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II - CCA Monatsblatt

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Inhalt<br />

Themen Seite<br />

In eigener Sache 3<br />

Bericht von der Jahreshauptversammlung des <strong>CCA</strong> 4<br />

Titel<br />

Fußball-EM Tippspiel 6<br />

Vom Europapokal der Nationen zur EM 2008 9<br />

Wo, bitte, geht’s nach Hoffenheim? 13<br />

Politik<br />

Justicia communitaria 15<br />

Serie<br />

Der nette Mörder von nebenan 18<br />

Das Bundesland Hessen: Wohlstand, Wirtschaft,<br />

22<br />

Kultur<br />

Reise<br />

Aktuelles<br />

Schule<br />

Mischmasch<br />

Veranstaltungen<br />

Zweite Hand<br />

Wolkenkratzer<br />

Das Bundesland Rheinland-Pfalz: Wein, Wandern und<br />

Weltkultur<br />

Tatort drehen statt Tatort sehen 35<br />

El tour alteño 39<br />

Kolumbien als Reiseland? Aber sicher! (Teil 2) 42<br />

Kolumbianische Splitter 49<br />

La Paz – Salvador – Hanoi und zurück 53<br />

Schlafen im Backofen?? 57<br />

Wasser für die Dörfer bei Camargo 60<br />

Festakt und Kermesse zum 85. Geburtstag der Deutschen<br />

Schule La Paz<br />

65<br />

Jahresempfang des <strong>CCA</strong> 67<br />

Ein Kindergarten auf Weltreise 68<br />

Projektwoche 2008 – ein Beispiel 70<br />

Tropische Gletscher – Paläoklima Boliviens 74<br />

Duale Ausbildung – die nicht genutzte Chance?! 78<br />

Geocaching: Schatzsuche mit GPS 80<br />

Deutsche Botschaft 85<br />

Goethe - Institut 86<br />

Evangelische Kirche 89<br />

Katholische Kirche 90<br />

Anzeigen 91<br />

1<br />

29


Herausgeber:<br />

Deutsche Kulturgemeinschaft,<br />

Centro Cultural Alemán (<strong>CCA</strong>)<br />

<strong>Monatsblatt</strong> des <strong>CCA</strong><br />

Büro: Deutsche Schule La Paz - Colegio Alemán La Paz<br />

Zuständig: Lic. Miguel Angel Lazarte<br />

Tel.: 2-671002<br />

Fax: 2-711527<br />

Casilla: 8718<br />

e-mail: cca_dk@hotmail.com<br />

La Paz - BOLIVIEN<br />

Redaktion:<br />

Manuel Lins Tel. 2713361 mlinbolivia@yahoo.de<br />

Franziska Sörgel Tel. 2710281 franziskasoergel@web.de<br />

Martin Homola Tel. 2413131 M.Homola@web.de<br />

Dirk Hoffmann Tel. 2711724 dirk.hoffmann@berlin.de<br />

Werner Preiss Tel. 2792029 wpreiss@mac.com<br />

Auflage: 400 Stück<br />

Artikel und Leserbriefe richten Sie bitte an die Redaktionsmitglieder oder das<br />

Postfach des <strong>CCA</strong>, 8718.<br />

Die Redaktion behält sich vor, Artikel und Leserbriefe gekürzt zu<br />

veröffentlichen.<br />

Artikel und Leserbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der<br />

Redaktion wieder.<br />

Anzeigen bitte als hardcopy und softcopy an das Büro des <strong>CCA</strong> senden.<br />

Die einzelnen Artikel des <strong>Monatsblatt</strong>s und eine Gesamtfassung können von<br />

der Webseite www.cca-monatsblatt.org herunter geladen werden.<br />

Redaktionsschluss für das <strong>Monatsblatt</strong> 3/2008(September) ist der 31.08.2008<br />

2


Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

vor 25 Jahren, genau am 25. Januar 1983, wurde Klaus Barbie alias Klaus<br />

Altmann in La Paz festgenommen und an Frankreich ausgeliefert. Der im<br />

vergangenen Jahr gedrehte Spielfilm „Hetzjagd“, auf dessen Ausstrahlung nicht<br />

nur die Redaktion ungeduldig wartet, verleiht dem Thema neue Aktualität.<br />

Leider erwiesen sich alle Ankündigungen über den zu erwartenden Sendetermin<br />

als unzuverlässig. Deshalb und weil es trotzdem so viele<br />

Hintergrundinformationen dazu gibt – hat sich das <strong>Monatsblatt</strong> zu einer Art<br />

gestrecktem Titelthema entschlossen: ein bisschen was jetzt, ein bisschen was,<br />

wenn der Film herausgekommen ist.<br />

Das zweite zentrale Thema in dieser Ausgabe ist natürlich: Fußball! Zwar ist es<br />

keine Weltmeisterschaft im eigenen Land, wie vor zwei Jahren, sondern „nur“<br />

eine Europameisterschaft (aber immerhin auch im eigenen Land, für unsere<br />

österreichischen und Schweizer Leser), aber beim Stichwort<br />

„Europameisterschaft“ werden trotzdem gleich Erinnerungen wach, und es<br />

erscheinen Bilder vor dem geistigen Auge: Günter Netzer, wie er mit wehenden<br />

Langhaar aus der Tiefe des Raumes kommt und gleich einen seiner<br />

unnachahmlichen Außenristpässe auf den an der linken Außenlinie entlang<br />

sprintenden Helmut Kremers schlagen wird; Dieter Müller, der eingewechselt<br />

wird und kaum drin den Ausgleich köpft, in seinem ersten Länderspiel; Uli<br />

Hoeneß, der arme Uli Hoeneß, dem trotz seiner Erfolge ewig der Makel<br />

anhaften wird, dass er diesen Elfmeter damals in den Nachthimmel von ... gejagt<br />

hat; Horst Hrubesch, der das tat, was Horst Hrubesch nun mal tat, nämlich den<br />

Ball ins Tor köpfen; und dann jenes unglaubliche, herzkranzgefährdende Spiel<br />

in England, nach dem Gary Lineker ein schönes, gern zitiertes Wort prägte.<br />

Na, bekommen Sie noch zusammen, von welchen Europameisterschaften die<br />

Rede ist? Und wie das Lineker’sche Zitat lautete?<br />

Außerdem setzen wir unsere Reihe über die deutschen Bundesländer mit Hessen<br />

und Rheinland-Pfalz fort. Für unser Redaktionsmitglied Martin Homola ist sein<br />

Hessen-Artikel so etwas wie sein Abschiedsbeitrag. Er geht zu unserem<br />

redaktionellen Bedauern und ohne, dass wir um Zustimmung gefragt wurden,<br />

nach Deutschland zurück.<br />

So schmilzt die Redaktion weiter dahin. Nach einem Zwischenhoch vor einem<br />

Jahr mit sieben Redaktionsmitgliedern sind wir inzwischen nur noch zu viert.<br />

Aus diesem Grund sahen wir uns gezwungen, unserer Dauer-Praktikantin<br />

Franziska – dem einzigen Redaktionsmitglied, das vom Verlagswesen etwas<br />

versteht – den Praktikantenstatus aufzukündigen und ihr einen unbefristeten<br />

Vertrag aufzunötigen. Sie weiß noch nichts davon, sondern erfährt das, wie es<br />

eben so üblich ist, erst aus der Presse.<br />

Die Redaktion<br />

3


Auszüge aus dem Rechenschaftsbericht des Präsidenten des<br />

Centro Cultural Alemán, Jens Heymert<br />

Die Arbeit der einzelnen Kommissionen:<br />

- Kulturkommission<br />

Als Sponsoren unterstützten wir verschiedene Theateraufführungen und<br />

Konzerte. Höhepunkt im vergangenen Jahr war zweifellos das Konzert der<br />

Musikkapelle Roggenzell. Die Kapelle kam nach Bolivien, um einen Weltrekord<br />

im Höhenkonzertieren aufzustellen. Sie schafften es und spielten auf dem<br />

Acotango in 6068 m Höhe.<br />

Wir nutzten natürlich die Gelegenheit, die Roggenzeller zu einem Konzert im<br />

Deutschen Club einzuladen. Es war ein herrlicher Abend.<br />

Seit dem letzten Jahr bieten wir unseren Mitgliedern und Freunden an, im<br />

Deutschen Club Bowling zu spielen. Der Erfolg war recht ordentlich. Diese<br />

Aktivität soll auch in diesem Jahr fortgesetzt werden.<br />

In diesem Jahr werden wir gemeinsam mit der Deutschen Botschaft und der<br />

Deutsch-Bolivianischen Handelskammer am 13.09. ein Boogie Woogie –<br />

Konzert mit Weltklasse-Besetzung anbieten. Bitte merken Sie sich diesen<br />

Termin schon mal vor.<br />

- Friedhofskommission<br />

Im vergangenen Jahr wurde das Verwaltungsgebäude fertig gestellt und<br />

eingeweiht. Die Instandhaltung der Friedhofsanlagen erfolgte wie üblich.<br />

Ich glaube, unsere Anlagen sind sehr gepflegt. Besonderer Dank gilt Bernd<br />

Stahmer, der sich mit viel Liebe und Einsatz um unseren Park- bzw.<br />

Waldfriedhof kümmert.<br />

- Baukommission<br />

Wie ich schon im letzten Rechenschaftsbericht erwähnte, wurde seitens der<br />

Deutschen Schule, aber auch der Deutsch-Bolivianischen Handelskammer die<br />

Bitte an uns herangetragen, ein Gebäude speziell für die Duale Berufsausbildung<br />

in der Deutschen Schule zu errichten.<br />

Nach einigem Zögern, haben wir uns jetzt entschlossen, diesen Bau zu errichten.<br />

Unser neuer Schulleiter, Herr Stolze, und der neue Leiter der Deutschen<br />

Berufsschule, Herr Winkel, hatten einige Änderungsvorschläge, die wir<br />

berücksichtigen wollen.<br />

Aus diesem Grunde werden die Baupläne unter Leitung unseres<br />

Vorstandmitgliedes Dr. Dieter Hausherr verändert. Dann werden die<br />

Kostenvoranschläge eingeholt, um dann in der erweiterten Finanzkommission<br />

die Finanzierungsmöglichkeiten zu diskutieren.<br />

4


Wir hoffen, im Juni 2008 dem gesamten Vorstand das Projekt zur Bestätigung<br />

vorlegen zu können. Wenn alles glatt über die Bühne geht, wollen wir dieses<br />

Gebäude zum Schuljahr 2009 seinem Zweck übergeben.<br />

- <strong>Monatsblatt</strong><br />

Ich möchte der gesamten Redaktion meinen Dank aussprechen. Regelmäßig<br />

erhalten wir dieses Blatt mit aktuellen und teils auch kritischen Artikeln aus der<br />

deutschen Kolonie, interessanten Reiseberichten und Beiträgen der deutschen<br />

Institutionen.<br />

Liebe Redaktion, recht vielen Dank dafür.<br />

- Sozialarbeit<br />

Wir unterstützen monatlich die Arbeit der Fundacion Arco Iris sowie des<br />

Kinderdorfes Pampahasi. Dort führten wir wieder Renovierungsarbeiten im<br />

Haus „Berlin“ durch. Ende des Jahres gab es, wie üblich, die<br />

Weihnachtsbescherung für die Kinder. Die Deutsche Kolonie war diesmal<br />

zahlreich vertreten.<br />

Pfarrer Vicente leistet dort eine hervorragende Arbeit. Er nahm viele neue<br />

Projekte in Angriff. Diese engagierte Arbeit sollten wir auf jeden Fall weiter<br />

unterstützen.<br />

Zum Jahresende 2007 wurden auch wieder Präsente an die älteren Mitglieder<br />

der Deutschen Kolonie überreicht.<br />

Abschließend möchte ich mich bei allen Vorstandsmitgliedern für ihre<br />

konstruktive Arbeit bedanken. Besonders hervorzuheben ist die Arbeit meines<br />

Stellvertreters Herrn Friedrich Klaus Ohnes, der mir immer wieder mit Rat und<br />

Tat zur Seite stand. Mein Dank richtet sich auch an Herrn Lic. Lazarte und seine<br />

Mitarbeiterinnen, die im Büro des <strong>CCA</strong> sehr gute Arbeit leisten.<br />

Unsere Beziehungen zu allen deutschen Organisationen, der Botschaft, dem<br />

Goethe – Institut, den Kirchengemeinden und der Deutsch-Bolivianischen<br />

Handelskammer waren ausgezeichnet. Vielen Dank dafür.<br />

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Jens Heymert<br />

5


Fußball-Europameisterschaft 2008 – das MoBla-Tippspiel!<br />

Nach dem mittelgroßen Erfolg unseres WM-Tippspiels vor zwei Jahren haben<br />

wir auch zur EURO 2008 in Österreich und der Schweiz bekannte<br />

Fußballexperten und anerkannte Fußballlaien nach einem Tipp befragt. Bei<br />

Erscheinen dieser Ausgabe des <strong>Monatsblatt</strong>es ist die Europameisterschaft ja<br />

bereits in vollem Gange und wir sind alle schon erheblich schlauer, zum<br />

Zeitpunkt der Befragung aber bestanden noch alle Möglichkeiten, sich<br />

unsterblich zu blamieren oder aber ins Nirwana der lebenden Tipp-Legenden<br />

einzugehen. Wieder gibt es, wie schon bei der Weltmeisterschaft 2006, schöne<br />

Titel und Sachpreise zu gewinnen.<br />

Und das sind die Preise:<br />

1. Preis: der Titel „Europas Großer Fußballweiser“<br />

2. Preis: der Titel „Europas Kleiner Fußballweiser“<br />

Um einer Inflation von Fußballpropheten und –weisen entgegenzuwirken, haben<br />

FIFA und UEFA es uns zur Auflage gemacht, nicht mehr als zwei Titel zu<br />

vergeben und die Gültigkeit der Titel zu befristen 1 . Deshalb sind die genannten<br />

Titel sind nicht auf Lebenszeit gültig, sondern nur bis zur nächsten Fußball-<br />

Europameisterschaft 2012. Dafür erhält der Sieger neben seinem Titel ein<br />

Souvenir vom EURO-2008-Halbfinale in Wien, das uns freundlicherweise von<br />

der „Werner-Preiss-Stiftung für europäische Fußballweise“ zugesichert wurde.<br />

Worum es sich genau handelt, wissen wir noch nicht – man darf gespannt sein.<br />

In der nächsten Ausgabe erfahren sie mehr.<br />

Das waren die Regeln und der Tippzettel:<br />

Kreuzen Sie in den Gruppen jeweils die beiden Mannschaften an, die Ihrer Meinung nach die<br />

nächste Runde erreichen!<br />

Für jede richtig getippte Mannschaft gibt es einen Punkt.<br />

Welche von diesen acht Mannschaften wird Europameister? Welche wird Zweiter?<br />

(Bitte beachten: Eine der beiden Mannschaften muss aus den Gruppen A/B kommen, die andere aus den<br />

Gruppen C/D. Der Spielplan will es so.)<br />

Welche zwei weiteren Mannschaften erreichen das Halbfinale (und scheiden dort aus)?<br />

(Wiederum muss eine dieser Mannschaften aus den Gruppen A/B kommen, die andere aus den Gruppen C/D.)<br />

Für jeden richtig getippten Halbfinalisten gibt es noch einmal einen Punkt. Für jeden<br />

richtig getippten Finalisten noch einmal einen Punkt. Und für den richtigen<br />

Europameister legen wir sogar noch einmal zwei Punkte drauf. Wenn Sie also alles<br />

richtig machen, bekommen Sie 8 + 4 + 2 + 2 = 16 Punkte.<br />

Aber in diesem Fall müssten wir uns wirklich noch einen Extra-Titel für Sie ausdenken.<br />

Nur Tipps, die bis spätestens zum Anpfiff der Eröffnungsspiels am 7. Juni, 18:00 Uhr MESZ<br />

bei der <strong>Monatsblatt</strong>-Redaktion eingegangen waren, können gewinnen.<br />

1 Das ist natürlich wieder einmal frei erfunden, verleiht aber unserem Tun eine gewisse Bedeutung.<br />

6


EM 2008 – MoBla-Tippzettel – Name:<br />

Wer kommt weiter? Kreuzen Sie pro Gruppe zwei Mannschaften an!<br />

Gruppe A Gruppe B Gruppe C Gruppe D<br />

Portugal<br />

Schweiz<br />

Tschechien<br />

Türkei<br />

Deutschland<br />

Kroatien<br />

Österreich<br />

Polen<br />

7<br />

Frankreich<br />

Italien<br />

Niederlande<br />

Rumänien<br />

Griechenland<br />

Russland<br />

Schweden<br />

Spanien<br />

Welche von diesen acht Mannschaften wird Europameister? Welche Zweiter? Welche beiden<br />

Mannschaften scheiden im Halbfinale aus?<br />

Europameister:<br />

Zweiter:<br />

Die unglücklichen<br />

Halbfinalisten:<br />

Und das ist der Trend der Tipps:<br />

Deutschland ist der große Favorit<br />

Offenbar hinterlässt die WM von 2006 Spuren. Dieses Mal sind unsere Tipper<br />

viel optimistischer als noch vor zwei Jahren. Genau die Hälfte der bis zum<br />

Redaktionsschluss am 31. Mai eingegangenen 18 Tipps sieht Schwarz-Rot-Gold<br />

zum vierten Mal Europameister werden. Am zweitöftesten wurde Italien getippt,<br />

außerdem je zwei Mal die Niederlande und einmal Spanien. Abgesehen von<br />

Spanien gab es also kaum Überraschungstipps. Aus der Gruppe A traut niemand<br />

einer Mannschaft den Titel zu, aus der Gruppe D nur eine(r). Diese Gruppe wird<br />

insgesamt für die schwächste gehalten.<br />

In einem sind sich alle einig: Deutschland kommt eine Runde weiter, also<br />

mindestens bis ins Viertelfinale. 17 der 18 Tipper sehen Deutschland sogar im<br />

Halbfinale. Italien dagegen trauen zwar vier Mitspieler nach dem WM- auch den<br />

EM-Titel zu, andererseits glaubt fast die Hälfte, nämlich 8 der 18 Teilnehmer,<br />

dass der Weltmeister die Vorrunde nicht übersteht. Das liegt sicher auch an der<br />

„Todesgruppe“ C, die unseren Tippern überhaupt die größten Probleme<br />

bereitete. Frankreich und Italien, die beiden Finalisten der letzten WM, dazu die<br />

Niederlande, mit der man immer rechnen muss, und Rumänien, das seine<br />

Qualifikationsgruppe souverän vor der Niederlande gewann – und davon sollen<br />

nun zwei Mannschaften ausscheiden? Außenseiter ist Rumänien, das nur von<br />

vier Tippern im Viertelfinale gesehen wurde.<br />

Tu, felix Austria? Das sehen unsere Mitspieler anders. Obwohl Gastgeber, wird<br />

der Alpenrepublik am allerwenigsten zugetraut. Ein einziges Mal in den 18<br />

Tipps kommt Österreich wenigstens ins Viertelfinale; da ist dann aber auch


Endstation. Fast sichere Viertelfinalisten kommen dagegen von der iberischen<br />

Halbinsel. Ein bisschen Losglück ist sicherlich auch dafür verantwortlich, dass<br />

Spanien 16mal und Portugal 15mal in der zweiten Runde gesehen wird.<br />

Kroatien ist 13mal dabei, Tschechien 11mal ebenso wie die Niederlande, es<br />

folgen Frankreich und Italien mit je 10 Nennungen.<br />

Im einzelnen sehen die Tipps für die 16 Teilnehmerländer so aus:<br />

Land Europameister Zweiter Im Halbfinale raus Im Viertelfinale raus<br />

Portugal 2 5 8<br />

Schweiz 1 2 2<br />

Tschechien 3 2 6<br />

Türkei 1 3<br />

Deutschland 9 4 4 1<br />

Kroatien 2 11<br />

Österreich 1<br />

Polen 1 2<br />

Frankreich 2 3 2 3<br />

Italien 4 2 3 1<br />

Niederlande 2 6 3<br />

Rumänien 1 3<br />

Griechenland 1 6<br />

Russland 2 4<br />

Schweden 1 5<br />

Spanien 1 2 3 10<br />

Aber wer weiß? Schon zwei Mal wurde eine Mannschaft Europameister, die<br />

vorher niemand auf der Rechnung hatte: 1992 die aus dem Urlaub<br />

zurückgerufenen Dänen und 2004 König Otto Rehhagels Griechen. Am Ende<br />

kommt es dann wirklich so, dass der Europameister 2008 ............................ 2<br />

heißt.<br />

8<br />

Manuel Lins<br />

2 Hier tragen Sie bitte den Namen einer Mannschaft ein, von der Sie hundertprozentig<br />

überzeugt sind, dass die nun wirklich nicht Europameister wird. Eintragungen wie Dynamo<br />

Dresden, die Färöer oder Liechtenstein sind allerdings nicht erlaubt.


