Rechtsprechungsübersicht 04/2006 - Bundesamt für zentrale ...
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<strong>Bundesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>zentrale</strong> Dienste<br />
und offene Vermögensfragen<br />
<strong>Rechtsprechungsübersicht</strong><br />
<strong>04</strong>/<strong>2006</strong><br />
vom 21. September <strong>2006</strong><br />
Seite<br />
VG Greifswald, Urteil vom 29. April 2005, Az.: 6 A 359/05 [5754] 5<br />
Wertausgleich; Kostennachweis; Sachverständigengutachten;<br />
Rücknahme; Ermessen; Reduzierung des Ermessens; offensichtliche<br />
Unrichtigkeit; Selbstbindung der Verwaltung; Unzumutbarkeit<br />
der Folgen eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes; Wiederaufgreifen<br />
des Verfahrens<br />
§ 7 Abs. 1 VermG;<br />
§ 48,<br />
§ 51 VwVfG<br />
BVerwG, Urteil vom 31. August 2005, Az.: 8 C 11.05 [5735] 9<br />
Anscheinsbeweis; Ausreise; ausreisewillige Miterbin; Erbengemeinschaft;<br />
Gesamthandseigentum; Kausalität; einzelner Nachlassgegenstand;<br />
Nötigung; Verzicht; Mitverzicht; widerlegbare<br />
Vermutung<br />
§ 1 Abs. 3 VermG;<br />
§ 400 Abs. 1 Satz 2 ZGB (DDR)<br />
BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2005, Az.: 7 C 8/05 [5738] 13<br />
Berechtigter; Rechtsnachfolger; Anmeldung; Testamentsvollstreckung;<br />
Anmeldung durch Berechtigten bei Testamentsvollstreckung;<br />
Anmeldung eines vermögensrechtlichen Anspruchs<br />
bei Testamentsvollstreckung<br />
§ 2 Abs. 1 Satz 1,<br />
§ 30 Abs. 1 Satz 1,<br />
§ 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG;<br />
§ 2205,<br />
§ 2212 BGB<br />
BVerwG, Beschluss vom 5. Dezember 2005, Az.: 7 B 81.05 [5774] 17<br />
„Liste 3-Enteignung“; besatzungshoheitliche Enteignung<br />
§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />
BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2005, Az.: 8. C 13.<strong>04</strong> [5751] 21<br />
Rückübertragungsausschluss förmlicher Anordnung der Verwalterbestellung;<br />
Umwandlung einer Kinderkrippe in ein Kinderheim;<br />
Änderung der Zweckbestimmung eines Gebäudes<br />
§ 5 Abs. 1 Buchst. a VermG
BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2005, Az.: 8 B 40.05 [5781] 25<br />
Rückgabe-Liste „B“; Enteignungsverbot; besatzungshoheitlicher<br />
Zurechnungszusammenhang<br />
§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />
BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2005, Az.: 3 B 6.05 [5784] 27<br />
Erhebliches Vorschubleisten gegenüber dem nationalsozialistischen System;<br />
Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit;<br />
Gauredner; Bezirksredner; Amtsleiter NS-Ärztebund;<br />
Kreishauptstellenleiter; Amt <strong>für</strong> Volksgesundheit; Beisitzer am<br />
Erbgesundheitsgericht; SA-Standartenarzt<br />
§ 1 Abs. 4 1. und 3. Alt.,<br />
§ 5 AusglLeistG<br />
VG Gera, Urteil vom 26. Januar <strong>2006</strong>, Az.: 6 K 617/<strong>04</strong> [5805] 29<br />
Schwerwiegender Missbrauch der Stellung zum eigenen Vorteil<br />
bzw. Nachteil anderer; Ausnutzen der Verfolgungslage; legaler<br />
Erwerb<br />
§ 1 Abs. 4 2. Alt. AusglLeistG;<br />
§ 15 Abs. 2 RepG<br />
BVerwG, Urteil vom 23. Februar <strong>2006</strong>, Az.: 3 C 22.05 [5783] 35<br />
Erstreckung der Prüfung von Ausschlussgründen auf denjenigen,<br />
auf den die Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher<br />
Grundlage abzielte; Gauredner, NSDAP; Staatsrat;<br />
Kreisbauernführer<br />
§ 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />
BVerwG, Beschluss vom 28. Februar <strong>2006</strong>, Az.: 8 B 89.05 [5747] 39<br />
Grundstück; Rückgabe; Restitutionsausschluss; Siedlung; Siedlungsbau;<br />
komplexer Siedlungsbau; Einfamilienhäuser; städtebauliche<br />
Einheit<br />
§ 5 Abs. 1 Buchst. c VermG<br />
BVerwG, Urteil vom 29. März <strong>2006</strong>, Az.: 8 C 15.05 [5748] 43<br />
Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes eines<br />
nichtjüdischen Miterben einer sog. „rassisch gemischten“ Erbengemeinschaft<br />
§ 1 Abs. 6 VermG;<br />
Art. 3 REAO<br />
BVerwG, Urteil vom 29. März <strong>2006</strong>, Az.: 8 C 19.<strong>04</strong> [5750] 45<br />
Abgrenzung der Restitutionsberechtigung nach VermG oder<br />
EV/VZOG; öffentlich-rechtliche Stiftung; Enteignung, entschädigungslose<br />
Vermögensverschiebung<br />
§ 1 Abs. 1 Buchst. a,<br />
§ 2 Abs. 1 Satz 1 VermG;<br />
Art. 21, 22 EV;<br />
§ 11 VZOG<br />
2
BVerwG, Beschluss vom 5. April <strong>2006</strong>, Az.: 8 B 22.06 [5767] 49<br />
Vermögenswert; schuldrechtliches Nutzungsrecht; Pachtverhältnis<br />
§ 2 Abs. 2 Satz 1 VermG<br />
VG Berlin, Urteil vom 7. April <strong>2006</strong>, Az.: 31 A 86.06 [5765] 53<br />
Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit;<br />
Denunziation; Gestapo; Schwerwiegender Missbrauch<br />
der Stellung zum eigenen Vorteil oder Nachteil anderer;<br />
Arisierungskauf; Kauf unter Einheitswert<br />
§ 1 Abs. 4 1. und 2. Alt. AusglLeistG<br />
BVerwG, Urteil vom 27. April <strong>2006</strong>, Az.: 3 C 23.05 [5801] 57<br />
Rücknahme eines Bescheides; Ermessen der Vermögenszuordnungsbehörde<br />
bei Beteiligung von öffentlichen Verwaltungsträgern<br />
§ 48 VwVfG;<br />
§ 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Bundesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>zentrale</strong> Dienste und offene Vermögensfragen<br />
- Referat Q 3 -<br />
DGZ-Ring 12, 13086 Berlin<br />
Postfach 3 05, 10107 Berlin<br />
Telefon: (01888) 70 30 - 0<br />
- 1388 (Herr Sellin, Verteilung und Versand der RÜ)<br />
Telefax: (01888) 70 30 - 1140<br />
E-Mail: poststelle@badv.bund.de<br />
Internet: www.badv.bund.de<br />
3
Wertausgleich; Kostennachweis; Sachverständigengutachten;<br />
Rücknahme; Ermessen;<br />
Reduzierung des Ermessens; offensichtliche<br />
Unrichtigkeit; Selbstbindung der Verwaltung;<br />
Unzumutbarkeit der Folgen eines rechtswidrigen<br />
Verwaltungsaktes; Wiederaufgreifen<br />
des Verfahrens<br />
§ 7 Abs. 1 VermG;<br />
§ 48,<br />
§ 51 VwVfG<br />
Leitsatz des Bearbeiters (nicht amtlich):<br />
Zur Frage der Verpflichtung eines Vermögensamtes, einen bestandskräftigen Restitutionsbescheid<br />
wegen dessen Fehlerhaftigkeit zurückzunehmen.<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
VG Greifswald, Urteil vom 29. April 2005, Az: 6 A 359/05<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Die Klägerinnen wenden sich gegen die Festsetzung eines Wertausgleiches, der im Rahmen<br />
eines vermögensrechtlichen Restitutionsverfahrens zu Gunsten des Entschädigungsfonds<br />
festgesetzt wurde.<br />
Den Klägerinnen wurde dabei ein Grundstück zu Miteigentum zurückübereignet, welches im<br />
Anschluss an die Schädigung (§ 1 Abs. 2 VermG) und den Übergang in Volkseigentum im<br />
Jahre 1979 mit einem Ärztehaus bebaut worden war.<br />
Zur Bestimmung der Höhe der zur Bebauung aufgewendeten Kosten wurde ein Sachverständigengutachten<br />
erstellt, das den Kostenaufwand mit 232.000,00 DM bezifferte.<br />
Der gegen die Höhe der Wertausgleichsfestsetzung eingelegte Widerspruch wurde durch die<br />
Klägerinnen, nachdem diese sich mit der Verfügungsberechtigten, die ebenfalls gegen den<br />
Bescheid Widerspruch eingelegt hatte, auf die Zahlung von 75.000,00 DM einigten, zurückgenommen.<br />
Der Bescheid wurde bestandskräftig.<br />
Die Klägerinnen begehrten nunmehr dennoch eine Reduzierung der Wertausgleichsfestsetzung<br />
und beriefen sich dabei auf die vermeintlich fehlerhafte Schätzung des Kostenaufwands<br />
durch den Sachverständigen. Dieser habe die vormaligen Rechnungsbeträge auf der<br />
Grundlage eines DM-Betrages ermittelt, obwohl die Baumaßnahmen innerhalb der Existenz<br />
der damaligen DDR durchgeführt wurden. Somit hätte allenfalls ein Wertausgleich in Höhe<br />
von 116.000,00 DM festgesetzt werden dürfen. Im Übrigen hielten die Klägerinnen lediglich<br />
einen Kostenaufwand in Höhe von 105.000,00 DM <strong>für</strong> gerechtfertigt.<br />
Das LARoV teilte den Klägerinnen jedoch mit, dass eine Rücknahme der Wertausgleichsfestsetzung<br />
nicht in Betracht komme, da nicht offensichtlich feststehe, dass die gutachterliche<br />
Schätzung fehlerhaft sei. Zum einen sei die Feststellung der Rechtswidrigkeit nur nach<br />
erneuter Prüfung durch den Gutachter möglich, zum anderen stehe die festgestellte Summe<br />
in DM in keinem Missverhältnis zu den sich aus den Unterlagen ergebenden Umbaukosten<br />
in<br />
M-DDR, da nur ein Teil der Kosten mit Rechnungen habe belegt werden können. Der übrige<br />
Kostenaufwand beziehe sich auf Leistungen, die in Feierabend- und Wochenendarbeiten<br />
erbracht worden seien.<br />
5
Die gegen die Versagung der Rücknahme erhobene Klage blieb erfolglos.<br />
Das Gericht wies zunächst darauf hin, dass das Schreiben des LARoV, in welchem das<br />
Begehren der Klägerinnen auf Abänderung der Wertausgleichsfestsetzung zurückgewiesen<br />
wurde, aus der Sicht der Klägerinnen einen ablehnenden Verwaltungsakt darstellte und folglich<br />
sowohl mit einer Rechtsbehelfsbelehrung hätte versehen, als auch gemäß § 32 Abs. 4<br />
VermG hätte zugestellt werden müssen.<br />
Da sich der Landrat als Beklagter im Übrigen rügelos auf das Verfahren eingelassen habe,<br />
sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die an sich notwendige vorherige Durchführung<br />
eines Widerspruchsverfahrens überflüssig gewesen.<br />
Das Gericht bestätigte jedoch die Rechtsauffassung des LARoV, dass die Klägerinnen<br />
keinen Anspruch auf Rücknahme der Wertausgleichsfestsetzung hätten.<br />
Im Regelfall bestehe im Rahmen der Rücknahmeprüfung nach § 48 VwVfG (bzw. der<br />
entsprechenden Vorschrift nach dem jeweiligen VwVfG der Bundesländer) lediglich ein<br />
Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens. Nur im Ausnahmefall, wenn ein Festhalten<br />
an der rechtswidrigen Entscheidung unerträglich erscheine, sei eine Reduzierung des<br />
Ermessens auf nur eine einzige rechtmäßige Entscheidung möglich und bestehe ein entsprechender<br />
Anspruch auf Rücknahme.<br />
Unerträglich sei ein Festhalten regelmäßig dann, wenn entweder die Nichtaufhebung zu<br />
unzumutbaren Folgen <strong>für</strong> den Betroffenen führen würde, oder die Behörde in vergleichbaren<br />
Fällen sich ebenfalls <strong>für</strong> die Rücknahme des Bescheides entschieden habe, oder wenn der<br />
Bescheid offensichtlich rechtswidrig sei, oder schließlich einer der Wiederaufnahmegründe<br />
des § 51 VwVfG vorliegen würde.<br />
Das Gericht sah keinen der o. g. Ausnahmefälle im vorliegenden Fall <strong>für</strong> gegeben. Insbesondere<br />
sei die Rechtswidrigkeit der Wertausgleichsfestsetzung nicht offensichtlich, sondern<br />
bedürfe zuvor der erneuten Hinzuziehung des Gutachters und der Auseinandersetzung mit<br />
der von ihm angewandten Methode der Wertermittlung.<br />
Bestand mithin lediglich ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, so sei die von der<br />
Behörde angestellte Abwägung der widerstreitenden Interessen ausreichend und nachvollziehbar.<br />
Die Ablehnung der Rücknahme der Wertausgleichsfestsetzung sei somit rechtmäßig.<br />
Anmerkungen:<br />
Die Entscheidung des VG Greifswald beinhaltet keine neuen Erkenntnisse, berührt jedoch<br />
eine häufig anzutreffende Problematik. Auf Initiative eines Betroffenen hin soll die Behörde<br />
einen belastenden bestandskräftigen Bescheid wegen vorgeblicher Rechtswidrigkeit zurücknehmen.<br />
Grundsätzlich gewährt § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG dem Betroffenen lediglich einen Anspruch<br />
darauf, dass die Behörde über den erneuten Eintritt in eine Sachbehandlung ermessensfehlerfrei<br />
entscheidet.<br />
Einen Anspruch auf Rücknahme hat die Rechtsprechung allerdings dann bejaht, falls:<br />
- die Aufrechterhaltung des Erstbescheides schlechthin unerträglich wäre (BVerwG, Urteil<br />
vom 30. Januar 1974 - VIII C 20.72 - BVerwGE 44, 333), oder<br />
- Umstände ersichtlich sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit des<br />
Erstbescheides als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen<br />
lassen (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1967 - I C 30.67 - DVBl. 1968, 918), oder<br />
- wenn eine Änderung der Sach- oder Rechtslage oder Wiederaufnahmegründe des<br />
Prozessrechts geltend gemacht werden (BVerwG, Urteil vom 7. September 1960 - VI C<br />
6
22.58 - BVerwGE 11, 106), in bestimmten Fällen auch das Auffinden sonstiger Beweismittel<br />
(BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1966 - VII C 38.66 - BVerwGE 25, 241), oder<br />
- die Behörde auch sonst in vergleichbaren Fällen eine neue Sachentscheidung getroffen<br />
hat (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 1974 - VIII C 20.72 - BVerwGE 44, 333)<br />
- höchstrichterlich ungeklärt ist, ob auch die Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit eines<br />
Erstbescheides einen Anspruch auf Rücknahme gewährt.<br />
Die behauptete Rechtswidrigkeit des unanfechtbar gewordenen Erstbescheides allein gibt<br />
jedenfalls keinen Anspruch auf Eintritt in eine umfassende Rücknahmeprüfung. Sie ist lediglich<br />
eine Voraussetzung <strong>für</strong> eine Ermessensentscheidung der Behörde.<br />
Dabei ist es grundsätzlich Aufgabe des Antragstellers, die tatsächlichen Voraussetzungen<br />
darzulegen, die - ihre Richtigkeit unterstellt - die Rechtswidrigkeit des Erstbescheides ergeben.<br />
Anders muss es aber zumindest dann gesehen werden, wenn die Rechtswidrigkeit evident<br />
ist. Diesbezüglich kann auf die Jurisdiktion hinsichtlich des Begriffs der Offensichtlichkeit<br />
in § 44 Abs. 1 VwVfG zurückgegriffen werden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG-Komm., §<br />
44 Rdnr. 12 m. w. N.). Ist die Rechtswidrigkeit offenkundig, ist die Behörde zumindest zum<br />
Eintritt in eine umfassende Rücknahmeprüfung verpflichtet.<br />
Dies bedeutet indessen noch nicht, dass der Bescheid auch tatsächlich zurückgenommen<br />
werden muss. Vielmehr ergeben sich hieraus lediglich weitergehende Prüfungs- und Begründungspflichten<br />
<strong>für</strong> die Behörde und mithin eine nähere Auseinandersetzung mit der Sache.<br />
In diesem Fall würde somit der lapidare Hinweis, dass das Vorbringen des Antragstellers<br />
keinen Anlass biete, das Verfahren wieder aufzugreifen, nicht genügen (BVerwG, Urteil<br />
vom 6. Januar 1972 - III C 83.70 - BVerwGE 39, 231 = Buchholz 427.3 § 33 a Nr. 41).<br />
Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung sind dabei die beiden, gegeneinander abzuwägenden<br />
Prinzipien der materiellen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit grundsätzlich gleichwertig,<br />
sofern dem anzuwendenden Recht keine andere gesetzliche Wertung zu entnehmen<br />
ist.<br />
Im Wiedergutmachungsrecht, welches von dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden<br />
Grundgedanken beherrscht wird, dass es geboten ist, einen Ausgleich <strong>für</strong> ein zugefügtes<br />
Staatsunrecht in Gestalt von gezielten, die Freiheit, die wirtschaftliche Existenz, die Gesundheit<br />
oder das Leben zerstörenden Verfolgungen zu schaffen, kommt dem Prinzip der materiellen<br />
Gerechtigkeit zwar im Rahmen der Ermessensausübung ein Übergewicht zu. Dennoch<br />
gewährt es nicht ohne weiteres einen Anspruch auf Rücknahme des erkanntermaßen<br />
rechtswidrigen Bescheides, sondern ist nur als Ermessensfaktor von erheblichem Gewicht<br />
zu behandeln (BVerfG, Entscheidung vom 17. Dezember 1969 - 2 BvR 23/65 - BVerfGE 27,<br />
297).<br />
Wäre im vorliegenden Fall allerdings die Rechtswidrigkeit evident gewesen und auch kein<br />
überzeugender Grund erkennbar, der eine andersartige Ermessensentscheidung hätte<br />
rechtfertigen können, insbesondere weil alle <strong>für</strong> die Ermittlung der richtigen Wertausgleichshöhe<br />
maßgeblichen Faktoren bekannt gewesen wären, hätte auch der Gesichtspunkt der<br />
Verwal-<br />
7
tungspraktikabilität schwerlich zu Gunsten der Aufrechterhaltung des bestandskräftigen, aber<br />
rechtswidrigen Bescheides ins Feld geführt werden können.<br />
Mitgeteilt von Oliver Reibling<br />
8
Anscheinsbeweis; Ausreise; ausreisewillige<br />
Miterbin; Erbengemeinschaft; Gesamthandeigentum;<br />
Kausalität; einzelner Nachlassgegenstand;<br />
Nötigung; Verzicht; Mitverzicht;<br />
widerlegbare Vermutung<br />
§ 1 Abs. 3 VermG;<br />
§ 400 Abs. 1 Satz 2 ZGB (DDR)<br />
Leitsatz des Gerichts:<br />
Verzichteten in der DDR verbleibende Miterben in zeitlichem Zusammenhang mit dem Verzicht<br />
eines ausreisewilligen Miterben auf ihr durch die Erbengemeinschaft gesamthänderisch<br />
gebundenes Eigentum an einzelnen Vermögenswerten, so spricht der Beweis des ersten<br />
Anscheins da<strong>für</strong>, dass die Nötigung des ausreisewilligen Miterben kausal <strong>für</strong> den Verzicht<br />
der verbleibenden Miterben war.<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Urteil vom 31. August 2005, Az.: 8 C 11.05<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Die Klägerinnen begehrten die Rückübertragung eines landwirtschaftlichen Grundstücks an<br />
die Erbengemeinschaft nach dem Alt-Eigentümer. Neben den Klägerinnen, den Töchtern des<br />
ursprünglichen Eigentümers, gehörten dieser Erbengemeinschaft auch dessen Witwe und<br />
sein Sohn an.<br />
Nachdem die Witwe im Jahre 1978 die Ausreise zu ihrem in der BRD lebenden Sohn beantragt<br />
hatte, wurde <strong>für</strong> dessen Anteil an der Erbengemeinschaft ein staatlicher Verwalter<br />
bestellt. Daraufhin erklärten die Witwe und die Klägerinnen den Verzicht auf ihre Erbanteile<br />
am Grundstück. Im Anschluss daran verkaufte der staatliche Verwalter den Anteil des<br />
Sohnes an den Rat des Kreises. Am selben Tag wurde zunächst die Erbengemeinschaft als<br />
Eigentümer im Grundbuch eingetragen und sogleich wieder gelöscht und daraufhin Eigentum<br />
des Volkes eingetragen. Ende des Jahres 1979 reiste die Witwe mit staatlicher Genehmigung<br />
in die BRD aus. Die Klägerinnen verblieben in der DDR.<br />
Während zunächst lediglich der „Anteil“ des Sohnes an dem streitgegenständlichen Grundstück<br />
aufgrund der Schädigung nach § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG restituiert wurde, wurde im<br />
anschließenden Rechtsbehelfsverfahren durch das VG Frankfurt (Oder) auch die erbrechtliche<br />
Mitberechtigung der Witwe an dem Grundstück an die Klägerinnen und den als Miterbe<br />
nach seiner Mutter in das Verfahren eingetrene Sohn des Alt-Eigentümers aufgrund der<br />
Schädigung nach § 1 Abs. 3 VermG zurückübertragen.<br />
Dabei führte es aus, der Beweis des ersten Anscheins spräche <strong>für</strong> die Annahme einer schädigenden<br />
Maßnahme. Der Verzicht der Witwe sei prima facie auf eine Nötigung durch staatliche<br />
Organe und folglich auf Machtmissbrauch zurückzuführen.<br />
Eine Nötigung der Klägerinnen zu deren Verzicht sei nach Auffassung des VG jedoch nicht<br />
erwiesen. Insbesondere würden die Regeln des Anscheinsbeweises nicht zu ihren Gunsten<br />
eingreifen. Insoweit wurde die Klage abgewiesen.<br />
Die von den Klägerinnen hiergegen eingelegte Revision hatte Erfolg.<br />
Das BVerwG legte zunächst nochmals die Grundsätze der Anscheinsbeweisführung im<br />
Rahmen der Anwendung von § 1 Abs. 3 VermG dar.<br />
Danach sei in den Fällen des ausreisebedingten Verlustes von Grundstücken und Gebäuden<br />
eine unlautere Machenschaft in Gestalt einer Nötigung und gleichzeitig eines Machtmissbrauchs<br />
im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG gegeben, wenn staatliche Stellen die Erteilung der<br />
9
Genehmigung zur ständigen Ausreise von der vorherigen Aufgabe des Grundeigentums<br />
abhängig gemacht haben. Habe ein Ausreisewilliger in zeitlichem Zusammenhang mit der<br />
Ausreise ein Grundstück veräußert, könne nach den Grundsätzen des Beweises des ersten<br />
Anscheins deshalb davon ausgegangen werden, dass dies auf unlautere Machenschaften im<br />
Sinne von § 1 Abs. 3 VermG zurückzuführen sei (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1995 - 7 C<br />
