentsvollstreckung seien weder unmittelbar, noch analog anwendbar.<br />

13


Eine unmittelbare Anwendung sei bereits angesichts des eindeutigen Wortlauts des VermG<br />

als den zivilrechtlichen Vorschriften vorgehenden Fachgesetzes ausgeschlossen. Das<br />

VermG sehe es als selbstverständlich an, dass der Berechtigte nach § 2 Abs. 1 VermG zur<br />

Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche befugt sei. Dies habe bereits gemäß § 2<br />

Abs. 1 Satz 1 AnmVO gegolten.<br />

Da der Restitutionsanspruch erst in der Person der Rechtsnachfolgerin der verstorbenen<br />

Geschädigten entstanden sei, die Enteignung jedoch dinglich wirksam und mithin der Vermögenswert<br />

bereits vor dem Erbfall aus dem Vermögen der Erblasserin ausgeschieden sei,<br />

habe der Restitutionsanspruch zu keiner Zeit Bestandteil des hier fraglichen Nachlasses<br />

gewesen sein können. Vielmehr sehe auch das VermG in § 2 Abs. 1 Satz 1 2. Fall VermG<br />

die Rechtsnachfolgerin selbst als Berechtigte an.<br />

Die entsprechende Anwendung der BGB-Vorschriften über die Testamentsvollstreckung<br />

scheitere demgegenüber am Fehlen einer auszufüllenden unplanmäßigen Regelungslücke.<br />

Die analoge Anwendung dieser Vorschriften wurde vom BVerwG in der o. g. Entscheidung<br />

nur <strong>für</strong> den umgekehrten Fall be<strong>für</strong>wortet, wenn der Testamentsvollstrecker anstelle der<br />

Rechtsnachfolger die Anmeldung nach dem VermG vorgenommen hatte. Der Testamentsvollstrecker<br />

finde in der Aufzählung der Berechtigten nach § 2 Abs. 1 VermG keine Erwähnung.<br />

Nur insofern und auch nur in dieser Richtung habe eine Regelungslücke bestanden.<br />

Die Anmeldung durch den Berechtigten selbst werde indes bereits vom VermG bestimmt, es<br />

fehle daher an einer entsprechenden Regelungslücke.<br />

Auch im Übrigen wären die Bescheide insoweit rechtswidrig, als eine verfristete Antragstellung<br />

aufgrund unrichtiger Grundstücksbezeichnungen angenommen wurde.<br />

Richtigerweise sei die falsche Bezeichnung der Vermögenswerte immer dann unschädlich,<br />

wenn durch die Bezugnahme auf den namentlich Berechtigten eine zweifelsfreie Zuordnung<br />

möglich sei. Durch Auslegung des Antrags hätte trotz falscher Angabe der Hausnummern im<br />

vorliegenden Einzelfall angesichts der korrekten Benennung der Straße, des Ortes, der Alt-<br />

Berechtigten, sowie weiterer Indizien eine eindeutige Vermögenszuordnung vorgenommen<br />

werden können.<br />

Anmerkungen:<br />

Erneut hatte sich das BVerwG mit der Frage der Antragsbefugnis im Zusammenhang mit<br />

angeordneter Testamentsvollstreckung durch einen vor dem In-Kraft-Treten des VermG am<br />

29. September 1990 verstorbenen Alt-Berechtigten zu befassen.<br />

Während es in seinem Urteil vom 8. Mai 2003 (7 C 63.02) noch auf eine wirtschaftliche<br />

Betrachtungsweise zurückgreifen musste, um eine analoge Anwendung von § 2<strong>04</strong>1 Satz 2<br />

BGB (dingliche Surrogation) zu rechtfertigen, war ein solcher Rekurs im vorliegenden Fall zu<br />

Recht nicht notwendig.<br />

Allerdings bestand die Notwendigkeit <strong>für</strong> eine Klarstellung der in o. g. Urteil des BVerwG<br />

dargelegten Rechtsauffassung, da das VG die Behandlung des Restitutionsanspruchs „wie<br />

eine Nachlassforderung“ dahingehend missverstanden hatte, dass nunmehr uneingeschränkt<br />

auch alle erbrechtlichen Vorschriften über die Testamentsvollstreckung und die<br />

damit einhergehende Beschränkung der Verfügungsbefugnis des Erben Anwendung fänden.<br />

Dem ist das BVerwG zu Recht entgegengetreten.<br />

Die Rechtsnachfolger sind selbst unmittelbar Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1<br />

VermG. Da der Restitutionsanspruch auch nach Auffassung des BVerwG an sich keine<br />

Nachlassforderung, sondern originär in der Person des Rechtsnachfolgers entstanden ist,<br />

unterlag der Anspruch unmittelbar auch nicht der Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers.<br />

Für Analogien bestand kein Bedürfnis. Es war auch weder vom BVerwG beabsichtigt,<br />

noch wäre es rechtlich zulässig gewesen, eine generelle Beschränkung der<br />

Antragsbefugnis der Berechtigten durch eine analoge Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen<br />

Rechts über die Testamentsvollstreckung herbeizuführen.<br />

14


Die vorgenannte Entscheidung des BVerwG aus dem Jahre 2003 ist im Übrigen schon<br />

rechtlich zweifelhaft, die dort geführte Argumentation zumindest aber nicht zwingend, da die<br />

Frage, welche Gegenstände zum Nachlass gehören, nicht nach den Bedürfnissen entschieden<br />

werden kann, die in diesem oder jenem Bereich eine Einschränkung oder Ausweitung<br />

des Machtbereichs des Testamentsvollstreckers wunschgemäß erscheinen lassen.<br />

Von <strong>zentrale</strong>r Bedeutung und insoweit maßgebend ist vielmehr die Funktion, die dem Nachlass<br />

als Haftungsobjekt <strong>für</strong> die Nachlassverbindlichkeiten zukommt. Die eher formale Zuordnung<br />

des Nachlasses zu dem Eigenvermögen des Erben gemäß § 1922 BGB oder der einzelnen<br />

Miterben nach der Auseinandersetzung (§ 2<strong>04</strong>2 BGB) wird materiell überlagert durch<br />

die Ordnung des Haftungszugriffs einerseits durch die Eigengläubiger des Erben und durch<br />

die Nachlassgläubiger andererseits. Nur in diesem Kontext sind auch die zivilgerichtlichen<br />

Urteile zu verstehen (Berechnung des Pflichtteils, Zugriff auf den Nachlass in der Zwangsvollstreckung,<br />

Bestimmung des Wertes des Rückübertragungsanspruchs /<br />

Nachlassgrundstücks im Erbscheinsverfahren…). Nur insoweit ist die Behandlung des<br />

Restitutionsanspruchs „wie eine Nachlassforderung“ nachvollziehbar, da nicht einzusehen<br />

wäre, weshalb dem Erben und seinen Eigengläubigern ein Vorteil daraus erwachsen sollte,<br />

dass die Ausgleichsleistungen nicht schon in der Person des Erblassers, sondern erst in der<br />

Person des Erben begründet worden sind. (BGH, Urteil vom 23. Juni 1993 - IV ZR 205/92 -<br />

BGHZ 123, 76 ff. = ZOV 1993, 340 = NJ 1993, 514 = RGV C II 7).<br />

Ein dieser gesetzlichen Grundkonzeption entsprechendes Bedürfnis <strong>für</strong> die Annahme einer<br />

funktionalen Nachlasszugehörigkeit in Bezug auf die Frage der Antragsbefugnis nach dem<br />

VermG sehe ich nicht <strong>für</strong> gegeben. Der Schutz der Nachlassgläubiger vermag nach meinem<br />

Da<strong>für</strong>halten ebenso wenig eine Notwendigkeit <strong>für</strong> eine analoge Anwendung von § 2<strong>04</strong>1 Satz<br />

2 BGB zu begründen, wie vermeintliche rechtliche Unsicherheiten bei der Zuordnung des<br />

Rückübertragungsanspruchs zum Nachlass oder zum Eigenvermögen des Erben. Im Übrigen<br />

ist auch die wirtschaftliche Betrachtung nicht geeignet, die tatsächliche Intention des<br />

Gesetzgebers bei der Formulierung von § 2 a Abs. 1 und 2 VermG zu ersetzen, der lediglich<br />

die Übertragung des Vermögenswertes auf die (wiedererstandene) Gesamthandsgemeinschaft<br />

anstatt in Form von Bruchteilseigentum regeln wollte.<br />

Zukünftig könnte aber auch die in der Literatur bereits aufgeworfene Frage zu entscheiden<br />

sein, ob in den Fällen, in denen der Alt-Berechtigte erst nach Inkrafttreten des VermG verstarb,<br />

aber gleichwohl Testamentsvollstreckung angeordnet hat, dennoch die Erben als<br />

Berechtigte unabhängig vom Testamentsvollstrecker antragsbefugt sein sollen.<br />

Dem VermG selbst ist eine Beschränkung der Anmeldeberechtigung bei angeordneter<br />

Testamentsvollstreckung nicht zu entnehmen.<br />

Der prinzipielle Vorrang der fachgesetzlichen Regelung vermag jedoch die vom Erblasser<br />

durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung verfügte Beschränkung der Verwaltungsbefugnisse<br />

seiner Erben bezogen auf den Nachlass nicht zu beseitigen.<br />

Der Restitutionsanspruch ist in dieser Fallkonstellation unbestritten Teil des Nachlasses<br />

geworden. Es würde nicht nur dem Willen des Erblassers diametral entgegenlaufen, wollte<br />

man den von ihm eingesetzten Testamentsvollstrecker ignorieren, es widerspräche auch der<br />

in § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG und § 2 a VermG vorgesehenen Regelung, nach der die<br />

Bestimmung der Rechtsnachfolger nach allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften zu erfolgen<br />

hat.<br />

Dabei wären m. E. auch etwaige Beschränkungen der Verfügungsbefugnisse der Rechtsnachfolger<br />

zu berücksichtigen. Da Testamentsvollstreckung angeordnet wurde, hat der<br />

Testamentsvollstrecker den Nachlass zu verwalten (§ 2205 BGB) und gegebenenfalls Forderungen<br />

gerichtlich geltend zu machen (§ 2212 BGB). Das schließt die Geltendmachung von<br />

zum Nachlass gehörenden Forderungen und damit auch des Anspruchs auf Restitution ein<br />

(zur vergleichbaren Situation im Anwendungsbereich des LAG: BVerwG, Beschluss vom 13.<br />

Juli 1977 - III B 67.76 - Buchholz 427.3 § 244 LAG Nr. 13). Nur der Testamentsvollstrecker<br />

wäre somit in dieser Fallkonstellation befugt, Rückübertragungsansprüche nach dem VermG<br />

anzumelden.<br />

Mitgeteilt von Oliver Reibling<br />

15


„Liste 3-Enteignung“; besatzungshoheitliche<br />

Enteignung<br />

§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />

Leitsatz des Gerichts:<br />

Eine vom sog. demokratischen Magistrat von Groß-Berlin nach Maßgabe der „Liste 3“ oben<br />

zum Gesetz zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten<br />

vom 8. Februar 1949 beschlossene Enteignung eines Vermögenswerts folgte auch dann auf<br />

besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchstabe a VermG, wenn die<br />

vor dem 5. Februar 1949 erfolgte Beschlagnahme des Vermögenswerts der sowjetischen<br />

Besat-zungsmacht nicht bekannt war (im Anschluss an Urteil vom 13. Februar 1995 - 7 C<br />

53.94 - BVerwGE 98, 1 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 38).<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Beschluss vom 5. Dezember 2005, Az.: 7 B 81.05<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Kläger begehren die Rückübertragung von Grundstücken und die Feststellung der Entschädigungsberechtigung<br />

hinsichtlich weiterer Grundstücke in Berlin (Ost).<br />

Die Grundstücke wurden 1946 vom Bezirksamt Berlin-Mitte, Treuhandstelle <strong>für</strong> Sondervermögen,<br />

als Teil des Vermögens des vormals regierenden preußischen Königshauses gemäß<br />

Befehl 124 Ziff. 1 f. der SMAD vom 30. Oktober 1945 <strong>für</strong> beschlagnahmt erklärt. Sie wurden<br />

dann durch die „Bekanntmachung über weitere Einziehungen aufgrund des Gesetzes vom 8.<br />

Februar 1949 (Liste 3)“ vom 14. November 1949 enteignet.<br />

Das VG Berlin hat die Klage mit der Begründung, die Grundstücke seien auf besatzungshoheitlicher<br />

Grundlage enteignet worden, abgewiesen.<br />

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des VG<br />

Berlin vom 23. Juni 2005 hat das BVerwG mit oben genanntem Beschluss als unbegründet<br />

zurückgewiesen. Die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132<br />

Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das angefochtene Urteil beruhe auch nicht auf einer Abweichung von<br />

einer Entscheidung des BVerwG (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Grundsätzlich bedeutsam im<br />

Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sei eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten<br />

Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer<br />

Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen<br />

Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten sei.<br />

Daran fehle es hier.<br />

Die Beschwerde hält zunächst die Frage <strong>für</strong> grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die nach<br />

Maßgabe der „Liste 3“ durchgeführten Enteignungen nur dann auf besatzungshoheitlicher<br />

Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG beruhend anzusehen sind, wenn der<br />

betreffende Vermögenswert in den Listen der Sequesterkommission verzeichnet war oder<br />

wenn die sowjetischen Besatzungsbehörden zumindest vor dem 5. Februar 1949 in sonstiger<br />

Weise Kenntnis von der zuvor erfolgten Beschlagnahme des Vermögenswertes erlangt<br />

hatten.<br />

Die vorgenannte Frage lasse sich aufgrund des Urteils des BVerwG vom 13. Februar 1995 -<br />

7 C 53.94 – (BVerwGE 98, 1 = NJ 1995, 328 = RGV B II 88) verneinen, ohne dass es hierzu<br />

der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.<br />

17


Danach beruhen auch nach Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 erfolgte Enteignungen<br />

auf besatzungshoheitlicher Grundlage, wenn sie unter der Oberhoheit der Besatzungsmacht<br />

und mit ihrer generellen Billigung in einer Weise in die Wege geleitet worden waren, die die<br />

Verantwortung der Besatzungsmacht <strong>für</strong> den weiteren Vollzug durch die deutschen Stellen<br />

begründete. Die vom sog. demokratischen Magistrat von Groß-Berlin nach Maßgabe der<br />

„Liste 3“ zum Gesetz der Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten<br />

vom 8. Februar 1949 beschlossenen Enteignungen von Vermögenswerten im<br />

sowjetischen Sektor von Berlin seien deshalb in der Regel auf besatzungshoheitlicher<br />

Grundlage erfolgt. Eine andere rechtliche Beurteilung ergebe sich auch nicht bereits dann,<br />

wenn der betreffende Vermögenswert zwar beschlagnahmt aber nicht in den Listen der Sequesterkommission<br />

verzeichnet war und die sowjetischen Besatzungsbehörden auch nicht in<br />

sonstiger Weise von der vor dem 5. Februar 1949 erfolgten Beschlagnahme Kenntnis erlangt<br />

hatten. Nach dem oben genannten Urteil komme es allein darauf an, ob die Beschlagnahme<br />

eines Vermögenswertes vor dem 5. Februar 1949 erfolgt war und nicht darauf, ob sie in den<br />

Listen der Sequesterkommission vermerkt oder den sowjetischen Behörden bekannt war.<br />

Wie das BVerwG in seinem Urteil ausgeführt hat, enthielt das Bestätigungsschreiben des<br />

sowjetischen Stadtkommandanten vom 9. Februar 1949 sinngemäß den Auftrag an den Magistrat,<br />

auch hinsichtlich der übrigen - nach dem Befehl Nr. 124 der SMAD vom 30. Oktober<br />

1945 - beschlagnahmten, nicht in den Listen 1 und 2 des Durchführungsbeschlusses zum<br />

Gesetz vom 8. Februar 1949 aufgeführten Vermögenswerte die in diesem Gesetz vorgesehene<br />

Entscheidung über die Enteignung oder die Rückgabe an die Eigentümer zu treffen.<br />

Denn anderenfalls wäre das rechtliche Schicksal dieser Vermögenswerte auf Dauer in der<br />

Schwebe geblieben. Dies gelte auch <strong>für</strong> die Vermögenswerte, die aufgrund des Befehls Nr.<br />

124 beschlagnahmt, aber nicht in den Listen der Sequesterkommission verzeichnet waren<br />

und deren Beschlagnahme der sowjetischen Militärverwaltung nicht bekannt gewesen sei.<br />

Auch deren Schicksal wäre anderenfalls auf Dauer in der Schwebe geblieben, was die<br />

sowjetische Militärverwaltung gerade vermeiden wollte. Dies genüge, um eine<br />

besatzungshoheitliche Enteignung zu bejahen. Es komme insoweit nicht darauf an, ob die<br />

Enteignung im Einzelfall dem Willen der Besatzungsmacht entsprochen habe.<br />

Weiter hat die Beschwerde die Frage <strong>für</strong> klärungsbedürftig gehalten, „ob eine aufgrund des<br />

SMAD-Befehls Nr. 124 erfolgte Bestellung des anwaltlichen Bevollmächtigten des betroffenen<br />

Eigentümers zum Sequester und damit zum Verwalter der Besatzungsmacht nichtig war<br />

und ob eine dergestalt nichtige Sequestration keine Tatbestandswirkung als Verwaltungsakt<br />

entfalten und daher keinen Zurechnungszusammenhang zur Besatzungsmacht vermitteln<br />

könne.“<br />

Auch zur Klärung dieser Frage bedürfe es, soweit sie entscheidungserheblich und nach revisiblem<br />

Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu beantworten sei, nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens.<br />

Nach dem vorbezeichneten Urteil des BVerwG vom 13. Februar 1995 - 7 C<br />

53.94 - seien „Liste 3-Enteignungen“ in aller Regel auf besatzungshoheitlicher Grundlage im<br />

Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG erfolgt, wenn die Vermögenswerte vor dem Februar<br />

1949 beschlagnahmt wurden. Beschlagnahmt worden seien nur Vermögenswerte, deren<br />

