sonder-soli 2 (Page 1) - DGB-Jugend
sonder-soli 2 (Page 1) - DGB-Jugend
sonder-soli 2 (Page 1) - DGB-Jugend
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
50 JAHRE<br />
<strong>DGB</strong><br />
J UGEND
2<br />
V ORWORT<br />
Fünfzig Jahre gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit – eine Zeit, in der sich die sozialen, politischen und<br />
arbeitsrechtlichen Bedingungen nicht nur für <strong>Jugend</strong>liche in der Bundesrepublik Deutschland stetig<br />
verändert und weiterentwickelt haben. Auch in der gewerkschaftlichen <strong>Jugend</strong>arbeit hat sich in dieser<br />
Zeit viel bewegt. Wir haben versucht, eine exemplarische Auswahl zu treffen, um diese Entwicklung<br />
zu dokumentieren. In verschiedenen Archiven haben wir Protokolle gesammelt, Fotomaterial<br />
gesichtet und sie eingebettet in das Zeitgeschehen. Denn die gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit hat<br />
sich in dem Maße verändert, wie sich die sozialen und politischen Einstellungen der jungen Generationen<br />
verändert haben. Wichtige Stationen wie das Haus der Gewerkschaftsjugend in Oberursel, das<br />
„junge forum“ in Recklinghausen, die Lehrlingsbewegung, die gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>zeitschrift<br />
´ran oder die <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong>-Aktion „Wer, wenn nicht wir“ haben einen be<strong>sonder</strong>en Platz in dieser<br />
Dokumentation erhalten.<br />
Wir haben nicht versucht, dem Anspruch der Vollständigkeit zu genügen. Wir wollen Euch lediglich<br />
einen kleinen Überblick und die Möglichkeit geben, ein wenig in der Vergangenheit zu blättern.<br />
Roland Schinko<br />
Foto: Christa Petri<br />
I NHALT<br />
L EHRLINGSBEWEGUNG E NDE DER 60ER | UNTERNEHMER, HÖRT DIE S IGNALE 4<br />
O BERURSEL – DAS H AUS DER G EWERKSCHAFTSJUGEND | JUGENDBILDUNGSARBEIT IM W ANDEL 8<br />
<strong>DGB</strong>-JUGEND IN A KTION | WER, WENN NICHT WIR! 14<br />
K EIN T AG ÄLTER | DAS „ JUNGE FORUM“ 20<br />
K LEINE C HRONIK DER ‘ RAN | AUFMÜPFIGE A NTI-BRAVO 24<br />
I NTERNATIONALE Z USAMMENARBEIT | STAND U P F OR Y OUR R IGHTS 28<br />
B OTSCHAFTER FÜR EIN OFFENES UND SOZIALES E UROPA 32
Foto: Archiv der sozialen Demokratie<br />
I MPRESSUM<br />
Verantwortlich für den Inhalt: Ingrid Sehrbrock<br />
Herausgeber: <strong>DGB</strong> Bundesvorstand, Abt. <strong>Jugend</strong>, Burgstraße 29–30, 10178 Berlin,<br />
Tel.: 030 - 24060-0, Fax: 030 - 24060-409<br />
Druck: toennes satz + druck gmbh, Erkrath<br />
Redaktion & Text: Rita Jäger (verantwortlich), Udo Böhlefeld<br />
Grafik: Karin Pütt<br />
Verwendete Nachschlagewerke: Deutschland seit 1945 – Chronik und Bilder, Wolfgang Benz (dtv, München<br />
1999); 1949–1999, 50 Jahre Deutsche Geschichte, Ereignisse, Personen,<br />
Entwicklungen, Sonderausgabe der Brockhaus-Redaktion zum 50.<br />
Jahrestag der Bundesrepublik Deutschland (Brockhaus, Leipzig/Mannheim<br />
1999); dtv-Lexikon in 20 Bänden (Brockhaus, Leipzig/Mannheim; dtv,<br />
München 1992)<br />
Mit freundlicher Unterstützung des „Archivs der sozialen Demokratie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung<br />
Gefördert aus Mitteln des Kinder- und <strong>Jugend</strong>plans des Bundes (BMFSFJ)<br />
Foto: Norbert Kinkel<br />
Foto: Jürgen Planert<br />
3
4<br />
U NTERNEHMER,<br />
HÖRT DIE S IGNALE<br />
„Alle Welt redet von Reformen – wir nicht.“ Rosarot sind die<br />
Flugblätter, die die Essener „Arbeitsgemeinschaft gewerblicher<br />
Lehrlinge“ im Frühjahr 1969 verteilt. Weniger rosig sind die Missstände,<br />
die die aufmüpfigen Lehrlinge anprangern, denn mehr als<br />
düster war es Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre um die Situation<br />
der betrieblichen Ausbildung bestellt. Die Essener beschreiben sie<br />
mit bitterer Ironie: „Wir sortieren, stempeln, kleben, putzen, tragen,<br />
fegen. Unsere Ideale: blinder Gehorsam, geistige Anspruchslosigkeit,<br />
völlige Unterordnung, erst arbeiten, dann lernen ... Ruhe Ist<br />
die erste Lehrlingspflicht!!! Geh, segne den Lehrherrn!“<br />
Ob in Essen, Göttingen, Berlin oder Hamburg – überall in der<br />
Bundesrepublik machen es Lehrlinge und Jungarbeiter den Studenten<br />
und Schülern gleich und protestieren seit 1968/69 mit phantasievollen<br />
Aktionen gegen die unglaublichen Missstände in der Berufsausbildung,<br />
mehr noch: Mit eigenen Lehrlingsdemonstrationen,<br />
Arbeiterjugendgerichten und Lehrlingszentren beginnen sie sich<br />
selbst zu organisieren und treten selbstbewusst fordernd auch<br />
gegenüber der Gewerkschaft auf. Man könne stolz sein auf die<br />
Handwerkerjugend, freut sich der Präsident des Zentralverbandes<br />
L EHRLINGSBEWEGUNG<br />
E NDE DER 6OER<br />
20 Jahre Studentenbewegung – Anlass für die Medien, an die antiautoritäre Rebellion zu<br />
erinnern. Fast vergessen dagegen: Die Lehrlingsbewegung Ende der 60er/Anfang der<br />
70er Jahre. Als 1968 die „Welt am Sonntag“ verkündete: „Die Lehrlinge rebellieren nicht,<br />
sie sind keine billigen Bierholer“, war es mit der Ruhe in den Betrieben bald vorbei.<br />
Nach und nach schlossen sich immer mehr Lehrlinge zusammen, um Missstände in der<br />
Ausbildung aufzudecken und den Verantwortlichen die Hölle heiß zu machen.<br />
des Deutschen Handwerks, Joseph Wild, noch 1967: „Die demonstriert<br />
nicht auf der Straße und missbraucht nicht ihre falsch verstandenen<br />
Freiheiten, aber sie ist heute dank ihrer staatsbürgerlichen<br />
Erziehung das Rückgrat der <strong>Jugend</strong> in den staatstragenden<br />
Parteien.“ In den Gewerkschaften hat sich in den 60er Jahren<br />
Selbstzufriedenheit breitgemacht. Ein wenig aufregendes Kapitel<br />
deutscher Gewerkschaftsgeschichte: Lohnerhöhungen lassen sich<br />
auch ohne größere Arbeitskämpfe durchsetzen, Hochkonjunktur<br />
und Vollbeschäftigung – was will man mehr?<br />
Doch nicht nur „unter den Talaren“ versteckt sich „der Muff<br />
von tausend Jahren“, noch ärger ist es um die Ausbildung von 80<br />
Prozent der <strong>Jugend</strong>lichen, von etwa 1,5 Millionen Lehrlingen bestellt.<br />
Genügend Lehrstellen sind für alle da. Jürgen Grygier erzählt:<br />
„Trotz langer Haare war es kein Problem, etwas zu finden. Ich<br />
konnte auswählen.“<br />
Entsprechend selbstbewusst ist ein Teil der Lehrlinge nicht länger<br />
bereit, darauf zu vertrauen, dass die Gewerkschaften ihre über<br />
50 Jahre alte Forderung nach einem einheitlichen Berufsbildungsgesetz<br />
durchsetzen werden, <strong>sonder</strong>n nimmt die eigene Sache
selbst in die Hand. Jürgen<br />
Grygier: „Vom Betriebsrat war<br />
keine Hilfe zu erwarten. ‘Lehrjahre<br />
sind keine Herrenjahre’,<br />
entgegneten die bei Beschwerden.“<br />
„Es war so eine Art Aufbruchstimmung<br />
in der gesamten Gesellschaft“, erinnert sich Gerd<br />
Andres, damals einer der Aktivisten in der Lehrlingsbewegung,<br />
später IG Chemie-Bundesjugendsekretär und heute Mitglied des<br />
Bundestages. „Wir nahmen Willy Brandts späteres Wahlkampfmotto<br />
vorweg und wagten mehr Demokratie. Die Aktionsform der<br />
Lehrlingsbewegung war eine sehr einfache: Wir machten die Zustände<br />
in den Betrieben öffentlich.“<br />
Was dabei zutage kommt, ist mehr als haarsträubend. Nicht<br />
nur, dass es kein Gesetz gibt, das die Berufsausbildung einheitlich<br />
regelt, es gilt immer noch die Gewerbeordnung von 1869. Zitat:<br />
„Der Lehrling ist der väterlichen Zucht unterworfen.“ Lehrlinge erhalten<br />
eine miserable Schulbildung, werden unqualifizierten Ausbildern<br />
ausgeliefert, müssen sich als billige Arbeitskräfte ausbeuten<br />
lassen, werden mit Neben- und Hilfstätigkeiten schikaniert oder<br />
leisten unbezahlte Überstunden. Zwar gibt es seit 1960 ein<br />
<strong>Jugend</strong>arbeitsschutzgesetz, aber von insgesamt 1,2 Millionen<br />
Betrieben in der Bundesrepublik kontrollieren die Gewerbeaufsichtsämter<br />
1970 gerade mal 314.000. Die knapp 70.000 aufgedeckten<br />
Verstöße sind nur die Spitze des Eisberges. Nur in einem<br />
Bruchteil der Fälle werden Verwarnungen ausgesprochen, die<br />
Geldstrafen sind lächerlich. Ein 13-jähriger gerät in die Hobelma-<br />
Fotos: Fotoarchiv Ruhrlandmuseum / Manfred Scholz<br />
FORTSETZUNG SEITE 6<br />
➔<br />
¥ 7.Juli 1969<br />
Köln: Über<br />
10.000 Lehrlinge demonstrieren für ein<br />
fortschrittliches Berufsbildungsgesetz. Traditionelle<br />
Formen gewerkschaftlicher Interessenvertretungen<br />
bekommen Konkurrenz<br />
durch neue Aktionsformen: Lehrlinge veranstalten<br />
Trauerzüge für „Omas Gewerbeordnung“<br />
oder „Arbeiterjugendgerichte“.<br />
¥<br />
8.5.1949<br />
Für eine bessere Zukunft<br />
lernen, arbeiten und<br />
kämpfen wir mit<br />
der Gewerkschaftsjugend<br />
„Man hat euch einst immer und immer wieder verführerisch vorgeredet,<br />
dass ihr die Zukunft seid und dass ihr die Herren der Zukunft<br />
werden könntet; man hat damit euer Wollen und euren Einsatz hingelenkt<br />
auf Wege, die in den Abgrund führten. Auch ich sage euch,<br />
dass ihr die Zukunft seid und dass ihr Herr werdet über die große<br />
Not der Gegenwart für eine bessere Zukunft, wenn ihr richtige und<br />
aufrichtige Gewerkschafter seid.<br />
Die neue deutsche Gewerkschaft, die über allen Parteien, Weltanschauungen<br />
und Berufen steht, kann und wird über alle Zonengrenzen<br />
die Brücke für die deutsche Einheit sein, wenn wir den Grundgesetzen<br />
der neuen Gewerkschaft treu bleiben, die Brücke zu sein zwischen<br />
alt und jung, zwischen Arbeitern, Angestellten und Beamten,<br />
zwischen all den Menschen also, die in arbeitsabhängiger Stellung<br />
mit dem Einsatz ihrer Person ihr Leben fristen.“<br />
Hans Böckler<br />
Vorwort der „Leitsätze für die Gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit“, Herausgegeben vom<br />
Deutschen Gewerkschaftsbund, Bundesvorstand, Hauptabteilung <strong>Jugend</strong>, Düsseldorf,<br />
Hans-Böckler-Haus, Stromstraße 8<br />
Berufsausbildungsgesetz<br />
„Am 28.1.49 fand eine Konferenz der bizonalen <strong>Jugend</strong>sekretäre statt,<br />
auf der ein vom Kollegen Masseling (Bundesjugendsekretär) und Dr.<br />
Hecht ausgearbeiteter Entwurf eines Berufsausbildungsgesetzes besprochen<br />
wurde. (...) Der Entwurf soll in alle Bezirke versandt werden,<br />
damit er dort besprochen werden kann. Zunächst besteht noch<br />
die Schwierigkeit, dass sich die Verwaltung für Arbeit und die Verwaltung<br />
für Wirtschaft nicht über die Zuständigkeit einigen<br />
können.“<br />
Auszug aus dem Protokoll der Bundesjugend-Ausschusssitzung vom 5.2.1949<br />
FORTSETZUNG SEITE 7 RANDSPALTE<br />
5
6<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 5<br />
schine eines Sägewerkes und trägt schwere Verletzungen davon.<br />
Strafe für den Unternehmer: 50 Mark!<br />
„Ausbeutung Tag für Tag, gesichert durch den Lehrvertrag“,<br />
schreibt die Essener Lehrlingsgruppe zum Ergebnis ihrer Fragebogenaktion<br />
zur Situation gewerblicher Lehrlinge; eine von zahlrei-<br />
chen Aktionen, mit denen Lehrlinge überall<br />
in der Bundesrepublik ihre Forderung<br />
nach einer Reform der Berufsbildung untermauern:<br />
„Unsere Fragebogenaktion hat<br />
ergeben: „77% der Lehrlinge machen berufsfremde<br />
Arbeiten, 16% werden teils<br />
massiv unter Druck gesetzt, 46% machen<br />
oft bis zu 20 Überstunden pro Woche,<br />
44% sind mit ihrer Ausbildung unzufrieden.“<br />
Eine spezielle Interessenvertretung<br />
¥ 1970 ¥<br />
Der Spiegel 18: 1969 wies BASF<br />
die Lehrlinge an, „sich vor keiner<br />
Arbeit zu drücken“, sich zum Aufsuchen<br />
der Toilette beim Ausbilder<br />
ab- und zurückzumelden“, „zeitig<br />
zu Bett zu gehen“, „immer an seine<br />
Zukunft zu denken“ und „froh<br />
und höflich zu grüßen“.<br />
der Lehrlinge gibt es nicht. Mit Beschwerden müssen sich die Lehrlinge<br />
an die Kreishandwerkerschaft oder die Industrie- und Handelskammer<br />
wenden: Die kontrolliert werden sollen, kontrollieren sich<br />
selbst.<br />
Der <strong>DGB</strong> erkennt, dass es in den Betrieben gärt und mahnt die<br />
Politiker Ende 1968 zum raschen Handeln: „Heute die Studenten.<br />
Morgen die Lehrlinge.“ Doch das neue Berufsbildungsgesetz, das<br />
der Bundestag 1969 verabschiedet, bleibt weit hinter den Forderungen<br />
der Lehrlinge zurück. Mit der Ruhe in den Betrieben ist es nun<br />
endgültig vorbei. Auch in den Gewerkschaften: Bei der vom <strong>DGB</strong> organisierten<br />
1. Lehrlingsdemonstration und -kundgebung im Juni 69<br />
in Köln kommt Maria Weber vom <strong>DGB</strong>-Bundesvorstand kaum zu<br />
Wort. Sprechchöre werden laut: „Diskussion statt Blabla.“ „Bisher<br />
haben wir nur den Mund gespitzt, jetzt wird gepfiffen“, heißt es bei<br />
einer Demonstration Hamburger Lehrlinge und Jungarbeiter im November<br />
1968 für mehr Mitbestimmung in Betrieb und Schule. Die<br />
Hamburger werden zu Vorreitern in Sachen Lehrlingsbewegung, sie<br />
veranstalten das erste Lehrlingshappening, ein „Feg-in“ in der City,<br />
geben bald eine eigene Zeitung heraus, die „LZ“, die auch an Kritik<br />
an bürokratischen Strukturen innerhalb der Gewerkschaft nicht<br />
spart, und sie gründen auch den ersten Lehrlingstreff, den sogenannten<br />
„Jour fix“.<br />
Nach seinem Vorbild entstehen Anfang der 70er Jahre überall in<br />
der Bundesrepublik Lehrlingszentren, „Jour fixe“ oder zumindest<br />
lose Arbeitsgemeinschaften. Zum Teil mit Unterstüt-<br />
zung der Gewerkschaften, manchmal aber auch<br />
gegen sie.<br />
Nicht nur in Großstädten organisieren sich die<br />
Lehrlinge, auch auf dem platten Land. Zum Beispiel<br />
in Neuwied. Gerd Andres: „Großbetriebe gibt es<br />
dort kaum, fast nur kleinere Krauter. Ein Lehrling<br />
musste im Einzelhandel 14 Tage lang Salami-Schimmel<br />
entfernen, ein anderer verbrachte die Hälfte seiner<br />
Ausbildung auf dem Bau, Schläge waren keine<br />
Seltenheit.“ Die Lehrlinge machen die Missstände<br />
Die Welt, 17.9.1957: „DIHT meint: Lehre kein Arbeitsvertrag“<br />
– Der Lehrvertrag ist kein Arbeitsvertrag,<br />
er regelt vielmehr ein Erziehungs- und<br />
Ausbildungsverhältnis. Diese Feststellung trifft<br />
der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) in<br />
einer Entschließung. Bedauerlicherweise sei<br />
durch die tarifvertragliche Festsetzung von Erziehungsbeihilfen<br />
ein Element in die Regelung der<br />
Lehrverhältnisse eingedrungen, das sich bei dem<br />
zunehmenden Mangel an <strong>Jugend</strong>lichen störend<br />
bemerkbar mache. Die Höhe der Erziehungsbeihilfe,<br />
die fälschlicherweise als „Lehrlingslohn“ bezeichnet<br />
werde, gewinne bei der Werbung um<br />
den <strong>Jugend</strong>lichen zunehmende Bedeutung und<br />
beeinflusse die Berufswahlentscheidung nachteilig.<br />
Der DIHT vertritt daher die Auffassung, dass<br />
die Regelung der Erziehungs- und Ausbildungsbeihilfen<br />
nicht in den Lohn- und Tarifverträgen<br />
erfolgen soll.<br />
öffentlich und nennen Namen. Die Unternehmer wehren sich natürlich<br />
dagegen, an den Pranger gestellt zu werden, zum Beispiel in Essen<br />
mit den sogenannten „Lehrlingsprozessen“.<br />
Die Qualität der Ausbildung ist öffentliches Gesprächsthema.<br />
Der <strong>DGB</strong> bemüht sich, mehr auf die Forderungen seiner jungen Mitglieder<br />
einzugehen, und erklärt das Jahr 1971 zum „Jahr der jungen<br />
Arbeitnehmer“. Gerd Andres: „Als wir mit unserer Gruppe in der <strong>Jugend</strong>sendung<br />
,direkt' im Fernsehen auftraten, kam das im Westerwald<br />
erstmal einer halben Revolution gleich. Nachdem wir einem<br />
Handwerksmeister, der regelmäßig seinen Lehrling schlug, eine Ehrenurkunde<br />
für außerordentlich effiziente Ausbildungserfolge überreichten<br />
und das ganze mit Flugblättern und Presseartikeln öffentlich<br />
machten, meinten anfangs noch viele, wie kann man nur einen<br />
ehrbaren Handwerksmeister so mit Dreck beschmeißen. Aber mit<br />
der Zeit hatten wir immer mehr Leute auf unserer Seite. Selbst der<br />
Pastor sprach in der Kirche über die Missstände. Wir merkten bald,<br />
dass unsere Aktionen einiges im öffentlichen Bewusstsein in Gang<br />
setzten. ■<br />
Anne Graef (´ran, Juli 1987, 17. Jahrgang, Heft 7, Seite 43–45)
LEHRLINGS-<br />
8.5.1949 Mit 53 gegen 12 Stimmen beschließt der Parlamentarische<br />
Rat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das am 23.<br />
Mai 1949 in Kraft tritt.<br />
14.8.1949 Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag. Am 12. September<br />
wird Theodor Heuss durch die Bundesversammlung zum Bundespräsidenten<br />
gewählt. Konrad Adenauer (CDU) wird am 12. September<br />
zum Bundeskanzler gewählt.<br />
12.–14.10.1949 Gründungskongress des <strong>DGB</strong> in München. Verabschiedung<br />
des ersten Grundsatzprogramms.<br />
DEMONSTRATION<br />
DES <strong>DGB</strong> IN<br />
KÖLN AM<br />
14.6.1969<br />
Fotos: Fotoarchiv Ruhrlandmuseum / Manfred Scholz<br />
¥ 1971<br />
Tarifkämpfe in der<br />
chemischen Industrie – in vielen<br />
Großbetrieben beteiligen sich<br />
Lehrlinge an den Streikaktionen.<br />
Auch beim Chemie-Riesen Bayer.<br />
Den Lehrlingen dort wird die Entlassung<br />
angedroht, falls sie beim<br />
Streik mitmachen. Diese Mitteilung<br />
der Werksleitung wird öffentlich<br />
verbrannt. Hauptargument<br />
der Gegner des Lehrlingsstreiks:<br />
Das Lehrlingsverhältnis ist vor<br />
allem ein Erziehungsverhältnis.<br />
¥<br />
16.3.1950 Churchill tritt vor dem britischen Unterhaus als erster führender<br />
Politiker für die Wiederbewaffnung Deutschlands ein.<br />
25.6.1950 Ausbruch des Koreakrieges.<br />
29./30.11.1950 Urabstimmung der IG Metall, in der 96 Prozent der<br />
Mitglieder für einen Streik zur Durchsetzung der paritätischen Mitbestimmung<br />
in der Montanunion stimmen.<br />
26.5.1952 Deutschlandvertrag (Generalvertrag). Der in Bonn unterzeichnete<br />
„Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik<br />
Deutschland und den Drei Mächten“ sieht Gleichberechtigung<br />
der Bundesrepublik innerhalb der westeuropäischen Gemeinschaft<br />
vor. Die endgültigen Grenzen Deutschlands bleiben späteren Friedensverhandlungen<br />
vorbehalten.<br />
26.3.1954 Das 1. Wehrverfassungsgesetz regelt die Zuständigkeit des<br />
Bundes in Verteidigungs-, Wehrpflicht- und Zivilschutzangelegenheiten<br />
(Art. 73 Nr.1, 79 Abs. 2 und 142a GG).<br />
31.3.1959 Der Ministerausschuss des Europarates in Straßburg lädt die<br />
Bundesrepublik Deutschland und das Saarland ein, dem Rat als assoziierte<br />