Vom Europapokal der Nationen zur EURO 2008<br />

Eine kleine und subjektive Geschichte der Fußball-Europameisterschaften<br />

Angeblich wurde bereits vor meiner Geburt die erste Fußball-<br />

Europameisterschaft ausgetragen. Damals hieß sie aber noch gar nicht so,<br />

sondern „Europapokal der Nationen“. Muss lange her sein. Drei der vier Länder,<br />

die damals in der Endrunde standen, gibt es heute gar nicht mehr: Sowjetunion,<br />

Tschechoslowakei, Jugoslawien. Die Sowjets holten sich den ersten Titel, und<br />

im Halbfinale, so sagen es die historischen Quellen, drehte Jugoslawien gegen<br />

Frankreich innerhalb von drei Minuten einen 2:4-Rückstand in einen 5:4-Sieg<br />

um. Die Zuschauer fanden das nicht so lustig: Frankreich war Gastgeber.<br />

Bei der zweiten Austragung, 1964, gewann Spaniens Nationalmannschaft als<br />

Gastgeber ihren einzigen nennenswerten internationalen Titel. Auch Luxemburg<br />

errang seinen größten internationalen Erfolg: Im Achtelfinale schaltete der<br />

Zwergstaat die Niederlande aus und scheiterte im Viertelfinale erst im<br />

Entscheidungsspiel an Dänemark.<br />

Deutschland nahm zum ersten Mal im Jahre 1968 an einer Europameisterschaft<br />

teil (die nun auch diese Bezeichnung trug) – und erlebte eine Blamage. Zum<br />

bislang einzigen Mal bei einem großen Turnier scheiterte das DFB-Team in der<br />

Qualifikation. Durch ein 0:0 in Tirana gegen Albanien schied die Mannschaft<br />

noch vor der Endrunde aus.<br />

Der Gastgeber, dieses Mal war es Italien, wurde wieder Europameister. Aber<br />

wie! Da das Elfmeterschießen noch nicht erfunden war, musste im Halbfinale<br />

nach 120 torlosen Minuten eine Münze zwischen Italien und der Sowjetunion<br />

entscheiden. Das höchstwahrscheinlich manipulierte Lire-Stück entschied sich<br />

für Italien, was soll man schon anderes erwarten. Im Finale spielte nicht eine<br />

Münze Schicksal, sondern der berüchtigte Schweizer Schiedsrichter Gottfried<br />

Dienst (ja, genau der vom Wembley-Tor im WM-Finale 1966!). Man sagt, er<br />

habe den Gastgeber bevorzugt. Ich zögere nicht eine Sekunde, das zu glauben.<br />

Italien schaffte so ein 1:1 nach Verlängerung gegen Jugoslawien und gewann<br />

zwei Tage darauf das Wiederholungsspiel.<br />

Jetzt wird es interessant, denn jetzt kommt meine erste Europameisterschaft:<br />

1972! Deutschland gewann, erst in Wembley in einem großartigen Spiel mit 3:1<br />

gegen England, und dann in der Endrunde gegen Gastgeber Belgien (2:1) und<br />

im Finale gegen die Sowjetunion (3:0). Wer die EM 1972 gesehen hat, gerät<br />

unweigerlich ins Schwelgen und Schwärmen. Die beste deutsche<br />

Nationalmannschaft aller Zeiten! Spielkunst! Offensivgeist! Netzer und<br />

Beckenbauer! Es war traumhafter Fußball. Nach der Europameisterschaft spielte<br />

das Team nur noch einmal, am 15. November 1972 beim 5:1 gegen die Schweiz<br />

9


in etwa der gleichen Besetzung zusammen. Danach verschwand sie ins Reich<br />

der Fußball-Legenden.<br />

Die EM 1976 brachte eine Besonderheit: Alle vier Spiele der Endrunde gingen<br />

in die Verlängerung. Deutschland übte sich in seiner Spezialität, nämlich dem<br />

Aufholen von 0:2-Rückständen. Sowohl im Halbfinale als auch im Finale lag<br />

man nach einer halben Stunde mit zwei Toren hinten, beide Male stand es nach<br />

90 Minuten 2:2. Es müllerte mal wieder heftig vor dem Tor, dieses Mal mit<br />

Vornamen Dieter. Im ersten Länderspiel ein Hattrick nach Einwechslung – ein<br />

solcher Einstand ist selten. Über das Elfmeterschießen im Finale, das Panenka<br />

für die Tschechoslowaken entschied, möchte ich jetzt nichts sagen.<br />

1980 entführten die Deutschen den Titel aus Italien, so wie 10 Jahre später auch<br />

bei der WM. Vielleicht müsste man Verständnis dafür haben, dass die Italiener<br />

sich 2006 bei der WM in Deutschland revanchierten. Na ja, vielleicht auch<br />

nicht. Für italienische Titelgewinne Verständnis zu haben, fällt mir<br />

grundsätzlich schwer.<br />

Horst Hrubesch schoss beide Tore im Finale gegen Belgien, Klaus Allofs wurde<br />

mit drei Toren, die er alle in einem Spiel geschossen hatte, Torschützenkönig,<br />

und ein junger Spieler namens Lothar Matthäus machte durch guten Fußball und<br />

schlechte Interviews auf sich aufmerksam. Italien verlor das Spiel um Platz 3<br />

gegen die Tschechoslowakei in einem denkwürdigen Elfmeterschießen mit 9:8:<br />

Erst der sechzehnte Schütze versagte.<br />

Nein, über die deutsche Mannschaft des Turniers 1984 in Frankreich kann ich<br />

nichts Nettes sagen. Diese Konkursmasse der Betrüger-Elf von Gijon, die<br />

damals bei der WM 1982 gemeinsam mit Österreich ein schändliches 1:0<br />

zusammenschummelte, das beiden auf Kosten Algeriens das Weiterkommen<br />

ermöglichte, diese Mannschaft widerte mich an. Kläglich schaffte sie die<br />

Qualifikation. In der Endrunde schien sie sich auf geradezu italienische Weise<br />

ins Halbfinale zu gurken: 0:0 gegen Portugal, 2:1 gegen Rumänien, da reichte<br />

ein Unentschieden gegen Spanien. So stand es denn auch 0:0. Bis in der letzten<br />

Minute der spanische Libero, ein Herr namens Maceda, im deutschen Strafraum<br />

auftauchte und per Kopf zum 1:0 traf. Dass Maceda ausgerechnet aus Gijon<br />

kam, gab der Sache noch zusätzlich eine hübsche ironische Note.<br />

Eine wunderbar spielende französische Mannschaft um Michel Platini holte sich<br />

den Titel. Die ebenfalls toll spielenden Dänen mussten noch acht Jahre warten.<br />

Denn 1988, bei der bisher einzigen Fußball-EM in Deutschland, waren erst<br />

einmal die Holländer dran. Dabei wären sie um ein Haar bereits in der Vorrunde<br />

ausgeschieden. Erst wenige Minuten vor dem Schlusspfiff gelang der Siegtreffer<br />

gegen Irland. Danach aber kam die Mannschaft um Ruud Gullit und Marco van<br />

Basten immer besser ins Spiel und holte sich beim Finale in München den Titel,<br />

den sie bei der WM 1974 dort verpasst hatte. Marco van Basten erzielte ein<br />

10


Traumtor, und man gönnte es den Niederländern, dass sie nach so viel gutem<br />

Fußball endlich einmal ein großes Turnier gewonnen hatten. Man hätte es ihnen<br />

vielleicht noch mehr gegönnt, wenn es bei den Feiern danach nicht zu einigen<br />

wirklich hässlichen, deutschfeindlichen Szenen gekommen wäre.<br />

„Hallo, Dänemark? Hier spricht die UEFA. Sagt mal, könnt Ihr nicht kurzfristig<br />

an der EM teilnehmen? Wisst Ihr, wir haben nämlich gerade Jugoslawien<br />

disqualifiziert, und Ihr wart doch Zweiter in der Gruppe und so...“<br />

So ähnlich muss es gewesen sein, als die Dänen aus dem Urlaub zurückgerufen<br />

wurden, um mal eben an der Europameisterschaft 1992 teilzunehmen. Und sie<br />

dann zu gewinnen. Es war ein komisches Turnier. Die beiden souveränen Sieger<br />

der Vorrundengruppen, Gastgeber Schweden und Titelverteidiger Niederlande,<br />

schieden im Halbfinale gegen die mal gerade so weitergestolperten Deutschen<br />

und Dänen aus. Die verhinderten Urlauber siegten dann im Finale ungefährdet<br />

gegen den großen Nachbarn aus den Süden, und zum Schluss freuten sich alle<br />

Dänen und Deutsche grenzübergreifend über einen Europameister, der sich<br />

sportlich gar nicht qualifiziert hatte.<br />

1996, football’s coming home, aber der Titel kehrt nicht nach England zurück,<br />

vielleicht weil Gottfried inzwischen außer Dienst ist. Stattdessen siegt<br />

Deutschland in einem unvergesslichen Halbfinale, das für mehr als einen<br />

Herzinfarkt gut gewesen wäre, nach Elfmeterschießen gegen die Gastgeber und<br />

im Finale gegen die Tschechen durch einen groben Unfug namens Golden Goal,<br />

der inzwischen zum Glück wieder in der Mottenkiste der untauglichen<br />

fußballerischen Innovationen gelandet ist.<br />

Auch 2000 muss ein goldenes Tor herhalten, um Frankreich nach dem WM-<br />

Gewinn 1998 auch noch zum europäischen Titelträger zu machen (ein<br />

Kunststück, das, in ungekehrter Reihenfolge, nur Deutschland 1972/1974<br />

gelang). Die physisch und spielerisch ungemein starke Equipe Tricolore<br />

bezwang im Finale Italien, das bis zur 94. Minute (!) geführt hatte.<br />

Die deutsche Mannschaft bot ein Bild des Jammers. Das überalterte DFB-Team<br />

(im Aufgebot der 22 befanden sich genau zwei Spieler unter 26 Jahren, und<br />

auch Lothar Matthäus, inzwischen 39, durfte noch einmal dabei sein), vom<br />

Fußballrentner Erich Ribbeck trainiert, wurde am Schluss der Vorrunde mit<br />

einem niedlichen Pünktchen im Gepäck von der B-Mannschaft Portugals mit 3:0<br />

in den wohlverdienten Ruhestand geschickt.<br />

Und das deutsche Europameisterschaftsleiden ging 2004 in Portugal weiter.<br />

Zwar war das Ausscheiden nicht so katastrophal wie vier Jahre zuvor, aber zum<br />

zweiten Mal hintereinander musste das DFB-Team, immerhin Vizeweltmeister,<br />

nach der Vorrunde nach Hause fahren. Gefeiert wurde nach dem Finale<br />

trotzdem, und Autokorsos fuhren hupend und fahnengeschmückt durch die<br />

deutschen Innenstädte. Allerdings waren die Fahnen blau-weiß mit einem Kreuz<br />

11


oben in der Ecke. Die Griechen, mit denen keiner ernsthaft gerechnet hatte,<br />

gewannen zwei Mal gegen Portugal, einmal ganz am Anfang und einmal ganz<br />

am Ende, und wurden somit der zweite Sensationseuropameister nach Dänemark<br />

1992. Und irgendwie waren ja auch wir Deutschen ein bisschen Sieger, nicht<br />

nur, weil wir immer fleißig Gyros und griechischen Salat gegessen hatten: Der<br />

Trainer der Griechen war schließlich Otto Rehhagel, ein Spezialist darin,<br />

nominell unterlegene Mannschaften zusammenzuschweißen und zu kaum für<br />

möglich gehaltenen Titelgewinnen zu führen. Und so hatte Griechenland nach<br />

Otto I. (1815-1867) plötzlich einen König Otto <strong>II</strong>. Der führte die Mannschaft<br />

auch 2008 wieder zur EM, aber er sollte sich nicht zu viel Hoffnungen machen:<br />

Noch nie ist einem Land bei Fußball-Europameisterschaften die<br />

Titelverteidigung gelungen.<br />

12<br />

Manuel Lins


Wo, bitte, geht’s nach Hoffenheim?<br />

Dieser Frage werden sich nun einige Bundesligavereine stellen müssen. Nach<br />

dem sensationellen Durchmarsch von Ralf Rangnicks Kraichgau-Kickern in nur<br />

einem Jahr von der dritten Liga bis ins deutsche Fußball-Oberhaus sollten sich<br />

die etablierten Erstligisten eine neue Straßenkarte kaufen, und zwar eine<br />

wirklich gute. Hoffenheim findet man nicht einmal dann auf den ersten Blick,<br />

wenn man weiß, dass es in Baden-Württemberg liegt. Aber wir vom<br />

<strong>Monatsblatt</strong>, dem Fachblatt für Orientierung in jeglicher Hinsicht, helfen Ihnen<br />

(und natürlich auch den Fußball-Bundesligisten, wenn sie uns denn lesen) gerne<br />

weiter.<br />

Die Schwierigkeit beginnt schon einmal damit, dass Hoffenheim überhaupt<br />

keine Stadt ist. Sondern nur ein Dorf bzw. ein Stadtteil, und zwar von Sinsheim.<br />

Das sagt Ihnen vielleicht auch nicht viel. Ehrlich gesagt musste ich sogar noch<br />

bei der zweiten Suche drei verschiedene Blätter der Generalkarte 1 : 200 000 zur<br />

Hand nehmen, bis ich Sinsheim fand. Aber da liegt es: zwischen Odenwald und<br />

Kraichtal, an der Autobahn A6 auf halber Strecke zwischen Kreuz Walldorf und<br />

Heilbronn bzw. an der Zuglinie Heidelberg-Heilbronn. Mit seinen 3.263<br />

Einwohnern ist Hoffenheim mit Abstand der kleinste Bundesligastandort aller<br />

Zeiten. Bisher hielt die Gemeinde Unterhaching mit 22.000 Einwohnern diesen<br />

Rekord.<br />

Die Wiege des Erfolgs: Das Dietmar-Hopp-Stadion von Hoffenheim<br />

13


Wie kommt es zu so einem mittelgroßen Fußballwunder, dass ein Dorfverein<br />

den Weg in die höchste Liga findet? Nun, zuerst einmal hat sich Hoffenheim mit<br />

Ralf Rangnick einen der besten deutschen Fußballtrainer gesichert, insbesondere<br />

was Taktik und Spielverständnis angeht. Das Trainerteam wird komplettiert<br />

durch Bernhard Peters, der die Hockeynationalmannschaft zu drei<br />

Weltmeistertiteln führte, und Hans-Dieter Hermann, den Sportpsychologen<br />

mehrerer Nationalmannschaften. Dazu und für das Engagement einer<br />

entsprechenden Mannschaft ist natürlich einiges an Geld vonnöten. Stattliche<br />

100 Millionen Euro (!) wurden in den Verein investiert. Hinter dieser soliden<br />

Anschubfinanzierung steckt einer der reichsten deutschen Unternehmer:<br />

Dietmar Hopp, Gründer des Softwarehauses SAP und mehrfacher Milliardär.<br />

Gelegentlich wurde deshalb Hopp mit Chelseas russischen Eigentümer<br />

Abramowitsch verglichen; ein Vergleich, der ziemlich an der Sache vorbeigeht.<br />

Anders als bei Abramowitsch und Chelsea war die TSG 1899 Hoffenheim schon<br />

immer Hopps Verein. Er spielte dort als Stürmer, und als der Verein 1990 aus<br />

der Bezirksliga in die A-Liga abstieg, beschloss er, ihm zu helfen. Danach<br />

folgten sieben Aufstiege in siebzehn Jahren. Was dort im Kraichgau abläuft, ist<br />

also eher ein klassischer Kleinjungentraum als russischer Größenwahn: Mein<br />

kleiner Verein steigt in die Bundesliga auf. Und so ist es schließlich<br />

paradoxerweise trotz des vielen Geldes vielleicht auch der bodenständigen<br />

schwäbischen Mentalität zu verdanken, dass man Rangnick und die Mannschaft<br />

in Ruhe arbeiten ließ und so nach einer eher durchschnittlichen Hinrunde (für<br />

einen Aufsteiger beachtlich, aber weit vom Aufstiegsplatz entfernt) mit einer<br />

furiosen Rückserie (die die Mannschaft mit sage und schreibe acht Punkten<br />

Vorsprung vor Altmeistern wie Mönchengladbach und Köln abschloss) den<br />

Aufstieg schaffte.<br />

Also auf zum Bundesligaspiel nach Hoffenheim! Die Anreise mit dem Zug hat<br />

für die Fans den Vorteil, dass es einen eigenen Haltepunkt „Hoffenheim“ gibt.<br />

Von dort kann man problemlos die 500 Meter zu Fuß zum Stadion laufen – und<br />

dann feststellen, dass man völlig falsch ist. Denn ihre ersten Eliteligaheimspiele<br />

müssen Hoffenheims Multi-Kulti-Ballzauberer im Mannheimer Carl-Benz-<br />

Stadion austragen. Zur Rückrunde Anfang 2009 soll dann die neue, 30.000<br />

Zuschauer fassende Rhein-Neckar-Arena direkt an der Autobahn bei Sinsheim<br />

fertiggestellt sein. Denn auch wenn jeder Hoffenheimer Dorfbewohner noch<br />

einen Gast hätte mitbringen können: Für Bundesliga-Fußball wäre das bisherige<br />

Dietmar-Hopp-Stadium mit seinem Fassungsvermögen von maximal 6.350<br />

Zuschauern schlicht zu klein gewesen.<br />

14<br />

Manuel Lins


In Bolivien steht die Volksjustiz vor der Tür<br />

Die Regierung will Gleichberechtigung der Justicia comunitaria<br />

Die bolivianische Regierung will die traditionelle Justiz in der Verfassung<br />

verankern. Das könnte die Menschenrechte bedrohen oder Ausdruck<br />

indigener Selbstbestimmung sein.<br />

Vier von der Regierung Morales angeklagte Verfassungsrichter sind in einer<br />

turbulenten Senatssitzung am 4. September freigesprochen worden und können<br />

ihre Funktionen wieder ausüben. Die Regierung hatte den vier Richtern<br />

Amtsmissbrauch vorgeworfen und sie zeitweise ihrer Ämter enthoben. Diese<br />

Entscheidung hat das Oberhaus, in dem die Opposition über die Mehrheit<br />

verfügt, nun aufgehoben. Dabei kam es wie bereits im Unterhaus am 22. August<br />

zu Handgreiflichkeiten und verbalen Ausfällen. Die Regierungspartei<br />

Movimiento al Socialismo anerkennt die Entscheidung des Senats nicht.<br />

Tiefe Krise des Rechtssystems<br />

Der Streit um die Verfassungsrichter ist Ausdruck einer tiefen Krise der<br />

bolivianischen Justiz. Die vier Richter sehen sich als Opfer einer politischen<br />

Kampagne der Exekutive, die der Destabilisierung des Verfassungsgerichtes als<br />

Organ des demokratischen Rechtsstaats westlicher Prägung dient. Es gab zwei<br />

landesweite Proteststreiks der Gerichte. Die Justiz geniesst allerdings in der<br />

Bevölkerung kein Vertrauen. Sie gilt als intransparent, ungerecht, langsam und<br />

korrupt. Zwei Drittel aller Gefängnisinsassen befinden sich in<br />

Untersuchungshaft, von ihnen wartet ungefähr die Hälfte nach Ablauf der<br />

gesetzlichen Maximalfristen immer noch auf ein rechtskräftiges Urteil.<br />

Im Hintergrund des gegenwärtigen Konfliktes der staatlichen Gewalten steht die<br />

Debatte innerhalb der Verfassunggebenden Versammlung über die Einführung<br />

der traditionellen Justiz in die Verfassung des Landes als gleichberechtigte<br />

Rechtsform neben der formalen Justiz. Die Justicia comunitaria wird in Bolivien<br />

vor allem auf dem Land von der indigenen Bevölkerung, zu der sich mehr als 60<br />

Prozent zählen, bereits angewandt. Dorthin reicht der Arm der Justicia ordinaria<br />

oftmals nicht: Nur 55 Prozent der Munizipien haben Richter, nur 23 Prozent<br />

Staatsanwälte. Ein eigenes System von Normen, Werten, Autoritäten,<br />

Institutionen und Abläufen regelt das Zusammenleben innerhalb einer indigenen<br />

Gemeinschaft. Im Zentrum jeder Konfliktlösung soll die Wiederherstellung des<br />

Rechtsfriedens innerhalb der Gemeinschaft stehen, der ein friedliches<br />

Zusammenleben zu aller Vorteil und Sicherheit ermöglicht. Die Verhandlung ist<br />

- entsprechend der überwiegend mündlich geprägten Kultur der indigenen<br />

Gruppen Boliviens - ebenfalls in der Regel mündlich.<br />

15


Wiedergutmachung statt Lynchjustiz<br />

Ist für die formale Justiz gerade die Urteilsfindung ohne Ansehen der Person ein<br />

Grundprinzip, sind das individuelle Umfeld, die familiäre Situation, die Stellung<br />

des Angeklagten innerhalb der Gemeinschaft für die Justicia comunitaria von<br />

ausschlaggebender Bedeutung. Jeder verteidigt sich selbst, bringt seine<br />

persönlichen Beweggründe vor. Das von der Gemeindeversammlung und deren<br />

Vorsitzendem gesprochene Urteil zielt auf die Wiedergutmachung und<br />

Herstellung des Rechtsfriedens: Ein Teil der meist materiellen Strafen, die<br />

Geldstrafen oder auch etwa die Verpflichtung zur Fertigung von Lehmziegeln<br />

sein können, sollen direkt bei den Geschädigten den Schaden wieder gutmachen.<br />

Ein anderer wichtiger Teil geht in die Gemeinschaftskasse bzw. den Bau von<br />

Schulen, sanitären Anlagen oder Krankenhäusern, um so den entstandenen<br />

Ärger innerhalb der Gemeinschaft zu begleichen. Diese materiellen Strafen<br />

ersetzen heute zunehmend die früher üblichen physischen Strafen wie<br />

öffentliches Auspeitschen. Als Höchststrafe gilt die zeitweise oder dauerhafte<br />

Vertreibung aus der Gemeinschaft.<br />

In Verruf gerät die Justicia comunitaria vor allem dann, wenn grausame Fälle<br />

von Lynchjustiz in ihrem Namen geschehen und bekannt werden: Eine Frau<br />

wird wegen Ehebruch lebendig begraben, Einbrecher werden zu Tode geprügelt,<br />

Viehdiebe von Dorfbewohnern erschossen, ein Räuber wird von Nachbarn<br />

verbrannt. Dabei sieht das System selbst weder Gefängnis noch Todesstrafe vor.<br />

Diese Fälle sind zum einen Ausdruck des durch die starke Migration in die<br />

Städte bedingten Verlustes traditioneller Zusammenhänge. Zum anderen<br />

herrscht oftmals Verwirrung über die nicht schriftlich festgehaltenen Regeln und<br />

Normen der Justicia comunitaria.<br />

Bereits seit 1994 sieht die bolivianische Verfassung eine alternative Form der<br />

Konfliktschlichtung nach indigenen Rechtsnormen vor. Auch in der<br />

reformierten Strafprozessordnung findet sich neben dem Recht auf einen<br />

Übersetzer die Verpflichtung zur Heranziehung eines auf die Justicia<br />

comunitaria spezialisierten Gutachters. Auch kann das Strafverfahren vor der<br />

formalen Justiz ausgesetzt werden, wenn der Streit innerhalb der indigenen<br />

Gemeinschaft selbst beigelegt werden konnte.<br />

Grenzen der traditionellen Justiz<br />

Der Mehrheitsvorschlag der verfassungsgebenden Versammlung geht einen<br />

bedeutsamen Schritt weiter: Die Justicia comunitaria soll als gleichberechtigtes<br />

Rechtssystem neben dem formalen in der Verfassung verankert werden. Damit<br />

will man dem tatsächlichen Vorrang der traditionellen Justiz im ländlichen<br />

Raum Rechnung tragen. Aber vor allem ist es auch ein wichtiger Baustein im<br />

Gesamtprojekt der Regierung Morales zur «Entkolonialisierung» Boliviens.<br />

16


Problematisch sind die Anwendungsgrenzen der Justicia comunitaria und vor<br />

allem die Frage, welches Kontrollorgan diese zu überwachen hat. Insbesondere<br />

geht es dabei um den Schutz der Menschenrechte, wie etwa das Recht auf<br />

körperliche Unversehrtheit und die Gleichberechtigung von Frau und Mann. In<br />

Diskussion ist das Verfassungsgericht. Doch gerade jenes wird zurzeit seitens<br />

der Regierung destabilisiert. Ebenfalls sollte ein Grundkonsens darin bestehen,<br />

dass jede Streitpartei die Freiheit hat, den Fall an das jeweils andere<br />

Rechtssystem zu überweisen.<br />

Die formale Justiz Boliviens hat große Schwächen, die vor allem zulasten der<br />

Armen gehen. Das sollte allerdings nicht zur grundsätzlichen Attacke auf die<br />

Institutionen der Judikative führen. Wünschenswert wäre eine tiefgreifende<br />

Reform der formalen Justiz und die gleichzeitige Anerkennung der traditionellen<br />

Justiz.<br />

17<br />

Dr. Annette Steinich<br />

Die Autorin ist freie Journalistin in La Paz.<br />

Der Artikel erschien am 11.09.2007 in der Neuen Zürcher Zeitung. Abdruck mit freundlicher<br />

Genehmigung der Autorin.