Beschlagnahme nach den damaligen Maßstäben wirksam war. Ob dies der Fall gewesen<br />

sei, sei nicht nach revisiblem Recht zu beurteilen. Vielmehr obliege dies der Sachverhaltsund<br />

Beweiswürdigung im Einzelfall, zu der gegebenenfalls auch Rechtsvorschriften der<br />

sowjetischen Besatzungsmacht heranzuziehen seien. Im vorliegenden Fall sei das VG zu<br />

dem Ergebnis gelangt, dass der Generalbevollmächtigte des Eigentümers zum Treuhänder<br />

der Treuhandstelle <strong>für</strong> Sondervermögen des Bezirksamts Berlin-Mitte bestellt worden sei,<br />

dies möge zwar ungewöhnlich erscheinen, stelle dessen tatsächliche Einsetzung als Treuhänder<br />

aber nicht in Frage. Insgesamt sei der tatsächliche Vollzug der ausgesprochenen<br />

Beschlagnahme jedoch nicht zweifelhaft. Damit habe das VG die Wirksamkeit der Beschlagnahme<br />

bejaht.<br />

Schließlich hielt die Beschwerde die Frage <strong>für</strong> grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob die nachträgliche<br />

Streichung von Vermögenswerten aus einer Liste von zu enteignenden<br />

Grundstücken als Widerruf oder Rücknahme einer Enteignungsentscheidung und zugleich<br />

als konkludente Aufhebung der zugrunde liegenden Beschlagnahme zu qualifizieren sei.“<br />

18


Auch diese Frage sei nicht grundsätzlich klärungsbedürftig und könne nur im Einzelfall unter<br />

Berücksichtigung des im Zeitpunkt der Streichung geltenden nicht revisiblen Rechts beantwortet<br />

werden.<br />

Im vorliegenden Fall sei das VG zu dem Ergebnis gelangt, weder die Beschlagnahme noch<br />

die Enteignung würden dadurch in Frage gestellt, dass die streitbefangenen Grundstücke<br />

nach den Angaben der Kläger zunächst auf der Liste C der sog. Konzernverordnung vom 10.<br />

Mai 1949 verzeichnet und bei deren späteren Reduzierung gestrichen worden seien. Man<br />

habe möglicherweise erkannt, dass es sich nicht um Grundvermögen einer Grundstücksgesellschaft<br />

oder um Wohnblockgrundstücke gehandelt habe und deshalb die Einordnung unter<br />

die vorgenannte Konzernverordnung unzutreffend gewesen sei. Dass die zuständigen<br />

Stellen damit die Beschlagnahme aufheben oder eine Enteignungsentscheidung rückgängig<br />

machen wollten, habe das VG - im Rahmen der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung<br />

des Einzelfalls - nicht angenommen.<br />

Das angefochtene Urteil beruhe auch nicht auf einer Abweichung von der in der Beschwerde<br />

bezeichneten Entscheidung des BVerwG (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).<br />

In dem Beschluss vom 16. November 1999 - 8 B 106.99 – (ZOV 2000, 190 = BARoV- RÜ <strong>04</strong>/<br />

2000 = Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 9) werde - unter ausdrücklichem Hinweis auf das<br />

Urteil vom 13. Februar 1995 - 7 C 53.94 - (a.a.O.) ausgeführt, dass eine Beschlagnahme<br />

nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 als solche keine über die Gründung der DDR hinaus<br />

fortdauernde Vollzugsverantwortung der damaligen Sowjetunion begründet habe. Vielmehr<br />

müsse, soll § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auch noch auf Enteignungen nach der Gründung<br />

der DDR angewandt werden, die Oberhoheit der Besatzungsmacht diese Enteignungen in<br />

die Wege geleitet haben.<br />

Dies stimme mit dem Urteil vom 13. Februar 1995 überein. Auch das VG gehe hiervon aus.<br />

Warum die „Liste 3-Enteignungen“ von der Besatzungsmacht in die Wege geleitet worden<br />

seien, werde in dem Urteil vom 13. Februar 1995 im Einzelnen begründet. Insbesondere<br />

werde auf das einen Auftrag an die deutschen Stellen enthaltene Bestätigungsschreiben des<br />

sowjetischen Stadtkommandanten vom 9. Februar 1949 hingewiesen.<br />

Anmerkungen:<br />

Die Behandlung der „Liste 3-Enteignungen“ war in der Vergangenheit strittig, weil teilweise<br />

die Auffassung vertreten wurde, § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG könne nicht greifen, weil es sich<br />

bei den betreffenden Entscheidungen um solche gehandelt habe, die außerhalb der Verantwortung<br />

der sowjetischen Besatzungsmacht ergangen sind. Das BVerwG hat mit seinem<br />

oben genannten Beschluss aus meiner Sicht keinen Zweifel daran gelassen, dass die „Liste<br />

3-Enteignungen“ in aller Regel auf besatzungshoheitlicher Grundlage nach der vorgenannten<br />

Rechtsvorschrift erfolgt sind. Auf eine Meldung der sequestrierten Grundstücke an die sowjetische<br />

Militäradministration oder gar deren Zustimmung komme es nicht an. Eine listenmäßige<br />

Erfassung sei ebenfalls nicht erforderlich. Dass der Vollzug der Enteignung nach der<br />

Liste 3 letztlich allein durch deutsche Stellen erfolgte, stellt die besatzungshoheitliche<br />

Grundlage der Enteignung nicht in Frage.<br />

Mitgeteilt von Klaus Ebell<br />

19


Rückübertragungsausschluss förmlicher Anordnung<br />

der Verwalterbestellung; Umwandlung<br />

einer Kinderkrippe in ein Kinderheim;<br />

Änderung der Zweckbestimmung eines Gebäudes<br />

§ 5 Abs. 1 Buchst. a VermG<br />

Leitsatz des Gerichts:<br />

Auch vor der endgültigen Entziehung eines Grundstücks durch dessen Inanspruchnahme<br />

nach dem Aufbaugesetz können Veränderungen von Grundstücken oder eines Gebäudes in<br />

ihrer Nutzungsart oder Zweckbestimmung, die mit einem erheblichen baulichen Aufwand<br />

verbunden sind, zu einem Ausschluss der Rückübertragung nach § 5 Abs. 1 Buchst. a<br />

VermG führen, wenn diese nach förmlicher Anordnung der staatlichen Verwaltung erfolgt<br />

sind, die später in eine Enteignung des Grundstücks einmündet.<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2005, Az.: 8 C 13.<strong>04</strong><br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Beteiligten streiten um die Rückübertragung zweier Grundstücke. Auf den Grundstücken<br />

befindet sich ein Gebäude, das ehemals als Villa, später als Wohnhaus <strong>für</strong> mehrere Familien<br />

diente. Die Beigeladene ist Erbeserbin der ehemaligen Grundstückseigentümerin.<br />

Anfang der 50er Jahre verließ die ehemalige Eigentümerin die DDR. Ab 1955 beherbergte<br />

das Gebäude eine Kinder-Tageskrippe. Die Grundstücke wurden 1962 unter die staatliche<br />

Verwaltung gemäß § 6 der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli<br />

1952 gestellt. Ab 1975 wurde das Gebäude zusätzlich als Kinderheim zur Dauerunterbringung<br />

und nach Auslagerung der Kindergrippe im Jahre 1987 ausschließlich als Kinderheim<br />

genutzt.<br />

Während der staatlichen Verwaltung wurden <strong>für</strong> die Grundstücke vier Aufbauhypotheken und<br />

Aufbaugrundschulden mit einem Nominalwert von insgesamt 66.100,00 M bestellt. Eine<br />

weitere, bereits 1961 bestellte Aufbaugrundschuld besaß einen Nominalwert von 9.400,00<br />

M.<br />

Auf Antrag des Rates der Stadt K. wurden die Grundstücke mit Bescheid des Rates des<br />

Kreises N. vom 20. Februar 1981 gemäß § 14 des Aufbaugesetzes der DDR in Anspruch<br />

genommen und in Volkseigentum überführt, nachdem sie zuvor im Register der Aufbaugebiete<br />

beim Bezirksbauamt Aufnahme gefunden hatten. Mit Feststellungsbescheid vom 15.<br />

September 1983 wurde zugunsten der Alteigentümerin eine Entschädigung in Höhe von<br />

5.200,00 M festgesetzt, der dem durch einen Sachverständigen festgestellten Verkehrswert<br />

entsprach. Die festgesetzte Entschädigung wurde mit den dinglich gesicherten Forderungen<br />

verrechnet.<br />

Die ursprüngliche Eigentümerin verstarb 1986 und wurde von der Rechtsvorgängerin der<br />

Beigeladenen beerbt. Diese beantragte im Mai 1991 die Rückübertragung der Grundstücke.<br />

Mit Bescheid der Oberfinanzdirektion Cottbus wurden die Grundstücke im August 1992 dem<br />

Rechtsvorgänger des Klägers, dem Landkreis N., zugeordnet, der das Gebäude in der Folgezeit<br />

als Einrichtung der Jugendhilfe zur Unterbringung von Kindern und Jugendlichen<br />

nutzte.<br />

Der Kläger als Amt zur Regelung offener Vermögensfragen stellte mit Bescheid vom 21. Juni<br />

1995 die Berechtigung der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen fest, lehnte aber eine<br />

Rückübertragung der Grundstücke ab. Eine Rückübertragung entfalle wegen § 5 Abs. 1<br />

21


Buchst. a VermG, da eine Änderung der Nutzungsart vorliege. Das Gebäude habe ursprünglich<br />

zu Wohnzwecken gedient, beherberge aber seit 1975 ein Kinderheim. Die Änderung der<br />

Nutzungsart sei auch mit einem erheblichen baulichen Aufwand einhergegangen, da in der<br />

Zeit von 1973 bis 1987 <strong>für</strong> Umbaumaßnahmen zur Verbesserung der Nutzungsmöglichkeiten<br />

ein Betrag von insgesamt 150.800,00 M aufgewandt worden sei. Es bestehe auch ein ernsthaftes<br />

öffentliches Interesse am Fortbestand der bisherigen Nutzung, was daran zu erkennen<br />

sei, dass nach 1991 etwa eine Million DM in das Gebäude investiert worden sei.<br />

Aufgrund des Widerspruchs der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen hob das Landesamt<br />

zur Regelung offener Vermögensfragen mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 1998<br />

den angegriffenen Bescheid auf und übertrug das Eigentum an den streitbefangenen<br />

Grundstücken auf die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen. Mit seiner Klage hat der Kläger<br />

der im Widerspruchsbescheid vertretenen Rechtsauffassung widersprochen und u. a. vorgetragen,<br />

dass in solchen Fällen, in denen die staatliche Verwaltung später in eine Enteignung<br />

münde, bereits die Anordnung der Verwaltung als Zeitpunkt des Vermögensverlustes angesehen<br />

werden müsse. Mit Urteil vom 5. Januar 20<strong>04</strong> hat das Verwaltungsgericht die Klage<br />

abgewiesen.<br />

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des materiellen<br />

Rechts durch das Verwaltungsgericht.<br />

Die Revision des Klägers war mit dem Ergebnis der Zurückweisung begründet. Das angefochtene<br />

Urteil verletze mit seiner entscheidungstragenden Annahme, § 5 Abs. 1 Buchst. a<br />

VermG setze voraus, dass die mit erheblichem Aufwand verbundene Veränderung des<br />

Grundstücks oder Gebäudes in seiner Nutzungsart oder Zweckbestimmung erst nach Verwirklichung<br />

eines Schädigungstatbestandes nach § 1 Abs. 1 bis 3 und 6 VermG erfolgt sein<br />

dürfe, Bundesrecht. Da mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht beurteilt werden<br />

konnte, ob das gesetzliche Merkmal des erheblichen baulichen Aufwandes erfüllt ist,<br />

und auch nicht abschließend geklärt war, ob ein öffentliches Interesse an der zukünftigen<br />

Nutzung der vollständigen Grundstücksfläche besteht, wurde die Sache an das Verwaltungsgericht<br />

zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverwiesen.<br />

Das Urteil ist in juris zitiert.<br />

Anmerkungen:<br />

§ 5 Abs. 1 VermG konkretisiert und ergänzt den Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 1<br />

VermG der unmöglichen Rückgabe kraft Natur der Sache und setzt damit die Vereinbarungen<br />

in Nr. 3 Buchst. a GemErkl. um, die einen sozialverträglichen Ausgleich zwischen<br />

Rückgabeinteresse und den der Rückgabe entgegenstehenden öffentlichen Interessen<br />

bezwecken.<br />

Den Tatbeständen des § 5 Abs. 1 VermG liegt die Absicht des Gesetzgebers zugrunde, bestimmte<br />

tatsächliche oder rechtliche Veränderungen der Nutzungsart oder Zweckbestimmung<br />

eines entzogenen Grundstücks oder Gebäudes, an deren Aufrechterhaltung ein überwiegendes<br />

öffentliches Interesse besteht, nicht durch die Wiederbegründung der früheren<br />

Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen.<br />

Das Bundesverwaltungsgericht stellt mit seinem Urteil klar, dass schon mit der förmlichen<br />

Anordnung der staatlichen Verwaltung, der später der eigentliche Entziehungsakt nachfolgt,<br />

der maßgebliche Zeitpunkt <strong>für</strong> die Berücksichtigung von Grundstücks- und Gebäudeveränderungen<br />

gegeben ist. Denn bereits mit dem Verlust der Verfügungsbefugnis hat der ursprünglich<br />

Berechtigte keine Möglichkeit mehr, Veränderungen zu verhindern. Der nach den DDR-<br />

Bestimmungen verfügungsberechtigte staatliche Verwalter hatte das Recht, seinerseits die<br />

<strong>für</strong> § 5 Abs. 1 VermG relevanten Veränderungen des Grundstücks oder des Gebäudes<br />

schon endgültig ins Werk zu setzen. Somit tritt die reale, faktische Schädigung des Eigentümers<br />

schon mit der förmlichen Anordnung der staatlichen Verwaltung ein. Sie vollendet sich<br />

allerdings erst später bei der endgültigen Entziehung des Vermögenswertes. Mit baulichen<br />

Maßnahmen einhergehende Veränderungen des Grundstücks und des Gebäudes im Sinne<br />

des § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG sollen damit, auch wenn sie vor Eintreten des endgültigen<br />

22


Entziehungstatbestandes erfolgten, nach Sinn und Zweck der Regelungen einen Restitutionsausschluss<br />

rechtfertigen.<br />

Auch wenn die staatliche Verwaltung aufgrund der Regelungen in § 1 Abs. 4 i. V. m. § 2 Abs.<br />

4 VermG als eine eigenständige Schädigungsmaßnahme im Sinne des Vermögensgesetzes<br />

anzusehen ist, die noch zu keiner endgültigen Entziehung des Vermögenswertes führte,<br />

setzt die Schädigung, die letztlich in den Entziehungsakt einmündete, bereits mit der förmlichen<br />

Anordnung der staatlichen Verwaltung ein. Mit der Anordnung der staatlichen Verwaltung<br />

konnte der Eigentümer nicht mehr über sein Eigentum verfügen. Er konnte es weder<br />

veräußern noch verschenken oder dingliche Rechte begründen. Dies geht aus den Anweisungen<br />

der DDR-Stellen vom 18. Juli 1952 zur Verordnung vom 17. Juli 1952 (vgl. Nr. 3.5.1.<br />

ff. der RWS-Dokumentation 7 - Enteignung und offene Vermögensfragen in der ehemaligen<br />

DDR, Band 1) hervor.<br />

Mitgeteilt von Ursula Richter<br />

23


Rückgabe-Liste „B“; Enteignungsverbot; besatzungshoheitlicher<br />

Zurechnungszusammenhang<br />

§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />

Leitsatz des Bearbeiters (nicht amtlich):<br />

Es kommt allein auf die Besonderheiten des Einzelfalles an, ob die Aufnahme eines Eigentümers<br />

in die von der sowjetischen Besatzungsmacht bestätigte Liste „B“ über die Rückgabe<br />

von Vermögenswerten und die zeitlich nach der Bestätigung der Liste durch deutsche Stellen<br />

vorgenommene Enteignung ein den besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhang<br />

unterbrechendes Enteignungsverbot darstellt.<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2005, Az.: 8 B 40.05<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Das BVerwG hat mit seinem oben genannten Beschluss die Entscheidung des VG Potsdam<br />

über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 11. Januar 2005 aufgehoben.<br />

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO<br />

zuzulassen. Der Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung zu, die mit der Divergenzrüge<br />

konkludent geltend gemacht ist.<br />

Ein Revisionsverfahren kann dem Senat Gelegenheit bieten, zur Frage Stellung zu nehmen,<br />

unter welchen Umständen die Aufnahme in eine von der sowjetischen Besatzungsmacht<br />

bestätigte Liste „B“ ausnahmsweise kein den besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhang<br />

unterbrechendes Enteignungsverbot darstellt.<br />

Anmerkungen:<br />

Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 8 C<br />

28.05. fortgeführt.<br />

Mitgeteilt von Klaus Ebell<br />

25


Erhebliches Vorschubleisten gegenüber dem<br />

nationalsozialistischen System; Verstoß<br />

gegen die Grundsätze der Menschlichkeit<br />

und Rechtsstaatlichkeit; Gauredner;<br />

Bezirksredner; Amtsleiter NS-Ärztebund;<br />

Kreishauptstellenleiter; Amt <strong>für</strong><br />

Volksgesundheit; Beisitzer am<br />

Erbgesundheitsgericht; SA-Standartenarzt;<br />

§ 1 Abs. 4 1. und 3. Alt.,<br />

§ 5 AusglLeistG<br />

Leitsatz der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

Zur Frage, inwieweit die Wahrnehmung von NSDAP-Funktionen auf Kreisebene das erhebliche<br />

Vorschubleisten i. S. d. § 1 Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG indiziert sowie ob und unter welchen<br />

Voraussetzungen das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung der 1. Alt. aus Hilfstatsachen<br />

hergeleitet werden kann.<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2005, Az.: 3 B 6.05<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Mit o. g. Beschluss wurde die Revision gegen das Urteil des VG Chemnitz vom 22. Juli 20<strong>04</strong><br />

