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sonder-soli 2 (Page 1) - DGB-Jugend

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50 JAHRE<br />

<strong>DGB</strong><br />

J UGEND


2<br />

V ORWORT<br />

Fünfzig Jahre gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit – eine Zeit, in der sich die sozialen, politischen und<br />

arbeitsrechtlichen Bedingungen nicht nur für <strong>Jugend</strong>liche in der Bundesrepublik Deutschland stetig<br />

verändert und weiterentwickelt haben. Auch in der gewerkschaftlichen <strong>Jugend</strong>arbeit hat sich in dieser<br />

Zeit viel bewegt. Wir haben versucht, eine exemplarische Auswahl zu treffen, um diese Entwicklung<br />

zu dokumentieren. In verschiedenen Archiven haben wir Protokolle gesammelt, Fotomaterial<br />

gesichtet und sie eingebettet in das Zeitgeschehen. Denn die gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit hat<br />

sich in dem Maße verändert, wie sich die sozialen und politischen Einstellungen der jungen Generationen<br />

verändert haben. Wichtige Stationen wie das Haus der Gewerkschaftsjugend in Oberursel, das<br />

„junge forum“ in Recklinghausen, die Lehrlingsbewegung, die gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>zeitschrift<br />

´ran oder die <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong>-Aktion „Wer, wenn nicht wir“ haben einen be<strong>sonder</strong>en Platz in dieser<br />

Dokumentation erhalten.<br />

Wir haben nicht versucht, dem Anspruch der Vollständigkeit zu genügen. Wir wollen Euch lediglich<br />

einen kleinen Überblick und die Möglichkeit geben, ein wenig in der Vergangenheit zu blättern.<br />

Roland Schinko<br />

Foto: Christa Petri<br />

I NHALT<br />

L EHRLINGSBEWEGUNG E NDE DER 60ER | UNTERNEHMER, HÖRT DIE S IGNALE 4<br />

O BERURSEL – DAS H AUS DER G EWERKSCHAFTSJUGEND | JUGENDBILDUNGSARBEIT IM W ANDEL 8<br />

<strong>DGB</strong>-JUGEND IN A KTION | WER, WENN NICHT WIR! 14<br />

K EIN T AG ÄLTER | DAS „ JUNGE FORUM“ 20<br />

K LEINE C HRONIK DER ‘ RAN | AUFMÜPFIGE A NTI-BRAVO 24<br />

I NTERNATIONALE Z USAMMENARBEIT | STAND U P F OR Y OUR R IGHTS 28<br />

B OTSCHAFTER FÜR EIN OFFENES UND SOZIALES E UROPA 32


Foto: Archiv der sozialen Demokratie<br />

I MPRESSUM<br />

Verantwortlich für den Inhalt: Ingrid Sehrbrock<br />

Herausgeber: <strong>DGB</strong> Bundesvorstand, Abt. <strong>Jugend</strong>, Burgstraße 29–30, 10178 Berlin,<br />

Tel.: 030 - 24060-0, Fax: 030 - 24060-409<br />

Druck: toennes satz + druck gmbh, Erkrath<br />

Redaktion & Text: Rita Jäger (verantwortlich), Udo Böhlefeld<br />

Grafik: Karin Pütt<br />

Verwendete Nachschlagewerke: Deutschland seit 1945 – Chronik und Bilder, Wolfgang Benz (dtv, München<br />

1999); 1949–1999, 50 Jahre Deutsche Geschichte, Ereignisse, Personen,<br />

Entwicklungen, Sonderausgabe der Brockhaus-Redaktion zum 50.<br />

Jahrestag der Bundesrepublik Deutschland (Brockhaus, Leipzig/Mannheim<br />

1999); dtv-Lexikon in 20 Bänden (Brockhaus, Leipzig/Mannheim; dtv,<br />

München 1992)<br />

Mit freundlicher Unterstützung des „Archivs der sozialen Demokratie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

Gefördert aus Mitteln des Kinder- und <strong>Jugend</strong>plans des Bundes (BMFSFJ)<br />

Foto: Norbert Kinkel<br />

Foto: Jürgen Planert<br />

3


4<br />

U NTERNEHMER,<br />

HÖRT DIE S IGNALE<br />

„Alle Welt redet von Reformen – wir nicht.“ Rosarot sind die<br />

Flugblätter, die die Essener „Arbeitsgemeinschaft gewerblicher<br />

Lehrlinge“ im Frühjahr 1969 verteilt. Weniger rosig sind die Missstände,<br />

die die aufmüpfigen Lehrlinge anprangern, denn mehr als<br />

düster war es Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre um die Situation<br />

der betrieblichen Ausbildung bestellt. Die Essener beschreiben sie<br />

mit bitterer Ironie: „Wir sortieren, stempeln, kleben, putzen, tragen,<br />

fegen. Unsere Ideale: blinder Gehorsam, geistige Anspruchslosigkeit,<br />

völlige Unterordnung, erst arbeiten, dann lernen ... Ruhe Ist<br />

die erste Lehrlingspflicht!!! Geh, segne den Lehrherrn!“<br />

Ob in Essen, Göttingen, Berlin oder Hamburg – überall in der<br />

Bundesrepublik machen es Lehrlinge und Jungarbeiter den Studenten<br />

und Schülern gleich und protestieren seit 1968/69 mit phantasievollen<br />

Aktionen gegen die unglaublichen Missstände in der Berufsausbildung,<br />

mehr noch: Mit eigenen Lehrlingsdemonstrationen,<br />

Arbeiterjugendgerichten und Lehrlingszentren beginnen sie sich<br />

selbst zu organisieren und treten selbstbewusst fordernd auch<br />

gegenüber der Gewerkschaft auf. Man könne stolz sein auf die<br />

Handwerkerjugend, freut sich der Präsident des Zentralverbandes<br />

L EHRLINGSBEWEGUNG<br />

E NDE DER 6OER<br />

20 Jahre Studentenbewegung – Anlass für die Medien, an die antiautoritäre Rebellion zu<br />

erinnern. Fast vergessen dagegen: Die Lehrlingsbewegung Ende der 60er/Anfang der<br />