52.93 - NJW 1995, 2741 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 48 = RGV B IX 116). Der<br />
Anscheinsbeweis gelte sowohl <strong>für</strong> die Tatsache, dass die staatlichen Organe einen entsprechenden<br />
Verkaufsdruck ausgeübt hatten, als auch <strong>für</strong> die Ursächlichkeit zwischen Verkaufsdruck<br />
und Veräußerung. Der Anscheinsbeweis finde nach der Rechtsprechung aber grundsätzlich<br />
nur <strong>für</strong> den Ausreisewilligen selbst Anwendung. Es gebe keinen Anscheinsbeweis<br />
dahingehend, dass in der DDR verbleibende Familienangehörige generell ebenfalls auf<br />
Eigentumsrechte verzichten mussten, damit dem Ausreisewilligen die Ausreise genehmigt<br />
wurde. Die Anscheinsbeweisführung setze voraus, dass ein Sachverhalt vorliege, der nach<br />
der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweise und es deshalb<br />
rechtfertige, die besonderen Umstände des einzelnen Falles in ihrer Bedeutung zurücktreten<br />
zu lassen. Für die Annahme eines typischen Geschehensablaufs, dass auch in der DDR<br />
verbliebene Familienangehörige von Ausreisewilligen grundsätzlich auf Vermögenswerte<br />
verzichten mussten, damit die Ausreisegenehmigung erteilt wurde, fehle es nach derzeitigem<br />
Stand jedoch an ausreichenden Erfahrungen.<br />
Anders als in den geschilderten Fällen, in denen Miteigentum aufgegeben worden sei,<br />
gebiete die vorliegende gesamthänderische Verbundenheit der Mitglieder der Erbengemeinschaft<br />
eine andere Betrachtung. Die Beschränkung der Verfügungsbefugnis der Miterben<br />
über ihren Anteil an einzelnen Nachlassgegenständen gemäß § 400 Abs. 1 Satz 2 ZGB<br />
(DDR) habe bewirkt, dass die ausreisewillige Miterbin nicht allein auf ihre erbrechtliche Mitberechtigung<br />
an dem Grundstück verzichten konnte. Hier<strong>für</strong> wäre vielmehr eine gemeinschaftliche<br />
Verfügung aller Miterben notwendig gewesen.<br />
Daher spreche eine Vermutung da<strong>für</strong>, dass, wenn die in der DDR verbliebenen Miterben in<br />
zeitlichem Zusammenhang mit dem Verzicht eines ausreisewilligen Miterben auf ihr durch<br />
die Erbengemeinschaft gesamthänderisch gebundenes Eigentum an einzelnen Vermögenswerten<br />
verzichteten, dieser Verzicht darauf beruhte, dass der ausreisewillige Miterbe zur<br />
Aufgabe seiner erbrechtlichen Mitberechtigung an dem Grundstück genötigt wurde. Dessen<br />
Nötigung wäre damit kausal auch <strong>für</strong> den Verzicht der anderen Miterben auf ihre Rechte, so<br />
dass auch deren Verzicht auf unlauteren Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG<br />
beruhte. Die widerlegbare Kausalitätsvermutung zugunsten der in der DDR verbleibenden<br />
Miterben rechtfertige sich durch die Rechtslage (§ 400 Abs. 1 Satz 2 ZGB [DDR]), die zu der<br />
Erfahrungstatsache führe, dass bei typischem Geschehensablauf der durch die Nötigung des<br />
Ausreisewilligen bedingte Verzicht auf die erbrechtliche Mitberechtigung auch die Ursache<br />
<strong>für</strong> den gleichzeitigen Verzicht auf die erbrechtlichen Mitberechtigungen der anderen Miterben<br />
gewesen sei.<br />
Somit sei auch im hier vorliegenden Fall aufgrund des zeitlichen und sachlichen Konnexes<br />
zwischen der Nötigung der ausreisewilligen Miterbin und dem Verzicht der in der DDR verbliebenen<br />
Klägerinnen ein durch Nötigung erzwungener Vermögensverlust zu vermuten.<br />
Dieser Anscheinsbeweis werde noch nicht durch das Vorhandensein weiterer möglicher Motive,<br />
etwa einer erdrückenden Schuldenlast, <strong>für</strong> den Verzicht erschüttert. Eine staatliche Nötigung<br />
sei auch dann ursächlich <strong>für</strong> einen Vermögensverzicht, wenn sie nicht die alleinige<br />
oder wesentliche Ursache war. Bloße Mitursächlichkeit sei unschädlich.<br />
Die im Vorfeld der Umschreibung des Grundbuchs auf Eigentum des Volkes dennoch<br />
erfolgte Veräußerung des Miterbenanteils des in der BRD lebenden Sohnes durch den staatlichen<br />
Verwalter sei demgegenüber in Anbetracht des zeitlichen Zusammenhangs eher als<br />
Bestätigung der gesetzlichen Regelung zu verstehen, wonach eine gesonderte Verfügung<br />
über die erbrechtliche Mitberechtigung an dem Grundstück unzulässig gewesen sei. Die<br />
Verfügung erfolgte noch vor der Grundbuchumschreibung auf Eigentum des Volkes. Es sei<br />
somit beabsichtigt gewesen, zumindest insoweit der Rechtslage des § 400 Abs. 1, Satz 2<br />
10
ZGB (DDR) zu genügen, als bei Übergang des Eigentums am Grundstück in Volkseigentum<br />
eine Verfügung aller Miterben, diesmal unter Beteiligung von Volkseigentum, vorlag.<br />
Gegen die weitere Annahme, die Klägerinnen und die ausreisewillige Miterbin hätten in<br />
Wahrheit nicht auf ihre erbrechtlichen Mitberechtigungen am Grundstück, sondern auf ihre<br />
Erbanteile als Ganzes verzichtet (§ 401 Abs. 1 ZGB [DDR]), spreche schließlich sowohl die<br />
fehlende notarielle Beurkundung, als auch der Wortlaut der Verzichtserklärungen und der<br />
Grundbucheintragungen.<br />
Anmerkungen:<br />
Zum ersten Mal hat sich das BVerwG mit der Frage des Vorliegens von unlauteren Machenschaften<br />
im Zusammenhang von Eigentumsverzicht und Ausreisebewilligungsverfahren hinsichtlich<br />
der in der DDR verbliebenen Familienangehörigen befasst.<br />
Dabei hat es sein Hauptaugenmerk auf die Möglichkeit der Anwendung des Beweises des<br />
ersten Anscheins gelegt. Hierzu war die Darstellung der Rechtslage in der DDR bezüglich<br />
der gesamthänderischen Bindung innerhalb der Erbengemeinschaft notwendig, um hieraus<br />
die erforderliche Erfahrungstatsache zu formulieren, dass die Nötigung der ausreisewilligen<br />
Miterben zum Eigentumsverzicht nur dann Erfolg haben konnte, wenn gleichzeitig auch alle<br />
anderen Miterben ihrerseits einen entsprechenden Verzicht erklärten.<br />
Dies ist folgerichtig und nachvollziehbar.<br />
Wäre die Erbengemeinschaft, also sämtliche Mitglieder, demgegenüber nicht als solche<br />
geschädigt worden, wäre die Restitution sicherlich unmöglich gewesen. Die Unmöglichkeit<br />
der Restitution ergäbe sich aus dem Ausscheiden des Nachlassgegenstandes aus dem<br />
Nachlassvermögen. Damit wäre die frühere Berechtigung der geschädigten Miterben an dem<br />
Vermögenswert ohne gleichzeitige Begünstigung der nicht geschädigten übrigen Miterben<br />
und damit ohne Durchbrechung des vermögensrechtlichen Grundsatzes der Konnexität zwischen<br />
Schädigungstatbestand, betroffenem Vermögenswert und Restitution nicht mehr<br />
wiederherstellbar.<br />
Zukünftig wird mithin stets nach der Art der gemeinschaftlichen Verbundenheit einer Mehrheit<br />
von Eigentümern zu differenzieren sein.<br />
Grundsätzlich ist jedoch eine Beweiserleichterung zugunsten nicht-ausreisewilliger Dritter<br />
nicht statthaft.<br />
So wird es etwa im Falle einer Bruchteilsgemeinschaft (Miteigentümer) auch in Zukunft weiterhin<br />
keinen allgemeinen Erfahrungssatz dergestalt geben, dass die Nötigung eines ausreisewilligen<br />
Miteigentümers auch die übrigen Miteigentümer betroffen hat. Vielmehr wäre hier<br />
eine entsprechende Überzeugungsbildung des Vermögensamtes mittels regulärer Beweisführung<br />
notwendig.<br />
Mitgeteilt von Oliver Reibling<br />
11
Berechtigter; Rechtsnachfolger; Anmeldung;<br />
Testamentsvollstreckung; Anmeldung durch<br />
Berechtigten bei Testamentsvollstreckung;<br />
Anmeldung eines vermögensrechtlichen Anspruchs<br />
bei Testamentsvollstreckung<br />
§ 2 Abs. 1 Satz 1,<br />
§ 30 Abs. 1 Satz 1,<br />
§ 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG;<br />
§ 2205,<br />
§ 2212 BGB<br />
Leitsatz des Gerichts:<br />
Der Erbe eines vor In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes verstorbenen Geschädigten<br />
kann vermögensrechtliche Ansprüche auch dann selbstständig geltend machen, wenn Testamentsvollstreckung<br />
angeordnet ist.<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2005, Az.: 7 C 8.05<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Die Klägerin begehrte als Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Eigentümerin die Restitution<br />
jeweils einer Miteigentumshälfte an 2 Grundstücken in der Z-Straße 244 und 246 in<br />
Chemnitz.<br />
Nachdem die ursprüngliche Eigentümerin 1958 die DDR ohne Beachtung der damals geltenden<br />
Meldepflichten verlassen hatte, wurde ihr Vermögen unter treuhänderische Verwaltung<br />
gestellt. In den Jahren 1971/1972 wurden die Miteigentumshälften an das Volkseigentum<br />
veräußert.<br />
Die Alt-Berechtigte verstarb im Jahre 1989 und wurde von der Klägerin allein beerbt. Ergänzend<br />
wurde Testamentsvollstreckung angeordnet.<br />
Die Klägerin meldete 1990 als Rechtsnachfolgerin der Alt-Berechtigten vermögensrechtliche<br />
Ansprüche hinsichtlich der Grundstücke „Z-Straße 44/46“ an. Aus den beigefügten Anlagen<br />
ergab sich allerdings die Bezugnahme auf die Grundstücke Z-Straße 244 und 246. Erst im<br />
Jahre 1998 stellte die Klägerin klar, dass der Antrag sich tatsächlich auf die Grundstücke Z-<br />
Straße 244 und 246 bezogen hat. Dennoch lehnte das ARoV die Restitution unter Berufung<br />
auf die falsche Bezeichnung der Grundstücke und zwischenzeitlich eingetretenen Fristablauf<br />
ab. Der Widerspruchsausschuss teilte die Auffassung des ARoV und wies den Widerspruch<br />
zurück.<br />
Am 26. Januar 2005 stimmte der Testamentsvollstrecker der Antragstellung nach dem<br />
VermG und der gerichtlichen Geltendmachung der vermögensrechtlichen Ansprüche durch<br />
die Klägerin zu.<br />
Die gegen die ablehnenden Bescheide eingelegte Klage blieb jedoch erfolglos. Das VG sah<br />
die Anmeldung der vermögensrechtlichen Ansprüche durch die Klägerin als unzulässig an,<br />
da der Restitutionsanspruch nach der neuen Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 8.<br />
Mai 2003 - 7 C 63.02 – BARoV-RÜ 02/20<strong>04</strong> = VIZ 2003, 473 ff. = Buchholz 428 § 30 a<br />
VermG Nr. 27) wie eine Nachlassforderung zu behandeln sei und somit allein der Testamentsvollstrecker<br />
im Rahmen seiner unbeschränkten Verfügungsmacht zur Geltendmachung<br />
befugt gewesen sei.<br />
Die gegen das Urteil des VG eingelegte Revision war erfolgreich.<br />
Das BVerwG hielt den Erben eines vor In-Kraft-Treten des VermG verstorbenen Erblassers<br />
auch im Falle der Anordnung von Testamentsvollstreckung <strong>für</strong> antragsbefugt. Die zivilrechtlichen<br />
Vorschriften über die Beschränkung der Verfügungsmacht des Erben aufgrund angeordneter<br />
Testamentsvollstreckung seien weder unmittelbar, noch analog anwendbar.<br />
13
Eine unmittelbare Anwendung sei bereits angesichts des eindeutigen Wortlauts des VermG<br />
als den zivilrechtlichen Vorschriften vorgehenden Fachgesetzes ausgeschlossen. Das<br />
VermG sehe es als selbstverständlich an, dass der Berechtigte nach § 2 Abs. 1 VermG zur<br />
Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche befugt sei. Dies habe bereits gemäß § 2<br />
Abs. 1 Satz 1 AnmVO gegolten.<br />
Da der Restitutionsanspruch erst in der Person der Rechtsnachfolgerin der verstorbenen<br />
Geschädigten entstanden sei, die Enteignung jedoch dinglich wirksam und mithin der Vermögenswert<br />
bereits vor dem Erbfall aus dem Vermögen der Erblasserin ausgeschieden sei,<br />
habe der Restitutionsanspruch zu keiner Zeit Bestandteil des hier fraglichen Nachlasses<br />
gewesen sein können. Vielmehr sehe auch das VermG in § 2 Abs. 1 Satz 1 2. Fall VermG<br />
die Rechtsnachfolgerin selbst als Berechtigte an.<br />
Die entsprechende Anwendung der BGB-Vorschriften über die Testamentsvollstreckung<br />
scheitere demgegenüber am Fehlen einer auszufüllenden unplanmäßigen Regelungslücke.<br />
Die analoge Anwendung dieser Vorschriften wurde vom BVerwG in der o. g. Entscheidung<br />
nur <strong>für</strong> den umgekehrten Fall be<strong>für</strong>wortet, wenn der Testamentsvollstrecker anstelle der<br />
Rechtsnachfolger die Anmeldung nach dem VermG vorgenommen hatte. Der Testamentsvollstrecker<br />
finde in der Aufzählung der Berechtigten nach § 2 Abs. 1 VermG keine Erwähnung.<br />
Nur insofern und auch nur in dieser Richtung habe eine Regelungslücke bestanden.<br />
Die Anmeldung durch den Berechtigten selbst werde indes bereits vom VermG bestimmt, es<br />
fehle daher an einer entsprechenden Regelungslücke.<br />
Auch im Übrigen wären die Bescheide insoweit rechtswidrig, als eine verfristete Antragstellung<br />
aufgrund unrichtiger Grundstücksbezeichnungen angenommen wurde.<br />
Richtigerweise sei die falsche Bezeichnung der Vermögenswerte immer dann unschädlich,<br />
wenn durch die Bezugnahme auf den namentlich Berechtigten eine zweifelsfreie Zuordnung<br />
möglich sei. Durch Auslegung des Antrags hätte trotz falscher Angabe der Hausnummern im<br />
vorliegenden Einzelfall angesichts der korrekten Benennung der Straße, des Ortes, der Alt-<br />
Berechtigten, sowie weiterer Indizien eine eindeutige Vermögenszuordnung vorgenommen<br />
werden können.<br />
Anmerkungen:<br />
Erneut hatte sich das BVerwG mit der Frage der Antragsbefugnis im Zusammenhang mit<br />
angeordneter Testamentsvollstreckung durch einen vor dem In-Kraft-Treten des VermG am<br />
29. September 1990 verstorbenen Alt-Berechtigten zu befassen.<br />
Während es in seinem Urteil vom 8. Mai 2003 (7 C 63.02) noch auf eine wirtschaftliche<br />
Betrachtungsweise zurückgreifen musste, um eine analoge Anwendung von § 2<strong>04</strong>1 Satz 2<br />
BGB (dingliche Surrogation) zu rechtfertigen, war ein solcher Rekurs im vorliegenden Fall zu<br />
Recht nicht notwendig.<br />
Allerdings bestand die Notwendigkeit <strong>für</strong> eine Klarstellung der in o. g. Urteil des BVerwG<br />
dargelegten Rechtsauffassung, da das VG die Behandlung des Restitutionsanspruchs „wie<br />
eine Nachlassforderung“ dahingehend missverstanden hatte, dass nunmehr uneingeschränkt<br />
auch alle erbrechtlichen Vorschriften über die Testamentsvollstreckung und die<br />
damit einhergehende Beschränkung der Verfügungsbefugnis des Erben Anwendung fänden.<br />
Dem ist das BVerwG zu Recht entgegengetreten.<br />
Die Rechtsnachfolger sind selbst unmittelbar Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1<br />
VermG. Da der Restitutionsanspruch auch nach Auffassung des BVerwG an sich keine<br />
Nachlassforderung, sondern originär in der Person des Rechtsnachfolgers entstanden ist,<br />
unterlag der Anspruch unmittelbar auch nicht der Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers.<br />
Für Analogien bestand kein Bedürfnis. Es war auch weder vom BVerwG beabsichtigt,<br />
noch wäre es rechtlich zulässig gewesen, eine generelle Beschränkung der<br />
Antragsbefugnis der Berechtigten durch eine analoge Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen<br />
Rechts über die Testamentsvollstreckung herbeizuführen.<br />
14
Die vorgenannte Entscheidung des BVerwG aus dem Jahre 2003 ist im Übrigen schon<br />
rechtlich zweifelhaft, die dort geführte Argumentation zumindest aber nicht zwingend, da die<br />
Frage, welche Gegenstände zum Nachlass gehören, nicht nach den Bedürfnissen entschieden<br />
werden kann, die in diesem oder jenem Bereich eine Einschränkung oder Ausweitung<br />
des Machtbereichs des Testamentsvollstreckers wunschgemäß erscheinen lassen.<br />
Von <strong>zentrale</strong>r Bedeutung und insoweit maßgebend ist vielmehr die Funktion, die dem Nachlass<br />
als Haftungsobjekt <strong>für</strong> die Nachlassverbindlichkeiten zukommt. Die eher formale Zuordnung<br />
des Nachlasses zu dem Eigenvermögen des Erben gemäß § 1922 BGB oder der einzelnen<br />
Miterben nach der Auseinandersetzung (§ 2<strong>04</strong>2 BGB) wird materiell überlagert durch<br />
die Ordnung des Haftungszugriffs einerseits durch die Eigengläubiger des Erben und durch<br />
die Nachlassgläubiger andererseits. Nur in diesem Kontext sind auch die zivilgerichtlichen<br />
Urteile zu verstehen (Berechnung des Pflichtteils, Zugriff auf den Nachlass in der Zwangsvollstreckung,<br />
Bestimmung des Wertes des Rückübertragungsanspruchs /<br />
Nachlassgrundstücks im Erbscheinsverfahren…). Nur insoweit ist die Behandlung des<br />
Restitutionsanspruchs „wie eine Nachlassforderung“ nachvollziehbar, da nicht einzusehen<br />
wäre, weshalb dem Erben und seinen Eigengläubigern ein Vorteil daraus erwachsen sollte,<br />
dass die Ausgleichsleistungen nicht schon in der Person des Erblassers, sondern erst in der<br />
Person des Erben begründet worden sind. (BGH, Urteil vom 23. Juni 1993 - IV ZR 205/92 -<br />
BGHZ 123, 76 ff. = ZOV 1993, 340 = NJ 1993, 514 = RGV C II 7).<br />
Ein dieser gesetzlichen Grundkonzeption entsprechendes Bedürfnis <strong>für</strong> die Annahme einer<br />
funktionalen Nachlasszugehörigkeit in Bezug auf die Frage der Antragsbefugnis nach dem<br />
VermG sehe ich nicht <strong>für</strong> gegeben. Der Schutz der Nachlassgläubiger vermag nach meinem<br />
Da<strong>für</strong>halten ebenso wenig eine Notwendigkeit <strong>für</strong> eine analoge Anwendung von § 2<strong>04</strong>1 Satz<br />
2 BGB zu begründen, wie vermeintliche rechtliche Unsicherheiten bei der Zuordnung des<br />
Rückübertragungsanspruchs zum Nachlass oder zum Eigenvermögen des Erben. Im Übrigen<br />
ist auch die wirtschaftliche Betrachtung nicht geeignet, die tatsächliche Intention des<br />
Gesetzgebers bei der Formulierung von § 2 a Abs. 1 und 2 VermG zu ersetzen, der lediglich<br />
die Übertragung des Vermögenswertes auf die (wiedererstandene) Gesamthandsgemeinschaft<br />
anstatt in Form von Bruchteilseigentum regeln wollte.<br />
Zukünftig könnte aber auch die in der Literatur bereits aufgeworfene Frage zu entscheiden<br />
sein, ob in den Fällen, in denen der Alt-Berechtigte erst nach Inkrafttreten des VermG verstarb,<br />
aber gleichwohl Testamentsvollstreckung angeordnet hat, dennoch die Erben als<br />
Berechtigte unabhängig vom Testamentsvollstrecker antragsbefugt sein sollen.<br />
Dem VermG selbst ist eine Beschränkung der Anmeldeberechtigung bei angeordneter<br />
Testamentsvollstreckung nicht zu entnehmen.<br />
Der prinzipielle Vorrang der fachgesetzlichen Regelung vermag jedoch die vom Erblasser<br />
durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung verfügte Beschränkung der Verwaltungsbefugnisse<br />
seiner Erben bezogen auf den Nachlass nicht zu beseitigen.<br />
Der Restitutionsanspruch ist in dieser Fallkonstellation unbestritten Teil des Nachlasses<br />
geworden. Es würde nicht nur dem Willen des Erblassers diametral entgegenlaufen, wollte<br />
man den von ihm eingesetzten Testamentsvollstrecker ignorieren, es widerspräche auch der<br />
in § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG und § 2 a VermG vorgesehenen Regelung, nach der die<br />
Bestimmung der Rechtsnachfolger nach allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften zu erfolgen<br />
hat.<br />
Dabei wären m. E. auch etwaige Beschränkungen der Verfügungsbefugnisse der Rechtsnachfolger<br />
zu berücksichtigen. Da Testamentsvollstreckung angeordnet wurde, hat der<br />
Testamentsvollstrecker den Nachlass zu verwalten (§ 2205 BGB) und gegebenenfalls Forderungen<br />
gerichtlich geltend zu machen (§ 2212 BGB). Das schließt die Geltendmachung von<br />
zum Nachlass gehörenden Forderungen und damit auch des Anspruchs auf Restitution ein<br />
(zur vergleichbaren Situation im Anwendungsbereich des LAG: BVerwG, Beschluss vom 13.<br />
Juli 1977 - III B 67.76 - Buchholz 427.3 § 244 LAG Nr. 13). Nur der Testamentsvollstrecker<br />
wäre somit in dieser Fallkonstellation befugt, Rückübertragungsansprüche nach dem VermG<br />
anzumelden.<br />
Mitgeteilt von Oliver Reibling<br />
15
„Liste 3-Enteignung“; besatzungshoheitliche<br />
Enteignung<br />
§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />
Leitsatz des Gerichts:<br />
Eine vom sog. demokratischen Magistrat von Groß-Berlin nach Maßgabe der „Liste 3“ oben<br />
zum Gesetz zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten<br />
vom 8. Februar 1949 beschlossene Enteignung eines Vermögenswerts folgte auch dann auf<br />
besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchstabe a VermG, wenn die<br />
vor dem 5. Februar 1949 erfolgte Beschlagnahme des Vermögenswerts der sowjetischen<br />
Besat-zungsmacht nicht bekannt war (im Anschluss an Urteil vom 13. Februar 1995 - 7 C<br />
53.94 - BVerwGE 98, 1 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 38).<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Beschluss vom 5. Dezember 2005, Az.: 7 B 81.05<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Die Kläger begehren die Rückübertragung von Grundstücken und die Feststellung der Entschädigungsberechtigung<br />
hinsichtlich weiterer Grundstücke in Berlin (Ost).<br />
Die Grundstücke wurden 1946 vom Bezirksamt Berlin-Mitte, Treuhandstelle <strong>für</strong> Sondervermögen,<br />
als Teil des Vermögens des vormals regierenden preußischen Königshauses gemäß<br />
Befehl 124 Ziff. 1 f. der SMAD vom 30. Oktober 1945 <strong>für</strong> beschlagnahmt erklärt. Sie wurden<br />
dann durch die „Bekanntmachung über weitere Einziehungen aufgrund des Gesetzes vom 8.<br />
Februar 1949 (Liste 3)“ vom 14. November 1949 enteignet.<br />
Das VG Berlin hat die Klage mit der Begründung, die Grundstücke seien auf besatzungshoheitlicher<br />
Grundlage enteignet worden, abgewiesen.<br />
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des VG<br />
Berlin vom 23. Juni 2005 hat das BVerwG mit oben genanntem Beschluss als unbegründet<br />
zurückgewiesen. Die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132<br />
Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das angefochtene Urteil beruhe auch nicht auf einer Abweichung von<br />
einer Entscheidung des BVerwG (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Grundsätzlich bedeutsam im<br />
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sei eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten<br />
Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer<br />
Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen<br />
Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten sei.<br />
Daran fehle es hier.<br />
Die Beschwerde hält zunächst die Frage <strong>für</strong> grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die nach<br />
Maßgabe der „Liste 3“ durchgeführten Enteignungen nur dann auf besatzungshoheitlicher<br />
Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG beruhend anzusehen sind, wenn der<br />
betreffende Vermögenswert in den Listen der Sequesterkommission verzeichnet war oder<br />
wenn die sowjetischen Besatzungsbehörden zumindest vor dem 5. Februar 1949 in sonstiger<br />
Weise Kenntnis von der zuvor erfolgten Beschlagnahme des Vermögenswertes erlangt<br />
hatten.<br />
Die vorgenannte Frage lasse sich aufgrund des Urteils des BVerwG vom 13. Februar 1995 -<br />
7 C 53.94 – (BVerwGE 98, 1 = NJ 1995, 328 = RGV B II 88) verneinen, ohne dass es hierzu<br />
der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.<br />
17
Danach beruhen auch nach Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 erfolgte Enteignungen<br />
auf besatzungshoheitlicher Grundlage, wenn sie unter der Oberhoheit der Besatzungsmacht<br />
und mit ihrer generellen Billigung in einer Weise in die Wege geleitet worden waren, die die<br />
Verantwortung der Besatzungsmacht <strong>für</strong> den weiteren Vollzug durch die deutschen Stellen<br />
begründete. Die vom sog. demokratischen Magistrat von Groß-Berlin nach Maßgabe der<br />
„Liste 3“ zum Gesetz der Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten<br />
vom 8. Februar 1949 beschlossenen Enteignungen von Vermögenswerten im<br />
sowjetischen Sektor von Berlin seien deshalb in der Regel auf besatzungshoheitlicher<br />
Grundlage erfolgt. Eine andere rechtliche Beurteilung ergebe sich auch nicht bereits dann,<br />
wenn der betreffende Vermögenswert zwar beschlagnahmt aber nicht in den Listen der Sequesterkommission<br />
verzeichnet war und die sowjetischen Besatzungsbehörden auch nicht in<br />
sonstiger Weise von der vor dem 5. Februar 1949 erfolgten Beschlagnahme Kenntnis erlangt<br />
hatten. Nach dem oben genannten Urteil komme es allein darauf an, ob die Beschlagnahme<br />
eines Vermögenswertes vor dem 5. Februar 1949 erfolgt war und nicht darauf, ob sie in den<br />
Listen der Sequesterkommission vermerkt oder den sowjetischen Behörden bekannt war.<br />
Wie das BVerwG in seinem Urteil ausgeführt hat, enthielt das Bestätigungsschreiben des<br />
sowjetischen Stadtkommandanten vom 9. Februar 1949 sinngemäß den Auftrag an den Magistrat,<br />
auch hinsichtlich der übrigen - nach dem Befehl Nr. 124 der SMAD vom 30. Oktober<br />
1945 - beschlagnahmten, nicht in den Listen 1 und 2 des Durchführungsbeschlusses zum<br />
Gesetz vom 8. Februar 1949 aufgeführten Vermögenswerte die in diesem Gesetz vorgesehene<br />
Entscheidung über die Enteignung oder die Rückgabe an die Eigentümer zu treffen.<br />
Denn anderenfalls wäre das rechtliche Schicksal dieser Vermögenswerte auf Dauer in der<br />
Schwebe geblieben. Dies gelte auch <strong>für</strong> die Vermögenswerte, die aufgrund des Befehls Nr.<br />
124 beschlagnahmt, aber nicht in den Listen der Sequesterkommission verzeichnet waren<br />
und deren Beschlagnahme der sowjetischen Militärverwaltung nicht bekannt gewesen sei.<br />
Auch deren Schicksal wäre anderenfalls auf Dauer in der Schwebe geblieben, was die<br />
sowjetische Militärverwaltung gerade vermeiden wollte. Dies genüge, um eine<br />
besatzungshoheitliche Enteignung zu bejahen. Es komme insoweit nicht darauf an, ob die<br />
Enteignung im Einzelfall dem Willen der Besatzungsmacht entsprochen habe.<br />
Weiter hat die Beschwerde die Frage <strong>für</strong> klärungsbedürftig gehalten, „ob eine aufgrund des<br />
SMAD-Befehls Nr. 124 erfolgte Bestellung des anwaltlichen Bevollmächtigten des betroffenen<br />
Eigentümers zum Sequester und damit zum Verwalter der Besatzungsmacht nichtig war<br />
und ob eine dergestalt nichtige Sequestration keine Tatbestandswirkung als Verwaltungsakt<br />
entfalten und daher keinen Zurechnungszusammenhang zur Besatzungsmacht vermitteln<br />
könne.“<br />
Auch zur Klärung dieser Frage bedürfe es, soweit sie entscheidungserheblich und nach revisiblem<br />
Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu beantworten sei, nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens.<br />
Nach dem vorbezeichneten Urteil des BVerwG vom 13. Februar 1995 - 7 C<br />
53.94 - seien „Liste 3-Enteignungen“ in aller Regel auf besatzungshoheitlicher Grundlage im<br />
Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG erfolgt, wenn die Vermögenswerte vor dem Februar<br />
1949 beschlagnahmt wurden. Beschlagnahmt worden seien nur Vermögenswerte, deren<br />
Beschlagnahme nach den damaligen Maßstäben wirksam war. Ob dies der Fall gewesen<br />
sei, sei nicht nach revisiblem Recht zu beurteilen. Vielmehr obliege dies der Sachverhaltsund<br />
Beweiswürdigung im Einzelfall, zu der gegebenenfalls auch Rechtsvorschriften der<br />
sowjetischen Besatzungsmacht heranzuziehen seien. Im vorliegenden Fall sei das VG zu<br />
dem Ergebnis gelangt, dass der Generalbevollmächtigte des Eigentümers zum Treuhänder<br />
der Treuhandstelle <strong>für</strong> Sondervermögen des Bezirksamts Berlin-Mitte bestellt worden sei,<br />
dies möge zwar ungewöhnlich erscheinen, stelle dessen tatsächliche Einsetzung als Treuhänder<br />
aber nicht in Frage. Insgesamt sei der tatsächliche Vollzug der ausgesprochenen<br />
Beschlagnahme jedoch nicht zweifelhaft. Damit habe das VG die Wirksamkeit der Beschlagnahme<br />
bejaht.<br />
Schließlich hielt die Beschwerde die Frage <strong>für</strong> grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob die nachträgliche<br />
Streichung von Vermögenswerten aus einer Liste von zu enteignenden<br />
Grundstücken als Widerruf oder Rücknahme einer Enteignungsentscheidung und zugleich<br />
als konkludente Aufhebung der zugrunde liegenden Beschlagnahme zu qualifizieren sei.“<br />
18
Auch diese Frage sei nicht grundsätzlich klärungsbedürftig und könne nur im Einzelfall unter<br />
Berücksichtigung des im Zeitpunkt der Streichung geltenden nicht revisiblen Rechts beantwortet<br />
werden.<br />
Im vorliegenden Fall sei das VG zu dem Ergebnis gelangt, weder die Beschlagnahme noch<br />
die Enteignung würden dadurch in Frage gestellt, dass die streitbefangenen Grundstücke<br />
nach den Angaben der Kläger zunächst auf der Liste C der sog. Konzernverordnung vom 10.<br />
Mai 1949 verzeichnet und bei deren späteren Reduzierung gestrichen worden seien. Man<br />
habe möglicherweise erkannt, dass es sich nicht um Grundvermögen einer Grundstücksgesellschaft<br />
oder um Wohnblockgrundstücke gehandelt habe und deshalb die Einordnung unter<br />
die vorgenannte Konzernverordnung unzutreffend gewesen sei. Dass die zuständigen<br />
Stellen damit die Beschlagnahme aufheben oder eine Enteignungsentscheidung rückgängig<br />
machen wollten, habe das VG - im Rahmen der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung<br />
des Einzelfalls - nicht angenommen.<br />
Das angefochtene Urteil beruhe auch nicht auf einer Abweichung von der in der Beschwerde<br />
bezeichneten Entscheidung des BVerwG (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).<br />
In dem Beschluss vom 16. November 1999 - 8 B 106.99 – (ZOV 2000, 190 = BARoV- RÜ <strong>04</strong>/<br />
2000 = Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 9) werde - unter ausdrücklichem Hinweis auf das<br />
Urteil vom 13. Februar 1995 - 7 C 53.94 - (a.a.O.) ausgeführt, dass eine Beschlagnahme<br />
nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 als solche keine über die Gründung der DDR hinaus<br />
fortdauernde Vollzugsverantwortung der damaligen Sowjetunion begründet habe. Vielmehr<br />
müsse, soll § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auch noch auf Enteignungen nach der Gründung<br />
der DDR angewandt werden, die Oberhoheit der Besatzungsmacht diese Enteignungen in<br />
die Wege geleitet haben.<br />
Dies stimme mit dem Urteil vom 13. Februar 1995 überein. Auch das VG gehe hiervon aus.<br />
Warum die „Liste 3-Enteignungen“ von der Besatzungsmacht in die Wege geleitet worden<br />
seien, werde in dem Urteil vom 13. Februar 1995 im Einzelnen begründet. Insbesondere<br />
werde auf das einen Auftrag an die deutschen Stellen enthaltene Bestätigungsschreiben des<br />
sowjetischen Stadtkommandanten vom 9. Februar 1949 hingewiesen.<br />
Anmerkungen:<br />
Die Behandlung der „Liste 3-Enteignungen“ war in der Vergangenheit strittig, weil teilweise<br />
die Auffassung vertreten wurde, § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG könne nicht greifen, weil es sich<br />
bei den betreffenden Entscheidungen um solche gehandelt habe, die außerhalb der Verantwortung<br />
der sowjetischen Besatzungsmacht ergangen sind. Das BVerwG hat mit seinem<br />
oben genannten Beschluss aus meiner Sicht keinen Zweifel daran gelassen, dass die „Liste<br />
3-Enteignungen“ in aller Regel auf besatzungshoheitlicher Grundlage nach der vorgenannten<br />
Rechtsvorschrift erfolgt sind. Auf eine Meldung der sequestrierten Grundstücke an die sowjetische<br />
Militäradministration oder gar deren Zustimmung komme es nicht an. Eine listenmäßige<br />
Erfassung sei ebenfalls nicht erforderlich. Dass der Vollzug der Enteignung nach der<br />
Liste 3 letztlich allein durch deutsche Stellen erfolgte, stellt die besatzungshoheitliche<br />
Grundlage der Enteignung nicht in Frage.<br />
Mitgeteilt von Klaus Ebell<br />
19
Rückübertragungsausschluss förmlicher Anordnung<br />
der Verwalterbestellung; Umwandlung<br />
einer Kinderkrippe in ein Kinderheim;<br />
Änderung der Zweckbestimmung eines Gebäudes<br />
§ 5 Abs. 1 Buchst. a VermG<br />
Leitsatz des Gerichts:<br />
Auch vor der endgültigen Entziehung eines Grundstücks durch dessen Inanspruchnahme<br />
nach dem Aufbaugesetz können Veränderungen von Grundstücken oder eines Gebäudes in<br />
ihrer Nutzungsart oder Zweckbestimmung, die mit einem erheblichen baulichen Aufwand<br />
verbunden sind, zu einem Ausschluss der Rückübertragung nach § 5 Abs. 1 Buchst. a<br />
VermG führen, wenn diese nach förmlicher Anordnung der staatlichen Verwaltung erfolgt<br />
sind, die später in eine Enteignung des Grundstücks einmündet.<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2005, Az.: 8 C 13.<strong>04</strong><br />
Tatbestand/Problem:<br />
Die Beteiligten streiten um die Rückübertragung zweier Grundstücke. Auf den Grundstücken<br />
befindet sich ein Gebäude, das ehemals als Villa, später als Wohnhaus <strong>für</strong> mehrere Familien<br />
diente. Die Beigeladene ist Erbeserbin der ehemaligen Grundstückseigentümerin.<br />
Anfang der 50er Jahre verließ die ehemalige Eigentümerin die DDR. Ab 1955 beherbergte<br />
das Gebäude eine Kinder-Tageskrippe. Die Grundstücke wurden 1962 unter die staatliche<br />
Verwaltung gemäß § 6 der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli<br />
1952 gestellt. Ab 1975 wurde das Gebäude zusätzlich als Kinderheim zur Dauerunterbringung<br />
und nach Auslagerung der Kindergrippe im Jahre 1987 ausschließlich als Kinderheim<br />
genutzt.<br />
Während der staatlichen Verwaltung wurden <strong>für</strong> die Grundstücke vier Aufbauhypotheken und<br />
Aufbaugrundschulden mit einem Nominalwert von insgesamt 66.100,00 M bestellt. Eine<br />
weitere, bereits 1961 bestellte Aufbaugrundschuld besaß einen Nominalwert von 9.400,00<br />
M.<br />
Auf Antrag des Rates der Stadt K. wurden die Grundstücke mit Bescheid des Rates des<br />
Kreises N. vom 20. Februar 1981 gemäß § 14 des Aufbaugesetzes der DDR in Anspruch<br />
genommen und in Volkseigentum überführt, nachdem sie zuvor im Register der Aufbaugebiete<br />
beim Bezirksbauamt Aufnahme gefunden hatten. Mit Feststellungsbescheid vom 15.<br />
September 1983 wurde zugunsten der Alteigentümerin eine Entschädigung in Höhe von<br />
5.200,00 M festgesetzt, der dem durch einen Sachverständigen festgestellten Verkehrswert<br />
entsprach. Die festgesetzte Entschädigung wurde mit den dinglich gesicherten Forderungen<br />
verrechnet.<br />
Die ursprüngliche Eigentümerin verstarb 1986 und wurde von der Rechtsvorgängerin der<br />
Beigeladenen beerbt. Diese beantragte im Mai 1991 die Rückübertragung der Grundstücke.<br />
Mit Bescheid der Oberfinanzdirektion Cottbus wurden die Grundstücke im August 1992 dem<br />
Rechtsvorgänger des Klägers, dem Landkreis N., zugeordnet, der das Gebäude in der Folgezeit<br />
als Einrichtung der Jugendhilfe zur Unterbringung von Kindern und Jugendlichen<br />
nutzte.<br />
Der Kläger als Amt zur Regelung offener Vermögensfragen stellte mit Bescheid vom 21. Juni<br />
1995 die Berechtigung der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen fest, lehnte aber eine<br />
Rückübertragung der Grundstücke ab. Eine Rückübertragung entfalle wegen § 5 Abs. 1<br />
21
Buchst. a VermG, da eine Änderung der Nutzungsart vorliege. Das Gebäude habe ursprünglich<br />
zu Wohnzwecken gedient, beherberge aber seit 1975 ein Kinderheim. Die Änderung der<br />
Nutzungsart sei auch mit einem erheblichen baulichen Aufwand einhergegangen, da in der<br />
Zeit von 1973 bis 1987 <strong>für</strong> Umbaumaßnahmen zur Verbesserung der Nutzungsmöglichkeiten<br />
ein Betrag von insgesamt 150.800,00 M aufgewandt worden sei. Es bestehe auch ein ernsthaftes<br />
öffentliches Interesse am Fortbestand der bisherigen Nutzung, was daran zu erkennen<br />
sei, dass nach 1991 etwa eine Million DM in das Gebäude investiert worden sei.<br />
Aufgrund des Widerspruchs der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen hob das Landesamt<br />
zur Regelung offener Vermögensfragen mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 1998<br />
den angegriffenen Bescheid auf und übertrug das Eigentum an den streitbefangenen<br />
Grundstücken auf die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen. Mit seiner Klage hat der Kläger<br />
der im Widerspruchsbescheid vertretenen Rechtsauffassung widersprochen und u. a. vorgetragen,<br />
dass in solchen Fällen, in denen die staatliche Verwaltung später in eine Enteignung<br />
münde, bereits die Anordnung der Verwaltung als Zeitpunkt des Vermögensverlustes angesehen<br />
werden müsse. Mit Urteil vom 5. Januar 20<strong>04</strong> hat das Verwaltungsgericht die Klage<br />
abgewiesen.<br />
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des materiellen<br />
Rechts durch das Verwaltungsgericht.<br />
Die Revision des Klägers war mit dem Ergebnis der Zurückweisung begründet. Das angefochtene<br />
Urteil verletze mit seiner entscheidungstragenden Annahme, § 5 Abs. 1 Buchst. a<br />
VermG setze voraus, dass die mit erheblichem Aufwand verbundene Veränderung des<br />
Grundstücks oder Gebäudes in seiner Nutzungsart oder Zweckbestimmung erst nach Verwirklichung<br />
eines Schädigungstatbestandes nach § 1 Abs. 1 bis 3 und 6 VermG erfolgt sein<br />
dürfe, Bundesrecht. Da mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht beurteilt werden<br />
konnte, ob das gesetzliche Merkmal des erheblichen baulichen Aufwandes erfüllt ist,<br />
und auch nicht abschließend geklärt war, ob ein öffentliches Interesse an der zukünftigen<br />
Nutzung der vollständigen Grundstücksfläche besteht, wurde die Sache an das Verwaltungsgericht<br />
zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverwiesen.<br />
Das Urteil ist in juris zitiert.<br />
Anmerkungen:<br />
§ 5 Abs. 1 VermG konkretisiert und ergänzt den Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 1<br />
VermG der unmöglichen Rückgabe kraft Natur der Sache und setzt damit die Vereinbarungen<br />
in Nr. 3 Buchst. a GemErkl. um, die einen sozialverträglichen Ausgleich zwischen<br />
Rückgabeinteresse und den der Rückgabe entgegenstehenden öffentlichen Interessen<br />
bezwecken.<br />
Den Tatbeständen des § 5 Abs. 1 VermG liegt die Absicht des Gesetzgebers zugrunde, bestimmte<br />
tatsächliche oder rechtliche Veränderungen der Nutzungsart oder Zweckbestimmung<br />
eines entzogenen Grundstücks oder Gebäudes, an deren Aufrechterhaltung ein überwiegendes<br />
öffentliches Interesse besteht, nicht durch die Wiederbegründung der früheren<br />
Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen.<br />
Das Bundesverwaltungsgericht stellt mit seinem Urteil klar, dass schon mit der förmlichen<br />
Anordnung der staatlichen Verwaltung, der später der eigentliche Entziehungsakt nachfolgt,<br />
der maßgebliche Zeitpunkt <strong>für</strong> die Berücksichtigung von Grundstücks- und Gebäudeveränderungen<br />
gegeben ist. Denn bereits mit dem Verlust der Verfügungsbefugnis hat der ursprünglich<br />
Berechtigte keine Möglichkeit mehr, Veränderungen zu verhindern. Der nach den DDR-<br />
Bestimmungen verfügungsberechtigte staatliche Verwalter hatte das Recht, seinerseits die<br />
<strong>für</strong> § 5 Abs. 1 VermG relevanten Veränderungen des Grundstücks oder des Gebäudes<br />
schon endgültig ins Werk zu setzen. Somit tritt die reale, faktische Schädigung des Eigentümers<br />
schon mit der förmlichen Anordnung der staatlichen Verwaltung ein. Sie vollendet sich<br />
allerdings erst später bei der endgültigen Entziehung des Vermögenswertes. Mit baulichen<br />
Maßnahmen einhergehende Veränderungen des Grundstücks und des Gebäudes im Sinne<br />
des § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG sollen damit, auch wenn sie vor Eintreten des endgültigen<br />
22
Entziehungstatbestandes erfolgten, nach Sinn und Zweck der Regelungen einen Restitutionsausschluss<br />
rechtfertigen.<br />
Auch wenn die staatliche Verwaltung aufgrund der Regelungen in § 1 Abs. 4 i. V. m. § 2 Abs.<br />
4 VermG als eine eigenständige Schädigungsmaßnahme im Sinne des Vermögensgesetzes<br />
anzusehen ist, die noch zu keiner endgültigen Entziehung des Vermögenswertes führte,<br />
setzt die Schädigung, die letztlich in den Entziehungsakt einmündete, bereits mit der förmlichen<br />
Anordnung der staatlichen Verwaltung ein. Mit der Anordnung der staatlichen Verwaltung<br />
konnte der Eigentümer nicht mehr über sein Eigentum verfügen. Er konnte es weder<br />