Mitglieder beizutreten. Am 8. Juli 1950 wird die Bundesrepublik<br />
Mitglied.<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 5 RANDSPALTE<br />
Religionsunterricht<br />
an Berufsschulen<br />
„Kollege Masseling teilte mit, dass Kollege Kilian, Rüdesheim, eine Entschließung<br />
gegen den Religionsunterricht in den Berufsschulen gefasst<br />
und an den Kultusminister, Presse und Rundfunk weitergeleitet<br />
hat. Kollege Kilian war hierzu nicht berechtigt und hat damit viel<br />
Staub aufgewirbelt. Der Bundesvorstand hat diese Sache wieder klarstellen<br />
müssen.<br />
Kollege Petry gibt in diesem Zusammenhang bekannt, dass er zusammen<br />
mit den Falken, Naturfreunden und F.D.J. einen Antrag an die<br />
Fraktion des Hessischen Landtages betreffend <strong>Jugend</strong>pflegemittel<br />
eingereicht hat. Der Betrag von 585.000,- Mark soll erhöht<br />
werden, da allein für den Religionsunterricht in den<br />
Schulen 600.000,- Mark angesetzt sind. Ferner wurde in diesem<br />
Antrag gebeten, den Religionsunterricht in den Berufsschulen<br />
aufgrund einer besseren Berufsausbildung der <strong>Jugend</strong>lichen<br />
zurückzustellen. Dieser Antrag wurde inzwischen dem<br />
Haushaltsausschuss übergeben.<br />
Es erfolgte nun eine lebhafte Diskussion. Man war durchweg<br />
der Meinung, dass wir hiermit unsere religiöse Neutralität gefährden<br />
und uns in Zukunft von solchen Dingen fernhalten<br />
sollen. Andere Kollegen standen auf dem Standpunkt, dass<br />
wir, wenn eine gute Ausbildung unserer Lehrlinge gewährleistet<br />
werden soll, uns auch darum kümmern müssen. Hiermit<br />
wird bei irgendwelchen Angriffen unser Antrag unterstützt.“<br />
Auszug aus dem Protokoll der Bundesjugendausschuss-Sitzung am 2.4.49<br />
DIE FÜNFZIGER<br />
Erste Forderungen<br />
der <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong><br />
Auf der ersten Bundesjugendkonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes<br />
vom 25. bis 27. August 1950 in Hamburg wurden eine Reihe<br />
von Anträgen verabschiedet und auf<br />
Missstände hingewiesen. Zentrales<br />
Thema war die ständige Verschlechterung<br />
der sozialen Lage der arbeitenden<br />
<strong>Jugend</strong> des Bundesgebietes.<br />
Die <strong>Jugend</strong>konferenz stellte unter anderem<br />
folgende Forderungen auf:<br />
♦ Der Bundesjugendausschuss sollte<br />
ein Weißbuch veröffentlichen, in dem<br />
die „rücksichtslose Ausbeutung des<br />
jugendlichen Menschen durch die Industrie<br />
und ihre Vertreter“ angeprangert<br />
werden sollten.<br />
♦ Die Bundesregierung und die Regierungen<br />
der Länder sollten Sofortmaßnahmen<br />
zur „Intensivierung des staatspolitischen Unterrichts in<br />
allen berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen“ ergreifen.<br />
♦ Ferner wurden Maßnahmen zur „Behebung der Berufsnot der <strong>Jugend</strong><br />
und Beseitigung der <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit“ verlangt.<br />
♦ Ein Berufsausbildungsgesetz: Darin sollte das „volle und uneingeschränkte<br />
Mitbestimmungsrecht der Gewerkschaften in allen Fragen<br />
der Berufsausbildung“ sowie eine „eindeutige Regelung des Lehrverhältnisses<br />
als Arbeitsverhältnis der be<strong>sonder</strong>en Art“ verankert<br />
werden.<br />
FORTSETZUNG SEITE 9 RANDSPALTE<br />
7
8<br />
Foto: Jörg Lange<br />
„Am 8.6.1953 fasste der Bundesvorstand den Beschluss, das<br />
auf dem in Oberursel/Taunus an der Königsteiner Straße liegende<br />
Grundstück und das in einem Gebäudekomplex stehende Haupthaus<br />
als <strong>Jugend</strong>zentrum für die Gewerkschaftsjugend zu verwenden.<br />
Am Sonnabend, dem 23. Januar 1954 wurde um 11.30 Uhr<br />
das „Haus der Gewerkschaftsjugend, <strong>Jugend</strong>bildungs- und <strong>Jugend</strong>erholungsheim<br />
des Deutschen Gewerkschaftsbundes“ feierlich<br />
eröffnet und seiner Bestimmung übergeben.“ Diese erste Eintragung<br />
im Gästebuch, unterschrieben vom Bundesvorstand des <strong>DGB</strong><br />
und Vertretern der Einzelgewerkschaften, läutet<br />
die traditionsreiche Geschichte der Bildungseinrichtung<br />
ein.<br />
Das Gästebuch, dessen Einträge in der Folgezeit<br />
nicht ganz so steif und formell waren wie die<br />
erste, begleitet die Geschichte des Hauses leider nur bis Ende der<br />
sechziger Jahre. Aber für diese Zeit dokumentieren die Zeilen und<br />
Fotografien der BesucherInnen nicht nur ihre persönlichen Eindrücke,<br />
<strong>sonder</strong>n auch den Wandel der Mode und die politischen<br />
Veränderungen: Vom „braven“ Outfit der Fünfziger bis hin zur Abschaffung<br />
der bürgerlichen Traditionen, die sich nicht zuletzt in der<br />
Kleidung äußerte.<br />
O BERURSEL –<br />
D AS H AUS DER G EWERKSCHAFTSJUGEND<br />
J UGENDBILDUNGSARBEIT<br />
IM W ANDEL<br />
„... Die <strong>Jugend</strong> ist unser höchstes Gut.<br />
Drum seien wir alle auf der Hut,<br />
dass dieser Schatz uns nicht entrinnt<br />
und schlechte Kreise sie gewinnt ...“<br />
Das Haus der Gewerkschaftsjugend in Oberursel<br />
ist das älteste Bundesjugendbildungszentrum<br />
des Deutschen Gewerkschaftsbundes.<br />
Die Einrichtung steht für die politischen<br />
Veränderungen in der <strong>Jugend</strong>arbeit der vergangenen<br />
Jahrzehnte.<br />
Stärker als die Statements der TeilnehmerInnen stehen die Inhalte<br />
der Seminare für die Veränderungen in der <strong>Jugend</strong>bildungsarbeit<br />
der vergangenen Jahrzehnte. Am Anfang stand das gemeinsame<br />
Musizieren im Vordergrund: Singkreise, Laienspielgruppen<br />
und Kurse für modernen Gesellschaftstanz prägten das Angebot.<br />
Doch die beginnende Diskussion über Wiederbewaffnung und Ostermarschbewegung<br />
zeigte, dass <strong>Jugend</strong>liche sich politisch betätigen<br />
wollten. In den sechziger Jahren wurde dieser Entwicklung<br />
Rechnung getragen. Nun nahmen Lehrgänge für <strong>Jugend</strong>gruppenleiter<br />
und <strong>Jugend</strong>vertreter sowie politische Seminare<br />
immer mehr Raum ein. Langsam entwickelte<br />
sich ein neues, politisches Bildungskonzept, das<br />
auch allgemeine gesellschaftliche Konflikte und soziologische<br />
Diskussionen einbezog und sich nicht<br />
mehr allein mit gewerkschaftlichen Inhalten beschäftigte. Das beinhaltete<br />
auch den Abschied von der Verschulung der Seminare: Weg<br />
vom Referenten, der das Erlernte abfragt und Disziplin fordert; hin<br />
zur Teamarbeit und freien Diskussion.<br />
Dass diese Form der „offenen“ Bildungsarbeit Ende der sechziger<br />
und Anfang der siebziger Jahre nicht ohne Konflikte blieb, liegt<br />
auf der Hand. Die <strong>Jugend</strong> begann sich in Politik und Gesellschaft<br />
FORTSETZUNG SEITE 10
FORTSETZUNG VON SEITE 7 RANDSPALTE<br />
♦ Die schnelle Verabschiedung des vom <strong>DGB</strong> vorgelegten Gesetzentwurfes<br />
zur Frage der Mitbestimmung in der Wirtschaft.<br />
♦ Die Einberufung einer internationalen <strong>Jugend</strong>konferenz der freien<br />
Gewerkschaften, die sich vor allem mit der Organisation des <strong>Jugend</strong>austausches<br />
befassen soll.<br />
Außerdem verabschiedeten die Delegierten eine Entschließung zum<br />
Korea-Krieg, der am 25. Juni des Jahres begann und drei Jahre dauern<br />
sollte: „Der bolschewistische Machtanspruch hat in Korea den bisher<br />
kalten Krieg zu offenen Feindseligkeiten entflammen lassen. Immer<br />
mehr wird offenbar, dass allerorts durch Moskauhörige Kräfte der be<strong>sonder</strong>s<br />
von der <strong>Jugend</strong> so ersehnte Frieden bedroht ist. (...) Frieden<br />
schließt für uns Freiheit und Demokratie ein, jede andere Lösung vernichtet<br />
die Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben.“<br />
Des weiteren wurden die Leitsätze für die gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit<br />
festgelegt: „Das Aufgabengebiet (...) erstreckt sich auf die Wahrnehmung<br />
der sozialen und wirtschaftlichen Interessen der <strong>Jugend</strong>,<br />
Berufs- und Lehrlingsfragen, <strong>Jugend</strong>recht und <strong>Jugend</strong>schutz, wirtschaftliche,<br />
gesundheitliche, kulturelle und geistige Förderung der<br />
<strong>Jugend</strong>, <strong>Jugend</strong>fürsorge, Mitarbeit für die Ausbreitung und Festigung<br />
der Gewerkschaften.“ Angestrebt werden sollte dabei auch die Zusammenarbeit<br />
mit demokratischen <strong>Jugend</strong>organisationen auf nationaler<br />
sowie internationaler Ebene.<br />
Quelle: Protokoll der 1. Bundesjugendkonferenz des <strong>DGB</strong> vom 25. bis 27.8.1950<br />
Notstandsverfassung<br />
Im Deutschlandvertrag (26.3.52) war festgelegt<br />
worden, dass die den Besatzungsmächten zustehenden<br />
Rechte bezüglich des Schutzes ihrer in der<br />
Bundesrepublik stationierten Streitkräfte auf deutsche<br />
Behörden übergehen sollten, sobald diese<br />
von der deutschen Gesetzgebung die Vollmachten<br />
dafür erhalten haben würden. Das bedeutete: Um<br />
die Einschränkung der Souveränität der Bundesrepublik<br />
aufzuheben, mussten Gesetze für jede Art<br />
von Notsituation in das Grundgesetz eingebaut<br />
werden. Bereits mit dem ersten Entwurf des Bundesinnenministeriums<br />
im Jahre 1958 begann eine<br />
heftige Diskussion um die Notstandsgesetze. Dieser<br />
und die weiteren Entwürfe (1960 und 1963),<br />
die die Rechte der Exekutive stark ausweiteten,<br />
fanden nicht die notwendige Mehrheit im Parlament.<br />
Die Große Koalition (1966–1969) griff das<br />
Problem wieder auf. Die jetzt unter der Mitarbeit<br />
der SPD neu gestalteten Notstandgesetze wurden<br />
Foto: Archiv der sozialen Demokratie<br />
FORTSETZUNG SEITE 11 RANDSPALTE<br />
9
10<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 8<br />
einzumischen und dies auch laut zu verkünden: Studentenunruhen,<br />
Lehrlingsbewegung und Friedensdemonstrationen<br />
bestimmten das politische <strong>Jugend</strong>bild der<br />
Siebziger. Diese Alternativbewegung kritisierte die<br />
Grundpfeiler der Wirtschaftsordnung und stellte traditionelle<br />
Lebensentwürfe in Frage. Die Gewerkschaften<br />
mussten um ihre jugendlichen Mitglieder bangen. Dieser<br />
Entwicklung versuchte man in Oberursel Rechnung<br />
zu tragen und entwickelte ein Thesenpapier zur gewerkschaftlichen<br />
Bildungsarbeit, das die Krise thematisierte<br />
und Lösungskonzepte beinhaltete. Das Papier stieß in<br />
den Organisationen auf Kritik und wurde als „Panikmache“<br />
und „Krisengerede“ abgetan.<br />
In der Folgezeit sorgten die Mitarbeiter des Hauses<br />
der Gewerkschaftsjugend immer wieder für politischen<br />
Zündstoff innerhalb und außerhalb der gewerkschaftli-<br />
chen Institutionen. Im Juni 1979, die Schule feierte ihr 25-jähriges<br />
Bestehen, verkündet Karl Schwab, im Vorstand des <strong>DGB</strong> zuständig<br />
für <strong>Jugend</strong>: „Ich habe veranlasst, dass ab sofort das Haus der Gewerkschaftsjugend<br />
Oberursel und sein Leiter, Kollege Hinrich Oetjen,<br />
aus der Abteilung <strong>Jugend</strong> beim <strong>DGB</strong>-Vorstand ausgegliedert<br />
und mir direkt unterstellt wird.“ Der Versuch, die Auseinandersetzungen<br />
damit zu beenden, scheiterte. 1980 bekam Schulleiter Oetjen<br />
auf Antrag der IG-Metall Öffentlichkeitsverbot; er durfte sich nur<br />
noch intern zu den Konflikten äußern. Nachdem die Schule aus der<br />
Abteilung <strong>Jugend</strong> ausgegliedert worden war, sollte sie stärker der<br />
Durchführung von Arbeitstagungen und Forschungsvorhaben dienen,<br />
auf deren Basis neue Wege gewerkschaftlicher <strong>Jugend</strong>politik erschlossen<br />
werden sollten.<br />
In den achtziger Jahren wurde die Situation der Schule immer<br />
prekärer. Zwar waren die eigenen Seminare gut besucht, der eigent-<br />
FORTSETZUNG SEITE 12<br />
„ ... Individualismus, der Bedeutungswandel von Kultur, die veränderte Bewertung<br />
des Geschlechterverhältnisses und der ökologischen Krise: Entwicklungen,<br />
die sich gegenseitig durchdringen, die miteinander verbunden<br />
sind und die auf die Frage zugespitzt werden können, wodurch die Industriegesellschaften<br />
des ausgehenden 20. Jahrhunderts geprägt sind. In<br />
der Diskussion sind Begriffe wie Freizeitgesellschaft, Informationsgesellschaft,<br />
Dienstleistungsgesellschaft, postindustrielle Gesellschaft. Reicht es also<br />
noch aus, den Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital als den<br />
Grundwiderspruch zu orten, der die Gesellschaft bestimmt?“<br />
DAS PROJEKT<br />
„KUNST IM PARK“<br />
ERHÖHT DIE<br />
ATTRAKTIVITÄT<br />
DER HOCHHERR-<br />
SCHAFTLICHEN<br />
PARKANLAGE IN<br />
OBERURSEL<br />
SPEISESAAL IN<br />
OBERURSEL<br />
TEILNEHMER EINES<br />
„ROCKER-SEMINARS“<br />
MITTE DER<br />
SIEBZIGER JAHRE
„... vor 23 Uhr kamen wir nie heim.<br />
Am Morgen guckten wir dann dumm drein.<br />
Die Augen fielen uns fast zu,<br />
doch die Referenten gaben keine Ruh ...“<br />
Foto: Jörg Lange<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 9 RANDSPALTE<br />
am 30. Mai 1968 im Bundestag beschlossen. Die Debatte über die<br />
Gesetze führte sowohl im Parlament wie auch in der Öffentlichkeit zu<br />
heftigen Auseinandersetzungen. Vor allem die Gewerkschaften und<br />
Studenten führten im ganzen Land Protestkundgebungen durch, da<br />
sie einen extremen Machtzuwachs des Staates erwarteten.<br />
Die am 28. Juni 1968 in Kraft getretene Notstandsverfassung sieht vor,<br />
dass der Verteidigungsfall auf Antrag der Bundesregierung vom Bundestag<br />
mit Zustimmung des Bundesrates festgestellt wird. Kann der<br />
Bundestag nicht vollständig zusammentreten, trifft der „Gemeinsame<br />
Ausschuss“ die Entscheidung. Dieser besteht (seit 1990) aus 16<br />
Mitgliedern des Bundesrates (ein Vertreter pro Land) und 32 Bundestagsabgeordneten,<br />
die nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bestimmt<br />
werden. Der „Gemeinsame Ausschuss“ tritt auch im Verteidigungsfall<br />
an die Stelle von Bundestag und Bundesrat,<br />
sollten diese weiterhin nicht zusammentreten<br />
können. Dabei darf die Stellung des Bundesverfassungsgerichtes<br />
nicht eingeschränkt werden.<br />
Die Gesetzgebungskompetenz und Weisungsbefugnisse<br />
des Bundes gegenüber den Ländern werden<br />
im Verteidigungsfall erweitert. Das Gesetzgebungsverfahren<br />
wird vereinfacht und die Befehlsgewalt<br />
über die Streitkräfte geht auf den Bundeskanzler<br />
über. Darüber hinaus kann zum Teil erheblich<br />
in verschiedene Grundrechte eingegriffen<br />
werden, das gilt auch für den inneren Notstand,<br />
im Katastrophenfall sowie im Spannungsfall.<br />
Erstes<br />
Bundesjugendtreffen<br />
1952<br />
Rund 25.000 deutsche <strong>Jugend</strong>liche kamen beim<br />
ersten Bundesjugendtreffen vom 18. bis 20. Juli<br />
1952 in Frankfurt zusammen. Hinzu kamen <strong>Jugend</strong>gruppen<br />
aus dem europäischen Ausland und<br />
der Ostzone. Die männlichen Teilnehmer der<br />
Großveranstaltung waren in einem Zeltlager in<br />
unmittelbarer Nähe des Waldstadions untergebracht.<br />
Kritisiert wurde dabei die Größe der Zelte,<br />
die durchschnittlich rund 200 Personen fassten.<br />
„Für die Unterbringung der Mädel war ursprünglich<br />
eine große Halle im Messegelände der<br />
Stadt Frankfurt vorgesehen. Nach einer<br />
Ortsbesichtigung der vorbereitenden Kommission<br />
wurde jedoch entschieden, die Mädel in Privatquartiere<br />
zu legen“, heißt es in dem Bericht<br />
über das Treffen.<br />
In dem Bericht wurde folgendes Resümee gezogen:<br />
Der Arbeitersamariterdienst versorgte an<br />
den drei Tagen 2121 Verletzungen. Hauptsächlich<br />
waren es „Verstauchungen, Brand-, Riss- und<br />
Schürfwunden sowie Nervenerkrankungen und<br />
Augenverletzungen.“ Weiter wurde die Verpflegung<br />
der TeilnehmerInnen als qualitativ und<br />
mengenmäßig ausgezeichnet bezeichnet und<br />
auch die Ausgabe hätte reibungslos funktioniert.<br />
Kritik gab es beim Ordnungsdienst, dessen Organisation<br />
„nicht genügend straff“ war.<br />
Weiter heißt es, dass Gegenaktionen der FDJ bereits<br />
im Vorfeld fast völlig verhindert werden<br />
FORTSETZUNG SEITE 13 RANDSPALTE<br />
11
12<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 10<br />
liche Auftrag, die Weiterbildung von <strong>Jugend</strong>funktionären, konnte<br />
jedoch nicht mehr in vollem Umfang geleistet werden, da die Teilnehmerzahlen<br />
stetig sanken. Im Jahresbericht 1985 wurde dieser<br />
Mangel deutlich formuliert: „(...) macht sich in der zentralen <strong>Jugend</strong>bildungsstätte<br />
der Mangel an aktiven <strong>Jugend</strong>gruppen im Betrieb<br />
und am Ort und damit einhergehend ein Mangel an <strong>Jugend</strong>funktionären<br />
bemerkbar.“ Weiter heißt es: „(...) Die Zahl der TeilnehmerInnen,<br />
die zwar Gewerkschaftsmitglieder sind, aber nicht<br />
aus funktionierenden Strukturen zu uns kommen, nimmt beständig<br />
zu. Die meisten kommen, um ein individuelles Bildungsbedürfnis zu<br />
erfüllen.“ Um überleben zu können, mussten diese Probleme bewältigt<br />
werden. Eine Reaktion war das Angebot an Bildungsurlaubsseminaren,<br />
wodurch sich Themen und TeilnehmerInnen wandelten.<br />
Die MitarbeiterInnen des Hauses hatten nun mit <strong>Jugend</strong>lichen zu<br />
tun, die nicht gewerkschaftlich arbeiteten. Für sie stand, neben der<br />
Bildung, der Urlaub im Vordergrund ihrer Motivation.<br />
Mitte der achtziger Jahre beschrieb das Oberurseler Team die<br />
Veränderungen in einem Aufsatz und resümierte: „(...) Nach der Seminarkritik<br />
bleibt weiterhin diffus, was in dieser Woche gelernt worden<br />
ist. Ein direkter Lernerfolg ist nicht auszumachen. (...) Für die<br />
Bildungsseminare trifft die Voraussetzung der gewerkschaftlichen<br />
Bildungsarbeit, fast ausschließlich auf eine betriebliche und<br />
gewerkschaftliche Praxis bezogen zu sein, nicht zu. (...) Diese<br />
Seminare haben im Leben der <strong>Jugend</strong>lichen einen völlig<br />
anderen Charakter. Sie sind ein aus dem Alltag herausgehobenes<br />
Ereignis, mit fast so hohen Erwartungen an das Erlebnis<br />
belegt wie der Jahresurlaub.“ Im Jahresbericht 1988 kommen<br />
die Oberurseler zu der Schlussfolgerung: „(...) dass wir<br />
diese mehr individualistisch geprägte Seminarerwartung<br />
nicht denunzieren sollten, <strong>sonder</strong>n in unser Verständnis<br />
gewerkschaftlicher Bildungsarbeit integrieren müssen. Überdies<br />