- 9 K 530/01 - zugelassen.<br />

Die Rechtssache habe grundsätzlich Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.<br />

Das Revisionsverfahren könne im Anschluss an das Urteil des Senats vom 17. März 2005 -<br />

3 C 20.<strong>04</strong> - (Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 5) Gelegenheit zur Klärung der Fragen<br />

bieten, unter welchen Voraussetzungen die Wahrnehmung von Parteiämtern und -funktionen<br />

auf unterer oder mittlerer Ebene als erhebliches Vorschubleisten im Sinne des § 1 Abs. 4<br />

AusglLeistG anzusehen sei und unter welchen Voraussetzungen die Tätigkeit als Ärztlicher<br />

Beisitzer im Erbgesundheitsgericht gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit<br />

im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG verstößt oder als erhebliches Vorschubleisten<br />

im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG zu werten sei.<br />

Anmerkungen:<br />

Zum Ausgangsurteil vgl. ausführlich die Wiedergabe in der RÜ 05/2005.<br />

Es erstaunt, dass der 3. Senat die Funktionen, die der Geschädigte auf Kreisebene und<br />

sogar Gauebene eingenommen hat sowie nicht zuletzt auch den hohen SA-Rang im Revisionszulassungsbeschluss<br />

als solche auf „unterer oder mittlerer Ebene klassifiziert“ (vgl.<br />

hierzu auch den „offener“ formulierten Zulassungsbeschluss vom 27. Dezember 2005 - 3 B<br />

32.05 - zum Urteil des VG Dresden vom 15. September 2005 - 4 K 238/03 - BARoV-RÜ<br />

02/<strong>2006</strong>).<br />

Zum rassistischen Charakter und der antihumanen Anwendung des Gesetzes zur Verhütung<br />

erbkranken Nachwuchses (RGBl. I, 529) vergleiche Eckhard Heesch, Nationalsozialistische<br />

Zwangssterilisierungen psychiatrischer Patienten in Schleswig-Holstein, in: Demokratische<br />

Geschichte, Jahrbuch zur Arbeiterbewegung und Demokratie in Schleswig-Holstein 9/1995,<br />

S. 55 ff.; Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus, Studien zur Rassenpolitik<br />

und Frauenpolitik, VS Verlag <strong>für</strong> Sozialwissenschaften 2002.<br />

Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />

27


Schwerwiegender Missbrauch der Stellung<br />

zum eigenen Vorteil bzw. Nachteil anderer;<br />

Ausnutzen der Verfolgungslage; legaler<br />

Erwerb<br />

§ 1 Abs. 4 2. Alt. AusglLeistG;<br />

§ 15 Abs. 2 RepG<br />

Leitsätze des Gerichts:<br />

Leitsatz der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

Zur Frage, ob der unbestimmte Rechtsbegriff des „in schwerwiegendem Maße seine Stellung<br />

zum eigenen Vorteil oder Nachteil anderer missbraucht“ zu haben, einer restriktiven Auslegung<br />

bedarf oder die Unangemessenheit einer Gegenleistung gemäß § 15 Abs. 2 RepG zur<br />

Erfüllung dieses Ausschlusstatbestandes ausreicht und somit § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt.<br />

VermG weit auszulegen ist.<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

VG Gera, Urteil vom 26. Januar <strong>2006</strong>, Az.: 6 K 617/<strong>04</strong><br />

Tatbestand/Problem:<br />

Streitig ist das Vorliegen des Ausschlussgrundes des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt. VermG im<br />

Hinblick auf den geltend gemachten Entschädigungsanspruch gemäß § 7 a Abs. 3 c VermG.<br />

Der Rechtsvorgänger der Kläger hatte das verfahrensgegenständliche Grundstück erheblich<br />

unter Einheitswert 1938 von rassisch Verfolgten erworben und zudem eine sog. Arisierungsabgabe<br />

nach der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember<br />

1938 (RGBl. I, S. 1709) entrichten müssen. Der Antrag auf Rückübertragung wegen einer<br />

Schädigung gem. § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG wurde wegen § 3 Abs. 2 VermG zurückgewiesen.<br />

Die beantragte Entschädigung wurde vom StARoV wegen Missbrauchs der Stellung i. S. d.<br />

§ 7 a Abs. 3 Satz 2 2. Alt. VermG abgelehnt.<br />

Das VG gab der Klage gegen die Ablehnung der Entschädigung unter Berufung auf die<br />

Gesetzesbegründung zum Vermögensrechtsanpassungsgesetz (BGBl. I 1995, 985 - Verm-<br />

RAnpG) mit im Wesentlichen folgender Begründung statt:<br />

Entgegen der Ansicht des Beklagten sei der unbestimmte Rechtsbegriff des in „schwerwiegenden<br />

Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht“<br />

zu haben, ebenso wie die beiden anderen Ausschlussalternativen des § 7 a Abs. 3 b Satz 2<br />

VermG, restriktiv auszulegen. Da<strong>für</strong> sprächen insbesondere der Wortlaut des § 7 a Abs. 3 b<br />

Satz 2 VermG und die Gesetzessystematik.<br />

Sinn und Zweck der Einführung des § 7 a Abs. 3 b VermG sei gewesen, dem Erwerber von<br />

NS-Verfolgtenvermögen neben dem Anspruch auf Herausgabe des (20 : 1 umgewerteten)<br />

Kaufpreises einen Anspruch auf Entschädigung einzuräumen. Ausgenommen von dem<br />

(höheren) Entschädigungsanspruch seien diejenigen, welche einen der in § 7 a Abs. 3 b<br />

Satz 2 VermG drei genannten Ausschlussgründe erfüllen. Dabei sei der Wortlaut der<br />

„Unwürdigkeitsregelung“ des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG mit dem Wortlaut der Regelung<br />

des § 1 Abs. 4 AusglLeistG identisch. Diese Kongruenz sei seitens des Gesetzgebers beabsichtigt<br />

gewesen, um zu gewährleisten, dass eine „Gleichbehandlung mit denjenigen Erwerbern<br />

oder ihren Rechtsnachfolgern erreicht [wird], denen der zwischen 1933 und 1945<br />

29


erworbene Vermögenswert unter sowjetische Besatzungshoheit (1945 - 1949) wieder entzogen<br />

worden ist und die da<strong>für</strong> einen Anspruch nach § 1 Abs. 1 des Ausgleichsleistungsgesetzes<br />

haben“ (Bundestagsdrucksache 13/1593 vom 1. Juni 1995). Dem entsprechend könne<br />

im Zusammenhang mit den Ausschlussgründen des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG auf die zu<br />

§ 1 Abs. 4 AusglLeistG entwickelte Rechtsprechung zurückgegriffen werden (vgl. BVerwG,<br />

Urteil vom 17. März 2005 - 3 C 20/<strong>04</strong> - zitiert nach juris).<br />

Es sei Sinn und Zweck der Ausschlussregelung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG und damit auch<br />

des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG, „lediglich“ die Hauptverantwortlichen der zu revidierenden<br />

Unrechtsmaßnahmen vom Entschädigungsanspruch auszuschließen (BVerwG, Urteil vom<br />

17. März 2005 - 3 C 20.<strong>04</strong> - zitiert nach juris). Nicht jeder Missbrauch einer Stellung zum<br />

eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer und nicht jedes Vorschubleisten zugunsten des<br />

nationalsozialistischen oder kommunistischen Systems in der sowjetisch besetzten Zone<br />

oder der DDR reichten aus. Vielmehr sei in allen Fällen eine „gewisse Erheblichkeit“ erforderlich,<br />

welche - mit Ausnahme der 1. Alternative des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG - auch<br />

durch den Wortlaut dokumentiert werde. So werde ein „erhebliches“ Vorschubleisten oder<br />

der Missbrauch einer Stellung in „schwerwiegendem“ Maße verlangt. Aufgrund des Regelungszwecks<br />

des VermG und des AusglLeistG, welche auf Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit<br />

und Menschlichkeit basiert, wäre anderenfalls im Regelfall eine Unwürdigkeit zu<br />

bejahen. Dies würde jedoch dem Ausnahmecharakter der Unwürdigkeitsregelung nicht gerecht<br />

werden. Vielmehr müsste dann der Ausnahmetatbestand als Regelfall anzunehmen<br />

sein. Dass dies vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sei, mache die amtliche<br />

Begründung, aber auch die Gesetzessystematik deutlich.<br />

Das Vermögensgesetz sei im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung der Bundesrepublik<br />

und der DDR und zur Wiederherstellung des Eigentums bzw. der Rechtsinhaberschaft<br />

über Vermögenswerte im Sinne von § 2 Abs. 2 VermG, die durch der DDR-Staatsmacht<br />

zurechenbare staatliche Hoheitsakte entzogen oder rechtsgeschäftlich veräußert bzw. aufgegeben<br />

wurden, bzw. zur Aufhebung staatlicher Verwaltungen über Vermögenswerte<br />

geschaffen worden. Darüber hinaus habe es über § 1 Abs. 6 VermG auf vermögensrechtliche<br />

Verfügungen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis 8. Mai 1945 Anwendung gefunden,<br />

welche von Bürgern oder Vereinigungen, die aus rassischen, politischen, religiösen oder<br />

weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von<br />

Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Dabei trage das<br />

Vermögensgesetz dem Entzug von Vermögenswerten im Sinne § 2 Abs. 2 VermG aufgrund<br />

von Rechtsakten, welche unvereinbar mit rechtsstaatlichen Grundsätzen seien Rechnung, so<br />

dass insbesondere unter Berücksichtigung des Ausschlusstatbestandes des Verstoßes<br />

gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit nicht jeder Verstoß zur<br />

Unwürdigkeit im Sinne § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG führen könne. Die Vorschrift liefe aufgrund<br />

ihrer Schaffung als „Wiedergutmachungsgesetz“ <strong>für</strong> Rechtsstaatsverstöße sonst ins<br />

Leere.<br />

Durch die „Alliierten-Regelung“ des Art. 3 REAO werde deutlich, dass es im maßgeblichen<br />

Zeitraum verbreitet war, NS-Verfolgtenvermögen erheblich unter dem Verkehrswert bzw.<br />

sogar unter dem Einheitswert zu verkaufen und dass das Vermögensgesetz die Erwerber<br />

gerade im Nachgang derartiger Veräußerungen schützen wollte. Wäre es dem Gesetzgeber<br />

im Zusammenhang mit der Einführung des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG darauf angekommen,<br />

gerade diese Fälle vom Wahlrecht zwischen Kaufpreis und Entschädigung auszunehmen,<br />

hätte ein Verweis auf die Vorschrift des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG ausgereicht. Ebenso<br />

wäre ein Verweis auf die Legaldefinition der unangemessenen Gegenleistung im Sinne § 15<br />

Abs. 2 RepG im Wortlaut der „Unwürdigkeitsvorschrift“ ausreichend gewesen. Überdies hätte<br />

es der Einführung der Unwürdigkeitsklausel in § 7 a Abs. 3 b VermG insgesamt nicht bedurft,<br />

da bei den anspruchsbegründenden Restitutionshandlungen, welche die Anwendbarkeit des<br />

VermG eröffnen, immer gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen worden sei. Vielmehr<br />

sei der Anwendungsbereich des § 7 a Abs. 3 b und Abs. 3 c VermG erst in den Fällen des §<br />

1 Abs. 6 VermG eröffnet, da die Vorschriften ausdrücklich auf § 1 Abs. 6 VermG verwiesen.<br />

Der daher erforderlichen engen Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe habe auch die<br />

Rechtsprechung in ihren Entscheidungen zu der ersten und dritten Ausschlussalternative<br />

30


des § 1 Abs. 4 AusglLeistG Rechnung getragen, wobei zu berücksichtigen sei, dass alle drei<br />

Ausschlussgründe eine - in der Schwere des Verstoßes vergleichbare - gewisse Erheblichkeit<br />

erfordern würden, insoweit folglich eine Gleichwertigkeit der Ausschlussgründe gegeben<br />

sei (VG Dresden, Urteil vom 30. Juli 2003 - 4 K 1228/01 -; VG Leipzig, Urteil vom 20. August<br />

20<strong>04</strong> - 1 K 340/03 - ZOV 2005, 405 ff.; VG Berlin, Urteil vom 18. März 2005 - 31 A 492.03 –<br />

(ZOV 2005, 189) zitiert nach juris).<br />

Soweit der Beklagte der Ansicht sei, dass unter Verweis auf die amtliche Begründung zum<br />

VermRAnpG und den dortigen Hinweis auf § 15 Abs. 2 RepG (BT-Drucks. 13/1593 vom 1.<br />

Juni 1995, a. a. O.) jedes Ausnutzen der Verfolgungslage ausreiche, um in „schwerwiegendem<br />

Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder Nachteil anderer missbraucht“ zu haben<br />

und folglich der Ausschlussgrund weit auszulegen sei, stehe sowohl der Wortlaut des Ausschlussgrundes<br />

des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG entgegen als auch die Formulierung der<br />

amtlichen Begründung zum VermRAnpG selbst.<br />

Dieser Wortlaut sei mit dem der verfahrensgegenständlichen „Unwürdigkeitsklausel“ in keiner<br />

Hinsicht vergleichbar oder ähnlich. In § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1.b RepG knüpfe die Verneinung<br />

der Entschädigung u. a. an das Erfordernis einer unangemessenen Gegenleistung<br />

an, wobei dies grundsätzlich ein ausschließlich objektiv geprägtes Ausschlusselement sei.<br />

Dies werde durch die Definition der „unangemessenen Gegenleistung“ in den Sätzen 3 bis 6<br />

des § 15 Abs. 2 RepG deutlich, welche an das Verhältnis Verkehrswert und tatsächliche<br />

geldwerte Leistung anknüpfe. In Ausnahmefällen könne die Unangemessenheit einer Gegenleistung<br />

durch besondere Umstände, welche eine Ausnahme von der Regel rechtfertigten,<br />

widerlegt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1972 – III C 41/71 - BVerwGE<br />

41, 145).<br />

Dabei könnten auch „subjektive“ Umstände entscheidungserheblich sein. Es werde deutlich,<br />

dass die Anforderungen an die Erheblichkeit des Rechtsverstoßes und damit die Versagung<br />

einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 RepG geringer seien, als die Anforderungen an die<br />

„Unwürdigkeit“ im Sinne § 1 Abs. 4 AusglLeistG bzw. § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG. Die<br />

Letztgenannten setzten bereits nach dem Wortlaut eine subjektive Komponente voraus<br />

(„missbrauchen“, „erheblich Vorschub leisten“).<br />

Liege eine unangemessene Gegenleistung im Sinne § 15 Abs. 2 RepG vor, sei lediglich der<br />

Raum <strong>für</strong> eine Prüfung der Ausnahmeregelung des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt. VermG eröffnet,<br />

d. h. es bestehe somit ein „Anfangsverdacht“ bzgl. eines „Unwürdigkeitstatbestandes“.<br />

Dass mit einer unangemessenen Gegenleistung gleichzeitig auch ein schwerwiegender<br />

Missbrauch der eigenen Stellung erfüllt sei, formuliere der Gesetzgeber in seiner amtlichen<br />

Begründung nicht. Vielmehr sage er lediglich, dass bei einem Ausnutzen der Verfolgungslage<br />

regelmäßig der Ausschlussgrund des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt. VermG gegeben sei<br />

und der Erwerber nicht „loyal“ beim Erwerb des Vermögenswertes zwischen dem 30. Januar<br />

1933 und 8. Mai 1945 gehandelt habe. Dabei verwende der Gesetzgeber jedoch ebenfalls<br />

unbestimmte Rechtsbegriffe („loyal“, „Ausnutzen der Verfolgungslage“). Wann jedoch ein<br />

Erwerber „loyal“ sei bzw. handele oder wann eine Verfolgungslage als ausgenutzt gelte,<br />

führe der Gesetzgeber in seiner amtlichen Begründung nicht näher aus, sondern verweise<br />

vielmehr auf die Gleichbehandlung mit der Regelung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG.<br />

Im Ergebnis sei eine am Sinn und Zweck der „Unwürdigkeitsklausel“, die Hauptverantwortlichen<br />

<strong>für</strong> die zu revidierenden Unrechtsmaßnahmen nicht zu entschädigen, und der Ausnahmeregelung<br />

gerecht werdende restriktive Auslegung des Tatbestandes „in schwerwiegendem<br />

Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder Nachteil anderer missbraucht“ zu haben,<br />

erforderlich.<br />

Eine missbrauchte „Stellung“ könne sowohl politischer als auch wirtschaftlicher Art sein, wobei<br />

sie aber im Wesentlichen mit dem Begriff der Funktion im nationalsozialistischen oder<br />

kommunistischen System gleichzusetzen sei (vgl. Weskamm: Kimme, Offene Vermögensfragen,<br />

Bd. 3, Stand: Oktober 2005, § 1 AusglLeistG, Rdnr. 145). Eine Stellung sei dann<br />

missbraucht worden, wenn der Funktionsträger oder sonst Systembegünstigte sich diese -<br />

31


nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit dem Erwerb - zunutze gemacht habe, um<br />

Vorteile zu erlangen, auf die er nach rechtsstaatlichen Grundsätzen keinen Anspruch hatte<br />

oder wenn er sie genutzt habe, um anderen aus einer nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen<br />

entsprechenden Ausübung heraus Nachteile zuzufügen (vgl. Weskamm: Kimme a. a. O., § 1<br />

AusglLeistG, Rdnr. 146). Dabei sei auf einen „schwerwiegenden“ Missbrauch seiner Stellung<br />

zur Erlangung von Vorteilen oder Schaffung von Nachteilen abzustellen. Eines „schwerwiegenden“<br />

Nachteils oder erheblichen Vorteils bedürfe es nach dem Wortlaut nicht. Das Merkmal<br />

des „schwerwiegenden Missbrauchs“ sei subjektiv geprägt, so dass es auf das Bewusstsein<br />

des Stellungsinhabers ankomme, seine Stellung kausal <strong>für</strong> eigene Vorteile oder<br />