70er Jahre. Als 1968 die „Welt am Sonntag“ verkündete: „Die Lehrlinge rebellieren nicht,<br />

sie sind keine billigen Bierholer“, war es mit der Ruhe in den Betrieben bald vorbei.<br />

Nach und nach schlossen sich immer mehr Lehrlinge zusammen, um Missstände in der<br />

Ausbildung aufzudecken und den Verantwortlichen die Hölle heiß zu machen.<br />

des Deutschen Handwerks, Joseph Wild, noch 1967: „Die demonstriert<br />

nicht auf der Straße und missbraucht nicht ihre falsch verstandenen<br />

Freiheiten, aber sie ist heute dank ihrer staatsbürgerlichen<br />

Erziehung das Rückgrat der <strong>Jugend</strong> in den staatstragenden<br />

Parteien.“ In den Gewerkschaften hat sich in den 60er Jahren<br />

Selbstzufriedenheit breitgemacht. Ein wenig aufregendes Kapitel<br />

deutscher Gewerkschaftsgeschichte: Lohnerhöhungen lassen sich<br />

auch ohne größere Arbeitskämpfe durchsetzen, Hochkonjunktur<br />

und Vollbeschäftigung – was will man mehr?<br />

Doch nicht nur „unter den Talaren“ versteckt sich „der Muff<br />

von tausend Jahren“, noch ärger ist es um die Ausbildung von 80<br />

Prozent der <strong>Jugend</strong>lichen, von etwa 1,5 Millionen Lehrlingen bestellt.<br />

Genügend Lehrstellen sind für alle da. Jürgen Grygier erzählt:<br />

„Trotz langer Haare war es kein Problem, etwas zu finden. Ich<br />

konnte auswählen.“<br />

Entsprechend selbstbewusst ist ein Teil der Lehrlinge nicht länger<br />

bereit, darauf zu vertrauen, dass die Gewerkschaften ihre über<br />

50 Jahre alte Forderung nach einem einheitlichen Berufsbildungsgesetz<br />

durchsetzen werden, <strong>sonder</strong>n nimmt die eigene Sache


selbst in die Hand. Jürgen<br />

Grygier: „Vom Betriebsrat war<br />

keine Hilfe zu erwarten. ‘Lehrjahre<br />

sind keine Herrenjahre’,<br />

entgegneten die bei Beschwerden.“<br />

„Es war so eine Art Aufbruchstimmung<br />

in der gesamten Gesellschaft“, erinnert sich Gerd<br />

Andres, damals einer der Aktivisten in der Lehrlingsbewegung,<br />

später IG Chemie-Bundesjugendsekretär und heute Mitglied des<br />

Bundestages. „Wir nahmen Willy Brandts späteres Wahlkampfmotto<br />

vorweg und wagten mehr Demokratie. Die Aktionsform der<br />

Lehrlingsbewegung war eine sehr einfache: Wir machten die Zustände<br />

in den Betrieben öffentlich.“<br />

Was dabei zutage kommt, ist mehr als haarsträubend. Nicht<br />

nur, dass es kein Gesetz gibt, das die Berufsausbildung einheitlich<br />

regelt, es gilt immer noch die Gewerbeordnung von 1869. Zitat:<br />

„Der Lehrling ist der väterlichen Zucht unterworfen.“ Lehrlinge erhalten<br />

eine miserable Schulbildung, werden unqualifizierten Ausbildern<br />

ausgeliefert, müssen sich als billige Arbeitskräfte ausbeuten<br />

lassen, werden mit Neben- und Hilfstätigkeiten schikaniert oder<br />

leisten unbezahlte Überstunden. Zwar gibt es seit 1960 ein<br />

<strong>Jugend</strong>arbeitsschutzgesetz, aber von insgesamt 1,2 Millionen<br />

