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05 - Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen ...

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<strong>B<strong>und</strong>esamt</strong> zur Regelung <strong>offene</strong>r<br />

<strong>Vermögensfragen</strong><br />

Rechtsprechungsübersicht<br />

<strong>05</strong>/20<strong>05</strong><br />

vom 27. September 20<strong>05</strong><br />

Seite<br />

VG Chemnitz, Urteil vom 22. Juli 2004, Az.: 9 K 530/01 [5495] 5<br />

Dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub<br />

leisten; Verstoß gegen die Gr<strong>und</strong>sätze der Menschlichkeit<br />

<strong>und</strong> Rechtsstaatlichkeit; Gauredner; Bezirksredner; Amts-<br />

leiter NS-Ärzteb<strong>und</strong>; Kreishauptstellenleiter; Amt <strong>für</strong> Volks-<br />

ges<strong>und</strong>heit; Beisitzer am Erbges<strong>und</strong>heitsgericht; SA-Stan-<br />

dartenarzt<br />

§ 1 Abs. 4 1. <strong>und</strong> 3. Alt.,<br />

§ 5 AusglLeistG<br />

VG Leipzig, Urteil vom 20. August 2004, Az.: 1 K 340/03 [5494] 9<br />

Dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub<br />

leisten; Kreisfachberater <strong>für</strong> Bauwesen; Kreisreferent <strong>für</strong><br />

das Bau- <strong>und</strong> Siedlungswesen<br />

§ 1 Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG;<br />

VG Dresden, Urteil vom 15. September 2004, Az.: 4 K 238/03 [5655] 15<br />

Dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub<br />

leisten; Stadtverordneter; Stadtrat; NSDAP-Kreisamtsleiter; Kreis-<br />

amtsleiter des NS-Juristenb<strong>und</strong>es; Kreisgerichts-Vorsitzender<br />

des NSDAP-Parteigerichts<br />

§ 1 Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG<br />

BVerwG, Beschluss vom 16. November 2004, Az.: 3 B 41.04 [5511] 19<br />

Restitution; Rückübertragung; Vermögenszuordnungsrecht;<br />

Restitutionsausschluss; Restitutionsberechtigter; Funktions-<br />

nachfolger; Wohnnutzung; Kommune zur Nutzung sowie zur<br />

selbständigen Bewirtschaftung <strong>und</strong> Verwaltung übertragen;<br />

Leerstand<br />

Art. 21 Abs. 3,<br />

Art. 22 Abs. 4 EV;<br />

§ 1 a Abs. 4,<br />

§ 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG<br />

VG Dresden, Urteil vom 25. Januar 20<strong>05</strong>, Az.: 2 K 202/03 [5638] 23<br />

Verstoß gegen die Gr<strong>und</strong>sätze der Menschlichkeit oder<br />

Rechtsstaatlichkeit; Beschäftigung von Kriegsgefangenen<br />

<strong>und</strong> Zwangsarbeitern<br />

§ 1 Abs. 4 1. Alt. AusglLeistG<br />

1


BVerwG, Urteil vom 23. Februar 20<strong>05</strong>, Az.: 8. C 2.04 [5585] 29<br />

Entschädigungslose Enteignung; Vermögensverschiebung;<br />

Vermögensverschiebung im staatlichen Bereich; West-Ge-<br />

sellschaft; öffentliche Aufgabe; staatsorganisatorische Neu-<br />

ordnung; städtisches Wohnungsunternehmen; GmbH; Wohn-<br />

raumversorgung<br />

§ 1 Abs. 1 a VermG<br />

BVerwG, Urteil vom 24. Februar 20<strong>05</strong>, Az.: 3 C 16.04 [5637] 33<br />

Erstreckung der Prüfung von Ausschlussgründen auf denjeni-<br />

gen, auf den die Enteignung auf besatzungsrechtlicher/-hoheit-<br />

licher Gr<strong>und</strong>lage abzielte; Gauhauptamtsleiter; Gauredner;<br />

Beauftragter des Reichsverteidigungskommissars; SS-Oberfüh-<br />

rer; Gauobmann der DAF<br />

§ 1 Abs. 1 <strong>und</strong> 4 3. Alt. AusglLeistG<br />

BVerwG, Urteil vom 17. März 20<strong>05</strong>, Az.: 3 C 20.04 [5639] 37<br />

Erhebliches Vorschubleisten in der Phase der Errichtung des NS-<br />

Systems; Irrelevanz der Entnazifizierungsentscheidung <strong>für</strong> den<br />

Anspruchsausschluss; Alfred Hugenberg<br />

§ 1 Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG<br />

BVerwG, Beschluss vom 19. April 20<strong>05</strong>, Az.: 8 B 78.04 [5579] 45<br />

Erbengemeinschaft, kollektivverfolgte Miterben; nicht-<br />

kollektivverfolgte Miterben; „rassisch gemischte“ Erben-<br />

gemeinschaft, Kollektivverfolgung<br />

§ 1 Abs. 6 VermG<br />

BVerwG, Beschluss vom 26. April 20<strong>05</strong>, Az.: 7 B 13.<strong>05</strong> [5581] 47<br />

Restitutionsanspruch; Abtretung; frühere Berechtigung des<br />

Zedenten; Anspruch auf Feststellung einer früheren Berech-<br />

tigung<br />

§ 3 Abs. 1 Satz 2 <strong>und</strong> Abs. 4 Satz 3 VermG;<br />

§ 16 InVorG<br />

VG Potsdam, Urteil vom 26. Mai 20<strong>05</strong>, Az.: 9 K 1992/01 [5653] 49<br />

Verfolgungsbedingter Vermögensverlust; Vermögensver-<br />

lust „auf andere Weise“; Erbausschlagung; Siedlungsunter-<br />

nehmen; Zwischenerwerb<br />

§ 1 Abs. 6,<br />

§ 3 Abs. 1 Satz 11 VermG;<br />

Art. 3 REAO<br />

BGH, Urteil vom 24. Juni 20<strong>05</strong>, Az.: V ZR 96/04 [5652] 53<br />

Wertausgleich; Zeitrahmen: Werterhöhung vor 1945<br />

§ 1 Abs. 6,<br />

§ 7 Abs. 2 <strong>und</strong> 8 VermG<br />

2


BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 20<strong>05</strong>, Az.: 3 B 101.04 [5651] 57<br />

Ausgeschlossene Bruchteilsrestitution von später mit eigenen<br />

Mitteln des Unternehmens angeschafftem Gr<strong>und</strong>stück; Singu-<br />

larentschädigung<br />

§ 1 Abs. 6,<br />

§ 3 Abs. 1 Satz 4 <strong>und</strong> 6 VermG;<br />

§ 2 Satz 4 NS-VEntschG<br />

Herausgeber:<br />

<strong>B<strong>und</strong>esamt</strong> zur Regelung <strong>offene</strong>r <strong>Vermögensfragen</strong><br />

- Referat Q 3 -<br />

Mauerstr. 39 - 40, 10117 Berlin Postfach 3<strong>05</strong>, 10107 Berlin<br />

Telefon: (01888) 70 20 - 0<br />

- 124 (Frau Breitfeld, Verteilung <strong>und</strong> Versand der RÜ)<br />

Telefax: (01888) 70 20 - 260<br />

E-Mail: poststelle@barov.b<strong>und</strong>.de<br />

Internet: www.barov.b<strong>und</strong>.de<br />

3


Erhebliches Vorschubleisten dem nationalsozialistischen<br />

System; Verstoß gegen die<br />

Gr<strong>und</strong>sätze der Menschlichkeit <strong>und</strong> Rechtsstaatlichkeit;<br />

Gauredner; Bezirksredner;<br />

Amtsleiter NS-Ärzteb<strong>und</strong>; Kreishauptstellenleiter;<br />

Amt <strong>für</strong> Volksges<strong>und</strong>heit; Beisitzer am<br />

Erbges<strong>und</strong>heitsgericht; SA-Standartenarzt<br />

Leitsätze der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

§ 1 Abs. 4 1. <strong>und</strong> 3. Alt.,<br />

§ 5 AusglLeistG<br />

1. Das Gericht muss seine Überzeugung der persönlichen Zustimmung des Betr<strong>offene</strong>n zu<br />

Sterilisationsbeschlüssen eines nationalsozialistischen Erbges<strong>und</strong>heitsgerichts nicht notwendigerweise<br />

durch Aufklärung seines Verhaltens bei der die Beratung betreffende Entscheidung<br />

gewinnen, um das subjektive Tatbestandsmerkmal des Verstoßes gegen die<br />

Gr<strong>und</strong>sätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit bejahen zu können. Es kann sie<br />

vielmehr auch aus anderen Umständen (so genannten Hilfstatsachen) herleiten, die als Beweisanzeichen<br />

<strong>für</strong> die Zustimmung Gewicht haben (BVerwGE 26, 83, 84).<br />

2. Bei der Übernahme einer größeren Anzahl von Ämtern innerhalb der NSDAP <strong>und</strong> ihren<br />

Gliederungen sowie ggf. der Erlangung höherer Ränge ist es zur Erfüllung der Voraussetzungen<br />

des erheblichen Vorschubleistens nicht erforderlich, dass jede einzelne der Betätigungen<br />

hinsichtlich des Ortes, des Zieles <strong>und</strong> des Inhaltes der Betätigung nachgewiesen<br />

werden muss. Ausreichend ist bei einer solch umfassenden Betätigung innerhalb des NS-<br />

Regimes die erfolgreiche Ausübung der Ämter über einen längeren Zeitraum.<br />

3. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG bezieht sich auch auf den dem<br />

Gr<strong>und</strong>e nach bestehenden Anspruch auf Rückgabe beweglicher, nicht in einen Einheitswert<br />

einbezogener Sachen, die eine natürliche Person durch entschädigungslose Enteignung<br />

auf besatzungsrechtlicher/-hoheitlicher Gr<strong>und</strong>lage i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1<br />

AusglLeistG verloren hat.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

VG Chemnitz, Urteil vom 22. Juli 2004, Az.: 9 K 530/01<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Kläger begehren Ausgleichsleistung nach dem Ausgleichsleistungsgesetz <strong>für</strong> ein Wohnhaus<br />

einschließlich Inventar, insbesondere die Rückgabe einer größeren Anzahl von Kunstgegenständen<br />

nach § 5 AusglLeistG, die ihrem Rechtsvorgänger auf besatzungsrechtlicher/hoheitlicher<br />

Gr<strong>und</strong>lage entzogen wurden.<br />

Der Geschädigte, der am 15. Juli 1945 verhaftet wurde <strong>und</strong> offenbar in der Haft verstarb, war<br />

bis zum Jahr 1935 Leiter einer privaten Frauenklinik. Am 12. Juni 1930 trat er in die NSDAP<br />

sowie in die SA ein. Verschiedenen Personalbögen ist zu entnehmen, dass er ab dem Jahr<br />

1930 als Bezirks- bzw. Gauredner <strong>für</strong> die NSDAP auftrat. Von 1930 bis 1935 wurde er darüber<br />

hinaus als Bezirksobmann des NS-Ärzteb<strong>und</strong>es (NSDÄB) tätig, von 1933 bis 1935 in<br />

der Funktion eines Amtsleiters des NSDÄB sowie des Amtes <strong>für</strong> Volksges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> als<br />

Vorsitzender der Ärztekammer des Bezirks Zwickau-Plauen.<br />

5


Innerhalb der SA wurde er mit Wirkung vom 1. Juli 1932 zum Sanitätsstandartenführer befördert.<br />

Bis zum 28. Februar 1934 war er als Sturmbann- <strong>und</strong> Standartenarzt tätig <strong>und</strong> bis zum<br />

25. August 1935 als Adjutant beim Brigadearzt der SA eingesetzt. Nach diesem Zeitpunkt<br />

wurde er ZBV- bzw. ZV gestellt.<br />

Als ein mit der Erbges<strong>und</strong>heitslehre besonders vertrauter Arzt wurde der Betr<strong>offene</strong> zum Beisitzer<br />

in das Erbges<strong>und</strong>heitsgericht beim Amtsgericht Zwickau berufen. Aus den Unterlagen<br />

ergibt sich, dass er in drei Erbges<strong>und</strong>heitssachen, in denen das Gericht wegen Schizophrenie<br />

die Unfruchtbarmachung des Patienten auf Gr<strong>und</strong>lage des Reichsgesetzes zur Verhütung erbkranken<br />

Nachwuchses vom 14. Juli 1933 anordnete, durch Unterschriftsleistung mitgewirkt<br />

hat.<br />

Im September/Oktober 1935 wurde er zum Chefarzt der Staatlichen Frauenklinik Chemnitz<br />

berufen. Ab dem 25. August 1938 war er deren Leiter, bevor er ab dem 10. Oktober 1939 zum<br />

Direktor der Staatlichen Frauenklinik ernannt wurde. Nach Beendigung des Krieges wurde er<br />

aus dieser Funktion entlassen <strong>und</strong> verhaftet.<br />

Nach einer Mitteilung der Zentralstelle <strong>für</strong> Landesjustizverwaltungen vom 11. August 1999<br />

wurde gegen ihn offenbar Anklage erhoben. Das Verfahren sei jedoch wegen seines Todeseintritts<br />

im Jahre 1950 eingestellt worden.<br />

Das ARoV Chemnitz lehnte die erhobenen Ansprüche wegen des Vorliegens von Ausschlussgründen<br />

gemäß § 1 Abs. 4 AusglLeistG ab.<br />

Die Klage gegen den diese Entscheidung bestätigenden Widerspruchsbescheid wurde vom<br />

VG Chemnitz abgewiesen.<br />

Dem VG Chemnitz zufolge hat die Tätigkeit des Betr<strong>offene</strong>n als Gauredner sowie als Beisitzer<br />

am Erbges<strong>und</strong>heitsgericht beim Amtsgericht Zwickau in den Jahren 1930 bis 1945 dem<br />

nationalsozialistischen System in Deutschland gemäß § 1 Abs. 4 AusglLeistG erheblichen<br />

Vorschub geleistet.<br />

Das Amt als Gauredner, das er bereits seit 1930 <strong>und</strong> nachweislich noch 1939 ausgeübt habe,<br />

sei bereits von seiner Natur her darauf ausgelegt, im Wege propagandistischer Überzeugungstätigkeit<br />

das nationalsozialistische System zu stützen <strong>und</strong> zu stärken. Dies beweise auch, dass<br />

er sich frühzeitig mit den Idealen <strong>und</strong> Zielen der NSDAP identifiziert <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der Dauer<br />

der Ausübung aus Sicht der Machthaber dieses Amt auch gewissenhaft <strong>und</strong> erfolgreich ausgeübt<br />

habe.<br />

Als Beisitzer am Erbges<strong>und</strong>heitsgericht, das aufgr<strong>und</strong> des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken<br />

Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 (RGBl I, S. 529 f.) tätig wurde, habe er zudem dem<br />

menschenverachtenden rasseideologischen Gesetzesziel zur Durchsetzung verholfen.<br />

Ausgehend von der nationalsozialistisch geprägten Auffassung <strong>und</strong> Bedeutung der Erbges<strong>und</strong>heitslehre<br />

sei davon auszugehen, dass dies bedeute, dass er als ein gerade mit der nationalsozialistischen<br />

Erbges<strong>und</strong>heitslehre besonders vertrauter Arzt angesehen wurde. Seine<br />

neutrale Stellung als beisitzender Arzt sei somit zu verneinen.<br />

Auch die Übernahme einer großen Anzahl von Ämtern innerhalb der NSDAP <strong>und</strong> sein Engagement<br />

im NSDÄB sowie der hohe Dienstrang in der SA sprächen <strong>für</strong> eine aktive Betätigung<br />

im Sinne der politischen Zielrichtung dieser Organisationen.<br />

Das aktive Verhalten des Betr<strong>offene</strong>n im Sinne des nationalsozialistischen Systems sei ausdrücklich<br />

gewürdigt <strong>und</strong> bestätigt worden durch die Einschätzungen des Kreisleiters der<br />

NSDAP vom 8. November 1934 <strong>und</strong> des Gau-Obmanns des NS-Lehrerb<strong>und</strong>es vom 9. November<br />

1934. Insofern erachte das Gerichts sein aktives Verhalten als belegt, wobei es vor<br />

dem Hintergr<strong>und</strong> der dargelegten Umstände des Einzelfalls hier nicht erforderlich sei, dass<br />

jede einzelne seiner Betätigungen hinsichtlich des Ortes, des Zieles <strong>und</strong> des Inhalts der Betätigung<br />

dargelegt <strong>und</strong> bewiesen werden müsse. Ausreichend erscheine bei einer solch umfassenden<br />

Betätigung innerhalb des NS-Regimes die erforderliche Ausübung der Ämter über<br />

einen längeren Zeitraum.<br />

6


Dass der Betr<strong>offene</strong> keinerlei Auszeichnungen erhalten habe, an keinen Parteitagen o. ä. teilgenommen<br />

habe oder niemals wegen eines Kriegsverbrechens oder Verbrechens gegen die<br />

Menschlichkeit verurteilt worden sei, rechtfertige keine andere Beurteilung.<br />

Darüber hinaus sei auch das Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs. 4 AusglLeistG des Verstoßes<br />

gegen die Gr<strong>und</strong>sätze der Menschlichkeit <strong>und</strong> Rechtsstaatlichkeit aufgr<strong>und</strong> Mitwirkung des<br />

Betr<strong>offene</strong>n an drei Beschlüssen des Erbges<strong>und</strong>heitsgerichts, welches auf Gr<strong>und</strong>lage des „Gesetzes<br />

zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 drei Sterilisationen an<br />

Schizophrenie erkrankten Personen beschlossen hat, erfüllt. Dabei sei zu berücksichtigen,<br />

dass ein etwaiger Verstoß gegen die o. g. Gr<strong>und</strong>sätze nicht unter Berufung auf damals geltende<br />

formelle Rechtmäßigkeit zu verneinen sei, vielmehr komme es auf den materiellen Unrechtsgehalt<br />

des Verhaltens nach den Maßstäben rechtsstaatlicher Gr<strong>und</strong>sätze an (BVerwG,<br />

Urteil vom 16. Januar 1964 - VIII C 60.62 - BVerwGE 19, 1 = NJW 1964, 2220 = DVBl<br />

1968, 983 = Buchholz 412.3 § 3 BVFG Nr. 32 = ROW 1965, 53).<br />

Der objektive Verstoß gegen die o. g. Gr<strong>und</strong>sätze sei bereits durch die bloße Mitwirkung an<br />

den o. g. Beschlüssen zu bejahen.<br />

In subjektiver Hinsicht erfordere das letztgenannte Tatbestandsmerkmal den Nachweis einer<br />

zurechenbaren, vorwerfbaren <strong>und</strong> damit schuldhaften Mitwirkung an den oben genannten<br />

Beschlüssen. Notwendig sei in vergleichbaren Fällen wie diesem gr<strong>und</strong>sätzlich der Nachweis<br />

der persönlichen Zustimmung des Betr<strong>offene</strong>n zu den Entscheidungen des jeweiligen Gerichts<br />

(vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1967 - II C 102.63 - BVerwGE 26, 83 f. = ZBR 1967,<br />

222 = Buchholz 234 § 3 G 131 Nr. 25).<br />

Ein derartiger Nachweis sei nicht möglich, nach Lage des Falls jedoch hier auch nicht erforderlich.<br />

So müsse das Gericht seine Überzeugung der persönlichen Zustimmung des Betr<strong>offene</strong>n<br />

nicht notwendigerweise durch Aufklärung seines Verhaltens bei der die Beratung betreffende<br />

Entscheidung gewinnen, es könne sie vielmehr auch aus anderen Umständen (so genannten<br />

Hilfstatsachen) herleiten, die als Beweisanzeichen <strong>für</strong> die Zustimmung Gewicht haben<br />

(BVerwGE 26, 83 ). Hier ergebe sich aus den Umständen des konkreten Einzelfalls,<br />

dass sich der Rechtsvorgänger der Kläger mit der unmenschlichen Rechtsprechung des Erbges<strong>und</strong>heitsgerichts<br />

identifiziert habe. Die Berufung in die Erbges<strong>und</strong>heitsgerichte der Nationalsozialisten,<br />

deren Aufgabe die Umsetzung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses<br />

war, erfolgte dann, wenn ein Betr<strong>offene</strong>r mit der Erbges<strong>und</strong>heitslehre des nationalsozialistischen<br />

Systems <strong>und</strong> der dortigen vertretenen Auffassung zur Rassenlehre besonders<br />

vertraut war, sodass damit zu rechnen war, dass die in die Erbges<strong>und</strong>heitsgerichte berufenen<br />

Personen halfen, die Vorstellungen der Nationalsozialisten im Hinblick auf ihre Rassenideologie<br />

durchzusetzen. Daneben belege der Umstand, dass er auch innerhalb der SA, einer Organisation<br />

der NSDAP, in der er als Arzt tätig war, befördert wurde, dass er sich auch aus<br />

Sicht der damaligen Machthaber als Arzt im Rahmen der Durchsetzung der NS-Rassendieologie<br />

bewährt hatte. Schließlich ergebe sich auch daraus, dass er als Bezirksobmann im NS-Ärzteb<strong>und</strong><br />

tätig war, dass er sich in besonderer Weise mit dem nationalsozialistischen System<br />

<strong>und</strong> seiner Rassenlehre identifiziert habe. Der nationalsozialistische deutsche Ärzteb<strong>und</strong>, der<br />

bis 1938 ca. 30.000 Mitglieder gezählt hatte, habe eine wichtige Rolle bei der Gleichschaltung<br />

der Ärzteschaft im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie <strong>und</strong> der rassenhygienischen<br />

Propaganda (vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Deutscher Taschenbuchverlag 1997,<br />

S. 607) gespielt.<br />

Insoweit sei auch vom Vorliegen des Tatbestandsmerkmals des Verstoßes gegen die Gr<strong>und</strong>sätze<br />

der Menschlichkeit <strong>und</strong> Rechtsstaatlichkeit auszugehen.<br />

Soweit die Klagepartei die Auffassung vertrete, dass sich der Restitutionsausschluss gemäß<br />

§ 1 Abs. 4 AusglLeistG lediglich auf die Vermögenswerte bzw. Kunstgegenstände beziehen<br />

könne, die der Geschädigte in der Zeit nach 1930 erworben hatte, träfe diese nicht zu. Dies<br />

ergebe sich bereits aus der Wechselwirkung von Enteignung <strong>und</strong> Wiedergutmachung, wobei<br />

auch im Rahmen der Enteignungsvorschriften aus der Zeit der sowjetischen Besatzung keiner-<br />

7


lei Unterschiede im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlangung des Eigentums an den jeweils<br />

betr<strong>offene</strong>n Vermögenswerten gemacht worden seien. Daraus folge, dass wenn dem Gr<strong>und</strong>satz<br />

nach sämtliche bewegliche Vermögenswerte bei Vorliegen des § 1 Abs. 1 AusglLeistG<br />

zurückzugeben seien, bei Vorliegen der Ausschlussklausel des § 1 Abs. 4 AusglLeistG keinerlei<br />

der betr<strong>offene</strong>n Vermögenswerte zurückzugeben seien, wobei keinerlei Unterscheidung<br />

zwischen den Zeitpunkten ihrer Erlangung zu treffen vorzunehmen sei.<br />

Anmerkungen:<br />

Obgleich zum Zeitpunkt der Entscheidung des VG Chemnitz das Urteil des BVerwG im Fall<br />