Nachteile anderer in erheblichem Maß zu missbrauchen. Der erlangte Vorteil oder Nachteil<br />

anderer könne mangels näherer Eingrenzung im Gesetzestext sowohl geldwerter als auch<br />

immaterieller Natur sein. Im Rahmen dieses Tatbestandsmerkmales könne auf die Grundsätze<br />

der unangemessenen Gegenleistung in § 15 Abs. 2 RepG zurückgegriffen werden (vgl.<br />

Weskamm: Kimme a. a. O., § 1 AusglLeistG, Rdnr. 148 f.; BT-Drucks. 13/1593 vom 1. Juni<br />

1995; http://dip.bundestag.de/btd/13/015/1301593.asc).<br />

Der erlangte eigene Vorteil des Vaters bzw. Schwiegervaters der Kläger bestehe in der aus<br />

der unangemessenen Gegenleistung resultierenden Ersparung von Aufwendungen <strong>für</strong> den<br />

Erwerb eines Grundstücks. Dazu habe bereits das Verwaltungsgericht Weimar in seinem<br />

Urteil vom 4. Dezember 1996 - 6 K 1771/95.We - (Seite 8 bis 12 des genannten Urteils) im<br />

Zusammenhang mit der Prüfung der Widerlegung der Rechtsvermutung des Zwangsverkaufes<br />

oder Verlustes auf sonstige Weise gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i. V. m. Art. 3<br />

Abs. 2 REAO Ausführungen gemacht, auf welche sich die Kammer beziehe. Der Grundstückseinheitswert<br />

habe, wenn auch erst nach rückwirkender Feststellung durch Bescheid<br />

vom 4. November 1957, 25.100,00 DM betragen. Der im Zeitpunkt des Erwerbes des Grundstücks<br />

festgesetzte Einheitswert habe zwar lediglich 14.800,00 RM betragen, jedoch selbst<br />

unter Berücksichtigung dieses Einheitswertes habe der Rechtsvorgänger der Kläger einen<br />

wirtschaftlichen Vorteil erlangt.<br />

Er sei aber weder Inhaber einer Stellung noch sei ihm ein schwerwiegender Missbrauch im<br />

Sinne § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt. VermG nachzuweisen.<br />

Allein die Mitgliedschaft in der NSDAP sei nicht ausreichend und stelle keine Funktion im<br />

nationalsozialistischen System dar. Darüber hinaus könne das Ausnutzen einer wirtschaftlichen<br />

Überlegenheit, die jemand nur deshalb inne hatte, weil er kein verfolgter jüdischer Bürger<br />

gewesen sei, ebenso wenig <strong>für</strong> das Innehaben einer Stellung ausreichen. Vielmehr seien<br />

weitere Anhaltspunkte - an denen es hier mangele - erforderlich, um eine besondere, wenn<br />

auch nur besondere wirtschaftliche Stellung zu begründen.<br />

Ebenso wenig liege ein schwerwiegender Missbrauch vor. Zwar habe der damalige Erwerber<br />

einen ausgesprochen geringen Kaufpreis gezahlt und mit 26 Jahren - unter Aufwendung<br />

sämtlicher finanzieller Mittel - ein Grundstück mit Wohn- und Geschäftshaus erworben. Im<br />

Hinblick auf die Gesamtumstände des Grundstückserwerbs sei anzunehmen, dass er die<br />

Verfolgungslage der ursprünglichen Eigentümerinnen ausgenutzt habe. Jedoch sei der Verkauf<br />

von jüdischem Grundeigentum in der NS-Zeit von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit<br />

- insbesondere im Hinblick auf den Kaufpreis (vgl. § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i. V. m. Art.<br />

3 Abs. 3 REAO) - geprägt, so dass es weiterer Anhaltspunkte bedürfe, um einen schwerwiegenden<br />

Missbrauch zu begründen. Diese lägen beispielsweise vor, wenn der Kaufpreis<br />

durch den Erwerber unter Ausnutzung oder Verweis auf seine Zugehörigkeit zu den NS-<br />

Verfolgern bewusst heruntergehandelt worden wäre. Dies sei jedoch nicht ersichtlich, so<br />

dass davon auszugehen sei, dass der Kaufpreis bereits von Anfang an feststand.<br />

Insofern sei nicht bewiesen, dass der Erwerber sich einer „exponierten Stellung“ gegenüber<br />

den jüdischen Veräußerern bewusst gewesen sei und er aufgrund der ihm bewussten<br />

Machtbefugnisse die Bedingungen des Kaufvertrages (z. B. den Kaufpreis) bestimmt habe.<br />

32


Anmerkungen:<br />

Gegen die o. g. Entscheidung wurde gemäß § 135 VwGO die Revision zum Bundesverwaltungsgericht<br />

zugelassen. Dem VG zufolge liege der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen<br />

Bedeutung der Rechtssache vor (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Frage, ob<br />

der unbestimmte Rechtsbegriff des „in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen<br />

Vorteil oder Nachteil anderer missbraucht“ zu haben einer restriktiven Auslegung bedürfe<br />

oder die Unangemessenheit einer Gegenleistung gemäß § 15 Abs. 2 RepG zur Erfüllung<br />

dieses Ausschlusstatbestandes ausreiche und somit § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt. VermG weit<br />

auszulegen sei, sei in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt und diene der Wahrung und<br />

Fortentwicklung der (Bundes-)Rechtsordnung.<br />

Das VG Gera erteilt der bisherigen Auslegung durch die Behörden zur Regelung offener<br />

Vermögensfragen, die sich entsprechend der Gesetzesbegründung an der Regelung des §<br />

15 Abs. 2 RepG und damit vor allem an der Zahlung eines im Sinne dieser Regelung angemessenen<br />

Kaufpreises orientiert, eine Absage.<br />

Der Gesetzgeber bringt deutlich zum Ausdruck, dass (nur) den „loyalen Erwerbern“ von NS-<br />

Verfolgtenvermögen die Möglichkeit eröffnet werden soll, Entschädigung nach Entschädigungsgesetz<br />

- EntschG - zu erhalten. Nur diesem Personenkreis gegenüber soll die Härte<br />

abgemildert werden, die sich aus der Abwertung des ihnen nach Abs. 2 zustehenden Erstattungsbetrages<br />

auf Rückzahlung des beim Erwerb gezahlten (und tatsächlich zugeflossenen)<br />

Kaufpreises ergeben würde (BT-Drucks. 13/1593). Mit der Einführung des Begriffes der<br />

„Loyalität“ in die Gesetzesbegründung stellt der Gesetzgeber den Bezug zum Gesetz zur<br />

Abgeltung von Reparations-, Restitutions-, Zerstörungs- und Rückerstattungsschäden -<br />

Reparationsschädengesetz - RepG - vom 12. Februar 1969 her (BGBl. I S. 105). Der Begriff<br />

der „Loyalität“ entstammt der Diskussion um die Einführung eines Entschädigungsgesetzes<br />

in den 60er Jahren, die schließlich zur Verkündung des RepG führte (vgl. Jürgen Lillteicher,<br />

Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg,<br />

Diss. WS 2002s/2003, S. 391 ff., 407, 413 ff., 416).<br />

Der Anwendungsbereich des § 7 a Abs. 3 c VermG ist eröffnet, wenn ein Erwerber von<br />

Verfolgtenvermögen wegen des nach § 3 Abs. 2 VermG vorrangigen Anspruches des NS-<br />

Verfolgten gemäß § 1 Abs. 6 VermG von der Rückübertragung ausgeschlossen ist.<br />

Dabei verkennt das VG, dass die Vorschrift des § 15 Abs. 2 RepG eine erheblich niedrigere<br />

Schwelle bei der Prüfung der Angemessenheit des Kaufpreises als Tatbestandsvoraussetzung<br />

aufweist als § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i. V. m. Art. 3 REAO und kommt deshalb auch<br />

zur fehlerhaften Schlussfolgerung, dass „bei anspruchsbegründenden Restitutionshandlungen,<br />

welche die Anwendbarkeit des VermG eröffnet, immer gegen rechtsstaatliche Grundsätze<br />

verstoßen wurde“ (UA, S. 14).<br />

Damit meint die Kammer wohl, dass der Erwerber deshalb „zwangsläufig“ bei einem Kauf<br />

von einem NS-Verfolgten gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen hat, weil dem NS-<br />

System als solchem durch die rassische Ausgrenzung und Außerrechtstellung der Juden<br />

und übrigen NS-Verfolgten die Rechtsstaatswidrigkeit immanent war.<br />

Bei der sog. Entziehungsvermutung des Art. 3 REAO handelt es sich zunächst um eine<br />

Beweiserleichterungsvorschrift <strong>für</strong> Rechtsgeschäfte Verfolgter zwischen dem 30. Januar<br />

1933 und dem 8. Mai 1945. Sie hatte - aufgrund der vordergründigen „Neutralität“ jedes<br />

Rechtsgeschäfts - zum Zweck, die Verfolgten vom Nachweis der Kausalität der Verfolgung<br />

<strong>für</strong> die Veräußerung zu befreien, nicht - wie das VG ausführt (UA, S. 13), deutlich zu<br />

machen, „dass es im maßgeblichen Zeitraum verbreitet war, NS-Verfolgtenvermögen erheblich<br />

unter dem Verkehrswert bzw. sogar unter dem Einheitswert zu verkaufen“.<br />

Nach Art. 3 Abs. 1 REAO gelten bspw. Grundstücksverkäufe von Verfolgten in dieser Zeit als<br />

verfolgungsbedingt („ungerechtfertigte Entziehungen“) und damit restitutionsbegründend,<br />

sofern der damalige Erwerber (vor dem 15. September 1935) diese Entziehungsvermutung<br />

nicht nach Abs. 2 widerlegen kann. Hier<strong>für</strong> muss er (kumulativ) nachweisen (1.), dass er<br />

einen angemessenen Kaufpreis bezahlt hat.<br />

33


Zusätzlich muss der Erwerber nach Art. 3 Abs. 2 REAO (2.) den Nachweis erbringen, dass<br />

der Kaufpreis in die freie Verfügung des Verfolgten gelangt ist. Selbst wenn also ein Erwerber<br />

von Verfolgtenvermögen den Nachweis der Zahlung eines angemessenen Kaufpreises<br />

erbracht hat, kann ihm dennoch die volle Widerlegung der Entziehungsvermutung nicht<br />

gelingen, wenn der Kaufpreis nicht in die freie Verfügung des Verfolgten gelangt ist, bspw.<br />

weil er auf ein Devisensperrkonto eingezahlt werden musste. Weil dies vom Erwerber im<br />

Regelfall nicht zu vertreten war, wurde dies vom Gesetzgeber des § 15 Abs. 2 RepG nicht<br />

gefordert (vgl. BT-Drucks. V/2432, S. 61 Nr. 3).<br />

Zur Frage, welcher Kaufpreis angemessen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 2. HS REAO ist, wird<br />

aber im Gegensatz zum RepG an den - hundertprozentigen - Verkehrswert angeknüpft. Mit<br />

der Festlegung der angemessenen Gegenleistung auf „mindestens 90 vom Hundert des<br />

gemeinen Werts (Verkehrswert) des Wirtschaftsguts im Zeitpunkt der Entziehung“ in § 15<br />

Abs. 2 RepG wollte der damalige Gesetzgeber ja gerade den sog. „Rückerstattungsschaden“<br />

eines „loyalen“ Erwerbers ersetzen, der sich aus der nach der „Alliiertenregelung“ bestehenden<br />

Rückgabeverpflichtung ergab. Dem damaligen Gesetzgeber erschien es „unter Berücksichtigung<br />

der damaligen Lage“ „vertretbar, bei der Angemessenheit der Gegenleistung eine<br />

gewisse Toleranz (10 v. H. des Verkehrswertes) vorzusehen“ (vgl. BT-Drucks. V/2432, S.<br />

61).<br />

Im Übrigen ist der Tatbestand nicht an eine derartige qualifizierte Stellung eines Erwerbers<br />

geknüpft, aus der sich eine Beschränkung auf einen bestimmten Personenkreis entnehmen<br />

ließe. Im Sinne dieses Ausschließungsgrundes eine Stellung begründend und da<strong>für</strong> ausreichend<br />

ist die Tatsache, dass der Erwerber in Kenntnis der Situation einem Veräußerer<br />

gegenüber stand, der sich als NS-Verfolgter in einer Notlage befand und der sich deshalb zu<br />

einem Verkaufabschluss nur unterhalb des Verkehrswertes genötigt sah.<br />

Das LARoV hat die Revision eingelegt. Das Revisionsverfahren ist unter dem Az.: 8 C 5.06<br />

anhängig.<br />

Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />

34


Erstreckung der Prüfung von Ausschlussgründen<br />

auf denjenigen, auf den die Enteignung<br />

auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher<br />

Grundlage abzielte; Gauredner,<br />

NSDAP; Staatsrat; Kreisbauernführer<br />

§ 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />

Leitsätze der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

1. Der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG beinhaltet ein Surrogat<br />

<strong>für</strong> den nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossenen Restitutionsanspruch. Dieses<br />

Surrogat knüpft an die entsprechende Enteignung an, die auch dann als wirksam<br />

anzusehen ist, wenn sie gegen einen bereits Verstorbenen gerichtet war (BVerwG, Urteil<br />

vom 28. Juli 1994 - 7 C 14.94 - BVerwGE 96, 253 ff., 256 ff. = NJ 1995, 153 = Buchholz<br />

112 § 1 VermG Nr. 27 = RGV B II 67). Diese Verknüpfung von Enteignung und<br />

Ausgleichsleistungsanspruch rechtfertigt es, auch <strong>für</strong> den Surrogatanspruch auf die<br />

entschädigungslose Enteignung Bezug zu nehmen und denjenigen in die Prüfung von<br />

Ausschlussgründen einzubeziehen, auf den diese Enteignung abgezielt und den sie nur<br />

wegen seines zuvor eingetretenen Todes verfehlt hat.<br />

2. Nach der in § 1 Abs. 4 AusglLeistG zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers<br />

führt schließlich nicht bereits der Umstand zu einer Aufhebung des Anspruchsausschlusses,<br />

dass jedenfalls dem oder den Erben kein erhebliches Vorschubleisten im<br />

Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG zur Last fällt. Es ist gerade nicht so, dass unbelasteten<br />

Erben auf jeden Fall ein Anspruch auf Ausgleichsleistung gewährt werden sollte. Der<br />

Anspruch ist und bleibt verwirkt. Vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Regelung<br />

ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Wertung anders ausfallen sollte, nur weil der frühere<br />

durch ein Vorschubleisten belastete Eigentümer vor der Enteignung verstorben ist,<br />

wenn – wie hier – gerade seine Belastung der Grund <strong>für</strong> den Zugriff auf den Vermögenswert<br />

und die entschädigungslose Enteignung war (Bestätigung des Urteils vom 24. Februar<br />

2005 - 3 C 16.<strong>04</strong> - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 4 = ZOV 2005, 231).<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 23. Februar <strong>2006</strong>, Az.: 3 C 22.05<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Das LARoV Thüringen hatte die Gewährung einer Ausgleichsleistung <strong>für</strong> den nach dem Gesetz<br />

über die Bodenreform im Lande Thüringen vom 10. September 1945 (RegBl. I S. 13)<br />

enteigneten, unter 100 ha großen Betrieb abgelehnt, da derjenige, dem die Enteignung<br />

gegolten hatte, dem NS-System erheblichen Vorschub i. S. d. § 1 Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG<br />

geleistet hätte. Der Geschädigte Paul J. hatte nach den Sachverhaltsfeststellung in Thüringen<br />

zur NS-Zeit führende Positionen bekleidet. Er war im Oktober 1931 in die NSDAP eingetreten<br />

und seit 1930 Gauredner der NSDAP. Vom 31. Juli 1932 bis zu dessen Auflösung<br />

am 14. Oktober 1933 war er <strong>für</strong> die NSDAP Abgeordneter im Thüringer Landtag. Von August<br />

1932 bis zu seinem Tod im Januar 1942 gehörte er zunächst als gewählter und dann ab Mai<br />

1933 als vom Reichsstatthalter in Thüringen ernannter Staatsrat den nationalsozialistischen<br />

Landesregierungen an. Daneben war er unter anderem von 1933 bis 1942 Kreisbauernführer<br />

von Altenburg sowie von 1933 bis Juli 1938 Präsident des Verbandes thüringischer landwirtschaftlicher<br />

Genossenschaften, danach nahm er eine leitende Tätigkeit in der Raiffeisen-<br />

Organisation wahr. Sein Sohn erbte nach dem Tod seines Vaters dessen landwirtschaftlichen<br />

Betrieb. 1945 wurde der Betrieb im Zuge der Bodenreform enteignet.<br />

35


Das VG Gera gab der Klage der Rechtsnachfolger statt.<br />

Zum Enteignungszeitpunkt sei der Sohn Eigentümer des Betriebs gewesen. Allein er habe<br />

daher durch die entschädigungslose Enteignung sein Eigentum verloren. In seiner Position<br />

lägen die Voraussetzungen <strong>für</strong> einen Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />

aber nicht vor.<br />

Das VG ließ die Revision wegen Divergenz zu. Auf die Revision des LARoV wurde das Urteil<br />

geändert und die Klage abgewiesen. Aus dem Urteil des Senats vom 24. Februar 2005 - 3 C<br />

16.<strong>04</strong> - (Buchholz 428.4 § 1 Abs. 4 AusglLeistG Nr. 4) ergebe sich, dass die Auffassung des<br />

VG nicht im Einklang mit Bundesrecht stehe.<br />

Wie der Senat in seinem Urteil vom 24. Februar 2005 entschieden habe, erforderten die<br />

Systematik sowie Sinn und Zweck der Ausschlussregelung, auch Personen in die Prüfung<br />

einzubeziehen, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enteignung bereits verstorben<br />

waren, sofern die Enteignung auf sie abzielte.<br />

Unter Berufung auf die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 4 AusglLeistG (BT-Drucks. 12/4887<br />

S. 38) und das Urteil vom 24. Februar 2005 führte der Senat weiter aus:<br />

Nur mit der Erstreckung der Prüfung von Ausschlussgründen nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />

auch auf denjenigen, auf den die Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher<br />

Grundlage abzielte, werde diesem Regelungszweck hinreichend Rechnung getragen.<br />