Der nette Mörder von nebenan<br />

Der Fall Barbie-Altmann polarisiert zweifellos. Für mich als Angehörigen der<br />

Nachkriegsgeneration ist es schwer nachvollziehbar, dass ein Kriegsverbrecher<br />

dieses Kalibers 32 Jahre unbehelligt in Bolivien leben konnte und anders als ein<br />

Eichmann oder Mengele in Argentinien keinerlei Verfolgung zu befürchten<br />

hatte.<br />

Wie es dann doch zur Ausweisung aus Bolivien kam, ist eine wahrhaftig<br />

abenteuerliche Geschichte und soll den Lesern nicht verschwiegen werden. Eine<br />

bedrückende Tatsache ist die langjährige Koexistenz ganz honoriger und lange<br />

in Bolivien lebender und arbeitender Deutscher und einer Gruppe nach dem 2.<br />

Weltkrieg aus Europa über die so genannte „Rattenlinie“ entkommener<br />

Kriegsverbrecher.<br />

Klaus Barbie-Altmann(Foto aus einem SS-Dokument)<br />

Bereits anlässlich der Eheschließung des Barbie-Altmann Sohnes Klaus-Georg<br />

mit einer französischen Staatsbürgerin 1964 fiel dem damaligen französischen<br />

18


Konsul in La Paz die Gleichheit der Geburtsdaten und Vornamen von Klaus<br />

Altmann und dessen Frau Regina mit dem von Frankreich seit 1945 gesuchten<br />

Kriegsverbrecher Klaus Barbie auf. Weitere Nachforschungen bestätigten den<br />

Verdacht. Da Barbie-Altmann jedoch bereits 1957 die bolivianische<br />

Staatsbürgerschaft erhalten hatte und mit Frankreich kein<br />

Auslieferungsabkommen existierte, waren der französischen Regierung die<br />

Hände gebunden und der „Schlächter von Lyon“ konnte sich vorerst sicher<br />

fühlen.<br />

Von Zeitzeugen der Barbie-Altmann-Ära in Bolivien wird der Ex-SS-<br />

Hauptsturmführer als sehr gesellig beschrieben. Er setzte sich schon mal in<br />

netter Runde ans Klavier und spielte die alten Lieder. Barbie-Altmann wird von<br />

seinen Nachbarn in La Paz und Lima als „sympathisch und ehrenvoll“<br />

beschrieben. Er liebte Blumen und unterhielt sich „sogar“ mit Indianern. Dem<br />

von ihm und dem Finanzverwalter der SS, Schwend, in Peru um 500.000 DM<br />

betrogenen ehemaligen Präsidenten der Deutsch-Peruanischen Handelskammer<br />

Schneider-Merck zeigte er auch gern seine Naziorden (Aussage Schneider-<br />

Mercks im Dokumentarfilm „Hotel Terminus“ von 1988). Der betrogene<br />

Betrüger Schneider-Merck, der mit Barbie-Altmann und Schwend<br />

Devisengeschäfte machen wollte, befriedigte seine Rachegelüste dann dadurch,<br />

dass er dem Nazi-Jäger Simon Wiesenthal in Wien Informationen über den<br />

seltsamen Deutschen in Peru zukommen ließ.<br />

Erst 1972 wird Barbie (offiziell) enttarnt. Die französische Regierung stellt ein<br />

Auslieferungsgesuch. Zunächst an die peruanische Regierung, wo sich Barbie<br />

als Geschäftsmann in Lima aufhielt, dann an die bolivianische, wohin er danach<br />

geflüchtet war.<br />

Präsident Pompidou schreibt an Diktator Banzer. Das bolivianische Militär<br />

verspricht eine Prüfung durch „unabhängige Gerichte“. Klaus Barbie-Altmann<br />

wird für einige Monate im Gefängnis von San Pedro eingesperrt – unter<br />

demselben Vorwand wie elf Jahre später, nämlich Schulden nicht zurückgezahlt<br />

zu haben.<br />

(Quelle: Hella Schlumberger-Bolivien, schwankende Wiege der Freiheit, Köln 1985)<br />

Im Juli 1973 wird das Auslieferungsersuchen Frankreichs vom Obersten<br />

Gerichtshof Boliviens abgelehnt. Begründung: Altmann sei voller Staatsbürger<br />

und mit Frankreich bestünde gar kein Auslieferungsabkommen. Nach seiner<br />

Freilassung wurde Barbie-Altmann von seinem Gönner Banzer sogar ein<br />

Personenschutz gestellt und er beriet weiter den Geheimdienst bei dessen<br />

antidemokratischen Aktionen. Es folgten Waffengeschäfte im Interesse der<br />

Militärdiktatur und die Gründung der Schwindelfirma „Transmaritima“. Barbie-<br />

Altmann war offenbar für Banzer unentbehrlich geworden.<br />

Es fällt einem nicht leicht, die Liste der Greueltaten Barbie-Altmanns „objektiv“<br />

zur Kenntnis zu nehmen. Es sind kaum zu überbietende Grausamkeiten darunter,<br />

die dem gesunden Menschenverstand zuwider laufen und keine Steigerung mehr<br />

möglich scheinen lassen. Wie viele der größten Kriegsverbrecher des 2.<br />

19


Weltkrieges auf deutscher Seite entstammt er so genannten kleinbürgerlichen<br />

Verhältnissen mit dem berüchtigten Drang nach „Höherem“. Fermentiert durch<br />

die Führerideologie, das Herrenmenschenprinzip der SS und das bis zur<br />

Selbstaufgabe gehende „Pflichtbewusstsein“ wurde Barbie zu dem, was er war<br />

und auch später nie bereute: Dem „Schlächter von Lyon“.<br />

Von 1942 bis 1944 befehligte er als Leiter der Abteilung IV des<br />

Sicherheitsdienstes die Lyoner Außenstelle der Geheimen Staatspolizei<br />

(Gestapo). „Ich bin gekommen, um zu töten“, soll Barbie gesagt haben, als er<br />

das Kommando übernahm.<br />

Während dieser 21 schrecklichen Monate wurden in der Stadt 14.311<br />

Verhaftungen, 7.591 Deportationen und 4.342 Hinrichtungen vorgenommen.<br />

Tausende Männer, Frauen und Kinder soll Barbie gefoltert, in<br />

Vernichtungslager verschickt oder gleich selbst getötet haben. Sicher ist: Auf<br />

seinen Befehl hin überfielen Bewaffnete am 6. April 1944 ein Heim jüdischer<br />

Kinder in Izieu. 41 Verschleppte im Alter zwischen drei und dreizehn Jahren<br />

starben wenig später in den Gaskammern von Auschwitz.<br />

Überlebende erinnerten sich an Barbie als sadistischen Henkersknecht. Lisa<br />

Lesevre, die im Krieg dem französischen Widerstand gegen die<br />

Besatzungsmacht angehört hatte und vor Gericht als Zeugin auftrat, war Barbie<br />

im März 1944 in die Hände gefallen. Damals war sie 43, verheiratet, zweifache<br />

Mutter. „Barbie ist ein wildes Tier“, sagte sie vor dem Beginn des Prozesses<br />

1987 dem SPIEGEL-Reporter Peter Schille – und wählte dabei ganz bewusst die<br />

Gegenwartsform.<br />

Barbie habe sie 19 Tage lang verhört und gefoltert. „Wenn er keine Lust mehr<br />

hatte, schaute er zu, wie seine Büttel mich folterten“, sagte die damals 86jährige<br />

Lesevre. „Barbie war sehr, sehr grausam. Er war verrückt. (...) Es machte<br />

ihm Spaß, Menschen zu quälen.“ Er habe sie mit einer Peitsche malträtiert, an<br />

deren Ende sich eine Bleikugel befand. Er habe sie in eiskaltes Wasser gedrückt,<br />

minutenlang, sodass sie zu ertrinken glaubte. Er habe sie mit einer Knute<br />

geprügelt, einer stacheligen Eisenkugel an einer langen Kette. Barbie wollte,<br />

dass Lisa Lesevre den Namen eines Résistance-Anführers preisgab. Doch sie<br />

schwieg beharrlich. Sie erinnerte sich: „Ich fühlte mich wie lebendig begraben.“<br />

Kaum vorstellbar, welche Grausamkeiten sich in der Suite 68 im zweiten Stock<br />

des Lyoner Hotel Terminus abgespielt haben, in dem sich Barbie eingenistet<br />

hatte. Von „Orgien unsäglich scheußlicher Gemeinheiten“ berichtete Barbies<br />

Biograph Tom Bower. SPIEGEL-Autor Heinz Höhne beschrieb „schauerliche<br />

Szenen“: „Nackte Frauen, die bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt und dann von<br />

Hunden sexuell missbraucht wurden, katholische Pfarrer, die Barbie mit<br />

Elektroschocks quälte und an den Füßen aufhängen ließ, bis ihnen das Blut aus<br />

Mund, Nase und Ohren schoss, Kinder, die er Tag für Tag prügelte und hungern<br />

ließ.“<br />

20


Sein größter Coup gelang dem SS-Mann Barbie im Juni 1943, als ihm der<br />

Résistance-Führer Jean Moulin in die Hände fiel. Tag und Nacht folterte Barbie<br />

den schmächtigen Politiker. Seinem Vorgesetzten im Pariser Hauptquartier<br />

präsentierte er schließlich auf einer Trage einen geschundenen, röchelnden<br />

Gefangenen. Das war selbst dem Gestapo-Befehlshaber zu viel. Er ließ den<br />

sterbenden Widerstandskämpfer in einem Militärzug außer Landes schmuggeln,<br />

doch noch auf der Fahrt erlag Moulin seinen schweren Verletzungen. Nicht<br />

zuletzt diese Schreckenstat brachte Barbie den Hass der französischen Nation<br />

ein. Schon am 31. August 1945 erließ das Ständige Militärgericht in Lyon einen<br />

Haftbefehl gegen den untergetauchten ehemaligen SS-Mann wegen<br />

Kriegsverbrechen.<br />

Welche Konsequenzen für wie viele Menschen in Bolivien die langjährige<br />

Beratertätigkeit Barbie-Altmanns für diverse Militärdiktatoren hatte, ist in<br />

Zahlen ausgedrückt weitgehend unbekannt. Bekannt ist aber die Grausamkeit<br />

der von ihm angeleiteten Paramilitärs und deren Vorgehen gegen Mineros,<br />

Campesinos und überhaupt für die Diktaturen missliebige Personen.<br />

Nachgewiesen ist, dass bestimmte Foltermethoden erst nach dem Auftauchen<br />

Barbies in Bolivien überhaupt angewandt wurden.<br />

Im Heft 3 des <strong>Monatsblatt</strong>s folgt die Beschreibung der abenteuerlichen<br />

Ausweisung Barbie-Altmanns aus Bolivien 1983 und eine Darstellung der<br />

seltsamen Rolle der Bundesrepublik Deutschland in diesem Fall.<br />

21<br />

Werner Preiss


Das Bundesland Hessen: Wohlstand, Wirtschaft, Wolkenkratzer<br />

Höchster und tiefster Punkt des<br />

Landes<br />

Wasserkuppe (Rhön) mit 950 m, der tiefste<br />

Punkt liegt dort, wo der Rhein nach<br />

Rheinland-Pfalz fließt – soll doch Hans<br />

Schoeneberger diese Höhenangabe suchen!<br />

Wichtiger Kulturbeitrag Frankfurt am Main hat die höchste<br />

Museumsdichte Deutschlands<br />

Bedeutende Persönlichkeiten Johann Wolfgang von Goethe war echter<br />

Frankfurter, obwohl er auch in Weimar<br />

gesichtet wurde<br />

Beitrag zur Weltwirtschaft Mit 50 Millionen Passagieren pro Jahr ist der<br />

Frankfurter Flughafen eines der<br />

international bedeutendsten Luftfahrt-<br />

Drehkreuze und mit 68.500 Arbeitsplätzen<br />

der größte Arbeitgeber Deutschlands<br />

Kulinarische Verwirrungen so etwas Schlimmes wie Brandenburgische<br />

Bratkartoffeln gibt es in Hessen gar nicht<br />

Peinliche Persönlichkeiten Ministerpräsident Roland Koch und seine<br />

Widersacherin Andrea Ypsilanti – beide<br />

haben die letzte Landtagswahl nicht<br />

gewinnen können und reklamieren doch<br />

beide den Sieg!<br />

Ich bin in Hessen aufgewachsen, im Taunusstädtchen Oberursel, man möge mir<br />

daher meinen Lokalpatriotismus nachsehen, zumindest wenn er etwas zu<br />

überschwänglich gerät!<br />

Wenn man im Internet recherchiert, findet man folgende Aussage zu „meinem“<br />

Bundesland: Hessen - das ist die geografische Mitte Deutschlands und Europas<br />

(ich fürchte, die benachbarten Thüringer nehmen dasselbe für sich in Anspruch),<br />

22


mit Wirtschaftskraft und Wohlstand. Das Rhein-Main-Gebiet macht Hessen zum<br />

wirtschaftsstärksten Bundesland Deutschlands und zu einer der dynamischsten<br />

Wirtschaftregionen in ganz Europa. Der Großteil der gut sechs Millionen<br />

Einwohner lebt und arbeitet in den südlichen Landesteilen mit den Großstädten<br />

Frankfurt, der Landeshauptstadt Wiesbaden und Darmstadt. Nicht zu vergessen<br />

aber sind die alten Universitätsstädte Marburg und Gießen, erstere noch<br />

ziemlich gut erhalten, und natürlich Kassel als Zentrum Nordhessens.<br />

23<br />

Der Feldberg im Taunus<br />

Hessen hat auch echte kulturelle und historische Schätze, hier sei erst mal der<br />

Limes erwähnt, die damalige Nordgrenze des Römischen Reichs, mit seinem<br />

voll restaurierten Kastell, der Saalburg im Taunus. Der Limes stellt mit seinen<br />

550 km nach der chinesischen Mauer das größte Bodendenkmal der Welt dar,<br />

bestehend aus einem Graben, Palisaden, Mauern und Wachtürmen. Hier war<br />

Schluss mit der römischen Expansion, es waren wohl die Urhessen, die sich den<br />

Römern erfolgreich widersetzt hatten.<br />

Das hier ist kein Römer, sondern Kaiser Wilhelm <strong>II</strong>,<br />

der sich anlässlich der von ihm veranlassten Restauration der Saalburg als<br />

römischer Imperator darstellen ließ.


Das heutige Hessen ist ein Kunstgebilde der Nachkriegszeit: aus mehreren<br />

ehemaligen Fürstentümern, Grafschaften und Herzogtümern<br />

zusammengeschlossen, wurde unter der amerikanischen Besatzungsmacht nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg "Großhessen" ins Leben gerufen. Als erstes deutsches<br />

Land bekam Hessen am 1. Dezember 1946 eine Nachkriegsverfassung.<br />

"Großhessen" wurde nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland zum<br />

Bundesland Hessen. Eine Besonderheit der Verfassung ist die Erwähnung der<br />

Todesstrafe. Da die hessische Verfassung noch vor dem Grundgesetz von 1949<br />

verabschiedet wurde, sieht sie noch immer die Todesstrafe für<br />

Kapitalverbrechen vor. Verhängt werden kann sie allerdings nicht mehr.<br />

Ein paar Daten zu Hessen:<br />

Fläche: 21.114,79 km<br />

Einwohner: 6.077.628<br />

Hauptstadt: Wiesbaden (nicht Frankfurt!)<br />

Landeshymne: Hessenlied<br />

Zweithöchster Punkt ist der Hausberg Oberursels (wo ich als Kind immer Ski<br />

gelaufen bin – damals lag im Winter noch Schnee): der Feldberg im Taunus mit<br />

880 m, höchster Punkt ist aber die Wasserkuppe in der Rhön mit 950 m. Der<br />

tiefste Punkt dürfte irgendwo da liegen, wo der Rhein rüber nach Rheinland-<br />

Pfalz fließt.<br />

Das Mittelrheintal gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe.<br />

24


Geografisch von Mittelgebirgen geprägt, wechseln sich in Hessen Berge mit<br />

Becken und Niederungen ab. Eigentlich waren Mittel- und Nordhessen<br />

landwirtschaftlich immer sehr arme Regionen, so arm, dass die Hessen sich als<br />

Legionäre im amerikanischen Bürgerkrieg verdingen mussten.<br />

Während der Rhein die Grenze zu Rheinland-Pfalz im Südwesten Hessens<br />

bildet, grenzen Teile des Neckars und der Weser im Süden und Osten Baden-<br />

Württemberg und Thüringen ab. Der Rhein ist die am meisten befahrene<br />

Wasserstraße in Europa, der Main sein längster rechter Nebenfluss, über ihn und<br />

seine Kanäle kann man per Boot bis ans Schwarze Meer fahren.<br />

Insgesamt hat Hessen vier Welterbe-Stätten aufzuweisen: die Fossilienfundstätte<br />

Grube Messel bei Darmstadt, das Kloster Lorsch, der Limes und das Obere<br />

Mittelrheintal wurden allesamt von der UNESCO mit dem begehrten Titel<br />

ausgezeichnet.<br />

Wirtschaftlich steht Hessen wohl sehr gut da. Das wohlhabendste Flächenbundesland<br />

kann sich auf mehrere Standbeine verlassen. Das Rhein-Main-<br />

Gebiet ist mit dem Dienstleistungs- und Bankenzentrum Frankfurt, mit<br />

Automobilindustrie, Logistikriesen wie dem Frankfurter Flughafen und<br />

Hauptbahnhof so gut aufgestellt wie kaum eine andere Region in Europa.<br />

Die Infrastruktur ist Knotenpunkt für Verkehrs- und Handelswege und sorgt für<br />

Superlative: so ist das Frankfurter Autobahnkreuz mit 330.000 Passanten täglich<br />

das meist befahrene, der Frankfurter Hauptbahnhof mit 350.000 Passagieren<br />

täglich einer der größten und der Frankfurter Flughafen der drittgrößte in<br />

Europa.<br />

Mit über 50 Millionen Passagieren pro Jahr ist der Frankfurter Flughafen eines<br />

der international bedeutendsten Luftfahrt-Drehkreuze. Mit rund 68.500<br />

Arbeitsplätzen ist er nicht nur der größte Arbeitgeber der Region, sondern ganz<br />

Deutschlands. Als einziger Flughafen Europas hat er eine eigene<br />

Flughafenklinik, wo man sich (z.B. für Flüge nach Bolivien) noch „last minute“<br />

gegen Gelbfieber impfen lassen kann. Um seine Position zu verteidigen und zu<br />

verbessern, gibt es regelmäßig Pläne, den Flughafen weiter auszubauen. Die<br />

Ausbaupläne und ein kontinuierlich unterlaufenes Nachtflugverbot stehen<br />

jedoch immer wieder in der Kritik – Anwohner, Umweltschützer und einige<br />

Lokalpolitiker wehren sich dagegen.<br />

25


Internationales Drehkreuz: Flughafen Frankfurt<br />

Größte Stadt Hessens und Zentrum des Ballungsraumes Rhein-Main ist<br />

Frankfurt am Main, wegen seiner Wolkenkratzer auch „Mainhatten“ genannt.<br />

Keiner glaubt es, aber mit nur 660.000 Einwohnern ist Frankfurt die fünftgrößte<br />

Stadt Deutschlands, die weitere Stadtregion hat aber über 1,8 Millionen<br />

Einwohner, den sog. „Speckgürtel“ mit den wohlhabenden Taunusgemeinden<br />

mal mitgerechnet.<br />

Frankfurt ist Sitz der Europäischen Zentralbank und nicht nur deswegen der<br />

wichtigste Finanzstandort Europas. Die Wolkenkratzer der Banken und anderer<br />

Eigentümer prägen das Stadtbild und sorgen für eine der wenigen wirklichen<br />

Skylines in Europa. In kultureller Hinsicht steht Frankfurt anderen Großstädten<br />

in nichts nach. Als Geburtsort oder Wahlheimat von Goethe, Büchner und den<br />

Brüdern Grimm ist Frankfurt unter anderem Standort der weltgrößten<br />

Buchmesse, die hier seit dem 15. Jahrhundert stattfindet. Bekannt ist hier u. a.<br />

der Stadtteil am Südufer des Mains, Sachsenhausen mit seinen Kneipen und der<br />

größten Museumszeile Deutschlands.<br />

26


Der Römer, das Rathaus von Frankfurt<br />

Zweitgrößte Stadt Hessens ist die Landeshauptstadt Wiesbaden, eines der<br />

ältesten Kurbäder Europas. Im Gegensatz zu Frankfurt gab es hier im Zweiten<br />

Weltkrieg nur wenig Zerstörung, und zwar deshalb, weil hier viele reiche<br />

Engländer Immobilien besaßen, die tunlichst nicht zerbombt werden sollten.<br />

Und in der Landeshauptstadt sitzt natürlich die Landesregierung, die in diesem<br />

Jahr schon von sich Reden gemacht hat, da sie seit den Wahlen am27. Januar<br />

nur geschäftsführend im Amt sitzt. Ministerpräsident ist seit 1999 Roland Koch<br />

(CDU), und seit 2008 ist er das auch weiterhin, aber eben nur geschäftsführend,<br />

ohne eigene Mehrheit.<br />

Sitzverteilung im Landtag:<br />

CDU: 42 Sitze<br />

SPD: 42 Sitze<br />

FDP: 11 Sitze<br />

B90/Grüne: 9 Sitze<br />

LINKE: 6 Sitze<br />

Im Bundesrat hat Hessen 5 Stimmen.<br />

Wiesbaden<br />

Das Kurhaus in der Landeshauptstadt<br />

Ganz bekannt ist die Rüdesheimer Drosselgasse als touristische Attraktion.<br />

Außerdem wurde der Film „Im Namen der Rose“ (mit Sean Connery) im<br />

Kloster Eberbach gedreht, weil der Rheingau ein ziemlich mediterranes Flair<br />

hat.<br />

Und was wäre Hessen ohne seinen äußerst beliebten und auch über seine<br />

Grenzen hinweg bekannten traditionellen Apfelwein, auch als Ebbelwoi oder<br />

27


neumodisch als Äppler bekannt (nicht mit Most oder Cidre zu verwechseln!).<br />

Besonders im Frankfurter Raum wird Apfelwein in verschiedenen Variationen<br />

in Bembeln serviert. Zusammen mit "Grüner Soße" und "Handkäs mit Musik"<br />

bildet der Apfelwein das kulinarische Herzstück Hessens.<br />

Traditionelles Getränk: der Apfelwein<br />

Neben kulinarischen Genüssen hat Hessen in sportlicher Hinsicht eher weniger<br />

zu bieten. Zwischen den Fußballvereinen in Südhessen, Eintracht Frankfurt,<br />

Kickers Offenbach und Darmstadt 98 herrscht große Rivalität, die auch über<br />

unterschiedliche Klassen aufrechterhalten wird. Eintracht Frankfurt ist allerdings<br />

momentan der einzige hessische Verein in der ersten Fußball-Bundesliga.<br />

28<br />

Martin Homola


Das Bundesland Rheinland-Pfalz: Wein, Wandern und<br />

Weltkultur<br />

Höchster und tiefster Punkt des<br />

Landes<br />

Höchster Punkt: Der Erbeskopf mit 816 m<br />

Tiefster Punkt: Weiß ich nicht, aber<br />

wahrscheinlich der Rhein bei Remagen<br />

Wichtiger Kulturbeitrag - Die Erfindung des Buchdrucks<br />

durch Johannes Gutenberg 1440 in<br />

Mainz<br />

- Das Festival „Rock am Ring“ am<br />

Nürburgring<br />

- Der Mainzer Karneval<br />

Bedeutende Persönlichkeiten - Der Reformator Martin Luther<br />

- Der Kanzler der deutschen Einheit<br />

Helmut Kohl<br />

Beitrag zur Weltwirtschaft - Die BASF, einer der weltgrößten<br />

Chemiekonzerne<br />

- Wein- und Sektexporte des Landes<br />

Kulinarische Verwirrungen Der Cola-Schoppen, eine Mischung aus<br />

Coca Cola und Weiß- oder Rotwein (igitt,<br />

igitt)<br />

Peinliche Persönlichkeiten Rudolf Scharping, der sich als<br />

Verteidigungsminister mit dem<br />

Regierungsflugzeug nach Mallorca bringen<br />

und dort am Pool mit seiner Geliebten, der<br />

Gräfin Pilati, von der Regenbogenpresse<br />

fotografieren ließ<br />

Ähnlich wie Martin Homola bin auch ich Lokalpatriot, geboren in dem<br />

Mittelrhein-Städtchen Boppard, mit dem ich sehr verbunden bin und das der<br />

Heimathafen unserer Familie war und ist, den wir immer wieder zwischen und<br />

während unseren langjährigen Aufenthalten in Lateinamerika angesteuert haben.<br />