zeigen unsere Erfahrungen, dass diese Teilnehmer, die<br />
oft nicht organisiert sind, nach einer Orientierungszeit aus<br />
eigener Überzeugung einer Gewerkschaft beitreten; nicht<br />
selten kommen sie dann als gewerkschaftlich engagierte Kollegen<br />
zu weiteren Seminaren.“<br />
Die politischen Umbrüche Anfang der neunziger Jahre<br />
verursachten ein neue Krise, die die Inhalte der bisherigen<br />
Bildungsarbeit in Frage stellten. Horst-Dieter Zahn, bis 1994<br />
Schulleiter in Oberursel, warf die Frage auf: „Reicht es also<br />
noch aus, den Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital<br />
als den Grundwiderspruch zu orten, der die Gesellschaft<br />
prägt?“ Weiter resümierte Zahn, es gebe nicht mehr die<br />
„Gewissheit der Systemalternative“ und der Marxismus sei<br />
„nicht mehr Leitwissenschaft.“ Die Schlussfolgerungen, die<br />
aus dieser Erkenntnis gezogen wurden, prägten die Seminarangebote<br />
in der Folgezeit. Die neu formulierten Ziele laute-<br />
„ ... Wir meinen, dass über diese Gesellschaft nicht nur nicht genug,<br />
<strong>sonder</strong>n einfach viel zu wenig ausgesagt wird, wenn sie als Klassengesellschaft<br />
charakterisiert werden soll. ... Wir meinen, dass die Realität<br />
und das Bewusstsein, die man vor Jahren mit dem Begriff Klassengesellschaft<br />
meinte, heute in jeder Hinsicht sich so gewandelt haben,<br />
dass der Begriff in dieser Weise nichts mehr taugt. Strukturen<br />
sozialer Ungleichheit haben sich selber gewandelt; sie verlaufen nicht<br />
mehr entlang des Widerspruchs von Kapital und Arbeit.“<br />
„ ... Ist es für ein Haus der Gewerkschaftsjugend abstrus, abwegig, ein<br />
ten: Identität stärken, Analyse- und Kritikfähigkeit<br />
entwickeln, strategische<br />
Fantasie fördern!<br />
Neben den Problemen, die <strong>Jugend</strong>bildungsarbeit<br />
neu zu konstituieren, stehen<br />
seit den neunziger Jahren Finanzierungsfragen<br />
im Vordergrund. Die Instandhaltung<br />
und Erneuerung des denkmalgeschützten<br />
Gebäudes ist finanziell<br />
aufwendig. In den vergangenen Jahren<br />
wurde immer deutlicher, dass die Entscheidung,<br />
die notwendigen Investitionen<br />
zu leisten, nicht allein auf politischer<br />
Ebene getroffen werden kann. ■<br />
Quelle: „40 Jahre sind kein Alter“, Zum<br />
Jubiläum des Hauses der Gewerkschaftsjugend,<br />
Oberursel/Taunus, Juli 1994<br />
Das Haus der Gewerkschaftsjugend im Internet:<br />
www.hdgj.de<br />
„...Es ist Aufgabe des historischen<br />
Seminar zum Thema „Singles“ zu ma-<br />
Materialismus, zu zeigen, wie alles<br />
chen? Hat das überhaupt noch was mit<br />
kommen muss – und wenn es nicht<br />
kommt, zu zeigen, warum es nicht Arbeit zu tun? Natürlich nicht. Oder? Es<br />
kommen konnte....“<br />
hat mit Fragen der Kultur zu tun – Lebensstil,<br />
Kulturindustrie usw. – die nicht<br />
einen Randbereich ausmachen ... , <strong>sonder</strong>n von zentraler Bedeutung sind.“<br />
„ ... Die alten Gewissheiten haben ausgedient, die eherne Geschlossenheit<br />
gehört der Vergangenheit an.“<br />
Aus: Horst-Dieter Zahn, „Neue Ziele, neue Wege in der Bildungsarbeit“, Oberursel Juni 1994<br />
Foto: Jörg Lange
UM DEN DROHENDEN VERKAUF ZU VERHINDERN, BESETZTEN JUNGE GEWERKSCHAFTER-<br />
INNEN IM HERBST 1998 DAS HAUS DER GEWERKSCHAFTSJUGEND IN OBERURSEL. EINE<br />
BUNDESWEITE WELLE DER SOLIDARITÄT BEGLEITETE IHRE AKTIVITÄTEN.<br />
Gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit<br />
in der Diskussion<br />
Bei einer Arbeitstagung in Oberursel im September 1955 diskutieren die<br />
Gewerkschaftsjugendvertreter auch über die Formen der gewerkschaftlichen<br />
<strong>Jugend</strong>arbeit in den Betrieben: „Es ist bekannt, dass die Entwicklung<br />
der Gewerkschaft in ihrer Gesamtheit in entscheidendem Maße<br />
von dem Einfluss im Betrieb abhängt. (...) Vor allem ist es notwendig, eine<br />
wissenschaftlich einwandfreie Meinungsforschung im Betrieb als<br />
Grundlage für die gewerkschaftliche Betriebsarbeit zu betreiben, wie sie<br />
im Ausland, vor allem in Amerika, bereits praktiziert wird.“<br />
Diskutiert wurde auch über einen notwendigen Wandel der <strong>Jugend</strong>arbeit:<br />
„Soziologische Untersuchungen haben ergeben, dass etwa 60 bis 65<br />
Prozent der <strong>Jugend</strong>lichen an der Arbeit der <strong>Jugend</strong>verbände nicht interessiert<br />
sind. (...) Diese Tatsache zwingt zu der Frage, welche Interessen<br />
hat der <strong>Jugend</strong>liche und welche Forderungen stellt er an seine Freizeit.“<br />
Dazu wurden folgende Feststellungen getroffen:<br />
„a) Der <strong>Jugend</strong>liche von heute hat ein Verlangen nach Ordnung, Sicherheit,<br />
Einigkeit und Freiheit.<br />
b) Er steht den Institutionen und Organisationen sowie dem Staat fremd<br />
gegenüber.<br />
c) Die Wünsche und Interessen des <strong>Jugend</strong>lichen sind mit dem Beruf, dem<br />
persönlichen Aufstieg sowie der Chance, etwas zu werden und etwas zu<br />
sein, verbunden.<br />
d) Die freiwillige Einordnung in ein Kollektiv oder in eine Gemeinschaft ist<br />
zurückgetreten.“<br />
Für die künftige <strong>Jugend</strong>arbeit sollte als Ergebnis der Arbeitstagung eine veränderte<br />
Vorgehensweise entwickelt werden, die besser auf die Bedürfnisse<br />
der <strong>Jugend</strong>lichen eingehen sollte. Be<strong>sonder</strong>s gepflegt werden sollten<br />
bei der Altersgruppe der 17- bis 25-jährigen in Zukunft die „zeitnahe<br />
Geselligkeit“ sowie „zwischenmenschliche Beziehungen“; dabei wurde<br />
Koedukation als selbstverständlich betrachtet.<br />
Quelle: 4. Zentrale Arbeitstagung vom 28.–30. September 1955 – Hier: Berichterstattung<br />
Arbeitskreis II – Hat sich unsere <strong>Jugend</strong>gruppen- und <strong>Jugend</strong>bildungsarbeit bewährt?<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 11 RANDSPALTE<br />
konnten: „Die Störung in der Festhalle bewirkte lediglich, dass sich<br />
die Stimmung der Teilnehmer wesentlich hob. Die Störversuche<br />
während des Fackelzuges und anlässlich der Abschlusskundgebung<br />
waren bedeutungslos.“<br />
Der Bericht wertete das<br />
Verhalten der TeilnehmerInnen<br />
als unerwartet<br />
gut und diszipliniert.<br />
Bemängelt wurde<br />
lediglich der äußere<br />
Eindruck bei einigen:<br />
(...) die trotz vieler Hinweise,<br />
Gepäck und Kleidung<br />
jugendgemäß zu<br />
halten, in Straßenanzügen<br />
und mit Koffern kamen.“<br />
Die Organisation<br />
wurde im Allgemeinen,<br />
trotz einiger<br />
Probleme durch Arbeitsüberlastung,<br />
als<br />
mustergültig bezeichnet.<br />
Quelle: Bericht über das 1.<br />
Bundesjugendtreffen der<br />
Gewerkschaftsjugend vom 18.–20. Juli 1952 in Frankfurt am Main<br />
<strong>Jugend</strong>zeitschrift<br />
„Aufwärts“<br />
Im Januar 1955 erscheint die <strong>Jugend</strong>zeitschrift „Aufwärts“ der Abteilung<br />
<strong>Jugend</strong> des <strong>DGB</strong> erstmals in veränderter Form: Einmal monatlich<br />
in einem illustrierten Format mit einem Umfang von 24 Seiten.<br />
Der Preis für eine Ausgabe beträgt 30 Pfennig. Im Jahresbericht der<br />
Abteilung <strong>Jugend</strong> heißt es: „Seine bisher sozialkritische Tendenz<br />
wird der „Aufwärts“ auch in Zukunft beibehalten. Der durch den erweiterten<br />
Umfang gewonnene Raum soll der <strong>Jugend</strong>fortbildung zugute<br />
kommen. Be<strong>sonder</strong>s (...) die 14- bis 17-jährigen sollen mehr als<br />
bisher angesprochen werden.“<br />
Quelle: <strong>DGB</strong> Mitteilungen der Abteilung <strong>Jugend</strong>, Hamburg 19.1.1956<br />
Arbeitslose <strong>Jugend</strong><br />
im Osten<br />
„Schon 1948 haben die Sozialisten daraufhingewiesen, dass vom Jahre<br />
1953 an eine hohe Zahl von Schulabgängern vorhanden und ihre<br />
Eingliederung in den Arbeitsprozess be<strong>sonder</strong>s schwierig sein wird.<br />
Die Sozialisten haben verlangt, dass für die Unterbringung der <strong>Jugend</strong>lichen<br />
auf Lehr- und Arbeitsplätze rechtzeitig entsprechende<br />
Maßnahmen vorbereitet werden. Sie haben eine Reihe von Vorschlägen<br />
gemacht.<br />
(...) Erst 1953, also sozusagen in letzter Minute, hat sich über die Anregung<br />
von Sozialminister Maisel die Regierung mit der Frage der <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit<br />
beschäftigt und drei Maßnahmen beschlossen,<br />
die ihr entgegenwirken sollten. (...) Schließlich blieb nur die Erlassung<br />
eines <strong>Jugend</strong>einstellungsgesetzes. Dieses Gesetz wurde vom<br />
Nationalrat am 9. Juli 1953, also am Ende der vorjährigen Frühjahrssession<br />
in der letzten Sitzung als vorletzte Vorlage beschlossen. (...):<br />
Das <strong>Jugend</strong>einstellungsgesetz: Das Gesetz bestimmt, dass Dienstgeber<br />
mit mindestens fünf Dienstnehmern einen <strong>Jugend</strong>lichen und auf je<br />
weitere fünfzehn Dienstnehmer ebenfalls einen <strong>Jugend</strong>lichen und<br />
FORTSETZUNG SEITE 15 RANDSPALTE<br />
13
14<br />
<strong>DGB</strong>-JUGEND IN A KTION<br />
WER,WENN NICHT WIR!<br />
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik<br />
haben die Gewerkschaften massiv in einem<br />
Bundestagswahlkampf mitgemischt. Mit der<br />
großangelegten <strong>DGB</strong>-Aktion „Deine Stimme für<br />
soziale Gerechtigkeit“ votierten die Gewerkschaften<br />
nach 16 Jahren Kohl-Regierung für<br />
einen Politikwechsel. Die <strong>Jugend</strong> der Gewerkschaften<br />
schlossen sich zum <strong>Jugend</strong>bündnis „Wer,<br />
wenn nicht wir“ zusammen und setzten auf<br />
eine zukunftsfähige Politik.<br />
Das <strong>Jugend</strong>bündnis forderte sinnvolle Arbeit, Ausbildung und<br />
Bildung für jeden, die gerechte Verteilung des erarbeitenden Reichtums<br />
und den schonenden Umgang mit Umweltressourcen. Monatelang<br />
zogen die <strong>Jugend</strong>abteilungen des <strong>DGB</strong> und der Einzelgewerkschaften<br />
an einem Strang und mobilisierten ihre Kräfte für eine<br />
Politikwende. Höhepunkt der Anstrengungen war ein Aktions-Festival<br />
am 19. September 1998 in Frankfurt. In der SOLI, Ausgabe 6/<br />
1998, zogen die Beteiligten ein Resümee.<br />
Roland Schinko, Bundesjugendsekretär des <strong>DGB</strong>:<br />
„Man muss viele Jahre zurückschauen, um eine Aktion der <strong>DGB</strong><br />
<strong>Jugend</strong> ähnlichen Kalibers zu finden. Über 30.000 <strong>Jugend</strong>liche<br />
kamen nach Frankfurt, darunter viele Schülerlnnen und StudentInnen.<br />
In einigen Organisationsbereichen, in denen die <strong>Jugend</strong>arbeit<br />
seit langem am Boden liegt, war das Festival der Impuls für einen<br />
Neubeginn. Alle Mitgliedsgewerkschaften standen hinter dem Aktionstag.<br />
Ein Umstand, der, wie die Vergangenheit lehrt (Beispiel<br />
Panzerknacker), nicht selbstverständlich ist. Die <strong>Jugend</strong>abteilungen<br />
der <strong>DGB</strong> Landesbezirke konnten eingebunden werden und organi-<br />
Fotos: Jürgen Planert<br />
27.9.1998: Bundestagswahlen. sierten eine breite Unterstützung.<br />
Die 16-jährige Ära von Bundes- Anwesende Vorstandsmitglieder<br />
kanzler Helmut Kohl ist beendet.<br />
Die Koalition CDU/CSU<br />
und F.D.P. wird abgewählt.<br />
Das Wahlergebnis ermöglicht<br />
zeigten sich begeistert und waren<br />
voll des Lobes. Auch von den <strong>Jugend</strong>lichen<br />
höre ich sehr viel Posi-<br />
den Machtwechsel zur rottives. Zunächst skeptische Hauptgrünen<br />
Koalition unter Bundesamtliche, die nur zögernd Karten<br />
kanzler Gerhard Schröder<br />
(SPD). Ergebnisse: SPD 40,9%<br />
(298 Mandate), CDU/ CSU<br />
35,1% (245), Bündnis 90/Die<br />
abnahmen, mussten sich ob der<br />
unerwarteten Nachfrage auf dem<br />
„Schwarzmarkt“ versorgen. Festzu-<br />
Grünen 6,7% (47), FDP 6,2% stellen bleibt: Die <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> hat<br />
(44), PDS 5,1% (35).<br />
sich zurückgemeldet.<br />
(...) Nachdem die Bundestagswahlen<br />
vorüber sind, müssen wir nun unsere politischen Inhalte<br />
präzisieren und uns in der veränderten politischen Landschaft neu<br />
positionieren. Dazu bedarf es jetzt sehr viel konzeptioneller Kleinarbeit,<br />
die natürlich auch öffentlichkeitswirksam in Aktionen umgesetzt<br />
werden muss. Beides – Inhalt und Form – muss jetzt im Zentrum<br />
unserer Diskussionen stehen. Wir müssen deutlich machen,<br />
dass die <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> eine Vision von einer anderen Gesellschaft hat.<br />
Ich bedanke mich recht herzlich für Eure Unterstützung.“<br />
Steffen Kühhirt, Bundesjugendsekretär der ÖTV:<br />
„Grundsätzlich war die Aktion ein Erfolg. Die Wahlparade und<br />
das Konzert waren eine gelungene Mischung aus Politik und Spaß.<br />
Wir haben dort für eine offene, moderne Reformpolitik gestanden<br />
und Einfluss genommen. Das Wahlergebnis gibt uns recht. Kritisch<br />
zu betrachten ist die Aktion auf der Friedensbrücke. Das war keine<br />
Aktion des <strong>Jugend</strong>bündnisses, <strong>sonder</strong>n die von Einzelgewerkschaften.<br />
Diese Art, mit demokratischen Parteien umzugehen, ist nicht<br />
unsere Form der politischen Auseinandersetzung. Das Gesamtergebnis<br />
wurde dadurch allerdings nicht geschmälert. Bei dieser<br />
FORTSETZUNG AUF SEITE 18
FORTSETZUNG VON SEITE 13 RANDSPALTE<br />
bei mehr als 300 Dienstnehmern auf je 25 die 300 übersteigende<br />
Zahl der Dienstnehmer einen weiteren <strong>Jugend</strong>lichen einzustellen<br />
haben. Den <strong>Jugend</strong>lichen (14 bis 18 Jahre) werden Absolventen von<br />
Fachschulen, mittleren Lehranstalten und Hochschulen gleichgestellt,<br />
sofern ihre Abschlussprüfung nicht mehr als zwei Jahre<br />
zurückliegt; außerdem ist die Gleichstellung solcher Personen mit<br />
einem Jahr begrenzt. Die Hoheitsverwaltung, die Bundesbahn, die<br />
Postverwaltung, die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Vereine<br />
sind vom Gesetz ausgenommen; die Betriebe der öffentlichrechtlichen<br />
Körperschaften, der Vereine sowie des Bundes, der Länder<br />
und Gemeinden unterliegen jedoch dem Gesetz und sind somit<br />
einstellungspflichtig. Die <strong>Jugend</strong>lichen können als Lehrlinge, Arbeiter<br />
oder Angestellte eingestellt werden. Die Einstellung darf nicht<br />
zum Anlass genommen werden, um Erwachsene zu kündigen. Betriebe,<br />
die sich der Einstellung entziehen, haben für jeden <strong>Jugend</strong>lichen<br />
pro Monat eine Ausgleichstaxe zu bezahlen.“<br />
Aus: „Trotzdem“, Die Zeitschrift der Jungen Sozialisten, 7. Jg., Nr. 3, 1. März 1954<br />
Gegen<br />
Wiederbewaffnung<br />
Die Mehrheit der Gewerkschaftsjugend<br />
sowie die der Erwachsenenverbände<br />
lehnte die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik<br />
ab. Ihre Ablehnung brachten<br />
sie unter anderem durch Versammlungen,<br />
Demonstrationen, Artikel und<br />
Flugblätter zum Ausdruck. Das Parlament<br />
der Bundesrepublik nahm jedoch,<br />
trotz der Widerstände in großen Teilen<br />
der Bevölkerung, die sogenannten Pariser<br />
Verträge an und bejahte damit die<br />
Bildung einer bewaffneten Truppe in<br />
der Bundesrepublik.<br />
Im September 1955 erklärte die Gewerkschaftsjugend<br />
in einer Arbeitstagung:<br />
„Es ist unmöglich, diesen Beschluss<br />
des Parlamentes durch einen<br />
eventuellen Generalstreik rückgängig<br />
zu machen.“ Nach wie vor stand man<br />
jedoch einer Wiederbewaffnung ablehnend<br />
gegenüber. Weiter heißt es: „Aus<br />
der Entscheidung des Parlamentes ergeben<br />
sich aber für die gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit ganz konkrete<br />
und verantwortungsvolle Aufgaben, die nicht dadurch gelöst<br />
werden, dass man sich in den Schmollwinkel zurückzieht und auf<br />
seine ablehnende Haltung hinweist. Real und nüchtern muss die<br />
neue Entwicklung gesehen werden. Es gilt, sich darauf einzustellen.“<br />
Im einzelnen machte die Gewerkschaftsjugend folgende Vorschläge,<br />
der aktuellen Situation zu begegnen und die künftigen<br />
Wehrpflichtigen zu unterstützen:<br />
❚ Neue Formen der Gruppenarbeit<br />
❚ Verstärkter Bau von <strong>Jugend</strong>heimen<br />
❚ Sicherung der beruflichen Ausbildung<br />
❚ Sicherung des Arbeitsplatzes<br />
❚ Kontakt mit den Einberufenen<br />
❚ Berufliche Weiterbildung während der Dienstzeit<br />
❚ Staatsbürgerliche Weiterbildung während der Dienstzeit<br />
❚ Erziehungsformen vor und während der Militärzeit (Einordnung,<br />
Unterordnung)<br />
FORTSETZUNG SEITE 17 RANDSPALTE<br />
15
16<br />
Fotos: Jürgen Planert<br />
P ROGRAMM DES A KTIONS-F ESTIVALS<br />
„J UGENDBÜNDNIS FÜR EINE ZUKUNFTSFÄHIGE<br />
P OLITIK“ AM 19.9.1998<br />
IM F RANKFURTER W ALDSTADION<br />
Mit: Chumbawamba – Fury in the Slaughterhouse – Freundeskreis –<br />
Fettes Brot – Bell, Book & Candle – Guano Apes – Prinz Eisenherz feat.<br />
EMMA – Ingo Appelt – und weiteren Highlights<br />
D EMO ZUR F RIEDENSBRÜCKE<br />
Gegen 12.00 Uhr beginnt an allen Aktionsorten die Demonstration zur<br />
Friedensbrücke. Dort treffen sich die Demo-Züge gegen 12.30 Uhr zu<br />
einer letzten Aktion und zur anschließenden gemeinsamen Wahlparade<br />
zum Frankfurter Waldstadion. Die Wahlparade wird von etwa 20 Wagen<br />
begleitet und muss frühzeitig am Waldstadion eintreffen. Aus organisatorischen<br />
Gründen wird der Einlass ins Stadion verhältnismäßig viel Zeit in<br />
Anspruch nehmen.<br />
Fotos: Jürgen Planert<br />
Pressesplitter<br />
❚ „Die <strong>DGB</strong>-Kundgebung war geschmacklos, unanständig<br />
und menschenverachtend.“ Joachim Hörster, MdB,<br />
parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU Bundestagsfraktion<br />
❚ „Demokratiefeindlich und eine Vergeudung von Gewerkschaftsbeiträgen<br />
auf primitivem Niveau.“ CDU und<br />
F.D.P. in Hessen<br />
❚ „Minister ging unter Gejohle baden: Unter dem verdutzten<br />
Blick flüchtender Schwäne und Enten ging als erstes<br />
Bundesfinanzminister Theo Waigel über Bord.“ Wiesbadener<br />
Kurier<br />
❚ „Protest mit Witz und Spott: Das Frankfurter Bankenviertel<br />
gehört an diesem Sonnabend der Gewerkschaftsjugend.“<br />
Hannoversche Allgemeine Zeitung<br />
❚ „Wenn es bei dem Aktionsfestival der Gewerkschaftsjugend<br />
eine zentrale Botschaft gab, dann diese: Kohl muss<br />
weg.“ Stuttgarter Nachrichten<br />
❚ „... versuchten sie am Wochenende mit spektakulären,<br />
witzigen, frechen und konfrontativen Aktionen den Blick<br />