Für eine solche Auslegung spreche insbesondere der systematische Zusammenhang<br />

zwischen der entschädigungslosen Enteignung und dem Ausschluss vermögensrechtlicher<br />

Ansprüche nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auf der einen und der wesentlich auf dem<br />

Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes beruhenden (vgl. dazu BVerfGE 102, 254) ersatzweisen<br />

Begründung eines Ausgleichsleistungsanspruchs nach § 1 AusglLeistG auf der anderen<br />

Seite. Der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG beinhalte ein Surrogat<br />

<strong>für</strong> den nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossenen Restitutionsanspruch.<br />

Dieses Surrogat knüpfe an die entsprechende Enteignung an, die auch dann als wirksam<br />

anzusehen sei, wenn sie gegen einen bereits Verstorbenen gerichtet war (BVerwG, Urteil<br />

vom 28. Juli 1994 - 7 C 14.94 - a. a. O., 256 ff.). Diese Verknüpfung von Enteignung und<br />

Ausgleichsleistungsanspruch rechtfertige es, auch <strong>für</strong> den Surrogatanspruch auf die<br />

entschädigungslose Enteignung Bezug zu nehmen und denjenigen in die Prüfung von<br />

Ausschlussgründen einzubeziehen, auf den diese Enteignung abgezielt und den sie nur<br />

wegen seines zuvor eingetretenen Toden verfehlt habe. Die im angegriffenen Urteil vorgenommene<br />

Beschränkung führe demgegenüber zu der am Regelungszweck und dem dargestellten<br />

systematischen Zusammenhang vorbei gehenden Konsequenz, dass es vom Zeitpunkt<br />

des Todes des nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG Ausgeschlossenen abhänge, ob - bei Tod<br />

vor der entschädigungslosen Enteignung - eine Ausgleichsleistung zu zahlen sei oder - im<br />

Falle des Todes erst nach der entschädigungslosen Enteignung - nicht. Dieser Auslegung<br />

stehe - anders, als das Verwaltungsgericht meine - auch nicht der zeitliche Abstand zwischen<br />

der Anspruchsbegründung und dem Vorschubleisten entgegen. Der hier in Rede<br />

stehende Anspruchsausschluss knüpfe ausdrücklich an ein Vorschubleisten zugunsten des<br />

nationalsozialistischen Systems an. Der sich daraus zwangsläufig ergebende zeitliche<br />

Abstand bestehe in gleicher Weise dann, wenn es der durch die Enteignung unmittelbar<br />

Geschädigte selbst war, der Vorschub geleistet hat. Hier gehe es dagegen um die Frage,<br />

inwieweit bei der genannten Konstellation dem Todeszeitpunkt Bedeutung zukommen kann.<br />

Nach der in § 1 Abs. 4 AusglLeistG zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers<br />

führe schließlich nicht bereits der Umstand zu einer Aufhebung des Anspruchsausschlusses,<br />

dass jedenfalls dem oder den Erben kein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs.<br />

4 AusglLeistG zur Last falle. Es sei gerade nicht so, dass unbelasteten Erben auf jeden Fall<br />

ein Anspruch auf Ausgleichsleistung gewährt werden sollte. Der Anspruch sei und bleibe<br />

verwirkt. Vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Regelung sei kein Grund ersichtlich,<br />

weshalb diese Wertung anders ausfallen sollte, nur weil der frühere durch ein Vorschubleisten<br />

belastete Eigentümer vor der Enteignung verstorben sei, wenn - wie hier - gerade seine<br />

36


Belastung der Grund <strong>für</strong> den Zugriff auf den Vermögenswert und die entschädigungslose<br />

Enteignung gewesen sei.<br />

Davon sei auch <strong>für</strong> den vorliegenden Fall auszugehen.<br />

Die entschädigungslose Enteignung habe auf Paul J. und nicht auf seinen im Sinne von § 1<br />

Abs. 4 AusglLeistG unbelasteten Sohn abgezielt. Damit sei auch Paul J. in die Prüfung von<br />

Ausschlussgründen nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG einzubeziehen. Diese Überprüfung ergebe,<br />

dass er dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet habe.<br />

Die entschädigungslose Enteignung war gegen den Sohn gerichtet. Er war der durch die<br />

Enteignung unmittelbar Geschädigte. Von der Frage, gegen wen die Enteignung gerichtet<br />

war, sei jedoch die Frage zu unterscheiden, auf wen die Enteignung abgezielt hätte. Dies sei<br />

derjenige, in dessen Person oder in dessen Verhalten der Enteignende den Grund <strong>für</strong> die<br />

entschädigungslose Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher<br />

Grundlage gesehen habe (Urteil vom 24. Februar 2005, a. a. O., S. 12).<br />

Dies sei im vorliegenden Fall Paul J., was sich aus Schriftwechsel im Enteignungsverfahren<br />

ergebe.<br />

Paul J. habe nicht nur gelegentlich oder beiläufig das nationalsozialistische System unterstützt;<br />

vielmehr habe er diesem System langjährig an herausgehobener Stelle gedient und<br />

ihm damit erheblichen Vorschub geleistet. Da diese Aktivitäten - insbesondere sein Amt als<br />

Thüringer Staatsrat - erst mit dem Tode im Jahre 1942 ihr Ende fanden, sei davon auszugehen,<br />

dass er seine Funktion wissentlich und willentlich im Sinne der NSDAP und zu deren<br />

Nutzen ausgeübt habe und damit sowohl die objektiven als auch die subjektiven Voraussetzungen<br />

des Ausschlussgrundes des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfülle.<br />

Anmerkungen:<br />

Mit Urteil vom 23. Februar <strong>2006</strong> bestätigt der 3. Senat den im Urteil vom 24. Februar 2005 -<br />

3 C 16.<strong>04</strong> - aufgestellten Rechtsgrundsatz, dass nach Systematik wie Sinn und Zweck des<br />

Ausschlusstatbestandes des § 1 Abs. 4 AusglLeistG auch Personen in die Prüfung einzubeziehen<br />

sind, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enteignung bereits verstorben waren,<br />

sofern die Enteignung auf sie abzielte (Stichwort: „Enteignung Toter“).<br />

Aus der Begründung des BVerwG ergibt sich zudem, dass bei hochrangigen Funktionen wie<br />

einem Staatsrat in der nationalsozialistischen Landesregierung die objektiven und subjektiven<br />

Tatbestandsvoraussetzungen indiziert sind.<br />

Darüber hinaus lässt das Urteil den Schluss zu, dass zumindest Funktionen auf Gauebene<br />

der NSDAP den Tatbestand des erheblichen Vorschubleistens dem NS-System begründen<br />

können.<br />

Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />

37


Grundstück; Rückgabe; Restitutionsausschluss;<br />

Siedlung; Siedlungsbau; komplexer<br />

Siedlungsbau; Einfamilienhäuser; städtebauliche<br />

Einheit<br />

§ 5 Abs. 1 Buchst. c VermG<br />

Leitsatze des Gerichts:<br />

Allein die einheitliche Planung und Errichtung einer „kompletten“ Siedlung stellt keinen komplexen<br />

Siedlungsbau im Sinne von § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG dar. Können die einzelnen<br />

Grundstücke individuell veräußert werden, so wird die städtebauliche Einheit nicht durch die<br />

Rückgabe des Grundstücks an den früheren Eigentümer gefährdet (Bestätigung und Fortführung<br />

des Urteils vom 10. Juni 1998 - 7 C 27.97 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 16).<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Beschluss vom 28. Februar <strong>2006</strong>, Az.: 8 B 89.05<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Klägerin und Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Nichtzulassung der Revision in<br />

einem Urteil des VG Potsdam. Das VG hatte die Klage gegen einen Bescheid des LARoV<br />

aus dem Jahre 2002 zurückgewiesen, worin der JCC als Rechtsnachfolgerin des Alt-Berechtigten<br />

das hier fragliche Grundstück zurückübertragen wurde.<br />

Das streitgegenständliche Grundstück stand ursprünglich im Eigentum eines jüdischen<br />

Unternehmers. Dieser war u. a. Mehrheitsgesellschafter an einer Siedlungsgesellschaft.<br />

Nach vorangegangenen tätlichen Übergriffen durch Mitglieder der SA emigrierte er im April<br />

1933 aus dem Deutschen Reich.<br />

Zum neuen Direktor bzw. Geschäftsführer sämtlicher Konzerngesellschaften wurde im<br />

unmittelbaren Anschluss an die Emigration ein NSDAP- und SS-Angehöriger ernannt.<br />

Zugleich wurde gegen den Emigranten eine Reichsfluchtsteuer in Höhe von 801.725,00 RM<br />

zuzüglich Zinsen festgesetzt. Infolgedessen wurde das gesamte inländische Vermögen des<br />

Unternehmers beschlagnahmt.<br />

Am 16. November 1934 verkaufte der jüdische Unternehmer das streitgegenständliche<br />

Grundstück an die o. g. Siedlungsgesellschaft. Der gesamte Kaufpreis wurde mit vorgeblichen<br />

Gegenforderungen der Gesellschaft gegen den Unternehmer aufgerechnet. 2 Tage<br />

später übertrug der Unternehmer auch seine Mehrheitsbeteiligung an der Siedlungsgesellschaft,<br />

sowie sämtlichen anderen Konzerngesellschaften auf die NSDAP.<br />

Die „arisierte“ Siedlungsgesellschaft wurde als neue Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.<br />

Im März 1936 wurde die Reichsfluchtsteuer mit Rücksicht auf die „Arisierung“ niedergeschlagen.<br />

Ebenfalls im Jahre 1936 wurde das hier fragliche Grundstück an die Rechtsvorgänger der<br />

Klägerin veräußert. Die Klägerin wurde dabei teils durch Erbfall, teils durch unentgeltliche<br />

Übertragung Rechtsnachfolgerin nach den vormaligen Erwerbern.<br />

Der jüdische Unternehmer erhielt bereits 1950 im Vergleichswege seine Unternehmensanteile<br />

zurück und verstarb im Jahre 1964.<br />

Das BVerwG maß den nunmehr von der Klägerin und Beschwerdeführerin zur Entscheidung<br />

gestellten Fragen keine grundsätzliche Bedeutung bei und wies die Beschwerde zurück.<br />

39


Die Frage, ob die Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1<br />

REAO nach Art. 3 Abs. 2 REAO dadurch widerlegt worden sei, dass der jüdische Unternehmer<br />

sein Grundstück an ein Unternehmen veräußert habe, dessen Mehrheitsbeteiligter er<br />

selbst gewesen war, sei bereits deshalb nicht zu entscheiden, weil einerseits vorliegend die<br />

Siedlungsgesellschaft, an die der Unternehmer das Grundstück verkauft hat, zum Zeitpunkt<br />

der Veräußerung bereits faktisch arisiert gewesen sei. Andererseits unterlag sein gesamtes<br />

Vermögen der Beschlagnahme aufgrund der ausstehenden Reichsfluchtsteuer. Der jüdische<br />

Unternehmer habe mithin keinen vollen wirtschaftlichen Ausgleich <strong>für</strong> den Verlust des<br />

Eigentums am Grundstück erhalten. Der Kaufpreis sei vielmehr einem de facto nationalsozialistisch<br />

beherrschten Unternehmen zugeflossen.<br />

Auch die Frage nach der erweiterten Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG, nach der<br />

eine Bruchteilsrestitution nach den Vorschriften des § 3 Abs. 1 Sätze 4 bis 10 VermG im<br />

Falle der Veräußerung von <strong>für</strong> den Wohnungsbau bestimmten Vermögenswerten durch ein<br />

Siedlungsunternehmen an Private ausgeschlossen ist, sei nach Auffassung des BVerwG zu<br />

verneinen. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm und ihrer Stellung als Ausnahmevorschrift<br />

erfasse die Regelung ausschließlich Veräußerungen durch Unternehmen und nicht,<br />

wie vorliegend, die Veräußerung durch einen Privaten. Dies gelte unabhängig davon, ob der<br />

jüdische Unternehmer unmittelbar nach der Veräußerung des Grundstücks an die Siedlungsgesellschaft<br />

auch seine Anteile an der Siedlungsgesellschaft veräußert habe. Die Vorschrift<br />

sei nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG eng auszulegen (vgl. BVerwG,<br />

Urteil vom 24. Februar 1999 - 8 C 15.98 - BVerwGE 108, 301 ff. = ZOV 1999, 231 = VIZ<br />

1999, 334 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1).<br />

Der weitere Vortrag der Beschwerdeführerin zur Anwendung von § 5 Abs. 1 Buchst. c<br />

VermG, nach der das streitgegenständliche Grundstück infolge Bebauung mit einer „kompletten“<br />

Siedlung inklusive Verkehrs-, Grün- und Gemeinbedarfsflächen der Restitution entzogen<br />

sei, wird vom BVerwG als nicht entscheidungsrelevant erachtet.<br />

Wie bereits in der Rechtsprechung des BVerwG geklärt, stelle nicht jede „komplette“ Siedlung<br />

einen komplexen Siedlungsbau dar.<br />

Allein die einheitliche Planung und Durchführung von Baumaßnahmen reiche <strong>für</strong> die Anwendung<br />

des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG nicht aus. Erforderlich sei vielmehr die Entstehung<br />

eines gesteigerten städtebaulichen Zusammenhangs aus Wohnbauten und sonstiger, dem<br />

gemeinschaftlichen Wohnen dienender Grundstücksnutzung, der vernünftigerweise nicht<br />

trennbar ist.<br />

Unerheblich sei in diesem Zusammenhang sowohl, ob die Verwendung des Grundstücks<br />

durch einen Konzern oder konzernangehörige Gesellschaften erfolgte, als auch die Ausgestaltung<br />

der Verträge zwischen Erwerber bzw. Errichter der Gebäude und der Siedlungsgesellschaft.<br />

Es reiche weiterhin nicht aus, dass eine Siedlung lediglich eine äußerlich abgegrenzte Mehrheit<br />

von Einfamilienhäusern mit den üblichen gemeinsamen Erschließungsmerkmalen, wie<br />

gemeinsame Ver- und Entsorgung oder Erschließung durch dieselbe Straße, darstelle.<br />

Solche Merkmale begründeten <strong>für</strong> sich allein keine engeren städtebaulichen Zusammenhänge<br />

als sie auch sonst häufig zwischen benachbarten Grundstücken mit gleicher Nutzungsart<br />

bestünden; sie könnten vielmehr ebenso gut auch durch eine sukzessive Bebauung<br />

der Grundstücke entstanden sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1998 - 7 C 27.97 -<br />

BARoV -RÜ 14/1998 = VIZ 1998, 565 = ZOV 1998, 373 = RGV B X 101).<br />

Könnten die einzelnen Grundstücke somit jeweils individuell veräußert werden, würde die<br />

vorgebliche städtebauliche Einheit durch die Restitution eines Grundstücks an den früheren<br />

Eigentümer nicht gefährdet werden.<br />

Schließlich sei auch der letzte Punkt der Revisionsbegründung, nach dem die Übertragung<br />

des Eigentums am Grundstück durch die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin an<br />

diese eine die Restitution ausschließende Verfügung im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG<br />

darstelle, nicht in einem Revisionsverfahren zu klären, da bereits durch das BVerwG geklärt<br />

worden sei, dass unentgeltliche Verfügungen über das Eigentum an dem restitutionsbefangenen<br />

Vermögenswert dessen Rückübertragung nicht hinderten (vgl. BVerwG, Beschluss<br />

40


vom 23. Mai 2000 - 8 B 31.00 - ZOV 2000, 351 = VIZ 2000, 602 = BARoV-RÜ 14/2000 =<br />

Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 37).<br />

Die zwischen der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin und dieser vereinbarte<br />

Bestellung eines lebenslangen Wohnrechts stellte dabei keine Gegenleistung dar, sondern<br />

die Übertragung nur eingeschränkten, weil durch das Wohnrecht belasteten Eigentums. Eine<br />

weitergehende Ermittlung hinsichtlich des Wertes des lebenslangen Wohnrechts durch das<br />

LARoV habe sich mithin erübrigt.<br />

Auch die Übernahme der auf dem Grundstück lasteten Grundpfandrechte durch die<br />

Beschwerdeführerin wäre keine Gegenleistung, sondern lediglich die zivilrechtliche Konsequenz<br />

des Eigentümerwechsels gewesen. Auch hier würde sich im Übrigen eine erweiternde<br />

Auslegung des § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Norm<br />

verbieten.<br />

Anmerkungen:<br />

Das BVerwG hat mit dieser Entscheidung mehrere seiner früheren Entscheidungen bestätigt<br />

und fortgeführt.<br />

Insbesondere die Ausführungen zum Restitutionsausschlussgrund der Verwendung im komplexen<br />

Siedlungsbau stehen in einer Linie mit Entscheidungen, die die Auslegung des Ausschlussgrundes<br />

stets am gesetzgeberischen Schutzzweck verfolgt haben, dass Grundstücke<br />

und Gebäude, die im komplexen Wohnungsbau Verwendung fanden, eine Änderung der<br />

Zweckbestimmung erfahren haben, die im öffentlichen Interesse aufrechterhalten bleiben<br />

soll. Diese Einheit soll nicht dadurch gefährdet oder gar zerstört werden, dass durch Rückübertragungen<br />

von Grundstücken oder Gebäuden einzelne Bestandteile aus dem komplexen<br />

Ganzen herausgelöst werden. Eine solche Gefahr besteht deshalb, weil im komplexen Wohnungsbau<br />

verwendete Grundstücke und Gebäude häufig in ihrer zuvor gegebenen baulichen<br />

oder sonstigen Nutzung erheblich verändert oder bestehende Grundstücksgrenzen aufgehoben<br />

wurden und der in seine Rechte wiedereingesetzte frühere Eigentümer versucht sein<br />

könnte, diese Änderungen soweit wie möglich rückgängig zu machen (vgl. BVerwG, Urteil<br />

vom 1. Dezember 1995 - 7 C 27.94 - BVerwGE 100, 77 ff. = NJW 1996, 867 = ZOV 1996,<br />