Hugenberg vom 17. März 20<strong>05</strong> (3 C 20.04) - der ersten höchstrichterlichen Entscheidung zur<br />

3. Tatbestandsalternative des § 1 Abs. 4 AusglLeistG - noch nicht vorlag, ist die Urteilsbegründung<br />

im vorliegenden Fall unter Bezugnahme auf Entscheidungen zu Regelungen des<br />

alten Kriegsfolgerechts hierzu kongruent.<br />

Der gegen das Urteil des VG Chemnitz erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der<br />

Revision dürfte insoweit kaum Erfolg beschieden sein (anhängig unter dem Az. 3 B 6.<strong>05</strong>).<br />

Dem VG Chemnitz ist darüber hinaus zuzustimmen, dass das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen<br />

der 1. Tatbestandsalternative des § 1 Abs. 4 AusglLeistG auch aus<br />

Hilfstatsachen hergeleitet werden kann, wie im vorliegenden Fall die Umstände der Berufung<br />

an das Erbges<strong>und</strong>heitsgericht, der Rang als SA-Standartenarzt, der Ausübung von Funktionen<br />

im NSDÄB, dem Amt <strong>für</strong> Volksges<strong>und</strong>heit u. ä. Auch diese Begründung dürfte einer Revision<br />

standhalten.<br />

Begrüßenswert ist die Klarstellung, dass der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />

auf die Rückgabe i. S. des § 5 AusglLeistG uneingeschränkt Anwendung findet (vgl. hierzu<br />

auch Gerhard Wittmer, in: Zur praktischen Anwendung der Unwürdigkeitsklausel des § 1<br />

Abs. 4 AusglLeistG, in: ZAP-Ost Fach 16, S. 449 f., 450).<br />

Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />

8


Erhebliches Vorschubleisten dem nationalsozialistischen<br />

System; Kreisfachberater <strong>für</strong><br />

Bauwesen; Kreisreferent <strong>für</strong> das Bau- <strong>und</strong><br />

Siedlungswesen<br />

Leitsätze der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

§ 1 Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG<br />

Die Ablehnung einzelner ideologischer Gr<strong>und</strong>sätze unter bewusster Tolerierung <strong>und</strong> teilweiser<br />

Verfolgung derselben politischen Ziele der Nationalsozialisten reicht ebenso wenig aus<br />

wie das Abwenden von dem System der Nationalsozialisten nach dessen Untergang, nachdem<br />

der Betr<strong>offene</strong> selbst den Weg mitbereitet hatte, um das Nichtvorliegen des subjektiven Tatbestands<br />

des erheblichen Vorschubleistens dem NS-System i. S. d. § 1 Abs. 4 3. Alt.<br />

AusglLeistG zu belegen.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

VG Leipzig, Urteil vom 20. August 2004, Az.: 1 K 340/03<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Unter Bezugnahme auf den Ausschlussgr<strong>und</strong> des § 1 Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG lehnte das<br />

ARoV Leipzig den Antrag auf Ausgleichsleistung wegen der besatzungsrechtlichen/-hoheitlichen<br />

Enteignung mehrerer Gr<strong>und</strong>stücke des Rechtsvorgängers der Kläger ab.<br />

Dieser war seit dem 8. August 1925 Mitglied der NSDAP <strong>und</strong> wurde im gleichen Jahr zum<br />

Ortsgruppenführer ernannt. 1927 trat er vorgeblich auf Wunsch des damaligen Reichsschatzmeisters<br />

der NSDAP - ohne seine Mitgliedschaft aufgeben zu wollen - aus der Partei mit der<br />

Begründung aus, den Offenbarungseid <strong>für</strong> Forderungen, die durch den Ankauf einer Druckmaschine<br />

<strong>und</strong> der entsprechenden Papiervorräte <strong>für</strong> die Partei entstanden wären, verhindern<br />

zu wollen.<br />

Am 1. August 1929 trat er unter Beibehaltung seiner ursprünglichen Mitgliedsnummer wieder<br />

in die NSDAP ein. Danach sei er vom Kreisleiter mit verschiedenen Ämtern innerhalb der<br />

Kreisleitung beauftragt worden.<br />

In einem Schreiben vom 30. Juni 1934 an den Reichsschatzmeister betreffend seines Antrags<br />

<strong>für</strong> das goldene Ehrenzeichen der alten Parteigenossen äußerte er sich zu seinem Wiedereintritt<br />

dahingehend, dass er sofort wieder in die vorderste Linie gegangen sei. Der Kreisleiter<br />

hätte ihn 1931 bei der Gemeinderatswahl als Kandidaten der NSDAP aufgestellt. Er sei auch<br />

als Stadtverordneter gewählt worden. Dieses Amt hätte er bis zur Machtübernahme inne gehabt.<br />

Zusätzlich habe man ihn zum Kreisfachberater <strong>für</strong> Bauwesen berufen. In einem weiteren<br />

Schreiben vom 22. Februar 1937 an den Reichsschatzmeister führte er aus, er habe anlässlich<br />

einer Feier der „Alten Garde“ in Leipzig, im Jahr 1935, seine Bitte um die Verleihung des<br />

goldenen Ehrenzeichens der NSDAP <strong>und</strong> des sächsischen Ehrenzeichens dem Reichsstatthalter<br />

Mutschmann vorgetragen. Am 20. Juli 1935 verlieh ihm die Gauleitung das sächsische<br />

Ehrenzeichen. Er sei darauf vom Kreisleiter mit verschiedenen Ämtern innerhalb der Kreisleitung<br />

beauftragt worden. Unter anderem sei er Kreisreferent <strong>für</strong> das Bau- <strong>und</strong> Siedlungswesen<br />

gewesen. Seit der Machtübernahme hätte er unzählige Ehrenämter aufgetragen bekommen. Er<br />

sei seit 1925 vorwiegend ohne Unterbrechung in der Partei tätig gewesen <strong>und</strong> habe seine geschäftlichen<br />

Belange (als Inhaber einer Baufirma) nur nebenbei erledigen können. An seiner<br />

Gesinnung habe sich nie etwas geändert. Während der Zeit, in der er nicht Mitglied in der<br />

9


NSDAP gewesen sei, habe er stets <strong>für</strong> die Partei gekämpft <strong>und</strong> geworben. Er könne deshalb<br />

nicht verstehen, dass ihm das goldene Ehrenzeichen vorenthalten werde. Nach der Machtübernahme<br />

sei er wieder als Ratsherr vom 8. Oktober 1935 bis 30. August 1939 berufen worden.<br />

Mit einstweiliger Verfügung des Kreisleiters von Leipzig vom 30. August 1939 wurde er aus<br />

der NSDAP ausgeschlossen. Gegen ihn bestand der Vorwurf schwerer Verstöße gegen die<br />

gesetzlichen Bestimmungen der Kriegswirtschaft. In seiner Beschwerde gegen den Parteiausschluss<br />

teilte er mit, dass er seit 1925/1926 als „Nazi“ bekannt gewesen sei. Weiter führte er<br />

aus, dass er der Partei laufend Beträge <strong>für</strong> Kampfzwecke zur Verfügung gestellt habe, die in<br />

der Höhe weit über seine Kapitaleinkünfte hinausgegangen seien. Er habe nicht nur während<br />

der Kampfzeit, sondern auch nach der Machtübernahme aktiv <strong>für</strong> die Bewegung gearbeitet.<br />

So gab er an, im Auftrag des damaligen Kreisleiters die Gleichschaltungen in den Baugenossenschaften<br />

<strong>und</strong> Schrebervereinen durchgeführt zu haben.<br />

Der Vertrauensrat der Baufirma schrieb in seiner Stellungnahme vom 10. Juni 1940, dass die<br />

politische Einstellung des Betriebes schon bei Eintritt in das Baugeschäft allgemein bekannt<br />

gewesen sei. Es sei damals nicht das Beste gewesen, weil der Name „Nazi“ schon 1928 im<br />

gesamten Baufach ein Begriff <strong>und</strong> aus dem Gr<strong>und</strong> in der Bauarbeiterschaft sehr verschrien<br />

gewesen sei. Es sei daraus eine Betriebszelle (1932) entstanden; die erste in den Baubetrieben<br />

des Bezirkes. Es sei bereits lange Zeit vor der Machtübernahme durch den Betriebsführer die<br />

regeste Propaganda <strong>für</strong> die NSDAP betrieben worden. Ihr Meister habe bei K<strong>und</strong>gebungen <strong>für</strong><br />

den gesamten Betrieb Teilnahmekarten abgenommen, die er unentgeltlich an die Belegschaft<br />

ausgereicht hätte. Zeitschriften wären bezogen worden, Reklame habe man betrieben <strong>und</strong> an<br />

Ausstellungen teilgenommen. Politische Redner wären zur Aufklärung der Belegschaft <strong>und</strong><br />

der Gefolgschaftsmitglieder verpflichtet worden. Vor der Machtübernahme seien von den<br />

Behörden gemaßregelte SA <strong>und</strong> SS Kameraden, die ohne Arbeit waren, jederzeit durch den<br />

Betriebsführer aufgenommen <strong>und</strong> <strong>für</strong> diese gesammelt worden.<br />

Das Gaugericht Sachsen hob die einstweilige Verfügung des Parteiausschlusses <strong>und</strong> den Beschluss<br />

des Kreisgerichts Leipzig auf <strong>und</strong> beantragte gegen den Betr<strong>offene</strong>n die Erteilung<br />

einer Verwarnung unter gleichzeitiger Aberkennung der Würdigkeit zur Bekleidung von Parteiämtern<br />

auf ein Jahr. Diese Entscheidung wurde durch das Oberste Parteigericht der NSDAP<br />

in München bestätigt.<br />

Die Gefolgschaft seiner Baufirma wuchs durch immer größere Aufträge innerhalb von vier<br />

Jahren von ca. 80 auf bis 800 Mann an. Sein Betrieb arbeitete zu 80 Prozent an dringenden<br />

Heeresaufträgen. Vom Kreisleiter erhielt er den Auftrag, die Kreisschule umzubauen. Des<br />

Weiteren erhielt er den Auftrag, die sog. Dankopfersiedlung zu errichten. Durch die Partei<br />

verdiente er monatlich bis zu 6.000,00 RM.<br />

Nach Kriegsende machte er gegenüber dem Amt <strong>für</strong> Betriebsneuordnung geltend, dass er aus<br />

dem 1. Weltkrieg als Pazifist zurückgekehrt sei. Als politisch unerfahrener Mensch sei er auf<br />

die Versprechungen Hitlers <strong>und</strong> seiner Partei hereingefallen <strong>und</strong> 1925 in die NSDAP eingetreten.<br />

Aus dieser sei er 1926 wieder ausgetreten <strong>und</strong> habe sie zu keiner Zeit finanziell unterstützt.<br />

Durch die Judenverfolgung sei er zum erbittertsten Gegner <strong>und</strong> schärfsten Kämpfer gegen<br />

Hitler <strong>und</strong> seine Kumpane geworden. Ein Amt habe er nie begleitet <strong>und</strong> sei auch nicht Träger<br />

eines Ehrenzeichens gewesen.<br />

In ihrer Klagebegründung machen die Rechtsnachfolger des Geschädigten darüber hinaus<br />

geltend, dass dieser als Inhaber einer Baufirma lediglich versucht habe, sich mit dem Regime<br />

zu arrangieren. Immerhin sei er damals auch als „größter Schädling der Partei“ in der Ortsgruppe<br />

bezeichnet worden. So hätte die Kanzlei des Führers in ihrem Schreiben vom 26. Januar<br />

1940 festgestellt, dass er nervenkrank gewesen sei. In der Einschätzung des Ortsgruppenleiters<br />

vom 25. September 1939 würde er als das „Gegensätzliche“ bezeichnet, was man<br />

10


von einem Nationalsozialisten hätte erwarten müssen. Sein Auftreten sei disziplinlos gewesen.<br />

Sein „nichtnationalsozialistisches Verhalten <strong>und</strong> Handeln“ habe den Gegner immer wieder<br />

veranlasst, ihn als Beispiel hinzustellen. Bei Sammlungen soll er nichts oder nur gering<br />

gespendet haben. Wenn er gespendet habe, hätte er sich nur einem staatlich ausgeübten Druck<br />

gebeugt, dem ein ganzes Volk ausgeliefert gewesen sei. Den „Deutschen Gruß“ habe er abgelehnt.<br />

Es sei zudem widersprüchlich, wenn die Beklagte nach 1945 unterbreiteten Angaben<br />

mit der Begründung keinen Glauben schenke, weil sie nicht belegbar seien, demgegenüber<br />

den Ausschlussgr<strong>und</strong> ausschließlich aus den damaligen Schriftsätzen <strong>und</strong> Schreiben im Ehrengerichtsverfahren<br />

herleite, die ebenfalls nicht nachweisbar wären.<br />

Die Klageabweisung gegen den o. g. Bescheid des ARoV Leipzig in Gestalt des Widerspruchsbescheides<br />

begründete das VG Leipzig im Wesentlichen wie folgt:<br />

Gemessen an den im Urteil des BVerwG im Fall des Staatssekretärs Hugenbergs vom 28.<br />

Februar 1963 - VIII C 81.61 - BVerwGE 15, 326 = RiA 1963, 317 = RzW 1963, 571) sowie<br />

in Entscheidungen zu vergleichbaren Ausschlussvorschriften aufgestellten Gr<strong>und</strong>sätzen stehe<br />

außer Frage, dass der Geschädigte dem nationalsozialistischen Herrschaftssystem objektiv<br />

wie subjektiv erheblichen Vorschub geleistet hat, so dass der Ausschlusstatbestand des § 1<br />

Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG gegeben sei. Dies ergebe sich aus Folgendem:<br />

Das politische Wirken des Geschädigten, der 1923 dem „Deutschvölkischen Schutz- <strong>und</strong><br />

Trutzb<strong>und</strong>“ - DVSTB - beitrat <strong>und</strong> am 8. August 1925 Mitglied der NSDAP wurde, sei davon<br />

geprägt gewesen, in Deutschland ein autoritäres Regime unter Abschaffung der Demokratie<br />

zu errichten. Bereits vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 habe<br />

er <strong>für</strong> die NSDAP maßgeblichen Einfluss auf das politische Geschehen in Leipzig genommen.<br />

So habe er im Dezember des Jahres 1925, unmittelbar nach seinem Parteieintritt, das Amt des<br />

Ortsgruppenführers der NSDAP übernommen. Er habe sich persönlich <strong>für</strong> die Anschaffung<br />

einer Druckmaschine <strong>und</strong> der notwendigen Papiervorräte <strong>für</strong> Propagandazwecke der NSDAP<br />

verbürgt. Zwar sei er 1927 aus der Partei ausgetreten. Dieser Austritt sei aber nicht freiwillig<br />

geschehen.<br />

Das politische Zutun sei insbesondere in der Zeit vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten<br />

nicht unerheblich gewesen. So habe er selbst im Schreiben vom 30. Juni 1934 angegeben,<br />

unmittelbar nach dem Wiedereintritt in die Partei am 1. August 1929, unter Beibehalt<br />

seiner ursprünglichen Mitgliedsnummer, sofort wieder in vorderster Linie gestanden zu haben.<br />

Im Schreiben vom 22. Februar 1937 habe er im Zusammenhang mit seinem Wiedereintritt<br />

in die NSDAP ausgeführt, er habe all seine Kräfte - körperlicher wie finanzieller Art - der<br />

Kreisleitung zur Verfügung gestellt. Ausweislich insbesondere von Stellungnahmen in Ehrengerichtsverfahren<br />

habe er auch in der Zeit, in der er nicht Mitglied der NSDAP war, <strong>für</strong> deren<br />

Ziele geworben <strong>und</strong> gekämpft.<br />

Nach seinem Wiedereintritt in die Partei sei er 1931 vom damaligen Kreisleiter als Stadtverordneter<br />

der NSDAP aufgestellt <strong>und</strong> gewählt worden. Zusätzlich habe man ihn zum Kreisfachberater<br />

<strong>für</strong> Bauwesen berufen. Er sei Kreisreferent <strong>für</strong> das Bau- <strong>und</strong> Siedlungswesen gewesen<br />

<strong>und</strong> zum Bezirksinnungsmeister <strong>für</strong> das gesamte Baugewerbe vorgeschlagen worden.<br />

Wie er selbst im Schreiben vom 22. Februar 1937 ausgeführt habe, sei er darüber hinaus mit<br />

verschiedenen Ämtern innerhalb der Kreisleitung beauftragt worden.<br />

Auch das weitere Verhalten nach dem 30. Januar 1933 stelle einen Beitrag am Aufstieg Hitlers<br />

<strong>und</strong> der NSDAP dar, der zur Überzeugung der Kammer nur als erhebliches Vorschubleisten<br />

qualifiziert werden könne. So habe er sich damit gebrüstet, <strong>für</strong> die Gleichschaltung in den<br />

Baugenossenschaften <strong>und</strong> den Schrebervereinen verantwortlich gewesen zu sein <strong>und</strong> diese<br />

durchgeführt zu haben. In mehreren Schreiben (30. Juni 1934, 22. Februar 1937 <strong>und</strong> 9. November<br />

1937) an den damaligen Reichsschatzmeister der NSDAP habe er unter Hinweis auf<br />

seinen Einsatz <strong>und</strong> seine Verb<strong>und</strong>enheit mit der NSDAP <strong>und</strong> deren Ideologie die Verleihung<br />

des Goldenen Ehrenzeichens begehrt.<br />

11


Für diese „Treue“ sei er durch die Vergabe zahlreicher Prestigeaufträge im Baugewerbe belohnt<br />

worden.<br />

Soweit die Kläger vortrügen, ihr Rechtsvorgänger sei als „größter Schädling der Partei“ angesehen<br />

worden, müsse dies vor dem tatsächlichen Hintergr<strong>und</strong> gesehen werden:<br />

Die Baufirma des Geschädigten soll ihre Arbeiten so schlecht ausgeführt haben, dass diese<br />

Geschäftstüchtigkeit „selbst der NSDAP“ zuviel wurde (vgl. Schreiben vom 3. Februar 1947).<br />

Nach den Darstellungen der NSDAP Kreisleitung im Rahmen des Parteiausschlussverfahrens<br />

wären durch seine Baufirma ganz skandalös, schwer beanstandete <strong>und</strong> völlig ungenügende<br />

Bauten erstellt worden. Bis zum Jahr 1939 hätten umfängliche Verhandlungen in der Kreisleitung<br />

durchgeführt werden müssen, um die gröbsten Schäden zu beseitigen. Die SA-Männer<br />

<strong>und</strong> ihre Familien seien durch seine Firma nicht nur finanziell, sondern auch ges<strong>und</strong>heitlich<br />

schwer geschädigt worden. Ähnlich verhalte es sich mit den Ausführungen der Kläger hinsichtlich<br />

der Behauptung, dass er nervenkrank war. Er selbst habe im Schreiben vom 18. November<br />

1939 ausgeführt, dass er in der Nacht vom 27. August zum 28. August 1939 einen<br />

Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Kurze Zeit zuvor - am 27. August 1939 - erhielt er seinen<br />

Gestellungsbefehl, in dessen Folge er wiederholt um seine Rückstellung <strong>und</strong> die Erklärung<br />

seiner Wehrdienstunfähigkeit gebeten habe. Dies habe der damaligen NSDAP Kreisleitung<br />

missfallen <strong>und</strong> letztlich mit zu seinem vorläufigen Parteiausschluss geführt. So stünden<br />

auch die übrigen von den Klägern dargelegten negativen Äußerungen der Nationalsozialisten<br />

über ihn ausschließlich im Zusammenhang mit seinem Parteiausschlussverfahren <strong>und</strong> hätten<br />

ihre Ursache in der fehlerhaften Ausführung von Bauaufträgen, insbesondere bei der Errichtung<br />

der SA Dankopfersiedlung.<br />

Im gleichen Atemzug wurde er als einer der Parteigenossen bezeichnet, die durch die Bewegung<br />

außerordentlich hohe Einnahmen erzielten. Dies werde durch Angaben zu seinem Einkommen<br />

mit monatlich 6.000,00 RM bestätigt. Im Übrigen könne es dahinstehen, wie hoch<br />

die Beträge seiner Spenden waren, die er der Partei zukommen ließ. Fest stehe zumindest,<br />

dass er regelmäßig spendete. Dass er sich dabei einem staatlich ausgeübten Druck beugte,<br />

dem ein ganzes Volk ausgeliefert gewesen sei, seit nicht ersichtlich. Vielmehr habe er sich in<br />

einer herausgehobenen Stellung bef<strong>und</strong>en, die nach einer Gesamtschau aller Umstände auf<br />

eine Situation des Gebens <strong>und</strong> Nehmens schließen lasse. Immerhin sei er mit zahlreichen<br />

Bau- <strong>und</strong> Heeresaufträgen bedacht worden, die ihm zu nicht unerheblichen Einnahmen verholfen<br />

hätten. Gegen einen Zwang zur Spende spricht vor allem sein Spendenverhalten vor<br />

der Machtergreifung der Nationalsozialisten.<br />

Schließlich fehle es auch nicht am subjektiven Tatbestand des erheblichen Vorschubleistens.<br />

Angesichts seiner politischen Fähigkeiten <strong>und</strong> Erfahrungen als Ortsgruppenführer <strong>und</strong> Propagandist<br />

sowie Stadtverordneter <strong>und</strong> späterer Ratsherr der NSDAP hätte er die wahre Absicht<br />

Hitlers <strong>und</strong> der NSDAP, die Alleinherrschaft zu erreichen, ebenso erkennen müssen wie die<br />

Bedeutung des 30. Januar 1933 hier<strong>für</strong>. Er habe dies jedoch in Kauf genommen, um nicht<br />

zuletzt seine wirtschaftlichen Interessen - ständig steigende Auftragslage seiner Baufirma - zu<br />

erreichen. Die eigenen Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen System <strong>und</strong> den Schergen<br />

Hitlers, insbesondere im Zusammenhang mit seinem eigenen Parteiausschlussverfahren habe<br />

er ignoriert. Vielmehr habe er erfolgreich <strong>für</strong> seine Mitgliedschaft in der NSDAP gekämpft.<br />

Sein Aufstieg zeige, wie sehr er sich mit der nationalsozialistischen Ideologie identifiziert<br />

habe, auch wenn sein Hauptziel in der Erzielung möglichst hoher eigener Profite gelegen haben<br />

mag.<br />

Von einem Widerstand, wie er in seinen schriftlichen Schilderungen nach Kriegsende geltend<br />

gemacht wurde, könne keine Rede sein. In seinen damaligen Ausführungen versuchte er sich<br />

durch wesentliche Auslassungen <strong>und</strong> teilweise wahrheitswidrigen Behauptungen als harmlosen<br />

<strong>und</strong> getäuschten Mitläufer darzustellen, um sein Vermögen vor einer Enteignung zu retten.<br />

Nur beispielhaft sei erwähnt, dass seine Behauptungen, er hätte nie ein Amt bekleidet <strong>und</strong><br />

sei auch nicht Träger eines Ehrenzeichens gewesen, falsch seien. Seine jeweiligen Einlassun-<br />