Betrieben in der Bundesrepublik kontrollieren die Gewerbeaufsichtsämter<br />

1970 gerade mal 314.000. Die knapp 70.000 aufgedeckten<br />

Verstöße sind nur die Spitze des Eisberges. Nur in einem<br />

Bruchteil der Fälle werden Verwarnungen ausgesprochen, die<br />

Geldstrafen sind lächerlich. Ein 13-jähriger gerät in die Hobelma-<br />

Fotos: Fotoarchiv Ruhrlandmuseum / Manfred Scholz<br />

FORTSETZUNG SEITE 6<br />

➔<br />

¥ 7.Juli 1969<br />

Köln: Über<br />

10.000 Lehrlinge demonstrieren für ein<br />

fortschrittliches Berufsbildungsgesetz. Traditionelle<br />

Formen gewerkschaftlicher Interessenvertretungen<br />

bekommen Konkurrenz<br />

durch neue Aktionsformen: Lehrlinge veranstalten<br />

Trauerzüge für „Omas Gewerbeordnung“<br />

oder „Arbeiterjugendgerichte“.<br />

¥<br />

8.5.1949<br />

Für eine bessere Zukunft<br />

lernen, arbeiten und<br />

kämpfen wir mit<br />

der Gewerkschaftsjugend<br />

„Man hat euch einst immer und immer wieder verführerisch vorgeredet,<br />

dass ihr die Zukunft seid und dass ihr die Herren der Zukunft<br />

werden könntet; man hat damit euer Wollen und euren Einsatz hingelenkt<br />

auf Wege, die in den Abgrund führten. Auch ich sage euch,<br />

dass ihr die Zukunft seid und dass ihr Herr werdet über die große<br />

Not der Gegenwart für eine bessere Zukunft, wenn ihr richtige und<br />

aufrichtige Gewerkschafter seid.<br />

Die neue deutsche Gewerkschaft, die über allen Parteien, Weltanschauungen<br />

und Berufen steht, kann und wird über alle Zonengrenzen<br />

die Brücke für die deutsche Einheit sein, wenn wir den Grundgesetzen<br />

der neuen Gewerkschaft treu bleiben, die Brücke zu sein zwischen<br />

alt und jung, zwischen Arbeitern, Angestellten und Beamten,<br />

zwischen all den Menschen also, die in arbeitsabhängiger Stellung<br />

mit dem Einsatz ihrer Person ihr Leben fristen.“<br />

Hans Böckler<br />

Vorwort der „Leitsätze für die Gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit“, Herausgegeben vom<br />

Deutschen Gewerkschaftsbund, Bundesvorstand, Hauptabteilung <strong>Jugend</strong>, Düsseldorf,<br />

Hans-Böckler-Haus, Stromstraße 8<br />

Berufsausbildungsgesetz<br />

„Am 28.1.49 fand eine Konferenz der bizonalen <strong>Jugend</strong>sekretäre statt,<br />

auf der ein vom Kollegen Masseling (Bundesjugendsekretär) und Dr.<br />

Hecht ausgearbeiteter Entwurf eines Berufsausbildungsgesetzes besprochen<br />

wurde. (...) Der Entwurf soll in alle Bezirke versandt werden,<br />

damit er dort besprochen werden kann. Zunächst besteht noch<br />

die Schwierigkeit, dass sich die Verwaltung für Arbeit und die Verwaltung<br />

für Wirtschaft nicht über die Zuständigkeit einigen<br />

können.“<br />

Auszug aus dem Protokoll der Bundesjugend-Ausschusssitzung vom 5.2.1949<br />

FORTSETZUNG SEITE 7 RANDSPALTE<br />

5


6<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 5<br />

schine eines Sägewerkes und trägt schwere Verletzungen davon.<br />

Strafe für den Unternehmer: 50 Mark!<br />

„Ausbeutung Tag für Tag, gesichert durch den Lehrvertrag“,<br />

schreibt die Essener Lehrlingsgruppe zum Ergebnis ihrer Fragebogenaktion<br />

zur Situation gewerblicher Lehrlinge; eine von zahlrei-<br />

chen Aktionen, mit denen Lehrlinge überall<br />

in der Bundesrepublik ihre Forderung<br />

nach einer Reform der Berufsbildung untermauern:<br />

„Unsere Fragebogenaktion hat<br />

ergeben: „77% der Lehrlinge machen berufsfremde<br />

Arbeiten, 16% werden teils<br />

massiv unter Druck gesetzt, 46% machen<br />

oft bis zu 20 Überstunden pro Woche,<br />

44% sind mit ihrer Ausbildung unzufrieden.“<br />

Eine spezielle Interessenvertretung<br />

¥ 1970 ¥<br />

Der Spiegel 18: 1969 wies BASF<br />

die Lehrlinge an, „sich vor keiner<br />

Arbeit zu drücken“, sich zum Aufsuchen<br />

der Toilette beim Ausbilder<br />

ab- und zurückzumelden“, „zeitig<br />

zu Bett zu gehen“, „immer an seine<br />

Zukunft zu denken“ und „froh<br />

und höflich zu grüßen“.<br />

der Lehrlinge gibt es nicht. Mit Beschwerden müssen sich die Lehrlinge<br />

an die Kreishandwerkerschaft oder die Industrie- und Handelskammer<br />

wenden: Die kontrolliert werden sollen, kontrollieren sich<br />

selbst.<br />

Der <strong>DGB</strong> erkennt, dass es in den Betrieben gärt und mahnt die<br />

Politiker Ende 1968 zum raschen Handeln: „Heute die Studenten.<br />

Morgen die Lehrlinge.“ Doch das neue Berufsbildungsgesetz, das<br />

der Bundestag 1969 verabschiedet, bleibt weit hinter den Forderungen<br />

der Lehrlinge zurück. Mit der Ruhe in den Betrieben ist es nun<br />

endgültig vorbei. Auch in den Gewerkschaften: Bei der vom <strong>DGB</strong> organisierten<br />