205 = RGV B X 50; Urteil vom 6. Dezember 1996 - 7 C 20.96 - BVerwGE 102, 288 ff. =<br />

BARoV- RÜ <strong>04</strong>/1997 = ZOV 1997, 128 = RGV B X 73)<br />

Mitgeteilt von Oliver Reibling<br />

41


Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes<br />

eines nichtjüdischen Miterben<br />

einer sog. „rassisch gemischten“ Erbengemeinschaft<br />

§ 1 Abs. 6 VermG;<br />

Art. 3 REAO<br />

Leitsatz des Gerichts:<br />

Verkaufte während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ein selbst nicht verfolgtes<br />

Mitglied einer Erbengemeinschaft zusammen mit einem kollektiv verfolgten Miterben einen<br />

Nachlassgegenstand, so gilt <strong>für</strong> ihn die erschütterbare Vermutung eines verfolgungsbedingten<br />

Vermögensverlustes.<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 29. März <strong>2006</strong>, Az.: 8 C 15.05<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Der Kläger begehrt die Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Landesamtes zur<br />

Regelung offener Vermögensfragen, mit dem die streitgegenständlichen Grundstücke an die<br />

Beigeladene zurückübertragen wurden.<br />

Ursprünglicher Eigentümer des ehemals einheitlichen Grundstücks war seit 1924 der Vater<br />

des Klägers, der der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte. Dieser verstarb im Jahre<br />

1934. Mit seinem Tod fiel sein Vermögen an eine Erbengemeinschaft, bestehend aus seiner<br />

nichtjüdischen Ehefrau und dem gemeinsamen, minderjährigen Sohn.<br />

Die Erbengemeinschaft verkaufte die streitgegenständlichen Grundstücke im April 1935 an<br />

einen bekannten Schauspieler.<br />

Der Kläger trägt vor, dass der Verkauf seine Ursache in der Verfolgung der Juden durch das<br />

NS-Regime gehabt habe. Die Erbengemeinschaft - bestehend aus dem leiblichen Kind (nach<br />

den NS-Rassegesetzten ein sog. „Mischling 1. Grades“) sowie dem Ehepartner eines Juden<br />

- habe der Verfolgung durch die Nationalsozialisten unterlegen.<br />

Das VG Potsdam hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Ehefrau sei als sog.<br />

„Arierin“ keiner Verfolgung seitens der Nationalsozialisten ausgesetzt gewesen und auch die<br />

sog. „rassisch gemischte“ Erbengemeinschaft habe nicht als verfolgt angesehen werden<br />

können, da nicht alle Mitglieder der Erbengemeinschaft verfolgt gewesen seien.<br />

Der 8. Senat des BVerwG hat das Urteil des VG Potsdam aufgehoben und ausgeführt, dass<br />

eine sog. „rassisch gemischte“ Erbengemeinschaft als solche zwar noch keiner unmittelbaren<br />

Verfolgung durch den NS-Staat ausgesetzt gewesen sei. Die Veräußerung des streitgegenständlichen<br />

Grundstücks habe sich aber gegenüber den einzelnen Erben als schädigendes<br />

Ereignis dargestellt. Der Sohn des Erblassers sei als sog. „Mischling 1. Grades“ schon<br />

mit der Machtergreifung am 30. Januar 1933 kollektiv verfolgt gewesen und nicht erst seit<br />

der Einführung des Begriffs „Mischling 1. Grades“ ab dem 14. November 1935 durch die NS-<br />

Rassengesetze. Hinsichtlich der Witwe des Erblassers komme zwar die gesetzliche Vermutung<br />

von § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i. V. m. Art. 3 REAO nicht zur Anwendung. Sie sei nach<br />

dem Tode ihres jüdischen Ehemannes nach damaliger Auffassung als sog. „Arierin“ nicht<br />

kollektiv verfolgt gewesen und auch <strong>für</strong> eine individuelle Verfolgung gäbe es keine Anhaltspunkte.<br />

Geschädigter könne aber auch sein, wer, ohne selbst verfolgt zu sein, anlässlich des<br />

verfolgungsbedingten Vermögensverlustes eines anderen selbst einen Vermögensverlust<br />

erlitten habe. Für den verfolgungsbedingten Vermögensverlust eines Nichtverfolgten könne<br />

bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Zwangsverkauf eines<br />

Verfolgten die Vermutung streiten, dass der Zwangsverkauf ursächlich <strong>für</strong> das Veräußern<br />

des Nichtverfolgten gewesen sei. Diese Vermutung könne allerdings erschüttert sein, wenn<br />

43


aufgrund konkreter Tatsachen die ernstliche Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs,<br />

z. B. die Verwirklichung einer unabhängig von dem Zwangsverkauf bereits vorhandenen<br />

Verkaufsabsicht, bestehe.<br />

Hier habe <strong>für</strong> die Vermutung die persönliche Nähe zwischen den Mitgliedern der Erbengemeinschaft<br />

gestritten sowie der Umstand, dass der verfolgte Miterbe über seinen Anteil an<br />

dem einzelnen Nachlassgegenstand nicht allein habe verfügen können. Dadurch habe sich<br />

der Druck auf die Miterbin, ihrerseits zu einer Veräußerung bereit zu sein, erhöht; denn nur<br />

gemeinschaftlich hätten sie über den einzelnen Nachlassgegenstand verfügen können. Die<br />

Alternative dazu wäre gewesen, dass der zur Veräußerung gezwungene verfolgte Miterbe<br />

seinen gesamten Anteil am Nachlass hätte veräußern müssen, so dass die Erbengemeinschaft<br />

ein fremdes neues Mitglied - u. U. auch den Staat - als Miterben bekommen hätte. Die<br />

Aussicht, einen fremden Partner in die Gemeinschaft zu bekommen, sei schon von den<br />

Rückerstattungsgerichten als Verfolgungsdruck gegenüber nicht verfolgten Miteigentümern<br />

anerkannt gewesen.<br />

Anmerkungen:<br />

Der 8. Senat des BVerwG hatte nach dem erstinstanzlichen Urteil des VG Potsdam die<br />

Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Es gehe um die Entscheidung der<br />

Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine „rassisch gemischte“ Erbengemeinschaft<br />

die aus kollektivverfolgten und nichtverfolgten Mitgliedern besteht, als solche zum<br />

Kreis der Kollektivverfolgten gehöre.<br />

Diese Frage hat der 8. Senat des BVerwG verneint und wie das erstinstanzliche Urteil ausgeführt,<br />

dass eine sog. „rassisch gemischte“ Erbengemeinschaft als solche keiner Kollektivverfolgung<br />

ausgesetzt gewesen sei.<br />

Gleichwohl kann bei der Veräußerung eines Nachlassgegenstandes durch eine Erbengemeinschaft<br />

zugunsten des nicht verfolgten Mitgliedes unter den o. g. Voraussetzungen<br />

(enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit dem Zwangsverkauf eines Verfolgten)<br />

die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes vorliegen, die auch <strong>für</strong> das<br />

kollektiv verfolgte Mitglied gilt. Diese Vermutung kann allerdings auch wieder erschüttert<br />

werden, wenn aufgrund konkreter Tatsachen die ernstliche Möglichkeit eines anderen<br />

Geschehensablaufs bestehe.<br />

Der 8. Senat des BVerwG sieht darin das Schließen einer „Wiedergutmachungslücke“, die<br />

<strong>für</strong> erlittenes NS-Unrecht auf dem Gebiet der DDR bestand und durch § 1 Abs. 6 VermG<br />

geschlossen werden soll. Für die notwendige Kausalität zwischen Verfolgung und Vermögensverlust<br />

besteht dabei eine gesetzliche Vermutung, wie sie das alliierte Rückerstattungsrecht<br />

kannte. Sie knüpft zum einen an die unmittelbare Verfolgung des Betroffenen und zum<br />

anderen an seine Zugehörigkeit zu einem als solchem verfolgten Personenkreis an. Zu<br />

diesen Kollektivverfolgten gehörten insbesondere Juden. Verkauften sie nach dem 30.<br />

Januar 1933 ein Wirtschaftsgut, so sind dem Gesetz eine Reihe von Verfolgungsvermutungen<br />

zu entnehmen, nach denen diese Vermögensaufgabe eine „ungerechtfertigte Entziehung“<br />

darstellen konnte, die wieder gutzumachen ist.<br />

Durch diese Entscheidung des BVerwG wird der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG<br />

um eine weitere Fallgruppe erweitert. Für diese streitet zwar nicht die Vermutungsregel nach<br />

§ 1 Abs. 6 Satz 2 VermG in Verbindung mit Art. 3 REAO da die Vermutung „erschütterbar“<br />

ist. Es wird aber eine „Erschütterungssituation“ angenommen, in der die Verfolgung auch<br />

dann vermutet wird, wenn bereits „greifbare tatsächliche Anhaltspunkte“ <strong>für</strong> die Widerlegung<br />

der Vermutung vorliegen.<br />

Die Erschütterung der Vermutung - durch das Aufzeigen konkreter Tatsachen, aus denen<br />

sich die ernstliche Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ergibt - stellt daher eine<br />

nur schwer überwindbare Hürde dar.<br />

Mitgeteilt von Stefan Langer<br />

44


Abgrenzung der Restitutionsberechtigung<br />

nach VermG oder EV/VZOG; öffentlichrechtliche<br />

Stiftung; Enteignung, entschädigungslose<br />

Vermögensverschiebung<br />

§ 1 Abs.1 Buchst. a,<br />

§ 2 Abs. 1 Satz 1 VermG;<br />

Art. 21, 22 EV;<br />

§ 11 VZOG<br />

Leitsätze des Gerichtes:<br />

1. Stiftungen des öffentlichen Rechts gehören nicht zu den restitutionsberechtigten Rechtssubjekten<br />

im Sinne von Art. 22 Abs. 1 Satz 7 i. V. m. Art. 21 Abs. 3 des Einigungsvertrages<br />

(wie BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 1997 - 3 B 165.96 -).<br />

2. Eine die Anwendung des VermG verdrängende Vermögensverschiebung innerhalb des<br />

staatlichen Sektors der DDR setzt voraus, dass der betroffene Vermögenswert bereits<br />

vor seiner Überführung in das Eigentum des Volkes dem staatlich gelenkten Bereich zuzurechnen<br />

war.<br />

3. Die Entschädigungslosigkeit der Enteignung erfüllt den Schädigungstatbestand des § 1<br />

Abs. 1 Buchst. a VermG. Ein bewusst (politisch) diskriminierendes Element muss insofern<br />

nicht hinzutreten.<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 29. März <strong>2006</strong>, Az.: 8 C 19.<strong>04</strong><br />

Tatbestand/Problem:<br />

Das Bundesverwaltungsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob der ablehnende Bescheid<br />

des LARoV zu einem Restitutionsantrag einer öffentlich-rechtlichen Stiftung rechtmäßig war.<br />

Der Kläger ist eine selbständige Stiftung des öffentlichen Rechtes, die seit 1938 Eigentümer<br />

mehrer Grundstücke war, die zu einem ehemaligen Klostergut gehörten. Im Zuge der Säkularisierung<br />

geistlicher Güter im 19. Jahrhundert wurden diese zu einem Fonds zusammengefasst<br />

und durch eine sog. „Klosterkammer“ verwaltet. Die heutige „Klosterkammer“ ist eine<br />

niedersächsische Landesbehörde und fungiert als Stiftungsorgan des Klägers. Im Jahre<br />

1962 wurden sämtliche Grundstücke im Grundbuch auf das Eigentum des Volkes umgeschrieben.<br />

Mit Urteil vom 18. Mai 20<strong>04</strong> (5 A 524/03 MD) wurde die Klage durch das VG Magdeburg als<br />

unbegründet abgewiesen, da die zum Eigentumsverlust führende Maßnahme sich als eine<br />

Neuordnung von Vermögenswerten im staatlichen Bereich darstelle, die eine Anwendung<br />

des Vermögensgesetzes ausschließe. Der Kläger sei weder Berechtigter im Sinne von § 2<br />

Abs.1 VermG, noch von einer Maßnahme im Sinne von § 1 VermG betroffen.<br />

Das BVerwG hat der Revision stattgegeben und das LARoV verpflichtet, die vermögensrechtliche<br />

Berechtigung des Klägers hinsichtlich der beantragten Grundstücke festzustellen.<br />

Der Anwendungsbereich des VermG sei vorliegend gegeben. Unter Hinweis auf seine bisherige<br />

Rechtsprechung führt das BVerwG aus, dass das Vermögensgesetz ausschließlich dazu<br />

diene, Vermögensverluste wieder gutzumachen, die durch den politisch-ideologisch motivierten<br />

Zugriff des Staates auf privates Eigentum geprägt waren. Für die Korrektur von<br />

Eigentumsverschiebungen innerhalb des staatlichen oder staatlich gelenkten Bereiches<br />

seien dagegen die Art. 21 und 22 Einigungsvertrag und das VZOG vorrangig. Die Eigentumsverschiebung<br />

innerhalb des staatlichen Sektors setze allerdings voraus, dass der<br />

Vermögensgegenstand - unmittelbar oder mittelbar - schon vor seiner Überführung in Volkseigentum<br />

dem staatlich gelenkten Bereich zuzuordnen gewesen sei.<br />

45


In Bezug auf den zu entscheidenden Fall konnte das BVerwG dies nicht bejahen, da es sich<br />

bei den Grundstücken um landwirtschaftlich genutztes Pachtland handele und nicht um Flächen,<br />

die einem Staatsbetrieb (z. B. einem volkseigenen Gut) eingegliedert worden seien.<br />

Das VermG sei somit anwendbar und nicht durch die Regelungen des Einigungsvertrages<br />

und VZOG ausgeschlossen.<br />

Die am Zivilverkehr teilnehmenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts gehören<br />

nach Auffassung des BVerwG auch zum Kreis der Restitutionsberechtigten nach § 2 Abs. 1<br />

Satz 1 VermG. Zwar betreffe das VermG vornehmlich die Restitution zugunsten Privater.<br />

Falle die Vermögensänderung bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht in<br />

den Anwendungsbereich des VZOG und sei auch sonst keine Vermögensverschiebung im<br />

staatlichen Bereich feststellbar, so sei der Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes<br />

eröffnet.<br />

Außerdem wird das Vorliegen einer entschädigungslosen Enteignung im Sinne von § 1 Abs.<br />

1 Buchst. a VermG bejaht. Die Überführung in Volkseigentum sei aufgrund der „Gemeinsamen<br />

Anweisung der Minister der Finanzen und des Innern…“ vom 11. Oktober 1961 erfolgt,<br />

die keine Entschädigung vorsehe. Die Enteignung müsse nicht auch noch von einem<br />

bewusst politisch diskriminierenden Element getragen sein. Der Wortlaut ergebe die Notwendigkeit<br />

dieses zusätzlichen Kriteriums nicht und bereits der generelle Ausschluss der<br />

Entschädigung könne in der Regel als diskriminierend angesehen werden.<br />

Anmerkungen:<br />

Das BVerwG hatte im vorliegenden Fall Anlass, den Anwendungsbereich des VermG in<br />

Abgrenzung zu den Regelungen des Einigungsvertrages und VZOG zu untersuchen. Diese<br />

Problematik hat das BVerwG bereits mehrfach beschäftigt (vgl. nur BVerwGE 101, 143 ff.;<br />

119, 158 ff.; zuletzt BVerwG Urteil vom 23. Februar 2005 - 8 C 2.<strong>04</strong> - ZOV 2005, 184 =<br />

Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 21). Nach dieser Rechtsprechung erfasst das<br />

Vermögensgesetz nicht die Wiedergutmachung solcher Vermögensverluste, die nicht durch<br />

den Zugriff des Staates auf privates Eigentum geprägt waren, sondern<br />

Eigentumsverschiebungen innerhalb des staatlichen oder staatlich gelenkten Bereichs der<br />

DDR darstellten.<br />

Der 8. Senat präzisiert nunmehr, dass der betroffene Vermögenswert bereits vor seiner<br />

Überführung in Volkseigentum dem staatlich gelenkten Bereich zuzuordnen gewesen sein<br />

muss. Vorliegend fehlte <strong>für</strong> das landwirtschaftlich genutzte und verpachtete ehemalige Stiftungsvermögen,<br />

das auch nicht einem Staatsgut eingegliedert worden war, der staatliche<br />

Bezug.<br />

Da damit der Anwendungsbereich des VermG eröffnet war, musste zur Restitutionsberechtigung<br />

der Stiftung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG Stellung genommen werden. Die bislang<br />

nicht höchstrichterlich entschiedene Frage hat der 8. Senat grundsätzlich bejaht. Bereits mit<br />

dem im Leitsatz zu 1 zitierten Beschluss hatte der <strong>für</strong> Streitigkeiten nach dem VZOG zuständige<br />

3. Senat des BVerwG die Restitutionsberechtigung öffentlich-rechtlicher Stiftungen nach<br />

Art. 21, 22 EV verneint. Gemäß dem Wortlaut des Art. 21 Abs. 3 EV und dem klar zum Ausdruck<br />

gebrachten gesetzgeberischen Willen seien nur öffentlich-rechtliche Körperschaften,<br />

nicht dagegen Anstalten öffentlichen Rechts oder öffentlichrechtliche Stiftungen anspruchsberechtigt.<br />

Die im Urteil vom 23. Februar 2005 (8 C 2.<strong>04</strong>) noch offen gelassene Frage, ob eine Schädigung<br />

im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG anzunehmen ist, auch wenn sie nicht von<br />

einem bewusst politisch diskriminierenden Element getragen sei, wird nunmehr vom Senat<br />

ausdrücklich bejaht.<br />

Mitgeteilt von Bettina Merker<br />

46


Vermögenswert; schuldrechtliches Nutzungsrecht;<br />

Pachtverhältnis<br />

§ 2 Abs. 2 Satz 1 VermG<br />

Leitsatz des Gerichts:<br />

Schuldrechtliche Nutzungsrechte gehören nicht zu den Vermögenswerten im Sinne des § 2<br />

Abs. 2 Satz 1 VermG.<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Beschluss vom 5. April <strong>2006</strong>, Az.: 8 B 22.06<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Der Kläger begehrt eine Entschädigung <strong>für</strong> die Beendigung eines Pachtvertrages über ein<br />