veräußern noch verschenken oder dingliche Rechte begründen. Dies geht aus den Anweisungen<br />
der DDR-Stellen vom 18. Juli 1952 zur Verordnung vom 17. Juli 1952 (vgl. Nr. 3.5.1.<br />
ff. der RWS-Dokumentation 7 - Enteignung und offene Vermögensfragen in der ehemaligen<br />
DDR, Band 1) hervor.<br />
Mitgeteilt von Ursula Richter<br />
23
Rückgabe-Liste „B“; Enteignungsverbot; besatzungshoheitlicher<br />
Zurechnungszusammenhang<br />
§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />
Leitsatz des Bearbeiters (nicht amtlich):<br />
Es kommt allein auf die Besonderheiten des Einzelfalles an, ob die Aufnahme eines Eigentümers<br />
in die von der sowjetischen Besatzungsmacht bestätigte Liste „B“ über die Rückgabe<br />
von Vermögenswerten und die zeitlich nach der Bestätigung der Liste durch deutsche Stellen<br />
vorgenommene Enteignung ein den besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhang<br />
unterbrechendes Enteignungsverbot darstellt.<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2005, Az.: 8 B 40.05<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Das BVerwG hat mit seinem oben genannten Beschluss die Entscheidung des VG Potsdam<br />
über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 11. Januar 2005 aufgehoben.<br />
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO<br />
zuzulassen. Der Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung zu, die mit der Divergenzrüge<br />
konkludent geltend gemacht ist.<br />
Ein Revisionsverfahren kann dem Senat Gelegenheit bieten, zur Frage Stellung zu nehmen,<br />
unter welchen Umständen die Aufnahme in eine von der sowjetischen Besatzungsmacht<br />
bestätigte Liste „B“ ausnahmsweise kein den besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhang<br />
unterbrechendes Enteignungsverbot darstellt.<br />
Anmerkungen:<br />
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 8 C<br />
28.05. fortgeführt.<br />
Mitgeteilt von Klaus Ebell<br />
25
Erhebliches Vorschubleisten gegenüber dem<br />
nationalsozialistischen System; Verstoß<br />
gegen die Grundsätze der Menschlichkeit<br />
und Rechtsstaatlichkeit; Gauredner;<br />
Bezirksredner; Amtsleiter NS-Ärztebund;<br />
Kreishauptstellenleiter; Amt <strong>für</strong><br />
Volksgesundheit; Beisitzer am<br />
Erbgesundheitsgericht; SA-Standartenarzt;<br />
§ 1 Abs. 4 1. und 3. Alt.,<br />
§ 5 AusglLeistG<br />
Leitsatz der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />
Zur Frage, inwieweit die Wahrnehmung von NSDAP-Funktionen auf Kreisebene das erhebliche<br />
Vorschubleisten i. S. d. § 1 Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG indiziert sowie ob und unter welchen<br />
Voraussetzungen das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung der 1. Alt. aus Hilfstatsachen<br />
hergeleitet werden kann.<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2005, Az.: 3 B 6.05<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Mit o. g. Beschluss wurde die Revision gegen das Urteil des VG Chemnitz vom 22. Juli 20<strong>04</strong><br />
- 9 K 530/01 - zugelassen.<br />
Die Rechtssache habe grundsätzlich Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.<br />
Das Revisionsverfahren könne im Anschluss an das Urteil des Senats vom 17. März 2005 -<br />
3 C 20.<strong>04</strong> - (Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 5) Gelegenheit zur Klärung der Fragen<br />
bieten, unter welchen Voraussetzungen die Wahrnehmung von Parteiämtern und -funktionen<br />
auf unterer oder mittlerer Ebene als erhebliches Vorschubleisten im Sinne des § 1 Abs. 4<br />
AusglLeistG anzusehen sei und unter welchen Voraussetzungen die Tätigkeit als Ärztlicher<br />
Beisitzer im Erbgesundheitsgericht gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit<br />
im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG verstößt oder als erhebliches Vorschubleisten<br />
im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG zu werten sei.<br />
Anmerkungen:<br />
Zum Ausgangsurteil vgl. ausführlich die Wiedergabe in der RÜ 05/2005.<br />
Es erstaunt, dass der 3. Senat die Funktionen, die der Geschädigte auf Kreisebene und<br />
sogar Gauebene eingenommen hat sowie nicht zuletzt auch den hohen SA-Rang im Revisionszulassungsbeschluss<br />
als solche auf „unterer oder mittlerer Ebene klassifiziert“ (vgl.<br />
hierzu auch den „offener“ formulierten Zulassungsbeschluss vom 27. Dezember 2005 - 3 B<br />
32.05 - zum Urteil des VG Dresden vom 15. September 2005 - 4 K 238/03 - BARoV-RÜ<br />
02/<strong>2006</strong>).<br />
Zum rassistischen Charakter und der antihumanen Anwendung des Gesetzes zur Verhütung<br />
erbkranken Nachwuchses (RGBl. I, 529) vergleiche Eckhard Heesch, Nationalsozialistische<br />
Zwangssterilisierungen psychiatrischer Patienten in Schleswig-Holstein, in: Demokratische<br />
Geschichte, Jahrbuch zur Arbeiterbewegung und Demokratie in Schleswig-Holstein 9/1995,<br />
S. 55 ff.; Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus, Studien zur Rassenpolitik<br />
und Frauenpolitik, VS Verlag <strong>für</strong> Sozialwissenschaften 2002.<br />
Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />
27
Schwerwiegender Missbrauch der Stellung<br />
zum eigenen Vorteil bzw. Nachteil anderer;<br />
Ausnutzen der Verfolgungslage; legaler<br />
Erwerb<br />
§ 1 Abs. 4 2. Alt. AusglLeistG;<br />
§ 15 Abs. 2 RepG<br />
Leitsätze des Gerichts:<br />
Leitsatz der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />
Zur Frage, ob der unbestimmte Rechtsbegriff des „in schwerwiegendem Maße seine Stellung<br />
zum eigenen Vorteil oder Nachteil anderer missbraucht“ zu haben, einer restriktiven Auslegung<br />
bedarf oder die Unangemessenheit einer Gegenleistung gemäß § 15 Abs. 2 RepG zur<br />
Erfüllung dieses Ausschlusstatbestandes ausreicht und somit § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt.<br />
VermG weit auszulegen ist.<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
VG Gera, Urteil vom 26. Januar <strong>2006</strong>, Az.: 6 K 617/<strong>04</strong><br />
Tatbestand/Problem:<br />
Streitig ist das Vorliegen des Ausschlussgrundes des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt. VermG im<br />
Hinblick auf den geltend gemachten Entschädigungsanspruch gemäß § 7 a Abs. 3 c VermG.<br />
Der Rechtsvorgänger der Kläger hatte das verfahrensgegenständliche Grundstück erheblich<br />
unter Einheitswert 1938 von rassisch Verfolgten erworben und zudem eine sog. Arisierungsabgabe<br />
nach der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember<br />
1938 (RGBl. I, S. 1709) entrichten müssen. Der Antrag auf Rückübertragung wegen einer<br />
Schädigung gem. § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG wurde wegen § 3 Abs. 2 VermG zurückgewiesen.<br />
Die beantragte Entschädigung wurde vom StARoV wegen Missbrauchs der Stellung i. S. d.<br />
§ 7 a Abs. 3 Satz 2 2. Alt. VermG abgelehnt.<br />
Das VG gab der Klage gegen die Ablehnung der Entschädigung unter Berufung auf die<br />
Gesetzesbegründung zum Vermögensrechtsanpassungsgesetz (BGBl. I 1995, 985 - Verm-<br />
RAnpG) mit im Wesentlichen folgender Begründung statt:<br />
Entgegen der Ansicht des Beklagten sei der unbestimmte Rechtsbegriff des in „schwerwiegenden<br />
Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht“<br />
zu haben, ebenso wie die beiden anderen Ausschlussalternativen des § 7 a Abs. 3 b Satz 2<br />
VermG, restriktiv auszulegen. Da<strong>für</strong> sprächen insbesondere der Wortlaut des § 7 a Abs. 3 b<br />
Satz 2 VermG und die Gesetzessystematik.<br />
Sinn und Zweck der Einführung des § 7 a Abs. 3 b VermG sei gewesen, dem Erwerber von<br />
NS-Verfolgtenvermögen neben dem Anspruch auf Herausgabe des (20 : 1 umgewerteten)<br />
Kaufpreises einen Anspruch auf Entschädigung einzuräumen. Ausgenommen von dem<br />
(höheren) Entschädigungsanspruch seien diejenigen, welche einen der in § 7 a Abs. 3 b<br />
Satz 2 VermG drei genannten Ausschlussgründe erfüllen. Dabei sei der Wortlaut der<br />
„Unwürdigkeitsregelung“ des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG mit dem Wortlaut der Regelung<br />
des § 1 Abs. 4 AusglLeistG identisch. Diese Kongruenz sei seitens des Gesetzgebers beabsichtigt<br />
gewesen, um zu gewährleisten, dass eine „Gleichbehandlung mit denjenigen Erwerbern<br />
oder ihren Rechtsnachfolgern erreicht [wird], denen der zwischen 1933 und 1945<br />
29
erworbene Vermögenswert unter sowjetische Besatzungshoheit (1945 - 1949) wieder entzogen<br />
worden ist und die da<strong>für</strong> einen Anspruch nach § 1 Abs. 1 des Ausgleichsleistungsgesetzes<br />
haben“ (Bundestagsdrucksache 13/1593 vom 1. Juni 1995). Dem entsprechend könne<br />
im Zusammenhang mit den Ausschlussgründen des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG auf die zu<br />
§ 1 Abs. 4 AusglLeistG entwickelte Rechtsprechung zurückgegriffen werden (vgl. BVerwG,<br />
Urteil vom 17. März 2005 - 3 C 20/<strong>04</strong> - zitiert nach juris).<br />
Es sei Sinn und Zweck der Ausschlussregelung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG und damit auch<br />
des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG, „lediglich“ die Hauptverantwortlichen der zu revidierenden<br />
Unrechtsmaßnahmen vom Entschädigungsanspruch auszuschließen (BVerwG, Urteil vom<br />
17. März 2005 - 3 C 20.<strong>04</strong> - zitiert nach juris). Nicht jeder Missbrauch einer Stellung zum<br />
eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer und nicht jedes Vorschubleisten zugunsten des<br />
nationalsozialistischen oder kommunistischen Systems in der sowjetisch besetzten Zone<br />
oder der DDR reichten aus. Vielmehr sei in allen Fällen eine „gewisse Erheblichkeit“ erforderlich,<br />
welche - mit Ausnahme der 1. Alternative des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG - auch<br />
durch den Wortlaut dokumentiert werde. So werde ein „erhebliches“ Vorschubleisten oder<br />
der Missbrauch einer Stellung in „schwerwiegendem“ Maße verlangt. Aufgrund des Regelungszwecks<br />
des VermG und des AusglLeistG, welche auf Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit<br />
und Menschlichkeit basiert, wäre anderenfalls im Regelfall eine Unwürdigkeit zu<br />
bejahen. Dies würde jedoch dem Ausnahmecharakter der Unwürdigkeitsregelung nicht gerecht<br />
werden. Vielmehr müsste dann der Ausnahmetatbestand als Regelfall anzunehmen<br />
sein. Dass dies vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sei, mache die amtliche<br />
Begründung, aber auch die Gesetzessystematik deutlich.<br />
Das Vermögensgesetz sei im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung der Bundesrepublik<br />
und der DDR und zur Wiederherstellung des Eigentums bzw. der Rechtsinhaberschaft<br />
über Vermögenswerte im Sinne von § 2 Abs. 2 VermG, die durch der DDR-Staatsmacht<br />
zurechenbare staatliche Hoheitsakte entzogen oder rechtsgeschäftlich veräußert bzw. aufgegeben<br />
wurden, bzw. zur Aufhebung staatlicher Verwaltungen über Vermögenswerte<br />
geschaffen worden. Darüber hinaus habe es über § 1 Abs. 6 VermG auf vermögensrechtliche<br />
Verfügungen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis 8. Mai 1945 Anwendung gefunden,<br />
welche von Bürgern oder Vereinigungen, die aus rassischen, politischen, religiösen oder<br />
weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von<br />
Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Dabei trage das<br />
Vermögensgesetz dem Entzug von Vermögenswerten im Sinne § 2 Abs. 2 VermG aufgrund<br />
von Rechtsakten, welche unvereinbar mit rechtsstaatlichen Grundsätzen seien Rechnung, so<br />
dass insbesondere unter Berücksichtigung des Ausschlusstatbestandes des Verstoßes<br />
gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit nicht jeder Verstoß zur<br />
Unwürdigkeit im Sinne § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG führen könne. Die Vorschrift liefe aufgrund<br />
ihrer Schaffung als „Wiedergutmachungsgesetz“ <strong>für</strong> Rechtsstaatsverstöße sonst ins<br />
Leere.<br />
Durch die „Alliierten-Regelung“ des Art. 3 REAO werde deutlich, dass es im maßgeblichen<br />
Zeitraum verbreitet war, NS-Verfolgtenvermögen erheblich unter dem Verkehrswert bzw.<br />
sogar unter dem Einheitswert zu verkaufen und dass das Vermögensgesetz die Erwerber<br />
gerade im Nachgang derartiger Veräußerungen schützen wollte. Wäre es dem Gesetzgeber<br />
im Zusammenhang mit der Einführung des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG darauf angekommen,<br />
gerade diese Fälle vom Wahlrecht zwischen Kaufpreis und Entschädigung auszunehmen,<br />
hätte ein Verweis auf die Vorschrift des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG ausgereicht. Ebenso<br />
wäre ein Verweis auf die Legaldefinition der unangemessenen Gegenleistung im Sinne § 15<br />
Abs. 2 RepG im Wortlaut der „Unwürdigkeitsvorschrift“ ausreichend gewesen. Überdies hätte<br />
es der Einführung der Unwürdigkeitsklausel in § 7 a Abs. 3 b VermG insgesamt nicht bedurft,<br />
da bei den anspruchsbegründenden Restitutionshandlungen, welche die Anwendbarkeit des<br />
VermG eröffnen, immer gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen worden sei. Vielmehr<br />
sei der Anwendungsbereich des § 7 a Abs. 3 b und Abs. 3 c VermG erst in den Fällen des §<br />
1 Abs. 6 VermG eröffnet, da die Vorschriften ausdrücklich auf § 1 Abs. 6 VermG verwiesen.<br />
Der daher erforderlichen engen Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe habe auch die<br />
Rechtsprechung in ihren Entscheidungen zu der ersten und dritten Ausschlussalternative<br />
30
des § 1 Abs. 4 AusglLeistG Rechnung getragen, wobei zu berücksichtigen sei, dass alle drei<br />
Ausschlussgründe eine - in der Schwere des Verstoßes vergleichbare - gewisse Erheblichkeit<br />
erfordern würden, insoweit folglich eine Gleichwertigkeit der Ausschlussgründe gegeben<br />
sei (VG Dresden, Urteil vom 30. Juli 2003 - 4 K 1228/01 -; VG Leipzig, Urteil vom 20. August<br />
20<strong>04</strong> - 1 K 340/03 - ZOV 2005, 405 ff.; VG Berlin, Urteil vom 18. März 2005 - 31 A 492.03 –<br />
(ZOV 2005, 189) zitiert nach juris).<br />
Soweit der Beklagte der Ansicht sei, dass unter Verweis auf die amtliche Begründung zum<br />
VermRAnpG und den dortigen Hinweis auf § 15 Abs. 2 RepG (BT-Drucks. 13/1593 vom 1.<br />
Juni 1995, a. a. O.) jedes Ausnutzen der Verfolgungslage ausreiche, um in „schwerwiegendem<br />
Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder Nachteil anderer missbraucht“ zu haben<br />
und folglich der Ausschlussgrund weit auszulegen sei, stehe sowohl der Wortlaut des Ausschlussgrundes<br />
des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG entgegen als auch die Formulierung der<br />
amtlichen Begründung zum VermRAnpG selbst.<br />
Dieser Wortlaut sei mit dem der verfahrensgegenständlichen „Unwürdigkeitsklausel“ in keiner<br />
Hinsicht vergleichbar oder ähnlich. In § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1.b RepG knüpfe die Verneinung<br />
der Entschädigung u. a. an das Erfordernis einer unangemessenen Gegenleistung<br />
an, wobei dies grundsätzlich ein ausschließlich objektiv geprägtes Ausschlusselement sei.<br />
Dies werde durch die Definition der „unangemessenen Gegenleistung“ in den Sätzen 3 bis 6<br />
des § 15 Abs. 2 RepG deutlich, welche an das Verhältnis Verkehrswert und tatsächliche<br />
geldwerte Leistung anknüpfe. In Ausnahmefällen könne die Unangemessenheit einer Gegenleistung<br />
durch besondere Umstände, welche eine Ausnahme von der Regel rechtfertigten,<br />
widerlegt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1972 – III C 41/71 - BVerwGE<br />
41, 145).<br />
Dabei könnten auch „subjektive“ Umstände entscheidungserheblich sein. Es werde deutlich,<br />
dass die Anforderungen an die Erheblichkeit des Rechtsverstoßes und damit die Versagung<br />
einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 RepG geringer seien, als die Anforderungen an die<br />
„Unwürdigkeit“ im Sinne § 1 Abs. 4 AusglLeistG bzw. § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG. Die<br />
Letztgenannten setzten bereits nach dem Wortlaut eine subjektive Komponente voraus<br />
(„missbrauchen“, „erheblich Vorschub leisten“).<br />
Liege eine unangemessene Gegenleistung im Sinne § 15 Abs. 2 RepG vor, sei lediglich der<br />
Raum <strong>für</strong> eine Prüfung der Ausnahmeregelung des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt. VermG eröffnet,<br />
d. h. es bestehe somit ein „Anfangsverdacht“ bzgl. eines „Unwürdigkeitstatbestandes“.<br />
Dass mit einer unangemessenen Gegenleistung gleichzeitig auch ein schwerwiegender<br />
Missbrauch der eigenen Stellung erfüllt sei, formuliere der Gesetzgeber in seiner amtlichen<br />
Begründung nicht. Vielmehr sage er lediglich, dass bei einem Ausnutzen der Verfolgungslage<br />
regelmäßig der Ausschlussgrund des § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt. VermG gegeben sei<br />
und der Erwerber nicht „loyal“ beim Erwerb des Vermögenswertes zwischen dem 30. Januar<br />
1933 und 8. Mai 1945 gehandelt habe. Dabei verwende der Gesetzgeber jedoch ebenfalls<br />
unbestimmte Rechtsbegriffe („loyal“, „Ausnutzen der Verfolgungslage“). Wann jedoch ein<br />
Erwerber „loyal“ sei bzw. handele oder wann eine Verfolgungslage als ausgenutzt gelte,<br />
führe der Gesetzgeber in seiner amtlichen Begründung nicht näher aus, sondern verweise<br />
vielmehr auf die Gleichbehandlung mit der Regelung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG.<br />
Im Ergebnis sei eine am Sinn und Zweck der „Unwürdigkeitsklausel“, die Hauptverantwortlichen<br />
<strong>für</strong> die zu revidierenden Unrechtsmaßnahmen nicht zu entschädigen, und der Ausnahmeregelung<br />
gerecht werdende restriktive Auslegung des Tatbestandes „in schwerwiegendem<br />
Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder Nachteil anderer missbraucht“ zu haben,<br />
erforderlich.<br />
Eine missbrauchte „Stellung“ könne sowohl politischer als auch wirtschaftlicher Art sein, wobei<br />
sie aber im Wesentlichen mit dem Begriff der Funktion im nationalsozialistischen oder<br />
kommunistischen System gleichzusetzen sei (vgl. Weskamm: Kimme, Offene Vermögensfragen,<br />
Bd. 3, Stand: Oktober 2005, § 1 AusglLeistG, Rdnr. 145). Eine Stellung sei dann<br />
missbraucht worden, wenn der Funktionsträger oder sonst Systembegünstigte sich diese -<br />
31
nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit dem Erwerb - zunutze gemacht habe, um<br />
Vorteile zu erlangen, auf die er nach rechtsstaatlichen Grundsätzen keinen Anspruch hatte<br />
oder wenn er sie genutzt habe, um anderen aus einer nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen<br />
entsprechenden Ausübung heraus Nachteile zuzufügen (vgl. Weskamm: Kimme a. a. O., § 1<br />
AusglLeistG, Rdnr. 146). Dabei sei auf einen „schwerwiegenden“ Missbrauch seiner Stellung<br />
zur Erlangung von Vorteilen oder Schaffung von Nachteilen abzustellen. Eines „schwerwiegenden“<br />
Nachteils oder erheblichen Vorteils bedürfe es nach dem Wortlaut nicht. Das Merkmal<br />
des „schwerwiegenden Missbrauchs“ sei subjektiv geprägt, so dass es auf das Bewusstsein<br />
des Stellungsinhabers ankomme, seine Stellung kausal <strong>für</strong> eigene Vorteile oder<br />
Nachteile anderer in erheblichem Maß zu missbrauchen. Der erlangte Vorteil oder Nachteil<br />
anderer könne mangels näherer Eingrenzung im Gesetzestext sowohl geldwerter als auch<br />
immaterieller Natur sein. Im Rahmen dieses Tatbestandsmerkmales könne auf die Grundsätze<br />
der unangemessenen Gegenleistung in § 15 Abs. 2 RepG zurückgegriffen werden (vgl.<br />
Weskamm: Kimme a. a. O., § 1 AusglLeistG, Rdnr. 148 f.; BT-Drucks. 13/1593 vom 1. Juni<br />
1995; http://dip.bundestag.de/btd/13/015/1301593.asc).<br />
Der erlangte eigene Vorteil des Vaters bzw. Schwiegervaters der Kläger bestehe in der aus<br />
der unangemessenen Gegenleistung resultierenden Ersparung von Aufwendungen <strong>für</strong> den<br />
Erwerb eines Grundstücks. Dazu habe bereits das Verwaltungsgericht Weimar in seinem<br />