1. Lehrlingsdemonstration und -kundgebung im Juni 69<br />

in Köln kommt Maria Weber vom <strong>DGB</strong>-Bundesvorstand kaum zu<br />

Wort. Sprechchöre werden laut: „Diskussion statt Blabla.“ „Bisher<br />

haben wir nur den Mund gespitzt, jetzt wird gepfiffen“, heißt es bei<br />

einer Demonstration Hamburger Lehrlinge und Jungarbeiter im November<br />

1968 für mehr Mitbestimmung in Betrieb und Schule. Die<br />

Hamburger werden zu Vorreitern in Sachen Lehrlingsbewegung, sie<br />

veranstalten das erste Lehrlingshappening, ein „Feg-in“ in der City,<br />

geben bald eine eigene Zeitung heraus, die „LZ“, die auch an Kritik<br />

an bürokratischen Strukturen innerhalb der Gewerkschaft nicht<br />

spart, und sie gründen auch den ersten Lehrlingstreff, den sogenannten<br />

„Jour fix“.<br />

Nach seinem Vorbild entstehen Anfang der 70er Jahre überall in<br />

der Bundesrepublik Lehrlingszentren, „Jour fixe“ oder zumindest<br />

lose Arbeitsgemeinschaften. Zum Teil mit Unterstüt-<br />

zung der Gewerkschaften, manchmal aber auch<br />

gegen sie.<br />

Nicht nur in Großstädten organisieren sich die<br />

Lehrlinge, auch auf dem platten Land. Zum Beispiel<br />

in Neuwied. Gerd Andres: „Großbetriebe gibt es<br />

dort kaum, fast nur kleinere Krauter. Ein Lehrling<br />

musste im Einzelhandel 14 Tage lang Salami-Schimmel<br />

entfernen, ein anderer verbrachte die Hälfte seiner<br />

Ausbildung auf dem Bau, Schläge waren keine<br />

Seltenheit.“ Die Lehrlinge machen die Missstände<br />

Die Welt, 17.9.1957: „DIHT meint: Lehre kein Arbeitsvertrag“<br />

– Der Lehrvertrag ist kein Arbeitsvertrag,<br />

er regelt vielmehr ein Erziehungs- und<br />

Ausbildungsverhältnis. Diese Feststellung trifft<br />

der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) in<br />

einer Entschließung. Bedauerlicherweise sei<br />

durch die tarifvertragliche Festsetzung von Erziehungsbeihilfen<br />

ein Element in die Regelung der<br />

Lehrverhältnisse eingedrungen, das sich bei dem<br />

zunehmenden Mangel an <strong>Jugend</strong>lichen störend<br />

bemerkbar mache. Die Höhe der Erziehungsbeihilfe,<br />

die fälschlicherweise als „Lehrlingslohn“ bezeichnet<br />

werde, gewinne bei der Werbung um<br />

den <strong>Jugend</strong>lichen zunehmende Bedeutung und<br />

beeinflusse die Berufswahlentscheidung nachteilig.<br />

Der DIHT vertritt daher die Auffassung, dass<br />

die Regelung der Erziehungs- und Ausbildungsbeihilfen<br />

nicht in den Lohn- und Tarifverträgen<br />

erfolgen soll.<br />

öffentlich und nennen Namen. Die Unternehmer wehren sich natürlich<br />

dagegen, an den Pranger gestellt zu werden, zum Beispiel in Essen<br />

mit den sogenannten „Lehrlingsprozessen“.<br />

Die Qualität der Ausbildung ist öffentliches Gesprächsthema.<br />

Der <strong>DGB</strong> bemüht sich, mehr auf die Forderungen seiner jungen Mitglieder<br />

einzugehen, und erklärt das Jahr 1971 zum „Jahr der jungen<br />

Arbeitnehmer“. Gerd Andres: „Als wir mit unserer Gruppe in der <strong>Jugend</strong>sendung<br />

,direkt' im Fernsehen auftraten, kam das im Westerwald<br />

erstmal einer halben Revolution gleich. Nachdem wir einem<br />

Handwerksmeister, der regelmäßig seinen Lehrling schlug, eine Ehrenurkunde<br />

für außerordentlich effiziente Ausbildungserfolge überreichten<br />

und das ganze mit Flugblättern und Presseartikeln öffentlich<br />

machten, meinten anfangs noch viele, wie kann man nur einen<br />

ehrbaren Handwerksmeister so mit Dreck beschmeißen. Aber mit<br />

der Zeit hatten wir immer mehr Leute auf unserer Seite. Selbst der<br />

Pastor sprach in der Kirche über die Missstände. Wir merkten bald,<br />

dass unsere Aktionen einiges im öffentlichen Bewusstsein in Gang<br />

setzten. ■<br />

Anne Graef (´ran, Juli 1987, 17. Jahrgang, Heft 7, Seite 43–45)


LEHRLINGS-<br />

8.5.1949 Mit 53 gegen 12 Stimmen beschließt der Parlamentarische<br />

Rat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das am 23.<br />

Mai 1949 in Kraft tritt.<br />

14.8.1949 Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag. Am 12. September<br />

wird Theodor Heuss durch die Bundesversammlung zum Bundespräsidenten<br />

gewählt. Konrad Adenauer (CDU) wird am 12. September<br />

zum Bundeskanzler gewählt.<br />

12.–14.10.1949 Gründungskongress des <strong>DGB</strong> in München. Verabschiedung<br />

des ersten Grundsatzprogramms.<br />

DEMONSTRATION<br />

DES <strong>DGB</strong> IN<br />

KÖLN AM<br />

14.6.1969<br />

Fotos: Fotoarchiv Ruhrlandmuseum / Manfred Scholz<br />

¥ 1971<br />

Tarifkämpfe in der<br />

chemischen Industrie – in vielen<br />

Großbetrieben beteiligen sich<br />

Lehrlinge an den Streikaktionen.<br />

Auch beim Chemie-Riesen Bayer.<br />

Den Lehrlingen dort wird die Entlassung<br />

angedroht, falls sie beim<br />

Streik mitmachen. Diese Mitteilung<br />

der Werksleitung wird öffentlich<br />

verbrannt. Hauptargument<br />

der Gegner des Lehrlingsstreiks:<br />

Das Lehrlingsverhältnis ist vor<br />

allem ein Erziehungsverhältnis.<br />

¥<br />

16.3.1950 Churchill tritt vor dem britischen Unterhaus als erster führender<br />

Politiker für die Wiederbewaffnung Deutschlands ein.<br />

25.6.1950 Ausbruch des Koreakrieges.<br />

29./30.11.1950 Urabstimmung der IG Metall, in der 96 Prozent der<br />

Mitglieder für einen Streik zur Durchsetzung der paritätischen Mitbestimmung<br />

in der Montanunion stimmen.<br />

26.5.1952 Deutschlandvertrag (Generalvertrag). Der in Bonn unterzeichnete<br />

„Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik<br />

Deutschland und den Drei Mächten“ sieht Gleichberechtigung<br />

der Bundesrepublik innerhalb der westeuropäischen Gemeinschaft<br />

vor. Die endgültigen Grenzen Deutschlands bleiben späteren Friedensverhandlungen<br />

vorbehalten.<br />

26.3.1954 Das 1. Wehrverfassungsgesetz regelt die Zuständigkeit des<br />

Bundes in Verteidigungs-, Wehrpflicht- und Zivilschutzangelegenheiten<br />

(Art. 73 Nr.1, 79 Abs. 2 und 142a GG).<br />

31.3.1959 Der Ministerausschuss des Europarates in Straßburg lädt die<br />

Bundesrepublik Deutschland und das Saarland ein, dem Rat als assoziierte<br />

Mitglieder beizutreten. Am 8. Juli 1950 wird die Bundesrepublik<br />

Mitglied.<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 5 RANDSPALTE<br />