Grundstück, <strong>für</strong> die auf diesem Grundstück errichteten Gebäude (Wochenendhaus und<br />

Bootshaus) sowie <strong>für</strong> diverse Boote.<br />

Das vorgenannte Grundstück befand sich seit 1955 im Eigentum des Volkes, Rechtsträger<br />

Rat der Gemeinde G. 1967 schloss der Kläger mit dem Rat der Gemeinde einen Pachtvertrag<br />

<strong>für</strong> die Dauer von 10 Jahren ab. Dieser sollte sich jeweils um ein Jahr verlängern, falls<br />

der Pachtvertrag nicht spätestens drei Monate vor Ablauf gekündigt wird. Durch einen Sachverständigen<br />

wurde im September 1969 <strong>für</strong> das Wochenendhaus, die sonstigen zu diesem<br />

Zeitpunkt auf dem Grundstück befindlichen baulichen Anlagen sowie <strong>für</strong> den Aufwuchs ein<br />

Sachwert in Höhe von 20.200,00 M ermittelt.<br />

1978 erfolgte ein Rechtsträgerwechsel auf den organisationseigenen Betrieb...“ (folgend<br />

Betrieb). Zunächst fanden Gespräche zur Beendigung des Pachtverhältnisses und Bereitstellung<br />

eines Ersatzgrundstücks statt. Mit Schreiben vom Februar 1981 kündigte der Betrieb<br />

den Pachtvertrag zum 31. Oktober 1981 wegen dringendem Eigenbedarf. Es sei beabsichtigt,<br />

ein Erholungsheim zu errichten. Durch Urteil des Kreisgerichts Fürstenwalde vom 6.<br />

April 1982 wurde das Nutzungsverhältnis aufgehoben und der Kläger verurteilt, das Grundstück<br />

einschließlich der darauf befindlichen Gebäude und baulichen Anlagen herauszugeben.<br />

Aufgrund der eingelegten Berufung gegen dieses Urteil schlossen der Kläger und der Betrieb<br />

zu Protokoll des Bezirksgerichts Frankfurt/Oder einen Vergleich ab. In diesem Vergleich verpflichtete<br />

sich der Kläger, das Grundstück bis zum 31. Dezember 1982 zu räumen. Für die<br />

Baulichkeiten und Außenanlagen sollte eine Entschädigung auf der Grundlage eines durch<br />

den Kläger in Auftrag zu gebendes Wertgutachten gewährt werden.<br />

Die Einwendungen des Klägers gegen die Vollstreckungsmaßnahmen wegen Räumung des<br />

Grundstücks wurden mit Beschluss des Kreisgerichts vom 28. August 1984 zurückgewiesen,<br />

da aus der Einigung nicht hervorgehe, dass der Kläger das Grundstück bis zur Verfügungstellung<br />

eines Ersatzgrundstücks weiter nutzen könne. Die hiergegen eingelegte Beschwerde<br />

des Klägers wurde abgewiesen.<br />

Das Grundstück wurde danach zwangsgeräumt und in diesem Zusammenhang u. a. das<br />

Wochenendhaus und das Bootshaus abgerissen. Mit Schreiben vom Mai 1988 bot der Betrieb<br />

die Zahlung einer Entschädigungssumme in Höhe von 30.000,00 M an.<br />

Mit Schreiben vom August 1962/November 1992 beantragte der Kläger eine Entschädigung<br />

<strong>für</strong> den Verlust seiner Vermögenswerte. Er trug vor, dass er das Grundstück in mühseliger<br />

Kleinarbeit aufgebaut habe und die gepflegten Rabatten und Kulturen einer Sportstätte hät-<br />

47


ten weichen müssen. Der Betrieb habe sich weder an die gerichtliche Einigung gehalten<br />

noch eine angemessene Entschädigung gezahlt. Die angebotenen 30.000,00 M hätten unter<br />

dem tatsächlichen Wert gelegen und seien von ihm abgelehnt worden. Im Rahmen der<br />

Zwangsräumung seien nicht nur das Wochenendhaus und Bootshaus abgerissen worden; es<br />

sei auch ein Motorboot mit Merkury-Motor im Wert von 28.000,00 M mangelhaft untergestellt<br />

worden und daher verrottet. Ein Mahagoni Ruderboot und ein Wassertreter seien verschwunden;<br />

in das Haus sei eingebrochen und unersetzliche Gegenstände entwendet<br />

worden.<br />

Der Antrag wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 27. November 1997 abgelehnt und<br />

der hiergegen eingelegte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid des Landesamtes zur<br />

Regelung offener Vermögensfragen vom 17. Mai 2000 zurückgewiesen.<br />

Die vom Kläger beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) eingereichte Klage wurde mit<br />

Urteil vom 10. Januar <strong>2006</strong> - 6 K 1476/00 - abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch<br />

auf Entschädigung <strong>für</strong> die streitbefangenen Vermögenswerte, da er nicht Berechtigter im<br />

Sinne des § 2 Abs. 1 des Vermögensgesetzes sei. Auch stelle das auf dem Pachtvertrag<br />

beruhende schuldrechtliche Nutzungsrecht keinen Vermögenswert im Sinne des § 2 Abs. 2<br />

VermG dar (vgl. zum schuldrechtlichen Anspruch auf Eigentumsverschaffung: BVerwG,<br />

Beschluss vom 16. Oktober 2002 - 8 B 35.02 - VIZ 2003, 130 = BARoV- RÜ 05/ 2003 =<br />

Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 12 = VIZ 2003, 130; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom<br />

24. September 1998 - 3 B 1<strong>04</strong>.98 - VIZ 1999, 99 = RGV O 230).<br />

Die streitigen Vermögenswerte hätten auch keiner schädigenden Maßnahme nach § 1<br />

VermG unterlegen. Der insoweit allein in Betracht kommende Tatbestand des 1 Abs. 3<br />

VermG sei nicht erfüllt.<br />

Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg.<br />

Bei einem - wie hier - auf mehrere, jeweils selbständig tragende Gründe gestützten Urteil<br />

kann die Revision nur dann zugelassen werden, wenn die Beschwerde gegen alle tragenden<br />

Begründungen jeweils mit Erfolg einen der gesetzlichen Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2<br />

VwGO geltend gemacht hat. Daran fehlt es hier.<br />

Das Verwaltungsgericht hat sein Urteil einerseits damit begründet, dass es sich bei dem auf<br />

dem Pachtvertrag beruhenden schuldrechtlichen Nutzungsrecht um keinen Vermögenswert<br />

im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG handele. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt,<br />

die streitigen Vermögenswerte hätten keiner schädigenden Maßnahme nach § 1<br />

VermG unterlegen.<br />

Soweit die Beschwerde hinsichtlich der Beendigung des Pachtverhältnisses die grundsätzliche<br />

Bedeutung der Rechtssache geltend mache, rechtfertige dies die Zulassung der Revision<br />

nicht. Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, ob<br />

auch schuldrechtliche Nutzungsrechte zu den Vermögenswerten im Sinne des § 2 Abs. 2<br />

VermG gehören, lasse sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens verneinen. Nach<br />

der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehörten zu den in § 2 Abs. 2 VermG<br />

genannten Vermögenswerten, von den hier nicht in Betracht kommenden Fällen des Satzes<br />

2 abgesehen, keine schuldrechtlichen Ansprüche (vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember<br />

2003 - 8 C 11.02 - ZOV 20<strong>04</strong>, 94 = VIZ 20<strong>04</strong>, 314 = Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 77 m.<br />

w. N. und Beschluss vom 23. März 2005 - 8 B 3.05 - ZOV 2005, 188 = NJW 2005, 2169 =<br />

Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 80 S. 96 ). Dies gilt auch <strong>für</strong> Ansprüche aus einem<br />

Pachtverhältnis (BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 20<strong>04</strong> - 7 B 89.<strong>04</strong> - BA S. 2; vgl. auch<br />

Beschluss vom 24. September 1998 - 3 B 1<strong>04</strong>.98 - RGV O 230 = VIZ 1999, 99 = juris Rdnr.<br />

4).<br />

Dass der Gesetzgeber derartige schuldrechtliche Nutzungsrechte nicht als vom Vermögensgesetz<br />

erfasst angesehen hat, ergibt sich ohne weiteres daraus, dass dem Gesetz keinerlei<br />

Regelungen darüber zu entnehmen sind, wie die nach dem System des Vermögensgesetzes<br />

in erster Linie vorgesehene Rückübertragung derartiger Rechte vollzogen werden sollte.<br />

48


Ob die von der Beschwerde hinsichtlich der Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum<br />

Schädigungstatbestand erhobene Divergenzrüge und die Verfahrensrüge begründet sind,<br />

bedurfte keiner Entscheidung. Denn diese Rügen bezogen sich ebenfalls (nur) auf Fragen im<br />

Zusammenhang mit der Beeinträchtigung des Pachtverhältnisses und vermögen daher<br />

schon wegen der selbständig tragenden Begründung, dass das Pachtverhältnis kein Vermögenswert<br />

im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG ist, die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen.<br />

Zu den weiteren mit der Klage geltend gemachten Vermögenswerten enthielt die Beschwerdebegründung<br />

keine Ausführungen. Insbesondere bezog sich die Verfahrensrüge der mangelhaften<br />

Sachverhaltsaufklärung nicht auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil zum<br />

Abriss der Gebäude und zum Verlust der Boote. Soweit es die in der Beschwerdebegründung<br />

angesprochene Vorenthaltung einer Entschädigung betraf, hatte bereits das Verwaltungsgericht<br />

darauf hingewiesen, dass der Entschädigungsanspruch nicht Streitgegenstand<br />

des vorliegenden Verfahrens ist. Davon abgesehen machte der Kläger die Nichterfüllung<br />

einer mit dem Vertragspartner des Pachtvertrages vereinbarten Entschädigung geltend.<br />

Insoweit kämen allenfalls zivilrechtliche Ansprüche in Betracht, nicht aber die Wiedergutmachung<br />

staatlichen Unrechts nach dem Vermögensgesetz.<br />

Der Beschluss ist in juris zitiert.<br />

Anmerkungen:<br />

In seinem Beschluss stellt das Bundesverwatungsgericht nochmals klar, dass schuldrechtliche<br />

Nutzungsrechte nicht zu den Vermögenswerten im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 VermG<br />

gehören. In § 2 Abs. 2 VermG werden die einzelnen vom Anwendungsbereich des Vermögensgesetz<br />

erfassten Vermögenswerte abschließend aufgezählt (BVerwG, VIZ 1997, 351 f.).<br />

Der Begriff des Vermögenswertes ist im Vermögensgesetz enger gefasst als der von der<br />

Rechtssprechung zum Zivil- und Strafrecht vertretene wirtschaftliche Vermögensbegriff.<br />

Das Vermögensgesetz bezweckt nicht, sämtliche Eingriffe in das Privatvermögen, die nach<br />

dem Recht der DDR vorgenommen wurden, zu korrigieren. Dies folgt daraus, dass das Vermögensgesetz<br />

lediglich der Wiedergutmachung dient, aber keine Schadensersatzansprüche<br />

gewährt.<br />

Mitgeteilt von Ursula Richter<br />

49


Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit<br />

und Rechtsstaatlichkeit; Denunziation;<br />

Gestapo; Schwerwiegender Missbrauch<br />

der Stellung zum eigenen Vorteil oder<br />

Nachteil anderer; Arisierungskauf; Kauf unter<br />

Einheitswert<br />

§ 1 Abs. 4 1. und 2. Alt.<br />

AusglLeistG<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

VG Berlin, Urteil vom 7. April <strong>2006</strong>, Az.: 31 A 86.06<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Das LARoV lehnte den Antrag auf Ausgleichsleistung <strong>für</strong> den Verlust einer Möbelfabrik<br />

wegen § 1 Abs. 4 AusglLeistG ab. Der geschädigte Unternehmensinhaber habe durch die<br />

Denunziation ausländischer Arbeiter gegenüber der Gestapo gegen die Grundsätze der<br />

Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit i. S. d. § 1 Abs. 4 1. Alt. AusglLeistG verstoßen.<br />

Durch seine Mitgliedschaft in der NSDAP, dem NSV, dem RLB und der DAF habe er überdies<br />

dem NS-System Vorschub geleistet. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wurde<br />

der Ausschlussgrund des schwerwiegenden Missbrauchs der Stellung zum eigenen Vorteil<br />

oder zum Nachteil anderer i. S. d. § 1 Abs. 4 2. Alt. AusglLeistG geltend gemacht, weil der<br />

Kaufpreis des verfahrensgegenständlichen Grundstücks, das der Inhaber von jüdischen<br />

Eigentümern erworben habe, erheblich unter dem Einheitswert gelegen habe.<br />

1. Das VG lehnte die Erfüllung der 2. Tatbestandsalternative des § 1 Abs. 4 AusglLeistG mit<br />

folgender Begründung ab:<br />

Der schwerwiegende Missbrauch einer Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil<br />

anderer setze eine Stellung voraus, die mit gewissen Machtbefugnissen ausgestattet sei.<br />

Dabei würden nur solche Fälle erfasst, in denen die Anstößigkeit gerade aus der Stellung<br />

im System herrühre oder die politischen Verhältnisse zum eigenen Vorteil ausgenutzt<br />

würden (vgl. Hellmann, VIZ 1995, 201). Ein schwerwiegender Missbrauch einer Stellung<br />

zum eigenen Vorteil sei nicht deshalb zu bejahen, weil das Unternehmen sein Betriebsgrundstück<br />

von einem jüdischen Eigentümer unterhalb des Einheitswertes gekauft hat.<br />

Besondere Machtbefugnisse des Geschädigten im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />

seien nicht ersichtlich, auch seine Stellung im Unternehmen habe in keinem politischen<br />

Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen System gestanden. Ein unter dem<br />

Einheitswert liegender Kaufpreis führe entgegen der Ansicht des Beklagten - zu keinem<br />

Automatismus in der Weise, dass damit die Unwürdigkeit des Käufers ohne weiteres zu<br />

bejahen wäre. Allein die Tatsache, dass der Kaufpreis unterhalb des Einheitswertes gelegen<br />

habe, bedeutete noch nicht, dass der Käufer den Verkäufer etwa unter Druck gesetzt<br />

oder gezwungen habe, das Grundstück zu verkaufen, oder dass er dessen Zwangslage in<br />

vorwerfbarer Weise bewusst ausgenutzt habe. Außerdem lägen keine ausreichenden<br />

Anhaltspunkte <strong>für</strong> die Annahme vor, dass das Unternehmen oder der Inhaber persönlich<br />

gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hätten.<br />

Letzteres sei bereits deshalb zu verneinen, weil die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit<br />

nur <strong>für</strong> Staaten und ihre Amtsträger Geltung beanspruchten (Urteil der Kammer vom 11.<br />

November 2005 - 31 A 385.03 -). Weder hätte das Unternehmen staatliche Befugnisse<br />

gehabt noch sei es Amtsträger geworden. Auch ein Verstoß gegen die Grundsätze der<br />

Menschlichkeit sei nicht nachgewiesen.<br />

51


2. Ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit sei nicht deshalb zu bejahen, weil<br />

das Unternehmen im Dezember 1938 das Betriebsgrundstück vom jüdischen Eigentümer<br />

zu einem unter dem Einheitswert liegenden Preis gekauft hat und nicht nachgewiesen ist,<br />

ob der Kaufpreis gezahlt wurde. Es sei wohl davon auszugehen, dass die drei flämischen<br />

Arbeiter aufgrund mehrmaliger Nichteinhaltung der Betriebsordnung tatsächlich der Gestapo<br />

gemeldet wurden. Es sei zu beachten, dass die Anzeige der flämischen Arbeiter<br />

keine gravierenden Folgen hatte. Dies allein sei zwar nicht ausschlaggebend, da eine<br />

Anzeige auch dann einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit darstellen<br />

könne, wenn der Anzeigende damit rechnete, dass der Angezeigte aufgrund der Anzeige<br />

willkürlichem und menschenverachtendem Verhalten ausgesetzt wurde. Ein Denunziant<br />

verstoße gerade deswegen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit, weil er sich als<br />

Zuträger <strong>für</strong> ein politisches System beteiligt, in welchem diese Grundsätze missachtet<br />

werden und weil er - obwohl er weiß, dass seinem Opfer eine rechtsstaatswidrige oder<br />

unmenschliche Behandlung droht - trotzdem die Verfolgung auslöst (vgl. BVerwG, Urteil<br />

vom 28. Februar 1963 - VIII C 67.62 - BVerwGE 15, 336). Hier sei aber nicht dargetan,<br />

dass der Betriebsinhaber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen musste, den<br />

angezeigten flämischen Arbeitern würden menschenunwürdige Sanktionen drohen. Die<br />

Gestapo sei zwar eine Organisation gewesen, die massiv gegen rechtsstaatliche Grundsätze<br />

verstoßen und vielfach auch menschenunwürdige Mittel angewandt habe, um ihr<br />

missliebige Personen auszuschalten. Allerdings bedürfe es trotz dieser bekannten allgemeinen<br />

Tatsache einer weiteren Differenzierung im konkreten Fall nach Art und Anlass<br />

der Anzeige. Es sei nicht bekannt, dass auf alle Arten von (vermeintlicher) mangelnder<br />

Arbeitsdisziplin - ohne Ansehen der Herkunft des Ausländers - mit gleichermaßen harten<br />

und unmenschlichen Sanktionen seitens einer NS-Behörde reagiert worden wäre. Einer<br />

solchen Vorgehensweise gegenüber den - offenbar durchaus nicht selten - auftretenden<br />

Vorfällen dieser Art hätten die Interessen des NS-Systems entgegengestanden, wonach<br />

die Tätigkeit ausländischer Arbeiter grundsätzlich als wertvoll <strong>für</strong> Deutschland angesehen<br />

worden sei, da die Ausländer mit ihrer Arbeit dazu beitragen sollten, das Land zu stärken<br />

und den Krieg zu gewinnen. Eine solche Einschätzung der Interessen lasse sich auch an<br />

dem vom Reichssicherheitshauptamt und dem Reichspropagandaministerium herausgegebenen<br />