auf die aus ihrer Sicht vernachlässigten Interessen<br />
von jungen Menschen zu lenken.“ Süddeutsche<br />
Zeitung<br />
❚ „Die Polizei lobte die „gute Organisation“ der<br />
Veranstaltung. Trotz Straßensperrungen am Vormittag<br />
habe es „keine größeren Verkehrsprobleme“<br />
gegeben, sagte Polizeisprecher Karl-Heinz<br />
Wagner.“ Frankfurter Rundschau<br />
❚ „Schröder musste schmerzlich erkennen, dass es<br />
„Wer, wenn nicht Wir“ zuvörderst um einen Politikwechsel<br />
und nicht um einen Politikerwechsel<br />
geht.“ Neues Deutschland<br />
❚ „Mit viel Spektakel und fetziger Musik forderten<br />
30.000 <strong>Jugend</strong>liche das Ende der Ära Kohl: Und<br />
tschüß.“ Frankfurter Rundschau<br />
❚ „Scharf kritisierte der Präsident des Frankfurter
Einzelhandelsverbandes die gestrige Demonstration. Der <strong>DGB</strong> habe damit 30<br />
Arbeitsplätze vernichtet, sagte Frank Albrecht. Eine solche Demonstration dürfe<br />
es nie wieder geben.“ FAZ Sonntagszeitung<br />
❚ „Hässliches Schauspiel: Wenn er wenigstens geschwiegen hätte. Aber nein,<br />
der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Hessen holte im Gegenteil<br />
noch zu einer Belobigung aus: Großartig gelungen sei die Wahlkampf-Kundgebung<br />
gewesen.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />
❚ „Spektakulär, witzig und frech – so forderten rund 28.000 <strong>Jugend</strong>liche einen<br />
Politik- und Regierungswechsel.“ HNA Sonntagszeitung<br />
❚ „Stundenlang versank die Stadt in einem Verkehrschaos. Bürger, Einzelhandel,<br />
CDU und F.D.P. äußerten scharfe Kritik.“ Frankfurter Neue Presse<br />
❚ „<strong>DGB</strong>-Vorstandsmitglied Regina Görner wertete die Veranstaltung als einen<br />
Beweis, dass <strong>Jugend</strong>liche durchaus bereit seien, sich für ihre Anliegen politisch<br />
zu engagieren.“ Berliner Morgenpost<br />
❚ „Die Veranstaltung für die <strong>Jugend</strong>lichen war eine der größten Kundgebungen<br />
kurz vor der Bundestagswahl.“ Stuttgarter Zeitung<br />
❚ „Die Demonstranten, der <strong>DGB</strong> und der Dreck: Die Zusammenarbeit mit den<br />
Organisatoren hat reibungslos geklappt. Nur mit der Reinlichkeit hatten es die<br />
Demonstranten nicht so sehr.“ taz, die Tageszeitung<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 15 RANDSPALTE<br />
❚ Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft<br />
❚ Wehrdienstverweigerung<br />
„Es ist eine Illusion zu glauben, dass der größte Teil der <strong>Jugend</strong>lichen<br />
den Wehrdienst verweigern werde. Wenn auch widerstrebend, werden<br />
die meisten der Einberufung folgen. Es gilt, diese Menschen auf<br />
die Militärzeit vorzubereiten und den Kontakt mit ihnen aufrecht zu<br />
erhalten. Daraus wird sich für die Gewerkschaftsjugend die Verpflichtung<br />
ergeben, mit Stellen außerhalb der Gewerkschaften Gespräche<br />
zu führen und zu arbeiten.<br />
Jeder <strong>Jugend</strong>leiter sollte sich für seine Mitglieder verantwortlich<br />
fühlen und mitarbeiten, um ein Wiederaufleben des Militarismus zu<br />
verhindern. Nur selbstbewusste, kritische und entscheidungsfähige<br />
junge Menschen werden in einer kommenden Wehrmacht bestehen<br />
können.“<br />
Quelle: 4. Zentrale Arbeitstagung vom 28.–30. September 1955 – Hier: Vorlage<br />
für Arbeitskreis III – Wehrgesetzgebung<br />
Gegen Einschränkung<br />
des Reiseverkehrs<br />
in die Sowjetzone<br />
„Der Bundesjugendausschuss des Deutschen Gewerkschaftsbundes verfolgt<br />
mit großer Sorge die Kampagne, die die Machthaber in Mitteldeutschland<br />
seit Anfang Mai dieses Jahres gegen Reisen in die Bundesrepublik<br />
führen. Diese Kampagne reicht von Beschwörungen über<br />
Drohungen bis zum Verbot. (...) Der Bundesjugendausschuss protestiert<br />
schärfstens gegen diese erneute Einschränkung des Reiseverkehrs<br />
zwischen Mittel- und Westdeutschland. (...) Der Bundesjugendausschuss<br />
wird Mittel und Wege suchen, wie trotz der sowjetzonalen<br />
Behinderungen Begegnungen zwischen <strong>Jugend</strong>lichen von hüben und<br />
drüben in verstärktem Maße fortgesetzt und auch Reisen nach Mitteldeutschland<br />
ermöglicht werden können. Kontakte zum F<strong>DGB</strong>, der<br />
FDJ und anderen sowjetzonalen Zwangsorganisationen bleiben weiterhin<br />
undiskutabel.“<br />
Auszüge aus der Entschließung des Bundesjugendausschusses des <strong>DGB</strong> (12.6.1957) zu<br />
den sowjetzonalen Reisebeschränkungen<br />
Kontakte der<br />
Gewerkschaftsjugend zur<br />
sowjetischen Zone<br />
In einer Presseerklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 7.<br />
April 1959 werden Kontakte zum F<strong>DGB</strong> (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund)<br />
und zur FDJ (Freie Deutsche <strong>Jugend</strong>) im sowjetisch besetzten<br />
Mitteldeutschland ausdrücklich abgelehnt. Wörtlich heißt es:<br />
„Beziehungen zu den F<strong>DGB</strong>- und FDJ-Organen und -Beauftragten<br />
sind nach einmütiger Auffassung des Bundesvorstandes des <strong>DGB</strong> unvereinbar<br />
mit der Solidarität mit den um ihre Freiheiten ringenden arbeitenden<br />
Menschen in der Sowjetzone und Berlins.“<br />
Anfang des Jahres 1959 forderte die Bundesjugendkonferenz des Deutschen<br />
Gewerkschaftsbundes in Kassel, der <strong>DGB</strong> solle seine ablehnenden<br />
Beschlüsse in der Frage der Kontakte mit Organisationen der Sowjetzone<br />
überprüfen. In einer Erklärung mit dem Titel „Unteilbares<br />
Deutschland“ schreibt Werner Hansen im September des gleichen<br />
Jahres: „Als darüber hinaus die Gewerkschaftsjugend mit eigenen<br />
Vorschlägen für Kontakte mit der arbeitenden <strong>Jugend</strong> Mitteldeutschlands<br />
Initiative entwickelte, da ging ein lautes Geraune durch die<br />
Bundesrepublik. In angesehenen westdeutschen Zeitungen war zu le-<br />
FORTSETZUNG SEITE 19 RANDSPALTE<br />
17
18<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 14<br />
historischen Wahl war es richtig, dass<br />
wir uns eingemischt haben. Aber<br />
solch ein Mega-Event kann kein Modell<br />
für künftige <strong>Jugend</strong>arbeit sein.“<br />
Ralf Becker, Bundesjugendsekretär<br />
der BCE:<br />
„Eine Veranstaltung mit Höhen<br />
und Tiefen. Be<strong>sonder</strong>s gut hat mir<br />
die Wahlparade gefallen. Alles in allem<br />
bleibt festzuhalten: 30.000<br />
friedliche <strong>Jugend</strong>liche bei einem politischen<br />
Thema zu mobilisieren, hat<br />
schon lange niemand mehr geschafft.<br />
Glückwunsch, <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong>.<br />
Die Vielfalt der Veranstaltung ist leider<br />
bei den Medien nicht rüber gekommen,<br />
die Presse war sehr einseitig.<br />
Insgesamt war das <strong>Jugend</strong>wahlbündnis<br />
zu stark auf diese Abschlussveranstaltung<br />
geprägt. Ich hätte mir auch im Vorfeld mehr kleinere<br />
Events gewünscht.“<br />
Robert Günthner, Landesjugendsekretär des <strong>DGB</strong> in<br />
Bayern:<br />
„30.000 <strong>Jugend</strong>liche konnten mobilisiert werden. Aber wozu?<br />
Ein Konzert hätte auch anderweitig organisiert werden können. Die<br />
<strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong> war nicht sichtbar, die Aktionen waren ein schales Revival<br />
der Panzerknacker-Aktion von 1996. Die Abschlusskundgebung<br />
war peinlich, niveaulos und politisch desorientiert. Die <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong><br />
ist besser, als sie sich in Frankfurt darstellte.“<br />
Wer nicht ausbildet, muss zahlen<br />
1986 formulierte die Gewerkschaftsjugend ihre Forderungen zur<br />
Umlagefinanzierung und organisierte den „Aktionsherbst ´86“.<br />
Unter dem Motto „Stopp <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit – Wer nicht<br />
ausbildet, muss zahlen“ gingen von September bis November<br />
zwei Informationsbusse auf die Reise durch die Bundesrepublik.<br />
Beladen mit Infos über Ausbildungsmisere, Sozialabbau,<br />
Übernahme nach der Ausbildung und berufliche Bildung tourten<br />
die Gewerkschafter durchs Land, um die Aktionen der örtlichen<br />
<strong>Jugend</strong>gruppen zu unterstützen. Monatelang hatten die<br />
Ortsgruppen ihre Veranstaltungen vorbereitet und Daten über<br />
die Ausbildungsplatzsituation in ihrer Region gesammelt.<br />
Seinen Abschluss fand der Aktionsherbst ´86 am 15. November in<br />
Mainz mit einem Konzert der „Toten Hosen“ und der<br />
Hardrockgruppe „Me and the Heat“. Gleichzeitig diskutierten<br />
in einer Aktionskonferenz Gewerkschafter über die Erfahrungen<br />
der vergangenen zwei Monate und entwickelten Perspektiven<br />
für die weitere Arbeiten.<br />
Insgesamt zog die Gewerkschaftsjugend eine positive Bilanz: Bei<br />
der Aktion in rund 100 Städten wurden mehr als 100.000 <strong>Jugend</strong>liche<br />
angesprochen. Kritisiert wurde vor allem, dass die<br />
be<strong>sonder</strong>s problematische Situation von Mädchen und Frauen<br />
nicht genügend thematisiert wurde. Die Arbeitsgruppe „Quotierung<br />
von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen“ forderte Frauenförderpläne für<br />
die Gewerkschaften. Bundesjugendsekretär Klaus Westermann kündigte<br />
an, dass im nächsten Jahr das Thema „Zukunft der Arbeit“ verstärkt<br />
Foto: Jürgen Bindrim/laif<br />
Fotos: Jürgen Planert<br />
Ingo Schlüter, Landesjugendsekretär des <strong>DGB</strong> in Mecklenburg<br />
Vorpommern:<br />
„Eine Aktion wie diese ist immer gut, weil dadurch eine bessere<br />
Akzeptanz der <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong> erreicht werden kann und wir wieder als<br />
Ansprechpartner für die <strong>Jugend</strong> präsent sind.“<br />
Jörg Hesse, Bundesjugendsekretär der DPG:<br />
„Die Aktion war durchweg positiv. Wir konnten deutlich über<br />
10 Prozent unserer Mitglieder nach Frankfurt mobilisieren. Darüber<br />
hinaus melden bisher drei Landesbezirke erhebliche Mitgliederzuwächse.<br />
Positiv finde ich vor allem, dass sich die <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> nach<br />
aufgegriffen werden sollte: „Diese Konferenz ist nicht der Schluss einer<br />
Kampagne, <strong>sonder</strong>n der Auftakt. Eine neue Phase beginnt, in der wir uns<br />
verstärkt in die Gestaltung der zukünftigen Arbeit einschalten wollen.“<br />
Quelle: ´ran, September 1986, 16. Jahrgang, Heft 9, 11 und 12
25.1.–18.2.1954 Viermächtekonferenz in Berlin über deutsche Wiedervereinigung<br />
endet erfolglos.<br />
25.3.1954 Die Sowjetunion deklariert die DDR als souveränen Staat.<br />
4.7.1954 Deutschland wird Fußballweltmeister: 3:2-Sieg über Ungarn.<br />
23.10.1954 Unterzeichnung der sogenannten Pariser Verträge. Mit<br />
deren Inkrafttreten am 5.5.1955 enden die alliierte Besetzung<br />
Westdeutschlands und das Besatzungsregime über die Bundesrepublik<br />
Deutschland. Die Bundesrepublik tritt der NATO bei.<br />
25.1.1955 Die Sowjetunion gibt bekannt, dass sie den Kriegszustand<br />
mit Deutschland als beendet ansieht.<br />
14.5.1955 Die DDR, Albanien, Bulgarien, Polen, Rumänien, die Tschechoslowakei,<br />
die UdSSR und Ungarn schließen ein Militärbündnis,<br />
den „Warschauer Pakt“.<br />
12.3.1957 DDR und Sowjetunion schließen ein Abkommen über die<br />
Stationierung russischer Truppen in der DDR.<br />
29.7.1957 Die Regierungen der drei Westmächte und der Bundesrepublik<br />
unterzeichnen in Berlin ein 12-Punkte-Programm zur deutschen<br />
Einheit (Berliner Erklärung): Forderung nach Viermächteverhandlungen<br />
und Abschluss eines Friedensvertrages mit einer frei<br />
gewählten gesamtdeutschen Regierung.<br />
1.4.1957 Einberufung der ersten Wehrpflichtigen zur Bundeswehr. Beginn<br />
der Diskussion über die Ausrüstung der Bundeswehr mit Trägersystemen<br />
für Kernwaffen. Am 1.7.57 werden die ersten drei Divisionen<br />
der Bundeswehr der NATO unterstellt.<br />
Jahren wieder in der Öffentlichkeit zurückgemeldet hat, denn wir<br />
brauchen einen starken <strong>DGB</strong>.“<br />
Thilo Kämmerer, Abteilung <strong>Jugend</strong> der IG-Metall:<br />
„Für uns war es eine ganz tolle Sache und ein Riesenimpuls<br />
für die IG Metall-<strong>Jugend</strong>. Alle Bezirke und fast alle Verwaltungsstellen<br />
waren mit großem Engagement dabei und wir hatten Probleme,<br />
alle Kartenwünsche zu erfüllen. Letzte Meldung: In diesem<br />
Jahr gab es 20 Prozent mehr Neuaufnahmen als im Vorjahr.“ ■<br />
25.3.1957 In Rom werden die sogenannten „Römischen Verträge“<br />
über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische<br />
Atomgemeinschaft (EURATOM) unterzeichnet.<br />
August 1961 Im August fliehen fast fünfzigtausend Menschen aus der<br />
DDR und Ost-Berlin in den Westen. Politiker des Warschauer Paktes<br />
geben am 5.8.1961 der DDR ihre Zustimmung zur Abriegelung der<br />
Fluchtwege nach West-Berlin. Am 13. des Monats beginnt der<br />
Mauerbau in Berlin und die Grenzen zur Bundesrepublik werden<br />
abgeriegelt. Drei Tage später protestieren die drei Westmächte vergeblich<br />
bei der sowjetischen Regierung wegen Verletzung des Vier-<br />
Mächte-Status von Berlin. Der Regierende Bürgermeister von Berlin,<br />
Willy Brandt, erreicht bei US Präsident Kennedy eine erneute<br />
amerikanische Garantieerklärung für Berlin. Die Teilung der Stadt<br />
ist jedoch nicht mehr rückgängig zu machen.<br />
7.8.1964 Der US-Kongress schafft die Voraussetzungen für ein militärisches<br />
Eingreifen der USA in den Vietnamkrieg.<br />
7.1.1966 In einer Erklärung unterstützt die Bundesregierung den<br />
Krieg der Vereinigten Staaten von Amerika in Vietnam.<br />
13.5.1966 Der Bundeskongress des <strong>DGB</strong> lehnt mit 251 gegen 182<br />
Stimmen jede Art von Notstandgesetzgebung ab.<br />
11.4.1968 Der SDS-Vorsitzende Rudi Dutschke wird bei einem Attentat<br />
schwer verletzt. Dies führt in vielen Teilen der Bundesrepublik<br />
zu Demonstrationen und teilweise blutigen Auseinandersetzungen<br />
mit der Polizei. Höhepunkt sind die studentischen Osterunruhen.<br />
20./21.8.1968 Beendigung des Prager Frühlings durch den Einmarsch<br />
von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei.<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 17 RANDSPALTE<br />
sen, dass nun auch die Gewerkschaftsjugend kommunistisch unterwandert<br />
sei.“ Hansen wehrt sich in der Erklärung gegen diese Unterstellung<br />
und beschreibt ausführlich die Beweggründe der westdeutschen<br />
Gewerkschaftsjugend, die Begegnung mit jungen Menschen in<br />
den Betrieben Mitteldeutschlands zu suchen.<br />
Hansen schreibt: „Diese Begegnungen sollten über die sogenannten Betriebsjugendausschüsse<br />
erreicht werden. (...) Die Gewerkschaftsjugend<br />
ging bei ihrem Vorschlag von der Situation der mitteldeutschen<br />
<strong>Jugend</strong> aus, die von führenden Funktionären der ostzonalen<br />
sogenannten Freien Deutschen <strong>Jugend</strong> selber offen angesprochen<br />
worden ist. Diese Funktionäre haben erst kürzlich erklärt, dass es der<br />
FDJ nicht gelungen sei, die Kluft zwischen der Führung und der Masse<br />
der Arbeiterjugend zu beseitigen. (...) Um diesen von der FDJ nicht<br />
erfassten Teil der arbeitenden <strong>Jugend</strong> der Zone – und nicht um irgendwelche<br />
Kontakte zu unbelehrbaren FDJ- oder F<strong>DGB</strong>-Funktionären<br />
– ging das Bemühen der westdeutschen Gewerkschaftsjugend.“<br />
In der Erklärung heißt es weiter: „Die jungen Gewerkschafter machten<br />
ihre Vorschläge, weil sie den kommunistischen Anbiederungsversuchen<br />
der FDJ und des F<strong>DGB</strong> in einer offensiven Auseinandersetzung<br />
begegnen wollen. Die Gewerkschaftsjugend neigt also mehr als die<br />
älteren Gewerkschafter zu einem offensiveren, demokratischen Denken,<br />
das auch die geistige Auseinandersetzung mit Gegnern der De-<br />
mokratie nicht scheut. Die Gewerkschaftsjugend will diese Auseinandersetzung,<br />
weil sie überzeugt ist, mit besseren Argumenten streiten<br />
zu können. (...) Die Gewerkschaftsjugend wird in der Frage der Wiedervereinigung<br />
positive Unruhe bleiben. Für sie ist, wie es in ihrer<br />
Entschließung heißt, die deutsche Wiedervereinigung in Frieden und<br />
Freiheit kein Lippenbekenntnis, <strong>sonder</strong>n eine ständig mahnende Verpflichtung.“<br />
Quelle: Auszüge aus einer Stellungnahme von Werner Hansen mit dem Titel „Unteilbares<br />
Deutschland“ zum Thema „Kontakte zur FDJ“<br />
DIE SECHZIGER<br />
Große Koalition und<br />
Notstandsgesetze<br />
OSTBERLINER<br />
AM TAG DER<br />
REPUBLIK IM<br />
„PIONIERPARK<br />
WUHLHEIDE“<br />
Foto: Arno Fischer 1957: JUNGE<br />
Die wirtschaftliche Rezession Mitte der sechziger Jahre mit hohem Haushaltsdefizit<br />
und schnell ansteigender Arbeitslosigkeit sowie die Sorge<br />
um das Anwachsen des Rechtsradikalismus waren wohl die wesentlichen<br />
Motive für den Entschluss der Politiker der beiden großen Parteien,<br />
Gespräche über eine zu bildende große Koalition zu führen.<br />
Am 1. Dezember 1966 wählte der Bundestag den bisherigen Ministerpräsidenten<br />
von Baden-Württemberg, Kurt Georg Kiesinger<br />
(CDU), zum Bundeskanzler. Noch am selben Tage stellte er sein Kabi-<br />
FORTSETZUNG SEITE 21 RANDSPALTE<br />
19
20<br />
KULTURTAGE DER GEWERKSCHAFSTJUGEND 1951<br />
IN RECKLINGHAUSEN<br />
K EIN TAG ÄLTER – D AS „ JUNGE FORUM“<br />
Das „junge forum“ (gegründet 1961) ist eine<br />
gemeinnützige GmbH, deren Gesellschafter zu<br />
gleichen Teilen die Stadt Recklinghausen und der<br />
<strong>DGB</strong> sind. Mit Sitz in Recklinghausen ist die Organisation<br />
bundesweit tätig im Bereich Theater,<br />
Musik, Radio, Film und in kulturpädagogischen<br />
Projekten mit dem Ziel der Förderung von Kunst<br />
und Kultur sowie von außergewöhnlichen Maßnahmen<br />
im kulturellen Bereich. Sich selbst bezeichnet<br />
das „junge forum“ als Plattform unvoreingenommener,<br />
offener Gedanken sowie als Ort<br />
kulturpädagogischer Praxis.<br />
Alles begann nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Arbeiterschaft,<br />
stolz auf ihre Traditionen, war der Meinung, dass Theater und Kultur<br />
nicht Privilegien einiger weniger Etablierter seien, <strong>sonder</strong>n für alle<br />
Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollen. Neben der Einrichtung<br />
der Ruhrfestspiele – Kultur für die Kumpel aus dem Revier –<br />
sollte auch das Kulturinteresse der <strong>Jugend</strong> gefördert werden. In den<br />
fünfziger Jahren wurden einmal jährlich Kulturtage der Gewerkschaftsjugend<br />