Religionsunterricht<br />

an Berufsschulen<br />

„Kollege Masseling teilte mit, dass Kollege Kilian, Rüdesheim, eine Entschließung<br />

gegen den Religionsunterricht in den Berufsschulen gefasst<br />

und an den Kultusminister, Presse und Rundfunk weitergeleitet<br />

hat. Kollege Kilian war hierzu nicht berechtigt und hat damit viel<br />

Staub aufgewirbelt. Der Bundesvorstand hat diese Sache wieder klarstellen<br />

müssen.<br />

Kollege Petry gibt in diesem Zusammenhang bekannt, dass er zusammen<br />

mit den Falken, Naturfreunden und F.D.J. einen Antrag an die<br />

Fraktion des Hessischen Landtages betreffend <strong>Jugend</strong>pflegemittel<br />

eingereicht hat. Der Betrag von 585.000,- Mark soll erhöht<br />

werden, da allein für den Religionsunterricht in den<br />

Schulen 600.000,- Mark angesetzt sind. Ferner wurde in diesem<br />

Antrag gebeten, den Religionsunterricht in den Berufsschulen<br />

aufgrund einer besseren Berufsausbildung der <strong>Jugend</strong>lichen<br />

zurückzustellen. Dieser Antrag wurde inzwischen dem<br />

Haushaltsausschuss übergeben.<br />

Es erfolgte nun eine lebhafte Diskussion. Man war durchweg<br />

der Meinung, dass wir hiermit unsere religiöse Neutralität gefährden<br />

und uns in Zukunft von solchen Dingen fernhalten<br />

sollen. Andere Kollegen standen auf dem Standpunkt, dass<br />

wir, wenn eine gute Ausbildung unserer Lehrlinge gewährleistet<br />

werden soll, uns auch darum kümmern müssen. Hiermit<br />

wird bei irgendwelchen Angriffen unser Antrag unterstützt.“<br />

Auszug aus dem Protokoll der Bundesjugendausschuss-Sitzung am 2.4.49<br />

DIE FÜNFZIGER<br />

Erste Forderungen<br />

der <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong><br />

Auf der ersten Bundesjugendkonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes<br />

vom 25. bis 27. August 1950 in Hamburg wurden eine Reihe<br />

von Anträgen verabschiedet und auf<br />

Missstände hingewiesen. Zentrales<br />

Thema war die ständige Verschlechterung<br />

der sozialen Lage der arbeitenden<br />

<strong>Jugend</strong> des Bundesgebietes.<br />

Die <strong>Jugend</strong>konferenz stellte unter anderem<br />

folgende Forderungen auf:<br />

♦ Der Bundesjugendausschuss sollte<br />

ein Weißbuch veröffentlichen, in dem<br />

die „rücksichtslose Ausbeutung des<br />

jugendlichen Menschen durch die Industrie<br />

und ihre Vertreter“ angeprangert<br />

werden sollten.<br />

♦ Die Bundesregierung und die Regierungen<br />

der Länder sollten Sofortmaßnahmen<br />

zur „Intensivierung des staatspolitischen Unterrichts in<br />

allen berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen“ ergreifen.<br />

♦ Ferner wurden Maßnahmen zur „Behebung der Berufsnot der <strong>Jugend</strong><br />

und Beseitigung der <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit“ verlangt.<br />

♦ Ein Berufsausbildungsgesetz: Darin sollte das „volle und uneingeschränkte<br />

Mitbestimmungsrecht der Gewerkschaften in allen Fragen<br />

der Berufsausbildung“ sowie eine „eindeutige Regelung des Lehrverhältnisses<br />

als Arbeitsverhältnis der be<strong>sonder</strong>en Art“ verankert<br />

werden.<br />

FORTSETZUNG SEITE 9 RANDSPALTE<br />

7


8<br />

Foto: Jörg Lange<br />

„Am 8.6.1953 fasste der Bundesvorstand den Beschluss, das<br />

auf dem in Oberursel/Taunus an der Königsteiner Straße liegende<br />

Grundstück und das in einem Gebäudekomplex stehende Haupthaus<br />

als <strong>Jugend</strong>zentrum für die Gewerkschaftsjugend zu verwenden.<br />