12


gen zeigten auf, wie er sich dem jeweiligen machthabenden System angepasst habe <strong>und</strong> darauf<br />

bedacht gewesen sei, sich ins rechte Licht zu setzen.<br />

Eine nach außen erkennbare oppositionelle Haltung gegen das nationalsozialistische System<br />

im Rahmen seines politischen Wirkens, die ein Nichtvorliegen des subjektiven Tatbestandes<br />

des Vorschubleistens belegen soll, wie sie die Kläger aus dem Schriftverkehr im Zusammenhang<br />

mit dem Parteiausschlussverfahren sowie den Darstellungen ihres Rechtsvorgängers<br />

nach dem Untergang des nationalsozialistischen Regimes entnehmen wollen, sei nicht feststellbar.<br />

So reiche die Ablehnung einzelner ideologischer Gr<strong>und</strong>sätze unter bewusster Tolerierung<br />

<strong>und</strong> teilweiser Verfolgung derselben politischen Ziele der Nationalsozialisten ebenso<br />

wenig aus wie das Abwenden von dem System der Nationalsozialisten nach dessen Untergang,<br />

nachdem der Betr<strong>offene</strong> selbst den Weg mit bereitet hat.<br />

Anmerkungen:<br />

Auch diese vor dem „Hugenberg-Urteil“ des BVerwG vom 17. März 20<strong>05</strong> (3 C 20.04) ergangene<br />

rechtskräftige Entscheidung des VG Leipzig, die u. a. auf die erstinstanzliche Entscheidung<br />

des VG Dresden im Fall Hugenberg vom 30. Juli 2003 (4 K 1228/01) sowie die Entscheidung<br />

des VG Halle vom 7. August 2002 (1 A 273/99 - BARoV-RÜ 12/2002, 11 ff.) Bezug<br />

nimmt, entspricht den dort aufgestellten Gr<strong>und</strong>sätzen.<br />

Nach den Sachverhaltsfeststellungen im vorliegenden Fall hätte auch die Prüfung der Voraussetzungen<br />

der 2. Alt. des § 1 Abs. 4 AusglLeistG, der schwerwiegende Missbrauch der Stellung<br />

zum eigenen Vorteil bzw. Nachteil anderer, nahe gelegen.<br />

Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />

13


Erhebliches Vorschubleisten dem nationalsozialistischen<br />

System; Stadtverordneter; Stadtrat;<br />

NSDAP-Kreisamtsleiter; Kreisamtsleiter<br />

des NS-Juristenb<strong>und</strong>es; Kreisgerichts-Vorsitzender<br />

des NSDAP-Parteigerichts<br />

Leitsätze der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

§ 1 Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG<br />

Es reicht <strong>für</strong> die Erfüllung der Voraussetzungen des Ausschlussgr<strong>und</strong>es, dass der Betr<strong>offene</strong><br />

eine höhere Position in der NSDAP oder einer ihrer Untergliederungen inne gehabt <strong>und</strong> ausgeübt<br />

hat. Daraus kann geschlossen werden, dass er die mit dem Amt verb<strong>und</strong>enen Aufgaben<br />

auch wahrgenommen hat, falls sich keine Anhaltspunkte da<strong>für</strong> bieten, es könne im Einzelfall<br />

ausnahmsweise anders gewesen sein. Es muss daher nicht aufgeklärt werden, welche Handlungen<br />

der Rechtsvorgänger der Kläger tatsächlich im Einzelnen vorgenommen hat, da ein<br />

systembedingter allgemeiner Nutzen genügt <strong>und</strong> dieser nicht im Einzelnen nachgewiesen<br />

werden muss.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

VG Dresden, Urteil vom 15. September 2004, Az.: 4 K 238/03<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Im Verwaltungsverfahren wie im Widerspruchsverfahren wurde die begehrte Ausgleichsleistung<br />

unter Hinweis auf die 3. Alternative des § 1 Abs. 4 AusglLeistG abgelehnt.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des frühen Parteieintritts im Dezember 1930 sowie der beruflichen <strong>und</strong> politischen<br />

Tätigkeiten des Geschädigten in der NSDAP sowohl vor der NS-Machtergreifung als Fachberater<br />

<strong>für</strong> Gemeindepolitik, als Vorsitzender des Untersuchungs- <strong>und</strong> Schlichtungsausschusses<br />

<strong>und</strong> als Stadtverordneter als auch nach dem 30. Januar 1933 als Stadtrat, NSDAP-<br />

Kreisamtsleiter <strong>für</strong> Gemeindepolitik, Kreisamtsleiter des NS-Juristenb<strong>und</strong>es, Kreisrechtsstellenleiter<br />

sowie Kreisgerichts-Vorsitzender des NSDAP-Parteigerichts habe er dem NS-<br />

System erheblichen Vorschub geleistet.<br />

Die hiergegen erhobene Klage wurde vom VG Dresden mit folgender Begründung zurückgewiesen:<br />

Unter Beachtung der herangezogenen Maßstäbe, die in der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts<br />

zu vergleichbaren, wörtlich im Wesentlichen übereinstimmenden Vorschriften<br />

aus dem Bereich des Kriegsfolgenrechts ergangen seien, sei die Kammer zur Überzeugung<br />

gelangt, dass die Voraussetzungen <strong>für</strong> ein erhebliches Vorschubleisten i. S. v. § 1 Abs. 4<br />

AusglLeistG hier erfüllt seien. Zwar reiche die bloße Mitgliedschaft in der NSDAP hier<strong>für</strong><br />

nicht aus. Aus der Gesamtschau der hier vorliegenden Umstände sei jedoch ersichtlich, dass<br />

die tatbestandlichen Voraussetzungen des erheblichen Vorschubleistens erfüllt seien. Insbesondere<br />

der frühe Eintritt des Betr<strong>offene</strong>n in die NSDAP bereits am 27. Dezember 1930 zeige,<br />

dass der Rechtsvorgänger des Klägers mit den Gr<strong>und</strong>gedanken des Nationalsozialismus<br />

übereingestimmt <strong>und</strong> zeitlich weit vor der sog. Machtergreifung im Jahr 1933 nämlich noch<br />

zur sog. Kampfzeit der Partei sich <strong>für</strong> deren Ziele eingesetzt <strong>und</strong> damit durch Fördern im Vorfeld<br />

der Installierung dieses Unrechtssystem nachhaltig gedient habe. Dass der Parteieintritt<br />

auf Drängen der Ehefrau erfolgt sein soll, stehe dieser Einschätzung nicht entgegen, da der<br />

15


Betr<strong>offene</strong> neben der bloßen Mitgliedschaft in der NSDAP über mehrere Jahre Funktionen in<br />

dieser Partei innehatte <strong>und</strong> damit die Etablierung dieses Unrechtssystems mehr als unerheblich<br />

förderte. Auf etwaige Motive <strong>für</strong> den Parteieintritt komme es daher nicht an. So habe es<br />

auch die Stellung als Stadtverordneter seit Anfang 1930 <strong>und</strong> als Stadtrat seit Anfang 1933<br />

ermöglicht, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen <strong>und</strong> diese im Sinne des Nationalsozialismus<br />

mitzugestalten. Auch hierin sei ein nicht ganz unbedeutender Nutzen zu sehen,<br />

den das NS-Regime aus dem Verhalten des Betr<strong>offene</strong>n gezogen habe. Diese Einschätzung<br />

werde auch durch die weiteren Tätigkeiten, die er über mehrere Jahre in der NSDAP<br />

ausübte, gestützt. So bekleidete er die Funktionen des Kreisamtsleiters <strong>für</strong> Gemeindepolitik<br />

<strong>und</strong> im Juristenb<strong>und</strong> <strong>und</strong> war Kreisrechtsstellenleiter, bevor er schließlich von 1933 bis zum<br />

April 1934 das Amt des Parteirichters ausübte. Aus diesem Verhalten werde deutlich, dass er<br />

sich bereits zur sog. Kampfzeit <strong>für</strong> die Ziele des Nationalsozialismus aktiv eingesetzt <strong>und</strong><br />

auch nach der sog. Machtergreifung weiterhin Ämter übernommen <strong>und</strong> Funktionen in der<br />

NSDAP ausgeübt <strong>und</strong> damit sich über mehrere Jahre <strong>für</strong> die „schlechte Sache“ engagiert <strong>und</strong><br />

mit einer gewissen Stetigkeit dazu beigetragen habe, den Herrschaftsanspruch der NSDAP<br />

<strong>und</strong> das von ihr getragene System zu festigen <strong>und</strong> auszudehnen sowie den Widerstand hiergegen<br />

zu unterdrücken.<br />

Auch das subjektive Tatbestandsmerkmal des „erheblichen Vorschubleistens“ sei erfüllt. Die<br />

Kammer sei der Überzeugung, dass der Betr<strong>offene</strong> in dem Bewusstsein, dass sein Verhalten<br />

den Nationalsozialismus fördern könnte, gehandelt habe. Dies werde aus seinem mehrere Jahre<br />

andauernden Engagement <strong>für</strong> die NSDAP deutlich.<br />

Entgegen der Ansicht des Klägers reiche <strong>für</strong> die Erfüllung der Voraussetzungen des Ausschlussgr<strong>und</strong>es,<br />

dass der Betr<strong>offene</strong> eine höhere Position in der NSDAP oder einer ihrer Untergliederungen<br />

inne gehabt <strong>und</strong> ausgeübt habe. Daraus könne geschlossen werden, dass er<br />

die mit dem Amt verb<strong>und</strong>enen Aufgaben auch wahrgenommen habe, falls sich keine Anhaltspunkte<br />

da<strong>für</strong> böten, es könne im Einzelfall ausnahmsweise anders gewesen sein. Es müsse<br />

daher nicht aufgeklärt werden, welche Handlungen der Rechtsvorgänger der Kläger tatsächlich<br />

im Einzelnen vorgenommen hat, da ein systembedingter allgemeiner Nutzen genüge <strong>und</strong><br />

dieser nicht im Einzelnen nachgewiesen werden müsse. Ein solcher allgemeiner Nutzen sei,<br />

wie dargelegt, erkennbar geworden.<br />

Diese Einschätzung werde auch durch die Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946<br />

gestützt. Sie enthalte im Anhang A eine Liste ranghoher Staats- <strong>und</strong> Parteifunktionäre im nationalsozialistischen<br />

Deutschland. Die Direktive wurde von den Alliierten erlassen <strong>und</strong> sollte<br />

gemeinsame Richtlinien <strong>für</strong> die Entnazifizierung in Deutschland schaffen. Der Anhang A umfasst<br />

Funktionen in den vom internationalen Militärtribunal <strong>für</strong> verbrecherisch erklärten Organisationen<br />

(SS, Gestapo, Sicherheitsdienst, Korps der politischen Leiter der NSDAP) sowie<br />

Funktionen der NSDAP-Gliederungen. Auch aus dieser Auflistung ließen sich Anhaltspunkte<br />

<strong>für</strong> ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Unrechtssystems<br />

gewinnen. Gegen einen der dort bezeichneten Amtsträger bestehe die widerlegliche Vermutung,<br />

dass er der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Vorschub geleistet habe. Diese<br />

Vermutung entfalle, wenn sich eine oppositionelle Haltung in überprüfbarer Art <strong>und</strong> Weise<br />

objektiv manifestiert habe. An einen solchen Nachweis seien strenge Maßstäbe anzulegen.<br />

Die Beklagte habe den Betr<strong>offene</strong>n zutreffend in die Gruppe der Hauptschuldigen <strong>und</strong> Belasteten<br />

nach der Kontrollratsdirektive Nr. 38 eingeordnet. Anhang A Abschnitt I D.1. umfasst<br />

alle Amtsträger der NSDAP einschließlich des Amtsleiters bei der Kreisleitung <strong>und</strong> damit<br />

die von ihm ausgeübten Funktionen des Kreisamtsleiters <strong>für</strong> Gemeindepolitik, <strong>für</strong> den<br />

Juristenb<strong>und</strong> <strong>und</strong> die Tätigkeit des Kreisrechtsstellenleiters. Auch die Funktion des Kreisrichters<br />

der NSDAP, die der Rechtsvorgänger des Klägers von 1933 bis April 1934 ausübte, lasse<br />

nach Anhang A Abschnitt I N. 4. eine Zuordnung zu den Hauptschuldigen zu. Darüber hinaus<br />

16


sei er auch zutreffend aufgr<strong>und</strong> seines frühen Parteieintritts als Belasteter i. S. v. Anhang A<br />

Abschnitt II Buchst. D. 4. eingestuft worden. Daher bestehe auch insoweit die widerlegliche<br />

Vermutung, dass der Betr<strong>offene</strong> dem Nationalsozialismus Vorschub geleistet habe. Diese<br />

Vermutung sei auch nicht widerlegt. Insoweit seien keine Umstände vorgetragen <strong>und</strong> solche<br />

seien auch nicht aufgr<strong>und</strong> sonstiger Tatsachen ersichtlich. Die Behauptung des Klägers, sein<br />

Rechtsvorgänger habe das Partei- oder Staatsamt übernommen, um das totalitäre System zu<br />

bekämpfen <strong>und</strong> er habe zudem seine Funktion als Rechtsanwalt zum Wohle unliebsamer Personen<br />

genützt, habe sich nicht in überprüfbarer Art <strong>und</strong> Weise manifestiert.<br />

Zudem entfalte die Einstufung im Entnazifizierungsverfahren keine Bindungswirkung im<br />

Hinblick auf das Nichtvorliegen des Ausschlusstatbestandes nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG.<br />

Schließlich komme es entgegen der Ansicht des Klägers nicht darauf an, ob sich das Vorschubleisten<br />

auf das totalitäre System bezogen habe, welches <strong>für</strong> den Eigentumsverlust verantwortlich<br />

sei (vgl. VG Dresden, Urteil vom 30. Juli 2003, Az.: 4 K 1228/01, rechtskräftig).<br />

Anmerkungen:<br />

Hervorzuheben ist im Hinblick auf die vorliegende Entscheidung der 4. Kammer des VG<br />

Dresden, die auch das o. g. inzwischen durch das BVerwG am 17. März 20<strong>05</strong> (3 C 20.04)<br />

bestätigte Urteil im Fall Hugenberg verkündet hat, dass sie der in der Verwaltungspraxis zur<br />

Orientierung <strong>für</strong> das erhebliche Vorschubleisten dem NS-System vorgenommenen Einstufung<br />

der ermittelten Ämter <strong>und</strong> Funktionen in die Kategorien der Hauptschuldigen <strong>und</strong> Belasteten<br />

der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 folgt. Gegen einen dort bezeichneten<br />

Amtsträger besteht nach Auffassung des VG Dresden die widerlegliche Vermutung, dass dieser<br />

der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erheblichen Vorschub geleistet hat. Nur wenn<br />

sich eine oppositionelle Haltung in überprüfbarer Art <strong>und</strong> Weise objektiv manifestiert habe -<br />

an deren Nachweis im Übrigen strenge Maßstäbe anzulegen seien -, entfalle diese Vermutung.<br />

Gegen die Nichtzulassung der Revision im vorliegenden Urteil der 4. Kammer des VG Dresden<br />

ist Beschwerde erhoben worden (anhängig unter dem Az. 3 B 32.<strong>05</strong>).<br />

Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />

17


Restitution; Rückübertragung; Vermögenszuordnungsrecht;<br />

Restitutionsausschluss; Restitutionsberechtigter;<br />

Funktionsnachfolger;<br />

Wohnnutzung; Kommune zur Nutzung sowie<br />

zur selbständigen Bewirtschaftung <strong>und</strong> Verwaltung<br />

übertragen; Leerstand<br />

Leitsätze des Gerichts:<br />

Art. 21 Abs. 3,<br />

Art. 22 Abs. 4 EV;<br />

§ 1 a Abs. 4,<br />

§ 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG<br />

Funktionsnachfolgerin im Sinne von § 11 Abs. 3 VZOG <strong>und</strong> damit Restitutionsberechtigte ist<br />

in der Regel die Gemeinde, zu deren Gebiet das Gr<strong>und</strong>stück jetzt gehört auch dann, wenn das<br />

von der Gemeinde gemäß Art. 21 Abs. 3/Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV zurückverlangte Gr<strong>und</strong>stück<br />

vor seiner unentgeltlichen Zurverfügungstellung nicht in ihrem Gemeindegebiet lag<br />

(Fortführung des Urteils vom 15. Juli 1999 BVerwG 3 C 12.98 Buchholz 428.2 § 11 VZOG<br />

Nr. 23).<br />

Der Restitutionsausschlusstatbestand in § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 3. Alt. VZOG schließt nicht<br />

das zur Wohnungswirtschaft genutzte Vermögen im Sinne von § 1 a Abs. 4 Satz 3 VZOG<br />

insgesamt von der Rückübertragung aus, sondern erstreckt den Anwendungsbereich von § 11<br />

Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG nur auf die Vermögensgegenstände des komplexen Wohnungs-<br />

oder Siedlungsbaus, die am 3. Oktober 1990 nicht nur vorübergehend leer standen, jedoch<br />

einer entsprechenden Nutzung ganz oder teilweise wieder zugeführt werden sollten.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG, Beschluss vom 16. November 2004, Az.: 3 B 41.04<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Dem Beschluss des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts lag ein Urteil des VG Greifswald – 6 A<br />

3363/02 – vom 29. Januar 2004 zu Gr<strong>und</strong>e, das die Bescheide der VZ-Stelle Rostock aufgehoben<br />

hatte, mit denen die VZ-Stelle die drei streitigen Gr<strong>und</strong>stücke nach Art. 22 Abs. 1 Satz<br />

7 i. V. m. Art. 21 Abs. 3 EV an die beigeladene Kommune zurück übertragen hatte. Die VZ-<br />

Stelle wurde durch das Verwaltungsgericht verpflichtet, der klagenden Gemeinde diese auf<br />

ihrer Gemarkung gelegenen Gr<strong>und</strong>stücke zuzuordnen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht<br />

darauf abgestellt, dass die am 3. Oktober 1990 in Volkseigentum stehenden <strong>und</strong> zu<br />

Wohnzwecken genutzten Gr<strong>und</strong>stücke sich zwar nicht in der Rechtsträgerschaft eines volkseigenen<br />

Betriebes der Wohnungswirtschaft im Sinne von Art. 22 Abs. 4 Satz 1 EV bef<strong>und</strong>en<br />

hätten. Doch ergebe sich aus § 1 a Abs. 4 VZOG ein Zuordnungsanspruch der Klägerin, in<br />

deren Rechtsträgerschaft die Gr<strong>und</strong>stücke am 3. Oktober 1990 gestanden hätten <strong>und</strong> an deren<br />

Einwohner die Gebäude an diesem Tag ausschließlich vermietet gewesen seien. In einem solchen<br />

Fall erhalte diejenige Kommune den Vermögensgegenstand, auf deren Gemeindegebiet<br />

er sich befinde.<br />

Ob jedoch überhaupt ein Rückgabeanspruch bestehe, könne ohnehin offen bleiben, denn wegen<br />

der wohnungswirtschaftlichen Nutzung der Gr<strong>und</strong>stücke im Sinne von § 1 a Abs. 4 Satz 3<br />

VZOG am 3. Oktober 1990 sei die Restitution jedenfalls nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 3. Alt.<br />

VZOG ausgeschlossen. Darüber hinaus stehe ein möglicher Rückübertragungsanspruch der<br />

Klägerin als der Gemeinde zu, auf deren Gemarkung die Gr<strong>und</strong>stücke lägen.<br />

19


Die VZ-Stelle wollte mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde geklärt wissen, ob<br />

1. eine Kommune außerhalb ihres eigenen Gemeindegebietes einen Anspruch auf Restitution<br />

nach Art. 22 Abs. 1 Satz 7 i. V. m. Art. 21 Abs. 3 HS 1 EV haben könne oder ob dieser<br />

Anspruch strikt auf ihr Hoheitsgebiet begrenzt sei <strong>und</strong> ob das Prinzip der Funktions- <strong>und</strong><br />

Aufgabennachfolge im Sinne von § 11 Abs. 3 VZOG einen Anspruch auf Restitution in einem<br />

anderen Gemeindegebiet ausschließe. Und<br />

2. ob der in § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 3. Alt. VZOG normierte Ausschlussgr<strong>und</strong> zur Restitutionsfestigkeit<br />

jeglichen Wohnungsvermögens führe oder ob sich diese Alternative ausschließlich<br />

auf solche Gr<strong>und</strong>stücke beziehe, die ganz oder überwiegend Wohnzwecken<br />

dienten <strong>und</strong> am 3. Oktober 1990 nicht nur vorübergehend leer standen, jedoch der Wohnnutzung<br />

ganz oder teilweise zugeführt werden sollten.<br />

Bei der Beantwortung der ersten Frage hat das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht Bezug genommen<br />

auf sein Urteil vom 15. Juli 1999, 3 C 12.98 – a. a. O., <strong>und</strong> bestätigt, dass in der Regel die<br />

Gemeinde als Funktionsnachfolgerin im Sinne von § 11 Abs. 3 VZOG <strong>und</strong> damit Restitutionsberechtigte<br />

sei, in deren Gemeindegebiet das betreffende Gr<strong>und</strong>stück liege. Das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

stützt seine Ansicht darauf, dass es im Falle eines Streits über die Rechtsnachfolge<br />

zwischen Gebietskörperschaften, denen - abstrakt gesehen - die gleichen öffentlichen<br />

Aufgaben zugewiesen seien, eines weiteren Kriteriums bedürfe, um die Rechtsnachfolge<br />

bestimmen zu können. Dieses Kriterium sei, da die Aufgabenwahrnehmung durch die Gebietskörperschaften<br />

strikt auf ihr Hoheitsgebiet beschränkt sei, in der Belegenheit des Vermögensgegenstandes<br />

zu sehen, wenn der zurückverlangte Gegenstand einen örtlichen Anknüpfungspunkt<br />

aufweise. Dem vorrangigen Ziel des Restitutionsanspruchs, die typischerweise<br />

durch die unentgeltliche Vermögensübertragung bewirkte Schwächung der Leistungsfähigkeit<br />

der betreffenden Körperschaft dadurch zu korrigieren, dass diese wiederum mit Vermögen<br />

ausgestattet werde, von dem angenommen werden könne, dass es zur Wahrnehmung ihrer<br />

Aufgaben diene, entspreche eher eine Rückübertragung an die nunmehr <strong>für</strong> die Aufgabenwahrnehmung<br />

zuständige Gemeinde. Es liege auf der Hand, dass auf dem eigenen Gemeindegebiet<br />

belegenes Gr<strong>und</strong>vermögen der gemeindlichen Aufgabenerfüllung in der Regel eher<br />

dienlich gemacht werden könne als außergebietliches.<br />

Die zweite Frage stellte sich, weil das Verwaltungsgericht die dritte Alternative des in § 11<br />

Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG normierten Restitutionsausschlussgr<strong>und</strong>es dahingehend ausgelegt<br />

hatte, dass der Ausschlussgr<strong>und</strong> bereits dann greife, wenn die betreffenden Gr<strong>und</strong>stücke im<br />

Sinne von § 1 a Abs. 4 Satz 3 VZOG zur Wohnungswirtschaft genutzt würden. Das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

hat unter Bezugnahme auf seine Urteile vom 28. September 1995 - 7 C<br />

84.94 - (VIZ 1996, 42 = WM 1996, 221 = ZOV 1996, 54 = Buchholz 111 Art. 22 EV Nr. 15 =<br />