in den Großstädten des Ruhrgebietes organisiert. Hier<br />
trafen sich junge Gewerkschafter und führten auf, was in der Freizeit<br />
einstudiert worden war: Volkstanz, Chorgesang, Akkordeon-,<br />
GESPRÄCHSPARTNER DES JUNGEN FORUMS:<br />
DIE SCHRIFTSTELLER GÜNTER WALLRAFF (LINKS)<br />
UND ERICH FRIED (RECHTS) MIT DEM<br />
DAMALIGEN LEITER DES JUNGEN FORUMS<br />
MICHAEL BRAUN<br />
Mundharmonika- und sonstige Orchestermusik sowie Laienspiele.<br />
Auf Initiative von Horst Friese, beim <strong>DGB</strong> auch für kulturelle<br />
Arbeit zuständig, und mit Hilfe des Leiters der Ruhrfestspiele, Otto<br />
Burmeister, sowie des Kulturdezernenten der Stadt Recklinghausen,<br />
Gerd Holtmann, wurden die <strong>Jugend</strong>kulturtage der Gewerkschaften<br />
mit den Ruhrfestspielen in Recklinghausen verbunden. Eines der<br />
Ziele war, Jung und Alt aus allen Schichten an einen Tisch (vor eine<br />
Bühne) zu bringen, den Austausch zu fördern und kulturelle Horizonte<br />
zu erweitern. In diesem Sinne entwickelten sich die Angebote<br />
der <strong>Jugend</strong>kulturtage. Zu den Laienspielgruppen gesellte sich das<br />
FORTSETZUNG AUF SEITE 22
22.9.1972 Abstimmung über die von Bundeskanzler Brandt gestellte<br />
Vertrauensfrage. Das Kabinett enthält sich der Stimme, so dass<br />
233 Abgeordnete für und 248 gegen Brandt stimmen. Bundespräsident<br />
Heinemann löst noch am gleichen Tag den Bundestag auf.<br />
Damit wird der Weg zu Neuwahlen am 19. November 1972 frei.<br />
Die SPD erhält 45,8 % der Stimmen, CDU/CSU 44,9 % und FDP<br />
8,4 %. Am 14. Dezember wird Willy Brandt erneut zum Bundeskanzler<br />
gewählt und die sozialliberale Koalition wird fortgesetzt.<br />
27.1.1973 Unterzeichnung eines Waffenstillstandes zwischen USA,<br />
Nord- und Südvietnam und der Nationalen Befreiungsfront in Paris.<br />
1.7.1973 Der zivile Ersatzdienst wird dem Wehrdienst gesetzlich<br />
gleichgestellt.<br />
22.3.1974 Die Volljährigkeit wird von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt,<br />
die Ehemündigkeit der Frauen von 16 auf 18 Jahre<br />
heraufgesetzt.<br />
6.5.1974 Bundeskanzler Brandt erklärt im Zusammenhang<br />
mit der Spionageaffäre Guillaume seinen Rücktritt. Am 16.<br />
Mai wählt der Deutsche Bundestag Helmut Schmidt (SPD) zum<br />
neuen Bundeskanzler.<br />
13.1.1976 Die Novellierung des <strong>Jugend</strong>arbeitsschutzgesetzes führt<br />
für <strong>Jugend</strong>liche die 5-Tage-Woche, den 8-Stunden-Tag und die Erhöhung<br />
des Urlaubs von 24 auf 25 bis 30 Urlaubstage ein.<br />
10.12.1979 Das Bundesverfassungsgericht erklärt das Ausbildungsförderungsgesetz<br />
für grundgesetzwidrig und damit für nichtig.<br />
24.12.1979 Der ehemalige Studentenführer Rudi Dutschke stirbt in<br />
Dänemark an den Spätfolgen des Attentats von 1968.<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 19 RANDSPALTE<br />
nett der „Großen Koalition“ aus CDU/CSU und SPD vor. Vizekanzler<br />
wurde der Vorsitzende der SPD und Regierende Bürgermeister von<br />
Berlin, Willy Brandt.<br />
Die Diskussion um die Notstandgesetze begann bereits im Jahre 1958.<br />
Die Große Koalition griff das Problem wieder auf und verabschiedete<br />
die neu gestalteten Notstandsgesetze am 30. Mai 1968 mit der notwendigen<br />
Mehrheit gegen die Stimmen der FDP. Nun konnte der<br />
Notstand im Spannungs- oder Verteidigungsfall mit einer Zweidrittelmehrheit<br />
vom Bundestag oder vom Gemeinsamen Ausschuss des<br />
Bundestages und Bundesrates festgestellt werden. Gegner der<br />
Gesetze außerhalb des Parlaments waren vor allem Gewerkschaften<br />
und Studenten, die im ganzen Land Protestkundgebungen durchführten,<br />
weil sie einen nicht hinnehmbaren Machtzuwachs für den<br />
Staat erwarteten. In einem Sternmarsch auf Bonn am 11. Mai 1968<br />
protestierten rund 30.000 Menschen gegen die Notstandverfassung.<br />
Wirtschaft und Schule<br />
Im August 1964 beschäftigten sich <strong>Jugend</strong>leiter und <strong>Jugend</strong>sekretäre des<br />
<strong>DGB</strong> und junge Lehrer und Erzieher der GEW im Haus der Gewerkschaftsjugend<br />
mit den Problemen, die sich aus der notwendigen<br />
Annäherung von Wirtschaft und Schule ergaben. Die Tagung wurde<br />
vom damaligen Leiter des Hauses der Gewerkschaftsjugend, Edmund<br />
Duda und von Klaus Tümmler, Mitglied des Hauptvorstandes der<br />
GEW, geleitet.<br />
Frau Dr. Beelitz vom Deutschen Industrieinstitut in Köln und Herr Voelmy<br />
vom Berliner Verband der Lehrer und Erzieher referierten über das<br />
Thema „Wirtschaft und Schule“. Arbeitskreise diskutierten die Ausführungen<br />
der Referenten und kamen zu folgenden Ergebnissen:<br />
„1. Der Hauptschule fallen im Bereich der Hinführung zur Arbeitswelt folgende<br />
Aufgaben zu:<br />
a) Hinführung zur Berufswahlreife,<br />
b) Aneignung und Pflege von Arbeitstugenden,<br />
c) Entwicklung einer Positionsbewusstheit,<br />
d) Steigerung der technischen Sensibilität,<br />
e) Steigerung der technischen Intelligenz.<br />
2. Zur Erfüllung solcher Aufgaben bieten sich an:<br />
a) Kontakte mit Menschen aus der Arbeitsweit,<br />
b) Erarbeitung von Bildungseinheiten – Themenkreisen (z. B. Mensch<br />
und Ernährung, Mensch und Maschine),<br />
c) Betriebserkundung mit Vor- und Nachbereitung (Besuch einzelner<br />
Abteilungen),<br />
d) Durchführung von Arbeitsvorhaben (Planung, Kalkulation,<br />
Produktionsablauf),<br />
e) Betriebspraktika über mehrere Wochen,<br />
f) praktische Arbeit in den Lehrwerkstätten der Berufsschulen<br />
(Umgang mit Grundmaterialien mit einfachen Werkzeugen<br />
und Maschinen).“<br />
Auf der Grundlage dieser Überlegungen erarbeiteten die Teilnehmer-<br />
Innen der Arbeitstagung mögliche Konsequenzen für die Lehrerausbildung,<br />
be<strong>sonder</strong>s für das Lehramt an Volksschulen. So wurde ein<br />
Betriebs- oder Sozialpraktikum für Studenten der Erziehungswissenschaften<br />
für sinnvoll erachtet, ebenso ein Fachseminar „Arbeitslehre“.<br />
Zur Fortbildung der Lehrer und Erzieher im Beruf schlugen die<br />
TeilnehmerInnen Kurse, Seminare und Tagungen zur Arbeitslehre vor<br />
sowie die Schaffung von Kontakten zu verschiedenen Organisationen<br />
der Wirtschaft. Außerdem wünschten sich die <strong>Jugend</strong>leiter für ihre<br />
Ausbildung eine verstärkte Kenntnisnahme des sozialen Bereichs und<br />
forderten ein sechswöchiges Sozialpraktikum mit entsprechender<br />
Vor- und Nachbereitung.<br />
Im zweiten Teil der Tagung wurde eine Intensivierung der notwendigen<br />
Zusammenarbeit von <strong>Jugend</strong>sekretären und <strong>Jugend</strong>leitern des <strong>DGB</strong><br />
FORTSETZUNG SEITE 23 RANDSPALTE<br />
21
22<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 20<br />
politische Kabarett, begleitende Seminare wurden angeboten.<br />
Nach und nach wurden die Programme im Licht ihrer gesellschaftlichen<br />
Bedeutung betrachtet: <strong>Jugend</strong>liche sollten die aktive Gestaltung<br />
übernehmen und nicht passiv Kultur konsumieren. Sie sollten<br />
mitmachen, mitreden und ausprobieren. Vor allem war den Organisatoren<br />
wichtig, dass die Angebote nicht allein der Gewerkschaftsjugend,<br />
<strong>sonder</strong>n allen <strong>Jugend</strong>lichen zugänglich waren: Arbeitern,<br />
Auszubildenden, Studenten und jungen Arbeitslosen gleichermaßen.<br />
Nach und nach entwickelten sich die <strong>Jugend</strong>kulturtage der<br />
Gewerkschaften zu einem Forum, in dem sich <strong>Jugend</strong>liche aller<br />
Gruppierungen trafen. Daraus entstand 1961 das „junge forum“.<br />
Zunächst war das „junge forum“ in erster Linie eine Institution<br />
der Ruhrfestspiele. Junge Besucher wurden jedoch nicht nur an das<br />
Theaterprogramm der Festspiele herangeführt, <strong>sonder</strong>n eigene Inszenierungen<br />
und die Erweiterung<br />
des allgemeinen Programms<br />
sorgten mitunter für<br />
konstruktiven Aufruhr. Denn für<br />
das „junge forum“ war die Einbeziehung<br />
Andersdenkender<br />
und die Gestaltung von Kultur<br />
und Kunst in einem gemeinsamen,<br />
aktiven Prozess ausschlaggebend.<br />
Dass es dabei<br />
stets einige Klippen zu umschiffen<br />
gab, versteht sich von<br />
selbst. Die kontinuierliche Arbeit<br />
der Verantwortlichen führte<br />
1967 zum Erfolg: Das „junge<br />
forum“ erhielt mit Konrad<br />
„Conny“ Weber erstmals einen<br />
hauptamtlichen Geschäftsführer.<br />
In den Siebzigern emanzipierte<br />
sich das „junge forum“<br />
zunehmend und wurde zu einer<br />
rechtlich unabhängigen Einrichtung.<br />
Bis 1975 begleitete es<br />
regelmäßig die Darbietungen<br />
der Ruhrfestspiele, seit 1976<br />
entwickelte sich ein eigenständigeres<br />
Profil mit bundeswei-<br />
UND SPAß MACHT.“ (JUNGES FORUM)<br />
ten, unabhängigen Programmen.<br />
Heute arbeitet das „junge forum“ mit fünf MitarbeiterInnen<br />
unabhängig von den Ruhrfestspielen Recklinghausen, es existiert<br />
aber noch immer eine inhaltliche und organisatorische Bindung.<br />
Nach wie vor gibt es gemeinsame Projekte wie die Eröffnung der<br />
Festspiele am 1. Mai eines jeden Jahres (mit rund 150.000 Besuchern)<br />
sowie eine Konzertreihe während der Festspiele. Der Intendant<br />
der Ruhrfestspiele, Hansgünther Heyme, bezeichnete das<br />
„junge Forum“ als „Stachel im Fleisch der Festspiele“.<br />
Mittlerweile kennt der Wirkungsraum des „jungen forum“ keine<br />
nationalen Grenzen mehr und es ist als Veranstalter nicht nur<br />
während der Ruhrfestspiele aktiv. In Recklinghausen wurden die Aktivitäten<br />
durch „Impulse“, eine Veranstaltungsreihe der freien Theaterszene,<br />
die „Heimatklänge“, ein Festival der Weltmusik sowie<br />
durch das Programm „UnART“ erweitert, wo Musik, Theater, Co-<br />
medy, Kabarett und Literatur von artig bis unartig präsentiert werden.<br />
Ergänzt wird der Spielplan durch zahlreiche bundesweite Projekte,<br />
wo sich junge Menschen der verschiedensten Gruppierungen<br />
kulturell produzieren und weiterentwickeln sollen. Mit klassischen<br />
Elementen, aber auch mit modernen Gestaltungsformen drücken sie<br />
sich und ihre Vorstellungen für jeden Menschen hör-, seh-, und fühlbar<br />
aus, sei es durch Radio/Videoproduktionen, multimediale Installationen<br />
oder in Kooperation mit Künstlern.<br />
Zu den Aktivitäten gehört die Herausgabe des „Kulturinfo“, einer<br />
umfassenden Übersicht über die freie Musik- und Theaterszene<br />
in Deutschland, ebenso wie die Präsenz bei der Love Parade in Berlin,<br />
das <strong>Jugend</strong>kulturprojekt „Bilder aus der Zukunft“, das gemeinsam<br />
mit der <strong>Jugend</strong> der IGBCE auf der EXPO in Hannover präsentiert<br />
wird, oder der kulturelle Einsatz bei Veranstaltungen des <strong>DGB</strong> oder<br />
der Einzelgewerkschaften. Hervorgegangen aus der <strong>Jugend</strong>bewegung<br />
des <strong>DGB</strong> produziert das „junge forum“ seine Ideen natürlich<br />
auch für gewerkschaftliche Kreise. Allerdings grenzen sich die Verantwortlichen<br />
dabei klar ab: „Dabei ist das „junge forum“ keinesfalls<br />
das kulturelle Sprachrohr des <strong>DGB</strong>. Denn gerade Kunst und Kultur<br />
dürfen auf keinen Fall für tarif- oder gesellschaftspolitische Zwecke<br />
missbraucht werden. Der klassische Begriff der Arbeiterkultur ist<br />
überlebt und gehört auch beim „jungen forum“ der Vergangenheit<br />
an. Weder Show noch Effekte, noch Starkult oder agitatorische Einstimmung<br />
sollten so tief in die Erlebniswelt der Zuschauer eingreifen<br />
dürfen, dass die persönliche Handlungsfähigkeit und Urteilsfähigkeit<br />
verloren geht. Diese Verantwortung liegt natürlich in erster Linie<br />
beim Künstler – aber auch beim Veranstalter – also bei uns.“ ■<br />
Das „junge forum“ im Internet: www.kulturinfo.de<br />
„HASTE TÖNE“–<br />
ERSTES BUNDESWEITES<br />
TREFFEN FÜR ENGA-<br />
GIERTE MUSIK, 1980<br />
„DAS NIVEAU EINER BEGEGNUNG, DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT DER KUNST, IST DAS RESULTAT EINES DEMOKRATISCHEN UND<br />
EMANZIPATORISCHEN LERNPROZESSES. DIESEN IM SINNE DER GEWERKSCHAFTSBEWEGUNG ZU ORGANISIEREN, IST EINE SCHWIE-<br />
RIGE AUFGABE. DIE DARAN BETEILIGTEN KÖNNEN SICH NICHT SICHER SEIN, OB SIE ES RICHTIG MACHEN. ABER GERADE DAS IST<br />
ES, WAS UNS ZWINGT NACHZUDENKEN, NEU ZU ÜBERLEGEN, ZU FRAGEN UND ZU TRÄUMEN – FÜR EINEN WEG, DER ÜBERZEUGT
Der Terrorismus<br />
Aus einem Teil der studentischen Protestbewegung bildete sich nach 1968 eine<br />
terroristische Gruppierung: Die „Rote-Armee-Fraktion“ (RAF), die, nach<br />
den Namen ihrer Anführer, auch Baader-Meinhof-Gruppe genannt wurde.<br />
Die Aktivitäten der RAF beeinflussten das politische Klima in der Bundesrepublik<br />
der siebziger Jahre und auch später nachhaltig. Die Auseinandersetzung<br />
mit dem Terrorismus führte unter anderem zu einer Reihe von Änderungen<br />
im Strafprozessrecht, welche die Rechte von Angeklagten und Verteidigern<br />
einschränkten.<br />
Die Aktivitäten der RAF standen am Anfang unter einer sozialrevolutionären<br />
Zielsetzung und wurden durch ein Netz von Sympathisanten unterstützt.<br />
Die Mitglieder arbeiteten im Untergrund und beschafften sich durch<br />
Banküberfälle die finanziellen Mittel für ihren Kampf. Auf die Verhaftung<br />
einiger Anführer der Gruppe folgte eine Reihe von Brand- und Mordanschlägen,<br />
die ausschließlich der<br />
Freipressung der Inhaftierten<br />
dienen sollte. Auch aus der Haft<br />
riefen die Mitglieder zu neuen<br />
terroristischen Aktionen auf und<br />
setzten den Hungerstreik als<br />
Druckmittel ein.<br />
Am 9. November 1974 starb<br />
Holger Meins, Mitglied der Baader-Meinhoff-Gruppe,<br />
trotz<br />
Zwangsernährung an den Folgen<br />
eines Hungerstreiks. Protestaktionen<br />
und Anschläge in<br />
mehreren Städten waren die<br />
Folge. Am 29. November wurden<br />
Horst Mahler und Ulrike<br />
Meinhof zu 14 und acht Jahren<br />
Gefängnis verurteilt. Im Dezember<br />
besuchte der Schriftsteller<br />
Jean Paul Sartre Andreas Baader<br />
im Gefängnis in Stuttgart-<br />
Stammheim und kritisierte die<br />
Haftbedingungen.<br />
Der „Baader-Meinhof-Prozess“<br />
begann am 20. Mai 1975 in<br />
Stuttgart-Stammheim. Am 9.<br />
Mai 1976 wurde Ulrike Meinhof<br />
in ihrer Zelle tot aufgefunden. Erst am 28. April 1977 verurteilte das Stuttgarter<br />
Oberlandesgericht Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl<br />
Raspe zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Mit der Entführung von Arbeitgeberpräsident<br />
Hanns-Martin Schleyer im September 1977 versuchten Terroristen<br />
die elf Baader-Meinhof-Häftlinge freizupressen. Die internationale<br />
Verknüpfung des Terrorismus wurde deutlich, als am 13. Oktober 1977<br />
palästinensische Luftpiraten ein Flugzeug der Lufthansa entführten und<br />
die Freilassung der elf inhaftierten RAF-Mitglieder forderten. Am 18. Oktober<br />
stürmte eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutz GSG 9 in Mogadischu<br />
(Somalia) das entführte Flugzeug und befreite alle Geiseln. Am gleichen<br />
Tag begingen Baader, Ensslin und Raspe in Stammheim Selbstmord.<br />
Am folgenden Tag wurde der entführte Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin<br />
Schleyer tot aufgefunden. Das war der Beginn einer Großfahndung<br />
nach 16 namentlich bekannten Terroristen, die mehrere Jahre andauerte.<br />
Erst nach der Maueröffnung wurde der Verdacht bestätigt, dass einige der<br />
RAF-Mitglieder in der DDR Zuflucht gefunden hatten. 1990 wurden unter<br />
anderem die RAF-AussteigerInnen Susanne Albrecht, Inge Viett, Monika<br />
Helbing und Eckehard Freiherr von Seckendorff-Gudent in verschiedenen<br />
Städten der DDR festgenommen. Das Ministerium für Staatssicherheit war<br />
ihnen bei der Einbürgerung behilflich gewesen.<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 21 RANDSPALTE<br />
und Vertretern junger Lehrer und Erzieher der GEW erörtert. Möglichst<br />
bald sollten Begegnungstagungen in allen Landesverbänden<br />
stattfinden. Hier sollten sich die <strong>Jugend</strong>vertreter des <strong>DGB</strong> und junge<br />
Lehrer und Erzieher treffen, kennen lernen sowie eine mögliche<br />
gemeinsame Arbeit planen. Angestrebt wurde die Zusammenarbeit<br />
in folgenden Bereichen:<br />
„1.) Beschäftigung mit den Problemen der Neuformung des Erziehungsund<br />
Bildungswesens.<br />
2.) Erarbeitung und Auswahl von geeignetem Schulungsmaterial für die<br />
<strong>Jugend</strong>bildungsarbeit des <strong>DGB</strong>.<br />
3.) Mitarbeit von jungen Lehrern und Erziehern als Referenten und Leiter<br />
in den Veranstaltungen der <strong>Jugend</strong>sekretäre und <strong>Jugend</strong>leiter aller<br />
Art.<br />
4.) Unterstützung der <strong>Jugend</strong>sekretäre und <strong>Jugend</strong>leiter in allen methodisch-didaktischen<br />
Fragen ihrer Bildungsarbeit.“<br />
Quelle: Protokoll der Arbeitstagung „Wirtschaft und Schule“ vom 5.–8. 8.1963 im<br />
Haus der Gewerkschaftsjugend in Oberursel<br />
DIE SIEBZIGER<br />
Ausbildungsplatzmangel<br />
und <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit<br />
Mitte der siebziger Jahre begann die <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> verstärkt, sich mit <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit<br />
und Ausbildungsplatzmangel zu beschäftigen.<br />
Bei einer Arbeitstagung im November 1975 mit dem Titel „Gegenwärtige<br />
Tendenzen in der sozialen Lage der jungen Lohnabhängigen“<br />
wurde die Arbeit der Gewerkschaftsjugend zu diesen Themen kritisch<br />
betrachtet.<br />
Als ein Ergebnis der Arbeitstagung wurde festgestellt: „Innerhalb der Gewerkschaftsjugend<br />
sind in den letzten Jahren einige Grundlagen der<br />
gewerkschaftlichen <strong>Jugend</strong>arbeit zu wenig beziehungsweise zu unsystematisch<br />
diskutiert worden. So zum Beispiel das Verhältnis von<br />
Arbeitsplatzentwicklung und Qualifikationsanforderungen, das Verhältnis<br />
von einzelbetrieblichen Ausbildungsinvestitionen und gesamtwirtschaftlichen<br />
Interessen. Auch Forschungsergebnisse wurden dabei<br />
zu wenig nutzbar gemacht. Die ökonomische Entwicklung der<br />
letzten Zeit (Ausbildungsplatzmangel, <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit) hat<br />
einige Mängel der bisherigen Diskussion noch deutlicher gemacht<br />
und darüber hinaus einige Grundlagen unserer bisherigen gewerkschaftlichen<br />
<strong>Jugend</strong>arbeit in Frage gestellt.“<br />