Am Sonnabend, dem 23. Januar 1954 wurde um 11.30 Uhr<br />

das „Haus der Gewerkschaftsjugend, <strong>Jugend</strong>bildungs- und <strong>Jugend</strong>erholungsheim<br />

des Deutschen Gewerkschaftsbundes“ feierlich<br />

eröffnet und seiner Bestimmung übergeben.“ Diese erste Eintragung<br />

im Gästebuch, unterschrieben vom Bundesvorstand des <strong>DGB</strong><br />

und Vertretern der Einzelgewerkschaften, läutet<br />

die traditionsreiche Geschichte der Bildungseinrichtung<br />

ein.<br />

Das Gästebuch, dessen Einträge in der Folgezeit<br />

nicht ganz so steif und formell waren wie die<br />

erste, begleitet die Geschichte des Hauses leider nur bis Ende der<br />

sechziger Jahre. Aber für diese Zeit dokumentieren die Zeilen und<br />

Fotografien der BesucherInnen nicht nur ihre persönlichen Eindrücke,<br />

<strong>sonder</strong>n auch den Wandel der Mode und die politischen<br />

Veränderungen: Vom „braven“ Outfit der Fünfziger bis hin zur Abschaffung<br />

der bürgerlichen Traditionen, die sich nicht zuletzt in der<br />

Kleidung äußerte.<br />

O BERURSEL –<br />

D AS H AUS DER G EWERKSCHAFTSJUGEND<br />

J UGENDBILDUNGSARBEIT<br />

IM W ANDEL<br />

„... Die <strong>Jugend</strong> ist unser höchstes Gut.<br />

Drum seien wir alle auf der Hut,<br />

dass dieser Schatz uns nicht entrinnt<br />

und schlechte Kreise sie gewinnt ...“<br />

Das Haus der Gewerkschaftsjugend in Oberursel<br />

ist das älteste Bundesjugendbildungszentrum<br />

des Deutschen Gewerkschaftsbundes.<br />

Die Einrichtung steht für die politischen<br />

Veränderungen in der <strong>Jugend</strong>arbeit der vergangenen<br />

Jahrzehnte.<br />

Stärker als die Statements der TeilnehmerInnen stehen die Inhalte<br />

der Seminare für die Veränderungen in der <strong>Jugend</strong>bildungsarbeit<br />

der vergangenen Jahrzehnte. Am Anfang stand das gemeinsame<br />

Musizieren im Vordergrund: Singkreise, Laienspielgruppen<br />

und Kurse für modernen Gesellschaftstanz prägten das Angebot.<br />

Doch die beginnende Diskussion über Wiederbewaffnung und Ostermarschbewegung<br />

zeigte, dass <strong>Jugend</strong>liche sich politisch betätigen<br />

wollten. In den sechziger Jahren wurde dieser Entwicklung<br />

Rechnung getragen. Nun nahmen Lehrgänge für <strong>Jugend</strong>gruppenleiter<br />

und <strong>Jugend</strong>vertreter sowie politische Seminare<br />

immer mehr Raum ein. Langsam entwickelte<br />

sich ein neues, politisches Bildungskonzept, das<br />

auch allgemeine gesellschaftliche Konflikte und soziologische<br />

Diskussionen einbezog und sich nicht<br />

mehr allein mit gewerkschaftlichen Inhalten beschäftigte. Das beinhaltete<br />

auch den Abschied von der Verschulung der Seminare: Weg<br />

vom Referenten, der das Erlernte abfragt und Disziplin fordert; hin<br />

zur Teamarbeit und freien Diskussion.<br />

Dass diese Form der „offenen“ Bildungsarbeit Ende der sechziger<br />

und Anfang der siebziger Jahre nicht ohne Konflikte blieb, liegt<br />

auf der Hand. Die <strong>Jugend</strong> begann sich in Politik und Gesellschaft<br />

FORTSETZUNG SEITE 10


FORTSETZUNG VON SEITE 7 RANDSPALTE<br />

♦ Die schnelle Verabschiedung des vom <strong>DGB</strong> vorgelegten Gesetzentwurfes<br />

zur Frage der Mitbestimmung in der Wirtschaft.<br />

♦ Die Einberufung einer internationalen <strong>Jugend</strong>konferenz der freien<br />

Gewerkschaften, die sich vor allem mit der Organisation des <strong>Jugend</strong>austausches<br />

befassen soll.<br />

Außerdem verabschiedeten die Delegierten eine Entschließung zum<br />

Korea-Krieg, der am 25. Juni des Jahres begann und drei Jahre dauern<br />

sollte: „Der bolschewistische Machtanspruch hat in Korea den bisher<br />

kalten Krieg zu offenen Feindseligkeiten entflammen lassen. Immer<br />

mehr wird offenbar, dass allerorts durch Moskauhörige Kräfte der be<strong>sonder</strong>s<br />

von der <strong>Jugend</strong> so ersehnte Frieden bedroht ist. (...) Frieden<br />

schließt für uns Freiheit und Demokratie ein, jede andere Lösung vernichtet<br />

die Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben.“<br />

Des weiteren wurden die Leitsätze für die gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit<br />

festgelegt: „Das Aufgabengebiet (...) erstreckt sich auf die Wahrnehmung<br />

der sozialen und wirtschaftlichen Interessen der <strong>Jugend</strong>,<br />

Berufs- und Lehrlingsfragen, <strong>Jugend</strong>recht und <strong>Jugend</strong>schutz, wirtschaftliche,<br />

gesundheitliche, kulturelle und geistige Förderung der<br />

<strong>Jugend</strong>, <strong>Jugend</strong>fürsorge, Mitarbeit für die Ausbreitung und Festigung<br />

der Gewerkschaften.“ Angestrebt werden sollte dabei auch die Zusammenarbeit<br />

mit demokratischen <strong>Jugend</strong>organisationen auf nationaler<br />

sowie internationaler Ebene.<br />

Quelle: Protokoll der 1. Bundesjugendkonferenz des <strong>DGB</strong> vom 25. bis 27.8.1950<br />