Dort an der großen Rheinschleife (the bendiest bend of the Rhine, wie die<br />

zahlreichen englischen Touristen zu sagen pflegen) bin ich zwischen den<br />

Rebstöcken und Weinfässern aufgewachsen, mein Bruder betreibt das Weingut<br />

der Familie mit dem originellen Namen „Heilig Grab“ weiter (wer wissen will,<br />

warum das so heißt, kann unter www.heiliggrab.de nachschauen).<br />

29


Das Weinhaus der Schoenebergers<br />

Im Gegensatz zu Hessen sind es nicht gerade die vielen Wolkenkratzer, die für<br />

Rheinland-Pfalz stehen. Traditionell ländlich geprägt, ist das Bundesland im<br />

Südwesten vor allem für seinen Wein und das weltberühmte Mittelrheintal<br />

bekannt. Und überall begegnet man Zeugnissen längst vergangener Zeiten.<br />

Burgen aus dem Mittelalter und Relikte der Römer, ja sogar die ältesten Städte<br />

Deutschlands finden sich in Rheinland-Pfalz. Apropos Städte: meine Frau<br />

Cristina, die aus der Millionenstadt Lima kommt, mußte ich während unserer<br />

Jahre in Boppard immer wieder korrigieren, wenn sie ins „Dorf“ (al pueblo)<br />

zum Einkaufen wollte; schließlich sind wir Bopparder nicht zu Unrecht stolz<br />

darauf, daß wir seit 1236 die Privilegien einer reichsfreien Stadt genießen. Es<br />

ging also in die Stadt (a la ciudad) zum Einkaufen...<br />

Blick auf Boppard<br />

30


Rheinland-Pfalz ist das neuntgrößte deutsche Bundesland nach Fläche (19.853<br />

km), das siebtgrößte nach Einwohnern (4,1 Mio.), seine Hauptstadt ist Mainz<br />

Eine Fahrt auf dem Rhein ist für Rheinland-Pfalz-Besucher ein absolutes Muss.<br />

Nirgends sonst schlängelt sich der mit 1320 Kilometer längste Fluß<br />

Deutschlands so romantisch durch sein Tal wie hier. Weinhänge zu beiden<br />

Seiten, Burgen und Schlösser, malerische Städte und gemütliche Weinorte -<br />

zwischen Bingen und Koblenz ist es so schön, daß die UNESCO der Gegend<br />

2003 ihren Welterbe-Titel verlieh. Ob sie sich bei der Entscheidung von der<br />

Loreley beeinflussen ließ, die hoch oben auf ihrem Felsen bei St. Goarshausen<br />

mit all ihrer weiblichen Verführungskunst schon im Mittelalter die Schiffer um<br />

Verstand und Manövrierfähigkeit gebracht hatte?<br />

Als Bonn noch Hauptstadt war, wurden auch alle hochrangigen Staatsbesucher<br />

mit einer solchen Flußfahrt beglückt, die meist in Boppard startete, so auch der<br />

ehemalige bolivianische Präsident Jaime Paz Zamora.<br />

31<br />

Das Rheintal bei Bacharach<br />

Zwei berühmte Ecken hat der Rhein außerdem noch: Das deutsche Eck bei<br />

Koblenz, wo die Mosel in den Rhein fließt, und das Mainspitz-Dreieck bei<br />

Mainz, an dem der Main in den Rhein mündet. Aber nicht nur zu Wasser ist<br />

Rheinland-Pfalz eine Reise wert. Zu Fuß ebenfalls - zum Beispiel bei<br />

Wanderungen auf den Donnersberg im Pfälzer Wald.<br />

Oder in den Mittelgebirgen Eifel, Westerwald oder Hunsrück, wo man in Idar-<br />

Oberstein - dem neben Amsterdam europaweit bedeutendsten Zentrum der<br />

Diamant- und Edelstein-Industrie - einen Stopp einlegen könnte. Oder bei<br />

gemütlichen Spaziergängen in den unzähligen Weinbergen des Landes. Und wer<br />

eher die Mischform bevorzugt: bei einer Weinwanderung sorgen die<br />

Verkostungen zwischendurch mit Sicherheit für einen beschwingten Gang.<br />

Die erwähnten Mittelgebirge waren übrigens früher wegen ihrer kargen Böden<br />

ausgesprochen arme Regionen, zahlreiche Bauern mußten auswandern,<br />

vorzugsweise nach Südamerika; immer wieder tauchen in Boppard Brasilianer<br />

oder Argentinier mit hunsrücker Nachnamen auf, die nach ihren Ahnen<br />

forschen. Zum Glück war meine eigene „Auswanderung“ aus dem geliebten


Rheintal nicht armutsbedingt, sondern meiner unstillbaren Neugier auf ferne<br />

Länder und fremde Kulturen zuzuschreiben.<br />

Kein Bundesland hat mehr Weinberge als Rheinland-Pfalz. Die Winzer in den<br />

sechs Anbaugebieten Rheinhessen, Pfalz, Mosel-Saar-Ruwer, Mittelrhein und<br />

Ahr fahren hier mehr als zwei Drittel der gesamten Lese ein. Der Deutschen<br />

liebste Trauben: Riesling und Dornfelder, seit Jahren ungeschlagen, auch wenn<br />

neuerdings mehr und mehr Exoten wie Chardonnay oder St. Laurent<br />

hinzukommen. Kein Wunder, daß sich auch bekannte Sektkellereien im Lande<br />

finden: Kupferberg und Goldhand in Mainz, Deinhard in Koblenz und Faber in<br />

Trier. 12.000 Betriebe produzieren Millionen von Litern - und exportieren ihren<br />

Wein und Sekt in die ganze Welt (da kann Hessen mit seinem Ebbelwoi nicht<br />

mithalten). Das Weingut der Familie Schoeneberger trägt mit seinen 30 000<br />

Flaschen von weniger als 4 Hektar Rebfläche allerdings nur unerheblich dazu<br />

bei, es arbeitet mehr nach dem Motto „Klasse statt Masse“.<br />

Die Fam. Schoeneberger in ihrem Weinberg<br />

Die größten Weinbaugebiete Deutschlands sind also mitverantwortlich dafür,<br />

daß Rheinland-Pfalz mit einer Exportquote von 46 Prozent unter den deutschen<br />

Bundesländern "spitze" ist. Die hohe Exportquote ist auf den ersten Blick<br />

erstaunlich, gibt es hier doch vergleichsweise wenig große Arbeitgeber: BASF<br />

in Ludwigshafen, Böhringer Ingelheim, Opel in Kaiserslautern, das Daimler-<br />

Chrysler LKW-Werk in Wörth und die Getränke-Konzerne Bitburger und<br />

Gerolsteiner. Wichtiger für die Wirtschaft sind kleine und mittlere Handwerks-<br />

und Industriebetriebe. Der Mittelstand ist ganz klar wichtigster Arbeitgeber im<br />

Land.<br />

32


Rheinsteig-Burg Rheinfels bei St. Goar<br />

Bis zum Fall der Mauer waren in Rheinland-Pfalz knapp 70.000 Soldaten der<br />

amerikanischen Streitkräfte stationiert - klar, daß viele Arbeitsplätze von ihnen<br />

abhingen. Bis letztes Jahr schrumpfte die Zahl der Soldaten durch den<br />

Truppenabzug auf 27.200.<br />

Auch heute noch bedeutend: die Air Base Ramstein, der größte NATO-<br />

Flughafen in Europa und Drehscheibe für Fracht- und Truppentransporte. Im<br />

nahe gelegenen Landstuhl ist das größte US-amerikanische Krankenhaus<br />

außerhalb der USA, das vor allem Verwundete aus dem Irak-Krieg aufnimmt. In<br />

den Mittelpunkt öffentlichen Interesses rückte die Air Base Ramstein am 28.<br />

August 1988. Bei einer Flugschau krachten mehrere Jets zusammen, einer<br />

stürzte in die Menschenmenge - 70 Tote und hunderte Verletzte lautete die<br />

tragische Bilanz.<br />

Ein anderer Flughafen hat sich in den letzten Jahren ganz nach vorne gearbeitet.<br />

"Auf dem Hahn" im Hunsrück hoben mit dem irischen Billigflieger Ryan Air<br />

2006 3,7 Millionen Passagiere ab (zugegebenermaßen hat hier Frankfurt in<br />

Hessen mit seinen jährlich 50 Millionen Passagieren die Nase vorn). Ein<br />

Beispiel für gelungenen Strukturwandel: Bis 1993 war der Hahn ein kleiner<br />

Flugplatz für das US-Militär.<br />

An der Spitze der Landesregierung steht seit 1994 Ministerpräsident Kurt Beck,<br />

seit letztem Jahr auch Parteivorsitzender der SPD; 2006 holte er für seine Partei<br />

die absolute Mehrheit im Landtag. Ob er es wie der Rheinland-Pfälzer Helmut<br />

Kohl bis zum Bundeskanzler schafft, oder wie sein Landsmann Rudolf<br />

Scharping die Karriereleiter bis zum Präsidenten des Fahrradfahrerverbandes<br />

erklimmt (oder sogar beides schafft), bleibt abzuwarten.<br />

Neben den Amerikanern ist noch ein anderes Volk wichtig für Rheinland-Pfalz:<br />

die Römer. Ihren Spuren begegnet man fast überall im Land - besonders in<br />

Mainz, Speyer, Worms und Trier. Diese Städte sind allesamt römischen<br />

Ursprungs und können zudem mit jeweils einem gigantischen Dom punkten.<br />

33


Während unstrittig ist, dass der Trierer Dom mit seinen 1700 Jahren der älteste<br />

ganz Deutschlands und der 1000-jährige Dom aus Speyer die größte romanische<br />

Kirche der Welt ist, sind andere Fragen weiterhin ungeklärt: Trier und Worms<br />

streiten sich leidenschaftlich darum, wer die älteste Stadt Deutschlands ist.<br />

Das Gutenberg-Denkmal vor dem Mainzer Dom<br />

Aber auch nach den Römern hat sich noch einiges getan: Johannes Gutenberg<br />

erfand um 1440 in Mainz den Buchdruck und revolutionierte damit die Welt.<br />

Amerikanische Journalisten wählten ihn 1998 zum Mann des Jahrtausends.<br />

Wenig später, am 17. April 1521, stand Martin Luther vor dem Reichstag zu<br />

Worms und sprach seine berühmten Worte: "Hier stehe ich, ich kann nicht<br />

anders, Gott helfe mir. Amen."<br />

1793 gab es eine echte Premiere: Mit der Ausrufung der Mainzer Republik<br />

formierte sich der erste Freistaat auf deutschem Boden inklusive bürgerlichdemokratischer<br />

Grundsätze - für vier Monate, immerhin. Für Rheinland-Pfalz<br />

sah es anfangs nicht viel besser aus. Unter Zugzwang geraten, stückelten nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg die französischen Besatzer Rheinland-Pfalz schnell<br />

zusammen, Amerikaner und Briten hatten nämlich mit der Bildung der<br />

Bundesländer bereits begonnen. Mittlerweile hat es Rheinland-Pfalz auf 60<br />

Jahre gebracht - so viel hatten ursprünglich die wenigsten diesem "Land aus der<br />

Retorte" zugetraut.<br />

Zum Abschluss nach was zur Küche: Seit Helmut Kohl die wichtigsten<br />

Staatschefs dieser Welt in seinen Heimatort Oggersheim mit dem typischen<br />

Pfälzer Saumagen bewirtet hat, hat dieses Gericht den in Boppard sehr beliebten<br />

Döppekooche (ein Kartoffelbreiauflauf mit Speck) vom Podest des bekanntesten<br />

Nahrungsmittels in Rheinland-Pfalz verdrängt. Für mich ist aber immer noch<br />

das „Kesselessen“ unvergleichlich und unvergessen, daß mein Großvater in der<br />

Schnapsbrennerei im Winter zubereitete, indem er in einem gut verschlossenen<br />

Topf Hackfleischbällchen im Tresterdampf garen ließ. Sowas gabs nicht alle<br />

Tage, nur in kleinen Mengen, und außer im Heilig Grab nirgendswo, was<br />

verständlich macht, warum dieser Schmaus immer für<br />

Wochen durch Gäste aus Nah und Fern ausgebucht war, und die Familie nur zu<br />

ganz besonderen Gelegenheiten in diesen Genuß kam.<br />

34<br />

Dr. Hans Schoeneberger


Tatort drehen statt Tatort sehen<br />

Der „Tatort“ ist die älteste und derzeit auch beliebteste noch laufende<br />

Krimireihe im deutschsprachigen Raum. Im Durchschnitt verfolgen jeden<br />

Sonntagabend 10,42 Millionen Bundesbürger diese Krimiserie. Laut neuester<br />

Fernseh-Quoten kann sich die deutsche TV-Produktion sogar mit ProSieben-<br />

Blockbustern wie zum Beispiel „Spider-Man“ oder anderen gigantischen<br />

Hollywood-Produktionen messen.<br />

Die Grundkonzeption dieser Krimireihe geht auf eine Idee von Horst Jaedicke<br />

zurück, dem Fernsehdirektor des damaligen SDR in Stuttgart, der als<br />

Fernsehspiel-Koordinator der ARD die Zusammenarbeit der Fachredaktionen in<br />

den beteiligten Rundfunkanstalten für die Tatort-Reihe auf den Weg brachte.<br />

1970 flimmerte die erste Folge „Taxi nach Leipzig“ über die Mattscheibe.<br />

Seitdem sind etwa 700 Folgen produziert worden, und ein Ende scheint ganz<br />

und gar ausgeschlossen.<br />

Die Titelsequenz aller Tatort-Filme<br />

Im Gegensatz zu anderen Fernsehkrimireihen sind bei ihren Tatort-Produktionen<br />

die einzelnen Rundfunkanstalten der ARD jeweils für ihr Sendegebiet zuständig.<br />

Jede Rundfunkanstalt verfügt über mindestens ein Ermittlerteam. Dadurch, dass<br />

nicht in jeder Folge dieselben Ermittler zu sehen sind, wird für Abwechslung<br />

gesorgt. Zum Konzept der Reihe gehört das Lokalkolorit: Die jeweiligen<br />

regionalen Besonderheiten der Stadt oder Gegend, in der ermittelt wird, sollen in<br />

die Handlung mit eingearbeitet werden.<br />

35


Der Inhalt der Episoden sowie die Charaktere der Ermittler haben sich seit<br />

Beginn der Reihe deutlich verändert.<br />

Szenenbild aus dem Tatort-Klassiker „Reifeprüfung“ mit Christian Quadflieg<br />

und Nastassja Kinski (1977)<br />

Der künstlerische Anspruch der Produktionsteams sowie der logistische und<br />

finanzielle Aufwand einer jeden Tatort-Folge sind für den Zuschauer nur schwer<br />

vorstellbar.<br />

So müssen unter anderem ganze Fußgängerzonen gesperrt und<br />

Beerdigungsunternehmen und/oder Sanitätsteams beauftragt werden, um<br />

gewisse Szenen möglichst realitätstreu umzusetzen. Neben diversen Komparsen<br />

wird immer wieder der ein oder andere Profi, wie ein echter Forensiker,<br />

engagiert, um auch diese Berufsgruppe unter den Zuschauern zufrieden zu<br />

stellen. Erstaunlicherweise überwiegen bei diesen Nebendarstellern tatsächlich<br />

die eigene Tatort-Leidenschaft und die Freude an dem eigenen Mitwirken an<br />

einer solchen Produktion, so dass die Produktionskosten sich nicht in<br />

Hollywood-Dimensionen bewegen.<br />

Logistisch sowie finanziell sehr aufwendig sind Produktionen, die viele<br />

Schusswechsel, Autokarambolagen sowie jegliche andere Art von „Action-<br />

Szenen“ beinhalten. So sollten Schusswaffen so echt wie möglich aussehen, um<br />

zu vermeiden, dass jeder Hobby-Schütze zuhause auf dem Sofa sofort erkennt,<br />

dass es sich bei der Uzi oder der Walther PP um eine billige Replika handelt.<br />

Dem wird vorgebeugt, indem man zum Beispiel einen Büchsenmeister<br />

36


engagiert, der sich auf den Umbau von echten Schusswaffen in Filmwaffen mit<br />

Platzpatronen spezialisiert hat.<br />

Waghalsige Verfolgungsjagden mit dem Auto oder Sprünge aus größeren Höhen<br />

werden aus Sicherheitsgründen immer von Stunt-Profis oder manchmal gar von<br />

echten Polizisten ausgeführt.<br />

Manfred Krug und Charles Brauer stehen in der Beliebtheitsskala der Tatort-<br />

Kommissare aller Zeiten an zweiter Stelle (als Stöver und Brockmöller).<br />

Ihre Tatorte wurden vom NDR produziert.<br />

Als Zuschauer kann man sich auch den Umfang eines solchen Film-Teams<br />

schwer vorstellen. So arbeiten neben Regisseur, Kameramann, Kostüm, Maske<br />

und Ton noch viele andere Abteilungen an der erfolgreichen Umsetzung einer<br />

jeden Tatort-Folge mit. Die Mitarbeiter der Baubühne bauen fast alles, von<br />

Hausfassaden-Attrappen bis zu Nachbauten echter Kulissen im Studio. Dies<br />

geschieht dann, wenn es zum Beispiel platztechnisch nicht möglich ist, an<br />

Original-Motiven zu drehen. So wurde ein Teil einer Szene in einer kleinen<br />

Waldhütte auf dem Feldberg im Taunus gedreht, und da diese nur ein Zimmer<br />

hatte, die Szene aber in einem Schlafzimmer fortgeführt wurde, musste dies<br />

kurzer Hand im Studio des Hessischen Rundfunks im tiefer gelegenen Frankfurt<br />

aufgebaut werden. Für die Einrichtung eines solchen Zimmers ist die Requisite<br />

zuständig. Sie verfügt zwar über einen enorm großen Fundus mit Requisiten aus<br />

allen Zeit- und Stil-Epochen. Dennoch werden hin und wieder auch Möbel<br />

gemietet. Wird für ein Motiv in einem Frankfurter Penthouse ein Interieur von<br />

37


Rolf Benz oder Ligne Roset benötigt, so ist es wesentlich preiswerter, dies in<br />

einem von Frankfurts Edel-Möbelgeschäften für ein oder zwei Drehtage zu<br />

mieten. Hier trifft man immer wieder auf großes Entgegenkommen in Form<br />

günstiger Miet-Gebühren.<br />

Marken-Namen müssen allerdings immer und zu jeder Zeit abgedeckt oder -<br />

geklebt werden, da es sich bei Tatort-Filmen um öffentlich-rechtliche<br />

Produktionen handelt.<br />

Tatort Nr. 698 vom Hessischen Rundfunk mit den Kommissaren Andrea<br />

Sawatzki und Jörg Schüttauf (Sänger und Dellwo im Film) behandelt das in<br />

Deutschland momentan stark diskutierte Thema überforderter Eltern mit den<br />

schrecklichen Folgen für deren Kinder.<br />

So werden Etiketten für Whisky- oder Bierflaschen von der Grafik-Abteilung<br />

oder auch von der Requisite selbst hergestellt. Schwierig ist das Bekleben, wenn<br />

z.B. Zuckerglasflaschen für „Kneipenschlägerei-Szenen“ etikettiert werden<br />

müssen. Denn genauso leicht, wie sie dem Schauspieler auf dem Kopf<br />

zerbrechen, tun sie das auch in der Hand des Requisiteurs, wenn er sie beklebt.<br />

Jeder Filmset-Mitarbeiter erhält entweder ein Walkie-Talkie oder einen Knopf<br />

im Ohr, um immer auf dem Laufenden zu sein, wie viele Einstellungen noch<br />

gedreht werden, wann die Kamera läuft oder wer (Maske, Requisite, etc.) gerade<br />

dringend benötigt wird.<br />

Konzentration, Organisation, Teamfähigkeit und Professionalität sind die<br />

Herausforderungen an alle agierenden Personen, vom Praktikanten bis zum<br />

Regisseur.<br />

Abschließend ist zu sagen, dass jeder Einzelne nach 26 Drehtagen urlaubsreif<br />

ist, aber mit Sicherheit den nächsten Dreh mit Begeisterung wieder mitmachen<br />

würde, da es nie eintönig wird, und man bei der Arbeit an einer Filmproduktion<br />

nie auf Langeweile oder Eintönigkeit stößt.<br />

Anne Homola<br />

(Praktikantin der HR-Requisite von November 2007 – März 2008)<br />

38


El tour alteño<br />

Wer Gästen mal etwas anderes zeigen will als die Speisekarte des Café<br />

Alexander, der kann über die Casa de Cultura eine Tour durch El Alto buchen.<br />

Mit einem Bus für ca. 20 Personen wird man von 9.00 h bis 14.00 h auf einen<br />

Parcours geschickt, der zunächst mit den wichtigsten geografischen Punkten El<br />

Altos bekannt macht wie z. B. der Ceja oder dem Markt auf der Avenida 16 de<br />

Julio. Gut verständlich und mit Bildmaterial reichlich ausgestattet, erklärt der<br />

Führer während der Fahrt - natürlich - die Geschichte El Altos sowie einige<br />

Grundvokabeln und Basisbegriffe der Aymara-Kultur. Eine kleine<br />

Demonstration einer Yatiri-Zeremonie beschließt dieses Thema.<br />

Nun geht es zu etwas völlig anderem: Im Kantenbereich von El Alto, der Ciudad<br />