RGV O 111) <strong>und</strong> vom 30. Januar 1997 - 3 C 6.96 - (VIZ 1997, 425 = ZOV 1997, 272 =<br />

Buchholz 428.2 § 2 VZOG Nr. 7 = RGV O 174) festgestellt, dass diese Auslegung nicht zutreffend<br />

sein kann. Das ergebe sich daraus, dass das Wohnvermögen in § 1 a Abs. 4 VZOG<br />

gerade nicht restitutionsfest ausgestaltet wurde. Mit der dritten Alternative des genannten<br />

Restitutionsausschlussgr<strong>und</strong>es sollte nicht das wohnungswirtschaftlich genutzte Vermögen im<br />

Sinne von § 1 a Abs. 4 VZOG insgesamt in den Ausschluss der Rückübertragung einbezogen<br />

werden, sondern der Anwendungsbereich von § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG auch auf die<br />

Vermögensgegenstände des komplexen Wohnungs- oder Siedlungsbaus erstreckt werden, die<br />

am 3. Okt. 1990 nicht nur vorübergehend leer standen, jedoch einer entsprechenden Nutzung<br />

ganz oder teilweise wieder zugeführt werden sollten. Insoweit würden die ersten beiden Alternativen<br />

von § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG um eine Regelung <strong>für</strong> bestimmte Leerstandfälle<br />

ergänzt.<br />

20


Anmerkungen:<br />

Mit der Entscheidung des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts ist abschließend festgestellt, dass<br />

Rechts- <strong>und</strong> Funktionsnachfolger im Sinne von § 11 Abs. 3 VZOG <strong>und</strong> damit restitutionsberechtigt<br />

die Gebietskörperschaft ist, in deren Hoheitsgebiet das Gr<strong>und</strong>stück nunmehr liegt.<br />

Auch in dem Fall, dass einer Kommune ursprünglich Gr<strong>und</strong>stücke außerhalb ihres Hoheitsgebietes<br />

gehörten, ist nach der Auffassung des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts nicht diese, sondern<br />

die Gemeinde, in deren Hoheitsgebiet das Gr<strong>und</strong>stück liegt, restitutionsberechtigt.<br />

Dem Urteil des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts vom 15. Juli 1999, auf das sich das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

in seinem jetzigen Beschluss bezieht, lag ein etwas anderer Sachverhalt zu<br />

Gr<strong>und</strong>e. In dem 1999 entschiedenen Fall war es nach der Zurverfügungstellung <strong>und</strong> vor dem<br />

Beitritt zu einer Umgemeindung des streitigen Gr<strong>und</strong>stücks gekommen. Die in der damaligen<br />

Entscheidung herausgearbeiteten Entscheidungskriterien hat das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

aber auch hier als relevant angesehen.<br />

Das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht hat zwar festgestellt, dass das Verwaltungsgericht Greifswald<br />

mit seiner weiten Auslegung der 3. Alternative des in § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG B<strong>und</strong>esrecht<br />

verletzt hat. Jedoch hätte das auch bei Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht<br />

zur Aufhebung des Urteils geführt, weil die beigeladene Kommune, nachdem die streitigen<br />

Gr<strong>und</strong>stücke nicht in ihrem Gemeindegebiet liegen, schon aus diesem Gr<strong>und</strong>e keinen Restitutionsanspruch<br />

hatte.<br />

Mitgeteilt von Werner Günther<br />

21


Verstoß gegen die Gr<strong>und</strong>sätze der Menschlichkeit<br />

oder Rechtsstaatlichkeit; Beschäftigung<br />

von Kriegsgefangenen <strong>und</strong> Zwangsarbeitern<br />

Leitsätze der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

§ 1 Abs. 4 1. Alt. AusglLeistG<br />

Ein Verstoß gegen die Gr<strong>und</strong>sätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit kann nur bejaht<br />

werden, wenn eine sich jedermann aufdrängende nachhaltige Verletzung der Menschenwürde<br />

in ihrem Kernbestand vorliegt. Er setzt in der Regel eine besonders unmenschliche<br />

Verletzung des Rechts voraus, bei der beispielsweise eine besondere Menschenverachtung,<br />

Grausamkeit oder gezielte Erniedrigung des Menschen zum bloßen Objekt zu der an sich<br />

schon gegebenen Verletzung des Rechts hinzutritt. Dementsprechend wird von den Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

der Rechtsstaatlichkeit nur das erfasst, was <strong>für</strong> den Rechtsstaat schlechthin konstitutiv ist;<br />

damit ist nicht jede Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit gemeint.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

VG Dresden, Urteil vom 25. Januar 20<strong>05</strong>, Az.: 2 K 202/03<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Begehrt wird die Ausgleichsleistung <strong>für</strong> ein Privatgr<strong>und</strong>stück, das im Eigentum eines Vorstandsmitglieds<br />

der Elbtalwerke AG stand. Sitz der Gesellschaft war Heidenau, Nebenwerke<br />

befanden sich in Zschachwitz <strong>und</strong> Zwönitz. Die Firma stellte u. a. Funk- <strong>und</strong> Funkmessgeräte<br />

<strong>für</strong> die Luftwaffe her. In den Behördenakten befindet sich die Abschrift eines Schreibens des<br />

Generalfeldmarschalls Milch vom 8. Oktober 1943, in dem dieser dem Geschädigten <strong>für</strong> die<br />

Arbeit auf dem Gebiete des Funkmessprogramms volle Anerkennung ausspricht. Während<br />

des Krieges sind in den Werken Straf- <strong>und</strong> Kriegsgefangene sowie Zwangsarbeiter beschäftigt<br />

worden. Der Geschädigte ist nach dem Kriege wegen angeblicher Sabotage von der sowjetischen<br />

Besatzungsmacht ohne Gerichtsverfahren hingerichtet worden.<br />

Wegen des erheblichen Vorschubleistens dem NS-System im Sinne der 3. Alt. der § 1 Abs. 4<br />

AusglLeistG durch die Tätigkeit des Betr<strong>offene</strong>n <strong>für</strong> die Rüstungsproduktion <strong>und</strong> den Einsatz<br />

von Arbeitskräften aus den besetzten Gebieten sowie Kriegs- <strong>und</strong> Strafgefangenen lehnte das<br />

ARoV den Antrag ab.<br />

Den gegen den Bescheid eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss darüber<br />

hinaus mit der Begründung zurück, dass der Geschädigte mit der Anforderung <strong>und</strong> Beschäftigung<br />

von Straf- <strong>und</strong> Kriegsgefangenen sowie Zwangsarbeitern in der Rüstungsproduktion<br />

gegen die Gr<strong>und</strong>sätze der Menschlichkeit verstoßen habe.<br />

Die 2. Kammer des VG Dresden gab der hiergegen erhobenen Klage statt, weil die Voraussetzungen<br />

des § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht nachgewiesen seien. Die Nichterweislichkeit gehe<br />

zulasten der Beklagten, die sich auf den anspruchshindernden Einwand berufe (Meixner,<br />

in: R/R/B, Vermögen in der ehemaligen DDR, § 1 AusglLeistG, Rdnr. 309).<br />

Ein Verstoß gegen die Gr<strong>und</strong>sätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit liege nicht vor.<br />

Dieser könne nur bejaht werden, wenn eine sich jedermann aufdrängende nachhaltige Verletzung<br />

der Menschenwürde in ihrem Kernbestand vorliege. Er setze in der Regel eine besonders<br />

23


unmenschliche Verletzung des Rechts voraus, bei der beispielsweise eine besondere Menschenverachtung,<br />

Grausamkeit oder gezielte Erniedrigung des Menschen zum bloßen Objekt<br />

zu der an sich schon gegebenen Verletzung des Rechts hinzutrete. Dementsprechend werde<br />

von den Gr<strong>und</strong>sätzen der Rechtsstaatlichkeit nur das erfasst, was <strong>für</strong> den Rechtsstaat<br />

schlechthin konstitutiv sei, damit sei nicht jede Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit gemeint.<br />

Die Beschäftigung von Straf- <strong>und</strong> Kriegsgefangenen sowie Zwangsarbeitern an sich erfülle<br />

diesen Tatbestand (noch) nicht. Eine Misshandlung von beschäftigten Gefangenen <strong>und</strong><br />

Zwangsarbeitern, die eine andere Beurteilung nahe legen könnte (vgl. Meixner, a. a. O., Rdnr.<br />

276; Weskamm, in: Kimme, Offene <strong>Vermögensfragen</strong>, § 1 AusglLeistG, Rdnr. 140), sei dem<br />

Geschädigten nicht nachgewiesen worden. Selbst die von der Beklagten herangezogenen<br />

Konfiskationsunterlagen aus der Besatzungszeit (Schreiben der Stadtverwaltung Heidenau<br />

vom 5. Dezember 1946 sowie das Protokoll des Landkreises Pirna vom 18. November 1945)<br />

enthielten, obwohl sie eine kritische Distanz zu dem Betr<strong>offene</strong>n erkennen ließen, einen solchen<br />

Vorwurf nicht. Die Klägerin habe mehrere Gesprächsniederschriften von ehemaligen<br />

Werksangehörigen beigebracht, aus denen sich ergebe, dass dieser die Beschäftigten ausnahmslos<br />

anständig behandelt habe (vgl. die Auszüge aus H<strong>und</strong>hausen, Chronik Elbtalwerk<br />

Heidenau 1916 - 2000, Dresden 2000, AS 181 bis 193). Abgesehen davon fehle es an dem <strong>für</strong><br />

die Tatbestandsmäßigkeit des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erforderlichen Bezug zum System des<br />

Nationalsozialismus (dazu: Neuhaus, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus,<br />

VermG, § 1 AusglLeistG, Rdnr. 142; Weskamm, a. a. O., Rdnr. 116).<br />

Ebenso wenig sei nachgewiesen worden, dass der Betr<strong>offene</strong> dem nationalsozialistischen System<br />

erheblich Vorschub geleistet habe.<br />

In objektiver Hinsicht verlange das „erhebliche Vorschubleisten“ ein Verhalten, welches geeignet<br />

war, die Bedingungen <strong>für</strong> die Ausbreitung <strong>und</strong> Entwicklung des Herrschaftssystems zu<br />

verbessern. Der Begriff setze somit die Entfaltung einer gewissen zielgerichteten Aktivität<br />

voraus. Die Tätigkeit als solche müsse geeignet <strong>und</strong> dazu bestimmt gewesen sein, die politischen<br />

Ziele des Regimes zu fördern. Dies könne bejaht werden, wenn das Verhalten dazu beigetragen<br />

habe, den Herrschaftsanspruch der Partei <strong>und</strong> ihres Regierungssystems zu festigen<br />

oder auszudehnen oder Widerstand gegen dieses System auszuschalten oder zu unterdrücken<br />

(VG Dresden, Urteil vom 13. Dezember 2000 - 14 K 3548/99 -, S. 6 m. w. N. = RGV M 21;<br />

Meixner, a. a. O., Rdnr. 289, m. w. N.).<br />

Die Kammer stimme mit der Beklagten überein, dass ein erhebliches Vorschubleisten in diesem<br />

Sinne (oder einer der anderen Ausschlussgründe) regelmäßig dann nachgewiesen oder<br />

jedenfalls zu vermuten sei, wenn der Betr<strong>offene</strong> nachweislich den Hauptschuldigen oder Belasteten<br />

im Sinne des Abschnittes II Art. II <strong>und</strong> III der Alliierten Kontrollratsdirektive Nr. 38<br />

zuzuordnen, mithin eine aktive Stütze des nationalsozialistischen Regimes von Belang gewesen<br />

sei.<br />

Eine Zugehörigkeit zu diesen Kategorien sei hier jedoch nicht nachgewiesen. Insbesondere<br />

ergebe sich diese nicht schon aus der wohl bestehenden NSDAP-Mitgliedschaft des Betr<strong>offene</strong>n<br />

sowie dessen Beschäftigung als Vorstandsmitglied eines rüstungswichtigen Betriebes.<br />

Nach Abschnitt II Art. III D i. V. m. Anhang „A“ Abschnitt II D.4., E.3. <strong>und</strong> M.10. zur Kontrollratsdirektive<br />

Nr. 38 führen diese Umstände lediglich dazu, dass die Betr<strong>offene</strong>n „sorgfältig<br />

zu prüfen“ seien. Nur wenn die Ergebnisse der Untersuchung eine Anklage notwendig<br />

machen <strong>und</strong> die Betr<strong>offene</strong>n <strong>für</strong> schuldig bef<strong>und</strong>en würden, seien sie besatzungsrechtlich als<br />

Belastete zu behandeln. Aus diesen Formulierungen der besatzungsrechtlichen Vorschriften<br />

ergebe sich, dass der Alliierte Kontrollrat bei Vorliegen der Voraussetzungen des Anhanges<br />

„A“ Abschnitt II lediglich von einem Anfangsverdacht <strong>für</strong> einen Einstufung als Belasteter<br />

24


ausgegangen sei. Eine entsprechende Vermutung oder gar ein Nachweis der Belasteteneigenschaft<br />

sei nach diesen Regelungen nicht gewollt.<br />

Da somit im vorliegenden Fall die Anwendung der Kontrollratsdirektive zu keinem Nachweis<br />

<strong>und</strong> keiner Vermutung eines erheblichen Vorschubleistens im Sinne von § 1 Abs. 4<br />

AusglLeistG führe, müsse dieser Ausschlussgr<strong>und</strong> anhand der bekannten Stellung des Geschädigten<br />

als Vorstandsmitglied der Elbtalwerke AG geprüft werden.<br />

Die Stellung als Vorstandsmitglied reiche indessen <strong>für</strong> die Annahme eines erheblichen Vorschubleistens<br />

nicht aus. Sie habe dem Betr<strong>offene</strong>n kein Mitspracherecht in Fragen der allgemeinen<br />

politischen Entwicklung <strong>und</strong> keinen Einfluss auf die Entscheidung wirtschaftspolitischer<br />

Fragen vermittelt. Als Vorstandsmitglied möge er dazu beigetragen haben, einen rüstungswichtigen<br />

Betrieb zu leiten <strong>und</strong> zu fördern; zur Förderung des politischen System als<br />

solchem habe er dadurch jedoch allenfalls mittelbar beigetragen. Dies reiche <strong>für</strong> den eng auszulegenden<br />

Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht aus, wie das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

zu den vergleichbaren Ausschlussvorschriften des § 3 BVFG <strong>und</strong> § 8 KgfEG<br />

entschieden habe (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 9. Mai 1962 - V C 99.61 - BVerwGE 14,<br />

142 = MDR 1962, 763 = DÖV 1962, 869 = ZLA 1962, 383 = Buchholz 412.4 § 8 KgfEG Nr.<br />

1; Urteil vom 22. Mai 1969 - VIII C 8.66 - Buchholz 412.3 Nr. 51 = ROW 1970, 173).<br />

Das bei der Gr<strong>und</strong>steinlegung angeblich auf Geheiß des Betr<strong>offene</strong>n eingemauerte Gedenkblatt<br />

vom 14. November 1933 stelle ebenfalls kein erhebliches Vorschubleisten dar. Der von<br />

der Beklagten herausgestellte Satz sei im Gesamttext von untergeordneter Bedeutung <strong>und</strong><br />

sage im Wesentlichen nur die Unterstützung der neuen Regierung bei der Arbeitsbeschaffung<br />

zu. Es fehle daher nicht nur am erforderlichen Systembezug, sondern auch - wegen des einmaligen<br />

Handelns - an der erforderlichen Stetigkeit <strong>und</strong> Nachhaltigkeit der Unterstützung.<br />

Schließlich erfülle die bloße Mitgliedschaft in der NSDAP die Voraussetzungen des erheblichen<br />

Vorschubleistens ebenfalls nicht (VG Dresden, a. a. O., S. 8; Weskamm, a. a. O., Rdnr.<br />

151, m. w. N.).<br />

Anmerkungen:<br />

Mit der Ablehnung der Indizwirkung der Einstufung in die Kategorien der Hauptschuldigen<br />

<strong>und</strong> Belasteten der Kontrollratsdirektive Nr. 38 bzw. der hieraus resultierenden Vermutung,<br />

dass ein erhebliches Vorschubleisten dem NS-System im Sinne der 3. Alternative des § 1<br />

Abs. 4 AusglLeistG gegeben sei, steht die 2. Kammer des VG Dresden im Widerspruch zur<br />

konträren Auffassung der 4. Kammer im Urteil 4 K 238/03 vom 15. September 2004.<br />

Dass die Beschäftigung von Straf- <strong>und</strong> Kriegsgefangenen sowie Zwangsarbeitern „an sich“<br />

den Tatbestand der 1. Alternative des § 1 Abs. 4 AusglLeistG mangels „Verletzung der Menschenwürde<br />

in ihrem Kernbestand“ bzw. „erforderlichen Bezugs zum System des Nationalsozialismus“<br />

nicht erfülle, scheint geschichtsblind.<br />

Zum einen hat das Unternehmen konkret gegen Art. 6 der Anlage zum Haager Abkommen<br />

Nr. IX von 1907 verstoßen.<br />

Das Recht vor staatlicher Willkür, auch vor unrechtmäßigen Kriegshandlungen, zu schützen,<br />

ist ein Gebot der Menschlichkeit <strong>und</strong> zugleich der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerwGE 31,<br />

337, 338).<br />

Darüber hinaus gehört es zum allgemein bekannten Forschungsstand, dass die ganz überwiegende<br />

Mehrheit der ausländischen Arbeiter gegen ihren Willen im „Großdeutschen Reich“ zur<br />

25


Arbeit eingesetzt wurden <strong>und</strong> viele von ihnen unter menschenunwürdigen Bedingungen lebten<br />

- von rassischer Diskriminierung, körperlicher Misshandlung, diskriminierend geringer<br />

oder gar keiner Entlohnung ganz abgesehen (vgl. Simon Reich, Corporate Social Responsibility<br />

and the Issue of Compensation, The Case of Ford and Nazi Germany, in: Business and<br />

Industry in Nazi Germany, Hrsg. Francis R. Nicosia <strong>und</strong> Jonathan Huener, N.Y., Oxford<br />

2004, S. 119 ff.; Jonathan Wiesen, West German Industry and the Challenge of the Nazi Past<br />

1945 - 1955, Chapel Hill <strong>und</strong> London 2001, S. 16, m. w. N.).<br />

Die mit Wissen der „Nachfrager“ von Zwangsarbeit <strong>und</strong> vor den Augen der Bevölkerung<br />

durchgeführten Massendeportationen von Zivilisten besetzter Länder <strong>und</strong> die Umstände des<br />

Zwangsarbeitereinsatzes stellten ebenso eine massive Verletzung der Haager Landkriegsordnung<br />

von 1907 dar <strong>und</strong> waren daher Bestandteil der Hauptanklagepunkte in den Nürnberger<br />

Prozessen (vgl. Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, Stuttgart/München 2001,<br />

S. 233 u. passim).<br />

Der massenhafte Einsatz von Zwangsarbeitern insbesondere aus den östlichen besetzten Gebieten,<br />

die entsprechend dem rassistischen Ideologieverständnis des Nationalsozialismus als<br />

Arbeitssklaven ausgebeutet wurden, gehörte zu Stützpfeilern des NS-Regimes. Ihm den „Systembezug“<br />

abzusprechen, stellt eine grobe Verkennung der historischen Gegebenheiten dar.<br />

Die Mitverantwortung der Unternehmen, die Zwangsarbeiter beschäftigten, beginnt spätestens<br />

da, wo sie die vorhandenen Spielräume, ob <strong>und</strong> in welchem Umfang ihr Unternehmen Rüstungsproduktion<br />

betrieb, nicht nutzten <strong>und</strong> erst recht da, wo sie hier<strong>für</strong> Kriegsgefangene oder<br />

Zwangsarbeiter anforderten (vgl. Spoerer, a. a. O., S. 237 ff.). Da Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene<br />

<strong>und</strong> KZ-Häftlinge nur auf Anforderung zugeteilt wurden, ist bei einer steigenden<br />

Gewinnentwicklung unter Ausnutzung von Zwangsarbeit von einer zurechenbaren Mitverantwortung<br />

<strong>und</strong> damit einem zurechenbaren Verstoß gegen die Gr<strong>und</strong>sätze der Menschlichkeit<br />

oder Rechtsstaatlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG auszugehen.<br />

Der Vorstand leitet die Geschäfte der AG. Alle Vorstandsmitglieder sind gemeinschaftlich zur<br />

Geschäftsführung <strong>und</strong> Vertretung der Gesellschaft befugt (§§ 76 ff. AktG).<br />

Einem Vorstandsmitglied ist deshalb das „Handeln“ des Unternehmens zuzurechnen <strong>und</strong> erfüllt<br />

dieses einen der in § 1 Abs. 4 AusglLeistG aufgeführten Tatbestandsalternativen, liegt<br />

damit auch in dessen Person ein Ausschlussgr<strong>und</strong> vor.<br />

Mit der Ablehnung der Zurechnung von Verantwortung <strong>für</strong> den Einsatz von Sklavenarbeiten<br />

liegt die 2. Kammer auf der Linie der Selbstrechtfertigungen der Unternehmergeneration der<br />

NS-Zeit nach dem Zusammenbruch des NS-Regime <strong>und</strong> den apologetischen Wirtschaftshistorikern<br />

der Nachkriegszeit (vgl. Volker Berghahn, Writing the History of Business, in: Business<br />

and Industry in Nazi Germany, a. a. O., S. 133).<br />

Zeitgenössische Unternehmenshistoriker sind jedoch zu der Auffassung gelangt, dass die Unternehmensführer<br />

der früheren 40er Jahre nicht nur besorgt versuchten, das Überleben ihrer<br />

Unternehmen zu sichern, sondern ebenso von der imperialistischen <strong>und</strong> rassistischen Ideologie<br />

des Nationalsozialismus erfasst wurden - einige vielleicht noch widerwillig, sehr viele<br />

mehr als bereitwillig. Sie gelten heute als warnende Beispiele des totalen Bankrotts, zu dem<br />

politische Verantwortungslosigkeit, moralischer Verfall <strong>und</strong> verbrecherisches Zusammenwirken<br />

(Collusion in Crime) unausweichlich führen müssen (ebd. S. 145).<br />

Der 2. Kammer ist im Übrigen mangelnde Sachverhaltsaufklärung vorzuwerfen, da nach ihrer<br />

Auffassung eine „Misshandlung von beschäftigen Gefangenen <strong>und</strong> Zwangsarbeitern“ immerhin<br />

„eine andere Beurteilung nahe legen“ könnte. Gesicherte historische Erkenntnis ist, dass<br />

die „Zwangsarbeit in Konzentrationslagern zum „Geschäft des Genozids“ gehörte (vgl. Michael<br />

Thad Allen: The Business of Genocide. The SS, Slavery and the Concentration Camps,<br />

in: Business and Industry in Nazi Germany, a. a. O., S. 99). Da es offenbar dokumentarische<br />