Als Reaktion auf diese kritische Betrachtungsweise der gewerkschaftlichen<br />
<strong>Jugend</strong>arbeit wurden im Dezember 1975 und im April 1976<br />
„Strategiearbeitstagungen“ des Bundesjugendausschusses durchgeführt.<br />
Hier stellte sich die Frage nach einer gewerkschaftlichen Strategie<br />
in der anhaltenden Krise. Die TeilnehmerInnen sahen sich jedoch<br />
nicht in der Lage, die Qualifikationsprobleme so zu diskutieren, dass<br />
ein Thesenpapier hätte erarbeitet werden können. Sie beschlossen<br />
daher, im August eine spezielle Arbeitstagung des Bundesjugendausschusses<br />
durchzuführen. Diese sollte die Ergebnisse der Novembertagung<br />
1975 weiterführen und Bestandteil der Strategiediskussion<br />
werden. Es wurde ein Thesenpapier erarbeitet, das dem Bundesjugendausschuss<br />
zur Kenntnis gegeben wurde und als Grundlage für<br />
die weitere Vorgehensweise diente. Als Ergebnis dieser Diskussion<br />
wurde die Aktion „Stop <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit“ ins Leben gerufen.<br />
Die Abteilung <strong>Jugend</strong> des <strong>DGB</strong>-Bundesvorstandes veröffentlichte im September<br />
1977 eine Broschüre „Stop <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit“, die konkrete<br />
Handlungsmöglichkeiten für die <strong>Jugend</strong>funktionäre aufzeigte.<br />
Sie enthielt unter anderem Musterfragebögen zur Bestandsaufnahme,<br />
die über die konkrete Ausbildungs- und Arbeitsplatzsituation<br />
Auskunft geben sollten. Darüber hinaus gab die Broschüre Tipps für<br />
FORTSETZUNG SEITE 25 RANDSPALTE<br />
23
24<br />
‘ran<br />
12 ’87<br />
K LEINE C HRONIK DER ‘ RAN A UFMÜPFIGE<br />
‘ran<br />
10 ‘89<br />
Die Entstehung (197O)<br />
Die 70er Jahre begannen so turbulent, wie die 60er endeten.<br />
Nach den Studenten schlossen sich immer mehr arbeitende <strong>Jugend</strong>liche<br />
zur Lehrlingsbewegung zusammen und revoltierten<br />
gegen Missstände in der Ausbildung. Die damalige <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong>zeitschrift<br />
„Aufwärts“ nahm davon kaum Notiz. Als ihr Leiter Hans<br />
Dohrenbusch 1970 mit 66 Jahren in Pension ging, fand <strong>DGB</strong>-Vorstandsmitglied<br />
Franz Woschech, zuständig für <strong>Jugend</strong>, einen wesentlich<br />
jüngeren Mann für seine Nachfolge: den damals 33-jährigen<br />
Dieter Schmidt. Schmidt, seit 1965 Pressereferent in der Düsseldorfer<br />
<strong>DGB</strong>-Zentrale und Fernseh-, Hörfunk- und Buchautor,<br />
zeigte jedoch an der Fortführung des „Aufwärts“ kein Interesse.<br />
Schmidt wollte ein <strong>Jugend</strong>-Magazin als „Anti-Bravo“ konzipieren,<br />
das durch eine Mischung aus Pop und Politik auch <strong>Jugend</strong>liche ansprechen<br />
sollte, die mit den Gewerkschaften noch keine Berührung<br />
hatten. Vierfarbig, mit neuem Namen, ohne feste Ressorts und mit<br />
starkem Akzent auf Alltags- und Freizeitthemen sollte es sich formal<br />
an kommerziellen <strong>Jugend</strong>magazinen orientieren. Erst am Schluss<br />
sollten die Leser merken: Die sind irgendwie anders.<br />
Woschech unterstützte das Konzept und wider Erwarten akzeptierte<br />
es auch der <strong>DGB</strong>-Vorstand. Im Oktober 1970 erschien die erste<br />
Ausgabe der ´ran mit 66.000 Exemplaren, bis Ende des Jahres<br />
noch unter dem Namen „Aufwärts“. Äußerlich unterschied sich das<br />
Magazin jedoch deutlich von seinem Vorgänger: in Magazingröße,<br />
Farbigkeit, mit neuem Layout und auf Hochglanzpapier.<br />
Der Start<br />
‘ran erschien im gewerkschaftseigenen Bund-Verlag und wurde<br />
zweigleisig vertrieben: Einzelgewerkschaften kauften Großkontingente,<br />
die sie an ihre jugendlichen Mitglieder kostenlos verteilten.<br />
Einzelpersonen konnten das Magazin für den Preis von einer Mark<br />
direkt abonnieren. Um von gewerkschaftlichen Subventionen unabhängig<br />
zu sein, akquirierte der Verlag kommerzielle Anzeigen.<br />
Außerdem wurde ‘ran mit Mitteln des Bundesjugendplans gefördert.<br />
Als Herausgeber fungierte der <strong>DGB</strong> Bundesvorstand, nicht die<br />
Abteilung <strong>Jugend</strong>. ‘ran<br />
erhielt eine eigene Redaktion,<br />
die nur zum<br />
Teil aus Funktionären<br />
bestand und von freien<br />
Mitarbeitern unterstützt<br />
wurde. Damit<br />
war ‘ran die einzige Publikation<br />
des <strong>DGB</strong>, die<br />
sich ausdrücklich an<br />
Nichtmitglieder wandte<br />
und von einer unabhängigen<br />
Redaktion<br />
gemacht wurde.<br />
Bereits im ersten<br />
Jahr häuften sich die<br />
Proteste: Lehrlingsausbilder,<br />
Eltern und Gewerkschaftsfunktionäre<br />
waren geschockt von<br />
Bildern barbusiger<br />
Mädchen, freizügigen<br />
‘ran<br />
8 ’00<br />
A NTI-BRAVO<br />
‘ran<br />
1 ’87<br />
Ratschlägen und Kritiken, in denen der Papst als „Pillen-Paul“ bezeichnet<br />
wurde. Beim <strong>DGB</strong>-Vorsitzenden Heinz-Oskar Vetter und<br />
Vorstandsmitglied Franz Woschech stieß ‘ran auf Aufgeschlossenheit.<br />
Die Gegner aber wollten dem Blatt die gewerkschaftlichen Vertriebskanäle<br />
verschließen. Obwohl ´ran bei den Lesern eine hohe<br />
Akzeptanz fand, sorgten die Inhalte in den Reihen von Gewerkschaftern<br />
und Betriebsräten immer wieder für Empörung.<br />
Unterstützung und Kritik (1972–1979)<br />
Trotz aller Kritik forderten 1972 die Delegierten des <strong>DGB</strong>-Bundeskongresses<br />
den Vorstand auf, das Erscheinen von ‘ran sicherzustellen<br />
und finanziell zu unterstützen. Sie begrüßten das Magazin<br />
als „Möglichkeit für den <strong>DGB</strong>, die Bewusstseinsbildung jugendli-
cher Arbeitnehmer zu fördern“ und lobten Inhalt und Form. Über<br />
die Redaktion entschieden die Delegierten: „Die Unabhängigkeit<br />
muss beibehalten werden.“ Für die Rubrik „´ran nennt Namen“, die<br />
Unternehmerwillkür und Ausbeutung von Auszubildenden aufdeckte,<br />
erhielt das Magazin den mit 5.000 Mark dotierten Deutschen<br />
Journalistenpreis, der von der Deutschen Journalisten-Union (dju)<br />
und der IG Druck und Papier vergeben wurde.<br />
Immer wieder wartete die ´ran mit Enthüllungsgeschichten auf<br />
und wies beispielsweise 1974 in einer Serie Manipulationen bei<br />
‘Bravo’ nach. Zwei Jahre später deckte ´ran auf, dass ein im Freizeit-<br />
Magazin (Burda-Verlag) erschienenes Interview mit dem Popstar<br />
Neil Diamond gefälscht war. Auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk<br />
fand ‘ran Unregelmäßigkeiten und nannte die Namen der Beteiligten.<br />
Nachdem ‘ran veröffentlicht hatte, dass die Bravo-Ratgeber Dr.<br />
Korff und Dr. Sommer nicht existierten, startete das Magazin 1976<br />
mit der Berliner Psychologin Dr. Eva Jaeggi eine eigene Aufklärungsserie<br />
mit dem Titel „Auch Fummeln muss man lernen“. Das aus der<br />
Serie entstandene ‘ran-Taschenbuch wurde zum Bestseller des<br />
Bund-Verlages. Im Dezember 1979 traf ‘ran mit einem kirchenkritischen<br />
Cartoon zum<br />
Schwangerschaftsabbruch<br />
den „Lebensnerv<br />
der Einheitsgewerkschaft“,<br />
wie <strong>DGB</strong>-Vorsitzender<br />
Heinz-Oskar Vetter<br />
erklärte. Es kam zum<br />
Eklat, und die Redaktion<br />
wurde aufgelöst.<br />
Neuanfang<br />
(198O–1984)<br />
Zunächst übernahm<br />
Ulrich Preußer,<br />
Leiter der <strong>DGB</strong>-Pressestelle,<br />
die Verantwortung<br />
für ‘ran. Tatsächlich<br />
hatte Vetter bereits<br />
dessen Stellvertreter<br />
Dieter Gaarz verpflichtet,<br />
den Fortbestand<br />
von ´ran zu gewährleisten.<br />
Im April 1980 wurde<br />
Gaarz offiziell verantwortlicher Redakteur. Doch er hatte eine<br />
schwere Erblast zu tragen. Von der Lehrlingsbewegung war nur<br />
noch wenig spürbar und <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit sowie Ausbildungsplatzmangel<br />
nahmen bedrohliche Ausmaße an. Die Gewerkschaften<br />
mussten sparen, und sie sparten bei ‘ran, deren Auflage stetig<br />
sank. Mit einem höheren Anzeigenanteil versuchte das Blatt den<br />
wirtschaftlichen Niedergang aufzuhalten. Doch fortan füllten sich<br />
die Leserbriefspalten mit Kritik an Zigaretten-, Bundeswehr-, Neue<br />
Heimat- und Volkszählungsanzeigen. Im Frühjahr 1983 signalisierte<br />
der Bund-Verlag, dass er die Verluste der ‘ran nicht mehr tragen<br />
könne und erwog die Einstellung.<br />
Nachdem ‘ran im Oktober 1984 eine Werbebroschüre der Gewerkschaft<br />
als frauenfeindlich kritisiert hatte, beschloss der Vor-<br />
FORTSETZUNG SEITE 26<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 23 RANDSPALTE<br />
mögliche Initiativen und Aktionen der <strong>Jugend</strong>vertreter und -ausschüsse<br />
sowie für Betriebsräte und Vertrauensleute.<br />
Quelle: Bericht der Arbeitstagung „Qualifikationsentwicklungen – Grundlagen und Ursachen<br />
– strategische Konsequenzen für die Gewerkschaftsarbeit“ vom 29. August bis<br />
3. September 1976 im Haus der Gewerkschaftsjugend.<br />
DIE ACHTZIGER<br />
NATO-Doppelbeschluss<br />
Der am 12. Dezember 1979 von den Außen- und Verteidigungsministern<br />
der NATO zur „Nachrüstung“ gefasste Beschluss bestand aus zwei<br />
Elementen:<br />
1. Stationierung bodengestützter atomarer Mittelstreckenwaffen (108<br />
Pershing-II-Raketen und 464 Cruisemissiles) in Europa bis Ende 1983.<br />
2. Angebot an die Sowjetunion zu Verhandlungen mit den USA über die<br />
Mittelstreckenwaffen in Europa; das Ergebnis sollte über die Durchführung<br />
der Stationierung entscheiden.<br />
Die Verhandlungen begannen am 30. November 1981 in Genf. In Europa<br />
formierte sich eine breite Friedensbewegung, die die Regierungen<br />
zur Aufgabe der Nachrüstung drängten. Auch innerhalb der SPD<br />
BEI DER BLOCKADE EINER<br />
KASERNE IN BREMERHAVEN<br />
1983: DEMONSTRANT<br />
STELLT SICH NACKT DEM<br />
POLIZEIAUFGEBOT<br />
wuchs die Opposition gegen die Nachrüstung, die sich nach dem Regierungswechsel<br />
1982 verstärkte. Die CDU/CSU und FDP hielten am<br />
NATO-Doppelbeschluss fest. Die Grünen, seit März 1983 im Bundestag,<br />
waren Bestandteil der Friedensbewegung und bekämpften die<br />
Nachrüstung kompromisslos. Die Genfer Gespräche brachten keine<br />
Annäherung der amerikanischen und sowjetischen Positionen. Nach<br />
dem Beschluss des Deutschen Bundestages, der Stationierung zuzustimmen,<br />
brach die Sowjetunion die Gespräche ab.<br />
1985 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen und führten<br />
schließlich mit dem INF-Vertrag zum weltweiten Abbau aller amerikanischen<br />
und sowjetischen Mittelstreckenraketen. Unterzeichner am<br />
8. November 1987 des „Intermediate-Range Nuclear Forces“ (INF)<br />
waren US-Präsident Ronald Reagan und der sowjetische KP-Generalsekretär<br />
Michail Gorbatschow.<br />
Die Friedensbewegung<br />
Angesichts der weltweiten nuklearen Aufrüstung formierte sich in der Bevölkerung<br />
der westlichen Staaten eine breite Friedensbewegung. Sie<br />
drängte die Regierungen zum Rüstungsstopp, zur Rüstungskontrolle<br />
und Friedenssicherung. In der Bundesrepublik entwickelte sich die<br />
Friedensbewegung nach Verabschiedung des NATO-Doppelbeschlus-<br />
FORTSETZUNG SEITE 27 RANDSPALTE<br />
Foto: Martin Langer<br />
25
26<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 25<br />
stand der IG Bau-Steine-Erden, das Großabonnement des <strong>Jugend</strong>magazins<br />
aufzukündigen. Im Januar 1985 wurde Chefredakteur Dieter<br />
Gaarz suspendiert. Begründet wurde das mit einem satirischen<br />
Beitrag über Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der geschmacklos<br />
und diffamierend sei.<br />
‘ran<br />
9 ’94<br />
Umstrukturierung und „Gelbe Hand“ (1985–1988)<br />
Neuer Chefredakteur wurde der 33-jährige Wolfgang Römisch,<br />
bis dahin zuständig für die Zeitschrift „Solidarität“ der Abteilung<br />
<strong>Jugend</strong>. Er änderte den Untertitel der ´ran in „Das politische <strong>Jugend</strong>magazin“.<br />
Römisch legte dem Bund-Verlag ein Konzept zur Weiterführung<br />
der <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong>zeitschrift vor. Darin beschrieb er die Situation<br />
des Blattes: „Die Abonnentenzahlen sinken, ein Großteil der<br />
Einzelabonnenten bezieht die Zeitschrift vermutlich eher aus nostalgischen<br />
(...) Gründen denn unter dem Gesichtspunkt der Brauchbarkeit<br />
bzw. einer notwendigen Informationsquelle. Die gewerkschaftlichen<br />
<strong>Jugend</strong>funktionäre identifizieren sich kaum noch mit<br />
dem Blatt.“<br />
Die Arbeitsgruppe des <strong>DGB</strong>-Presseausschusses, die 1985 Thesen<br />
zur Neuordnung des gewerkschaftlichen Zeitungs- und Zeitschriftenwesens<br />
vorlegte, stellte ‘ran in Frage: „... warum (soll) der<br />
<strong>DGB</strong> ein <strong>Jugend</strong>magazin herausgeben, das niemand braucht und<br />
keiner will?“ Gefordert wurde ein neues Konzept, mit dem die Redaktion<br />
innerhalb von zwei Jahren die Auflage deutlich erhöhen<br />
oder das Blatt einstellen sollte.<br />
Im September 1985 übernahm ‘ran die in Frankreich von „SOS<br />
Racisme“ ins Leben gerufene Antirassismusbewegung „Touche pas<br />
mon pote“ und eröffnete unter dem Titel „Mach’ meinen Kumpel<br />
nicht an“ eine regelmäßiges Forum. Fortan erschienen unter der<br />
mehrseitigen Rubrik Berichte über rassistische und ausländerfeindliche<br />
Tendenzen und es wurde auf Aktionen hingewiesen, die für<br />
einen verständnisvollen Umgang zwischen Deutschen und Ausländern<br />
warben. Die „Gelbe Hand-Aktion“ stieß nicht nur bei Lesern<br />
auf große Resonanz und wurde vom <strong>DGB</strong>-Vorsitzenden Ernst Breit<br />
ausdrücklich gelobt.<br />
Im Oktober 1987 vollzog sich abermals ein personeller Wechsel<br />
an der Spitze des Magazins: Römisch wechselte als Leiter in die Kulturabteilung<br />
des <strong>DGB</strong> und wurde von dem 34-jährigen Gustav<br />
Wilden abgelöst, der Römisch bereits nach seinem Wechsel zur ‘ran<br />
bei der „Solidarität“ nachgefolgt war. Für die „Gelbe Hand-Aktion“<br />
‘ran<br />
7 ’00<br />
erntete ‘ran 1998 offizielle Anerkennung: „Metall“, das Mitgliederorgan<br />
der IG Metall, zeichnete die Rubrik mit dem Sonderpreis ihres<br />
Reportagewettbewerbs aus. Das Preisgeld von 5.000 Mark gab die<br />
Redaktion an beispielhafte Initiativen weiter. Im gleichen Jahr wirbelte<br />
eine under-cover-Reportage erneut Staub auf. Fünf Wochen<br />
lang hatte ‘ran-Redakteurin Anne Graef in einer Bonner Putzkolonne<br />
mitgearbeitet und ihre Erfahrungen geschildert. Diese Reportage<br />
beschäftigte anschließend die Arbeitsgerichte.<br />
Einstellungsabsichten (1989–1992)<br />
Im Februar 1991 ging Gustav als ÖTV-Sekretär nach Düsseldorf.<br />
Vier Monate später, während derer ‘ran-Redakteur Ulrich Kalhöfer<br />
die Verantwortung hatte, übernahm Klaus-Jürgen Eichhorst.<br />
Auch er hatte bis dahin die „Solidarität“ betreut. Die Schwierigkeiten<br />
bei ´ran lagen in erster Linie in der Finanzierung. Der Verlag<br />
wollte die Verluste nicht weiter tragen und verlangte die Kon<strong>soli</strong>dierung.<br />
Die Redaktion machte Mitte 1991 mit neuem Gesicht noch<br />
einmal deutlich: Das Konzept von ‘ran kann nur ein professionelles,<br />
politisches und provokantes Magazin sein, das die Konkurrenz auf<br />
dem Medienmarkt nicht scheut. Leser und Medienexperten bestätigten<br />
diese Einschätzung. Im November einigten sich <strong>DGB</strong> und<br />
Bund-Verlag darauf, der Redaktion für die Erprobung dieses Konzeptes<br />
eine einjährige Prüfungsphase einzuräumen.<br />
Das Weiterbestehen der ‘ran wurde auf einer Vorstandssitzung<br />
des Bund-Verlages vorerst sichergestellt. <strong>Jugend</strong>verantwortliche in<br />
<strong>DGB</strong>, Gewerkschaften und Redaktion hatten ein Konzept erarbeitet,<br />
durch das sich ‘ran innerhalb von zwei Jahren finanziell kon<strong>soli</strong>dieren<br />
sollte und das ein verbessertes Service-Angebot für die Gewerkschaftsjugend<br />
beinhaltete. Neben verstärkten Bemühungen, Anzei
gen zu akquirieren und die Zahl der Abonnements zu erhöhen, kündigte<br />
das Konzept eine intensivere Berücksichtigung von Themen<br />
aus Arbeitswelt und Gewerkschaftsarbeit an. ■<br />
Quelle: ´ran, Das <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong>magazin im Spannungsfeld von <strong>Jugend</strong> und Gewerkschaft,<br />
Uwe Hellner, Schüren Presseverlag, Marburg 1994, Seite 92–107<br />
ran im Internet: www.ranmagazin.de<br />
‘ran<br />
Sonderheft<br />
‘93<br />
Mach´ meinen Kumpel nicht an<br />
„Touche pas mon pote“ – Hände weg von meinem Kumpel! So steht es auf Hunderttausenden<br />
von kleinen Plastikhänden, die sich französische Rassismus-Gegner stolz an die Brust heften.<br />
Der neue Button ist das Symbol von „SOS-Rassismus“. Die Bewegung wurde von jungen Franzosen<br />
und in Frankreich geborenen Ausländerkindern gegründet. Nach durchschlagendem Erfolg<br />
daheim sucht sie nun neue Anhänger<br />
in den europäischen Nachbarländern.<br />
‘ran und die Gewerkschaftsjugend starten<br />
die Aktion in der Bundesrepublik.<br />
„Ausländer raus“ lesen wir an Häuserwänden<br />
und Bretterzäunen. Arbeitslosigkeit<br />
und viele unserer Probleme wären gelöst,<br />
wenn diese Leute wieder in ihre Länder verschwinden würden, will man uns einreden – manche<br />
offen und brutal, die anderen versteckt durch ihre politischen Taten.<br />
Wir wissen, unsere ausländischen Kolleginnen und Kollegen haben wesentlich dazu beigetragen,<br />
dieses Land wieder aufzubauen. Sie haben ein Recht, mit ihren Familien hier zu leben und zu<br />
arbeiten. Wir wollen gemeinsam – deutsche und ausländische Mitbürger – auch unsere Zukunft<br />
gestalten. Im Streit für Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit brauchen wir jeden<br />
und jede. Um dieses Land lebenswert zu gestalten, bleib hier Mehmet, Ayse, Sergio, Rosa, Carlos,<br />
Elephteria ...<br />
Und dich, Martina und Thorsten, Andrea und Wolfram, fordern wir auf: Misch Dich ein! Lach<br />
nicht mit, wenn dumme Türkenwitze erzählt werden. Beschwer Dich, wenn ein Ausländer in<br />
der Kneipe kein Bier bekommt. Geh dazwischen, wenn unsere ausländischen Freunde belästigt,<br />
bedroht und geschlagen werden. Reiß sie ab, diese widerwärtigen Aufkleber „Ausländer<br />
raus“. Steck Dir unseren Button „Mach meinen Kumpel nicht an“ an die Jacke. Dokumentiere:<br />
Ich mach nicht mit bei Ausländerfeindlichkeit und Rassismus.<br />
Aus: ´ran, September 1985, 15. Jahrgang, Heft 9, Seite 7<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 25 RANDSPALTE<br />