Satélite, hat die kanadische Kooperation mit engagierten Bolivianern zusammen<br />

ein Jugendhaus aufgebaut, wie es auch in Amsterdam nicht bunter dastehen<br />

könnte: Die „comunidad de productores en artes – COMPA“ Viele Stockwerke<br />

schraubt sich das Kunstgebäude hoch: Bibliothek, Video und Fotokunst, Plastik<br />

und Keramik, Theater, Musik und Zirkus und oben drauf eine Dachterrasse mit<br />

hochinspirativem Blick. Gegründet ist die – voll aus Recyclingteilen gebaute<br />

Villa Kunterbunt – sowohl ideologisch als auch bautechnisch auf einer<br />

nachgebauten Mine: Man will vor lauter Kunstekstase die Wurzeln des Landes<br />

39


nicht vergessen. Im Rahmen der Tour alteño bekommt man als Gast sowohl<br />

Kostproben aus dem gemütlichen Restaurant als auch aus der Arbeit einer der<br />

jungen Schauspiel-Trupps: Improvisationstheater, Trommel-Performance und<br />

am Ende noch hochideologisches Mitmachtheater in der Mine.<br />

Ein buntes Programm, bestens geeignet für Tagestouristen, Schüler ab ca. 10<br />

Jahren, Neugierige und Neulinge. Von den Theateraktionen des „Teatro Trono“,<br />

wie die feste Truppe in der Casa de Cultura heißt, hört man hoffentlich noch<br />

viel.<br />

40


Die Tour kostet, inklusive Mittagessen, 150,- BS pro Person und kann bei<br />

David, der für die kanadische Kooperation in der Casa de Cultura arbeitet,<br />

gebucht werden unter Tel.: 79525343.<br />

Kontakt:<br />

Casa de cultura<br />

El Alto, Ciudad Satélite, Plan 405 Calle 17-B N° 615<br />

Tel.: 2811284<br />

E-Mail: compain@yahoo.com<br />

www.compatrono.com<br />

41<br />

Text und Fotos: Franziska Sörgel


Kolumbien als Reiseland? Aber sicher!<br />

Teil 2: Koloniale Städte, der omnipräsente Bolívar und ein betrügerischer Norweger<br />

Reiches koloniales Erbe<br />

Was den Erstbesucher an Kolumbien überrascht und begeistert, ist die Vielzahl<br />

an Städten und Städtchen, bei denen der Ortskern – oder, wenn die Stadt klein<br />

genug ist, der gesamte Ort – aus der Kolonialzeit oder aus dem 19. Jahrhundert<br />

erhalten geblieben ist, gepflegt und vorsichtig renoviert, ohne moderne<br />

Bausünden. Die Innenstädte von Cartagena und Popayán sind nur die<br />

bekanntesten Beispiele; mindestens genauso schön und weniger touristisch sind<br />

Orte wie Villa de Leyva, Barichara, das winzige Guane mit seinen gerade<br />

einmal fünf mal fünf Cuadras, wo der Milchlaster gleichzeitig öffentliches<br />

Verkehrsmittel ist, Mompós am Río Magdalena, das immer noch schläfrig auf<br />

die Ankunft des nächsten Schaufelraddampfers zu warten scheint, und die<br />

Städtchen des Kaffee-Booms in Quindío wie Salento und Filandia.<br />

Kleine Stadt mit großer Plaza: Villa de Leyva<br />

42


Barichara, das schönste Dorf Kolumbiens<br />

Mompós, die Stadt aus der „Chronik eines angekündigten Todes“<br />

43


Die Kolumbianer schätzen dieses Erbe und sind stolz darauf. Und das nicht nur<br />

grundsätzlich, sondern ganz handfest: Sie fahren hin und schauen sich die Städte<br />

an. Ohnehin sind die Kolumbianer sehr reisefreudig und interessiert, ihr eigenes<br />

Land kennenzulernen. In den Spitzenzeiten der Ferien sind die Küsten<br />

manchmal völlig überfüllt. Deshalb ist ein Titel wie „schönstes Dorf<br />

Kolumbiens“, den Barichara vor ein paar Jahren verliehen bekam, durchaus<br />

auch bares Geld wert, und man achtet sehr darauf, dass der koloniale Charakter<br />

erhalten bleibt oder notfalls wieder hergestellt wird. 1983 wurde Popayán von<br />

einem verheerenden Erdbeben heimgesucht. Viele historische Gebäude wurden<br />

beschädigt, Kuppeln stürzten ein, bei einem Kloster fiel eine komplette<br />

Seitenwand heraus. Heute kann der Besucher von diesen Schäden nichts mehr<br />

sehen.<br />

Bolívar überall<br />

Bolívar-Denkmäler, Bolívar-Gedenksteine, Bolívar-Häuser, Boli-war-überall.<br />

Der Kult um den Befreier, den man dann nach kurzer Zeit nicht mehr haben<br />

wollte, ist ungebrochen. Keine Ansiedlung ohne Plaza Bolívar.<br />

Bolivar-Stein am Rio Magdalena in Mompós<br />

44


An vielen Orten stehen Tafeln, auf denen festgehalten ist, an welchen Tagen<br />

(und in welcher Richtung) Simon Bolívar durch den Ort kam. Selbstredend<br />

weist ein Denkmal in Mompós stolz darauf hin, dass dies die erste Stadt war, die<br />

sich von Spanien unabhängig erklärte. Manchmal wirkt dieser Personenkult ein<br />

wenig lächerlich.<br />

Anrührend dagegen der Besuch der Quinta de San Pedro Alejandrino, auch<br />

wenn solche Museen immer etwas von Heiligenreliquien haben. Es war dies der<br />

Landsitz, in dem Simon Bolívar seine letzten elf Tage verbrachte. Die Kutsche,<br />

die ihn hinbrachte, sein Sterbebett, die Uhr, die bei seinem Tod angehalten<br />

wurde, die Küche, in der die Obduktion vorgenommen wurde, die Räume, in<br />

denen er die letzten Tage lebte – sie lassen einen anderen Bolívar erahnen als<br />

stolze Reiterdenkmäler, einen Bolívar gezeichnet von mehreren schweren<br />

Krankheiten, darunter Tuberkulose und Ruhr, bei 1,60 Metern Körpergröße<br />

abgemagert auf 70 Pfund, schwankend zwischen Hoffnung 3 und bitterer Ironie 4 .<br />

Die unfreiwillige Komik lauert gleich nebenan, hinter dem italienischmonumentalen<br />

Marmortempel, errichtet zum hundertsten Todestag des<br />

Befreiers, in der Inschrift der Tafel des peruanischen Gesandten. Der Tafel<br />

zufolge ruht Bolívar in seinem Grab, um „auf ewig von der Einheit Südamerikas<br />

weiter zu träumen“. Der böse Doppelsinn seiner Worte blieb dem Diplomaten<br />

vermutlich verborgen.<br />

Von betrügerischen Norwegern und diebischen Inselbewohnern<br />

Isla Grande, die Hauptinsel der Islas del Rosario, eine knappe Bootsstunde von<br />

Cartagena entfernt im karibischen Meer gelegen, ist ein Schnorchelparadies, in<br />

dem wir zwei Nächte verbrachten. Klares Wasser, bunte Fische, Seesterne und<br />

immer mürrisch dreinblickende Kofferfische laden zum Tauchen ein, auch wenn<br />

die Korallen durch veränderte Meerestemperaturen in Mitleidenschaft gezogen<br />

sind.<br />

Die zweite Nacht, vom 13. auf den 14. Januar, war windig, die Palmen und das<br />

blättergedeckte Dach unsere Hütte bildeten eine ständige Geräuschkulisse.<br />

Vielleicht sind wir deswegen nicht aufgewacht. Vielleicht war das auch besser<br />

so.<br />

In besagter Nacht stieg jemand in unsere Hütte ein, während wir darin schliefen.<br />

Allein der Gedanke daran verursacht immer noch Beklemmungen. Dieser<br />

Jemand – vermutlich war er nicht allein – schnitt das Bambusgeflecht auf, das<br />

als Fenster diente, dann das Moskitonetz, stieg durch das Loch in die Hütte und<br />

durchsuchte unsere Sachen. Wir bemerkten es gegen 1:30 Uhr, als wir<br />

aufwachten und Licht machten. Ein Rucksack lag auf dem Boden, war scheinbar<br />

3<br />

„...wenn mein Tod dazu beiträgt, die Streitigkeiten beizulegen, steige ich ruhig ins Grab<br />

hinab...“<br />

4<br />

„In der Geschichte gab es drei große Idioten: Jesus Christus, Don Quijote und mich.“<br />

45


umgefallen. Seltsam. Der andere stand nicht mehr wie vorher auf dem Boden,<br />

sondern lag auf der Kleidung, die meine Frau noch am Abend getragen hatte;<br />

einige Sachen waren herausgenommen. Dann sahen wir das Loch im „Fenster“.<br />

Dann bemerkten wir, dass ein kleiner Rucksack fehlte, in dem die Kamera<br />

gewesen war. Außerdem fehlten ein Waschzeugbeutel und eine Plastiktüte mit<br />

Klammern und Wäscheleine. Offenbar hatte es sich um sehr reinliche Diebe<br />

gehandelt. Nein, zum Lachen war uns eigentlich nicht zumute. Immerhin hatten<br />

sie meine Wertsachen, Geld, Pass und anderes, die tief im Rucksack vergraben<br />

waren, nicht gefunden. Der materielle Schaden hielt sich in Grenzen, aber der<br />

Schreck sitzt. Stundenlang rekonstruieren wir fassungslos den Tathergang und<br />

versuchen uns lieber nicht auszumalen, wie jemand unser Zimmer durchsucht<br />

und was hätte sein können, wenn wir aufgewacht wären. Wir entdeckten ein<br />

kleines Loch im gegenüberliegenden Bambusfenster, durch das man das Innere<br />

der Hütte gut beobachten konnte, und bemerkten, dass der Vorhang just an<br />

dieser Stelle ein klein wenig weggezogen war, was die Verwicklung des<br />

Hotelpersonals in den Diebstahl sehr wahrscheinlich macht.<br />

Wie mir später wieder einfällt, habe ich den Einbruch tatsächlich im<br />

Unterbewusstsein mitbekommen und in meinen Traum eingebaut: Ich träumte,<br />

eine Katze lief durchs Zimmer, ziemlich genau da, wo auch der Dieb gegangen<br />

sein muss. Als ich mich daran erinnere, male ich mir aus, wie das<br />

Unterbewusstsein, im Bewusstsein, dass Aufwachen jetzt gar nicht gut wäre, das<br />

Bewusstsein zu beruhigen versuchte.<br />

Bewusstsein: „Hmm, da ist doch was?“<br />

Unterbewusstsein: „Nein, da ist nichts!“<br />

Bewusstsein: „Aber da bewegt sich doch irgendwas?“<br />

Unterbewusstsein: „Eine Katze, es ist nur eine KAAATZE!“<br />

Bewusstsein: „Eine Katze, wie kommt denn die hier rein? Na, aber so wichtig ist<br />

es ja wohl nicht, dass ich aufwachen müsste.“<br />

Unterbewusstsein: (wischt sich den Schweiß von der Stirn)<br />

Erst in dem Moment, als der Dieb durch das Fenster wieder ausstieg (was<br />

unweigerlich ein Geräusch macht), erlaubte das Unterbewusstsein dem<br />

Bewusstsein, kurz aufzuschrecken und „Was war das?“ zu rufen. Aber in diesem<br />

Moment machten wir nicht einmal das Licht an um nachzusehen.<br />

Der Hoteleigentümer, ein Norweger, entpuppte sich als desinteressiert und als<br />

Betrüger. Als wir ihn am nächsten Morgen anriefen – er hielt sich in Cartagena<br />

auf – und vom Einbruch informierten, hatte er nach seinen Angaben leider so<br />

viele wichtige Sachen zu erledigen, dass er nicht wisse, ob er kommen könne.<br />

Natürlich kam er nicht. Später teilte er auch noch mit, dass er leider kein Geld<br />

habe, um unsere Bootsfahrt zurück nach Cartagena zu bezahlen, wie es im<br />

Vertrag festgelegt war.<br />

46


Seine Hotelangestellten bezahlt er auch nicht (was ihre Neigung zu<br />

nebenerwerblichen Tätigkeiten erklären könnte) und verweigert ihnen unter<br />

fadenscheinigen Vorwänden ordentliche Arbeitsverträge.<br />

Unter den Angestellten brach am Morgen so etwas wie Endzeitstimmung aus:<br />

Wenn es mit dem Hotel jetzt sowieso den Bach runtergeht, nehme sich jeder,<br />

was er kriegen kann. Bei einer anderen Cabaña, in der eine Kolumbianerin mit<br />

ihrem Enkel wohnte, wurden am helllichten Tage die Bambuswand<br />

aufgeschnitten und 300.000 Pesos gestohlen (etwa 100 Euro). Dafür bot uns das<br />

Hotelpersonal freundlicherweise an, wir könnten aus dem Hotel alles<br />

mitnehmen, was wir wollten.<br />

Und nun? Kolumbien doch kein sicheres Reiseland? Wir haben’s ja schon<br />

immer gewusst! Nein, ich bleibe dabei: Wenn man bestimmte Regionen meidet,<br />

ist Kolumbien, insbesondere das ländliche Kolumbien, ein sicheres Reiseland.<br />

Man sollte nur nicht gerade der unseligen Kombination aus betrügerischem<br />

Norweger und diebischen Insulanern zum Opfer fallen.<br />

Und deshalb darf diese Episode auch nicht die letzte in diesem Reisebericht<br />

sein. Den Abschluss muss die Stadt bilden, die symbolisch für die<br />

Drogengeschichte Kolumbiens steht, der, wie dem ganzen Land, dieser Ruf<br />

immer noch nachhängt, die den Wandel geschafft hat und die Hoffnung und Mut<br />

geben könnte, nicht nur für Kolumbien, sondern für den halben Kontinent:<br />

Medellín.<br />

Nein, Medellín ist keine schöne Stadt. Die Lage ist schön, das ja, in einem lang<br />

gestreckten Tal, mit Bergen außenrum, und mit einem angenehmen Klima<br />

gesegnet. Städtebaulich dagegen hält sich der Reiz in Grenzen. Und deswegen<br />

braucht man auch ein paar Tage, um mit Medellín warm zu werden. Dann aber,<br />

wenn einen die Atmosphäre dieser Zweieinhalb-Millionen-Metropole erfasst<br />

hat, ist man begeistert und möchte am liebsten bleiben. Es ist die Dynamik, die<br />

fasziniert.<br />

Moderne Kunst ist überall, mitten in der Stadt, auf öffentlichen Plätzen, in<br />

Metro-Stationen. Bibliotheken und Museen werden bewusst gerade in einstmals<br />

unsichere Stadtviertel gesetzt, und die unteren drei „Estratos“<br />

(Einkommensschichten) haben freien Eintritt. Eine Seilbahn bildet einen Teil<br />

des öffentlichen Verkehrssystems, kann mit den gleichen Tickets wie die Metro<br />

benutzt werden. Sie führt hinauf in einen Stadtteil, in dem es früher am<br />

helllichten Tag Schießereien in den Straßen gab und die Eltern es kaum wagten,<br />

ihre Kinder allein in die Schule gleich um die Ecke gehen zu lassen. Heute<br />

flanieren Anwohner und Besucher durch die Straßen des Viertels, als hätte es<br />

diese Vergangenheit nie gegeben. Spanien hat bei der Endstation der Seilbahn<br />

eine große Bibliothek gestiftet – es ist kein Zufall, dass sie genau dort steht. Und<br />

diese Einrichtungen werden von den Menschen genutzt, so als wollten sie jeden<br />

47


Tag aufs Neue beweisen, dass der Slogan „Medellín – la más educada“ keine<br />

leeren Worte sind.<br />

Natürlich, Probleme bleiben. Wie in allen großen Städten Kolumbiens ist das<br />

Heer der durch den Bürgerkrieg Entwurzelten unübersehbar. nach dem Sudan<br />

hat Kolumbien die größte Zahl an Flüchtlingen innerhalb des eigenen Landes.<br />

Elendsgestalten, Bettler, Heimatlose, Verwirrte – manche von denen, die hier<br />

durch die Straßen irren, haben Gräuel erlebt, die über das hinausgehen, was ein<br />

Mensch verkraften kann. Guerilla, Militär, am schlimmsten aber die u.a. von<br />

den USA unterstützten Paramilitärs haben mit unvorstellbaren Grausamkeiten<br />

ein Volk traumatisiert. Und dennoch, hier ist eine Stadt, die sich nicht<br />

geschlagen gegeben hat, die sich – auch mit ausländischer Unterstützung, aber<br />

in erster Linie aus eigener Kraft – aus dem Sumpf gezogen hat, die boomende<br />

Industriezweige aufweist, die mittlerweile zu den eher sicheren Metropolen<br />

Südamerikas zählt und bei der Stadtentwicklung „begreifbar“ geworden ist.<br />

Medellín ist das Stadt gewordene Prinzip Hoffnung.<br />

48<br />

Text und Fotos: Manuel Lins


Kolumbianische Splitter<br />

„Si señor“ und „a la orden“: Die Kolumbianer sind nicht nur freundlich,<br />

sondern in ihrer Sprache auch recht förmlich. Man siezt sich – nicht selten<br />

auch noch in der Familie. Wobei es sich für uns schon komisch anhört, wenn<br />

eine Mutter ihre knapp zehnjährige Tochter zurechtweist: „Usted sabe“.<br />

Und was ist das meistangebotene Produkt Kolumbiens? Nein, natürlich nicht<br />

Kokain. Am meisten scheint man Zeit zu verkaufen zu haben. „Minutos“, das<br />

sieht man manchmal fast an jedem zweiten Haus. Wie das? Angeblich kann<br />

man doch Zeit nicht kaufen, und hier gibt’s Minuten für ca. 0,10 ? Na klar,<br />

wie sollte es anders sein in unserer hyperkommunikativen Zeit: Es handelt<br />

sich um Telefonminuten.<br />

Hund und Katze in einträchtiger Siesta. (San Agustín)<br />

49


„Benutzen Sie korrekt die Toilette!“ Manchmal ist dieser Hinweis leider nötig.<br />

„Küsschen von der Braut zu jeder Stunde“. Wie soll man das denn verstehen?<br />

50


Dietrich-Bender-Denkmal in Villa de Leyva<br />

51


Geschäftstüchtig sind sie schon, die Kolumbianer. Hier werden Schatten zum<br />

Verkauf angeboten, zwei Stück für ca. 0,35 Euro. An einem heissen Tag in<br />

Mompós kommt das sehr gelegen.<br />

Original und Metallskulptur: Obstverkäuferinnen in Cartagena<br />

Text und Fotos: Barbara Günther und Manuel Lins<br />

52


La Paz – Salvador – Hanoi und zurück<br />

So, mich haben sie wieder rangekriegt, einen Reiseartikel zu schreiben, obwohl<br />

ich eigentlich gar nicht so viel reise! Aber tatsächlich war ich mit meiner Frau<br />

Bärbel im März mal wieder ziemlich viel unterwegs. Die Reise führte erst nach<br />

Salvador de Bahía in Brasilien (GTZ-Führungskonferenz), von dort nach<br />

Frankfurt und von dort dann gleich weiter nach Vietnam.<br />

Wieso eigentlich Vietnam, das ja nicht gerade ein Nachbarland Boliviens ist?<br />

Die GTZ ist ja bekanntermaßen weltweit tätig, hat also in Vietnam genauso<br />

Programme und Projekte wie in Bolivien. Und diese Programme und Projekte<br />

müssen sich regelmäßig, bevor sie in eine neue Phase verlängert werden, einer<br />

Evaluierung durch externe und interne Gutachter unterziehen. In diesem Fall<br />

war also das Forstprogramm Vietnam fällig, und da der Autor dieser Zeilen in<br />

seinem früheren beruflichen Leben Förster war (und auch als solcher in der<br />

Entwicklungszusammenarbeit tätig), hat man ihm angeboten, die Arbeit der<br />

Kolleginnen und Kollegen am anderen Ende der Welt kritisch unter die Lupe zu<br />

nehmen. Natürlich nicht alleine, es waren noch 2 andere externe Gutachter mit<br />

von der Partie.<br />

Eigentlich war geplant, dass wir (unsere Tochter, meine Frau und ich) diese<br />

Gelegenheit nutzen, um Christiane und Heinz Lauten (er war bis Mai 2007<br />

Kanzler der Deutschen Botschaft in La Paz) in Ho Chi Minh City zu besuchen.<br />

Die Einladung stand seit einem Jahr, aber wer kommt schon aus Bolivien nach<br />

Vietnam zum Urlaub machen? Dann kam es aber doch ganz anders, es fing<br />

schon an mit den Flügen. Dienstlich und am schnellsten fliegt man natürlich mit<br />

der Lufthansa von Frankfurt nach Ho Chi Minh City, das frühere Saigon, und<br />

heute das dicht bevölkerte Finanzzentrum des Landes.<br />

Wenn man aber privat die günstigste Flugverbindung sucht, landet man<br />

unweigerlich bei Qatar Airways, der neuen, komfortablen und preiswerten<br />

Airline, die meist über Doha an alle asiatischen Ecken der Welt fliegt. Frau und<br />

Tochter haben also diese Option genutzt, was letztlich dazu führte, dass wir uns<br />

in Vietnam dann nur an 2 Tagen bei Lautens getroffen haben.<br />

Ich selbst bin nach 13 Stunden Flug und einer Zwischenlandung in Bangkok in<br />

Ho Chi Minh City (HCMC genannt) gelandet, wo Heinz schon auf mich<br />

wartete, um mir mein Ticket für den 1 1/2-stündigen Weiterflug nach Hanoi in<br />

die Hand zu drücken und mir die besten Grüße meiner in seinem Hause<br />

weilenden Familie auszurichten.<br />

Mein Programm, überwiegend im Norden des Landes, war sehr dicht gestrickt:<br />

Kaum war ich in Hanoi gelandet, ging es schon los. Man muss hinzufügen, dass<br />

das Klima in Hanoi ausgesprochen unangenehm ist: entweder ist es kalt und<br />

feucht und es fährt einem in die Knochen, oder aber es ist heiß und feucht, so<br />

dass die Haut permanent von einem feuchten Film überzogen ist.<br />

Gleich am nächsten Morgen ging es los, meine Co-Gutachter waren schon ein<br />

paar Tage im Lande und hatten einen entsprechenden Wissensvorsprung. Bei<br />

den vietnamesischen Partnern dann ein ganz unvermuteter und für bolivianische<br />

53


Verhältnisse ungewohnter Eifer: Es gibt kein Projekt, für das nicht schon vor<br />

Beginn ein fertiger Vertrag mit den Rechten und Pflichten aller Beteiligter<br />

unterschrieben ist! Genauso die Umsetzung der Projektarbeit: Planerfüllung geht<br />