Urteil vom 4. Dezember 1996 - 6 K 1771/95.We - (Seite 8 bis 12 des genannten Urteils) im<br />
Zusammenhang mit der Prüfung der Widerlegung der Rechtsvermutung des Zwangsverkaufes<br />
oder Verlustes auf sonstige Weise gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i. V. m. Art. 3<br />
Abs. 2 REAO Ausführungen gemacht, auf welche sich die Kammer beziehe. Der Grundstückseinheitswert<br />
habe, wenn auch erst nach rückwirkender Feststellung durch Bescheid<br />
vom 4. November 1957, 25.100,00 DM betragen. Der im Zeitpunkt des Erwerbes des Grundstücks<br />
festgesetzte Einheitswert habe zwar lediglich 14.800,00 RM betragen, jedoch selbst<br />
unter Berücksichtigung dieses Einheitswertes habe der Rechtsvorgänger der Kläger einen<br />
wirtschaftlichen Vorteil erlangt.<br />
Er sei aber weder Inhaber einer Stellung noch sei ihm ein schwerwiegender Missbrauch im<br />
Sinne § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt. VermG nachzuweisen.<br />
Allein die Mitgliedschaft in der NSDAP sei nicht ausreichend und stelle keine Funktion im<br />
nationalsozialistischen System dar. Darüber hinaus könne das Ausnutzen einer wirtschaftlichen<br />
Überlegenheit, die jemand nur deshalb inne hatte, weil er kein verfolgter jüdischer Bürger<br />
gewesen sei, ebenso wenig <strong>für</strong> das Innehaben einer Stellung ausreichen. Vielmehr seien<br />
weitere Anhaltspunkte - an denen es hier mangele - erforderlich, um eine besondere, wenn<br />
auch nur besondere wirtschaftliche Stellung zu begründen.<br />
Ebenso wenig liege ein schwerwiegender Missbrauch vor. Zwar habe der damalige Erwerber<br />
einen ausgesprochen geringen Kaufpreis gezahlt und mit 26 Jahren - unter Aufwendung<br />
sämtlicher finanzieller Mittel - ein Grundstück mit Wohn- und Geschäftshaus erworben. Im<br />
Hinblick auf die Gesamtumstände des Grundstückserwerbs sei anzunehmen, dass er die<br />
Verfolgungslage der ursprünglichen Eigentümerinnen ausgenutzt habe. Jedoch sei der Verkauf<br />
von jüdischem Grundeigentum in der NS-Zeit von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit<br />
- insbesondere im Hinblick auf den Kaufpreis (vgl. § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i. V. m. Art.<br />
3 Abs. 3 REAO) - geprägt, so dass es weiterer Anhaltspunkte bedürfe, um einen schwerwiegenden<br />
Missbrauch zu begründen. Diese lägen beispielsweise vor, wenn der Kaufpreis<br />
durch den Erwerber unter Ausnutzung oder Verweis auf seine Zugehörigkeit zu den NS-<br />
Verfolgern bewusst heruntergehandelt worden wäre. Dies sei jedoch nicht ersichtlich, so<br />
dass davon auszugehen sei, dass der Kaufpreis bereits von Anfang an feststand.<br />
Insofern sei nicht bewiesen, dass der Erwerber sich einer „exponierten Stellung“ gegenüber<br />
den jüdischen Veräußerern bewusst gewesen sei und er aufgrund der ihm bewussten<br />
Machtbefugnisse die Bedingungen des Kaufvertrages (z. B. den Kaufpreis) bestimmt habe.<br />
32
Anmerkungen:<br />
Gegen die o. g. Entscheidung wurde gemäß § 135 VwGO die Revision zum Bundesverwaltungsgericht<br />
zugelassen. Dem VG zufolge liege der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen<br />
Bedeutung der Rechtssache vor (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Frage, ob<br />
der unbestimmte Rechtsbegriff des „in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen<br />
Vorteil oder Nachteil anderer missbraucht“ zu haben einer restriktiven Auslegung bedürfe<br />
oder die Unangemessenheit einer Gegenleistung gemäß § 15 Abs. 2 RepG zur Erfüllung<br />
dieses Ausschlusstatbestandes ausreiche und somit § 7 a Abs. 3 b Satz 2 2. Alt. VermG weit<br />
auszulegen sei, sei in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt und diene der Wahrung und<br />
Fortentwicklung der (Bundes-)Rechtsordnung.<br />
Das VG Gera erteilt der bisherigen Auslegung durch die Behörden zur Regelung offener<br />
Vermögensfragen, die sich entsprechend der Gesetzesbegründung an der Regelung des §<br />
15 Abs. 2 RepG und damit vor allem an der Zahlung eines im Sinne dieser Regelung angemessenen<br />
Kaufpreises orientiert, eine Absage.<br />
Der Gesetzgeber bringt deutlich zum Ausdruck, dass (nur) den „loyalen Erwerbern“ von NS-<br />
Verfolgtenvermögen die Möglichkeit eröffnet werden soll, Entschädigung nach Entschädigungsgesetz<br />
- EntschG - zu erhalten. Nur diesem Personenkreis gegenüber soll die Härte<br />
abgemildert werden, die sich aus der Abwertung des ihnen nach Abs. 2 zustehenden Erstattungsbetrages<br />
auf Rückzahlung des beim Erwerb gezahlten (und tatsächlich zugeflossenen)<br />
Kaufpreises ergeben würde (BT-Drucks. 13/1593). Mit der Einführung des Begriffes der<br />
„Loyalität“ in die Gesetzesbegründung stellt der Gesetzgeber den Bezug zum Gesetz zur<br />
Abgeltung von Reparations-, Restitutions-, Zerstörungs- und Rückerstattungsschäden -<br />
Reparationsschädengesetz - RepG - vom 12. Februar 1969 her (BGBl. I S. 105). Der Begriff<br />
der „Loyalität“ entstammt der Diskussion um die Einführung eines Entschädigungsgesetzes<br />
in den 60er Jahren, die schließlich zur Verkündung des RepG führte (vgl. Jürgen Lillteicher,<br />
Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg,<br />
Diss. WS 2002s/2003, S. 391 ff., 407, 413 ff., 416).<br />
Der Anwendungsbereich des § 7 a Abs. 3 c VermG ist eröffnet, wenn ein Erwerber von<br />
Verfolgtenvermögen wegen des nach § 3 Abs. 2 VermG vorrangigen Anspruches des NS-<br />
Verfolgten gemäß § 1 Abs. 6 VermG von der Rückübertragung ausgeschlossen ist.<br />
Dabei verkennt das VG, dass die Vorschrift des § 15 Abs. 2 RepG eine erheblich niedrigere<br />
Schwelle bei der Prüfung der Angemessenheit des Kaufpreises als Tatbestandsvoraussetzung<br />
aufweist als § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i. V. m. Art. 3 REAO und kommt deshalb auch<br />
zur fehlerhaften Schlussfolgerung, dass „bei anspruchsbegründenden Restitutionshandlungen,<br />
welche die Anwendbarkeit des VermG eröffnet, immer gegen rechtsstaatliche Grundsätze<br />
verstoßen wurde“ (UA, S. 14).<br />
Damit meint die Kammer wohl, dass der Erwerber deshalb „zwangsläufig“ bei einem Kauf<br />
von einem NS-Verfolgten gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen hat, weil dem NS-<br />
System als solchem durch die rassische Ausgrenzung und Außerrechtstellung der Juden<br />
und übrigen NS-Verfolgten die Rechtsstaatswidrigkeit immanent war.<br />
Bei der sog. Entziehungsvermutung des Art. 3 REAO handelt es sich zunächst um eine<br />
Beweiserleichterungsvorschrift <strong>für</strong> Rechtsgeschäfte Verfolgter zwischen dem 30. Januar<br />
1933 und dem 8. Mai 1945. Sie hatte - aufgrund der vordergründigen „Neutralität“ jedes<br />
Rechtsgeschäfts - zum Zweck, die Verfolgten vom Nachweis der Kausalität der Verfolgung<br />
<strong>für</strong> die Veräußerung zu befreien, nicht - wie das VG ausführt (UA, S. 13), deutlich zu<br />
machen, „dass es im maßgeblichen Zeitraum verbreitet war, NS-Verfolgtenvermögen erheblich<br />
unter dem Verkehrswert bzw. sogar unter dem Einheitswert zu verkaufen“.<br />
Nach Art. 3 Abs. 1 REAO gelten bspw. Grundstücksverkäufe von Verfolgten in dieser Zeit als<br />
verfolgungsbedingt („ungerechtfertigte Entziehungen“) und damit restitutionsbegründend,<br />
sofern der damalige Erwerber (vor dem 15. September 1935) diese Entziehungsvermutung<br />
nicht nach Abs. 2 widerlegen kann. Hier<strong>für</strong> muss er (kumulativ) nachweisen (1.), dass er<br />
einen angemessenen Kaufpreis bezahlt hat.<br />
33
Zusätzlich muss der Erwerber nach Art. 3 Abs. 2 REAO (2.) den Nachweis erbringen, dass<br />
der Kaufpreis in die freie Verfügung des Verfolgten gelangt ist. Selbst wenn also ein Erwerber<br />
von Verfolgtenvermögen den Nachweis der Zahlung eines angemessenen Kaufpreises<br />
erbracht hat, kann ihm dennoch die volle Widerlegung der Entziehungsvermutung nicht<br />
gelingen, wenn der Kaufpreis nicht in die freie Verfügung des Verfolgten gelangt ist, bspw.<br />
weil er auf ein Devisensperrkonto eingezahlt werden musste. Weil dies vom Erwerber im<br />
Regelfall nicht zu vertreten war, wurde dies vom Gesetzgeber des § 15 Abs. 2 RepG nicht<br />
gefordert (vgl. BT-Drucks. V/2432, S. 61 Nr. 3).<br />
Zur Frage, welcher Kaufpreis angemessen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 2. HS REAO ist, wird<br />
aber im Gegensatz zum RepG an den - hundertprozentigen - Verkehrswert angeknüpft. Mit<br />
der Festlegung der angemessenen Gegenleistung auf „mindestens 90 vom Hundert des<br />
gemeinen Werts (Verkehrswert) des Wirtschaftsguts im Zeitpunkt der Entziehung“ in § 15<br />
Abs. 2 RepG wollte der damalige Gesetzgeber ja gerade den sog. „Rückerstattungsschaden“<br />
eines „loyalen“ Erwerbers ersetzen, der sich aus der nach der „Alliiertenregelung“ bestehenden<br />
Rückgabeverpflichtung ergab. Dem damaligen Gesetzgeber erschien es „unter Berücksichtigung<br />
der damaligen Lage“ „vertretbar, bei der Angemessenheit der Gegenleistung eine<br />
gewisse Toleranz (10 v. H. des Verkehrswertes) vorzusehen“ (vgl. BT-Drucks. V/2432, S.<br />
61).<br />
Im Übrigen ist der Tatbestand nicht an eine derartige qualifizierte Stellung eines Erwerbers<br />
geknüpft, aus der sich eine Beschränkung auf einen bestimmten Personenkreis entnehmen<br />
ließe. Im Sinne dieses Ausschließungsgrundes eine Stellung begründend und da<strong>für</strong> ausreichend<br />
ist die Tatsache, dass der Erwerber in Kenntnis der Situation einem Veräußerer<br />
gegenüber stand, der sich als NS-Verfolgter in einer Notlage befand und der sich deshalb zu<br />
einem Verkaufabschluss nur unterhalb des Verkehrswertes genötigt sah.<br />
Das LARoV hat die Revision eingelegt. Das Revisionsverfahren ist unter dem Az.: 8 C 5.06<br />
anhängig.<br />
Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />
34
Erstreckung der Prüfung von Ausschlussgründen<br />
auf denjenigen, auf den die Enteignung<br />
auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher<br />
Grundlage abzielte; Gauredner,<br />
NSDAP; Staatsrat; Kreisbauernführer<br />
§ 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />
Leitsätze der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />
1. Der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG beinhaltet ein Surrogat<br />
<strong>für</strong> den nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossenen Restitutionsanspruch. Dieses<br />
Surrogat knüpft an die entsprechende Enteignung an, die auch dann als wirksam<br />
anzusehen ist, wenn sie gegen einen bereits Verstorbenen gerichtet war (BVerwG, Urteil<br />
vom 28. Juli 1994 - 7 C 14.94 - BVerwGE 96, 253 ff., 256 ff. = NJ 1995, 153 = Buchholz<br />
112 § 1 VermG Nr. 27 = RGV B II 67). Diese Verknüpfung von Enteignung und<br />
Ausgleichsleistungsanspruch rechtfertigt es, auch <strong>für</strong> den Surrogatanspruch auf die<br />
entschädigungslose Enteignung Bezug zu nehmen und denjenigen in die Prüfung von<br />
Ausschlussgründen einzubeziehen, auf den diese Enteignung abgezielt und den sie nur<br />
wegen seines zuvor eingetretenen Todes verfehlt hat.<br />
2. Nach der in § 1 Abs. 4 AusglLeistG zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers<br />
führt schließlich nicht bereits der Umstand zu einer Aufhebung des Anspruchsausschlusses,<br />
dass jedenfalls dem oder den Erben kein erhebliches Vorschubleisten im<br />
Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG zur Last fällt. Es ist gerade nicht so, dass unbelasteten<br />
Erben auf jeden Fall ein Anspruch auf Ausgleichsleistung gewährt werden sollte. Der<br />
Anspruch ist und bleibt verwirkt. Vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Regelung<br />
ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Wertung anders ausfallen sollte, nur weil der frühere<br />
durch ein Vorschubleisten belastete Eigentümer vor der Enteignung verstorben ist,<br />
wenn – wie hier – gerade seine Belastung der Grund <strong>für</strong> den Zugriff auf den Vermögenswert<br />
und die entschädigungslose Enteignung war (Bestätigung des Urteils vom 24. Februar<br />
2005 - 3 C 16.<strong>04</strong> - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 4 = ZOV 2005, 231).<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Urteil vom 23. Februar <strong>2006</strong>, Az.: 3 C 22.05<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Das LARoV Thüringen hatte die Gewährung einer Ausgleichsleistung <strong>für</strong> den nach dem Gesetz<br />
über die Bodenreform im Lande Thüringen vom 10. September 1945 (RegBl. I S. 13)<br />
enteigneten, unter 100 ha großen Betrieb abgelehnt, da derjenige, dem die Enteignung<br />
gegolten hatte, dem NS-System erheblichen Vorschub i. S. d. § 1 Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG<br />
geleistet hätte. Der Geschädigte Paul J. hatte nach den Sachverhaltsfeststellung in Thüringen<br />
zur NS-Zeit führende Positionen bekleidet. Er war im Oktober 1931 in die NSDAP eingetreten<br />
und seit 1930 Gauredner der NSDAP. Vom 31. Juli 1932 bis zu dessen Auflösung<br />
am 14. Oktober 1933 war er <strong>für</strong> die NSDAP Abgeordneter im Thüringer Landtag. Von August<br />
1932 bis zu seinem Tod im Januar 1942 gehörte er zunächst als gewählter und dann ab Mai<br />
1933 als vom Reichsstatthalter in Thüringen ernannter Staatsrat den nationalsozialistischen<br />
Landesregierungen an. Daneben war er unter anderem von 1933 bis 1942 Kreisbauernführer<br />
von Altenburg sowie von 1933 bis Juli 1938 Präsident des Verbandes thüringischer landwirtschaftlicher<br />
Genossenschaften, danach nahm er eine leitende Tätigkeit in der Raiffeisen-<br />
Organisation wahr. Sein Sohn erbte nach dem Tod seines Vaters dessen landwirtschaftlichen<br />
Betrieb. 1945 wurde der Betrieb im Zuge der Bodenreform enteignet.<br />
35
Das VG Gera gab der Klage der Rechtsnachfolger statt.<br />
Zum Enteignungszeitpunkt sei der Sohn Eigentümer des Betriebs gewesen. Allein er habe<br />
daher durch die entschädigungslose Enteignung sein Eigentum verloren. In seiner Position<br />
lägen die Voraussetzungen <strong>für</strong> einen Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />
aber nicht vor.<br />
Das VG ließ die Revision wegen Divergenz zu. Auf die Revision des LARoV wurde das Urteil<br />
geändert und die Klage abgewiesen. Aus dem Urteil des Senats vom 24. Februar 2005 - 3 C<br />
16.<strong>04</strong> - (Buchholz 428.4 § 1 Abs. 4 AusglLeistG Nr. 4) ergebe sich, dass die Auffassung des<br />
VG nicht im Einklang mit Bundesrecht stehe.<br />
Wie der Senat in seinem Urteil vom 24. Februar 2005 entschieden habe, erforderten die<br />
Systematik sowie Sinn und Zweck der Ausschlussregelung, auch Personen in die Prüfung<br />
einzubeziehen, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enteignung bereits verstorben<br />
waren, sofern die Enteignung auf sie abzielte.<br />
Unter Berufung auf die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 4 AusglLeistG (BT-Drucks. 12/4887<br />
S. 38) und das Urteil vom 24. Februar 2005 führte der Senat weiter aus:<br />
Nur mit der Erstreckung der Prüfung von Ausschlussgründen nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />
auch auf denjenigen, auf den die Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher<br />
Grundlage abzielte, werde diesem Regelungszweck hinreichend Rechnung getragen.<br />
Für eine solche Auslegung spreche insbesondere der systematische Zusammenhang<br />
zwischen der entschädigungslosen Enteignung und dem Ausschluss vermögensrechtlicher<br />
Ansprüche nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auf der einen und der wesentlich auf dem<br />
Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes beruhenden (vgl. dazu BVerfGE 102, 254) ersatzweisen<br />
Begründung eines Ausgleichsleistungsanspruchs nach § 1 AusglLeistG auf der anderen<br />
Seite. Der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG beinhalte ein Surrogat<br />
<strong>für</strong> den nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossenen Restitutionsanspruch.<br />
Dieses Surrogat knüpfe an die entsprechende Enteignung an, die auch dann als wirksam<br />
anzusehen sei, wenn sie gegen einen bereits Verstorbenen gerichtet war (BVerwG, Urteil<br />
vom 28. Juli 1994 - 7 C 14.94 - a. a. O., 256 ff.). Diese Verknüpfung von Enteignung und<br />
Ausgleichsleistungsanspruch rechtfertige es, auch <strong>für</strong> den Surrogatanspruch auf die<br />
entschädigungslose Enteignung Bezug zu nehmen und denjenigen in die Prüfung von<br />
Ausschlussgründen einzubeziehen, auf den diese Enteignung abgezielt und den sie nur<br />
wegen seines zuvor eingetretenen Toden verfehlt habe. Die im angegriffenen Urteil vorgenommene<br />
Beschränkung führe demgegenüber zu der am Regelungszweck und dem dargestellten<br />
systematischen Zusammenhang vorbei gehenden Konsequenz, dass es vom Zeitpunkt<br />
des Todes des nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG Ausgeschlossenen abhänge, ob - bei Tod<br />
vor der entschädigungslosen Enteignung - eine Ausgleichsleistung zu zahlen sei oder - im<br />
Falle des Todes erst nach der entschädigungslosen Enteignung - nicht. Dieser Auslegung<br />
stehe - anders, als das Verwaltungsgericht meine - auch nicht der zeitliche Abstand zwischen<br />
der Anspruchsbegründung und dem Vorschubleisten entgegen. Der hier in Rede<br />
stehende Anspruchsausschluss knüpfe ausdrücklich an ein Vorschubleisten zugunsten des<br />
nationalsozialistischen Systems an. Der sich daraus zwangsläufig ergebende zeitliche<br />
Abstand bestehe in gleicher Weise dann, wenn es der durch die Enteignung unmittelbar<br />
Geschädigte selbst war, der Vorschub geleistet hat. Hier gehe es dagegen um die Frage,<br />
inwieweit bei der genannten Konstellation dem Todeszeitpunkt Bedeutung zukommen kann.<br />
Nach der in § 1 Abs. 4 AusglLeistG zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers<br />
führe schließlich nicht bereits der Umstand zu einer Aufhebung des Anspruchsausschlusses,<br />
dass jedenfalls dem oder den Erben kein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs.<br />
4 AusglLeistG zur Last falle. Es sei gerade nicht so, dass unbelasteten Erben auf jeden Fall<br />
ein Anspruch auf Ausgleichsleistung gewährt werden sollte. Der Anspruch sei und bleibe<br />
verwirkt. Vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Regelung sei kein Grund ersichtlich,<br />
weshalb diese Wertung anders ausfallen sollte, nur weil der frühere durch ein Vorschubleisten<br />
belastete Eigentümer vor der Enteignung verstorben sei, wenn - wie hier - gerade seine<br />
36
Belastung der Grund <strong>für</strong> den Zugriff auf den Vermögenswert und die entschädigungslose<br />
Enteignung gewesen sei.<br />
Davon sei auch <strong>für</strong> den vorliegenden Fall auszugehen.<br />
Die entschädigungslose Enteignung habe auf Paul J. und nicht auf seinen im Sinne von § 1<br />
Abs. 4 AusglLeistG unbelasteten Sohn abgezielt. Damit sei auch Paul J. in die Prüfung von<br />
Ausschlussgründen nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG einzubeziehen. Diese Überprüfung ergebe,<br />
dass er dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet habe.<br />
Die entschädigungslose Enteignung war gegen den Sohn gerichtet. Er war der durch die<br />
Enteignung unmittelbar Geschädigte. Von der Frage, gegen wen die Enteignung gerichtet<br />
war, sei jedoch die Frage zu unterscheiden, auf wen die Enteignung abgezielt hätte. Dies sei<br />
derjenige, in dessen Person oder in dessen Verhalten der Enteignende den Grund <strong>für</strong> die<br />
entschädigungslose Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher<br />
Grundlage gesehen habe (Urteil vom 24. Februar 2005, a. a. O., S. 12).<br />
Dies sei im vorliegenden Fall Paul J., was sich aus Schriftwechsel im Enteignungsverfahren<br />
ergebe.<br />
Paul J. habe nicht nur gelegentlich oder beiläufig das nationalsozialistische System unterstützt;<br />
vielmehr habe er diesem System langjährig an herausgehobener Stelle gedient und<br />
ihm damit erheblichen Vorschub geleistet. Da diese Aktivitäten - insbesondere sein Amt als<br />