„Merkblatt über die allgemeinen Grundsätze <strong>für</strong> die Behandlung der im Reich<br />

tätigen ausländischen Arbeitskräfte“ vom 15. April 1943 ablesen (Rundschreiben Nr.<br />

70/43), in dem gewisse Mindeststandards festgehalten seien, deren Nichtbeachtung zu<br />

ahnden seien.<br />

Auch die weiteren in der Sequesterakte befindlichen Zeugenaussagen reichten nicht aus,<br />

um einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit bejahen zu können. Die<br />

Drohung mit der Gestapo - wenn sie denn gefallen sein sollte - stelle keinen Verstoß<br />

gegen die Grundsätze der Menschlichkeit dar. Sie sei sicherlich moralisch vorwerfbar, da<br />

sie darauf ausgerichtet war, auf diese Weise Angst zu verbreiten und Gehorsam zu<br />

erzwingen. Allerdings habe der Betroffene sie nicht wahr gemacht und damit bereits<br />

deshalb noch keine menschenunwürdige Verfolgung ausgelöst.<br />

Die Behauptungen der Mitarbeiter, die ausländischen Arbeiter seien durch den Geschädigten<br />

bzw. einen Werkmeister sehr schlecht behandelt worden und hätten sich in<br />

Deutschland als Menschen zweiter Klasse geführt, könnten einen Verstoß gegen die<br />

Grundsätze der Menschlichkeit ebenfalls nicht begründen. Der Grundsatzverstoß müsse<br />

präzisiert sein (vgl. VG, Urteil der Kammer vom 12. August 2005 - 31 A 347.<strong>04</strong> -). Daran<br />

fehle es hier. Die Aussagen der Mitarbeiter seien pauschal und bezögen sich auf keinen<br />

konkreten, sachlich und zeitlich eingegrenzten Lebenssachverhalt, den das Gericht unter<br />

eine Variante des § 1 Abs. 4 AusglLeistG hätte subsumieren können.<br />

3. Schließlich sei das Gericht auch nicht überzeugt, dass das Unternehmen oder der Inhaber<br />

persönlich dem NS-Regime erheblich Vorschub geleistet hätte. Mit „erheblich Vorschubleisten“<br />

seien Handlungen gemeint, die nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern mit<br />

einer gewissen Stetigkeit vorgenommen wurden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen<br />

<strong>für</strong> die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen<br />

Systems zu verbessern oder Widerstand zu unterdrücken, und dies auch zum Ergebnis<br />

52


hatten. Der Nutzen <strong>für</strong> das Regime durfte nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein.<br />

Außerdem müsste die betroffene Person in dem Bewusstsein gehandelt haben, ihr<br />

Verhalten könne diesen Erfolg haben (BVerwG, Urteil vom 17. März 2005 - 3 C 20.<strong>04</strong> -<br />

BVerwGE 123, 142 = Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 5 = ZOV 2005, 233). Weder die<br />

Möbelarbeiten im Propagandaministerium noch im General-Gouvernements-Gebäude in<br />

Lodz durch das Unternehmen stellten ein erhebliches Vorschubleisten dar; sie seien nicht<br />

von der nationalsozialistischen Ideologie geprägt gewesen. Das gleiche gelte <strong>für</strong> die<br />

Aufträge der Luftwaffe und den - nicht nachgewiesenen - Bau von Munitionskisten. Sie<br />

sollten höchsten dazu beitragen, den Krieg fortzuführen und zu gewinnen. Eine solche<br />

Zielsetzung erfülle dieses Unwürdigkeitsmerkmal nicht; ansonsten wäre bereits jeder<br />

Wehrmachtssoldat von der Gewährung von Ausgleichsleistungen ausgeschlossen.<br />

Schließlich sei die Mitgliedschaft in der NSDAP und ihren Gliederungen - unter Berücksichtigung<br />

der zuvor dargestellten Gesetzessystematik - ebenfalls kein erhebliches Vorschubleisten<br />

im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG.<br />

Die dem Enteignungsvorschlag zugrunde liegende Kontrollratsdirektive Nr. 38 führe zu<br />

keinem anderen Ergebnis. Demnach reichte nicht aus, dass der Betreffende einer im Anhang<br />

bezeichneten Personengruppe zuzuordnen war. Es habe zusätzlich einer sorgfältigen<br />

Prüfung der ihm zur Last gelegten Verbrechen bedurft, die im Rahmen des Ausgleichsleistungsgesetzes<br />

auch unter Berücksichtigung der bereits erwähnten besonderen<br />

Gesetzessystematik vorzunehmen sei.<br />

Der Enteignungsvorschlag habe in dem Betroffenen einen Hauptschuldigen nach Art. II<br />

Ziff. 2 (i. V. m. Art. 46 der Haager Landkriegsordnung) und Ziff. 9 der Kontrollratsdirektive<br />

Nr. 38 gesehen. Allerdings könne die sorgfältige Prüfung, ob der Geschädigte mindestens<br />

eine dieser Varianten erfüllte, dahingestellt bleiben, da er bereits keiner der im Anhang A,<br />

Abschnitt I genannten Personengruppen angehört habe, die im Falle der Überführung der<br />

ihnen nach Art. II zur Last gelegten Verbrechen als Hauptschuldige galten. Es sei nicht<br />

ersichtlich, dass er besondere, im Anhang I erwähnte Funktionen in der NSDAP, der DAF<br />

oder der NSV ausgeübt hatte. Auch falle er nicht unter Punkt O, Ziff. 2 („Alle Personen,<br />

die Gegner des Nationalsozialismus denunziert oder sonst zu ihrer Verhaftung beigetragen<br />

… haben“). Die Anzeige der drei flämischen Arbeiter habe nicht zu ihrer Verhaftung<br />

geführt.<br />

Der Unternehmensinhaber wurde im Enteignungsvorschlag jedenfalls als Belasteter<br />

eingestuft. Zwar zählte er zu der im Anhang A, Abschn. II, Ziff. 4 aufgeführten Personengruppe,<br />

die sämtliche Mitglieder der NSDAP vor dem 1. Mai 1937 umfasste. Allerdings<br />

würden die im Enteignungsverfahren aufgezählten Varianten des Aktivisten (Art. III A) und<br />

Nutznießers (Art. III B) auf ihn nicht zutreffen bzw. sich nicht nachweisen lassen.<br />

Absatz I von Art. III B sei bereits aus dem Grunde abzulehnen, dass er keine politische<br />

Stellung innehatte oder besondere Beziehungen im NS-System besaß. Ziff. 3 des Absatzes<br />

II sei nicht nachgewiesen. Die Rückübertragung des Grundstücks an die Erben des<br />

Ehepaars beruhte auf der Vermutungsregel des § 1 Abs. 6 VermG. Im Falle der Prüfung<br />

der Unwürdigkeit sei aber eine solche Vermutung nicht ausreichend (vgl. außerdem oben<br />

II.1).<br />

Anmerkungen:<br />

Soweit das VG die Vermutungsregel des § 1 Abs. 6 VermG <strong>für</strong> den „Nachweis“ der Unwürdigkeit<br />

ablehnt, verkennt es - ebenso wie das VG Gera im Urteil vom 26. Januar (6 K 617/<strong>04</strong><br />

- vgl. die Anmerkung hierzu in dieser RÜ) - die Regelungssystematik des § 15 Abs. 2 RepG,<br />

auf die der Gesetzgeber in der Begründung des in § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG wortgleich<br />

geregelten Ausschlusstatbestandes Bezug nimmt. Auch der Vorwurf des „Automatismus“,<br />

den das VG erhebt in Bezug auf die Annahme des LARoV, ein unter dem Einheitswert<br />

liegender Kaufpreis führe zur Unwürdigkeit der 2. Tatbestandsalternative, übergeht den<br />

53


Willen des Gesetzgebers, der mit der Bezugnahme auf § 15 Abs. 2 RepG dessen bzw. die<br />

Rechtsgrundsätze der zu dieser Vorschrift ergangenen Rechtsprechung bei der Auslegung<br />

dieser Ausschlussalternative im Blick hat. Die darüber hinaus angestellten Spekulationen<br />

über den evtl. niedrigen Kaufpreis liegen mangels Anhaltspunkten im Kaufvertrag, in dem<br />

entsprechende Vereinbarungen niedergelegt worden wären, völlig neben der Sache.<br />

Die Begründung des Nichtvorliegens der 1. Tatbestandsalternative ist darüber hinaus in<br />

hohem Maße widersprüchlich und einseitig spekulativ unter völliger Ignoranz gesicherter<br />

zeithistorischer Erkenntnisse. So beruft sich das VG auf ein „Merkblatt über die allgemeinen<br />

Grundsätze <strong>für</strong> die Behandlung der im Reich tätigen ausländischen Arbeitskräfte“ vom 15.<br />

April 1943 des Reichspropagandaministeriums, um zu begründen, es sei an „gewissen Mindeststandards“<br />

bei der Behandlung von „ausländischen Arbeitern“ festgehalten worden. Die<br />

anerkannte Untersuchung von Ulrich Herbert (vgl. Ulrich Herbert, Politik und Praxis des<br />

‚Ausländereinsatzes’ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999) kommt demgegenüber<br />

nicht nur zu dem Schluss, dass sich aus dem aufgeführten Merkblatt aus dem<br />

Propagandaministerium zum Ausländereinsatz (a. a. O., S. 282) die tatsächlichen - schlimmen<br />

- Lebens- und Arbeitsverhältnisse der ausländischen Arbeitskräfte ablesen lassen,<br />

sondern sich auch nach Herausgabe dieses Merkblatts in der Praxis nichts änderte. Darüber<br />

hinaus ist durch Publikationen belegt, dass eine Meldung wegen „Nichterfüllung der Arbeitspflicht“,<br />

„Arbeitsbummelei“, „Arbeitsvertragsbruch“ u. ä. m. durch den Arbeitgeber die diesem<br />

bekannte und damit beabsichtigte Einweisung in ein sog. Arbeitserziehungslager ohne<br />

Gerichtsverfahren und ohne Angabe der Haftdauer zur Folge hatte (vgl. Gabriele Lotfi: KZ<br />

der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, München 2000; Mark Spoerer:<br />

Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, Stuttgart/München 2001, S. 178; Berliner Geschichtswerkstatt<br />

[Hg.]: Arbeitserziehungslager Fehrbellin. Zwangsarbeiterinnen im Straflager der<br />

Gestapo). Ein Betriebsinhaber, der ausländische Arbeitskräfte an die Gestapo denunzierte,<br />

kannte und wollte die ihm bekannten, oben beschrieben Maßnahmen und verstößt schon<br />

deshalb - auch nach der Begründung des VG - gegen die Grundsätze der Menschlichkeit<br />

und Rechtsstaatlichkeit.<br />

Die Nichtzulassung der Revision im o. g. Urteil hat das LARoV durch Beschwerde angefochten.<br />

Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />

54


Rücknahme eines Bescheides; Ermessen der<br />

Vermögenszuordnungsbehörde bei Beteiligung<br />

von öffentlichen Verwaltungsträgern<br />

§ 48 VwVfG;<br />

§ 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG<br />

Leitsätze des Bearbeiters (nicht amtlich):<br />

1. Obwohl im Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung der aus § 48 Abs. 2 und<br />

3 VwVfG folgende Vertrauensschutz ausgeschlossen ist, tritt bei der Entscheidung über<br />

die Rücknahme eines rechtswidrigen Zuordnungsbescheides nach § 48 VwVfG nicht<br />

schon deshalb eine Ermessensreduzierung auf Null ein, weil der Adressat des Zuordnungsbescheides<br />

ein Träger öffentlicher Verwaltung ist.<br />

2. Das öffentliche Interesse, das in diesen Fällen den ausschließlichen Maßstab <strong>für</strong> die<br />

Rücknahmeentscheidung bildet, wird nicht nur vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der<br />

Verwaltung, sondern ebenso vom Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bestimmt. Da aus<br />

der in § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG normierten Zweijahresfrist folgt, dass gerade im Zuordnungsrecht<br />

auf die Beständigkeit einmal getroffener Zuordnungsentscheidungen besonderes<br />

Gewicht zu legen ist, ist das Rücknahmeermessen der Zuordnungsbehörde i. S.<br />

einer Ermessensdirektive eingeschränkt.<br />

3. Im Einzelfall können öffentliche Belange von derart hohem Gewicht dazu führen, dass<br />

auch noch nach Ablauf der in § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG bestimmten Zweijahresfrist die<br />

fehlerhafte Zuordnung korrigiert werden muss.<br />

Gericht, Datum und Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 27. April <strong>2006</strong>, Az.: 3 C 23.05<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Mit seiner Entscheidung vom 27. April <strong>2006</strong> hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil<br />

des Verwaltungsgerichts Berlin im Ergebnis bestätigt, mit dem die VZ-Stelle Rostock zur<br />

Rücknahme eines Bescheides verpflichtet wurde. In dem zugrunde liegende Fall hatte die<br />

begünstigte Gemeinde nach Antragstellung und Zuordnung festgestellt, dass es sich bei<br />

Teilen der Liegenschaft statt um einen Schießplatz um eine Sondermülldeponie handelte.<br />

Daraufhin verlangte sie bei der OFD-Berlin (VK-GmbH) die Aufhebung des Bescheides.<br />

Diese erließ einen ablehnenden Bescheid unter Hinweis auf § 49 VwVfG - Widerruf eines<br />

rechtmäßigen Bescheides. Das Verwaltungsgericht Berlin sah in seinem Urteil zur Rücknahmeverpflichtung<br />

einen Fall des § 48 VwVfG, bei dem im Rahmen der durch die Vermögenszuordnungsstelle<br />

vorzunehmenden Ermessensabwägung eine Ermessensreduzierung<br />

auf Null eingetreten sei. Es entsprach der ständigen Rechtsprechung des VG Berlin, immer<br />

eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen, wenn Träger öffentlicher Verwaltung<br />

beteiligt waren. Im innerstaatlichen Bereich im Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher<br />

Verwaltung gebe es - anders als wenn grundgesetzlich geschützte Interessen Privater<br />

berührt seien - kein Bedürfnis <strong>für</strong> die Aufrechterhaltung rechtswidriger Vermögenszuordnungen.<br />

Mit der durch die VZ-Stelle Rostock betriebenen Revision sollte die Frage geklärt werden, ob<br />

bei der Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen Zuordnungsbescheides<br />

nach § 48 VwVfG eine Ermessensreduzierung auf Null deshalb eintritt, weil der Adressat des<br />

Zuordnungsbescheides ein Träger öffentlicher Verwaltung ist und darum kein Bedürfnis <strong>für</strong><br />

die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Zuordnungsentscheidung bestehe.<br />

55


Anmerkungen:<br />

Die Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils durch das Bundesverwaltungsgericht hat seine<br />

Ursache lediglich in der Besonderheit des zugrunde liegenden Falles.<br />

Letztendlich jedoch hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung der Vermögenszuordnungsstelle<br />

im Grundsatz bestätigt, dass eine generelle Ermessensreduzierung auf Null, wie<br />

sie das Verwaltungsgericht Berlin bei Rücknahmen zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung<br />

in ständiger Rechtsprechung angenommen hat, abzulehnen ist. Im Rahmen der bei einer<br />

Rücknahme eines Bescheides nach dem VZOG, der an Träger öffentlicher Verwaltung<br />

adressiert ist, vorzunehmenden Ermessensabwägung ist danach ausschließlich das öffentliche<br />

Interesse zu berücksichtigen. Das Institut des Vertrauensschutzes sei zwar im Verhältnis<br />

Bürger - Verwaltung entwickelt worden und könne nicht von Trägern öffentlicher Verwaltung<br />

in Anspruch genommen werden. Das öffentliche Interesse umfasse aber neben dem Grundsatz<br />

der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. Das<br />

Bundesverwaltungsgericht weist auf § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG hin, der deutlich mache, dass<br />

der Gesetzgeber der Beständigkeit der Zuordnungsentscheidung besonders großes Gewicht<br />

beimesse. Nach Ablauf der dort bestimmten Zweijahresfrist <strong>für</strong> die Wiederaufnahme des<br />

Verfahrens komme daher dem öffentlichen Interesse an der Beständigkeit auch fehlerhafter<br />

Zuordnungsentscheidungen erhöhtes Gewicht zu. Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass<br />

sich Zuordnungsverfahren unendlich fortsetzen. Diese Absicht beanspruche über den engeren<br />

Anwendungsbereich des § 51 VwVfG hinaus Geltung und schränke im Sinne einer<br />

Ermessensdirektive das Rücknahmeermessen der Zuordnungsbehörde ein.<br />

Diese Ermessensdirektive schließt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts allerdings<br />

nicht aus, dass im Einzelfall öffentliche Belange von derart hohem Gewicht <strong>für</strong> die Korrektur<br />

einer fehlerhaften Zuordnung streiten, dass sie sich auch nach Ablauf der Zweijahresfrist<br />

durchsetzen. In dem vorliegenden Fall war es die finanzielle und fachliche Überforderung<br />

einer Kommune mit der Sanierung einer Sondermülldeponie, so dass hier der Gesichtspunkt<br />

der Gefahrenabwehr zum Wohle der Allgemeinheit ein besonders dringliches öffentliches<br />

Interesse an der Aufhebung der Zuordnungsentscheidung begründete.<br />

Für die Praxis der Zuordnungsstellen heißt dies, dass die Rücknahme eines rechtswidrigen<br />

Bescheides zwei Jahre nach seinem Erlass in der Regel unterbleiben wird. Allerdings muss<br />

im Einzelfall geprüft werden, ob sich öffentliche Belange von erhöhtem Gewicht feststellen<br />

lassen, die eine Korrektur der rechtswidrigen Zuordnung im öffentlichen Interesse notwendig<br />

machen.<br />

Erwähnenswert ist noch die Feststellung im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dass<br />

auch einiges da<strong>für</strong> spreche, dass die Fristbestimmung des § 48 Abs. 4 VwVfG als Ausfluss<br />

des Vertrauensschutzes ebenfalls keine Anwendung zwischen Behörden finde.<br />

Mitgeteilt von Werner Günther<br />

56

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