über Prozessorientierung, am liebsten wird Fortschritt ausschließlich in Zahlen<br />

gemessen!<br />

Ich hatte Gelegenheit, mir die praktische Entwicklungszusammenarbeit auch auf<br />

dem Lande anzusehen: der legendäre Ho-Chi-Minh-Pfad führt durch eine der<br />

letzten Naturwälder des Landes (damals durch Agent Orange entlaubt – heute<br />

noch auf tragische Weise an der hohen Zahl körperlich behinderter Menschen<br />

sichtbar!), wenn der Boden für Reis zu schlecht ist, dann wird er aufgeforstet.<br />

Hué, die alte Kaiserstadt an der ehemaligen Grenze zwischen Nord- und<br />

Südvietnam ist heute beliebter Zielort von US-, australischen und europäischen<br />

Touristen. Überhaupt: Der Vietnamkrieg wird hier der „amerikanische Krieg“<br />

genannt. Es scheint keine Bitterkeit mehr gegenüber dem alten Feind zu<br />

herrschen, die Berichterstattung zu den 60er und 70er Jahren ist eher sachlichnüchtern,<br />

viel wichtiger ist es heute, mit dem Westen ins Geschäft zu kommen.<br />

Auffallend ist auch, dass nur sehr wenige Menschen Englisch (oder eine andere<br />

Fremdsprache) sprechen, dementsprechend wird für jedes Meeting ein<br />

Dolmetscher gebraucht. Die Wege, die man zwischen Nord und Süd zurücklegt,<br />

sind enorm, irgendwie ist man immer unterwegs und immer auf jemanden<br />

angewiesen, der Vietnamesisch spricht.<br />

Markt auf vietnamesisch im Mekongdelta<br />

54


An jeder Straßenecke fällt einem der Fließ der Menschen auf: irgendjemand<br />

macht immer irgendwas. Keine Minute und kein Winkel bleiben ungenutzt,<br />

selbst auf den Autobahnkreuzen wird zwischen den Fahrbahnen noch Reis<br />

angebaut. Neben der Fahrbahn dann riesige Reklameschilder für Produkte des<br />

ehemaligen Klassenfeindes, dahinter neue Fabriken der Firmen Canon,<br />

Panasonic und Nike, die händeringend nach Arbeitern suchen. Das Land nennt<br />

sich „sozialistisch“, geht inzwischen aber durchaus den turbokapitalistischen<br />

Weg des großen (und nicht sehr beliebten) Nachbarn China.<br />

Straßenszene in Ho Chi Minh Stadt<br />

Auf der Straße selbst dann ein für unsere Augen ganz ungewohntes Bild: Es<br />

kommen einem (ohne zu übertreiben) mehrere Hundert Motorroller entgegen,<br />

neben dem Auto, in dem man sitzt, surren auf beiden Seiten ebenfalls Roller in<br />

jeweils 2 – 3 Reihen und hinter einem dann noch mal dieselbe Hundertschaft an<br />

Zweirädern. Irgendwie scheinen Kollisionen immer in letzter Minute vermieden<br />

zu werden, und alle (!) tragen seit Januar 2008 einen Helm – wer ohne fährt,<br />

wird empfindlich bestraft!<br />

55


Auch die deutsche Politik entdeckt Vietnam<br />

Hanoi ist im Gegensatz zu HCMC noch ein relativ beschauliches Städtchen mit<br />

alten Vierteln, die ihren Reiz und ihre Ruhe haben. Die Kriminalität ist sehr<br />

gering, und an jeder Ecke wird irgendetwas gekocht und gegessen. Wie anders<br />

ist da der Moloch im Süden: die Zahl der Motorroller beläuft sich auf das<br />

Tausendfache der Hauptstadt, die Luft ist fast immer feucht-heiß, und die Preise<br />

sind ebenfalls höher! Wie gesagt, mir blieben nur 2 Tage, um zu Lautens und zu<br />

meiner Familie zu stoßen. Meine Frauen hatten da schon eine 3-Tagestour durch<br />

das Mekong-Delta hinter sich, alles sehr einfach (so einfach, dass in den Hotels<br />

teilweise die Toiletten fehlten und die Bettbezüge noch vom Vor-Vorgänger<br />

waren), aber wohl trotzdem spannend und sehenswert.<br />

Was kaum zu glauben ist: Preislich unterbietet Vietnam Bolivien durchaus,<br />

Essen, Kleidung, Dienstleistungen, alles noch mal deutlich billiger als hier!<br />

Aber irgendwie ist die Hektik des Landes und vor allem seiner Städte für<br />

jemanden, der aus dem Altiplano kommt, sehr gewöhnungsbedürftig. Alles<br />

spielt sich in großer Eile ab, der Arbeitsalltag scheint ein einziger Kampf gegen<br />

Zeit und Geld zu sein. Ich denke, ich bin ganz froh, dass es mich nicht in diesen<br />

Teil der Welt verschlagen hat!<br />

Aber eine Reise wert, das ist dieses große Land mit seinen freundlichen<br />

Menschen alle Mal!<br />

Text und Fotos: Bärbel Homola-Weber und Martin Homola<br />

56


Schlafen im Backofen ???<br />

Nach langer Copacabana-Abstinenz haben wir vor kurzem erneut ein<br />

Wochenende dort verbracht. Den Kindern haben wir vorher erzählt, dass wir<br />

diesmal in einem „Horno“ (Backofen) übernachten werden. Beide Kinder waren<br />

nach anfänglichen Zweifeln total begeistert und haben sich bildlich ausgemalt,<br />

wie wir uns wohl alle vier zum Schlafen in einen Backofen quetschen werden.<br />

Das Hostal mit dem vermeintlichen „Backofen“ links<br />

Übernachtet haben wir mit Freunden im Hostal „Las Olas“ in Copacabana,<br />

welches sich auf dem sehr gepflegten Gelände des Hostals „La Cupula“<br />

befindet. Bei einem Hostal denke ich spontan an einen Schlafsaal und ein<br />

Gemeinschaftsbad. Insofern ist der Name „Hostal Las Olas“ mehr als<br />

irreführend und sicher ganz und gar nicht angemessen. Es handelt sich bei den<br />

vier Cabañas (Hütten) um individuell und mit sehr viel Liebe zum Detail<br />

eingerichtete Häuschen, die alle einen traumhaften Seeblick bieten und aus<br />

meiner Sicht die mit großem Abstand schönsten Unterkünfte in Copacabana<br />

sind. Die Hausseite Richtung Titicacasee ist bei allen vier Cabañas jeweils voll<br />

verglast. Eco-Lodge wäre also bestimmt die treffendere Bezeichnung für die<br />

vier Unterkünfte, die jeweils Platz für bis zu vier Personen bieten.<br />

Hauptattraktion ist für mich die Suite Nr. 4 – „El Horno“ – eine Cabaña in<br />

extravagantem Baustil, die wie ein Backofen aussieht. Nicht nur das Bett ist<br />

57


und – auch die angenehm harte Matratze und die Bettdecke wurden auf dieses<br />

Format zugeschnitten. Auch die Küchenzeile und das originelle Bad wurden von<br />

Künstlerhand entworfen.<br />

Der Besitzer, Martin Strätker, hat in Deutschland Kunst studiert und sich mit der<br />

Hotelanlage einen Lebenstraum erfüllt. Er führt das Hostal „La Cupula“ seit 12<br />

Jahren und hat die vier Suiten des Hostals „Las Olas“ 2006 bzw. 2007<br />

fertiggestellt.<br />

Comida frugal<br />

Das Essen im Hostal „La Cupula“ ist schmackhaft – es gab zum Beispiel<br />

Moussaka, Gulasch mit Gnocci und leckere Pfannkuchen.<br />

Was kann man in Copacabana unternehmen, wenn man nicht das ganze<br />

Wochenende von der Cabaña aus auf den Lago Titicaca schauen möchte?<br />

Die Basilika Virgen de Copacabana ist sehenswert, in der Bucht kann man<br />

rudern oder Tretboot fahren und auch die Besteigung des „Cerro Calvario“ mit<br />

einem tollen Blick auf die Bucht lohnt sich.<br />

Wir sind mit einem Boot zur Mondinsel gefahren und haben uns die Ruinen aus<br />

der Inkazeit angeschaut. Von dort aus ging es dann weiter zur Sonneninsel, wo<br />

wir in einem kleinen, ungefähr 20 Meter oberhalb des Sees gelegenen,<br />

Restaurant direkt neben den Ruinen von Pilcacoaina ein landestypisches Aptapi<br />

mit traumhaftem Blick auf den See und die Mondinsel genossen haben. Es gab<br />

verschiedene Kartoffelarten, Mais, Eier, Hühnchen sowie gegrillte Trucha und<br />

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frittierte Minifische. Wenn man in diesem Restaurant essen möchte, empfiehlt<br />

sich eine vorherige Reservierung bei dem Besitzer Gonzalo (Mobiltelefon: 712-<br />

81710), der auch sein zweimotoriges Boot vermietet. Der Kapitän Norberto war<br />

sehr freundlich und zudem flexibel genug, auf alle Wünsche der 16-köpfigen<br />

Reisegruppe und unseren Zeitplan einzugehen.<br />

Nach einem einstündigen Spaziergang von den Ruinen zur Inkatreppe und zum<br />

Inkabrunnen ging es mit dem Boot wieder zurück nach Copacabana.<br />

Diejenigen von uns, die nach dem anstrengenden Ausflug noch laufen konnten,<br />

haben sich den Sonnenuntergang von der Spitze des Calvario-Berges<br />

angeschaut. Vom „Horca del Inca“ – einem anderen Hügel, soll man einen<br />

ebenso schönen Blick haben – nur dass dort deutlich weniger Menschen das<br />

Vergnügen mit einem teilen.<br />

Vielleicht wäre das ja auch etwas für Sie, wenn Ihnen in La Paz die Decke auf<br />

den Kopf fällt und Sie wieder einmal ein Wochenende in einem richtig schönen<br />

Hotel zubringen möchten.<br />

Infos und Bilder zum Hostal „Las Olas“ finden Sie unter<br />

www.hostallasolas.com (Kontakt: Rezeptionist Benjamin - Tel. 725-08668 &<br />

286-22112).<br />

59<br />

Text und Fotos: Andreas Langenstein


Wasser für die Dörfer bei Camargo<br />

Hier kommt der 2. Teil meines Camargo-Berichtes. Diesmal geht es um die<br />

Wassserprojekte selbst:<br />

Ich nehme als Beispiel Tabla Cruz, wo wir 5 Tage verbrachten. Die Gemeinde<br />

liegt ca. 1 Jeep-Stunden von Camargo entfernt, auf 3500 bis ca. 4000m Höhe.<br />

Es ist eine der vielen Landgemeinden, deren Häuser weit verstreut liegen. Das<br />

"Zentrum", bestehend aus Kirche mit Sakristei, Schule mit Küche,<br />

Lehrerwohnung und 2 Nebenräumen für Schulmaterial liegt einsam in der<br />

Landschaft. Die allernächsten zu dieser Gemeinde gehörenden Häuser sind 1/2<br />

Std. Fußmarsch entfernt. Die weitesten 3-4 Stunden. Die Schule beginnt deshalb<br />

auch erst um 9.30 Uhr. Die Kinder gehen jeden Tag viele Stunden, um zur<br />

Schule zu kommen.<br />

Das Zentrum von Tabla Cruz liegt einsam in der Landschaft<br />

Allerdings, ehrlich gesagt, in Deutschland verbringen viele Leute auf ihrem Weg<br />

zur Arbeit viele Stunden in S-Bahnen, U-Bahnen, Bussen, oder im Auto im<br />

Stau. Ich würde Wanderungen durch herrliche Landschaft dem vorziehen, zumal<br />

es hier auch nur selten regnet (was für diese Region ja das große Problem ist).<br />

Dieses Zentrum von Tabla Cruz hat Strom aus einer Solarzelle und fließendes<br />

Wasser, es ging uns also sehr gut hier.<br />

Die Hanne hat das letztes Mal ein paar Wochen in einer noch weit<br />

abgelegeneren Gemeinde gewohnt, die damals noch kein fließendes Wasser<br />

60


hatte, sie musste mit 2 l Wasser am Tag auskommen. Die Leute konnten sich<br />

natürlich auch nicht waschen und hatten jede Menge " Bichos".<br />

Wir jedenfalls hatten es super- gemütlich hier, wir wohnten in der Sakristei, die<br />

verputzte Wände hat, und schliefen auf einer dicken Turnmatte, die war bequem<br />

wie ein Futon.<br />

Hanne lässt sich die Pläne für ein neues Projekt erklären<br />

Als wir ankamen, war gerade " Müttertag". Es waren ein Arzt, ein Zahnarzt und<br />

eine Krankenschwester aus Camargo gekommen, die die Kinder untersuchten,<br />

und behandelten. Als Untersuchungszimmer diente die Kirche, im Bogen des<br />

Portals war die Waage aufgehängt.<br />

Wir richteten uns die Sakristei gemütlich ein und machten uns auf einen ersten<br />

Spaziergang durch diese wunderschöne, interessante Gegend, mit weiten<br />

Ausblicken. Alles altes Kulturland.<br />

Wir gingen zu den nächstgelegenen Häusern, ca. eine halbe Stunde entfernt. Es<br />

ist eine Siedlung mit 4 Häusern, die Bewohner sind alle miteinander verwandt.<br />

Und alle haben erst ganz kürzlich einen eigenen Wasserhahn mit klarem,<br />

sauberem Wasser, direkt vorm Haus erhalten. Und das ist eine riesige<br />

Verbesserung der Lebensqualität, denn vorher mussten sie das Wasser aus dem<br />

nächstgelegenen Bächlein holen, und ganz davon abgesehen, dass es in der<br />

Trockenzeit sowieso nicht viel ist, es ist trübe und durch die Tiere, die auch<br />

davon leben müssen, verunreinigt.<br />

Ich werde jetzt mal erklären, wie das mit den Wasserprojekten funktioniert:<br />

61


Die Leute dort müssen als erstes selbst schauen, wo es Wasser gibt. Das ist oft<br />

in "Quebradas", oder an anderen Stellen, wo es feucht ist.<br />

Die Hanne kann Wasser mit der Wünschelrute finden, und auch verfolgen, wo<br />

die Wasseradern laufen. Und sie lernt auch Leute von dort an, wenn sie merkt,<br />

dass sie auch diese Begabung haben.<br />

Um direkt zum Quellchen zu kommen, müssen dann alle Erde, Steine,<br />

Vegetation weggeräumt werden. Dann kann die "Toma" (Entnahmestelle)<br />

gefasst, und mit einem zugedeckten Becken versehen werden. Von dort aus läuft<br />

das Wasser in Plastikrohren zu einer Stelle, wo es durch Ziegelsteine mit kleinen<br />

Löchern gefiltert und somit von groben Verunreinigungen befreit, wird. Dieser<br />

Filter muss von einer festgelegten verantwortlichen Person jeden Monat von<br />

Wurzeln und Pflanzenteilen gereinigt werden.<br />

Dann läuft das Wasser weiter bis zu einem großen Sammeltank mit ca. 2500l.<br />

Und von dort aus wird es an die einzelnen (ca. 3 - 6) Häuser verteilt.<br />

Die Wasserentnahmestelle ist oft mehrere hundert Meter, teilweise sogar einige<br />

Kilometer von den Häusern weg.<br />

Wenn der Tank voll ist, wird das Wasser in einem Überlaufbecken gesammelt<br />

und zum Bewässern der Gärten und Felder genommen.<br />

Freude über eine ganz neue Wasserstelle<br />

Eine solche Einheit, die 3 - 6 Häuser versorgt kostet ca. 2500 - 5000 US$. Dabei<br />

ist alles mitgerechnet, auch die Arbeitsstunden, die die Bewohner selbst leisten<br />

müssen. Das Geld kommt zum Teil aus Spenden und zum Teil auch vom Staat.<br />

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2 Ingenieure aus der Gegend leiten diese Projekte. Und es sind viele, die in den<br />

letzten Jahren durch die Initiative und Hilfe von der Pfarrei von Padre Otto und<br />

Hanne Atzinger Wasser bekommen haben.<br />

Es gibt dort überall solche Gemeinden wie Tabla Cruz, deren Häuschen weit<br />

verstreut liegen, ohne Straßenzugang. Im Fall von Tabla Cruz gibt es eine<br />

Erdstraße bis zum Zentrum (wo Kirche und Schule sind), danach nur noch Esel-<br />

und Fußwege. Ich hab es leider nicht gesehen, aber mir wurde erzählt, dass die<br />

riesigen 2500l Sammeltanks auf 2 Stangen gebunden werden und von 2 Leuten<br />

stundenlang auf den Schultern bis zu ihrem Zielpunkt getragen werden.<br />

Sie sehen ja schon hübsch aus, diese Siedlungen aus Adobehäuschen, mit<br />

Zweigen und Paja brava gedeckt, mit ihren Nebengebäuden (Küche,<br />

Vorratshäuschen), Ställen und dem runden Dreschplatz, wo je nach Bedarf die<br />

Gerste mit Hilfe von Eseln gedroschen wird. Alles ganz ordentlich aufgeräumt.<br />

In den Gras- Dächern und in den Ritzen der unverputzten Häuser allerdings<br />

nisten jede Menge Ungeziefer, Spinnen, kleine Schlangen und Vinchucas, die<br />

die Chagaskrankheit übertragen.<br />

Auch der „Abuelo“ hat jetzt seinen eigenen Wasserhahn<br />

Früher kannte ich das aus dem Freilichtmuseum, das waren die ganz alten<br />

Hütten, von ganz, ganz früher. In Deutschland ist das schon sooo lange her und<br />

ich hätte mir nicht vorstellen können, dass es heutzutage noch Leute gibt - und<br />

ich glaube es gibt auf der Welt nicht wenige- die so leben.<br />

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Die Bauern hier bauen Gerste, Mais, Kartoffeln, Habas und Erbsen an, haben<br />

Hühner, Esel, Ziegen, einige haben auch Kühe. Und natürlich Hunde und<br />

Katzen.<br />

Sie haben Zugang zu ärztlicher Versorgung und zu Schulbildung. Und sie sind<br />

dabei, immer mehr mit dem Auto befahrbare Straßen zu bauen. An einigen<br />

Stellen sieht man, dass sie selbst schon damit angefangen haben.<br />

Das schlimme ist die Trockenheit in dieser Gegend. Wenn es im Dezember zu<br />

regnen beginnt, werden die Felder bestellt. Und dann beginnt das bange Hoffen,<br />

das der Regen nicht wieder aufhört. Denn sonst vertrocknet alles, und kann nur<br />

noch ausgerissen und an die Tiere verfüttert werden.<br />

Aber dieses Leben, so hart es auch ist, hat auch Vorteile. Die Menschen dort<br />

sind es gewöhnt und sie sind nicht unglücklich.<br />

Eines der ganz guten Dinge ist die Zusammengehörigkeit innerhalb der<br />

Familien. Immer, wenn man Kinder beobachtet, wird man feststellen, dass sie<br />

ganz liebevoll miteinander spielen und für ihre kleinen Geschwister sorgen.<br />

Wenn jemand in Not gerät, gibt es Familienangehörige, an die er sich wenden<br />

kann. Gemeinsam werden Feste gefeiert. Die Strukturen und Regeln des<br />

Zusammenlebens sind hier noch intakt, und wir hoffen, dass der Zugang zu<br />

genügend sauberem Wasser sie davor bewahrt, in die Anonymität einer<br />

Großstadt auszuwandern.<br />

Text und Fotos: Barbara Günther<br />

64


Festakt und Kermesse zum 85. Geburtstag der DS La Paz<br />

Vertreter der Deutschen Botschaft, des Centro Cultural Alemán und der<br />

Schulleitung beim Festakt<br />

Gewohnt rüstig präsentierte sich die inzwischen bereits 85 Jahre alte Deutsche<br />

Schule La Paz zu ihrem Geburtstag. Wie immer sorgten das Programm, die<br />

Musikgruppen (darunter dieses Mal auch die Lehrerband unter ihrem neuen<br />

Leiter Roland Gack), das gute Essen, „Kaffeekuchen“ und die Verlosung<br />

attraktiver Preise dafür, dass sich die wieder einmal äußerst zahlreich<br />

erschienenen Besucher in netter Gesellschaft wohl fühlten.<br />

Und auch diesmal beteiligte sich eine große Lehrergruppe am Programm und<br />

führte – sehr zur Freude der anwesenden SchülerInnen, Eltern und Ehemaligen –<br />

ein Potpourri aus (seit kurzem autonomen) Tänzen aus dem Departamento Santa<br />

Cruz auf.<br />

65


Lehrertanz 2008<br />

Auch hinsichtlich der vor einem Jahr an dieser Stelle kritisierten<br />

Müllbehandlung hat sich etwas getan. Zwar haben noch nicht alle Besucher das<br />

System der Mülltrennung so ganz verstanden und befolgt, aber immerhin<br />

wurden in diesem Jahr etliche Hundert Plastikflaschen (und auch einiges an<br />

Glasflaschen von der Viejoteca) dem gemeinen Müll entrissen und einem<br />

sinnvollen Recycling zugeführt. Ein Anfang ist gemacht.<br />

66<br />

Fotos: Helmut Raffel und Manuel Lins<br />

Text: Manuel Lins


Jahresempfang des <strong>CCA</strong><br />

In lange gepflegter Tradition versammelten sich auch in diesem Jahr die<br />

Mitglieder der Deutschen Kulturgemeinschaft und deren Angehörige und<br />

Freunde im Deutschen Club zum Jahresempfang.<br />

Nach einleitenden Worten des <strong>CCA</strong>-Präsidenten Jens Heymert widmeten sich<br />

die Anwesenden anregenden Gesprächen und gutem Essen, sowie der Musik der<br />

Lehrerband der Deutschen Schule. Das Wetter spielte auch hervorragend mit,<br />

sodass es ein rundum gelungener Tag wurde.<br />

Während der Eröffnungsansprache von Jens Heymert<br />

Die Lehrerband der Deutschen Schule unter Leitung von Roland Gack<br />

Fotos: Manuel Lins<br />

67


Ein Kindergarten auf Weltreise<br />

Wenn unser Kindergarten auf Weltreise geht, dann nimmt er auch wirklich alles<br />

mit. Viel war am 31. Mai von seinem ursprünglichen Zustand nicht mehr zu<br />

sehen. Mit einer fast unheimlich wirkenden Begeisterung, faszinierender<br />

Kreativität und großer Liebe zum Detail hatten Erzieherinnen und Erzieher seit<br />

Monaten die Reise ihrer Kinder nach Japan und Mexiko, Bolivien und<br />

Deutschland, Ägypten und in die USA vorbereitet. Mit seinem persönlichen<br />

Reisepass konnte jedes Kind die sechs Länder besuchen, landestypische Sitten<br />

und Bräuche kennen lernen, Spiele ausprobieren, verschiedene Aufgaben lösen,<br />

sich für die nächste Reise stärken, in die Gegenwart und Vergangenheit eines<br />

Landes eintauchen.<br />

Bleibt zu hoffen und zu wünschen, dass Kinder, Eltern, Omas und Opas noch<br />

lange von ihren Reiseerlebnissen schwärmen werden. Feste wie diese kann man<br />

nicht verordnen. Nur ein Engagement, das aus dem Herzen kommt, kann die<br />

Herzen der Kinder erreichen. Dafür sei allen, und auch das auf das Herzlichste,<br />

gedankt.<br />

Mexiko<br />

68


Bolivien ohne Zappo? Geht nicht!<br />

In Deutschland an der Ostsee<br />

69<br />

Fotos und Text: Susanne Preiss


Projektwoche 2008-ein Beispiel<br />

Oh, Projektwoche, das ist immer sehr anstrengend, aber auch sehr interessant.<br />