Thüringer Staatsrat - erst mit dem Tode im Jahre 1942 ihr Ende fanden, sei davon auszugehen,<br />
dass er seine Funktion wissentlich und willentlich im Sinne der NSDAP und zu deren<br />
Nutzen ausgeübt habe und damit sowohl die objektiven als auch die subjektiven Voraussetzungen<br />
des Ausschlussgrundes des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfülle.<br />
Anmerkungen:<br />
Mit Urteil vom 23. Februar <strong>2006</strong> bestätigt der 3. Senat den im Urteil vom 24. Februar 2005 -<br />
3 C 16.<strong>04</strong> - aufgestellten Rechtsgrundsatz, dass nach Systematik wie Sinn und Zweck des<br />
Ausschlusstatbestandes des § 1 Abs. 4 AusglLeistG auch Personen in die Prüfung einzubeziehen<br />
sind, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enteignung bereits verstorben waren,<br />
sofern die Enteignung auf sie abzielte (Stichwort: „Enteignung Toter“).<br />
Aus der Begründung des BVerwG ergibt sich zudem, dass bei hochrangigen Funktionen wie<br />
einem Staatsrat in der nationalsozialistischen Landesregierung die objektiven und subjektiven<br />
Tatbestandsvoraussetzungen indiziert sind.<br />
Darüber hinaus lässt das Urteil den Schluss zu, dass zumindest Funktionen auf Gauebene<br />
der NSDAP den Tatbestand des erheblichen Vorschubleistens dem NS-System begründen<br />
können.<br />
Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />
37
Grundstück; Rückgabe; Restitutionsausschluss;<br />
Siedlung; Siedlungsbau; komplexer<br />
Siedlungsbau; Einfamilienhäuser; städtebauliche<br />
Einheit<br />
§ 5 Abs. 1 Buchst. c VermG<br />
Leitsatze des Gerichts:<br />
Allein die einheitliche Planung und Errichtung einer „kompletten“ Siedlung stellt keinen komplexen<br />
Siedlungsbau im Sinne von § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG dar. Können die einzelnen<br />
Grundstücke individuell veräußert werden, so wird die städtebauliche Einheit nicht durch die<br />
Rückgabe des Grundstücks an den früheren Eigentümer gefährdet (Bestätigung und Fortführung<br />
des Urteils vom 10. Juni 1998 - 7 C 27.97 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 16).<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Beschluss vom 28. Februar <strong>2006</strong>, Az.: 8 B 89.05<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Die Klägerin und Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Nichtzulassung der Revision in<br />
einem Urteil des VG Potsdam. Das VG hatte die Klage gegen einen Bescheid des LARoV<br />
aus dem Jahre 2002 zurückgewiesen, worin der JCC als Rechtsnachfolgerin des Alt-Berechtigten<br />
das hier fragliche Grundstück zurückübertragen wurde.<br />
Das streitgegenständliche Grundstück stand ursprünglich im Eigentum eines jüdischen<br />
Unternehmers. Dieser war u. a. Mehrheitsgesellschafter an einer Siedlungsgesellschaft.<br />
Nach vorangegangenen tätlichen Übergriffen durch Mitglieder der SA emigrierte er im April<br />
1933 aus dem Deutschen Reich.<br />
Zum neuen Direktor bzw. Geschäftsführer sämtlicher Konzerngesellschaften wurde im<br />
unmittelbaren Anschluss an die Emigration ein NSDAP- und SS-Angehöriger ernannt.<br />
Zugleich wurde gegen den Emigranten eine Reichsfluchtsteuer in Höhe von 801.725,00 RM<br />
zuzüglich Zinsen festgesetzt. Infolgedessen wurde das gesamte inländische Vermögen des<br />
Unternehmers beschlagnahmt.<br />
Am 16. November 1934 verkaufte der jüdische Unternehmer das streitgegenständliche<br />
Grundstück an die o. g. Siedlungsgesellschaft. Der gesamte Kaufpreis wurde mit vorgeblichen<br />
Gegenforderungen der Gesellschaft gegen den Unternehmer aufgerechnet. 2 Tage<br />
später übertrug der Unternehmer auch seine Mehrheitsbeteiligung an der Siedlungsgesellschaft,<br />
sowie sämtlichen anderen Konzerngesellschaften auf die NSDAP.<br />
Die „arisierte“ Siedlungsgesellschaft wurde als neue Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.<br />
Im März 1936 wurde die Reichsfluchtsteuer mit Rücksicht auf die „Arisierung“ niedergeschlagen.<br />
Ebenfalls im Jahre 1936 wurde das hier fragliche Grundstück an die Rechtsvorgänger der<br />
Klägerin veräußert. Die Klägerin wurde dabei teils durch Erbfall, teils durch unentgeltliche<br />
Übertragung Rechtsnachfolgerin nach den vormaligen Erwerbern.<br />
Der jüdische Unternehmer erhielt bereits 1950 im Vergleichswege seine Unternehmensanteile<br />
zurück und verstarb im Jahre 1964.<br />
Das BVerwG maß den nunmehr von der Klägerin und Beschwerdeführerin zur Entscheidung<br />
gestellten Fragen keine grundsätzliche Bedeutung bei und wies die Beschwerde zurück.<br />
39
Die Frage, ob die Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1<br />
REAO nach Art. 3 Abs. 2 REAO dadurch widerlegt worden sei, dass der jüdische Unternehmer<br />
sein Grundstück an ein Unternehmen veräußert habe, dessen Mehrheitsbeteiligter er<br />
selbst gewesen war, sei bereits deshalb nicht zu entscheiden, weil einerseits vorliegend die<br />
Siedlungsgesellschaft, an die der Unternehmer das Grundstück verkauft hat, zum Zeitpunkt<br />
der Veräußerung bereits faktisch arisiert gewesen sei. Andererseits unterlag sein gesamtes<br />
Vermögen der Beschlagnahme aufgrund der ausstehenden Reichsfluchtsteuer. Der jüdische<br />
Unternehmer habe mithin keinen vollen wirtschaftlichen Ausgleich <strong>für</strong> den Verlust des<br />
Eigentums am Grundstück erhalten. Der Kaufpreis sei vielmehr einem de facto nationalsozialistisch<br />
beherrschten Unternehmen zugeflossen.<br />
Auch die Frage nach der erweiterten Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG, nach der<br />
eine Bruchteilsrestitution nach den Vorschriften des § 3 Abs. 1 Sätze 4 bis 10 VermG im<br />
Falle der Veräußerung von <strong>für</strong> den Wohnungsbau bestimmten Vermögenswerten durch ein<br />
Siedlungsunternehmen an Private ausgeschlossen ist, sei nach Auffassung des BVerwG zu<br />
verneinen. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm und ihrer Stellung als Ausnahmevorschrift<br />
erfasse die Regelung ausschließlich Veräußerungen durch Unternehmen und nicht,<br />
wie vorliegend, die Veräußerung durch einen Privaten. Dies gelte unabhängig davon, ob der<br />
jüdische Unternehmer unmittelbar nach der Veräußerung des Grundstücks an die Siedlungsgesellschaft<br />
auch seine Anteile an der Siedlungsgesellschaft veräußert habe. Die Vorschrift<br />
sei nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG eng auszulegen (vgl. BVerwG,<br />
Urteil vom 24. Februar 1999 - 8 C 15.98 - BVerwGE 108, 301 ff. = ZOV 1999, 231 = VIZ<br />
1999, 334 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1).<br />
Der weitere Vortrag der Beschwerdeführerin zur Anwendung von § 5 Abs. 1 Buchst. c<br />
VermG, nach der das streitgegenständliche Grundstück infolge Bebauung mit einer „kompletten“<br />
Siedlung inklusive Verkehrs-, Grün- und Gemeinbedarfsflächen der Restitution entzogen<br />
sei, wird vom BVerwG als nicht entscheidungsrelevant erachtet.<br />
Wie bereits in der Rechtsprechung des BVerwG geklärt, stelle nicht jede „komplette“ Siedlung<br />
einen komplexen Siedlungsbau dar.<br />
Allein die einheitliche Planung und Durchführung von Baumaßnahmen reiche <strong>für</strong> die Anwendung<br />
des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG nicht aus. Erforderlich sei vielmehr die Entstehung<br />
eines gesteigerten städtebaulichen Zusammenhangs aus Wohnbauten und sonstiger, dem<br />
gemeinschaftlichen Wohnen dienender Grundstücksnutzung, der vernünftigerweise nicht<br />
trennbar ist.<br />
Unerheblich sei in diesem Zusammenhang sowohl, ob die Verwendung des Grundstücks<br />
durch einen Konzern oder konzernangehörige Gesellschaften erfolgte, als auch die Ausgestaltung<br />
der Verträge zwischen Erwerber bzw. Errichter der Gebäude und der Siedlungsgesellschaft.<br />
Es reiche weiterhin nicht aus, dass eine Siedlung lediglich eine äußerlich abgegrenzte Mehrheit<br />
von Einfamilienhäusern mit den üblichen gemeinsamen Erschließungsmerkmalen, wie<br />
gemeinsame Ver- und Entsorgung oder Erschließung durch dieselbe Straße, darstelle.<br />
Solche Merkmale begründeten <strong>für</strong> sich allein keine engeren städtebaulichen Zusammenhänge<br />
als sie auch sonst häufig zwischen benachbarten Grundstücken mit gleicher Nutzungsart<br />
bestünden; sie könnten vielmehr ebenso gut auch durch eine sukzessive Bebauung<br />
der Grundstücke entstanden sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1998 - 7 C 27.97 -<br />
BARoV -RÜ 14/1998 = VIZ 1998, 565 = ZOV 1998, 373 = RGV B X 101).<br />
Könnten die einzelnen Grundstücke somit jeweils individuell veräußert werden, würde die<br />
vorgebliche städtebauliche Einheit durch die Restitution eines Grundstücks an den früheren<br />
Eigentümer nicht gefährdet werden.<br />
Schließlich sei auch der letzte Punkt der Revisionsbegründung, nach dem die Übertragung<br />
des Eigentums am Grundstück durch die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin an<br />
diese eine die Restitution ausschließende Verfügung im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG<br />
darstelle, nicht in einem Revisionsverfahren zu klären, da bereits durch das BVerwG geklärt<br />
worden sei, dass unentgeltliche Verfügungen über das Eigentum an dem restitutionsbefangenen<br />
Vermögenswert dessen Rückübertragung nicht hinderten (vgl. BVerwG, Beschluss<br />
40
vom 23. Mai 2000 - 8 B 31.00 - ZOV 2000, 351 = VIZ 2000, 602 = BARoV-RÜ 14/2000 =<br />
Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 37).<br />
Die zwischen der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin und dieser vereinbarte<br />
Bestellung eines lebenslangen Wohnrechts stellte dabei keine Gegenleistung dar, sondern<br />
die Übertragung nur eingeschränkten, weil durch das Wohnrecht belasteten Eigentums. Eine<br />
weitergehende Ermittlung hinsichtlich des Wertes des lebenslangen Wohnrechts durch das<br />
LARoV habe sich mithin erübrigt.<br />
Auch die Übernahme der auf dem Grundstück lasteten Grundpfandrechte durch die<br />
Beschwerdeführerin wäre keine Gegenleistung, sondern lediglich die zivilrechtliche Konsequenz<br />
des Eigentümerwechsels gewesen. Auch hier würde sich im Übrigen eine erweiternde<br />
Auslegung des § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Norm<br />
verbieten.<br />
Anmerkungen:<br />
Das BVerwG hat mit dieser Entscheidung mehrere seiner früheren Entscheidungen bestätigt<br />
und fortgeführt.<br />
Insbesondere die Ausführungen zum Restitutionsausschlussgrund der Verwendung im komplexen<br />
Siedlungsbau stehen in einer Linie mit Entscheidungen, die die Auslegung des Ausschlussgrundes<br />
stets am gesetzgeberischen Schutzzweck verfolgt haben, dass Grundstücke<br />
und Gebäude, die im komplexen Wohnungsbau Verwendung fanden, eine Änderung der<br />
Zweckbestimmung erfahren haben, die im öffentlichen Interesse aufrechterhalten bleiben<br />
soll. Diese Einheit soll nicht dadurch gefährdet oder gar zerstört werden, dass durch Rückübertragungen<br />
von Grundstücken oder Gebäuden einzelne Bestandteile aus dem komplexen<br />
Ganzen herausgelöst werden. Eine solche Gefahr besteht deshalb, weil im komplexen Wohnungsbau<br />
verwendete Grundstücke und Gebäude häufig in ihrer zuvor gegebenen baulichen<br />
oder sonstigen Nutzung erheblich verändert oder bestehende Grundstücksgrenzen aufgehoben<br />
wurden und der in seine Rechte wiedereingesetzte frühere Eigentümer versucht sein<br />
könnte, diese Änderungen soweit wie möglich rückgängig zu machen (vgl. BVerwG, Urteil<br />
vom 1. Dezember 1995 - 7 C 27.94 - BVerwGE 100, 77 ff. = NJW 1996, 867 = ZOV 1996,<br />
205 = RGV B X 50; Urteil vom 6. Dezember 1996 - 7 C 20.96 - BVerwGE 102, 288 ff. =<br />
BARoV- RÜ <strong>04</strong>/1997 = ZOV 1997, 128 = RGV B X 73)<br />
Mitgeteilt von Oliver Reibling<br />
41
Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes<br />
eines nichtjüdischen Miterben<br />
einer sog. „rassisch gemischten“ Erbengemeinschaft<br />
§ 1 Abs. 6 VermG;<br />
Art. 3 REAO<br />
Leitsatz des Gerichts:<br />
Verkaufte während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ein selbst nicht verfolgtes<br />
Mitglied einer Erbengemeinschaft zusammen mit einem kollektiv verfolgten Miterben einen<br />
Nachlassgegenstand, so gilt <strong>für</strong> ihn die erschütterbare Vermutung eines verfolgungsbedingten<br />
Vermögensverlustes.<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Urteil vom 29. März <strong>2006</strong>, Az.: 8 C 15.05<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Der Kläger begehrt die Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Landesamtes zur<br />
Regelung offener Vermögensfragen, mit dem die streitgegenständlichen Grundstücke an die<br />
Beigeladene zurückübertragen wurden.<br />
Ursprünglicher Eigentümer des ehemals einheitlichen Grundstücks war seit 1924 der Vater<br />
des Klägers, der der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte. Dieser verstarb im Jahre<br />
1934. Mit seinem Tod fiel sein Vermögen an eine Erbengemeinschaft, bestehend aus seiner<br />
nichtjüdischen Ehefrau und dem gemeinsamen, minderjährigen Sohn.<br />
Die Erbengemeinschaft verkaufte die streitgegenständlichen Grundstücke im April 1935 an<br />
einen bekannten Schauspieler.<br />
Der Kläger trägt vor, dass der Verkauf seine Ursache in der Verfolgung der Juden durch das<br />
NS-Regime gehabt habe. Die Erbengemeinschaft - bestehend aus dem leiblichen Kind (nach<br />
den NS-Rassegesetzten ein sog. „Mischling 1. Grades“) sowie dem Ehepartner eines Juden<br />
- habe der Verfolgung durch die Nationalsozialisten unterlegen.<br />
Das VG Potsdam hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Ehefrau sei als sog.<br />
„Arierin“ keiner Verfolgung seitens der Nationalsozialisten ausgesetzt gewesen und auch die<br />
sog. „rassisch gemischte“ Erbengemeinschaft habe nicht als verfolgt angesehen werden<br />
können, da nicht alle Mitglieder der Erbengemeinschaft verfolgt gewesen seien.<br />
Der 8. Senat des BVerwG hat das Urteil des VG Potsdam aufgehoben und ausgeführt, dass<br />
eine sog. „rassisch gemischte“ Erbengemeinschaft als solche zwar noch keiner unmittelbaren<br />
Verfolgung durch den NS-Staat ausgesetzt gewesen sei. Die Veräußerung des streitgegenständlichen<br />
Grundstücks habe sich aber gegenüber den einzelnen Erben als schädigendes<br />
Ereignis dargestellt. Der Sohn des Erblassers sei als sog. „Mischling 1. Grades“ schon<br />
mit der Machtergreifung am 30. Januar 1933 kollektiv verfolgt gewesen und nicht erst seit<br />
der Einführung des Begriffs „Mischling 1. Grades“ ab dem 14. November 1935 durch die NS-<br />
Rassengesetze. Hinsichtlich der Witwe des Erblassers komme zwar die gesetzliche Vermutung<br />
von § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i. V. m. Art. 3 REAO nicht zur Anwendung. Sie sei nach<br />
dem Tode ihres jüdischen Ehemannes nach damaliger Auffassung als sog. „Arierin“ nicht<br />
kollektiv verfolgt gewesen und auch <strong>für</strong> eine individuelle Verfolgung gäbe es keine Anhaltspunkte.<br />
Geschädigter könne aber auch sein, wer, ohne selbst verfolgt zu sein, anlässlich des<br />
verfolgungsbedingten Vermögensverlustes eines anderen selbst einen Vermögensverlust<br />
erlitten habe. Für den verfolgungsbedingten Vermögensverlust eines Nichtverfolgten könne<br />
bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Zwangsverkauf eines<br />
Verfolgten die Vermutung streiten, dass der Zwangsverkauf ursächlich <strong>für</strong> das Veräußern<br />
des Nichtverfolgten gewesen sei. Diese Vermutung könne allerdings erschüttert sein, wenn<br />
43
aufgrund konkreter Tatsachen die ernstliche Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs,<br />
z. B. die Verwirklichung einer unabhängig von dem Zwangsverkauf bereits vorhandenen<br />
Verkaufsabsicht, bestehe.<br />
Hier habe <strong>für</strong> die Vermutung die persönliche Nähe zwischen den Mitgliedern der Erbengemeinschaft<br />
gestritten sowie der Umstand, dass der verfolgte Miterbe über seinen Anteil an<br />
dem einzelnen Nachlassgegenstand nicht allein habe verfügen können. Dadurch habe sich<br />
der Druck auf die Miterbin, ihrerseits zu einer Veräußerung bereit zu sein, erhöht; denn nur<br />
gemeinschaftlich hätten sie über den einzelnen Nachlassgegenstand verfügen können. Die<br />
Alternative dazu wäre gewesen, dass der zur Veräußerung gezwungene verfolgte Miterbe<br />
seinen gesamten Anteil am Nachlass hätte veräußern müssen, so dass die Erbengemeinschaft<br />
ein fremdes neues Mitglied - u. U. auch den Staat - als Miterben bekommen hätte. Die<br />
Aussicht, einen fremden Partner in die Gemeinschaft zu bekommen, sei schon von den<br />
Rückerstattungsgerichten als Verfolgungsdruck gegenüber nicht verfolgten Miteigentümern<br />
anerkannt gewesen.<br />
Anmerkungen:<br />
Der 8. Senat des BVerwG hatte nach dem erstinstanzlichen Urteil des VG Potsdam die<br />
Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Es gehe um die Entscheidung der<br />
Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine „rassisch gemischte“ Erbengemeinschaft<br />
die aus kollektivverfolgten und nichtverfolgten Mitgliedern besteht, als solche zum<br />
Kreis der Kollektivverfolgten gehöre.<br />
Diese Frage hat der 8. Senat des BVerwG verneint und wie das erstinstanzliche Urteil ausgeführt,<br />
dass eine sog. „rassisch gemischte“ Erbengemeinschaft als solche keiner Kollektivverfolgung<br />
ausgesetzt gewesen sei.<br />
Gleichwohl kann bei der Veräußerung eines Nachlassgegenstandes durch eine Erbengemeinschaft<br />
zugunsten des nicht verfolgten Mitgliedes unter den o. g. Voraussetzungen<br />
(enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit dem Zwangsverkauf eines Verfolgten)<br />
die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes vorliegen, die auch <strong>für</strong> das<br />
kollektiv verfolgte Mitglied gilt. Diese Vermutung kann allerdings auch wieder erschüttert<br />
werden, wenn aufgrund konkreter Tatsachen die ernstliche Möglichkeit eines anderen<br />
Geschehensablaufs bestehe.<br />
Der 8. Senat des BVerwG sieht darin das Schließen einer „Wiedergutmachungslücke“, die<br />
<strong>für</strong> erlittenes NS-Unrecht auf dem Gebiet der DDR bestand und durch § 1 Abs. 6 VermG<br />
geschlossen werden soll. Für die notwendige Kausalität zwischen Verfolgung und Vermögensverlust<br />
besteht dabei eine gesetzliche Vermutung, wie sie das alliierte Rückerstattungsrecht<br />
kannte. Sie knüpft zum einen an die unmittelbare Verfolgung des Betroffenen und zum<br />
anderen an seine Zugehörigkeit zu einem als solchem verfolgten Personenkreis an. Zu<br />
diesen Kollektivverfolgten gehörten insbesondere Juden. Verkauften sie nach dem 30.<br />
Januar 1933 ein Wirtschaftsgut, so sind dem Gesetz eine Reihe von Verfolgungsvermutungen<br />
zu entnehmen, nach denen diese Vermögensaufgabe eine „ungerechtfertigte Entziehung“<br />
darstellen konnte, die wieder gutzumachen ist.<br />
Durch diese Entscheidung des BVerwG wird der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG<br />
um eine weitere Fallgruppe erweitert. Für diese streitet zwar nicht die Vermutungsregel nach<br />
§ 1 Abs. 6 Satz 2 VermG in Verbindung mit Art. 3 REAO da die Vermutung „erschütterbar“<br />
ist. Es wird aber eine „Erschütterungssituation“ angenommen, in der die Verfolgung auch<br />
dann vermutet wird, wenn bereits „greifbare tatsächliche Anhaltspunkte“ <strong>für</strong> die Widerlegung<br />
der Vermutung vorliegen.<br />
Die Erschütterung der Vermutung - durch das Aufzeigen konkreter Tatsachen, aus denen<br />
sich die ernstliche Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ergibt - stellt daher eine<br />
nur schwer überwindbare Hürde dar.<br />
Mitgeteilt von Stefan Langer<br />
44
Abgrenzung der Restitutionsberechtigung<br />
nach VermG oder EV/VZOG; öffentlichrechtliche<br />
Stiftung; Enteignung, entschädigungslose<br />
Vermögensverschiebung<br />
§ 1 Abs.1 Buchst. a,<br />
§ 2 Abs. 1 Satz 1 VermG;<br />
Art. 21, 22 EV;<br />
§ 11 VZOG<br />
Leitsätze des Gerichtes:<br />
1. Stiftungen des öffentlichen Rechts gehören nicht zu den restitutionsberechtigten Rechtssubjekten<br />