26


Belege gibt, dass die Elbtalwerke AG Heidenau KZ-Häftlinge anforderten <strong>und</strong> 500 Häftlingsfrauen<br />

zugesprochen erhielten (vgl. Dokumentation „Gedenkstätten <strong>für</strong> die Opfer des Nationalsozialismus“<br />

der B<strong>und</strong>es<strong>zentrale</strong> <strong>für</strong> politische Bildung, Band 2, Bonn 1999, S. 678), <strong>und</strong><br />

damit (weitere) Indizien <strong>für</strong> einen Verstoß gegen die Gr<strong>und</strong>sätze der Menschlichkeit <strong>und</strong><br />

Rechtsstaatlichkeit, hätte sich der 2. Kammer die weitere Sachverhaltsaufklärung aufdrängen<br />

müssen.<br />

Schließlich stellt die Anforderung von Straf- <strong>und</strong> Kriegsgefangenen sowie Zwangs- oder<br />

Sklavenarbeitern auch einen schwerwiegenden Missbrauch der Stellung zum eigenen Vorteil<br />

bzw. Nachteil anderer im Sinne der 2. Alternative des § 1 Abs. 4 AusglLeistG dar.<br />

Das ARoV hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil der 2. Kammer<br />

des VG Dresden eingelegt (anhängig unter dem Az. 3 B 58/<strong>05</strong>).<br />

Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />

27


Entschädigungslose Enteignung; Vermögensverschiebung;<br />

Vermögensverschiebung im<br />

staatlichen Bereich; West-Gesellschaft; öffentliche<br />

Aufgabe; staatsorganisatorische<br />

Neuordnung; städtisches Wohnungsunternehmen;<br />

GmbH; Wohnraumversorgung<br />

Leitsätze des Gerichts:<br />

§ 1 Abs. 1 a VermG<br />

1. § 25 Abs. 1 Satz 3 VermG ermöglicht es dem Landesamt zur Regelung <strong>offene</strong>r <strong>Vermögensfragen</strong><br />

nur, in besonderen Einzelfällen Verfahren an sich zu ziehen, nicht aber durch<br />

eine Vereinbarung zwischen dem Land <strong>und</strong> einem Landkreis entgegen der durch die<br />

VermGDVO geregelte Zuständigkeit alle bis zu einem bestimmten Datum bei dem Amt<br />

zur Regelung <strong>offene</strong>r <strong>Vermögensfragen</strong> noch anhängigen Verfahren zur weiteren Bearbeitung<br />

dem Landesamt zu übertragen.<br />

2. Werden die im Beitrittsgebiet gelegenen Wohngr<strong>und</strong>stücke eines städtischen Wohnungsunternehmens<br />

in Volkseigentum überführt, so handelt es sich auch dann um einen Eigentumsverschiebung<br />

innerhalb des staatlichen Bereichs <strong>und</strong> nicht um eine Schädigung nach<br />

dem Vermögensgesetz, wenn das Unternehmen schon vor der Teilung Berlins in der<br />

Rechtsform einer GmbH organisiert war <strong>und</strong> seinen Verwaltungssitz im Westteil der Stadt<br />

hatte.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 23. Februar 20<strong>05</strong>, Az.: 8 C 2.04<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Klägerin, eine Berliner Wohnungsbaugesellschaft, eingetragene Eigentümerin seit 1929,<br />

begehrt die Rückübertragung von 37 Gr<strong>und</strong>stücken einer größeren Siedlung im Land Brandenburg.<br />

Mit Beschluss des Magistrats von Groß-Berlin vom 8. November 1949 trat die Verordnung<br />

über die Errichtung der Volkseigenen Gr<strong>und</strong>stücksverwaltung „Heimstätte Berlin“<br />

Anstalt öffentlichen Rechts (HeimStVO) in kraft. Diese verwaltete die vermieteten <strong>und</strong> verpachteten<br />

Gr<strong>und</strong>stücke, die in Volkseigentum überführt wurden. Sie wurde Rechtsträger der<br />

gemäß Gesetz von 8. Februar 1949 zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher<br />

<strong>und</strong> Naziaktivisten <strong>und</strong> der Verordnung vom 10. Mai 1949 zur Überführung von Konzernen<br />

<strong>und</strong> sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen in Volkseigentum überführter Gr<strong>und</strong>stücke.<br />

Auf die Anstalt wurden die Vermögenswerte der bisherigen städtischen <strong>und</strong> vorwiegend<br />

stadteigenen Wohnungs- <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>stücksunternehmen, die in Liquidation traten, übertragen.<br />

Die HeimStVO enthielt keine Entschädigungsregelung.<br />

Die Verwaltung ging auf die Volkseigene Wohnungsverwaltung Berlin-Lichtenberg über.<br />

1952 wurde Eigentum des Volkes <strong>und</strong> 1953 der Rat der Gemeinde N. als Rechtsträger im<br />

Gr<strong>und</strong>buch eingetragen.<br />

Das VG Frankfurt/Oder wies die Klage gegen den ablehnenden Rückübertragungsbescheid<br />

am 2. Juli 2003 (6 K 407/97) mit der Begründung ab, die Gr<strong>und</strong>stücke seien weder von einer<br />

Maßnahme nach § 1 Abs. 1 a VermG noch von einer nach § 1 Abs. 3 VermG betroffen. Zwar<br />

29


sei das Vermögen im Sinne des § 1 Abs. 1 a VermG mit dem Inkrafttreten der HeimStVO<br />

enteignet worden. Für § 1 Abs. 1 a VermG reiche aber allein die entschädigungslose Enteignung<br />

nicht aus. Hinzukommen müsse ein bewusst (politisch) diskriminierendes Element. Hier<br />

habe es sich aber um eine gr<strong>und</strong>sätzliche wirtschaftspolitische Entscheidung des zuständigen<br />

Gesetzgebers gehandelt, die systemimmanent <strong>und</strong> damit restitutionsfest sei. Eine gezielte Diskriminierung<br />

der Klägerin habe nicht stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Die Revision wurde zurückgewiesen.<br />

Anmerkungen:<br />

Vermögensverluste, die nicht durch den Zugriff des Staates auf privates Eigentum geprägt<br />

waren, sondern Eigentumsverschiebungen innerhalb des staatlichen oder des staatlich gelenkten<br />

Bereichs darstellten, unterfallen nicht den Wiedergutmachungsregelungen des VermG<br />

(BVerwG, Urteile vom 2. Mai 1996 - 7 C 10.95 - BVerwGE 101, 143 = OV-spezial 1997, 30<br />

= VIZ 1996, 445 = ZOV 1996, 297 = ZIP 1996, 1187 = NJ 1997, 40 = Buchholz 428 § 1<br />

VermG Nr.72 = RGV B I 125; vom 29. Oktober 2003 - 8 C 26.02 - BARoV-RÜ 04/2004 =<br />

BVerwGE 119, 158 = ZOV 2004, 41 = VIZ 2004, 117 = Buchholz 428.41 § 1 EntschG Nr. 2).<br />

Die Klägerin sei immer ein städtisches Wohnungsunternehmen gewesen, deren mittelbare<br />

Gesellschafter nach dem Krieg das Land Berlin <strong>und</strong> der Magistrat von Groß-Berlin waren.<br />

Eine gemeinsame Ausübung der Gesellschafterrechte fand nicht statt, vielmehr betrachtete<br />

jeder Gesellschafter den in seinem Gebiet liegenden Gr<strong>und</strong>besitz als seinen Gesellschaftsanteil,<br />

den er in eigener Zuständigkeit verwaltete <strong>und</strong> regelte. Bei der Überführung in Volkseigentum<br />

handele es sich nicht um eine Wegnahme, zu deren Wiedergutmachung das VermG<br />

geschaffen worden sei, sondern um eine anderweitige Zuordnung von Vermögenswerten innerhalb<br />

des staatlichen Bereichs <strong>und</strong> damit um eine staatsorganisatorische Maßnahme, deren<br />

eigentumsrechtliche Folgen durch die Vorschriften des Einigungsvertrages über die Verteilung<br />

des öffentlichen Vermögens geregelt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Mai 1996 -<br />

7 C 24.95 - VIZ 1996, 448 = ZOV 1996, 376 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 73 = NJ 1997,<br />

41 = LKV 1997, 101 = RGV C II 63). Auch wenn der Verwaltungssitz der Klägerin in Westberlin<br />

lag, so verfügte doch der Magistrat von Groß-Berlin als (Mit-)Inhaber der (Teil-)Gesellschaft<br />

nur über die im Bereich der DDR belegenen Gr<strong>und</strong>stücke als zuständiger Eigentümer.<br />

Mit Urteil vom 11. März 2004 - 7 C 61.02 - (BARoV-RÜ 03/2004 = Buchholz 428 § 6<br />

VermG Nr. 60 = VIZ 2004, 402 = ZOV 2004, 255) hatte das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht bereits<br />

entschieden, dass ein Zugriff auf ein im Beitrittsgebiet belegenes Unternehmensvermögen<br />

einer West-Gesellschaft, deren Anteile vollständig oder überwiegend in staatlicher Hand<br />

waren, eine Eigentumsverschiebung im staatlichen Bereich darstelle, wenn die Maßnahme<br />

einen der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben im Wege des Privatrechts dienenden Vermögensgegenstand<br />

betraf, der als Folge staatsorganisatorischer Neuzuordnung in Volkseigentum<br />

überführt wurde. Dadurch würde keine wieder gutzumachende Schädigung der Gesellschaft<br />

bewirkt.<br />

Das BVerwG äußerte sich sehr restriktiv zur Passivlegitimation der Beklagten, wenn die Fälle<br />

z. B. an ein anderes ARoV abgegeben oder das LARoV diese an sich gezogen habe. Diese<br />

Passivlegitimation der Beklagten sei dadurch nicht eingetreten. Zwar habe die Beklagte mitgeteilt,<br />

dass aufgr<strong>und</strong> einer Vereinbarung mit dem Land Brandenburg die weitere Bearbeitung<br />

der noch <strong>offene</strong>n Verfahren sowie der Gerichtsverfahren durch das LARoV erfolge. Nach wie<br />

vor gelte aber die Vermögensgesetzdurchführungsverordnung (VermGDVO) vom 13. Januar<br />

2000, nach der die Zuständigkeit <strong>für</strong> Verfahren nach dem VermG den Landkreisen <strong>und</strong> kreisfreien<br />

Städten übertragen sei. § 25 Abs. 1 Satz 3 VermG finde nur auf anhängige Verfahren<br />

<strong>und</strong> nur <strong>für</strong> besondere Einzelfälle Anwendung. Eine generelle Übertragung der Zuständigkeit<br />

sowie der Zuständigkeit in Klageverfahren seien danach nicht möglich.<br />

30


Diese Feststellung des BVerwG erweist sich in der Praxis als äußerst schwierig anzuwenden,<br />

findet doch derzeit ein großer Konzentrationsprozess der noch anhängigen Verfahren sowie<br />

der noch Jahre dauernden Klageverfahren auf einige ausgewählte ÄRoV bzw. der LÄRoV<br />

statt. Der bei einem Erledigungsstand von 97 % im vermögensrechtlichen Bereich vorzuhaltende<br />

Personalbestand wäre unverhältnismäßig hoch. Die Landkreise wären andererseits nach<br />

Auflösen der Ämter überfordert, diese Verfahren weiter in hoher Qualität zu betreuen. Generelle<br />

Zuständigkeitsübertragungen durch landesrechtliche Regelungen sollten weiter möglich<br />

sein.<br />

Mitgeteilt von Dr. Ellen Händler<br />

31


Erstreckung der Prüfung von Ausschlussgründen<br />

auf denjenigen, auf den die Enteignung<br />

auf besatzungsrechtlicher/-hoheitlicher<br />

Gr<strong>und</strong>lage abzielte; Gauhauptamtsleiter; Gauredner;<br />

Beauftragter des Reichsverteidigungskommissars;<br />

SS-Oberführer; Gauobmann der<br />

DAF<br />

Leitsätze der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

§ 1 Abs. 1 <strong>und</strong> 4 3. Alt.<br />

AusglLeistG<br />

Der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG beinhaltet ein Surrogat <strong>für</strong><br />

den nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossenen Restitutionsanspruch. Dieses Surrogat<br />

knüpft an die entsprechende Enteignung an, die auch dann als wirksam anzusehen ist,<br />

wenn sie gegen einen bereits Verstorbenen gerichtet war (BVerwG, Urteil vom 28. Juli 1994 -<br />

7 C 14.94 - BVerwGE 96, 253 = ZIP 1994, 1480 = VIZ 1994, 602 = NJW 1994, 3306 = ZOV<br />

1994, 498 = NJ 1995, 153 = Buchholz 112 § 1 VermG Nr. 27 = RGV B II 67 = Buchholz 428<br />

§ 1 VermG Nr. 27). Diese Verknüpfung von Enteignung <strong>und</strong> Ausgleichsleistungsanspruch<br />

rechtfertigt es, auch <strong>für</strong> den Surrogatanspruch auf die entschädigungslose Enteignung Bezug<br />

zu nehmen <strong>und</strong> denjenigen in die Prüfung von Ausschlussgründen einzubeziehen, auf den<br />

diese Enteignung abgezielt <strong>und</strong> den sie nur wegen seines zuvor eingetretenen Todes verfehlt<br />

hat.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 24. Februar 20<strong>05</strong>, Az.: 3 C 16.04<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Das VG Schwerin hatte mit Urteil – 3 A 420/03 - vom 1. April 2004 die ablehnenden Bescheide<br />

des LARoV aufgehoben, in denen dem Kläger ein Anspruch auf Ausgleichsleistung<br />

versagt wurde, weil sein Rechtsvorgänger, der 1943 verstorbene Gr<strong>und</strong>stückseigentümer, als<br />

Gauhauptamtsleiter, Gauredner, Beauftragter des Reichsverteidigungskommissars, SS-<br />

Oberführer <strong>und</strong> Gauobmann der DAF dem NS-System erheblichen Vorschub i. S. d. § 1 Abs.<br />

4 AusglLeistG, 3. Alternative, geleistet habe. Dem VG Schwerin zufolge habe die Enteignung<br />

die Ehefrau des Verstorbenen betroffen <strong>und</strong> diese erfülle nicht die Voraussetzungen <strong>für</strong> einen<br />

Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG.<br />

Das Verwaltungsgericht Schwerin ließ die Revision zu: Die Rechtssache habe gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; der Kammer seien gerichtliche Entscheidungen<br />

weder hinsichtlich der vorliegenden Ausschlussnorm noch hinsichtlich der nahezu<br />

wortgleichen Regelungen in § 16 Abs. 2 des Strafrechtlichen oder in § 2 Abs. 2 des Verwaltungsrechtlichen<br />

Rehabilitierungsgesetzes bekannt.<br />

Auf die Revision des Beklagten hat das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht das Urteil des VG Schwerin<br />

geändert <strong>und</strong> die Klage abgewiesen:<br />

1. Rechtsgr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> den geltend gemachten Anspruch sei § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG.<br />

Danach erhielten natürliche Personen, die Vermögenswerte im Sinne des § 2 Abs. 2<br />

33


VermG durch entschädigungslose Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher<br />

Gr<strong>und</strong>lage in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet<br />

(Beitrittsgebiet) verloren haben, oder ihre Erben oder weiteren Erben (Erbeserben) eine<br />

Ausgleichsleistung nach Maßgabe dieses Gesetzes.<br />

Unmittelbar Geschädigte der Enteignung im vorliegenden Fall sei nach den Feststellungen<br />

des Verwaltungsgerichts, die mit der Revision nicht angegriffen würden, die Tante des<br />

Klägers als Alleinerbin ihres bereits vor der Enteignung gefallenen Ehemanns gewesen.<br />

Eine Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Gr<strong>und</strong>lage im Sinne<br />

von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die<br />

Maßnahme gegen einen bereits Verstorbenen richtete (BVerwG, Urteil vom 28. Juli 1994 -<br />

7 C 14.94 - a. a. O.). Daher stehe die Wirksamkeit der Enteignung nicht in Frage, auch<br />

wenn in der Liste A zu den Sequestrationen nach dem SMAD-Befehl Nr. 124 sowie in der<br />

Mitteilung der Landesregierung Mecklenburg über den Eintritt der Rechtskraft der Enteignung<br />

vom 30. November 1948 der Geschädigte <strong>und</strong> seine Ehefrau gemeinsam als Eigentümer<br />

aufgeführt worden seien. Alleinerbe seiner Tante sei der Kläger geworden, der somit<br />

nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG gr<strong>und</strong>sätzlich einen Anspruch auf Ausgleichsleistung haben<br />

könne.<br />

2. Der Gewährung einer Ausgleichsleistung stehe hier jedoch der Ausschlussgr<strong>und</strong> des § 1<br />

Abs. 4 AusglLeistG entgegen.<br />

Das Verwaltungsgericht habe angenommen, dass bei der Anwendung des § 1 Abs. 4<br />

AusglLeistG nicht über die Person des unmittelbar Geschädigten hinaus zurückgegangen<br />

werden dürfe. Das sei unzutreffend. Sinn <strong>und</strong> Zweck der Ausschlussregelung erforderten<br />

vielmehr, auch Personen in die Prüfung einzubeziehen, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens<br />

der Enteignung bereits verstorben waren, sofern die Enteignung auf sie abzielte.<br />

Nach der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 4 AusglLeistG (vgl. BT-Drucks. 12/4887, S.<br />

38) solle die Vorschrift verhindern, dass diejenigen, die die Hauptverantwortung <strong>für</strong> die<br />

jetzt zu revidierenden Unrechtsmaßnahmen trügen, das Ausgleichsleistungsgesetz zu ihren<br />

Gunsten in Anspruch nehmen. Entsprechende Ausschlussregelungen fänden sich in allen<br />

vergleichbaren gesetzlichen Regelungen wie z. B. im B<strong>und</strong>esentschädigungsgesetz oder im<br />

Lastenausgleichsgesetz. Dieser Ausschlusstatbestand, der in der Fassung des Regierungsentwurfes<br />

(vgl. BT-Drucks. 12/4887, S. 12) noch auf den „nach Absatz 1 <strong>und</strong> 2 Berechtigten<br />

oder das enteignete Unternehmen“ beschränkt war, wurde hinsichtlich des ausgeschlossenen<br />

Personenkreises noch in den Ausschussberatungen um den Zusatz „oder derjenige,<br />

von dem er seine Rechte ableitet“ erweitert <strong>und</strong> erhielt damit seine geltende Fassung (Beschlussempfehlung<br />

<strong>und</strong> Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 12/7588, S. 12). Diese<br />

Ergänzung werde damit begründet, es solle klargestellt werden, dass auch die Unwürdigkeit<br />

des Rechtsvorgängers des Berechtigten zum Ausschluss des Anspruchs auf Ausgleichsleistung<br />

führe (BT-Drucks. 12/7588, S. 41).<br />

Nur mit der Erstreckung der Prüfung von Ausschlussgründen nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG<br />

auch auf denjenigen, auf den die Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher<br />

Gr<strong>und</strong>lage abzielte, werde diesem Regelungszweck hinreichend Rechnung getragen.<br />

Für eine solche Auslegung spreche insbesondere der systematische Zusammenhang<br />

zwischen der entschädigungslosen Enteignung <strong>und</strong> dem Ausschluss vermögensrechtlicher<br />

Ansprüche nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auf der einen <strong>und</strong> der wesentlich auf dem Sozialstaatsgebot<br />

des Gr<strong>und</strong>gesetzes beruhenden (vgl. dazu BVerfGE 102, 254) ersatzweise<br />

Begründung eines Ausgleichsleistungsanspruchs nach § 1 AusglLeistG auf der anderen<br />

Seite.<br />

34


Der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG beinhalte ein Surrogat<br />

<strong>für</strong> den nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossenen Restitutionsanspruch. Dieses<br />

Surrogat knüpfe an die entsprechende Enteignung an, die auch dann als wirksam anzusehen<br />

ist, wenn sie gegen einen bereits Verstorbenen gerichtet war (BVerwG, Urteil vom 28.<br />

Juli 1994 - 7 C 14.94 - a. a. O., 256 ff.). Diese Verknüpfung von Enteignung <strong>und</strong> Ausgleichsleistungsanspruch<br />

rechtfertige es, auch <strong>für</strong> den Surrogatanspruch auf die entschädigungslose<br />

Enteignung Bezug zu nehmen <strong>und</strong> denjenigen in die Prüfung von Ausschlussgründen<br />

einzubeziehen, auf den diese Enteignung abgezielt <strong>und</strong> den sie nur wegen seines<br />

zuvor eingetretenen Todes verfehlt habe.<br />

Die im angegriffenen Urteil vorgenommene Beschränkung führe demgegenüber zu der am<br />

Regelungszweck <strong>und</strong> dem dargestellten systematischen Zusammenhang vorbei gehenden<br />

Konsequenz, dass es vom Zeitpunkt des Todes des nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG Ausgeschlossenen<br />

abhänge, ob - bei Tod vor der entschädigungslosen Enteignung - eine Ausgleichsleistung<br />

zu zahlen sei oder - im Falle des Todes erst nach der entschädigungslosen<br />

Enteignung - nicht. Dieser Auslegung stehe - anders, als das Verwaltungsgericht meine -<br />

auch nicht der zeitliche Abstand zwischen der Anspruchsbegründung <strong>und</strong> dem Vorschubleisten<br />

entgegen. Der hier in Rede stehende Anspruchsausschluss knüpfe ausdrücklich an<br />

ein Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems an. Der sich daraus<br />

zwangsläufig ergebende zeitliche Abstand bestehe in gleicher Weise dann, wenn es der<br />

durch die Enteignung unmittelbar Geschädigte selbst war, der Vorschub geleistet habe.<br />

Hier gehe es dagegen um die Frage, inwieweit bei der genannten Konstellation dem Todeszeitpunkt<br />

Bedeutung zukommen kann.<br />

Nach der in § 1 Abs. 4 AusglLeistG zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers<br />

führe schließlich nicht bereits der Umstand zu einer Aufhebung des Anspruchsausschlusses,<br />

dass jedenfalls dem oder den Erben kein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1<br />

Abs. 4 AusglLeistG zur Last falle. Es sei gerade nicht so, dass unbelasteten Erben auf jeden<br />

Fall ein Anspruch auf Ausgleichsleitung gewährt werden solle. Der Anspruch sei <strong>und</strong><br />

bleibe verwirkt. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> von Sinn <strong>und</strong> Zweck der Regelung sei kein Gr<strong>und</strong><br />

ersichtlich, weshalb diese Wertung anders ausfallen solle, nur weil der frühere durch ein<br />

Vorschubleisten belastete Eigentümer vor der Enteignung verstorben sei, wenn - wie hier -<br />

gerade seine Belastung der Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> den Zugriff auf den Vermögenswert <strong>und</strong> die entschädigungslose<br />

Enteignung gewesen sei.<br />

Anmerkungen:<br />

Die Entscheidung des BVerwG bestätigt die abgestimmte Auffassung, die bisher von allen<br />

Behörden zur Regelung <strong>offene</strong>r <strong>Vermögensfragen</strong> vertreten wurde (vgl. Beratung der Arbeitsgruppe<br />

„Vermögensverluste 1933 <strong>und</strong> 1945, Enteignungen zwischen 1945 <strong>und</strong> 1949,<br />