Anstrengend? Na klar, alle „Nichtlehrer“ denken immer, dass wir uns nur<br />

ausruhen und mittags zuhause sind und dann die Beine locker vom Sofa hängen<br />

lassen. Aber das stimmt natürlich weder im normalen Schulalltag noch in einer<br />

Projektwoche. Aber dieses Thema werde ich mal lieber nicht intensiver<br />

betrachten.<br />

Die Herausforderung einer Projektwoche liegt darin, dass man ein Thema finden<br />

muss, welches die Schüler so interessiert, dass sie bereit sind eine Woche täglich<br />

6 Stunden daran zu arbeiten und dass man es jeden Tag von Neuem schaffen<br />

muss, die Schüler zu motivieren. Wir naturwissenschaftlichen Lehrer haben uns<br />

vorgenommen, das Thema „Umwelt“ im weitesten Sinne in den Mittelpunkt der<br />

Projektwoche zu stellen. Ich habe mich dann dazu durchgerungen, das Thema<br />

„Kochen ohne Feuer und ohne Strom“ anzubieten. 10 nette Jungen der 7.<br />

Klasse haben also mit mir gemeinsam dieses Thema bearbeitet. So galt es erst<br />

die Fragen zu klären: „Warum kochen ohne Feuer, ohne Strom?“ und „Wie soll<br />

das gehen?“<br />

„Was machen wir in den 5 Tagen?“<br />

In einer Diskussionsrunde stellte sich heraus, dass die Kinder schon einige<br />

Schlagworte wie „globale Erderwärmung“, „Umweltverschmutzung“,<br />

„Umweltkatastrophen“ und „Energiesparen“ gehört haben, aber was es so<br />

richtig bedeutet und was man heute schon auf der Welt davon merkt, das war<br />

vielen noch nicht bewusst. Ein paar Tage vor der Projektwoche gab es gerade<br />

diese schreckliche Sturmkatastrophe in Bali. Davon hatte nicht einer der Schüler<br />

etwas gewusst. Mir wurde in der guten Gesprächsrunde bewusst, wie wichtig es<br />

ist, dass wir die Kinder in dieses Thema einbeziehen, wer, wenn nicht sie, kann<br />

unsere Erde in den nächsten Jahren beschützen. Während dieser Diskussion<br />

haben sie dann schon erkannt, dass man auch hier in Bolivien und auch in La<br />

Paz die Folgen der Umweltverschmutzung und der globalen Erwärmung spürt.<br />

So berichtete ein Schüler, wie innerhalb von zwei Jahren der Gletscher des<br />

Huyna Potosi abgeschmolzen ist, die Schüler haben die Verbindung zu den<br />

vielen Überschwemmungen im Beni erkannt ... Und zum Schluss haben<br />

natürlich auch alle eine Beziehung zu unserem Thema „ Kochen ohne Feuer“<br />

gefunden. Nach einer kurzen Recherche im Internet haben wir dann auch zwei<br />

Möglichkeiten entdeckt, die Kochkiste und den Parabolspiegel. Natürlich hatten<br />

wir nicht das Material, um alles so zu bauen, wie im Internet beschrieben, aber<br />

an die Kochkiste haben wir uns herangewagt.<br />

So haben die Jungs in der Tischlerei des Kinderdorfes „Aldea Alalei“<br />

Kochkisten gebaut. An dieser Stelle ein Dank an Jens Georgi, meinen Mann,<br />

dass er mit viel Geduld und Engagement das Bauen der Kisten ermöglicht hat.<br />

Darin zeigt sich der Vorteil einer Projektwoche. Die Jungs haben mit einer<br />

Kreissäge und einer Abrichte gearbeitet, haben gelernt, dass man erst planen und<br />

rechnen muss, bevor man anfängt, sonst reicht das Material nicht, haben<br />

70


gestrichen und waren doch sehr überrascht, wie lange so etwas dauert. Und ganz<br />

nebenbei haben sie auch noch die Lebensverhältnisse von Kindern kennen<br />

gelernt, die nicht so viel Glück im Leben haben wie sie.<br />

Am nächsten Tag ging es dann ans Ausprobieren der Kisten. Wir hatten ja<br />

verschiedene Kisten, welche, die sehr gut gelungen waren, einige mit ein paar<br />

Löchern und eine etwas größere, die doppelwandig war, damit man noch ein<br />

Luftpolster als Isolierung hat. Es wurden verschiedene Experimente gemacht:<br />

Erwärmt sich das Wasser in einem schwarzen Glas in der Kiste schneller als in<br />

einem durchsichtigen? (Das Experiment sagt eindeutig nein.) Bringen<br />

zusätzlich angebrachte Reflektoren etwas; hilft die Isolierung der großen Kiste?<br />

Durch regelmäßige Temperaturmessungen stellte sich ganz deutlich heraus, dass<br />

die Reflektoren sehr wichtig sind und die isolierte Kiste eindeutig die beste<br />

Kiste war. Zusätzlich hatten wir 2-Liter Wasserflaschen schwarz angestrichen<br />

und auch mit in die Sonne gestellt. Es war für uns alle sehr erstaunlich, dass das<br />

Wasser in diesen Flaschen sich sehr schnell erwärmte. Es ist wirklich so, wenn<br />

man als Familie morgens vor dem Verlassen des Hauses 10-20 solcher mit<br />

Wasser gefüllter Flaschen in den Garten stellen würde, hätte man schon um 11<br />

Uhr genug heißes Wasser, um den Abwasch zu machen. Die ganze Familie<br />

könnte sich während des Tages mit diesem heißen Wasser die Hände waschen u.<br />

v. m. Hier in La Paz lohnt es sich wirklich. Bei der Präsentation am letzten<br />

Projekttag hat eine Mutter uns erzählt, dass ihre Familie das jeden Tag<br />

praktiziert. Wenn das viele Familien machen würden, könnte man wirklich viel<br />

Elektroenergie sparen und in La Paz könnte man so das Wasser ohne Probleme<br />

erhitzen (nach 2 Std. hatte das Wasser 48 Grad Celsius / nach 4 Std. fast 60<br />

Grad Celsius).<br />

Mit unseren Kochkisten konnten wir nicht wirklich kochen, aber die<br />

Lebensmittel erwärmen (ca. 50° bei den einwandigen Kisten, ca. 75° bei der<br />

doppelwandigen). Ein Besucher der Präsentation gab uns den Hinweis, dass man<br />

die Lebensmittel besser ohne Wasser erwärmt und er hatte sehr Recht, es geht<br />

viel schneller. Baut man eine professionelle Kochkiste, dann kann man sehr<br />

wohl darin kochen, aber man muss seine Kochgewohnheiten stark umstellen,<br />

denn es gart sehr langsam, dafür aber viel gesünder!!! Die Vitamine bleiben<br />

erhalten.<br />

Der 2. große Höhepunkt in der Projektwoche war der Besuch der FUNDACIÒN<br />

LA PAZ. Hier wird in der Ausbildungswerkstatt der Parabolspiegelkocher<br />

hergestellt. Es war wirklich ein toller Vormittag. Die Jungs waren rund herum<br />

beeindruckt. Einer der Jungen, die in dieser Werkstatt eine 10-monatige<br />

Ausbildung in der Metallverarbeitung erhalten, erzählte von seinem ehemaligen<br />

Leben auf der Straße und der neuen Chance für seine Zukunft durch die<br />

Unterstützung der Fundación und diese gute Ausbildung. Ja, das stimmte unsere<br />

Jungs doch ziemlich nachdenklich. Stolz hat man uns dann auch einige selbst<br />

bearbeitete Ausbildungsstücke gezeigt. Und die ganze Ausbildungsgruppe hat<br />

uns auf der Dachterrasse erwartet - mit dem aufgebauten Parabolspiegelkocher,<br />

den sie nach einem Muster aus Deutschland konstruiert hatten. Das Wasser in<br />

71


einem riesigen Topf kochte schon und so haben sie für uns eine Erbsensuppe mit<br />

Bockwurst gekocht und alles zum Parabolspiegelkocher erklärt. So kann man je<br />

nach Wunsch die Brennweite durch die unterschiedliche Biegung der Lamellen<br />

aus überzogenem Blech sehr einfach verändern. Der Spiegel muss ca. alle 15<br />

Minuten etwas der Sonne entgegen gerichtet werden, dazu gibt es eine kleine<br />

Schattenanzeigenadel. Die Kosten zur Anschaffung eines solchen Spiegels<br />

betragen 400 Dollar. Wir haben uns vorgestellt, dass dies auch ein toller<br />

Grillersatz für eine Familie sein könnte, denn alle können rings herum sitzen,<br />

sich unerhalten, spielen und singen und die Suppe koch ohne Qualm langsam<br />

vor sich hin. Uns hat es super gefallen und auch geschmeckt. Also wer Lust hat,<br />

sollte mal an einen solchen Grillersatz denken.<br />

Leider konnten sie noch keinen von diesen Kochern verkaufen, weil er für die<br />

Leute auf dem Lande zu teuer ist, einige internationale Organisationen vor 5<br />

Jahren diese Kocher auf dem Land verschenkt haben und weil die Benutzung<br />

des Kochers auch die Umstellung der Kochgewohnheiten bedeutet und immer,<br />

wenn es um die Umstellung von Gewohnheiten geht, dann tun wir Menschen<br />

uns sehr schwer, auch wenn wir wissen, dass wir endlich mal anfangen müssen<br />

etwas zu tun, um die globale Erwärmung der Erde zu verlangsamen. Und es<br />

reicht auch nicht, nur zu warten, bis Regierungen und Industrie etwas machen.<br />

Wir müssen bei uns anfangen.<br />

Zum Abschluss möchte ich DANKE sagen, an die Mitarbeiter der Fundación La<br />

Paz.<br />

Sie haben zum Abschluss des Tages dann sogar noch eines ihrer<br />

Ausbildungsstücke, einen schönen Briefbeschwerer, unter den 10 Jungs verlost.<br />

Holzarbeiten für den Kochkistenbau<br />

72


Eine der Kochkisten im Praxistest<br />

Solartechnik „Made in Germany“ aus Bolivien<br />

73<br />

Text und Fotos: Bärbel Georgi


Tropische Gletscher – Paläoklima Boliviens<br />

Exkursion zum Chacaltaya im Rahmen der Projektwoche der Deutschen<br />

Schule La Paz<br />

Anlässlich unseres Projektthemas „Treibhauseffekt“ hatte ich mit meiner<br />

Schülergruppe und einigen Lehrern für den 8. Mai eine Exkursion zum<br />

Chacaltaya geplant, um die Folgen des Klimawandels praxisnah zu erleben.<br />

Begleitet wurden wir von Dr. Edson Ramirez, der in der UMSA am Institut für<br />

Hydrologie arbeitet und forscht. Dr. Ramirez ist Ingenieur und hat in Paris in<br />

Glaziologie und Klimatologie promoviert. Er ist einer der führenden<br />

Gletscherforscher Boliviens und koordiniert derzeit ein internationales<br />

Monitoring-Projekt der Gletscher der südamerikanischen Anden. Herr Ramirez<br />

erklärte uns sehr anschaulich die Entwicklung des Chacaltaya-Gletschers und<br />

die resultierenden Folgen.<br />

Der Gletscher 1994<br />

74


Der Gletscher 2005<br />

Jeder Besucher des Refugios des Club Andinos am Chacaltaya kann das Foto<br />

von 1940 bewundern, auf dem der Chacaltaya-Gletscher bis einige Hundert<br />

Meter unter die Schutzhütte reichte und eine Dicke bis zu 70 m (!!) besaß. Ein<br />

Foto von 1980 zeigt, dass der Gletscher bis zu diesem Zeitpunkt kaum<br />

zurückgegangen war. Seitdem hat der Gletscher jedoch einen „Sprung“ nach<br />

oben gemacht: Es gibt noch eine Spur von Eis auf der Höhe des Refugios,<br />

ansonsten hat sich die Bergseite des Refugios in einen braunen Geröllhang<br />

verwandelt, der durch einige Flecken temporären Schnees weiß gesprenkelt ist.<br />

Tropische Gletscher<br />

Die Gletscher der bolivianischen Anden gehören zu den so genannten<br />

„tropischen Gletschern“, da sie nahe am Äquator liegen. Im Unterschied zu den<br />

Gletschern der höheren Breiten, z.B. Europas, weisen sie eine Besonderheit auf:<br />

In Europa wachsen die Gletscher im Winter, wenn Niederschlag fällt. In<br />

Bolivien fällt der Niederschlag jedoch im Sommer, wenn die<br />

Sonneneinstrahlung maximale Intensität besitzt und es relativ warm wird. Die<br />

Regenerierung des Gletschers ist hier schwieriger und sehr empfindlich an<br />

Temperatur, Bewölkungsgrad, Feuchtigkeit und andere Parameter geknüpft. So<br />

eignen sich tropische Gletscher hervorragend, um Einblicke in die klimatische<br />

Vergangenheit einer Region zu geben. Im Vergleich zu Europa schmelzen sie<br />

75


wesentlich schneller ab – in Südamerika ist das von Patagonien bis Kolumbien<br />

zu beobachten.<br />

Zurück zum Chacaltaya: Woher kommt der plötzliche Rückgang, der seit den<br />

80er Jahren zu beobachten ist?<br />

1) Der Klimawandel hat zwischen 1950 und 2000 einen Temperaturanstieg von<br />

0,5 Grad bewirkt.<br />

2) Das El Nino-Phänomen bringt hohe Niederschläge an der südamerikanischen<br />

Pazifikküste, aber Trockenheit für den Altiplano. Herr Ramirez erklärte uns,<br />

dass es das Phänomen schon immer gegeben habe, dass es aber in den letzten<br />

Jahrzehnten viel häufiger geworden sei. Und: Trockenheit bedeutet<br />

Gletscherschwund.<br />

Das Paläoklima Boliviens<br />

Mit einer kleinen Schülergruppe hatte ich nach Daten der klimatischen<br />

Geschichte Boliviens gesucht, allerdings ohne allzu großen Erfolg. Von Salar-<br />

Reisen wusste ich nur, dass sich früher am Ort der heutigen Uyuni-, Coipasa-<br />

Salzpfanne und des Lago Popoo ein großer See namens Tauca erstreckte. Das<br />

erkennt man heute noch an horizontalen Bändern, die sich terassenartig über<br />

einige Inseln im Salar erstrecken und den damaligen Seespiegel zeigen.<br />

Vor 15000 Jahren lag der Seespiegel des Lago Tauca 70 m höher als die heutige<br />

Oberfläche des Salar de Uyuni.<br />

Anhand von Eisbohrungen in den Gletschern des Sajama fand man, dass es vor<br />

18000 bis vor 11000 Jahren eine Eiszeit in Bolivien gab, die generell kühleres<br />

und feuchteres Klima mit sich brachte. Dr. Ramirez und sein Team machten<br />

auch Bohrungen am Süd-Gipfel des Illimani, die über das Klima des Amazonas-<br />

Tieflandes informieren, da die aufsteigende Feuchtigkeit des Amazonasgebiets<br />

für die Gletscher der Cordillera Real verantwortlich ist. Demnach muss es auch<br />

im Tiefland wesentlich feuchter und kühler als heute gewesen sein. Diese<br />

Eiszeit fand in nur ganz wenigen Jahrzehnten ein Ende.<br />

Im 17. Jahrhundert gab es noch einmal einen Temperatureinbruch, der im<br />

Zusammenhang mit der Sonnenaktivität stand. Interessant waren die<br />

Konsequenzen für die Zivilisationen Altamerikas. Laut Ramirez schwand das<br />

Vertrauen der Bevölkerung in die Priester-Herrscher, die ja den direkten<br />

Kontakt zu den Göttern und den Naturgewalten hatten. Die Zahl der Opferungen<br />

nahm zu, insbesondere auch der von den Inka durchgeführten Kindsopfer auf<br />

verschiedenen andinen Gipfeln. Es kam zu nachhaltigen gesellschaftlichen<br />

Verwerfungen.<br />

76


Die zukünftige Wasserversorgung Boliviens<br />

Dr. Ramirez erklärte uns, dass man sich einen Gletscher wie einen Schwamm<br />

vorstellen kann. Niederschläge werden „aufgesogen“ und zu einem späteren<br />

Zeitpunkt allmählich abgegeben. Wenn die Prognosen des IPCC (Weltklimarat<br />

der UN) stimmen, kann es in diesem Jahrhundert zu einer Temperaturerhöhung<br />

um 5 Grad kommen. Das bedeutet, dass es in 30 bis 50 Jahren keine oder fast<br />

keine Gletscher mehr in den Anden geben wird. Der größte Teil des<br />

Trinkwassers von La Paz und El Alto kommt aus den Gletschern des Condoriri,<br />

Huayna Potosi und den entsprechenden Talsperren.<br />

Die Folge wäre eine absolut ungleichmäßige und erratische Füllung der<br />

Wasserreservoire, Überflutungen in der Regenzeit und drastischer<br />

Wassermangel in der Trockenzeit, verbunden mit Problemen der<br />

Stromversorgung durch die Wasserkraftwerke im Zongotal (Zongo/Huayna<br />

Potosi – Gletscher). Vermutlich wird es schon in nächster Zukunft zu Problemen<br />

mit der Wasserversorgung in El Alto kommen. Zu den beschriebenen Fakten<br />

kommt hinzu, dass die Stadt um jährlich ca. 5 % wächst und die Wasserverluste<br />

der Rohrleitungen lokal bis zu 50 % betragen können.<br />

Ein Fazit von Dr. Ramirez: Wir sollten uns den veränderten<br />

Umweltbedingungen anpassen und den Wert des Wassers neu schätzen lernen.<br />

77<br />

Patrick Deppe


Duale Ausbildung – die nicht genutzte Chance?!<br />

<strong>Monatsblatt</strong>: Herr Winkel, Sie sind mittlerweile 5 Monate als Leiter der Deutschen<br />

Berufsschule in La Paz tätig und haben mit 6 neuen Studenten<br />

angefangen.<br />

Wie erklären Sie sich diese geringe Schülerzahl?<br />

Winkel: Sicherlich mag die politische Situation im Land mit eine Rolle gespielt haben.<br />

Ich denke jedoch, dass die Duale Ausbildung grundsätzlich in Südamerika<br />

gegenüber einen Universitätsstudium einen schweren Stand hat. Ganz im<br />

Gegensatz zu Deutschland, wo jeder 3. Student vor dem Studium eine Duale<br />

Ausbildung macht. Es hat sich gezeigt, dass gerade bei dieser Studentengruppe<br />

die Abrechehrquote am niedrigsten ist und diese Studenten am zügigsten ihr<br />

Studium abschließen.<br />

<strong>Monatsblatt</strong>: Warum sollte z. B. ein Schüler der Deutschen Schule „Mariscal Braun“<br />

nicht sofort Betriebswirtschaft studieren, sondern zuerst eine<br />

kaufmännische Ausbildung in der Deutschen Berufsschule machen? Das<br />

sind doch eigentlich zwei verlorene Jahre.<br />

Winkel: Ganz im Gegenteil. Mehrere Gründe sprechen für die Ausbildung:<br />

1. Betrachtet man einmal die Kostenseite so ist festzustellen, dass unsere<br />

Studenten, wenn sie ein Studium in Bolivien anstreben, bei einigen<br />

Universitäten eine Anzahl von Prüfungen angerechnet bekommen. Das<br />

heißt, wenn unser Student z.B. an der Universität Nuestra Señora de La Paz<br />

mindestens 15 Prüfungen angerechnet bekommt, dann ist das eine<br />

Ersparnis von mindestens 18.000 Bolivianos (ca. 2.500 US $) und während<br />

der Ausbildung erhält der Student von seinem Unternehmen immerhin das<br />

Studium bezahlt und zusätzlich noch monatlich 50 US $, das sind noch<br />

einmal 1.100 US $.<br />

2. Hält man sich vor Augen, was unsere Studenten in dieser Zeit fachlich,<br />

sowohl in der Theorie als auch durch ihre Arbeit im Unternehmen<br />

dazulernen, ob Großhändler oder Industriekaufmann, braucht man sich<br />

keine Gedanken zu machen, ob sie das Universitätsstudium schaffen.<br />

Unsere Studenten sitzen in der ersten Reihe und können sich mit den<br />

Professoren unterhalten, sie verstehen die Thematik und sie können den<br />

Professoren auch kritische Fragen stellen.<br />

Ein Schüler, der unmittelbar von einem Colegio kommt, und nie etwas von<br />

Ökonomie gehört hat, hat seine Probleme in den ersten beiden Jahren.<br />

Die englische Sprache macht unseren Studenten kein Problem. Durch das<br />

zusätzliche Zertifikat von der Industrie- und Handelskammer in London<br />

(LCCI), das sie am Ende der Ausbildung erhalten, und vor kurzem noch in<br />

der deutschen Zeitschrift STIFTUNG WARENTEST als eines der besten<br />

Englischzertifikate gepriesen, haben unsere Studenten einen weiteren<br />

„Türöffner“ für ihre berufliche Karriere. Der Abschluss in der<br />

Zertifikatsprüfung „Wirtschaftsdeutsch“ des Goethe-Instituts bescheinigt<br />

unseren Studenten ebenfalls ihre Sprachkompetenz, die ihnen ja durch<br />

unseren dreisprachigen deutschen und bolivianischen Titel verliehen wird.<br />

78


Sprachen spielen in unserer globalisierten Welt eine immer größere Rolle<br />

und unserer Schüle sind darauf vorbereitet.<br />

Im nächsten Jahr wird die Deutsche Berufsschule La Paz Testzentrum für<br />

den Europäischen Computerführerschein, mittlerweile Voraussetzung an<br />

vielen Universitäten, Fachhochschulen und Unternehmen. Damit wird<br />

unseren Studenten ihre Computerkompetenz durch ein international<br />

anerkanntes Zertifikat bescheinigt.<br />

3. Uns ist aber auch daran gelegen, dass unsere Studenten nach ihrer<br />

Ausbildung bei unseren Partnern, den Unternehmen, weiter arbeiten und<br />

gleichzeitig studieren können. Diese Möglichkeit ist in Bolivien, im<br />

Gegensatz zu Deutschland, gegeben. Unsere Studenten können also<br />

berufsbegleitend, morgens oder abends an vielen Universitäten studieren<br />

und tagsüber arbeiten. Sowohl das Unternehmen als auch der Student<br />

profitieren davon.<br />

Dass der Student dabei noch ein Gehalt bezieht ist ein zusätzliches Plus.<br />

4. Was für mich als Vater jedoch viel wichtiger ist, (zwei meiner Töchter<br />

haben ebenfalls vor ihrem Studium eine Duale Ausbildung absolviert), ist<br />

die Persönlichkeitsentwicklung, die unsere Studenten in diesen 22 Monaten<br />

durchlaufen. Gerade in Südamerika sind die Kinder viel behüteterer als in<br />

Deutschland. In der Ausbildungszeit lernen sie selbständiges Arbeiten,<br />

Entscheidungen treffen für sich selbst und für Mitarbeiter, Arbeiten im<br />

Team und Disziplin, um nur einige Eigenschaften zu nennen.<br />

Stellen Sie sich vor, Ihr Kind geht sofort nach der Schule ins Ausland, sei<br />

es Europa oder die Vereinigten Staaten. Eine fremde Umgebung, ein<br />

anderer Kulturkreis, bestenfalls Verwandtschaft. Die Deutsche Schule hat<br />

dieses Problem erkannt und hat versucht, ein soziales Netzwerk<br />

aufzubauen. Dies gilt jedoch nur für Deutschland. Schüler aus Santa Cruz<br />

haben mir berichtet, wie ihre Klassenkameraden in Argentinien oder<br />

Brasilien gescheitert sind, weil sie einfach zu jung und unvorbereitet ins<br />

Ausland gehen.<br />

Ich rate den Eltern: „Geben Sie Ihrem Kind diese zwei Jahre der<br />

Persönlichkeitsentwicklung. Ihr Kind wird es Ihnen danken!“<br />

<strong>Monatsblatt</strong>: Wenn ich Sie richtig verstehe, können nur Schüler der A-Klassen in die<br />