im Sinne von Art. 22 Abs. 1 Satz 7 i. V. m. Art. 21 Abs. 3 des Einigungsvertrages<br />
(wie BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 1997 - 3 B 165.96 -).<br />
2. Eine die Anwendung des VermG verdrängende Vermögensverschiebung innerhalb des<br />
staatlichen Sektors der DDR setzt voraus, dass der betroffene Vermögenswert bereits<br />
vor seiner Überführung in das Eigentum des Volkes dem staatlich gelenkten Bereich zuzurechnen<br />
war.<br />
3. Die Entschädigungslosigkeit der Enteignung erfüllt den Schädigungstatbestand des § 1<br />
Abs. 1 Buchst. a VermG. Ein bewusst (politisch) diskriminierendes Element muss insofern<br />
nicht hinzutreten.<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Urteil vom 29. März <strong>2006</strong>, Az.: 8 C 19.<strong>04</strong><br />
Tatbestand/Problem:<br />
Das Bundesverwaltungsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob der ablehnende Bescheid<br />
des LARoV zu einem Restitutionsantrag einer öffentlich-rechtlichen Stiftung rechtmäßig war.<br />
Der Kläger ist eine selbständige Stiftung des öffentlichen Rechtes, die seit 1938 Eigentümer<br />
mehrer Grundstücke war, die zu einem ehemaligen Klostergut gehörten. Im Zuge der Säkularisierung<br />
geistlicher Güter im 19. Jahrhundert wurden diese zu einem Fonds zusammengefasst<br />
und durch eine sog. „Klosterkammer“ verwaltet. Die heutige „Klosterkammer“ ist eine<br />
niedersächsische Landesbehörde und fungiert als Stiftungsorgan des Klägers. Im Jahre<br />
1962 wurden sämtliche Grundstücke im Grundbuch auf das Eigentum des Volkes umgeschrieben.<br />
Mit Urteil vom 18. Mai 20<strong>04</strong> (5 A 524/03 MD) wurde die Klage durch das VG Magdeburg als<br />
unbegründet abgewiesen, da die zum Eigentumsverlust führende Maßnahme sich als eine<br />
Neuordnung von Vermögenswerten im staatlichen Bereich darstelle, die eine Anwendung<br />
des Vermögensgesetzes ausschließe. Der Kläger sei weder Berechtigter im Sinne von § 2<br />
Abs.1 VermG, noch von einer Maßnahme im Sinne von § 1 VermG betroffen.<br />
Das BVerwG hat der Revision stattgegeben und das LARoV verpflichtet, die vermögensrechtliche<br />
Berechtigung des Klägers hinsichtlich der beantragten Grundstücke festzustellen.<br />
Der Anwendungsbereich des VermG sei vorliegend gegeben. Unter Hinweis auf seine bisherige<br />
Rechtsprechung führt das BVerwG aus, dass das Vermögensgesetz ausschließlich dazu<br />
diene, Vermögensverluste wieder gutzumachen, die durch den politisch-ideologisch motivierten<br />
Zugriff des Staates auf privates Eigentum geprägt waren. Für die Korrektur von<br />
Eigentumsverschiebungen innerhalb des staatlichen oder staatlich gelenkten Bereiches<br />
seien dagegen die Art. 21 und 22 Einigungsvertrag und das VZOG vorrangig. Die Eigentumsverschiebung<br />
innerhalb des staatlichen Sektors setze allerdings voraus, dass der<br />
Vermögensgegenstand - unmittelbar oder mittelbar - schon vor seiner Überführung in Volkseigentum<br />
dem staatlich gelenkten Bereich zuzuordnen gewesen sei.<br />
45
In Bezug auf den zu entscheidenden Fall konnte das BVerwG dies nicht bejahen, da es sich<br />
bei den Grundstücken um landwirtschaftlich genutztes Pachtland handele und nicht um Flächen,<br />
die einem Staatsbetrieb (z. B. einem volkseigenen Gut) eingegliedert worden seien.<br />
Das VermG sei somit anwendbar und nicht durch die Regelungen des Einigungsvertrages<br />
und VZOG ausgeschlossen.<br />
Die am Zivilverkehr teilnehmenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts gehören<br />
nach Auffassung des BVerwG auch zum Kreis der Restitutionsberechtigten nach § 2 Abs. 1<br />
Satz 1 VermG. Zwar betreffe das VermG vornehmlich die Restitution zugunsten Privater.<br />
Falle die Vermögensänderung bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht in<br />
den Anwendungsbereich des VZOG und sei auch sonst keine Vermögensverschiebung im<br />
staatlichen Bereich feststellbar, so sei der Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes<br />
eröffnet.<br />
Außerdem wird das Vorliegen einer entschädigungslosen Enteignung im Sinne von § 1 Abs.<br />
1 Buchst. a VermG bejaht. Die Überführung in Volkseigentum sei aufgrund der „Gemeinsamen<br />
Anweisung der Minister der Finanzen und des Innern…“ vom 11. Oktober 1961 erfolgt,<br />
die keine Entschädigung vorsehe. Die Enteignung müsse nicht auch noch von einem<br />
bewusst politisch diskriminierenden Element getragen sein. Der Wortlaut ergebe die Notwendigkeit<br />
dieses zusätzlichen Kriteriums nicht und bereits der generelle Ausschluss der<br />
Entschädigung könne in der Regel als diskriminierend angesehen werden.<br />
Anmerkungen:<br />
Das BVerwG hatte im vorliegenden Fall Anlass, den Anwendungsbereich des VermG in<br />
Abgrenzung zu den Regelungen des Einigungsvertrages und VZOG zu untersuchen. Diese<br />
Problematik hat das BVerwG bereits mehrfach beschäftigt (vgl. nur BVerwGE 101, 143 ff.;<br />
119, 158 ff.; zuletzt BVerwG Urteil vom 23. Februar 2005 - 8 C 2.<strong>04</strong> - ZOV 2005, 184 =<br />
Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 21). Nach dieser Rechtsprechung erfasst das<br />
Vermögensgesetz nicht die Wiedergutmachung solcher Vermögensverluste, die nicht durch<br />
den Zugriff des Staates auf privates Eigentum geprägt waren, sondern<br />
Eigentumsverschiebungen innerhalb des staatlichen oder staatlich gelenkten Bereichs der<br />
DDR darstellten.<br />
Der 8. Senat präzisiert nunmehr, dass der betroffene Vermögenswert bereits vor seiner<br />
Überführung in Volkseigentum dem staatlich gelenkten Bereich zuzuordnen gewesen sein<br />
muss. Vorliegend fehlte <strong>für</strong> das landwirtschaftlich genutzte und verpachtete ehemalige Stiftungsvermögen,<br />
das auch nicht einem Staatsgut eingegliedert worden war, der staatliche<br />
Bezug.<br />
Da damit der Anwendungsbereich des VermG eröffnet war, musste zur Restitutionsberechtigung<br />
der Stiftung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG Stellung genommen werden. Die bislang<br />
nicht höchstrichterlich entschiedene Frage hat der 8. Senat grundsätzlich bejaht. Bereits mit<br />
dem im Leitsatz zu 1 zitierten Beschluss hatte der <strong>für</strong> Streitigkeiten nach dem VZOG zuständige<br />
3. Senat des BVerwG die Restitutionsberechtigung öffentlich-rechtlicher Stiftungen nach<br />
Art. 21, 22 EV verneint. Gemäß dem Wortlaut des Art. 21 Abs. 3 EV und dem klar zum Ausdruck<br />
gebrachten gesetzgeberischen Willen seien nur öffentlich-rechtliche Körperschaften,<br />
nicht dagegen Anstalten öffentlichen Rechts oder öffentlichrechtliche Stiftungen anspruchsberechtigt.<br />
Die im Urteil vom 23. Februar 2005 (8 C 2.<strong>04</strong>) noch offen gelassene Frage, ob eine Schädigung<br />
im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG anzunehmen ist, auch wenn sie nicht von<br />
einem bewusst politisch diskriminierenden Element getragen sei, wird nunmehr vom Senat<br />
ausdrücklich bejaht.<br />
Mitgeteilt von Bettina Merker<br />
46
Vermögenswert; schuldrechtliches Nutzungsrecht;<br />
Pachtverhältnis<br />
§ 2 Abs. 2 Satz 1 VermG<br />
Leitsatz des Gerichts:<br />
Schuldrechtliche Nutzungsrechte gehören nicht zu den Vermögenswerten im Sinne des § 2<br />
Abs. 2 Satz 1 VermG.<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Beschluss vom 5. April <strong>2006</strong>, Az.: 8 B 22.06<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Der Kläger begehrt eine Entschädigung <strong>für</strong> die Beendigung eines Pachtvertrages über ein<br />
Grundstück, <strong>für</strong> die auf diesem Grundstück errichteten Gebäude (Wochenendhaus und<br />
Bootshaus) sowie <strong>für</strong> diverse Boote.<br />
Das vorgenannte Grundstück befand sich seit 1955 im Eigentum des Volkes, Rechtsträger<br />
Rat der Gemeinde G. 1967 schloss der Kläger mit dem Rat der Gemeinde einen Pachtvertrag<br />
<strong>für</strong> die Dauer von 10 Jahren ab. Dieser sollte sich jeweils um ein Jahr verlängern, falls<br />
der Pachtvertrag nicht spätestens drei Monate vor Ablauf gekündigt wird. Durch einen Sachverständigen<br />
wurde im September 1969 <strong>für</strong> das Wochenendhaus, die sonstigen zu diesem<br />
Zeitpunkt auf dem Grundstück befindlichen baulichen Anlagen sowie <strong>für</strong> den Aufwuchs ein<br />
Sachwert in Höhe von 20.200,00 M ermittelt.<br />
1978 erfolgte ein Rechtsträgerwechsel auf den organisationseigenen Betrieb...“ (folgend<br />
Betrieb). Zunächst fanden Gespräche zur Beendigung des Pachtverhältnisses und Bereitstellung<br />
eines Ersatzgrundstücks statt. Mit Schreiben vom Februar 1981 kündigte der Betrieb<br />
den Pachtvertrag zum 31. Oktober 1981 wegen dringendem Eigenbedarf. Es sei beabsichtigt,<br />
ein Erholungsheim zu errichten. Durch Urteil des Kreisgerichts Fürstenwalde vom 6.<br />
April 1982 wurde das Nutzungsverhältnis aufgehoben und der Kläger verurteilt, das Grundstück<br />
einschließlich der darauf befindlichen Gebäude und baulichen Anlagen herauszugeben.<br />
Aufgrund der eingelegten Berufung gegen dieses Urteil schlossen der Kläger und der Betrieb<br />
zu Protokoll des Bezirksgerichts Frankfurt/Oder einen Vergleich ab. In diesem Vergleich verpflichtete<br />
sich der Kläger, das Grundstück bis zum 31. Dezember 1982 zu räumen. Für die<br />
Baulichkeiten und Außenanlagen sollte eine Entschädigung auf der Grundlage eines durch<br />
den Kläger in Auftrag zu gebendes Wertgutachten gewährt werden.<br />
Die Einwendungen des Klägers gegen die Vollstreckungsmaßnahmen wegen Räumung des<br />
Grundstücks wurden mit Beschluss des Kreisgerichts vom 28. August 1984 zurückgewiesen,<br />
da aus der Einigung nicht hervorgehe, dass der Kläger das Grundstück bis zur Verfügungstellung<br />
eines Ersatzgrundstücks weiter nutzen könne. Die hiergegen eingelegte Beschwerde<br />
des Klägers wurde abgewiesen.<br />
Das Grundstück wurde danach zwangsgeräumt und in diesem Zusammenhang u. a. das<br />
Wochenendhaus und das Bootshaus abgerissen. Mit Schreiben vom Mai 1988 bot der Betrieb<br />
die Zahlung einer Entschädigungssumme in Höhe von 30.000,00 M an.<br />
Mit Schreiben vom August 1962/November 1992 beantragte der Kläger eine Entschädigung<br />
<strong>für</strong> den Verlust seiner Vermögenswerte. Er trug vor, dass er das Grundstück in mühseliger<br />
Kleinarbeit aufgebaut habe und die gepflegten Rabatten und Kulturen einer Sportstätte hät-<br />
47
ten weichen müssen. Der Betrieb habe sich weder an die gerichtliche Einigung gehalten<br />
noch eine angemessene Entschädigung gezahlt. Die angebotenen 30.000,00 M hätten unter<br />
dem tatsächlichen Wert gelegen und seien von ihm abgelehnt worden. Im Rahmen der<br />
Zwangsräumung seien nicht nur das Wochenendhaus und Bootshaus abgerissen worden; es<br />
sei auch ein Motorboot mit Merkury-Motor im Wert von 28.000,00 M mangelhaft untergestellt<br />
worden und daher verrottet. Ein Mahagoni Ruderboot und ein Wassertreter seien verschwunden;<br />
in das Haus sei eingebrochen und unersetzliche Gegenstände entwendet<br />
worden.<br />
Der Antrag wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 27. November 1997 abgelehnt und<br />
der hiergegen eingelegte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid des Landesamtes zur<br />
Regelung offener Vermögensfragen vom 17. Mai 2000 zurückgewiesen.<br />
Die vom Kläger beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) eingereichte Klage wurde mit<br />
Urteil vom 10. Januar <strong>2006</strong> - 6 K 1476/00 - abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch<br />
auf Entschädigung <strong>für</strong> die streitbefangenen Vermögenswerte, da er nicht Berechtigter im<br />
Sinne des § 2 Abs. 1 des Vermögensgesetzes sei. Auch stelle das auf dem Pachtvertrag<br />
beruhende schuldrechtliche Nutzungsrecht keinen Vermögenswert im Sinne des § 2 Abs. 2<br />
VermG dar (vgl. zum schuldrechtlichen Anspruch auf Eigentumsverschaffung: BVerwG,<br />
Beschluss vom 16. Oktober 2002 - 8 B 35.02 - VIZ 2003, 130 = BARoV- RÜ 05/ 2003 =<br />
Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 12 = VIZ 2003, 130; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom<br />
24. September 1998 - 3 B 1<strong>04</strong>.98 - VIZ 1999, 99 = RGV O 230).<br />
Die streitigen Vermögenswerte hätten auch keiner schädigenden Maßnahme nach § 1<br />
VermG unterlegen. Der insoweit allein in Betracht kommende Tatbestand des 1 Abs. 3<br />
VermG sei nicht erfüllt.<br />
Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg.<br />
Bei einem - wie hier - auf mehrere, jeweils selbständig tragende Gründe gestützten Urteil<br />
kann die Revision nur dann zugelassen werden, wenn die Beschwerde gegen alle tragenden<br />
Begründungen jeweils mit Erfolg einen der gesetzlichen Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2<br />
VwGO geltend gemacht hat. Daran fehlt es hier.<br />
Das Verwaltungsgericht hat sein Urteil einerseits damit begründet, dass es sich bei dem auf<br />
dem Pachtvertrag beruhenden schuldrechtlichen Nutzungsrecht um keinen Vermögenswert<br />
im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG handele. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt,<br />
die streitigen Vermögenswerte hätten keiner schädigenden Maßnahme nach § 1<br />
VermG unterlegen.<br />
Soweit die Beschwerde hinsichtlich der Beendigung des Pachtverhältnisses die grundsätzliche<br />
Bedeutung der Rechtssache geltend mache, rechtfertige dies die Zulassung der Revision<br />
nicht. Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, ob<br />
auch schuldrechtliche Nutzungsrechte zu den Vermögenswerten im Sinne des § 2 Abs. 2<br />
VermG gehören, lasse sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens verneinen. Nach<br />
der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehörten zu den in § 2 Abs. 2 VermG<br />
genannten Vermögenswerten, von den hier nicht in Betracht kommenden Fällen des Satzes<br />
2 abgesehen, keine schuldrechtlichen Ansprüche (vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember<br />
2003 - 8 C 11.02 - ZOV 20<strong>04</strong>, 94 = VIZ 20<strong>04</strong>, 314 = Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 77 m.<br />
w. N. und Beschluss vom 23. März 2005 - 8 B 3.05 - ZOV 2005, 188 = NJW 2005, 2169 =<br />
Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 80 S. 96 ). Dies gilt auch <strong>für</strong> Ansprüche aus einem<br />
Pachtverhältnis (BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 20<strong>04</strong> - 7 B 89.<strong>04</strong> - BA S. 2; vgl. auch<br />
Beschluss vom 24. September 1998 - 3 B 1<strong>04</strong>.98 - RGV O 230 = VIZ 1999, 99 = juris Rdnr.<br />
4).<br />
Dass der Gesetzgeber derartige schuldrechtliche Nutzungsrechte nicht als vom Vermögensgesetz<br />
erfasst angesehen hat, ergibt sich ohne weiteres daraus, dass dem Gesetz keinerlei<br />
Regelungen darüber zu entnehmen sind, wie die nach dem System des Vermögensgesetzes<br />
in erster Linie vorgesehene Rückübertragung derartiger Rechte vollzogen werden sollte.<br />
48
Ob die von der Beschwerde hinsichtlich der Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum<br />
Schädigungstatbestand erhobene Divergenzrüge und die Verfahrensrüge begründet sind,<br />
bedurfte keiner Entscheidung. Denn diese Rügen bezogen sich ebenfalls (nur) auf Fragen im<br />
Zusammenhang mit der Beeinträchtigung des Pachtverhältnisses und vermögen daher<br />
schon wegen der selbständig tragenden Begründung, dass das Pachtverhältnis kein Vermögenswert<br />
im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG ist, die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen.<br />
Zu den weiteren mit der Klage geltend gemachten Vermögenswerten enthielt die Beschwerdebegründung<br />
keine Ausführungen. Insbesondere bezog sich die Verfahrensrüge der mangelhaften<br />
Sachverhaltsaufklärung nicht auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil zum<br />
Abriss der Gebäude und zum Verlust der Boote. Soweit es die in der Beschwerdebegründung<br />
angesprochene Vorenthaltung einer Entschädigung betraf, hatte bereits das Verwaltungsgericht<br />
darauf hingewiesen, dass der Entschädigungsanspruch nicht Streitgegenstand<br />
des vorliegenden Verfahrens ist. Davon abgesehen machte der Kläger die Nichterfüllung<br />
einer mit dem Vertragspartner des Pachtvertrages vereinbarten Entschädigung geltend.<br />
Insoweit kämen allenfalls zivilrechtliche Ansprüche in Betracht, nicht aber die Wiedergutmachung<br />
staatlichen Unrechts nach dem Vermögensgesetz.<br />
Der Beschluss ist in juris zitiert.<br />
Anmerkungen:<br />
In seinem Beschluss stellt das Bundesverwatungsgericht nochmals klar, dass schuldrechtliche<br />
Nutzungsrechte nicht zu den Vermögenswerten im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 VermG<br />
gehören. In § 2 Abs. 2 VermG werden die einzelnen vom Anwendungsbereich des Vermögensgesetz<br />
erfassten Vermögenswerte abschließend aufgezählt (BVerwG, VIZ 1997, 351 f.).<br />
Der Begriff des Vermögenswertes ist im Vermögensgesetz enger gefasst als der von der<br />
Rechtssprechung zum Zivil- und Strafrecht vertretene wirtschaftliche Vermögensbegriff.<br />
Das Vermögensgesetz bezweckt nicht, sämtliche Eingriffe in das Privatvermögen, die nach<br />
dem Recht der DDR vorgenommen wurden, zu korrigieren. Dies folgt daraus, dass das Vermögensgesetz<br />
lediglich der Wiedergutmachung dient, aber keine Schadensersatzansprüche<br />
gewährt.<br />
Mitgeteilt von Ursula Richter<br />
49
Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit<br />
und Rechtsstaatlichkeit; Denunziation;<br />
Gestapo; Schwerwiegender Missbrauch<br />
der Stellung zum eigenen Vorteil oder<br />
Nachteil anderer; Arisierungskauf; Kauf unter<br />
Einheitswert<br />
§ 1 Abs. 4 1. und 2. Alt.<br />
AusglLeistG<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
VG Berlin, Urteil vom 7. April <strong>2006</strong>, Az.: 31 A 86.06<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Das LARoV lehnte den Antrag auf Ausgleichsleistung <strong>für</strong> den Verlust einer Möbelfabrik<br />
wegen § 1 Abs. 4 AusglLeistG ab. Der geschädigte Unternehmensinhaber habe durch die<br />
Denunziation ausländischer Arbeiter gegenüber der Gestapo gegen die Grundsätze der<br />
Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit i. S. d. § 1 Abs. 4 1. Alt. AusglLeistG verstoßen.<br />
Durch seine Mitgliedschaft in der NSDAP, dem NSV, dem RLB und der DAF habe er überdies<br />
dem NS-System Vorschub geleistet. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wurde<br />
der Ausschlussgrund des schwerwiegenden Missbrauchs der Stellung zum eigenen Vorteil<br />
oder zum Nachteil anderer i. S. d. § 1 Abs. 4 2. Alt. AusglLeistG geltend gemacht, weil der<br />
Kaufpreis des verfahrensgegenständlichen Grundstücks, das der Inhaber von jüdischen<br />
Eigentümern erworben habe, erheblich unter dem Einheitswert gelegen habe.<br />
1. Das VG lehnte die Erfüllung der 2. Tatbestandsalternative des § 1 Abs. 4 AusglLeistG mit<br />
folgender Begründung ab:<br />
Der schwerwiegende Missbrauch einer Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil<br />
anderer setze eine Stellung voraus, die mit gewissen Machtbefugnissen ausgestattet sei.<br />
Dabei würden nur solche Fälle erfasst, in denen die Anstößigkeit gerade aus der Stellung<br />
im System herrühre oder die politischen Verhältnisse zum eigenen Vorteil ausgenutzt<br />
würden (vgl. Hellmann, VIZ 1995, 201). Ein schwerwiegender Missbrauch einer Stellung<br />
zum eigenen Vorteil sei nicht deshalb zu bejahen, weil das Unternehmen sein Betriebsgrundstück<br />
von einem jüdischen Eigentümer unterhalb des Einheitswertes gekauft hat.<br />
Besondere Machtbefugnisse des Geschädigten im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />
seien nicht ersichtlich, auch seine Stellung im Unternehmen habe in keinem politischen<br />
Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen System gestanden. Ein unter dem<br />
Einheitswert liegender Kaufpreis führe entgegen der Ansicht des Beklagten - zu keinem<br />