ses. Die nur locker organisierte Bewegung umfasste ein breites Spektrum<br />
von gesellschaftlichen Gruppen, wie zum Beispiel die Gewerkschaften,<br />
kirchliche Organisationen, Initiativen von Wissenschaftlern,<br />
Ärzten, Journalisten, Parteien wie die Grünen, die DKP, Teile der SPD,<br />
aber auch Gruppen der CDU.<br />
Wichtige Themen innerhalb der Friedensbewegung waren auch der Umweltschutz<br />
und Frauenrechte. Die vielen lokal bezogenen Aktionen<br />
und die Zusammensetzung der Akteure, die aus allen sozialen Schichten<br />
stammten, trugen wesentlich zu dem breiten Erfolg in der Bevölkerung<br />
bei. An den großen Demonstrationen Anfang der achtziger<br />
Jahre nahmen bis zu 500.000 Menschen teil. Kurz vor der Schlussentscheidung<br />
über die Raketenstationierung veranstalteten die Gruppen<br />
der Friedensbewegung eine Aktionswoche, an der sich nach Schätzungen<br />
der Veranstalter rund drei Millionen BundesbürgerInnen beteiligten.<br />
Ein weiterer Grund für die Unterstützung in der Bevölkerung lag in der<br />
Angst vor der atomaren Bedrohung, deren „Beherrschbarkeit“ zunehmend<br />
bezweifelt wurde. Hinzu kam, dass bekannt wurde, dass<br />
die amerikanische Regierung über die Führbarkeit eines Atomkrieges<br />
nachdachte. Gewonnen werden konnte, so die Überlegungen, ein<br />
solcher Krieg nur dann, wenn die Auseinandersetzung auf Europa begrenzt<br />
bliebe. Die Befürchtung, Spielball von Washington und Moskau<br />
zu werden, verlieh dem Protest gegen die Aufrüstung zusätzliche<br />
Schubkraft.<br />
Auch wenn es nach dem Abbruch der Genfer Verhandlungen<br />
1983 zunächst so aussah, als seien die Bestrebungen<br />
der Friedensbewegung ohne Erfolg geblieben,<br />
waren die politischen Wirkungen doch beträchtlich. Die<br />
zur Massenbewegung avancierte Friedensinitiative führte<br />
schließlich zu einer öffentlichen Diskussion, die die<br />
Sicherheitspolitik bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes<br />
maßgeblich prägte.<br />
FORTSETZUNG SEITE 29 RANDSPALTE<br />
27
28<br />
G EWERKSCHAFTSJUGEND<br />
BRAUCHT INTERNATIONALE<br />
Z USAMMENARBEIT<br />
Internationale Solidarität, internationale Kontakte und grenzüberschreitende<br />
Unterstützung gehörten immer zu den wichtigsten<br />
Elementen gewerkschaftlicher Betätigung. Dabei wird die internationale<br />
Arbeit der Gewerkschaften von der Vision geleitet, dass für<br />
ähnliche Arbeit weltweit ähnliche Arbeitsbedingungen gelten sollen.<br />
Eine Perspektive, die angesichts der ungleichen Verteilung auf<br />
der Erde unrealistisch erscheint.Um so notwendiger ist eine kontinuierliche<br />
Arbeit, die eine gerechtere Verteilung der wirtschaftlichen<br />
Güter anstrebt. Die oft zitierte „Würde des Menschen“ wird<br />
nicht nur im unachtsamen Umgang miteinander in Frage gestellt,<br />
<strong>sonder</strong>n be<strong>sonder</strong>s durch mindere Entlohnung missachtet. Ein<br />
großer Teil der Menschheit verdient – so ein Weltbankbericht des<br />
Jahres 1990 – umgerechnet 1,70 Mark am Tag.<br />
In den sogenannten Billiglohnländern sind jedoch nicht nur die<br />
Entlohnungsbedingungen skandalös. Meist gibt es weder Krankenversicherung<br />
noch Unfallschutz. Gefährliche Arbeitsstoffe und Produktionsverfahren<br />
sowie Kinderarbeit sind häufig die Regel. Auf die<br />
Spitze getrieben werden die sozialen Ungleichheiten dadurch, dass<br />
es in vielen dieser Länder verboten ist, sich zusammenzuschließen,<br />
um so eine Verbesserung der Lebensbedingungen zu erreichen. Gewerkschaften<br />
und gewerkschaftliche Organisationsversuche werden<br />
unterdrückt, die Anerkennung durch Regierung oder Justizapparat<br />
wird ihnen verweigert – und in nicht wenigen Regionen dieser Erde<br />
Foto: Gabriela Battaglia<br />
S TAND U P F OR<br />
Y OUR R IGHTS<br />
NICARAGUA 1985<br />
Südafrika, Nicaragua, El Salvador, Mozambique – die Liste der Länder, in denen die <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> internationale<br />
Partner fand, ist lang. So lang, dass sich mit ihr allein Seiten füllen ließen. Be<strong>sonder</strong>e Kontakte gab es indes in<br />
den vergangenen Jahrzehnten immer wieder. So führte das Engagement der deutschen Gewerkschaftsjugend<br />
zugunsten des ANC und verfolgter südafrikanischer Gewerkschafter zu einer langfristigen Zusammenarbeit. Die<br />
Unterstützung des brasilianischen Dachverbandes CUT beim Bau der Bildungsstätte Escola Sul durch Baubrigaden,<br />
Spenden und Sachspenden und die daraus ebenfalls resultierende langjährige Zusammenarbeit ist bis heute<br />
Thema vieler gewerkschaftlicher Veranstaltungen. Die Globalisierung und vor allem die zunehmenden rassistischen<br />
Übergriffe im eigenen Land machen die Blicke über die eigenen Grenzen hinaus in Nachbarländer und in<br />
Regionen der so genannten Dritten Welt heute notwendiger als zuvor.<br />
werden Interessenvertreter bedroht, gefoltert oder sogar ermordet.<br />
Die Möglichkeiten, in solchen Staaten Einfluss zu nehmen, sind gering.<br />
Die internationalen Verbände der Gewerkschaften bemühen<br />
sich durch die Unterstützung der Partner-Organisationen in den jeweiligen<br />
Ländern, gegen solche Verhältnisse anzugehen.<br />
Junge Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter der Bundesrepublik<br />
Deutschland haben in der Vergangenheit nicht nur den gewerkschaftlichen<br />
Aufbau in vielen Ländern unterstützt. Ihre Solidarität<br />
galt und gilt vor allem den Befreiungsbewegungen, die sich<br />
zum Ziel gesetzt haben, demokratische Verhältnisse zu erkämpfen.<br />
Nicaragua-Solidarität<br />
Als 1979 Diktator Somoza in Nicaragua gestürzt wurde und<br />
der Aufbau einer neuen Gesellschaft begann, wurden die Demokratisierungsbemühungen<br />
über lange Jahre von der Gewerkschaftsjugend<br />
unterstützt. 1,2 Millionen Mark wurden für den Aufbau der<br />
neuen nicaraguanischen Gesellschaft gesammelt. Hunderte von<br />
jungen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern fuhren in das<br />
mittelamerikanische Land, um vor Ort mit anzupacken. Eine Reihe<br />
von Projekten vor Ort wurden explizit gefördert und finanziell sowie<br />
administrativ unterstützt. Die Solidarität mit der nicaraguanischen<br />
Bevölkerung wird bis heute fortgesetzt, auch wenn die politische<br />
Führung gewechselt hat.
10.10.1981 Massendemonstration der „Friedensbewegung“ mit 300.000 TeilnehmerInnen<br />
in Bonn gegen den NATO-Doppelbeschluss.<br />
10.6.1982 NATO-Gipfeltreffen in Bonn, gleichzeitig findet eine Friedensdemonstration<br />
mit 500.000 TeilnehmerInnen statt.<br />
1.10.1982 Der Bundestag wählt nach einem konstruktiven Misstrauensvotum<br />
gegen Helmut Schmidt (SPD) Helmut Kohl (CDU) zum sechsten Bundeskanzler.<br />
Diese Wahl wurde durch den Koalitionsbruch von SPD und F.D.P. möglich.<br />
Durch die Vertrauensfrage erreicht Kohl im Dezember die Auflösung des<br />
Bundestages und macht damit den Weg für Neuwahlen am 6. März 1983 frei.<br />
Bei den Wahlen erreichen CDU/CSU 38,8%, SPD 38,2% und die F.D.P. 6,9%<br />
der Stimmen. Mit 5,6% ziehen die Grünen erstmals in den Bundestag ein.<br />
April 1983 Die Ostermärsche wenden sich gegen die Überrüstung in Ost und<br />
West.<br />
22.10.1983 Höhepunkt einer Aktionswoche der Friedensbewegung gegen die<br />
NATO-Nachrüstung: Eine 108 kilometerlange Menschenkette zwischen Neu-<br />
Ulm und Stuttgart sowie eine Großkundgebung in Bonn. Am 22. November<br />
beschließt der Bundestag gegen die Stimmen von SPD und Grünen, am<br />
NATO-Doppelbeschluss festzuhalten.<br />
Gegen Apartheid<br />
Auch die Gewerkschaften Südafrikas erhalten noch immer <strong>soli</strong>darische<br />
Hilfe, die über Geldspenden hinausgeht. Zur Zeit des Apartheid-Regimes<br />
hat sich die Gewerkschaftsjugend dafür eingesetzt,<br />
dass Südafrika politisch und wirtschaftlich boykottiert wurde. Diese<br />
Forderung ist nicht am „grünen Gewerkschaftstisch“ in der Bundesrepublik<br />
Deutschland entstanden. Vielmehr haben südafrikanische<br />
Gewerkschafter immer wieder deutlich gemacht, dass dies der einzige<br />
Weg sei, von außen das Rassentrennungssystem in die Knie zu<br />
zwingen.<br />
Aber auch Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen sind<br />
die Folgen der Apartheid-Politik noch immer immens. Die Bekämpfung<br />
der Arbeitslosigkeit, Anhebung des Lebensstandards, Verbesserung<br />
des Bildungssystems sind nur einige Maßnahmen, die eine<br />
dauerhafte Demokratisierung unterstützen. 1997 waren in Südafrika<br />
FORTSETZUNG SEITE 30<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 27 RANDSPALTE<br />
Neuordnung der<br />
Metall-Ausbildung<br />
Mitte der achtziger Jahre vereinbarte die IG-Metall nach zähen Verhandlungen<br />
mit den Arbeitgebern eine Neuordnung der industriellen<br />
Ausbildungsberufe. Die bislang 42 Metallberufe wurden zu<br />
sechs „neuen“ mit insgesamt 16 Fachrichtungen zusammengefasst:<br />
Industrie-, Werkzeug-, Zerspannungs-, Konstruktions-, Anlagen-<br />
und Kraftfahrzeugmechaniker. Die Ausbildungsdauer beträgt<br />
einheitlich dreieinhalb Jahre. Die „neuen“ Berufe zeichnen<br />
sich durch eine berufsfeldbreite Grundausbildung aus. Die Spezialisierung<br />
auf die letztendlich ausgeübte Tätigkeit sollte erst sehr spät<br />
in der Ausbildung erfolgen. Damit sollte eine einseitige Ausrichtung<br />
vermieden und die Flexibilität bei Arbeitsplatzwahl und<br />
-wechsel erhöht werden.<br />
Quelle: ´ran, Ausgabe 1, Januar 1985<br />
Die Frauenbewegung<br />
Im Zusammenhang mit der amerikanischen<br />
Bürgerrechtsbewegung und der europäischen<br />
Studentenbewegung entstand Ende der<br />
1960er Jahre eine neue Frauenbewegung. Im<br />
Unterschied zur historischen Frauenbewegung<br />
stand erstmals nicht in erster Linie die rechtliche<br />
Situation von Frauen im Vordergrund, <strong>sonder</strong>n<br />
die feministische Frauenbefreiung und ihr<br />
Recht auf Selbstbestimmtheit.<br />
Obwohl das Grundgesetz Männer und Frauen<br />
verbindlich gleichsetzt, blieb die tatsächliche<br />
Diskriminierung in der Gesellschaft bestehen.<br />
In der Ausbildung und bei der beruflichen Entwicklung,<br />
der Entlohnung und in vielen anderen<br />
Bereichen waren Frauen weiterhin benachteiligt.<br />
Der Kampf der Frauen gegen die Vorherrschaft<br />
der Männer in Staat und Gesellschaft<br />
fand ihren Ausdruck unter anderem bei<br />
der politischen Diskussion um die Abschaffung<br />
des sogenannten Abtreibungsparagraphen<br />
218, die bis heute immer wieder geführt wird.<br />
Mit Frauenzentren, Frauencafés und Frauenhäusern<br />
für misshandelte Frauen sowie der<br />
1977 von Alice Schwarzer gegründeten Frauenzeitschrift<br />
„Emma“ etablierte sich die feministische Frauenbewegung<br />
und wurde zu einem wichtigen Teil der alternativen Bewegung,<br />
die sich in den 70er Jahren formierte. Anfangs erfasste die<br />
neue Frauenkultur lediglich einen Bruchteil der Frauen in der Bundesrepublik.<br />
In den folgenden Jahren entwickelte sie jedoch zunehmend<br />
eine breite politische und gesellschaftliche Relevanz, die bis<br />
heute ihre Wirkung nicht verloren hat. Die Frauenbewegung hat Anteil<br />
an der Entstehung der Partei der Grünen und beeinflusste die<br />
anderen Parteien und vor allem auch die Gewerkschaften.<br />
Die <strong>DGB</strong>- <strong>Jugend</strong><br />
und die Kultur<br />
Als ein Ergebnis des Reformprozesses beschloss die Gewerkschaftsjugend<br />
im November 1982 ein dreijähriges Kulturprojekt. Die Initiative<br />
sollte mit gewerkschaftlich organisierten <strong>Jugend</strong>gruppen neue<br />
Ideen für Kulturarbeiten entwickeln und diese unter Anleitung in die<br />
FORTSETZUNG SEITE 31 RANDSPALTE<br />
29
30<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 29<br />
noch immer rund 52 Prozent der <strong>Jugend</strong>lichen im erwerbsfähigen<br />
Alter von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie leben unter<br />
Bedingungen extremer sozialer Unsicherheit und Armut.<br />
Auch im Ausbildungssektor wirkt das Erbe der Apartheid<br />
fort: Beschränkter Zugang und erhebliche Qualitätsunterschiede<br />
im Ausbildungssystem sind auch heute noch für viele<br />
<strong>Jugend</strong>liche in Südafrika Realität. Die Zielsetzung von organisierten<br />
Maßnahmen der Gewerkschaftsjugend war und<br />
ist deshalb, sich gemeinsam über <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit auszutauschen<br />
und mögliche Lösungsansätze zu erarbeiten.<br />
Polen<br />
Die Gewerkschaftsjugend hat die polnische Gewerkschaft<br />
„Solidarität“ gleich am Anfang ihres oppositionellen<br />
Daseins unterstützt. Auch als die „Solidarnosc“ ‘’ verboten<br />
wurde, blieben die Verbindungen erhalten. Eine Mittelkürzung<br />
für den deutsch-polnischen <strong>Jugend</strong>austausch konnte<br />
verhindert werden. Zwischen einigen Gewerkschaften und<br />
<strong>DGB</strong>-Landesbezirken existieren kontinuierliche Kontakte zur<br />
Solidarnosc-<strong>Jugend</strong>. Seit 1991 ist die <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong> durch ein<br />
Mandat des Deutschen Bundesjugendringes (DBJR) im<br />
Deutsch-Polnischen <strong>Jugend</strong>rat vertreten.<br />
Frankreich<br />
Seit 1996 wurde die deutsch-französische Zusammenarbeit intensiviert.<br />
Es entwickelte sich eine enge und kontinuierliche Zusammenarbeit<br />
mit der Gewerkschaft CFDT. Darüber hinaus bestehen<br />
Kontakte zur CGT und zur FO. Im Haus der Gewerkschaftsjugend<br />
wurde ein vielschichtiges Serviceangebot aufgebaut, welches den<br />
<strong>Jugend</strong>austausch der beiden Länder unterstützt. Dazu gehört unter<br />
anderem eine gemeinsame deutsch-französische Arbeitsgruppe mit<br />
der CFDT, in der Kontakte geknüpft und vertieft, inhaltliche Fragen<br />
bearbeitet sowie Fortbildungen angeboten werden.<br />
Internationaler Austausch<br />
Wer weiß schon, wie spanische <strong>Jugend</strong>liche ihre Zukunft beurteilen,<br />
wenn in etlichen Gegenden Spaniens jeder zweite <strong>Jugend</strong>liche<br />
nach der Schule ohne Arbeit und Ausbildung ist? Wie sehen israelische<br />
<strong>Jugend</strong>liche die Bundesrepublik Deutschland? Wie leben<br />
russische <strong>Jugend</strong>liche nach Glasnost und Perestroika, der Öffnung<br />
der Grenzen und dem Zusammenbruch der sowjetischen Einheit?<br />
Der internationale politisch-kulturelle <strong>Jugend</strong>austausch gehört zur<br />
Arbeit der Gewerkschaftsjugend. Den eigenen Horizont zu erweitern,<br />
sich offen machen für andere Kulturen, für andere politische<br />
Ansichten, verstehen, dass die deutsche Art, Arbeit und Leben zu<br />
bewältigen, nicht die einzige Möglichkeit ist, sich gesellschaftlich<br />
zu betätigen – das sind einige Ziele der internationalen Austausch-<br />
Maßnahmen. Dabei geht es nicht allein um die individuelle Erweiterung<br />
des Horizontes: Internationaler Austausch bedeutet Völkerverständigung,<br />
Abbau von Spannungen und Vorurteilen sowie aktive<br />
Mitarbeit an der Friedenssicherung.<br />
Investition in die Zukunft – Weltjugendtreffen Jamaika 1991<br />
Fünf Tage lang hielten sich jugendliche GewerkschafterInnen<br />
aus aller Welt 1991 auf der Karibikinsel Jamaika auf, wo das bislang<br />
letzte Weltjugendtreffen der Gewerkschaftsjugend stattfand. Der<br />
<strong>DGB</strong> und seine Gewerkschaften stellten mit 394 Delegierten die<br />
„Die Leistungsfähigkeit internationaler<br />
<strong>Jugend</strong>arbeit wird sich in den nächsten<br />
Jahren daran messen müssen, ob<br />
es gelingt, den Abstand zwischen den<br />
internationalen und den nationalen<br />
Arbeitsebenen der <strong>Jugend</strong>verbände<br />
und -gremien zu verkürzen und mit<br />
geringeren finanziellen und personellen<br />
Kapazitäten auf die Herausforderungen<br />
zu reagieren“, hieß es 1998 im<br />
Bericht der <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> zur Bundesjugendkonferenz.<br />
größte Gruppe unter den etwa 2.400 TeilnehmerInnen aus 74 Ländern.<br />
Auch bei der konkreten Soli-Arbeit kam das größte Projekt im<br />
Rahmen des Weltjugendtreffens von der <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong>. Sie brachte<br />
einen Rundfunk-Sender mit auf die Insel. Für die Dauer des Treffens<br />
strahlte eine deutsch-jamaikanische Redaktion rund um die Uhr ein<br />
viersprachiges Radioprogramm aus. Nach dem Treffen bleibt der<br />
Sender auf der Insel. Kurze Zeit später nahm „Radio Mona“ als fünfter<br />
Radiosender auf Jamaika den regelmäßigen Sendebetrieb auf.<br />
Über die Erfahrungen während des Aufenthaltes und über die<br />
Lebensumstände jamaikanischer ArbeiterInnen berichtete die SOLI,<br />
Zeitschrift der <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong>, im September 1991. Hier einige Auszüge<br />
aus der Dokumentation:<br />
Viele junge Jamaikaner wandern aus, weil ihnen ihr Land keine<br />
Perspektiven bieten kann. Jamaika ist ein Entwicklungsland, das Leben<br />
ist teuer, die Verdienstmöglichkeiten gering und es gibt ein<br />
großes Gefälle zwischen Arm und Reich. Jeder dritte Jamaikaner lebt<br />
Foto: Klaus-Jürgen Eichhorst<br />
AUF DEM WELTJUGENDTREFFEN<br />
IN JAMAICA
unterhalb der Armutsgrenze von weniger als 220 Mark im Monat.<br />
Von jedem in Jamaika erwirtschafteten Dollar müssen 60 Cent für<br />
die Schulden des Landes aufgebracht werden. Die Regierung der<br />
Karibikinsel hat größte Schwierigkeiten, eine Balance zwischen den<br />
Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und einer ausreichenden<br />
Grundversorgung der eigenen Bevölkerung zu finden.<br />
Die TeilnehmerInnen konnten ihr theoretisches Wissen über die<br />
Lebensbedingungen der Menschen in Entwicklungsländern in Jamaika<br />
mit eigenen Augen verifizieren und brachten gleichzeitig der<br />
zum britischen Königreich gehörenden Inselrepublik dringend<br />
benötigte Einnahmen ins Land. Für die GewerkschafterInnen aus<br />
den Industrieländern war das Zusammentreffen mit den KollegInnen<br />
eine wichtige Erfahrung. Das findet auch Heike Paul vom Bezirksjugendausschuss<br />
der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen<br />
(HBV) aus Berlin(-Ost): „Ich habe erfahren, wie Gewerkschaften<br />
in anderen Ländern arbeiten und welche Probleme es gibt.<br />
Vor allem habe ich gelernt, dass es wichtig ist, über den eigenen<br />
Tellerrand zu schauen.“ Ihre Kollegin Anne Lange aus Hameln ergänzt:<br />