Rehabilitierungen“ am 17. Oktober 2001, TOP 2.3.), bis zu welchem Rechtsvorgänger sich<br />

die Prüfung gemäß § 1 Abs. 4 AusglLeistG erstreckt.<br />

Der Rechtsanspruch im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG knüpft als subsidiäres Recht<br />

unmittelbar an den vom Zugang zum Vermögensgesetz i. S. d. § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG<br />

ausgeschlossenen Geschädigten an. Es ist dies regelmäßig derjenige, der auf einer von der<br />

SMAD bestätigten Enteignungsliste erfasst war oder den Maßnahmen der sog. Bodenreform<br />

unterlag <strong>und</strong> derjenige, den die Enteignung anging. Eine Enteignung i. S. d. § 1 Abs. 8 a<br />

VermG wird dem BVerwG zufolge nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die Maßnahme<br />

gegen einen bereits Verstorbenen richtete (BVerwG, Urteil vom 28. Juli 1994 - 7 C 14.94 -<br />

a. a. O. = BVerwGE 96, 253).<br />

35


Da dem B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht zufolge der Anspruch nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG ein<br />

Surrogat <strong>für</strong> den nach § 1 Abs. 8 a VermG ausgeschlossenen Restitutionsanspruch beinhaltet,<br />

<strong>und</strong> insofern an die entsprechende Enteignung anknüpfe, sei es aufgr<strong>und</strong> dieser Verknüpfung<br />

gerechtfertigt, auch denjenigen in die Prüfung von Ausschlussgründung einzubeziehen, auf<br />

den diese Enteignung abgezielt <strong>und</strong> den sie nur wegen seines zuvor eingetretenen Todes verfehlt<br />

habe.<br />

Rechtsnachfolgern (Erben <strong>und</strong> Erbeserben) des Geschädigten, die ihre Rechte von einem bereits<br />

verstorbenen Enteigneten ableiten, steht - ihre eigene „Würdigkeit“ vorausgesetzt - deshalb<br />

nur dann gr<strong>und</strong>sätzlich ein Anspruch nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG zu, wenn der Geschädigte,<br />

also derjenige, den die Enteignungsmaßnahme treffen sollte, keinen Ausschlussgr<strong>und</strong> i.<br />

S. d. § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt.<br />

Mit dem vorliegenden Urteil konnte jetzt die wichtige <strong>und</strong> in der Praxis häufig auftretende<br />

Fragestellung geklärt werden, bis zu welchem „Rechtsvorgänger“ die Würdigkeitsprüfung<br />

zurückverfolgt werden muss, wenn dieser als Geschädigter bspw. vor/bei Einmarsch der sowjetischen<br />

Besatzungstruppen durch Freitod, Hinrichtung oder durch sonstige Kriegshandlungen<br />

aus dem Leben geschieden ist.<br />

Davon zu unterscheiden sind jedoch die Fallkonstellationen der 2. Alternative des § 1 Abs. 4<br />

AusglLeistG i. V. m. § 15 Abs. 2 RepG bei Veräußerungsketten, in denen sich der unentgeltliche<br />

Nacherwerber einen ohne angemessenen Kaufpreis <strong>und</strong> damit in Ausnutzung der Verfolgungslage<br />

erfolgten Erwerb eines Vermögenswertes zurechnen lassen muss <strong>und</strong> deshalb<br />

<strong>für</strong> diesen keine Ausgleichsleistung erhält (vgl. Erlass des BMF vom 10. August 20<strong>05</strong> - V B 6<br />

- VV 5400 - 4/<strong>05</strong>; Ergänzung zu § 7 a Abs. 3 b <strong>und</strong> 3 c VermG vom 15. Oktober 2003 der<br />

BARoV-Dokumentation zur Würdigkeitsprüfung gemäß § 1 Abs. 4 AusglLeistG sowie § 7 a<br />

Abs. 3 b <strong>und</strong> 3 c VermG, S. 13).<br />

Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />

36


Erhebliches Vorschubleisten in der Phase der<br />

Errichtung des NS-Systems; Irrelevanz der<br />

Entnazifizierungsentscheidung <strong>für</strong> den Anspruchsausschluss;<br />

Alfred Hugenberg<br />

Leitsätze der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

§ 1 Abs. 4 3. Alt. AusglLeistG<br />

1. Ein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG ist bereits in der<br />

Phase der Errichtung des nationalsozialistischen Systems möglich <strong>und</strong> nicht erst nach dessen<br />

Etablierung.<br />

2. Voraussetzung <strong>für</strong> einen Anspruchsausschluss ist in objektiver Hinsicht, dass nicht nur<br />

gelegentlich oder beiläufig, sondern mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen<br />

wurden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen <strong>für</strong> die Errichtung, die Entwicklung<br />

oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand<br />

zu unterdrücken, <strong>und</strong> die dies auch zum Ergebnis hatten. Der Nutzen, den das Regime<br />

aus dem Handeln gezogen hat, darf nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein.<br />

3. Für die subjektiven Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes ist es unerheblich, ob der<br />

Betreffende mit seinem das nationalsozialistische System erheblich begünstigenden Handeln<br />

zugleich eigene andere Ziele verfolgt hat. Wer eigene politische Ziele verfolgt, kann<br />

damit zugleich auch wissentlich <strong>und</strong> willentlich die politischen Zwecke eines anderen fördern<br />

(BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1963 - VIII C 81.61 - BVerwGE 15, 326 = RiA<br />

1963, 317 = RzW 1963, 571).<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG, Urteil vom 17. März 20<strong>05</strong>, Az.: 3 C 20.04<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Gestritten wurde im vorliegenden Verfahren um Ausgleichsleistungsansprüche nach Dr. Alfred<br />

Hugenberg (1865 bis 1951). Hugenberg war nach 1916 Inhaber eines gigantischen Presse-<br />

<strong>und</strong> Medienkonzerns <strong>und</strong> wurde 1919 <strong>für</strong> die Deutschnationale Volkspartei - DNVP - Mitglied<br />

der Nationalversammlung. 1928 übernahm er den Vorsitz der im Juni 1933 aufgelösten<br />

Partei DNVP. Er gründete 1931 zusammen mit der NSDAP <strong>und</strong> dem „Frontkämpferb<strong>und</strong><br />

Stahlhelm“ die „Harzburger Front“. Im Januar 1933 wurde Hugenberg Reichsminister <strong>für</strong><br />

Wirtschaft, Landwirtschaft <strong>und</strong> Ernährung im Kabinett Hitler. Im Juni 1933 trat er von seinen<br />

Minister- <strong>und</strong> Parteiämtern zurück, blieb jedoch bis 1945 Reichstagsabgeordneter. Von 1946<br />

bis 1951 befand er sich in britischer Internierung. Im Rahmen der Entnazifizierung wurde er<br />

zunächst als „Minderbelasteter“ <strong>und</strong> 1950 als „Entlasteter“ eingestuft.<br />

Der ablehnende Bescheid des Sächsischen LARoV wurde durch die 4. Kammer des VG<br />

Dresden bestätigt.<br />

Die Revision der Klägerin wurde vom 3. Senat des BVerwG als unbegründet zurückgewiesen:<br />

37


1. Sinn <strong>und</strong> Zweck der Ausschlussregelung in § 1 Abs. 4 AusglLeistG sei es, zu verhindern,<br />

dass diejenigen, die die Hauptverantwortung <strong>für</strong> die zu revidierenden Unrechtsmaßnahmen<br />

tragen, das Ausgleichsleistungsgesetz zu ihren Gunsten in Anspruch nehmen (BT-Drucks.<br />

12/4887, S. 38). In der Gesetzesbegründung werde darauf abgestellt, dass sich § 1 Abs. 4<br />

AusglLeistG entsprechende Ausschlüsse in allen vergleichbaren gesetzlichen Regelungswerken,<br />

wie z. B. im B<strong>und</strong>esentschädigungsgesetz oder im Lastenausgleichsgesetz, fänden.<br />

Daraus habe das Verwaltungsgericht zu Recht entnommen, dass an die zu den entsprechenden<br />

Vorschriften ergangene Rechtsprechung angeknüpft werden könne (so zu bisherigen<br />

Ausschlusstatbeständen u. a. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1969 - VIII C 80.65 -<br />

Buchholz 412.6 § 2 HHG Nr. 2 = ROW 1970, 172 <strong>und</strong> Beschluss vom 12. Februar 1991 -<br />

9 B 244.90 - DÖV 1991, 508 = LKV 1991, 239 = Buchholz 412.6 § 2 HHG Nr. 3 = MDR<br />

1991, 1211).<br />

2. Ein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG sei bereits in der<br />

Phase der Errichtung des nationalsozialistischen Systems möglich <strong>und</strong> nicht erst nach dessen<br />

Etablierung. Eine solche Einschränkung lasse sich dem Wortlaut von § 1 Abs. 4<br />

AusglLeistG nicht entnehmen, insbesondere nicht der Formulierung „nationalsozialistisches<br />

System“, da die Merkmale dieses Systems auch bereits vor seiner Installierung angelegt<br />

<strong>und</strong> erkennbar waren <strong>und</strong> es damit sowohl objektiv als auch subjektiv unterstützt werden<br />

konnte. Die von der Klägerin behauptete Beschränkung sei auch mit dem Sinn <strong>und</strong><br />

Zweck der Ausschlussregelung nicht vereinbar. „Haupt“verantwortung <strong>für</strong> die unter der<br />

jeweiligen Diktatur ergangenen Unrechtsmaßnahmen trage in nicht minderem Maße derjenige,<br />

der zur Errichtung dieses Systems erheblich beigetragen hat, der der Diktatur den<br />

Weg bereitet <strong>und</strong> dadurch einen Beitrag dazu geleistet habe, dass deren Unrechtsmaßnahmen<br />

erst möglich wurden. Dieses Ergebnis entspreche der Rechtsprechung sowohl zu § 2<br />

HHG (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 1959 - VIII C 281.59 - BVerwGE 9, 132<br />

= NJW 1960, 353 = MDR 1960, 255 = Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 1 = Fachberater<br />

1960, 83) als auch zu § 8 BWGöD (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1963 - VIII C<br />

81.61 - BVerwGE 15, 326 ).<br />

3. Das erhebliche Vorschubleisten müsse sich nicht auf das totalitäre System bezogen haben,<br />

das <strong>für</strong> den eingetretenen Vermögensverlust unmittelbar verantwortlich war. Das ergebe<br />

sich zweifelsfrei bereits daraus, dass der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 1<br />

AusglLeistG eine entschädigungslose Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher<br />

Gr<strong>und</strong>lage im Beitrittsgebiet voraussetzt, also eine Enteignung zu Zeiten<br />

des „kommunistischen Systems“ im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG, dass gleichwohl<br />

aber ein Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems eine Ausgleichsleistung<br />

ausschließe. Ebenso wenig würden die an ein erhebliches Vorschubleisten im Sinne<br />

von § 1 Abs. 4 AusglLeistG zu stellenden Anforderungen dadurch strenger, dass nicht<br />

das unmittelbar <strong>für</strong> die entschädigungslose Enteignung verantwortliche System unterstützt<br />

wurde.<br />

4. Das erhebliche Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems im Sinne<br />

von § 1 Abs. 4 AusglLeistG weise eine objektive <strong>und</strong> eine subjektive Komponente auf.<br />

a) Voraussetzung <strong>für</strong> den Anspruchsausschluss sei in objektiver Hinsicht, dass nicht nur<br />

gelegentlich oder beiläufig, sondern mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen<br />

würden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen <strong>für</strong> die Errichtung, die Entwicklung<br />

oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder<br />

Widerstand zu unterdrücken, <strong>und</strong> dies auch zum Ergebnis hatten (vgl. u. a. BVerwG,<br />

Urteil vom 1. Dezember 1966 - VIII C 27.65 - Buchholz 412.3 § 3 BVFG Nr. 45 =<br />

ROW 1967, 255 = ZLA 1968, 333 <strong>und</strong> daran anschließend <strong>für</strong> § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG u.<br />

a. Urteil vom 22 Mai 1969 - VIII C 80.65 - a. a. O. <strong>und</strong> Beschluss vom 12. Februar<br />

38


uar 1991 - 9 B 244.90 - a. a. O., zu § 6 Abs. 1 BEG: BGH, Urteile vom 4. August 1958<br />

- IV ZR 56/58 - RzW 1958, 4<strong>05</strong> = LM Nr. 19 zu § 6 BEG 1956 <strong>und</strong> vom 10. Juli 1986 -<br />

IX ZR 55/86 - BGHR BEG § 6 Abs. 1 Nr. 1).<br />

Ein „Vorschubleisten“ im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG habe nach dem Wortsinn<br />

nicht anders als ein „Fördern“ im Sinne von § 8 Abs. 1 BWGöD, ein Unterstützen, ein<br />

Verbessern der Bedingungen <strong>für</strong> das entsprechende System zum Inhalt. Die Ausschlusstatbestände<br />

in § 1 Abs. 4 AusglLeistG <strong>und</strong> § 8 BWGöD unterschieden sich in dieser<br />

Hinsicht erst dadurch, dass § 1 Abs. 4 AusglLeistG - nicht anders als § 3 Abs. 2 Nr. 1<br />

BVFG <strong>und</strong> § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG - mit einem „erheblichen“ Vorschubleisten eine höhere<br />

Intensität <strong>und</strong> Wirkung der Unterstützung verlange.<br />

Das Vorschubleisten müsse sich auf das „nationalsozialistische System“ gerichtet haben.<br />

Die unterstützende Tätigkeit müsse sich auf spezifische Ziele des nationalsozialistischen<br />

Systems bezogen haben. Eine Unterstützung nicht spezifisch von der nationalsozialistischen<br />

Ideologie geprägter Bestrebungen, wie etwa des Zieles, den 2. Weltkrieg<br />

zu gewinnen, genüge nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 1962 - V C 99.61 -<br />

BVerwGE 14, 142 = MDR 1962, 763 = DÖV 1962, 869 = ZLA 1962, 383 =<br />

Buchholz 412.4 § 8 KgfEG Nr. 1). Die Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer<br />

Gliederungen sei <strong>für</strong> ein Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht erforderlich<br />

(vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1959 - VIII C 62.59 - ZBR 1960,<br />

135 = NJW 1960, 231 = RzW 1960, 231 = BVerwGE 9, 317 m. w. N. zu § 8<br />

BWGöD <strong>und</strong> BGH, Urteile vom 10. Juli 1986 - IX ZR 55/86 - a. a. O. <strong>und</strong> vom 4. August<br />

1958 - IV ZR 55/58 - a. a. O. = RzW 1958, 4<strong>05</strong>).<br />

Ein „erhebliches“ Vorschubleisten setze ferner voraus, dass der Nutzen <strong>für</strong> das Regime<br />

nicht nur ganz unbedeutend gewesen ist (BVerwG, Urteile vom 22. Oktober 1987 - 3 C<br />

12.87 - Buchholz 427.6 § 3 BFG Nr. 25 = ROW 1989, 61 = ZLA 1988, 6; vom 11.<br />

März 1965 - VIII C 396.63 - ROW 1966, 30 = ZLA 1966, 138 <strong>und</strong> vom 1. Dezember<br />

1966 - VIII C 27.65 - a. a. O., sowie Beschluss vom 25. Oktober 1967 - 8 B 197.67 -).<br />

Aus der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 4 AusglLeistG, wonach die Hauptverantwortlichen<br />

<strong>für</strong> die Unrechtssysteme von einer Ausgleichsleistung ausgeschlossen werden<br />

sollten (vgl. BT-Drucks. 12/4887, S. 38), ergäben sich keine darüber hinausgehenden<br />

Anforderungen. Eine Unterstützung, die den genannten qualifizierten Anforderungen an<br />

die Erheblichkeit des Vorschubleistens genüge, rechtfertige es, den Betreffenden<br />

zugleich als Hauptverantwortlichen im Sinne dieser Regelung anzusehen. Dass insoweit<br />

eine engere Bedeutung, etwa im Sinne einer Beschränkung auf die in Nürnberg verurteilten<br />

Hauptkriegsverbrecher, gemeint war, lasse sich weder dem Wortlaut noch der<br />

Gesetzesbegründung von § 1 Abs. 4 AusglLeistG entnehmen.<br />

b) Für die subjektiven Voraussetzungen eines Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4<br />

AusglLeistG sei von Bedeutung, dass es sich bei dieser Regelung ebenso wenig wie bei<br />

§ 8 Abs. 1 BWGöD um eine Strafvorschrift handelt oder nach der „Schuld“ der Betr<strong>offene</strong>n<br />

gefragt wird. Vielmehr würden diejenigen, die dem nationalsozialistischen oder<br />

dem kommunistischen System erheblichen Vorschub geleistet haben, wegen der besonderen<br />

Zwecke des Wiedergutmachungsrechts, zu dem auch das Ausgleichsleistungsgesetz<br />

zählt (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94 - BVerfGE<br />

102, 254 = EuGRZ 2000, 573 = WM 2000, 2494 = VIZ 2001, 16 = D-spezial<br />

2001, Nr. 4, 5 = NJ 2001, 83 = IFLA 2001, 8 = DVBl 2001, 191 = ZOV 2001, 21), von<br />

einer Ausgleichsleistung ausgeschlossen, weil sie ein erhebliches Maß an Mitverantwortung<br />

<strong>für</strong> die Errichtung oder spätere Maßnahmen des nationalsozialistischen oder des<br />

kommunistischen Systems trügen, mithin zu den „Hauptverantwortlichen“ im Sinne der<br />

Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 12/4887 S. 38) zählten.<br />

39


Die subjektiven Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes seien erfüllt, wenn die<br />

betreffende Person dabei in dem Bewusstsein gehandelt hat, ihr Verhalten könne diesen<br />

Erfolg haben, wenn ihr Handeln also hierzu bestimmt war. Da ein „Vorschubleisten“<br />

dem Wortsinn nach ein intentionales Tätigwerden voraussetze, also ein wissentliches<br />

<strong>und</strong> willentliches Handeln zugunsten eines Nutznießers - hier des nationalsozialistischen<br />

Systems -, genüge hier<strong>für</strong> nicht bereits die Kenntnis der Ziele dieses Systems<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1986 - IX ZR 55/86 - a. a. O.). Andererseits muss die Errichtung<br />

oder Festigung des Systems nicht in der Absicht des Betreffenden gelegen haben<br />

(vgl. u. a. BVerwG, Urteile vom 11. November 1959 - VIII C 62.59 - BVerwGE 9,<br />

317 m. w. N., a. a. O. <strong>und</strong> vom 28. Februar 1963 - VIII C 81.61 - BVerwGE 15,<br />

326 , a. a. O.). Das Wissen <strong>und</strong> Wollen des Vorschub Leistenden müsse sich nur<br />

auf das eigene Tätigwerden <strong>und</strong> dessen Wirkung als Beitrag zur Errichtung oder zur<br />

Festigung des nationalsozialistischen Systems bezogen haben, es müsse nicht alle Einzelheiten<br />

der späteren Entwicklung einschließen. Auch insoweit könne an die Rechtsprechung<br />

zu § 8 BWGöD angeknüpft werden (vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober<br />

1957 - VI C 95.56 - Buchholz 233 § 8 BWGöD Nr. 6, wonach es <strong>für</strong> ein Fördern i.<br />

S. dieser Regelung unbeachtlich ist, ob sich der Betreffende über die weitere politische<br />

Entwicklung geirrt hat).<br />

Unerheblich sei, ob der Betreffende mit seinem das nationalsozialistische System erheblich<br />

begünstigenden Handeln zugleich eigene andere Ziele verfolgt hat. Wer eigene politische<br />

Ziele verfolge, könne damit zugleich auch wissentlich <strong>und</strong> willentlich die politischen<br />

Zwecke eines anderen fördern (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1963 - VIII C<br />

81.61 - a. a. O.).<br />

5. Eine Einstufung als „Entlasteter“ oder „Minderbelasteter“ im Rahmen der Entnazifizierung<br />

sei <strong>für</strong> die Beurteilung, ob die Voraussetzungen <strong>für</strong> einen Anspruchsausschluss nach § 1<br />

Abs. 4 AusglLeistG vorlägen, ohne Bedeutung. § 1 Abs. 4 AusglLeistG enthalte weder <strong>für</strong><br />

eine Tatbestands-, noch <strong>für</strong> eine Feststellungswirkung der Entnazifizierungsentscheidung<br />

den erforderlichen normativen Anknüpfungspunkt. Ebenso wenig ergebe sich ein entsprechender<br />

Wille des Gesetzgebers aus den Gesetzesmaterialien zum Ausgleichsleistungsgesetz.<br />

Bereits mit Urteil vom 20. März 1958 (BVerwG II C 98.57 - Buchholz 233 § 8 BWG-<br />

D Nr. 9 = DVBl 1958, 584 = RzW 1958, 333 = RiA 1958, 263 = DÖV 1958, 864 = ZBR<br />

1959, 62) habe das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht eine Bindung an die Entnazifizierungsentscheidung<br />

<strong>für</strong> § 8 BWGöD verneint. Für § 1 Abs. 4 AusglLeistG gelte nichts anderes.<br />

Gegen die Relevanz der Entnazifizierungsentscheidung <strong>für</strong> die Frage eines Ausschlusses<br />

von der Ausgleichsleistung sprächen neben dem fehlenden gesetzlichen Anhalt die unterschiedlichen<br />

Ziele, die der Ausschlussregelung in § 1 Abs. 4 AusglLeistG einerseits <strong>und</strong><br />

den Maßnahmen im Rahmen der Entnazifizierung andererseits zugr<strong>und</strong>e lägen. Mit dem<br />

Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG solle - wie bereits ausgeführt - verhindert<br />

werden, dass die Hauptverantwortlichen <strong>für</strong> die zu revidierenden Unrechtsmaßnahmen<br />

das Ausgleichsleitungsgesetz zu ihren Gunsten in Anspruch nehmen würden (BT-Drucks.<br />

12/4887, S. 38). Dagegen habe der Entnazifizierung als wesentliches Ziel die Abwehr von<br />

Gefahren zugr<strong>und</strong>e gelegen, die sich von den durch ihre Verstrickung in den Nationalsozialismus<br />

Belasteten <strong>für</strong> den Neuaufbau ergeben konnten.<br />

6. Die vom Verwaltungsgericht getr<strong>offene</strong>n Feststellungen rechtfertigten die Annahme, dass<br />

Hugenberg dem nationalsozialistischen System im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG erheblichen<br />

Vorschub geleistet habe. Dabei würden die Verfahrensrügen der Klägerin fehl<br />

gehen. Sie liefen im Wesentlichen darauf hinaus, das Verwaltungsgericht hätte ein historisches<br />

Sachverständigengutachten einholen müssen. Hierzu habe jedoch kein Anlass be-<br />

40


standen, weil die getr<strong>offene</strong>n tatsächlichen Feststellungen allgemeink<strong>und</strong>ige Tatsachen beträfen<br />

<strong>und</strong> die vorzunehmenden Bewertungen nicht nach historischen, sondern nach rechtlichen<br />

Maßstäben vorzunehmen waren.<br />

a) Als erhebliches Vorschubleisten durch Hugenberg habe das Verwaltungsgericht schon<br />

die auf Initiative Hugenbergs zurückgehende Aufnahme der NSDAP in das Bündnis gegen<br />

den Young-Plan (gemeinsame Organisation des Volksentscheids) <strong>und</strong> deren Einbeziehung<br />

in die „Harzburger Front“ gesehen. Dadurch sei das Ansehen der NSDAP in<br />

der Bevölkerung gestiegen <strong>und</strong> Hitler salonfähig geworden. Gegen diese Wertung, die<br />

das Verwaltungsgericht auf entsprechende Aussagen im zeitgeschichtlichen Schrifttum<br />

gestützt habe (vgl. statt vieler Fest, Hitler, 1973, S. 367 ff.), seien weder in tatsächlicher<br />