Deutsche Berufsschule gehen. Wie sieht es mit den bolivianischen Schülern<br />

aus, die nicht in der A – klasse sind?<br />

Winkel: Die Voraussetzungen für die Deutsche Berufsschule sind das Bachillerato,<br />

Englischkenntnisse und das Deutsche Sprachdiplom <strong>II</strong>, jetzt C 1. Oft haben die<br />

bolivianischen Schüler nur das Sprachdiplom I. Aber auch sie sind bei uns<br />

herzlich willkommen, weil wir ihr Sprachdefizit durch zusätzlichen<br />

Förderunterricht in Deutsch stützen, sodass sie am Ende der Ausbildung<br />

ebenfalls die Prüfung im Sprachdiplom <strong>II</strong> ablegen können. Wir bieten ihnen<br />

darüber hinaus die Möglichkeit, durch Zusatzunterricht in Mathematik und mit<br />

dem Bestehen der Mathematikprüfung die deutsche Fachhochschulreife zu<br />

erlangen. Damit können sie an jeder deutschen Fachhochschule, ohne den<br />

obligatorischen Kollegbesuch, sofort studieren und nicht nur<br />

Betriebswirtschaft.<br />

<strong>Monatsblatt</strong>: Vielen Dank für dieses Gespräch.<br />

Winkel: Ich danke Ihnen.<br />

79<br />

(Fortsetzung folgt)


Geocaching: Schatzsuche mit GPS<br />

oder<br />

Jäger des verlinkten Schatzes<br />

oder<br />

Runter vom Sofa<br />

Diese drei Überschriften vermitteln schon worum es geht. Geocaching ist ein<br />

weltweites Outdoor-Spiel, bei dem man auf eine reale Schatzsuche geht. Seit<br />

etwa 5 Jahren habe ich dieses Hobby, welches ohne den GPS-Empfänger nicht<br />

denkbar wäre. Darüber möchte ich hier berichten und ich hoffe, dass ich einige<br />

Leute von dieser Schatzsuche begeistern kann.<br />

Die Koordinaten des Schatzes findet man im Internet, diese programmiert man<br />

in das GPS und schon ist man „runter vom Sofa“ und befindet sich als „Jäger“<br />

auf realer Schatzsuche.<br />

Was ein GPS-Empfänger ist, wie es funktioniert und welche Geschichte es hat,<br />

konnte man in den vergangenen <strong>Monatsblatt</strong>ausgaben lesen. Werner Preiss hat<br />

dies detailliert beschrieben.<br />

Heute findet man schon in einigen Autos ein GPS, welches die Straßensuche<br />

und Zielsuche vereinfacht. Letztlich geht es beim Geocaching auch um eine<br />

Suche, zwar nicht um eine Straßensuche, sondern um eine Schatzsuche. In den<br />

meisten Fällen gelangt man nicht mit dem Auto bis zum Ziel, sondern man muss<br />

die Wanderschuhe schnüren und mit dem kleinen tragbaren GPS zum Ziel<br />

gelangen.<br />

GPS-Empfänger<br />

80


Hier eine kurze Beschreibung des Spiels:<br />

Geocaching ist die moderne Variante der Schnitzeljagd. Statt einer<br />

Sägemehlspur oder Kreidestrichen jagt man mit dem GPS-Empfänger<br />

Koordinaten nach.<br />

Wie bei der Schnitzeljagd geht es darum, einer Spur zu folgen und einen<br />

bestimmten Punkt zu finden. Am bezeichneten Ort findet sich eine wetterfest<br />

verpackte Schatzkiste - eine Gefrierbox, ein Tupperdose, eine Filmdose oder ein<br />

großes Gurkenglas - mit einem Logbuch in das sich die Finder eintragen. Oft<br />

gibt es daneben noch Kleinigkeiten wie Anstecknadeln, Aufkleber, Münzen,<br />

Briefmarken, Schlüsselanhänger usw. von denen man sich etwas nehmen kann<br />

und selbst etwas Neues hineinlegt. Eigens für das Spiel wurden auch Münzen<br />

mit schönen Gravuren und Identifikationsnummern entwickelt. Diese seltenen<br />

Münzen werden von den Geocachern (so nennen sich die Leute, die dieses Spiel<br />

betreiben) von Schatz zu Schatz weitergereicht und der Münzeninhaber kann im<br />

Internet verfolgen, ob sich diese Münze in Australien, Deutschland oder eben in<br />

Bolivien befindet.<br />

Es geht also darum, nicht den ganzen Schatz (Cache) mitzunehmen, sondern<br />

Kleinigkeiten auszutauschen und den Cache für den nächsten Schatzfinder an<br />

Ort und Stelle zu belassen. Die Suchkoordinaten und die Suchbeschreibung<br />

findet man auf der Geocaching-Seite im Internet (www.geocaching.com). Zum<br />

Einloggen benötigt man nur einen Spitznamen. Die Nutzung dieser Internetseite<br />

ist natürlich kostenlos.<br />

Im einfachsten Falle werden beim Geocaching direkt die Koordinaten des<br />

Schatzes angegeben. Je nachdem, ob sich das Versteck direkt an einem bequem<br />

erreichbaren Parkplatz oder ein Stück abseits befindet, sorgt die<br />

Positionsungenauigkeit von mehreren Metern dafür, dass es trotzdem nicht zu<br />

einfach wird. Eine größere Herausforderung stellen Rätselcaches dar, bei denen<br />

vor oder während der Suche kleine Aufgaben gelöst werden müssen und die<br />

Fundstellen in landschaftlich schönen Gegenden liegen. So kann sich aus der<br />

Schnitzeljagd eines GPS-Verrückten in der Familie ein schöner Spaziergang<br />

oder eine interessante Wanderung für alle entwickeln. Dabei ist Geocaching<br />

nicht nur für den Suchenden reizvoll, sondern auch für den Initiator: Wem<br />

macht es nicht Spaß ein Rätsel auszutüfteln, eine Überraschung zu verstecken<br />

und anschließend im Internet bzw. Logbuch die Kommentare zu einer<br />

gelungenen Schatzsuche zu lesen? Übrigens: Leute, die zufällig auf einen<br />

Geocache stoßen oder einen Geocacher bei der Suche beobachten, bezeichnet<br />

man als Geomuggel.<br />

Das Spiel verdankt die Welt dem US-amerikanischen<br />

Verteidigungsministerium. Das hat das "Global Positioning System", kurz: GPS,<br />

für Militärzwecke entwickelt, und damit das Satelliten-Navigations-System auch<br />

wirklich nur dafür verwendet werden kann, haben die Amerikaner die<br />

81


Satellitensignale zunächst so verschlüsselt, dass sie für zivile Nutzer zu ungenau<br />

und damit unbrauchbar waren.<br />

Aber im Mai 2000 ließ der damalige Präsident Bill Clinton die künstliche<br />

Verzerrung des GPS-Signals abschalten. Genau einen Tag später hat der<br />

Amerikaner Dave Ulmer seinen ersten Cache versteckt, in den Wäldern bei<br />

Portland in Oregon. Die Position des Caches veröffentlichte er in einer<br />

Newsgroup im Internet, zusammen mit einer Beschreibung aller wesentlichen<br />

Spielregeln. Drei Tage danach hat der erste Finder den Schatz gehoben.<br />

Fünf Monate später wurde der erste Cache in Deutschland verbuddelt: Heute gilt<br />

"First Germany" in Brandenburg echten Fans als Klassiker. Es hat nicht lange<br />

gedauert, und die Geocacher-Gemeinde verscharrte ihre Schätze einmal rund um<br />

den Globus: Verstecke gibt es mittlerweile in 222 Ländern, in der Antarktis, in<br />

Indonesien und auch in Bolivien.<br />

Was die Caches in Bolivien angeht, ist Bolivien eine „weiße Landkarte“, gerade<br />

mal 20 aktive Caches kann man in Bolivien finden. Im Gegensatz dazu, ist<br />

Deutschland ein wahres Geocaching-Paradies, denn hier sind mittlerweile über<br />

30.000 Schätze vergraben.<br />

Verstecken des Caches<br />

82


Hier noch einige Tipps:<br />

Wer einen Schatz selbst vergraben möchte, sollte es vermeiden einen Schatz am<br />

Flughafen oder in der Nähe eines Bahnhofs zu verstecken. Unter unglücklichen<br />

Umständen kann so ein Behältnis in der heutigen Zeit einen Bombenalarm<br />

auslösen, der mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein kann. So schon in<br />

den USA passiert.<br />

Bevor man auf Schatzsuche geht, sollte man das Kartendatum des GPS-<br />

Empfängers einstellen. Das Kartendatum bezeichnet ein bestimmtes<br />

Koordinatensystem, hat man das falsche Kartendatum programmiert, so kann<br />

man schon mal 200m daneben liegen, es kann zu folgender Situation kommen:<br />

Das Telefon klingelte und am anderen Ende der Leitung standen begeisterte<br />

Schatzsucher und fragten mich: „Hallo Herr Hartwigt, wir sind jetzt an der<br />

Muela de Diablo, wir stehen direkt an einem senkrechten Abhang von 200m<br />

Tiefe, das GPS sagt wir sollen 50m weiter gehen, um zum Schatz zu gelangen,<br />

sollen wir das jetzt tun?“ - Diese Schatzsucher leben noch! Sie hatten das<br />

falsche Kartendatum programmiert. Nachdem sie aber das richtige Kartendatum<br />

(WGS 82) programmiert hatten, konnten sie den Schatz in der Nähe der Muela<br />

de Diablo heben.<br />

Ich habe hier in Bolivien am Chacaltaya, in Coroico, am Teufelszahn Muela de<br />

Diablo und auf der Isla del Sol jeweils einen Schatz versteckt. Und gerade habe<br />

ich entdeckt, dass ein Schüler, den ich zum Geocaching animieren konnte, einen<br />

eigenen Cache auf der „Alto-Meseta“ vergraben hat. Toll! Also, runter vom<br />

Sofa und auf geht es zur Schatzsuche oder gar zum Schatzvergraben.<br />

Patrick und der Coroicocache<br />

83


GLOSSAR:<br />

Cache: Englisches Wort für Versteck, es wird "Käsch" ausgesprochen. In Bezug<br />

auf das Geocaching, ist das ein Behälter mit einem Logbuch, Schreibzeug und<br />

eventuell einem kleinen "Schatz".<br />

Geo-Muggel: In Anlehnung an Harry Potter werden so Menschen bezeichnet,<br />

die nicht ins Caching eingeweiht sind.<br />

Owner: Der Besitzer eines Schatzes.<br />

CITO: (Cache In, Trash Out): Cache rein, Müll raus. Die Cacher sammeln den<br />

Müll ein, den sie unterwegs finden.<br />

FTF - (First to Find): Erstfund / Erstfinder Man hat einen Cache als erster<br />

gefunden.<br />

GPSr - (Global Positioning Satellite Receiver): GPS-Empfänger.<br />

84<br />

Viel Spass beim gemeinsamen Hobby,<br />

Patrick Hartwigt


Kulturelle Veranstaltungen der Deutschen Botschaft<br />

11.07.2008 Meisterklasse für Klarinette und Flöten<br />

Trio Soli Sono (Aachen)<br />

Centro Sinfónico, Calle Ayacucho N° 366<br />

Bei Interesse bitte Ende Juni in der Botschaft melden!<br />

12.07.2008 Konzert TRIO SOLI SONO<br />

Flötentrio aus Aachen<br />

Beginn 19:30 Uhr<br />

Centro Sinfónico, Calle Ayacucho N° 366<br />

13.09.2008 AXEL ZWINGENBERGER & FRANK<br />

MUSCHALLE Trio<br />

Die Könige des europäischen Boogie-Woogie!<br />

Beginn 19:30 Uhr<br />

Ort: steht noch offen<br />

Alle Einnahmen gehen zugunsten des Hospital del<br />

Niño!!!<br />

Seien Sie bei dem Musikereignis des Jahres dabei!<br />

Weitere Informationen, auch über Sponsoring, erhalten<br />

Sie über die Kulturabteilung der Botschaft.<br />

Helen Bender<br />

Tel. 2440066<br />

85


Retrospectiva – Fassbinder<br />

Ein Ausblick auf Veranstaltungen des<br />

Goethe-Instituts La Paz<br />

Fassbinder (1945-1982) gilt als der wichtigste Vertreter des Neuen Deutschen<br />

Films und erfolgreichster deutscher Nachkriegsregisseur. Trotz seines frühen Todes<br />

hinterließ Fassbinder ein umfangreiches und vielfältiges Werk, das als genial und<br />

widersprüchlich zugleich aufgefasst wird.<br />

Das Goethe-Institut zeigt in Zusammenarbeit mit der Cinemateca Boliviana eine<br />

Auswahl seiner Werke.<br />

Wann: 17. Juli bis 23. Juli 2008<br />

Wo: Cinemateca Boliviana (Calle Oscar Soria esq. Rosendo Gutiérrez)<br />

Zeitgenössische Bilderbuchillustration in Deutschland<br />

Die Bilder- und Kinderbuch-Illustration in Deutschland<br />

zeichnet sich durch eine große Vielfalt aus und ist auch auf<br />

internationaler Ebene in zunehmendem Maße erfolgreich und<br />

anerkannt.<br />

Nadia Budde, 2004<br />

Ziel der gemeinsam vom Goethe-Institut und dem Troisdorfer Bilderbuchmuseum konzipierten<br />

Ausstellung ist es, die hohe Qualität, aber auch die Unterschiedlichkeit der stilistischen Ansätze<br />

deutscher Bilder- und Kinderbuchillustration im Ausland bekannt zu machen. Anhand dreizehn<br />

ausgewählter Positionen ermöglicht sie einen markanten Einblick in das Schaffen wichtiger<br />

Illustratorinnen und Illustratoren. Neben international renommierten Klassikern wie Janosch, Klaus<br />

Ensikat oder Wolf Erlbruch werden auch jüngere Künstler vorgestellt, deren Werke neue Tendenzen<br />

in der Bilderbuchillustration repräsentieren. Zugleich führt die Ausstellung anschaulich das breite<br />

Spektrum unterschiedlicher Arbeitstechniken vor Augen, derer sich die Künstler heute bedienen.<br />

Am Dienstag, den 29. Juli im Auditorium des Goethe-Instituts wird eine Podiumsdiskussion zum<br />

Thema mit der Illustratorin Nadia Budde stattfinden.<br />

Wann: 28. Juli bis 17. August 2008<br />

Wo: Auditorium des Goethe-Instituts, ab 5.August auf der Buchmesse<br />

87


Rosemarie Trockel - Ausgewählte Zeichnungen, Objekte und Videoarbeiten<br />

Das vielseitige künstlerische Werk der 1952 geborenen Künstlerin umfasst<br />

Bilder, Zeichnungen, Plastiken, Skulpturen und Objekte sowie Videoarbeiten<br />

und Installationen. Ihre Arbeiten sind weder auf eine künstlerische Gattung<br />

beschränkt, noch lassen sie sich auf eine Stilrichtung festlegen. Immer wieder<br />

thematisiert die Künstlerin weibliche Perspektiven und spart nicht mit<br />

allgemeiner Kritik am Kunstsystem. Trotz ihrer kritischen Haltung treten ihre<br />

Werke dem Betrachter als phantasievoll<br />

beschwingte und anschaulich überzeugende Entwürfe entgegen. So gelingt es der Künstlerin, auch<br />

schwere Gedanken ironisch und humorvoll zu visualisieren und Gegensätze zu vermeiden.<br />

Traditionelle und neue Bildmedien gehen erstaunliche Verbindungen ein, was vor allem an den Tusch-<br />

, Kohle-, Bleistift-, Collage- oder Computerzeichnungen deutlich wird. Neben den Videos legt die<br />

Ausstellung deshalb besonderes Gewicht auf dieses Medium.<br />

Wann: 27. August bis 19. September 2008<br />

Montag bis Samstag 09:00 - 12:30 und 15:00 - 19:00<br />

Sonntag 09:00 - 12:30<br />

Wo: Museo Nacional de Etnografia y Folklore (calle Ingavi 916)<br />

Eintritt frei<br />

Veranstaltungen des Goethe-Instituts La Paz<br />

Juni bis September 2008<br />

12.-13.6.2008, 9-12 und 15-17 Uhr<br />

Workshop „Die Poesie im Dokumentarfilm mit Manfred Vosz,<br />

Einschreibung bis zum 11.6.<br />

Ort: Goethe-Institut<br />

17.7.-23.7.2008<br />

Filmreihe: Retrospectiva – Fassbinder<br />

Ort: Cinemateca Boliviana<br />

27.7.- 4.8.2008<br />

Ausstellung Bilderbuchillustration<br />

Ort: Goethe-Institut<br />

27.8.-19.9.2008<br />

Ausstellung Rosemarie Trockel<br />

Ort: MUSEF<br />

9.9.-19.9.2008<br />

Festijazz<br />

Ort: Teatro Municipal<br />

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Terminplan der IELHA Evangelisch Lutherische Gemeinde<br />

Juni bis September<br />

La Paz<br />

07.06.08 – 08.06.08 Sa. + So. Konfirmandenwochenende<br />

11.06.08 Mi. 20.00 Uhr Gesprächskreis im Pfarrhaus<br />

12.06.08 Do. 16.00 Uhr<br />

Recreacion in der Kirche<br />

17.06.08 Di. 20.00 Uhr<br />

Konfirmandenelternabend im Pfarrhaus<br />

22.06.08 So. 10.30 Uhr Gottesdienst mit Abendmahl<br />

23.06.08 - 05.07.08 Winterferien Pastor v. Wangelin<br />

06.07.08 So. 10.30 Uhr Gottesdienst<br />

09.07.08 Mi. 20.00 Uhr Gesprächskreis im Pfarrhaus<br />

10.07.08 Do. 16.00 Uhr Recreacion<br />

14.07.08 Mo. 20.00 Uhr GKR<br />

20.07.08 So. 10.30 Uhr Gottesdienst mit Abendmahl<br />

25.07.08 – 27.07.08 Fr.-So. Gottesdienst Sta. Cruz und Cochabamba<br />

03.08.08 So. 11.30 Uhr Gottesdienst<br />

11.08.08 Mo. 20.00 Uhr GKR<br />

13.08.08 Mi. 20.00 Uhr Gesprächskreis<br />

14.08.08 Do. 16.00 Uhr Recreacion<br />

16.08.08 – 17.08.08 Sa. + So. Konfirmandenwochenende<br />

17.08.08 So. 10.30 Uhr Gottesdienst mit Abendmahl<br />

31.08.08 So. 10.30 Uhr<br />

Gottesdienst<br />

04.09.08 – 07.09.08 Do. – So.<br />

Konfirmandenausreise<br />

08.09.08 Mo. 20.00 Uhr GKR<br />

10.09.08 Mi. 20.00 Uhr Gesprächskreis im Pfarrhaus<br />

11.09.08 Do. 16.00 Uhr Recreacion<br />

13.09.08 - 14.09.08 Sa. + So. Konfirmandenwochenende<br />

14.09.08 So. 10.30 Uhr Gottesdienst mit Abendmahl<br />

20.09.08 – 27.09.08 Ferien Pastor v. Wangelin<br />

29.09.08 So. 10.30 Uhr Gottesdienst<br />

05.10.08 So. 10.30 Uhr Erntedankfest Konfirmation<br />

Gemeindepräsidentin: Claudia Kuruner Tel. 2416118<br />

Pastor: Christian von Wangelin Tel. 2414645<br />

Martin-Luther-Kirche: Sánchez Lima esq. Rosendo Gutiérrez<br />

Casilla 2851 La Paz/Bolivien<br />

Tel. 2419619<br />

Iglesia Luterana de Habla Alemana en Bolivia (IELHA)<br />

www.ielha.de<br />

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Mitteilungen der Katholischen Kirchengemeinde deutscher<br />

Sprache<br />

Termine der Gottesdienste in der Kapelle der Schwestern<br />

Calle Fernando Guachalla, Ecke 6 de Agosto<br />

Messe 28.06.2008, 19.00 Uhr<br />

Messe 26.07.2008, 19.00 Uhr<br />

Messe 30.08.2008, 19.00 Uhr<br />

Messe 27.09.2008, 19.00 Uhr<br />

90


Zu verkaufen: (ab 15. Juli 2008)<br />

1 Wollteppich, handgewebt,<br />

beige-braun meliert, 350x250 cm,<br />

für 250 USD<br />

Martin Homola, Tel. 2710532<br />

M.Homola@web.de<br />

Zu verkaufen: (ab 15. Juli 2008)<br />

2<br />

Beistelltischchen(Nachttischchen),<br />

Holz, dunkelbraun gebeizt, für<br />

zusammen 50 USD<br />

Martin Homola, Tel. 2710532<br />

M.Homola@web.de<br />

Zu verkaufen: (ab 15. Juli 2008)<br />

Sonstiger Kleinkram für den<br />

Haushalt. Alle Artikel sind<br />

maximal 2 Jahre alt.<br />

Martin Homola, Tel. 2710532<br />

M.Homola@web.de<br />

Zweite Hand<br />

91<br />

Zu verkaufen: (ab 15. Juli 2008)<br />

1 Eckschrank für TV und Video,<br />

Holz, dunkelbraun gebeizt,<br />

Seitenlängen 100x100 cm,<br />

für 150 USD<br />

Martin Homola, Tel. 2710532<br />

M.Homola@web.de<br />

Zu verkaufen: (ab 15 Juli 2008)<br />

1 deutsche Joghurt-Maschine, mit<br />

Kulturen und 7 Glasbechern,<br />

für 20 USD<br />

Martin Homola, Tel. 2710532<br />

M.Homola@web.de<br />

Suchen: (gilt immer)<br />

Babykleider und Kinderspielzeug<br />

für das Kinderkrankenhaus<br />

La Paz,<br />

Alste-Maria Raffel, Tel. 2795912

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