„Unsere Probleme werden in Diskussionen mit den Gewerkschaftern<br />
aus der Dritten Welt relativiert.“ „Be<strong>sonder</strong>s die Konferenz<br />
über Gewerkschafts- und Menschenrechte ist mir unter die Haut gegangen“,<br />
berichtet Ute Ellbracht. Sie sei berührt gewesen von den<br />
Berichten der Kolleginnen und Kollegen aus den Entwicklungsländern,<br />
deren Rechte oft genug mit Füßen getreten werden. Allein in<br />
den letzten 15 Monaten vor dem Treffen wurden, einem IBFG-Bericht<br />
zufolge, weltweit 264 Gewerkschafter ermordet, weil sie gewerkschaftliche<br />
Rechte einforderten.<br />
Im Mittelpunkt stand der Austausch gemeinsamer Erfahrungen.<br />
Regina Görner, damals im <strong>DGB</strong> Bundesvorstand zuständig für <strong>Jugend</strong>fragen,<br />
bezeichnete das Weltjugendtreffen als eine „Investition<br />
in die Zukunft“. Die GewerkschafterInnen, die an den Weltjugendtreffen<br />
teil genommen hätten, würden mit dem Bewusstsein nach<br />
Hause fahren, dass die Probleme der Menschheit nur global zu lösen<br />
seien. Diese Erkenntnis sei das, „was die Gewerkschaften für die Zukunft<br />
brauchen“, so Regina Görner. ■<br />
13.12.1984 In der deutschen Botschaft in Prag treten 40 DDR-Flüchtlinge in<br />
den Hungerstreik, um ihre Ausreise in den Westen zu erzwingen. Im Januar<br />
des folgenden Jahres kehren die letzten von insgesamt 350 Flüchtlingen in<br />
die DDR zurück, nachdem ihnen Straffreiheit und die Bearbeitung ihrer<br />
Ausreiseanträge zugesichert wurde.<br />
10.3.1985 Michail Gorbatschow wird Generalsekretär der KPdSU.<br />
22.5.1985 Die NATO-Verteidigungsminister einigen sich in Brüssel auf eine<br />
Verstärkung der konventionellen Rüstung.<br />
26.4.1986 In einem Kernkraftwerk in Tschernobyl schmilzt der Reaktorkern<br />
und verursacht die bisher größte bekanntgewordene Katastrophe in der<br />
Geschichte der Kernenergie. Auch in der Bundesrepublik werden erhöhte<br />
Strahlungswerte gemessen.<br />
9.6.1987 Trotz großem Polizeiaufgebot fordern rund 3000 Menschen in<br />
Sprechchören in Ostberlin Freiheit und den Abriss der Mauer.<br />
1.10.1988 Michail Gorbatschow wird zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets<br />
gewählt.<br />
1.2.–12.5.1989 28 Gefangene der Rote-Armee-Fraktion (RAF) treten in einen<br />
Hungerstreik, um die Zusammenlegung der RAF-Gefangenen zu erreichen.<br />
2.5.1989 Ungarn beginnt mit dem Abbau der Grenzbefestigungen zu Österreich.<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 29 RANDSPALTE<br />
Praxis umsetzen. Insgesamt wurden zehn Kulturgruppen betreut.<br />
Themen waren Theater, Video, Foto und Gipsskulpturen. In einem<br />
Interview mit der ´ran beschrieb der Leiter des Projektes, Jürgen<br />
Krings, die Motivation: „Wichtig ist es, dass sich die <strong>Jugend</strong>lichen<br />
mit ihrer erlebten Wirklichkeit auseinander setzen sollen. In welchem<br />
sozialen Umfeld leben und arbeiten sie, welche Wünsche und<br />
Bedürfnisse haben sie. Genau an diesem Punkt muss auch die Gewerkschaftsarbeit<br />
ansetzen.“<br />
Mitte der achtziger Jahre gab die Abteilung <strong>Jugend</strong> eine Broschüre über<br />
Erfahrungen gewerkschaftlicher <strong>Jugend</strong>kulturgruppen heraus. Damit<br />
sollten Anregungen gegeben werden und die <strong>Jugend</strong>lichen<br />
wurden ermuntert, selbst kulturell etwas auf die Beine zu stellen.<br />
Quelle: ´ran, 1. Februar 1985<br />
Die <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong><br />
und der Frieden<br />
Auch die Gewerkschaftsjugend war aktiv an der Friedensbewegung beteiligt<br />
und organisierte eine Reihe von Aktionen. So radelten zum<br />
Beispiel im Mai 1985 junge GewerkschafterInnen für den Frieden<br />
quer durch die Bundesrepublik. Sie demonstrierten damit für ein<br />
atomwaffenfreies Europa. Hunderte junge Menschen nahmen teil<br />
und verteilten von Rosenheim über Bremerhaven bis Mainz Flugblätter,<br />
legten Kränze an KZ-Gedenkstätten nieder und bestritten<br />
zahlreiche Veranstaltungen. Auf der Abschlusskundgebung in Mainz<br />
unterstrich <strong>DGB</strong>-Vorstandmitglied Ilse Brusis die Forderungen der<br />
Gewerkschaftsjugend: „Wir verlangen von den Regierungen der<br />
USA und der UdSSR, eine zunächst 300 km breite atomwaffenfreie<br />
Zone zwischen den Blöcken zu vereinbaren. Wir verlangen, dass sie<br />
ein Zeichen setzen, dass sie die Ernsthaftigkeit ihrer Verhandlungen<br />
unter Beweis stellen.“<br />
Der <strong>DGB</strong> rief 1985 nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichtes in<br />
Hamm das Bundesarbeitsgericht in Kassel an. Die Hammer Richter<br />
hatten entschieden, dass Arbeitnehmer, die sich am 5. Oktober<br />
1983 an der <strong>DGB</strong>-Aktion „Fünf Mahnminuten für den Frieden“ beteiligt<br />
hatten, rechtswidrig handelten. In der Urteilsbegründung<br />
hieß es: Wer im Betrieb dem <strong>DGB</strong>-Aufruf gefolgt war, hat sich rechtlich<br />
betrachtet einer „objektiv unzulässigen, politisch motivierten<br />
Arbeitsniederlegung schuldig“ gemacht.<br />
1986 bezog der <strong>DGB</strong> klare Stellung gegen die Pläne der Bundesregierung,<br />
sich an der „Strategic Defense Initiative“ – kurz SDI-Projekt –<br />
zu beteiligen. Das amerikanische Forschungsprojekt zur Stationierung<br />
von Waffen im Weltraum stieß beim <strong>DGB</strong> auf wenig Unterstützung.<br />
In einem Positionspapier dazu heißt es: „Die Aufrüstung des<br />
Weltraumes hält Forschung und Wissenschaft von der Lösung der<br />
dringenden Probleme der Menschheit ab. Der Nutzen militärischer<br />
Forschung und Entwicklung für den zivilen Bereich ist relativ gering.<br />
Daraus folgt: Es ist volkswirtschaftlich erheblich sinnvoller, Forschungsmittel<br />
direkt in die Entwicklung der notwendigen zivilen<br />
Technologien zu investieren.“<br />
Quelle: ´ran, Jahrbände 1985 und 1986<br />
12. Bundesjugendkonferenz<br />
des <strong>DGB</strong><br />
Im November 1985 fand in Köln die 12. Bundesjugendkonferenz<br />
des <strong>DGB</strong> statt. 140 Delegierte aus 17 <strong>DGB</strong>-Gewerkschaften diskutierten<br />
die Arbeit der vergangenen vier Jahre und wollten über nicht weniger<br />
als 187 Anträge beschließen. Nach zum Teil heftigen und kontroversen<br />
Diskussionen mussten allerdings weit über die Hälfte der Anträge zur<br />
FORTSETZUNG SEITE 33 RANDSPALTE<br />
31
32<br />
1992 FUHREN 12O JUGENDLICHE DURCH E UROPA<br />
B OTSCHAFTER FÜR EIN OFFENES<br />
UND SOZIALES E UROPA<br />
Ein internationales Fest<br />
an ungewöhnlichem Ort:<br />
Im Juni 1992 treffen sich<br />
<strong>Jugend</strong>liche aus allen Teilen<br />
Europas in Frankfurt an der<br />
Oder. An der deutsch-polnischen<br />
Grenze sind für<br />
zwei Tage alle Kontrollen<br />
außer Kraft gesetzt. Der Anlass:<br />
Drei Wochen lang fuhren<br />
120 <strong>Jugend</strong>liche mit<br />
Foto: Petra Schulz<br />
dem Zug durch die Länder<br />
der EU und ihrer östlichen Nachbarländer. Die <strong>Jugend</strong>lichen aus<br />
den Gewerkschaften der EU-Länder wollten für ein grenzenloses<br />
Europa werben.<br />
Glanzvolle Städtenamen beherrschen die Etappenziele des europäischen<br />
<strong>Jugend</strong>zuges: Kopenhagen, Amsterdam, Brüssel, Paris,<br />
Barcelona, Mailand, Wien, Prag, Göteborg und wieder Kopenhagen.<br />
Einzige Ausnahme: Mit der Auswahl der deutsch-polnischen<br />
Grenzstadt Frankfurt an der Oder/Slubice soll den jungen Europäer-<br />
Innen die Lage in der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung<br />
gezeigt werden. Doch zuvor haben die „Züglinge“<br />
einiges zu erleben.<br />
Dunkle politische Wolken brauen sich beim Start des Zuges im<br />
dänischen Kopenhagen zusammen. Die Auseinandersetzungen<br />
über die Beteiligung Dänemarks an der Europäischen Union gehen<br />
so weit, dass extreme politische Flügel von rechts und links mit einer<br />
Störung der Auftaktveranstaltung drohen. Nicht einmal vor<br />
Morddrohungen gegen den dänischen Ministerpräsidenten<br />
schrecken sie zurück. So wird die öffentliche Veranstaltung in Kopenhagen<br />
kurzfristig abgesagt; die zuvor zwischen den Organisationen<br />
im Europäischen Gewerkschaftsbund ausgehandelte<br />
Europäische <strong>Jugend</strong>charta tritt über Amsterdam und Brüssel den<br />
Weg nach Paris an.<br />
K OPENHAGEN ➣ A MSTERDAM ➣ B RÜSSEL ➣ B ARCELONA ➣ M AILAND ➣ W IEN ➣<br />
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit<br />
Schon während dieses ersten Teilstücks der rund drei Wochen<br />
dauernden Reise gibt es endlose Diskussionen. Die TeilnehmerInnen<br />
aus Belgien, der CSFR, aus Dänemark, Deutschland, Frankreich,<br />
Großbritannien, aus Irland, Italien, Malta und den Niederlanden,<br />
aus Österreich, Polen, Schweden und Spanien diskutieren schnell,<br />
dass die politische Botschaft der ZugteilnehmerInnen an die europäischen<br />
Völker auch in die Öffentlichkeit getragen werden muss.<br />
Die Zugleitung des Europäischen Gewerkschaftsbundes hatte das<br />
ganz anders geplant. Weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit<br />
sollte die Charta in den jeweiligen Gastgeberländern lediglich<br />
von den Gewerkschaftsspitzen unterzeichnet werden, die Fahrt<br />
dann weitergehen zum nächsten Ort. Kurz vor Erreichen der französischen<br />
Hauptstadt aber führen die schwierigen Diskussionen<br />
schließlich zum Erfolg. Am Place Boubou, gleich neben dem weltberühmten<br />
Centre Pompidou, werden kurze Zeit später die politischen<br />
Forderungen und die Workshopergebnisse der Pariser Öffentlichkeit<br />
vorgestellt.<br />
Am Abend eine innereuropäische Grenze, die sich für einige<br />
Teilnehmer beinahe als unüberwindlich erweist: Die drei Solidarnosc-Mitglieder<br />
Elizabeth, Christina und Bogdan dürfen die spanische<br />
Grenze nicht passieren, zwischen Spanien und Polen existiert<br />
kein Reiseabkommen. Erst nach langen Verhandlungen und persönlichen<br />
Bürgschaften von Gewerkschaftsfunktionären der spanischen<br />
CC.OO und UGT kann die Reise weiter gehen. Mitten hinein in den<br />
Generalstreik der beiden Gewerkschaften. Mitten hinein? Mitnichten.<br />
Statt ins Zentrum Barcelonas werden die „Züglinge“ mit Bussen<br />
in ein Kloster gefahren. In der rund zwanzig Kilometer ausserhalb<br />
liegenden Abtei informieren spanische Kollegen über die Hintergründe<br />
des Generalstreiks, unten in der Stadt wird währenddessen<br />
ein lokaler Streikführer brutal festgenommen.<br />
Mailand, Wien, Prag, keine be<strong>sonder</strong>en Vorkommnisse. Doch<br />
halt: Während die Zugbesatzung in Prag ihre Delegationspflichten<br />
erledigt, rauben offensichtlich gut organisierte und vorbereitete Diebesbanden<br />
den Zug aus. Auch das ist ein Teil europäischer Realität.<br />
Einige besitzen am Abend nur noch, was sie am Leibe tragen.<br />
Unterschiedliche Erfahrungen mit Grenzen stehen kaum 24<br />
Stunden später im Mittelpunkt der Diskussion, die in Frankfurt/Oder<br />
stattfindet. Während die einen gerade erfahren haben, dass man EU-<br />
Staaten teilweise ohne Pass und Personalausweis durchqueren kann,<br />
haben die anderen noch im Sinn, welche Schwierigkeiten sie an der<br />
spanischen Grenze hatten. Manche erinnern sich an die Rechtsextremisten,<br />
die die in Frankfurt/Oder ankommenden polnischen Busse<br />
mit Steinen bewarfen.<br />
Die Idee einer multikulturellen Gesellschaft, eines Europa ohne<br />
Grenzen – im Zug der europäischen Gewerkschaften durch Europa<br />
war all das Realität. Die Idee zog sich wie ein roter Faden auch durch<br />
P RAG<br />
Foto: Petra Schulz
➣ F RANKFURT/ODER ➣ S LUBICE ➣<br />
Foto: Udo Böhlefeld<br />
viele der Veranstaltungen<br />
an der Reiseroute<br />
der 120<br />
jungen GewerkschafterInnen.<br />
Heinz-Werner Meyer,<br />
damals Vorsitzender<br />
des DeutschenGewerkschaftsbundes,<br />
zog<br />
– sicher stellvertretend<br />
für die Meinung vieler Beteiligter in Frankfurt/Oder – sein Fazit:<br />
„Grenzen, das bedeutet immer auch Misstrauen gegenüber demjenigen,<br />
der auf der anderen Seite der Grenze steht. Und Misstrauen ist von<br />
jeher Ausgangspunkt kalter oder heißer Auseinandersetzungen gewesen.<br />
Mit der Überwindung dieser Grenzen, mit der Ablehnung von Ausländerfeindlichkeit<br />
und dem Aufbau von Freundschaft und Vertrauen<br />
kann diese Stadt ein Symbol für die Grenzüberschreitung zur Zukunft<br />
werden!“ ■<br />
G ÖTEBORG ➣ K OPENHAGEN<br />
13.5.1989 Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking beginnen mehrere<br />
tausend Studenten einen Hungerstreik. Am 4. Juni beendet das chinesische<br />
Militär mit einem blutigen Massaker die Proteste. Die Angaben<br />
über Zahl der Toten schwanken zwischen 2500 und 7000.<br />
August 1989 In der ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin sowie<br />
in den Bonner Botschaften in Budapest und Prag versuchen hunderte<br />
DDR-Flüchtlinge ihre Ausreise in den Westen zu erreichen.<br />
September 1989 Immer mehr Ausreisewillige halten sich in ungarischen Auffanglagern<br />
auf. Am 11. des Monats genehmigt Ungarn die Ausreise aller<br />
Flüchtlinge in den Westen. Tausende treffen in Bayern ein. Gleichzeitig<br />
gehen die sogenannten Montagsdemonstrationen in Leipzig und anderen<br />
Städten weiter. Bundesaußenminister Genscher verkündet, dass alle Botschaftsflüchtlinge<br />
ausreisen können. Am 1. Oktober beginnt die erste<br />
Massenausreise. Fast 7000 Flüchtlinge treffen in der Bundesrepublik ein.<br />
2.10.1989 Mit Gewalt beendet die Volkspolizei in Leipzig die mit rund<br />
20.000 TeilnehmerInnen bisher größte Demonstration für mehr Demokratie.<br />
Am 9. des Monats duldet die Volkspolizei eine Demonstration mit<br />
mehr als 50.000 TeilnehmerInnen. Der Aufruf „Wir sind das Volk – Keine<br />
Gewalt“, der über den Rundfunk verbreitet wird, verhindert blutige Zusammenstöße<br />
mit den Sicherheitskräften.<br />
4.–10.11.1989 In Ostberlin demonstrieren rund 500.000 Menschen. Am 9.<br />
November gibt Günther Schabowski, Mitglied des Politbüros, überraschend<br />
die Öffnung der Grenzen zur Bundesrepublik und Westberlin bekannt.<br />
Am Abend drängen Tausende von OstbürgerInnen nach Westberlin.<br />
Am Morgen des 10. November besuchen Hunderttausende die grenznahen<br />
Städte und Westberlin. Bei einer Kundgebung vor dem Schöneberger<br />
Rathaus prägt der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt den Satz:<br />
„Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört.“<br />
28.11.1989 Bundeskanzler Helmut Kohl legt ein „10-Punkte-Programm zur<br />
Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas“ vor, das letztendlich<br />
zur Wiedervereinigung führen soll.<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 31 RANDSPALTE<br />
Weiterberatung an den Bundesjugendausschuss überwiesen werden.<br />
Dies zeigt, dass der Gewerkschaftsjugend die Klärung wichtiger<br />
politischer Probleme mehr wert ist als die sture Bewältigung von Antragspaketen.<br />
Die wichtigsten Themen waren „Zukunft der Arbeit“,<br />
„Neue Technologien“, „Berufliche Bildung“ und „internationale Solidarität“<br />
unter anderem mit Nicaragua und der unterdrückten schwarzen<br />
Bevölkerung in Südafrika. Erhebliches Gewicht wurde auch auf die<br />
Klärung der Frage gelegt, mit welchen anderen politischen Gruppen<br />
die Gewerkschaftsjugend zusammenarbeiten soll. Die unterschiedlichen<br />
Standpunkte zur Bündnispolitik wurden in den Medien zur „Zerrissenheit“<br />
der Gewerkschaftsjugend hochgespielt.<br />
In den entscheidenden gewerkschaftlichen Fragen zeigten die Delegierten<br />
Geschlossenheit: Eine Entschließung gegen die von der Bundesregierung<br />
angestrebte Aushöhlung des Streikrechts durch die Änderung<br />
des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes wurde einstimmig angenommen.<br />
Bereits zu Beginn der Konferenz hatte das für <strong>Jugend</strong>arbeit<br />
zuständige <strong>DGB</strong>-Bundesvorstandsmitglied Ilse Brusis großen Beifall für<br />
die deutlichen Worte gegen den Abbau von Gewerkschaftsrechten bekommen:<br />
„Wir lassen nicht zu, dass die Situation der Arbeitnehmer<br />
Stück für Stück verschlechtert wird. Wir lassen nicht zu, dass unsere gewerkschaftlichen<br />
Handlungsmöglichkeiten Stück für Stück beschnitten<br />
werden. Wer den § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes so ändern will,<br />
dass mittelbar von Arbeitskämpfen Betroffene kein Geld mehr von den<br />
Arbeitsämtern bekommen sollen, will die Gewerkschaften kampfunfähig<br />
machen! Das werden wir uns nicht gefallen lassen!“<br />
Mahnende Worte richtete <strong>DGB</strong>-Vorsitzender Ernst Breit an die jungen<br />
GewerkschafterInnen. Untersuchungen hätten gezeigt, dass die<br />
Gewerkschaften an Rückhalt in der <strong>Jugend</strong> zu verlieren. Die gewerkschaftliche<br />
<strong>Jugend</strong>arbeit müsse daher an die speziellen Bedürfnisse der<br />
<strong>Jugend</strong> anknüpfen. „Dazu gehören auch solche, die nicht politischer<br />
Art sind. Ich rede damit nicht einer Freizeit- und Reiseorganisation das<br />
Wort. Aber ich sage: Gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit muss auch Spaß<br />
machen – vor allem denjenigen, die wir als Mitglieder gewinnen wollen“,<br />
meinte der <strong>DGB</strong>-Chef. Die Aufgabe der <strong>Jugend</strong>funktionäre des<br />
<strong>DGB</strong> sei es, die Bedürfnisse, Hoffnungen und Ängste <strong>Jugend</strong>licher an<br />
die Gewerkschaften weiterzugeben. Das erfordere zwingend den nötigen<br />
politischen Freiraum.<br />
Dass es innerhalb der Gewerkschaftsjugend noch nötigen Bewegungsraum<br />
gibt, zeigte die Zusammensetzung der Konferenz: Das<br />
Durchschnittsalter betrug 27 Jahre, nur ein Fünftel der Delegierten war<br />
weiblichen Geschlechts. Die ausländischen Kolleginnen und Kollegen<br />
kamen auf ganze zwei Delegierte. Man darf gespannt sein, inwieweit<br />
die <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong> hier in den kommenden Monaten etwas näher an die<br />
selbstgesetzten Ansprüche herankommt.<br />
Aus: ´ran, Dezember 1985, 15. Jahrgang, Heft 12, Seite 50<br />
Foto: Manfred Vollmer<br />
33
AKTUELLE<br />
PUBLIKATIONEN<br />
DER<br />
<strong>DGB</strong>-JUGEND<br />
ZU BESTELLEN BEI:<br />
<strong>DGB</strong> BUNDESVORSTAND<br />
ABT. JUGEND<br />
BURGSTR. 29-30<br />
10178 BERLIN<br />
IM INTERNET ZU<br />
FINDEN UNTER:<br />
WWW.WORKSHOP-<br />
ZUKUNFT.DE