Hinsicht durchgreifende Rügen erhoben worden, noch begegnet die darauf gestützte<br />

rechtliche Würdigung Bedenken. Es unterliege vor der nachfolgenden Entwicklung der<br />

politischen Machtverhältnisse in der Weimarer Republik keinen Zweifeln, dass diese Initiativen<br />

Hugenbergs geeignet waren, die Nationalsozialisten zu stärken <strong>und</strong> damit den<br />

Weg in das nationalsozialistische System vorzubereiten.<br />

Dass die Beseitigung des verfassungsmäßigen Regierungssystems der Weimarer Republik<br />

nicht allein ein nationalsozialistisches Ziel war, sondern auch von anderen Parteien<br />

angestrebt wurde, habe das Verwaltungsgericht nicht verkannt. Entscheidend <strong>für</strong> ein<br />

Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems sei insoweit in objektiver<br />

Hinsicht allein, dass Hugenberg dazu beigetragen habe, dass an die Stelle der Weimarer<br />

Republik die Herrschaft Hitlers <strong>und</strong> der NSDAP getreten sei. Damit sei spezifisch<br />

nationalsozialistischen Zielen zur Umsetzung verholfen worden.<br />

Ein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG habe das Verwaltungsgericht<br />

außerdem darin gesehen, dass Hugenberg als bekannter <strong>und</strong> einflussreicher<br />

Politiker Reichsminister im ersten Kabinett Hitlers wurde. Ohne Mitwirkung<br />

Hugenbergs hätte Hindenburg Hitler nicht zum Reichskanzler ernannt. In der Öffentlichkeit<br />

sei mit der ersten Beteiligung von Nationalsozialisten an der Reichsregierung<br />

der Eindruck erweckt worden, Hitler <strong>und</strong> die NSDAP seien vertrauenswürdig. Das<br />

seien die Gründe gewesen, die das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht im Falle des Staatssekretärs<br />

von Hugenberg im Landwirtschaftsministerium veranlasst hatten, ein Fördern des<br />

Nationalsozialismus im Sinne von § 8 BWGöD anzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom<br />

28. Februar 1963 - VIII C 81.61 - BVerwGE 15, 326 , a. a. O.). Für Hugenberg<br />

als damals noch erheblich bekanntere <strong>und</strong> einflussreichere Person des politischen Lebens<br />

könne in Bezug auf ein „Vorschubleisten“ nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG nichts anderes<br />

gelten.<br />

In die Zeit der Regierungsbeteiligung Hugenbergs, die bis Ende Juni 1933 ging, fielen<br />

außerdem wichtige von ihm mitgetragene Rechtsakte, die wesentlich zur Errichtung des<br />

nationalsozialistischen Systems beigetragen haben. Das Ermächtigungsgesetz vom 24.<br />

März 1933 (RGBl. I S. 141) habe der Reichsregierung mit der Befugnis zum Beschluss<br />

von Reichsgesetzen, die sogar von der Verfassung abweichen konnten, ein wichtiges Instrument<br />

an die Hand gegeben, das von den Nationalsozialisten in der Folgezeit zur weiteren<br />

Aushöhlung der verfassungsmäßigen Rechte <strong>und</strong> zur gr<strong>und</strong>legenden Umgestaltung<br />

der Staats- <strong>und</strong> Rechtsordnung in ihrem Sinne eingesetzt wurde. Das von der Reichsregierung<br />

beschlossene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April<br />

1933 (RGBl. I S. 175) habe die Möglichkeit eröffnet, Beamte, die nicht arischer Abstammung<br />

waren (§ 3), <strong>und</strong> politisch missliebige Beamten (§ 4) aus dem Dienst zu entlassen.<br />

Die ebenfalls von der Reichsregierung beschlossenen Gleichschaltungsgesetze<br />

(vgl. u. a. das Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom<br />

31. März 1933, RGBl. I S. 153, <strong>und</strong> das Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder<br />

41


mit dem Reich vom 7. April 1933, RGBl. I S. 173) leiteten in den zentral gelenkten<br />

Führerstaat über.<br />

Zu Recht habe das Verwaltungsgericht in diesem Wirken Hugenbergs kein nur gelegentliches<br />

<strong>und</strong> beiläufiges Handeln zugunsten des nationalsozialistischen Systems gesehen,<br />

sondern die <strong>für</strong> einen Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG erforderliche<br />

Stetigkeit des Handelns bejaht. Das politische Handeln Hugenbergs im Vorfeld der<br />

nationalsozialistischen Machtergreifung sowie seine Rolle bei der Ernennung Hitlers<br />

zum Reichskanzler <strong>und</strong> seine Mitwirkung in der Regierung erfüllten ohne weiteres auch<br />

die Voraussetzungen <strong>für</strong> eine Qualifizierung als „erhebliches“ Vorschubleisten. Der<br />

Nutzen, der <strong>für</strong> das nationalsozialistische System in der Phase seiner Etablierung daraus<br />

resultierte, sei offenk<strong>und</strong>ig nicht nur ganz unbedeutend gewesen.<br />

b) In der Person von Hugenberg seien die subjektiven Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes<br />

ebenfalls erfüllt. Sowohl die Einbeziehung der NSDAP in das Bündnis gegen<br />

den Young-Plan im Jahr 1929 <strong>und</strong> deren Aufnahme in die „Harzburger Front“ im Jahr<br />

1931 als auch Hugenbergs Mitwirkung an der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler<br />

1933 seien bewusst <strong>und</strong> gewollt erfolgt. Nur auf diese Unterstützungshandlungen <strong>und</strong><br />

deren Wirkung als Beitrag zur Errichtung oder Festigung des nationalsozialistischen<br />

Systems müsse sich jedoch der subjektive Tatbestand des erheblichen Vorschubleistens<br />

beziehen. Dass durch die mit seinem Handeln verb<strong>und</strong>ene „Aufwertung“ der Nationalsozialisten<br />

auch deren politischen Ziele Unterstützung fanden, habe Hugenberg aufgr<strong>und</strong><br />

seiner umfangreichen Erfahrungen als Politiker nicht verborgen geblieben sein<br />

können. Ebenso habe er das Streben der Nationalsozialisten nach der Alleinherrschaft<br />

<strong>und</strong> - wie der <strong>offene</strong> Terror der SA auf der Straße deutlich machte - deren Bereitschaft,<br />

zur Erreichung ihrer Ziele auch Gewalt einzusetzen, erkennen können. Ob <strong>und</strong> inwieweit<br />

Hugenberg die Ideologie <strong>und</strong> die politischen Ziele der Nationalsozialisten teilte<br />

oder eigene politische Ziele verfolgte, habe das Verwaltungsgericht zu Recht <strong>für</strong> unerheblich<br />

gehalten. Jedenfalls habe er - wie die Nationalsozialisten - das Ende der Weimarer<br />

Republik <strong>und</strong> die Etablierung eines autoritären Regimes angestrebt. Er habe hier<strong>für</strong><br />

bewusst ein Bündnis mit der NSDAP geschlossen, aus dem diese gestärkt hervorgegangen<br />

ist. Ebenso wenig stehe sein Bewusstsein, dem nationalsozialistischen<br />

System erheblichen Vorschub zu leisten, deshalb in Frage, weil Hugenberg - wie das<br />

Verwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat - zunächst versucht habe, eine Regierungsbeteiligung<br />

Hitlers abzuwehren <strong>und</strong> ihn in der Regierung jedenfalls unter Kontrolle zu<br />

halten. Er habe ihm 1933 gleichwohl bewusst <strong>und</strong> gewollt zur Kanzlerschaft verholfen.<br />

Die damit errungene Machtposition sei zum Ausgangspunkt <strong>für</strong> die weitere Etablierung<br />

des nationalsozialistischen Systems geworden. Darauf, ob <strong>und</strong> inwieweit Hugenberg die<br />

spätere Alleinherrschaft der Nationalsozialisten <strong>und</strong> das Erscheinungsbild ihrer Gewaltherrschaft<br />

in allen Einzelheiten - also etwa die Vernichtungspolitik gegenüber der jüdischen<br />

Bevölkerung oder die gewaltsame Expansionspolitik - vorhersah <strong>und</strong> wollte,<br />

komme es nicht an.<br />

Anmerkungen:<br />

Mit dem vorliegenden Urteil des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts hat die Verwaltungspraxis bei<br />

der Auslegung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG ein großes Stück Entscheidungssicherheit <strong>und</strong> vor<br />

allem im Hinblick auf dessen 3. Alternative weitgehende Unterstützung erhalten. Höchstrichterlich<br />

bestätigt ist zum einen nunmehr, dass die Rechtsprechung zu früheren Kriegsfolgeregelungen<br />

vergleichbaren Inhalts auf die Auslegung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG übertragbar<br />

ist. Diese Übertragbarkeit wurde von den Betr<strong>offene</strong>n bisher stets bestritten.<br />

42


Zum anderen hat das BVerwG unter Berufung auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucks.<br />

12/4887, S. 38) auch klar gestellt, dass ein erhebliches Vorschubleisten i. S. v. § 1 Abs. 4<br />

AusglLeistG bereits in der Phase der Errichtung des NS-Systems <strong>und</strong> nicht (nur) erst nach<br />

dessen Etablierung möglich ist.<br />

Hervorzuheben ist dabei die Aussage des BVerwG, dass die Formulierung in der Gesetzesbegründung,<br />

wonach die „Hauptverantwortlichen“ <strong>für</strong> die Unrechtssysteme von einer Ausgleichsleistung<br />

ausgeschlossen werden sollten, (<strong>für</strong> das NS-System) nicht im Sinne einer Beschränkung<br />

auf die in Nürnberg verurteilten Hauptkriegsverbrecher zu verstehen sei. Vielmehr<br />

sei Voraussetzung <strong>für</strong> die (objektive) Tatbestandserfüllung allein, dass der Nutzen <strong>für</strong><br />

das Regime nicht nur ganz unbedeutend gewesen ist (UA S. 10 m. w. N.).<br />

Aus den Gesetzesbegründungen ist klar erkennbar, dass der Gesetzgeber von der Leistung den<br />

Personenkreis ausschließen will, dem bspw. eine Führungsverantwortung im Sinne alliierter<br />

Bestimmungen wie der Kontrollratsdirektive Nr. 38 zugesprochen werden kann.<br />

Für die subjektive Tatbestandserfüllung der 3. Alternative des § 1 Abs. 4 AusglLeistG ist es<br />

dem BVerwG zufolge unerheblich, ob der Betreffende mit seiner Unterstützungshandlung <strong>für</strong><br />

das Unrechtssystem zugleich eigene andere Ziele verfolgt hat - wie bspw. der Beitrag Hugenbergs<br />

<strong>und</strong> anderer (rechts-)konservativer Politiker zur Beseitigung der Weimarer Republik<br />

<strong>und</strong> Etablierung der NSDAP als Staatspartei des „Dritten Reiches“. Ebenso wenig komme es,<br />

so das BVerwG, darauf an, ob der Betreffende das Ausmaß der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft<br />

in allen Einzelheiten vorhersah <strong>und</strong> wollte. - Hiermit versagt das BVerwG eindeutig<br />

derartigen Rechtfertigungen Betr<strong>offene</strong>r tatbestandsausschließende Relevanz.<br />

Ein einmal begangenes Vorschubleisten kann darüber hinaus auch durch eine spätere Abkehr<br />

oder Wiedergutmachungsbemühungen nicht wieder rückgängig gemacht werden, da es auch<br />

hier<strong>für</strong> keinen rechtlichen Anhaltspunkt gibt (so zutreffend bereits VG Halle, Urteil vom 7.<br />

August 2002, UA S. 11 - BARoV-RÜ 12/2002, 11 ff.).<br />

Darüber hinaus hat das BVerwG zu Recht der Berücksichtigung früherer Entnazifizierungsentscheidungen<br />

<strong>für</strong> den Anspruchsausschluss eine deutliche Absage erteilt. Gegen ihre Relevanz<br />

sprechen neben einer fehlenden gesetzlichen Regelung schon die unterschiedlichen<br />

rechtlichen bzw. (gesellschafts-)politischen Ziele.<br />

Mitgeteilt von Gabriele Körner<br />

43


Erbengemeinschaft, kollektivverfolgte Miterben;<br />

nichtkollektivverfolgte Miterben; “rassisch<br />

gemischte“ Erbengemeinschaft, Kollektivverfolgung<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG, Beschluss vom 19. April 20<strong>05</strong>, Az.: 8 B 78.04<br />

Tatbestand/Problem:<br />

§ 1 Abs. 6 VermG<br />

Das BVerwG hat mit seinem Beschluss die Revision gegen die Entscheidung des VG Potsdam<br />

vom 30. Juni 2004, 6 K 796/98, wegen gr<strong>und</strong>sätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.<br />

Das Verfahren gäbe dem Senat voraussichtlich Gelegenheit zur Klärung der Rechtsfrage, ob<br />

<strong>und</strong> unter welchen Voraussetzungen eine „rassisch gemischte“ Erbengemeinschaft, die aus<br />

kollektivverfolgten <strong>und</strong> nichtkollektivverfolgten Miterben bestand, als solche zum Kreis der<br />

Kollektivverfolgten gehöre.<br />

Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 8 C 15.<strong>05</strong> fortgeführt<br />

Mitgeteilt von Katrin Holst<br />

45


Restitutionsanspruch; Abtretung; frühere Berechtigung<br />

des Zedenten; Anspruch auf Feststellung<br />

einer früheren Berechtigung<br />

Leitsatz des Gerichts:<br />

§ 3 Abs. 1 Satz 2 <strong>und</strong> Abs. 4<br />

Satz 3 VermG;<br />

§ 16 InVorG<br />

Der Zedent eines angemeldeten Rückübertragungsanspruchs hat keinen Anspruch gegen die<br />

Vermögensbehörde auf Feststellung seiner früheren, bis zur Zession bestehenden Berechtigung.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG, Beschluss vom 26. April 20<strong>05</strong>, Az.: 7 B 13.<strong>05</strong><br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Klägerin hat <strong>für</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich klärungsbedürftig gehalten, ob die Abtretung eines Restitutionsanspruchs<br />

zur Folge hat, dass vor der Abtretung bestehende Rechte hinsichtlich des<br />

Restitutionsanspruchs nicht mehr festgestellt werden können.<br />

Nach Ansicht des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts rechtfertigt die Klärung dieser Frage nicht die<br />

Durchführung eines Revisionsverfahrens. Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren<br />

nur insoweit stellen, als die Kläger, also die Zedenten, ihre eigene, früher bestehende Berechtigung<br />

festgestellt wissen wollen. Dies sei aber nicht der Fall. Auch der Hinweis der Kläger<br />

auf § 16 InVorG übersehe, dass es vorliegend wie in anderen Fällen der Erlösauskehr<br />

nicht um die Feststellung einer früher bestehenden Berechtigung, sondern um die Feststellung<br />

eines früher bestehenden, aber durch Veräußerung des Vermögenswerts untergegangenen<br />

Rückübertragungsanspruchs des nach wie vor Berechtigten geht.<br />

Anmerkungen:<br />

Die mangelnde Klärungsbedürftigkeit liege „auf der Hand“ - so hat das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

argumentiert. Im Gr<strong>und</strong>e fehlt es am „Feststellungsinteresse“. So ist in der Literatur<br />

anerkannt, dass bei in der Vergangenheit angehörenden Rechtsverhältnissen ein berechtigtes<br />

Interesse gr<strong>und</strong>sätzlich nur dann anzuerkennen ist, wenn das Rechtsverhältnis über seine Beendigung<br />

hinaus anhaltende Wirkung in der Gegenwart äußert, insbesondere bei fortdauernden<br />

Rechtsbeeinträchtigungen, bei Wiederholungsgefahr <strong>und</strong> sonstigen diskriminierenden<br />

fortdauernden Wirkungen (Kopp/Schenke: VwGO, 13. Auflage, § 43 VwGO, Rz. 25).<br />

Für die früher bestehende Berechtigung des Klägers als ehemaligen Berechtigten <strong>und</strong> Zedenten<br />

gibt es in der Regel kein Feststellungsinteresse, weil eine darüber hinaus gehende Wirkung<br />

nach dem Vermögensgesetz nicht ersichtlich ist (so auch des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts<br />

im Ergebnis).<br />

Mitgeteilt von Dr. Constanze Budde-Hermann<br />

47


Verfolgungsbedingter Vermögensverlust;<br />

Vermögensverlust „auf andere Weise“; Erbausschlagung;<br />

Siedlungsunternehmen; Zwischenerwerb<br />

Leitsätze der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

§ 1 Abs. 6,<br />

§ 3 Abs. 1 Satz 11 VermG;<br />

Art. 3 REAO;<br />

1. Die Erbausschlagung ist als rechtsgeschäftliche Vermögensaufgabe im Sinne von § 1 Abs.<br />

6 VermG, Art. 3 REAO anzusehen.<br />

2. § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG erschöpft sich nicht in den äußeren Voraussetzungen. Zusätzlich<br />

muss zwischen dem Unternehmenszweck vor der Schädigung <strong>und</strong> dem Zweck beim Verkauf<br />

ein spezifischer Zusammenhang bestehen. Es kommt gerade nicht allein auf den <strong>für</strong><br />

den gutgläubigen Erwerber ersichtlichen Unternehmenszweck beim Veräußerungsgeschäft<br />

an.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

VG Potsdam, Urteil vom 26. Mai 20<strong>05</strong>, Az.: 9 K 1992/01<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Beteiligten streiten um die Rückübertragung eines Gr<strong>und</strong>stücks an die Beigeladene.<br />

Das Gr<strong>und</strong>stück war ursprünglich Teil der <strong>für</strong> Parzellierungszwecke vorgesehenen „Waldsiedlung<br />

Stolpe“, von dem der Rechtsvorgänger der Beigeladenen, der jüdische Kaufmann L.,<br />

1929/30 den nördlichen Teil erwarb <strong>und</strong> in der Folge die einzelnen Parzellen weiter veräußerte.<br />

Nachdem Herr L. 1939 verstorben war, schlugen seine Angehörigen die Erbschaft aus.<br />

Aufgr<strong>und</strong> einer vom ehemaligen Veräußerer beim Nachlassverwalter angemeldeten umstrittenen<br />

Restkaufgeldforderung wurden die Gr<strong>und</strong>stücke in Stolpe im Rahmen einer Zwangsversteigerung<br />

an den Parzellierungskaufmann M. veräußert. 1941 kauften die Rechtsvorgänger<br />

der Klägerin wiederum von M. das streitgegenständliche Gr<strong>und</strong>stück.<br />

Das VG Potsdam hat den Bescheid der Beklagten, der die Restitution an die Rechtsnachfolger<br />

des L. im Ergebnis vorsieht, bestätigt. Im Unterschied zur Beklagten, die die Voraussetzungen<br />

von § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG als gegeben ansah, bejahte das VG die Restitution gemäß §§ 3<br />

Abs. 1 Satz 10, 1 Abs. 6 VermG. Das Gericht stellte fest, dass die Ausschlagung der Erbschaft<br />

ein Vermögensverlust „auf andere Weise“ im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG sei. Maßgeblich<br />

<strong>für</strong> die Anwendung der Wiedergutmachungsvorschriften sei insoweit der zwangsweise Druck<br />

auf die Willensfreiheit bei der rechtsgeschäftlichen Entäußerung. Es könne dabei von Ursache<br />

<strong>und</strong> Wirkung her keinen Unterschied machen, ob der Wille sich auf einen Zwangsverkauf,<br />

eine Schenkung, eine spezielle Aufgabeerklärung (etwa gemäß § 928 BGB) oder eine Erbausschlagung<br />

richte. Ergänzend verwies das Gericht insoweit auf § 1 Abs. 2 VermG.<br />

Des Weiteren sei die Restitution nicht durch § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG ausgeschlossen. Die<br />

äußeren Voraussetzungen nach dem Wortlaut der Vorschrift seien erfüllt. Insbesondere sei<br />

das Unternehmen selbst <strong>und</strong> der Unternehmenszweck, der dem eines Siedlungsunternehmens<br />

entsprach, von dem auf den jüdischen Unternehmensträger zielenden Gewerbeverbot, dem<br />

49


Tod von L. <strong>und</strong> der Ausschlagung der Erbschaft unberührt geblieben. Die Norm erschöpfe<br />

sich gleichwohl nicht in diesen Voraussetzungen. Schon der Wortlaut intendiere, dass zwischen<br />

dem Unternehmenszweck vor der Schädigung <strong>und</strong> dem Zweck beim Verkauf ein spezifischer<br />

Zusammenhang bestehen muss <strong>und</strong> es gerade nicht allein auf den <strong>für</strong> den gutgläubigen<br />

Erwerber ersichtlichen Unternehmenszweck beim Veräußerungsgeschäft ankomme. Der Zwischenerwerb<br />

vom geschädigten Unternehmen durch ein anderes Unternehmen, das dann erst<br />

an eine natürliche Person veräußert habe, beseitige die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 1 Satz 11<br />

VermG.<br />

Das VG hat die Revision gem. §§ 135, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i. V. mit § 37 Abs. 2 VermG<br />

wegen gr<strong>und</strong>sätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.<br />

Anmerkungen:<br />

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Klägerin hat Revision eingelegt.<br />

Unter Berücksichtigung des in § 1 URüVO definierten weit gefassten Unternehmensbegriff<br />

des Vermögensrechts ist es m. E. zutreffend, dass das VG Potsdam auch auf den Einzelkaufmann<br />

§ 6 Abs. 6 a <strong>und</strong> § 3 Abs. 1 Satz 10 VermG anwendet. Es ist immer dann von einem<br />

Unternehmen auszugehen, wenn die von dem Vermögensverlust betr<strong>offene</strong>n Vermögenswerte<br />

in ihrer organisatorischen Zusammenfassung der Ausübung eines Gewerbes im weitesten<br />

Sinne gedient haben <strong>und</strong> auch nach heutigen Maßstäben wieder Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> eine berufliche<br />

Existenz in Form eines Gewerbebetriebes sein können (siehe auch Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus,<br />

VermG, § 2 Rz. 37) In seiner Entscheidung zu den beim Parzellierungskaufmann<br />

M. verbliebenen Gr<strong>und</strong>stücken (Urteil vom 17. März 2003, 9 K 5890/97) hatte das<br />

VG festgestellt, dass die Restitution an die Beigeladenen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG<br />

rechtmäßig sei.<br />

Die <strong>für</strong> die Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 10 VermG notwendige Schädigung des berechtigten<br />

Unternehmensträgers gemäß § 6 Abs. 6 a VermG ist, wie das Gericht zutreffend dargelegt<br />

hat, in der verfolgungsbedingten Ausschlagung der Erbschaft zu sehen.<br />

Liegen die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 Satz 10 VermG vor, ist gr<strong>und</strong>sätzlich der Ausschlussgr<strong>und</strong><br />

von § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG zu berücksichtigen. Die Ausführungen des Gerichts<br />

dahingehend sind schon deshalb interessant, weil es bislang nur das BVerwG in seinem<br />