Automatismus in der Weise, dass damit die Unwürdigkeit des Käufers ohne weiteres zu<br />
bejahen wäre. Allein die Tatsache, dass der Kaufpreis unterhalb des Einheitswertes gelegen<br />
habe, bedeutete noch nicht, dass der Käufer den Verkäufer etwa unter Druck gesetzt<br />
oder gezwungen habe, das Grundstück zu verkaufen, oder dass er dessen Zwangslage in<br />
vorwerfbarer Weise bewusst ausgenutzt habe. Außerdem lägen keine ausreichenden<br />
Anhaltspunkte <strong>für</strong> die Annahme vor, dass das Unternehmen oder der Inhaber persönlich<br />
gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hätten.<br />
Letzteres sei bereits deshalb zu verneinen, weil die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit<br />
nur <strong>für</strong> Staaten und ihre Amtsträger Geltung beanspruchten (Urteil der Kammer vom 11.<br />
November 2005 - 31 A 385.03 -). Weder hätte das Unternehmen staatliche Befugnisse<br />
gehabt noch sei es Amtsträger geworden. Auch ein Verstoß gegen die Grundsätze der<br />
Menschlichkeit sei nicht nachgewiesen.<br />
51
2. Ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit sei nicht deshalb zu bejahen, weil<br />
das Unternehmen im Dezember 1938 das Betriebsgrundstück vom jüdischen Eigentümer<br />
zu einem unter dem Einheitswert liegenden Preis gekauft hat und nicht nachgewiesen ist,<br />
ob der Kaufpreis gezahlt wurde. Es sei wohl davon auszugehen, dass die drei flämischen<br />
Arbeiter aufgrund mehrmaliger Nichteinhaltung der Betriebsordnung tatsächlich der Gestapo<br />
gemeldet wurden. Es sei zu beachten, dass die Anzeige der flämischen Arbeiter<br />
keine gravierenden Folgen hatte. Dies allein sei zwar nicht ausschlaggebend, da eine<br />
Anzeige auch dann einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit darstellen<br />
könne, wenn der Anzeigende damit rechnete, dass der Angezeigte aufgrund der Anzeige<br />
willkürlichem und menschenverachtendem Verhalten ausgesetzt wurde. Ein Denunziant<br />
verstoße gerade deswegen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit, weil er sich als<br />
Zuträger <strong>für</strong> ein politisches System beteiligt, in welchem diese Grundsätze missachtet<br />
werden und weil er - obwohl er weiß, dass seinem Opfer eine rechtsstaatswidrige oder<br />
unmenschliche Behandlung droht - trotzdem die Verfolgung auslöst (vgl. BVerwG, Urteil<br />
vom 28. Februar 1963 - VIII C 67.62 - BVerwGE 15, 336). Hier sei aber nicht dargetan,<br />
dass der Betriebsinhaber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen musste, den<br />
angezeigten flämischen Arbeitern würden menschenunwürdige Sanktionen drohen. Die<br />
Gestapo sei zwar eine Organisation gewesen, die massiv gegen rechtsstaatliche Grundsätze<br />
verstoßen und vielfach auch menschenunwürdige Mittel angewandt habe, um ihr<br />
missliebige Personen auszuschalten. Allerdings bedürfe es trotz dieser bekannten allgemeinen<br />
Tatsache einer weiteren Differenzierung im konkreten Fall nach Art und Anlass<br />
der Anzeige. Es sei nicht bekannt, dass auf alle Arten von (vermeintlicher) mangelnder<br />
Arbeitsdisziplin - ohne Ansehen der Herkunft des Ausländers - mit gleichermaßen harten<br />
und unmenschlichen Sanktionen seitens einer NS-Behörde reagiert worden wäre. Einer<br />
solchen Vorgehensweise gegenüber den - offenbar durchaus nicht selten - auftretenden<br />
Vorfällen dieser Art hätten die Interessen des NS-Systems entgegengestanden, wonach<br />
die Tätigkeit ausländischer Arbeiter grundsätzlich als wertvoll <strong>für</strong> Deutschland angesehen<br />
worden sei, da die Ausländer mit ihrer Arbeit dazu beitragen sollten, das Land zu stärken<br />
und den Krieg zu gewinnen. Eine solche Einschätzung der Interessen lasse sich auch an<br />
dem vom Reichssicherheitshauptamt und dem Reichspropagandaministerium herausgegebenen<br />
„Merkblatt über die allgemeinen Grundsätze <strong>für</strong> die Behandlung der im Reich<br />
tätigen ausländischen Arbeitskräfte“ vom 15. April 1943 ablesen (Rundschreiben Nr.<br />
70/43), in dem gewisse Mindeststandards festgehalten seien, deren Nichtbeachtung zu<br />
ahnden seien.<br />
Auch die weiteren in der Sequesterakte befindlichen Zeugenaussagen reichten nicht aus,<br />
um einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit bejahen zu können. Die<br />
Drohung mit der Gestapo - wenn sie denn gefallen sein sollte - stelle keinen Verstoß<br />
gegen die Grundsätze der Menschlichkeit dar. Sie sei sicherlich moralisch vorwerfbar, da<br />
sie darauf ausgerichtet war, auf diese Weise Angst zu verbreiten und Gehorsam zu<br />
erzwingen. Allerdings habe der Betroffene sie nicht wahr gemacht und damit bereits<br />
deshalb noch keine menschenunwürdige Verfolgung ausgelöst.<br />
Die Behauptungen der Mitarbeiter, die ausländischen Arbeiter seien durch den Geschädigten<br />
bzw. einen Werkmeister sehr schlecht behandelt worden und hätten sich in<br />
Deutschland als Menschen zweiter Klasse geführt, könnten einen Verstoß gegen die<br />
Grundsätze der Menschlichkeit ebenfalls nicht begründen. Der Grundsatzverstoß müsse<br />
präzisiert sein (vgl. VG, Urteil der Kammer vom 12. August 2005 - 31 A 347.<strong>04</strong> -). Daran<br />
fehle es hier. Die Aussagen der Mitarbeiter seien pauschal und bezögen sich auf keinen<br />
konkreten, sachlich und zeitlich eingegrenzten Lebenssachverhalt, den das Gericht unter<br />
eine Variante des § 1 Abs. 4 AusglLeistG hätte subsumieren können.<br />
3. Schließlich sei das Gericht auch nicht überzeugt, dass das Unternehmen oder der Inhaber<br />
persönlich dem NS-Regime erheblich Vorschub geleistet hätte. Mit „erheblich Vorschubleisten“<br />
seien Handlungen gemeint, die nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern mit<br />
einer gewissen Stetigkeit vorgenommen wurden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen<br />
<strong>für</strong> die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen<br />
Systems zu verbessern oder Widerstand zu unterdrücken, und dies auch zum Ergebnis<br />
52
hatten. Der Nutzen <strong>für</strong> das Regime durfte nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein.<br />
Außerdem müsste die betroffene Person in dem Bewusstsein gehandelt haben, ihr<br />
Verhalten könne diesen Erfolg haben (BVerwG, Urteil vom 17. März 2005 - 3 C 20.<strong>04</strong> -<br />
BVerwGE 123, 142 = Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 5 = ZOV 2005, 233). Weder die<br />
Möbelarbeiten im Propagandaministerium noch im General-Gouvernements-Gebäude in<br />
Lodz durch das Unternehmen stellten ein erhebliches Vorschubleisten dar; sie seien nicht<br />
von der nationalsozialistischen Ideologie geprägt gewesen. Das gleiche gelte <strong>für</strong> die<br />
Aufträge der Luftwaffe und den - nicht nachgewiesenen - Bau von Munitionskisten. Sie<br />
sollten höchsten dazu beitragen, den Krieg fortzuführen und zu gewinnen. Eine solche<br />
Zielsetzung erfülle dieses Unwürdigkeitsmerkmal nicht; ansonsten wäre bereits jeder<br />
Wehrmachtssoldat von der Gewährung von Ausgleichsleistungen ausgeschlossen.<br />
Schließlich sei die Mitgliedschaft in der NSDAP und ihren Gliederungen - unter Berücksichtigung<br />
der zuvor dargestellten Gesetzessystematik - ebenfalls kein erhebliches Vorschubleisten<br />
im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG.<br />
Die dem Enteignungsvorschlag zugrunde liegende Kontrollratsdirektive Nr. 38 führe zu<br />
keinem anderen Ergebnis. Demnach reichte nicht aus, dass der Betreffende einer im Anhang<br />
bezeichneten Personengruppe zuzuordnen war. Es habe zusätzlich einer sorgfältigen<br />
Prüfung der ihm zur Last gelegten Verbrechen bedurft, die im Rahmen des Ausgleichsleistungsgesetzes<br />
auch unter Berücksichtigung der bereits erwähnten besonderen<br />
Gesetzessystematik vorzunehmen sei.<br />
Der Enteignungsvorschlag habe in dem Betroffenen einen Hauptschuldigen nach Art. II<br />
Ziff. 2 (i. V. m. Art. 46 der Haager Landkriegsordnung) und Ziff. 9 der Kontrollratsdirektive<br />
Nr. 38 gesehen. Allerdings könne die sorgfältige Prüfung, ob der Geschädigte mindestens<br />
eine dieser Varianten erfüllte, dahingestellt bleiben, da er bereits keiner der im Anhang A,<br />
Abschnitt I genannten Personengruppen angehört habe, die im Falle der Überführung der<br />
ihnen nach Art. II zur Last gelegten Verbrechen als Hauptschuldige galten. Es sei nicht<br />
ersichtlich, dass er besondere, im Anhang I erwähnte Funktionen in der NSDAP, der DAF<br />
oder der NSV ausgeübt hatte. Auch falle er nicht unter Punkt O, Ziff. 2 („Alle Personen,<br />
die Gegner des Nationalsozialismus denunziert oder sonst zu ihrer Verhaftung beigetragen<br />
… haben“). Die Anzeige der drei flämischen Arbeiter habe nicht zu ihrer Verhaftung<br />
geführt.<br />
Der Unternehmensinhaber wurde im Enteignungsvorschlag jedenfalls als Belasteter<br />
eingestuft. Zwar zählte er zu der im Anhang A, Abschn. II, Ziff. 4 aufgeführten Personengruppe,<br />
die sämtliche Mitglieder der NSDAP vor dem 1. Mai 1937 umfasste. Allerdings<br />
würden die im Enteignungsverfahren aufgezählten Varianten des Aktivisten (Art. III A) und<br />
Nutznießers (Art. III B) auf ihn nicht zutreffen bzw. sich nicht nachweisen lassen.<br />
Absatz I von Art. III B sei bereits aus dem Grunde abzulehnen, dass er keine politische<br />
Stellung innehatte oder besondere Beziehungen im NS-System besaß. Ziff. 3 des Absatzes<br />
II sei nicht nachgewiesen. Die Rückübertragung des Grundstücks an die Erben des<br />
Ehepaars beruhte auf der Vermutungsregel des § 1 Abs. 6 VermG. Im Falle der Prüfung<br />
der Unwürdigkeit sei aber eine solche Vermutung nicht ausreichend (vgl. außerdem oben<br />
II.1).<br />
Anmerkungen:<br />
Soweit das VG die Vermutungsregel des § 1 Abs. 6 VermG <strong>für</strong> den „Nachweis“ der Unwürdigkeit<br />
ablehnt, verkennt es - ebenso wie das VG Gera im Urteil vom 26. Januar (6 K 617/<strong>04</strong><br />
- vgl. die Anmerkung hierzu in dieser RÜ) - die Regelungssystematik des § 15 Abs. 2 RepG,<br />
auf die der Gesetzgeber in der Begründung des in § 7 a Abs. 3 b Satz 2 VermG wortgleich<br />
geregelten Ausschlusstatbestandes Bezug nimmt. Auch der Vorwurf des „Automatismus“,<br />
den das VG erhebt in Bezug auf die Annahme des LARoV, ein unter dem Einheitswert<br />
liegender Kaufpreis führe zur Unwürdigkeit der 2. Tatbestandsalternative, übergeht den<br />
53
Willen des Gesetzgebers, der mit der Bezugnahme auf § 15 Abs. 2 RepG dessen bzw. die<br />
Rechtsgrundsätze der zu dieser Vorschrift ergangenen Rechtsprechung bei der Auslegung<br />
dieser Ausschlussalternative im Blick hat. Die darüber hinaus angestellten Spekulationen<br />
über den evtl. niedrigen Kaufpreis liegen mangels Anhaltspunkten im Kaufvertrag, in dem<br />
entsprechende Vereinbarungen niedergelegt worden wären, völlig neben der Sache.<br />
Die Begründung des Nichtvorliegens der 1. Tatbestandsalternative ist darüber hinaus in<br />
hohem Maße widersprüchlich und einseitig spekulativ unter völliger Ignoranz gesicherter<br />
zeithistorischer Erkenntnisse. So beruft sich das VG auf ein „Merkblatt über die allgemeinen<br />
Grundsätze <strong>für</strong> die Behandlung der im Reich tätigen ausländischen Arbeitskräfte“ vom 15.<br />
April 1943 des Reichspropagandaministeriums, um zu begründen, es sei an „gewissen Mindeststandards“<br />
bei der Behandlung von „ausländischen Arbeitern“ festgehalten worden. Die<br />
anerkannte Untersuchung von Ulrich Herbert (vgl. Ulrich Herbert, Politik und Praxis des<br />
‚Ausländereinsatzes’ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999) kommt demgegenüber<br />
nicht nur zu dem Schluss, dass sich aus dem aufgeführten Merkblatt aus dem<br />
Propagandaministerium zum Ausländereinsatz (a. a. O., S. 282) die tatsächlichen - schlimmen<br />
- Lebens- und Arbeitsverhältnisse der ausländischen Arbeitskräfte ablesen lassen,<br />
sondern sich auch nach Herausgabe dieses Merkblatts in der Praxis nichts änderte. Darüber<br />
hinaus ist durch Publikationen belegt, dass eine Meldung wegen „Nichterfüllung der Arbeitspflicht“,<br />
„Arbeitsbummelei“, „Arbeitsvertragsbruch“ u. ä. m. durch den Arbeitgeber die diesem<br />
bekannte und damit beabsichtigte Einweisung in ein sog. Arbeitserziehungslager ohne<br />
Gerichtsverfahren und ohne Angabe der Haftdauer zur Folge hatte (vgl. Gabriele Lotfi: KZ<br />
der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, München 2000; Mark Spoerer:<br />
Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, Stuttgart/München 2001, S. 178; Berliner Geschichtswerkstatt<br />
[Hg.]: Arbeitserziehungslager Fehrbellin. Zwangsarbeiterinnen im Straflager der<br />
Gestapo). Ein Betriebsinhaber, der ausländische Arbeitskräfte an die Gestapo denunzierte,<br />
kannte und wollte die ihm bekannten, oben beschrieben Maßnahmen und verstößt schon<br />
deshalb - auch nach der Begründung des VG - gegen die Grundsätze der Menschlichkeit<br />
und Rechtsstaatlichkeit.<br />
Die Nichtzulassung der Revision im o. g. Urteil hat das LARoV durch Beschwerde angefochten.<br />
Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />
54
Rücknahme eines Bescheides; Ermessen der<br />
Vermögenszuordnungsbehörde bei Beteiligung<br />
von öffentlichen Verwaltungsträgern<br />
§ 48 VwVfG;<br />
§ 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG<br />
Leitsätze des Bearbeiters (nicht amtlich):<br />
1. Obwohl im Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung der aus § 48 Abs. 2 und<br />
3 VwVfG folgende Vertrauensschutz ausgeschlossen ist, tritt bei der Entscheidung über<br />
die Rücknahme eines rechtswidrigen Zuordnungsbescheides nach § 48 VwVfG nicht<br />
schon deshalb eine Ermessensreduzierung auf Null ein, weil der Adressat des Zuordnungsbescheides<br />
ein Träger öffentlicher Verwaltung ist.<br />
2. Das öffentliche Interesse, das in diesen Fällen den ausschließlichen Maßstab <strong>für</strong> die<br />
Rücknahmeentscheidung bildet, wird nicht nur vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der<br />
Verwaltung, sondern ebenso vom Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bestimmt. Da aus<br />
der in § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG normierten Zweijahresfrist folgt, dass gerade im Zuordnungsrecht<br />
auf die Beständigkeit einmal getroffener Zuordnungsentscheidungen besonderes<br />
Gewicht zu legen ist, ist das Rücknahmeermessen der Zuordnungsbehörde i. S.<br />
einer Ermessensdirektive eingeschränkt.<br />
3. Im Einzelfall können öffentliche Belange von derart hohem Gewicht dazu führen, dass<br />
auch noch nach Ablauf der in § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG bestimmten Zweijahresfrist die<br />
fehlerhafte Zuordnung korrigiert werden muss.<br />
Gericht, Datum und Az.:<br />
BVerwG, Urteil vom 27. April <strong>2006</strong>, Az.: 3 C 23.05<br />
Tatbestand/Problem:<br />
Mit seiner Entscheidung vom 27. April <strong>2006</strong> hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil<br />
des Verwaltungsgerichts Berlin im Ergebnis bestätigt, mit dem die VZ-Stelle Rostock zur<br />
Rücknahme eines Bescheides verpflichtet wurde. In dem zugrunde liegende Fall hatte die<br />
begünstigte Gemeinde nach Antragstellung und Zuordnung festgestellt, dass es sich bei<br />
Teilen der Liegenschaft statt um einen Schießplatz um eine Sondermülldeponie handelte.<br />
Daraufhin verlangte sie bei der OFD-Berlin (VK-GmbH) die Aufhebung des Bescheides.<br />
Diese erließ einen ablehnenden Bescheid unter Hinweis auf § 49 VwVfG - Widerruf eines<br />
rechtmäßigen Bescheides. Das Verwaltungsgericht Berlin sah in seinem Urteil zur Rücknahmeverpflichtung<br />
einen Fall des § 48 VwVfG, bei dem im Rahmen der durch die Vermögenszuordnungsstelle<br />
vorzunehmenden Ermessensabwägung eine Ermessensreduzierung<br />
auf Null eingetreten sei. Es entsprach der ständigen Rechtsprechung des VG Berlin, immer<br />
eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen, wenn Träger öffentlicher Verwaltung<br />
beteiligt waren. Im innerstaatlichen Bereich im Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher<br />
Verwaltung gebe es - anders als wenn grundgesetzlich geschützte Interessen Privater<br />
berührt seien - kein Bedürfnis <strong>für</strong> die Aufrechterhaltung rechtswidriger Vermögenszuordnungen.<br />
Mit der durch die VZ-Stelle Rostock betriebenen Revision sollte die Frage geklärt werden, ob<br />
bei der Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen Zuordnungsbescheides<br />
nach § 48 VwVfG eine Ermessensreduzierung auf Null deshalb eintritt, weil der Adressat des<br />
Zuordnungsbescheides ein Träger öffentlicher Verwaltung ist und darum kein Bedürfnis <strong>für</strong><br />
die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Zuordnungsentscheidung bestehe.<br />
55
Anmerkungen:<br />
Die Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils durch das Bundesverwaltungsgericht hat seine<br />
Ursache lediglich in der Besonderheit des zugrunde liegenden Falles.<br />
Letztendlich jedoch hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung der Vermögenszuordnungsstelle<br />
im Grundsatz bestätigt, dass eine generelle Ermessensreduzierung auf Null, wie<br />
sie das Verwaltungsgericht Berlin bei Rücknahmen zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung<br />
in ständiger Rechtsprechung angenommen hat, abzulehnen ist. Im Rahmen der bei einer<br />
Rücknahme eines Bescheides nach dem VZOG, der an Träger öffentlicher Verwaltung<br />
adressiert ist, vorzunehmenden Ermessensabwägung ist danach ausschließlich das öffentliche<br />
Interesse zu berücksichtigen. Das Institut des Vertrauensschutzes sei zwar im Verhältnis<br />
Bürger - Verwaltung entwickelt worden und könne nicht von Trägern öffentlicher Verwaltung<br />
in Anspruch genommen werden. Das öffentliche Interesse umfasse aber neben dem Grundsatz<br />
der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. Das<br />
Bundesverwaltungsgericht weist auf § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG hin, der deutlich mache, dass<br />
der Gesetzgeber der Beständigkeit der Zuordnungsentscheidung besonders großes Gewicht<br />
beimesse. Nach Ablauf der dort bestimmten Zweijahresfrist <strong>für</strong> die Wiederaufnahme des<br />
Verfahrens komme daher dem öffentlichen Interesse an der Beständigkeit auch fehlerhafter<br />
Zuordnungsentscheidungen erhöhtes Gewicht zu. Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass<br />
sich Zuordnungsverfahren unendlich fortsetzen. Diese Absicht beanspruche über den engeren<br />
Anwendungsbereich des § 51 VwVfG hinaus Geltung und schränke im Sinne einer<br />
Ermessensdirektive das Rücknahmeermessen der Zuordnungsbehörde ein.<br />
Diese Ermessensdirektive schließt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts allerdings<br />
nicht aus, dass im Einzelfall öffentliche Belange von derart hohem Gewicht <strong>für</strong> die Korrektur<br />
einer fehlerhaften Zuordnung streiten, dass sie sich auch nach Ablauf der Zweijahresfrist<br />
durchsetzen. In dem vorliegenden Fall war es die finanzielle und fachliche Überforderung<br />
einer Kommune mit der Sanierung einer Sondermülldeponie, so dass hier der Gesichtspunkt<br />
der Gefahrenabwehr zum Wohle der Allgemeinheit ein besonders dringliches öffentliches<br />
Interesse an der Aufhebung der Zuordnungsentscheidung begründete.<br />
Für die Praxis der Zuordnungsstellen heißt dies, dass die Rücknahme eines rechtswidrigen<br />
Bescheides zwei Jahre nach seinem Erlass in der Regel unterbleiben wird. Allerdings muss<br />
im Einzelfall geprüft werden, ob sich öffentliche Belange von erhöhtem Gewicht feststellen<br />
lassen, die eine Korrektur der rechtswidrigen Zuordnung im öffentlichen Interesse notwendig<br />
machen.<br />
Erwähnenswert ist noch die Feststellung im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dass<br />
auch einiges da<strong>für</strong> spreche, dass die Fristbestimmung des § 48 Abs. 4 VwVfG als Ausfluss<br />
des Vertrauensschutzes ebenfalls keine Anwendung zwischen Behörden finde.<br />
Mitgeteilt von Werner Günther<br />
56