Urteil vom 24. Februar 1999 (8 C 15.98 - BVerwGE 108, 301 = ZOV 1999, 231 = VIZ 1999,<br />

334 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1 = RGV B III 88) diese Vorschrift erwähnt hat.<br />

Das VG ist der Ansicht, dass die „äußeren“ Voraussetzungen der Vorschrift gegeben sind. Es<br />

stellt fest, dass der überwiegende Geschäftszweck der von L. betriebenen Firma vor der Schädigung<br />

dem eines Siedlungsunternehmens entsprach.<br />

Ob der Begriff des Unternehmens in § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG unter Berücksichtigung des<br />

Willens des Gesetzgebers <strong>und</strong> des Gesetzeszwecks auf Einzelkaufleute überhaupt Anwendung<br />

finden kann, ist fraglich. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 13/7275, S. 46) heißt es<br />

dazu, dass durch die Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG nicht länger zu be<strong>für</strong>chten ist,<br />

dass Personen Bruchteilseigentum an ihren Eigenheimen einräumen müssen, die sie in der<br />

Zeit von 1933 bis 1945 von Unternehmen erworben haben, die ihren Eigentümern entzogen<br />

wurden. Wille des Gesetzgebers war es demnach, diejenigen Erwerber zu schützen, die<br />

Gr<strong>und</strong>stücke von „arisierten“ Entwicklungs-, Siedlungs- <strong>und</strong> Wohnungsbauunternehmen gekauft<br />

hatten. Hintergr<strong>und</strong> ist, dass diese Unternehmen gr<strong>und</strong>sätzlich ihren Charakter beibehielten,<br />

auch nachdem sie oder Beteiligungen am Unternehmensträger den ursprünglichen<br />

Eigentümern entzogen worden waren. Den Käufern war die Zusammensetzung dieser Gesellschaften<br />

in der Regel nicht bekannt. Anders ist die Situation hingegen bei Einzelkaufleuten.<br />

50


Das Verhältnis zwischen Veräußerer <strong>und</strong> Erwerber ist hier von vornherein persönlicher ausgestaltet.<br />

Einzelkaufleute handeln regelmäßig unter ihrem Namen <strong>und</strong> sind den Erwerbern<br />

persönlich bekannt.<br />

Wendet man § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG dennoch auf Einzelkaufleute an, stellt sich die Frage,<br />

ob der Tod des H. L. tatsächlich, wie das VG Potsdam meint, ohne Einfluss auf das Unternehmen<br />

<strong>und</strong> den Unternehmenszweck blieb. Dass das Gericht dies überhaupt feststellt, zeigt,<br />

dass es eine Fortführung des Unternehmens nach dem Tod des L. <strong>für</strong> die Anwendung von § 3<br />

Abs. 1 S. 11 VermG voraussetzt. Maßgeblich <strong>für</strong> eine Fortführung ist, ob der Begriff des Unternehmens<br />

im Vermögensrecht allein durch die wirtschaftlichen Vermögenswerte oder auch<br />

den Unternehmer selbst bestimmt wird. Für letzteres spricht m. E. die gr<strong>und</strong>sätzliche Unterscheidung<br />

im Vermögensrecht zwischen Singular- <strong>und</strong> Unternehmensrestitution. Was - wenn<br />

nicht das soziale Gepräge - rechtfertigt es, im vorliegenden Fall eine Unternehmens- <strong>und</strong> keine<br />

Singularschädigung anzunehmen. Wenn auch die handelsrechtlichen Regelungen zur Firma<br />

des Kaufmannes nicht unmittelbar auf das Vermögensrecht übertragbar sind, zeigen sie<br />

doch die gr<strong>und</strong>sätzliche Bedeutung der Person des Kaufmannes <strong>für</strong> das Fortbestehen seiner<br />

Firma auf. Stirbt der Kaufmann, kann seine Firma nur unter den besonderen Voraussetzungen<br />

von §§ 17 ff. HGB fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ist jede weitere Handlung<br />

als die eines anderen Einzelhandelskaufmannes anzusehen.<br />

Das VG Potsdam lehnt die Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG schließlich deshalb ab,<br />

weil der schon im Wortlaut vom Gesetzgeber intendierte spezifische Zusammenhang zwischen<br />

Unternehmenszweck vor der Schädigung <strong>und</strong> dem Zweck beim Verkauf fehle. Diese<br />

Auslegung, dass ein Zwischenerwerb die Anwendbarkeit von § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG beseitigt,<br />

entspricht sowohl der vom BVerwG (a. a. O.) geforderten engen Auslegung der Vorschrift<br />

als auch der herrschenden Ansicht in der Literatur (Fieberg, VermG, § 3 Rz. 124 c;<br />

Wasmuth, Rechtshandbuch Investitionen <strong>und</strong> Vermögen in der ehemaligen DDR, § 3 Rz. 216;<br />

Achim Bernhardt, OV-spezial 1998, 162 ff.; Axel Herrmann, OV-spezial 1997, 290 ff.).<br />

Anzumerken ist, dass das hier mitgeteilte Urteil des VG Potsdam keinen Einfluss auf die Entscheidung<br />

der vermögensrechtlichen Sachverhalte hat, in denen Herr L. Gr<strong>und</strong>stücke vor seinem<br />

Tod veräußerte. Diese Verkäufe erfolgten im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit<br />

<strong>und</strong> können daher nicht als eine Unternehmensschädigung im Sinne von § 6 Abs. 6 a<br />

VermG angesehen werden. Es bleibt diesbezüglich bei der Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 1<br />

VermG.<br />

Mitgeteilt von Ulrike Müller<br />

51


Wertausgleich; Zeitrahmen: Werterhöhung<br />

vor 1945<br />

Leitsätze des Gerichts:<br />

§ 1 Abs. 6,<br />

§ 7 Abs. 2 <strong>und</strong> 8 VermG<br />

a) Die Ausschlussfrist des § 7 Abs. 8 Satz 2 VermG wird gewahrt, wenn der Verfügungsberechtigte<br />

dem Berechtigten das Schreiben, mit dem er seine Ansprüche geltend macht, innerhalb<br />

der Frist mittels Telekopie zuleitet.<br />

b) Nach § 7 Abs. 2 VermG sind auch Werterhöhungen auszugleichen, die vor dem 8. Mai<br />

1945 herbeigeführt worden sind. Das gilt auch in den Fällen des § 1 Abs. 6 VermG.<br />

c) Der Anspruch auf Wertausgleich nach § 7 Abs. 2 VermG steht auch dem Erben des Verfügungsberechtigten<br />

zu, der die Werterhöhung selbst vorgenommen hat oder auf seine Kosten<br />

von Dritten hat vornehmen lassen.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BGH, Urteil vom 24. Juni 20<strong>05</strong>, Az.: V ZR 96/04<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Kläger machen im Hinblick auf die Bebauung Wertausgleich in Höhe von 194.000,00<br />

DM (= 99.190,62 €) geltend. Das Landgericht hatte ihrer Klage durch Urteil vom 22. Oktober<br />

2003 (5 O 1827/02) stattgegeben. Sowohl die Berufung der Beklagten (OLG Naumburg vom<br />

7. April 2004 - 11 U 104/03 - VIZ 2004, 528) als auch die Revision sind ohne Erfolg geblieben.<br />

Streitig war die Frage, ob es <strong>für</strong> die Wahrung der Frist des § 7 Abs. 8 Satz 2 VermG ausreiche,<br />

das der Nachlasspfleger die Ansprüche der Erben am letzten Tag der Frist mittels Telekopie<br />

geltend gemacht hat.<br />

Der BGH hat entschieden, dass eine Telekopie zur Fristwahrung ausreiche. Dies ergebe sich<br />

aus der Entstehungsgeschichte des § 7 Abs. 8 Satz 2 VermG. So sei ursprünglich nur die Geltendmachung<br />

innerhalb einer bestimmten Frist vorgesehen, nicht jedoch, in welcher Form die<br />

Geltendmachung erfolgen solle (BT-Drucks. 13/10246 S. 3, 12). Der B<strong>und</strong>esrat hätte seinerzeit<br />

vorgeschlagen, dass die Frist nur durch eine gerichtliche Geltendmachung gewahrt werden<br />

könne. Im Laufe der Verhandlungen sei dann von einer gerichtlichen Geltendmachung<br />

abgesehen worden (BT-Drucks. 13/11041 S. 28). Daraus ergebe sich, dass die Geltendmachung<br />

gemäß § 7 Abs. 8 Satz 2 VermG allgemein an den Anforderungen von Prozesshandlungen<br />

zu messen sei. Bei diesen genüge die Übersendung eines Schreibens mittels Kopie.<br />

In eindeutiger Weise hat der BGH nunmehr auch bestimmt, dass alle Werterhöhungen auszugleichen<br />

sind, die vor dem 8. Mai 1945 herbeigeführt worden sind. Diese Auslegung ergebe<br />

sich aus dem Wortlaut, denn hiernach komme es nur darauf an, dass die Werterhöhung bis<br />

zum Ablauf des 2. Oktober 1990 herbeigeführt worden sei. Entgegen der Auffassung der Revision<br />

ist er auch nicht teleologisch auf eine Werterhöhung nach dem 8. Mai 1945 zu reduzieren.<br />

Eine teleologische Reduktion sei auch nicht deshalb erforderlich, weil § 7 VermG in der<br />

Fassung des Einigungsvertrages einen Ausgleich nur <strong>für</strong> werterhöhende Maßnahmen nach<br />

53


Überführung des Gr<strong>und</strong>stücks in Volkseigentum vorgesehen habe. Diese Beschränkung sei<br />

mit der Neufassung des § 7 VermG durch das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14.<br />

Juli 1992 (BGBl. I S. 1257) aufgegeben worden. Aus der Entstehungsgeschichte des § 7<br />

VermG lasse sich ein einschränkender Gestaltungswille nicht ableiten.<br />

Auch könne eine einschränkende Auslegung des § 7 Abs. 2 VermG nicht damit begründet<br />

werden, dass nach § 1 Abs. 6 VermG das Vermögensgesetz auf rassisch Verfolgte nur „entsprechend“<br />

anzuwenden sei. Mit der entsprechenden Anwendung des Vermögensgesetzes<br />

habe der Gesetzgeber den Gerichten nicht etwa besondere Auslegungsspielräume bei der Anwendung<br />

des Vermögensgesetzes auf die Fälle des § 1 Abs. 6 eröffnen wollen. Er habe im<br />

Gegenteil beabsichtigt, die vorhandene Lücke im Wiedergutmachungsrecht schließen zu wollen<br />

<strong>und</strong> sicherzustellen, dass die Wiedergutmachung des NS-Unrechts nach den gleichen<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen erfolge wie die Wiedergutmachung des DDR-Unrechts.<br />

Schließlich hat der BGH festgelegt, dass ein Erbe nach § 7 Abs. 2 Satz 1 VermG Wertausgleich<br />

auch <strong>für</strong> Werterhöhungen verlangen kann, die nicht von ihm selbst, sondern von dem<br />

Erblasser oder auf dessen Kosten vorgenommen worden seien. Zwar werde § 7 Abs. 2 Satz 2<br />

VermG allgemein so verstanden, dass der gegenwärtig Verfügungsberechtigte Ersatz nur <strong>für</strong><br />

solche Maßnahmen verlangen könne, die von ihm selbst oder auf seine Kosten von Dritten<br />

vorgenommen worden seien. Diese Auslegung steht aber im Widerspruch zu dem Zweck der<br />

Vorschrift. Hiernach will das Vermögensgesetz nicht in Einklang stehende Vermögensvorteile<br />

bei dem Berechtigten abschöpfen <strong>und</strong> demjenigen zuweisen, der sie herbeigeführt habe <strong>und</strong><br />

der durch die Rückübertragung des Gr<strong>und</strong>stücks einen Nachteil erlitten habe. Dieser Zweck<br />

wird nach Ansicht des BGH verfehlt, wenn dem Erben eines Verfügungsberechtigten ein solcher<br />

Ausgleich versagt bliebe. Es dürfe keinen Unterschied machen, ob der Erblasser vor dem<br />

Inkrafttreten des VermG oder danach verstorben sei. Es würde damit vom Zufall abhängen,<br />

ob ein Wertausgleichsanspruch gegeben sei oder nicht.<br />

Entgegen der herrschenden Meinung stehe die Zuerkennung eines Anspruchs <strong>für</strong> den Erben<br />

nach § 7 Abs. 2 auch nicht dem Wortlaut entgegen. Nach dem Wortlaut hängt die Entscheidung<br />

über den Wertausgleich allein davon ab, dass die Werterhöhung von einer natürlichen<br />

Person vorgenommen worden sei. Zu welchem Zeitpunkt diese Werterhöhung vorgenommen<br />

worden sei, lege § 7 VermG nicht ausdrücklich fest. Dies lasse sich auch anhand des Wortlauts<br />

nicht ohne weiteres erschließen. Im Ergebnis könne auf den Zeitpunkt abgestellt werden,<br />

in welchem die Werterhöhung vorgenommen worden sei (so z. B. Meyer-Seitz, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt,<br />

§ 7, Rz. 31 b).<br />

Abschließend leitet der BGB noch einen Anspruch nach § 7 Abs. 2 VermG <strong>für</strong> den Erben ab,<br />

wenn dieser die Werterhöhung selbst vorgenommen hat oder auf seine Kosten von einem<br />

Dritten hat vornehmen lassen.<br />

Anmerkungen:<br />

Den Interessenstreit zwischen den Verfügungsberechtigten <strong>und</strong> den ehemals jüdischen Berechtigten<br />

hat der BGH m. E. angemessen auf der Gr<strong>und</strong>lage der Gesetze gelöst.<br />

Die Anerkennung der Fristwahrung durch eine Telekopie entspricht dem Zweck des § 7<br />

VermG, da ausweislich der Entstehungsgeschichte auf eine gerichtliche Geltendmachung des<br />

Wertausgleichs verzichtet worden ist.<br />

Des Weiteren überzeugt, dass § 7 Abs. 2 VermG nicht zeitlich eingeschränkt vom BGH ausgelegt<br />

wurde. Auch Werterhöhungen vor 1945 sind abzuschöpfen.<br />

54


Schließlich soll nach der Rechtsprechung des BGH der Wertzuwachs dem Erblasser <strong>und</strong> seinen<br />

Erben zugeordnet werden. Auch dem Erben steht also <strong>für</strong> vorgenommene Werterhöhungen<br />

durch den Erblasser der Wertzuwachs zu.<br />

Die weitere Feststellung des BGH, dass dem Erben des Verfügungsberechtigten der Anspruch<br />

auf Wertausgleich nach § 7 Abs. 2 VermG zusteht, wenn er die Werterhöhung selbst vorgenommen<br />

hat oder auf seine Kosten von einem Dritten hat vornehmen lassen, ist demgegenüber<br />

nur von deklaratorischer Bedeutung.<br />

Mitgeteilt von Dr. Constanze Budde-Hermann<br />

55


Ausgeschlossene Bruchteilsrestitution von<br />

später mit eigenen Mitteln des Unternehmens<br />

angeschafftem Gr<strong>und</strong>stück, Singularentschädigung<br />

Leitsätze der Bearbeiterin (nicht amtlich):<br />

§ 1 Abs. 6,<br />

§ 3 Abs. 1 Satz 4 <strong>und</strong> 6 VermG;<br />

§ 2 Satz 4 NS-VEntschG<br />

Für die Entscheidung, ob <strong>für</strong> später angeschaffte Gr<strong>und</strong>stücke ein Anspruch auf Singularentschädigung<br />

dem Gr<strong>und</strong>e nach besteht, kommt es ausschließlich darauf an, dass ein Fall des §<br />

1 Abs. 6 vorliegt <strong>und</strong> die Restitution des Vermögenswertes ausgeschlossen ist.<br />

§ 2 NS-VEntschG regelt ausschließlich die Höhe der Entschädigung.<br />

Bei § 2 Satz 4 NS-VEntschG handelt es sich um eine Anrechnungsvorschrift.<br />

Gericht, Datum <strong>und</strong> Az.:<br />

BVerwG Beschluss vom 29. Juni 20<strong>05</strong>, Az.: 3 B 101.04<br />

Tatbestand/Problem:<br />

Die Klägerin begehrte als Zessionarin Entschädigung <strong>für</strong> den Verlust eines später angeschafften<br />

Gr<strong>und</strong>stücks. Eine Wohnungsbaugesellschaft hatte das streitgegenständliche Gr<strong>und</strong>stück<br />

1939 erworben. Gesellschafterin dieser Wohnungsbaugesellschaft war zu 100 % eine Wohnungsbauaktiengesellschaft,<br />

deren Anteile zu r<strong>und</strong> 95 % von den Gewerkschaften gehalten<br />

wurden. 1933 wurde den Gewerkschaften die Anteile an der Wohnungsbauaktiengesellschaft<br />

entzogen. Mit Bescheid wurde festgestellt, dass die Klägerin Berechtigte hinsichtlich 95,12 %<br />

der Beteiligung an der Wohnungsbauaktiengesellschaft <strong>und</strong>, über diese vermittelt, an der<br />

Wohnungsbaugesellschaft ist. Es war unbestritten, dass der Klägerin Bruchteilseigentum an<br />

dem streitgegenständlichen später angeschafften Gr<strong>und</strong>stück gem. § 3 Abs. 1 Satz 4 <strong>und</strong> 6<br />

VermG zustand. Der Einsatz eigener Mittel zum Erwerb des Gr<strong>und</strong>stücks konnte aufgr<strong>und</strong> der<br />

Vermutung gem. § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG nicht widerlegt werden. Die Restitution des<br />

Gr<strong>und</strong>stücks wurde jedoch wegen Ausschlussgründen abgelehnt. Auch eine gr<strong>und</strong>stücksbezogene<br />

Entschädigung <strong>und</strong> eine Entschädigung <strong>für</strong> die mittelbare Beteiligung an der Wohnungsbaugesellschaft<br />

wurden nicht zuerkannt, weil dieser mittelbare Vermögensverlust als<br />

Aktivposten in die Berechnung der Entschädigung <strong>für</strong> die unmittelbaren Anteile an der Muttergesellschaft<br />

(der Wohnungsbauaktiengesellschaft) einfließe <strong>und</strong> dort Berücksichtigung<br />

finde. Die Klägerin begehrte mit der Klage eine Entschädigung <strong>für</strong> das Gr<strong>und</strong>stück.<br />

Mit Urteil des VG Dresden vom 14. Mai 20<strong>05</strong>, 4 K 2535/01, wurde festgestellt, dass der Klägerin<br />

ein Anspruch auf Singularentschädigung zustehe, da das Gr<strong>und</strong>stück nicht in der Bemessungsgr<strong>und</strong>lage<br />

der Entschädigung berücksichtigt werde. Zeitpunkt <strong>für</strong> die Feststellung<br />

der Bemessungsgr<strong>und</strong>lage der Entschädigung sei der Schädigungszeitpunkt. Zu diesem Zeitpunkt<br />

war das Gr<strong>und</strong>stück nicht Bestandteil des Gewerkschaftsvermögens, da es erst im Jahr<br />

1939 erworben wurde.<br />

Die Revision wurde nicht zugelassen. Dagegen erhob die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde.<br />

Das angestrebte Revisionsverfahren gäbe Gelegenheit zur Klärung der rechtsgr<strong>und</strong>sätzli-<br />

57


chen Frage, ob die Anwendung der Vermutungsregel des § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG - dass das<br />

Gr<strong>und</strong>stück mit Eigenmitteln später angeschafft wurde - dazu führe, dass die gesonderte Entschädigung<br />

<strong>für</strong> das Gr<strong>und</strong>stück ausgeschlossen ist, weil dann die dazu benötigten Anschaffungsmittel<br />

in die Bemessungsgr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> die Entschädigung des Unternehmens einfließe.<br />

Mit Beschluss des BVerwG vom 29. Juni 20<strong>05</strong> wurde die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen,<br />

da die aufgeworfene Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren voraussichtlich<br />

nicht zu entscheiden sei. Die Frage betreffe die Voraussetzung <strong>für</strong> den Ausschluss<br />

einer gesonderten Entschädigung <strong>für</strong> das Gr<strong>und</strong>stück nach § 2 Satz 4 NS-VEntschG. Die Entscheidung<br />

hierüber wäre jedoch erst bei der noch ausstehenden Festsetzung der Höhe des Entschädigungsanspruchs<br />

<strong>für</strong> die Anteile am Unternehmen <strong>und</strong> das Gr<strong>und</strong>stück zu treffen. Ob die<br />

Klägerin dem Gr<strong>und</strong>e nach einen gesonderten Entschädigungsanspruch <strong>für</strong> das Gr<strong>und</strong>stück<br />

geltend machen könne, richte sich nach § 1 NS-VEntschG, nicht nach § 2 Satz 4 NS-<br />

VEntschG. § 1 NS-VEntschG setze <strong>für</strong> den Anspruch nur voraus, dass ein Fall des § 1 Abs. 6<br />

VermG vorliege <strong>und</strong> die Rückgabe des Vermögenswertes ausgeschlossen sei. § 2 NS-<br />

VEntschG enthalte lediglich eine Regelung zur Höhe der Entschädigung. Bei Satz 4 handele<br />

es sich um eine Anrechnungsvorschrift.<br />

Anmerkungen:<br />

Mit dem vorliegenden Beschluss führt das BVerwG die Entscheidung des 8. Sentas<br />

(BVerwG, Urteil vom 19. Januar 20<strong>05</strong> - 8 C 20.03 - ZOV 20<strong>05</strong>, 112, siehe auch dazu: BA-<br />

RoV-RÜ 04/20<strong>05</strong>, 10 ff.) zu § 2 Satz 4 NS-VEntschG weiter. Es bestätigt hierbei, dass Satz 4<br />

eine Anrechnungsvorschrift sei <strong>und</strong> nur Aussagen zur Höhe der Entschädigung treffe. Dem<br />

Gr<strong>und</strong>e nach muss daher ein Anspruch auf Singularentschädigung zuerkannt werden. Die<br />

Frage, ob das Gr<strong>und</strong>stück (oder dessen Wert) in die Bemessungsgr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> die Entschädigung<br />

einfließt (§ 2 Satz 4 NS-VEntschG), ist demzufolge erst bei der noch ausstehenden Festsetzung<br />

der Höhe des Entschädigungsanspruchs <strong>für</strong> die Anteile am Unternehmen <strong>und</strong> das<br />

Gr<strong>und</strong>stück zu beantworten.<br />

Der Unterschied zwischen den beiden Entscheidungen war, dass es sich bei dem Urteil vom<br />

19. Januar 20<strong>05</strong> (8 C 20.03) um weggeschwommene Gr<strong>und</strong>stücke handelte. Im hier besprochenen<br />

Beschluss war ein später angeschafftes Gr<strong>und</strong>stück der Streitgegenstand.<br />

Dem Gr<strong>und</strong>e nach muss also auch im Fall des später angeschafften Gr<strong>und</strong>stücks ein Entschädigungsanspruch<br />

zuerkannt werden. Erst dann ist zu prüfen, ob nach § 2 Satz 4 NS-VEntschG<br />

die Entschädigung der Höhe nach ausgeschlossen ist.<br />

Mitgeteilt von Antje Kellermann<br />

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