Notstandsverfassung<br />

Im Deutschlandvertrag (26.3.52) war festgelegt<br />

worden, dass die den Besatzungsmächten zustehenden<br />

Rechte bezüglich des Schutzes ihrer in der<br />

Bundesrepublik stationierten Streitkräfte auf deutsche<br />

Behörden übergehen sollten, sobald diese<br />

von der deutschen Gesetzgebung die Vollmachten<br />

dafür erhalten haben würden. Das bedeutete: Um<br />

die Einschränkung der Souveränität der Bundesrepublik<br />

aufzuheben, mussten Gesetze für jede Art<br />

von Notsituation in das Grundgesetz eingebaut<br />

werden. Bereits mit dem ersten Entwurf des Bundesinnenministeriums<br />

im Jahre 1958 begann eine<br />

heftige Diskussion um die Notstandsgesetze. Dieser<br />

und die weiteren Entwürfe (1960 und 1963),<br />

die die Rechte der Exekutive stark ausweiteten,<br />

fanden nicht die notwendige Mehrheit im Parlament.<br />

Die Große Koalition (1966–1969) griff das<br />

Problem wieder auf. Die jetzt unter der Mitarbeit<br />

der SPD neu gestalteten Notstandgesetze wurden<br />

Foto: Archiv der sozialen Demokratie<br />

FORTSETZUNG SEITE 11 RANDSPALTE<br />

9


10<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 8<br />

einzumischen und dies auch laut zu verkünden: Studentenunruhen,<br />

Lehrlingsbewegung und Friedensdemonstrationen<br />

bestimmten das politische <strong>Jugend</strong>bild der<br />

Siebziger. Diese Alternativbewegung kritisierte die<br />

Grundpfeiler der Wirtschaftsordnung und stellte traditionelle<br />

Lebensentwürfe in Frage. Die Gewerkschaften<br />

mussten um ihre jugendlichen Mitglieder bangen. Dieser<br />

Entwicklung versuchte man in Oberursel Rechnung<br />

zu tragen und entwickelte ein Thesenpapier zur gewerkschaftlichen<br />

Bildungsarbeit, das die Krise thematisierte<br />

und Lösungskonzepte beinhaltete. Das Papier stieß in<br />

den Organisationen auf Kritik und wurde als „Panikmache“<br />

und „Krisengerede“ abgetan.<br />

In der Folgezeit sorgten die Mitarbeiter des Hauses<br />

der Gewerkschaftsjugend immer wieder für politischen<br />

Zündstoff innerhalb und außerhalb der gewerkschaftli-<br />

chen Institutionen. Im Juni 1979, die Schule feierte ihr 25-jähriges<br />

Bestehen, verkündet Karl Schwab, im Vorstand des <strong>DGB</strong> zuständig<br />

für <strong>Jugend</strong>: „Ich habe veranlasst, dass ab sofort das Haus der Gewerkschaftsjugend<br />

Oberursel und sein Leiter, Kollege Hinrich Oetjen,<br />

aus der Abteilung <strong>Jugend</strong> beim <strong>DGB</strong>-Vorstand ausgegliedert<br />

und mir direkt unterstellt wird.“ Der Versuch, die Auseinandersetzungen<br />

damit zu beenden, scheiterte. 1980 bekam Schulleiter Oetjen<br />

auf Antrag der IG-Metall Öffentlichkeitsverbot; er durfte sich nur<br />

noch intern zu den Konflikten äußern. Nachdem die Schule aus der<br />

Abteilung <strong>Jugend</strong> ausgegliedert worden war, sollte sie stärker der<br />

Durchführung von Arbeitstagungen und Forschungsvorhaben dienen,<br />

auf deren Basis neue Wege gewerkschaftlicher <strong>Jugend</strong>politik erschlossen<br />

werden sollten.<br />

In den achtziger Jahren wurde die Situation der Schule immer<br />

prekärer. Zwar waren die eigenen Seminare gut besucht, der eigent-<br />

FORTSETZUNG SEITE 12<br />

„ ... Individualismus, der Bedeutungswandel von Kultur, die veränderte Bewertung<br />

des Geschlechterverhältnisses und der ökologischen Krise: Entwicklungen,<br />

die sich gegenseitig durchdringen, die miteinander verbunden<br />

sind und die auf die Frage zugespitzt werden können, wodurch die Industriegesellschaften<br />

des ausgehenden 20. Jahrhunderts geprägt sind. In<br />

der Diskussion sind Begriffe wie Freizeitgesellschaft, Informationsgesellschaft,<br />

Dienstleistungsgesellschaft, postindustrielle Gesellschaft. Reicht es also<br />

noch aus, den Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital als den<br />

Grundwiderspruch zu orten, der die Gesellschaft bestimmt?“<br />

DAS PROJEKT<br />

„KUNST IM PARK“<br />

ERHÖHT DIE<br />

ATTRAKTIVITÄT<br />

DER HOCHHERR-<br />

SCHAFTLICHEN<br />

PARKANLAGE IN<br />

OBERURSEL<br />

SPEISESAAL IN<br />

OBERURSEL<br />

TEILNEHMER EINES<br />

„ROCKER-SEMINARS“<br />

MITTE DER<br />

SIEBZIGER JAHRE


„... vor 23 Uhr kamen wir nie heim.<br />

Am Morgen guckten wir dann dumm drein.<br />

Die Augen fielen uns fast zu,<br />

doch die Referenten gaben keine Ruh ...“<br />

Foto: Jörg Lange<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 9 RANDSPALTE<br />

am 30. Mai 1968 im Bundestag beschlossen. Die Debatte über die<br />

Gesetze führte sowohl im Parlament wie auch in der Öffentlichkeit zu<br />

heftigen Auseinandersetzungen. Vor allem die Gewerkschaften und<br />

Studenten führten im ganzen Land Protestkundgebungen durch, da<br />

sie einen extremen Machtzuwachs des Staates erwarteten.<br />

Die am 28. Juni 1968 in Kraft getretene Notstandsverfassung sieht vor,<br />

dass der Verteidigungsfall auf Antrag der Bundesregierung vom Bundestag<br />

mit Zustimmung des Bundesrates festgestellt wird. Kann der<br />

Bundestag nicht vollständig zusammentreten, trifft der „Gemeinsame<br />

Ausschuss“ die Entscheidung. Dieser besteht (seit 1990) aus 16<br />

Mitgliedern des Bundesrates (ein Vertreter pro Land) und 32 Bundestagsabgeordneten,<br />

die nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bestimmt<br />

werden. Der „Gemeinsame Ausschuss“ tritt auch im Verteidigungsfall<br />

an die Stelle von Bundestag und Bundesrat,<br />

sollten diese weiterhin nicht zusammentreten<br />

können. Dabei darf die Stellung des Bundesverfassungsgerichtes<br />

nicht eingeschränkt werden.<br />

Die Gesetzgebungskompetenz und Weisungsbefugnisse<br />

des Bundes gegenüber den Ländern werden<br />

im Verteidigungsfall erweitert. Das Gesetzgebungsverfahren<br />

wird vereinfacht und die Befehlsgewalt<br />

über die Streitkräfte geht auf den Bundeskanzler<br />

über. Darüber hinaus kann zum Teil erheblich<br />

in verschiedene Grundrechte eingegriffen<br />

werden, das gilt auch für den inneren Notstand,<br />

im Katastrophenfall sowie im Spannungsfall.<br />

Erstes<br />

Bundesjugendtreffen<br />

1952<br />

Rund 25.000 deutsche <strong>Jugend</strong>liche kamen beim<br />

ersten Bundesjugendtreffen vom 18. bis 20. Juli<br />

1952 in Frankfurt zusammen. Hinzu kamen <strong>Jugend</strong>gruppen<br />

aus dem europäischen Ausland und<br />

der Ostzone. Die männlichen Teilnehmer der<br />

Großveranstaltung waren in einem Zeltlager in<br />

unmittelbarer Nähe des Waldstadions untergebracht.<br />

Kritisiert wurde dabei die Größe der Zelte,<br />

die durchschnittlich rund 200 Personen fassten.<br />

„Für die Unterbringung der Mädel war ursprünglich<br />

eine große Halle im Messegelände der<br />

Stadt Frankfurt vorgesehen. Nach einer<br />

Ortsbesichtigung der vorbereitenden Kommission<br />

wurde jedoch entschieden, die Mädel in Privatquartiere<br />

zu legen“, heißt es in dem Bericht<br />

über das Treffen.<br />

In dem Bericht wurde folgendes Resümee gezogen:<br />

Der Arbeitersamariterdienst versorgte an<br />

den drei Tagen 2121 Verletzungen. Hauptsächlich<br />

waren es „Verstauchungen, Brand-, Riss- und<br />

Schürfwunden sowie Nervenerkrankungen und<br />

Augenverletzungen.“ Weiter wurde die Verpflegung<br />

der TeilnehmerInnen als qualitativ und<br />

mengenmäßig ausgezeichnet bezeichnet und<br />

auch die Ausgabe hätte reibungslos funktioniert.<br />

Kritik gab es beim Ordnungsdienst, dessen Organisation<br />

„nicht genügend straff“ war.<br />

Weiter heißt es, dass Gegenaktionen der FDJ bereits<br />

im Vorfeld fast völlig verhindert werden<br />

FORTSETZUNG SEITE 13 RANDSPALTE<br />

11


12<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 10<br />

liche Auftrag, die Weiterbildung von <strong>Jugend</strong>funktionären, konnte<br />

jedoch nicht mehr in vollem Umfang geleistet werden, da die Teilnehmerzahlen<br />

stetig sanken. Im Jahresbericht 1985 wurde dieser<br />

Mangel deutlich formuliert: „(...) macht sich in der zentralen <strong>Jugend</strong>bildungsstätte<br />

der Mangel an aktiven <strong>Jugend</strong>gruppen im Betrieb<br />

und am Ort und damit einhergehend ein Mangel an <strong>Jugend</strong>funktionären<br />

bemerkbar.“ Weiter heißt es: „(...) Die Zahl der TeilnehmerInnen,<br />

die zwar Gewerkschaftsmitglieder sind, aber nicht<br />

aus funktionierenden Strukturen zu uns kommen, nimmt beständig<br />

zu. Die meisten kommen, um ein individuelles Bildungsbedürfnis zu<br />

erfüllen.“ Um überleben zu können, mussten diese Probleme bewältigt<br />

werden. Eine Reaktion war das Angebot an Bildungsurlaubsseminaren,<br />

wodurch sich Themen und TeilnehmerInnen wandelten.<br />

Die MitarbeiterInnen des Hauses hatten nun mit <strong>Jugend</strong>lichen zu<br />

tun, die nicht gewerkschaftlich arbeiteten. Für sie stand, neben der<br />

Bildung, der Urlaub im Vordergrund ihrer Motivation.<br />

Mitte der achtziger Jahre beschrieb das Oberurseler Team die<br />

Veränderungen in einem Aufsatz und resümierte: „(...) Nach der Seminarkritik<br />

bleibt weiterhin diffus, was in dieser Woche gelernt worden<br />

ist. Ein direkter Lernerfolg ist nicht auszumachen. (...) Für die<br />

Bildungsseminare trifft die Voraussetzung der gewerkschaftlichen<br />

Bildungsarbeit, fast ausschließlich auf eine betriebliche und<br />

gewerkschaftliche Praxis bezogen zu sein, nicht zu. (...) Diese<br />

Seminare haben im Leben der <strong>Jugend</strong>lichen einen völlig<br />

anderen Charakter. Sie sind ein aus dem Alltag herausgehobenes<br />

Ereignis, mit fast so hohen Erwartungen an das Erlebnis<br />

belegt wie der Jahresurlaub.“ Im Jahresbericht 1988 kommen<br />

die Oberurseler zu der Schlussfolgerung: „(...) dass wir<br />

diese mehr individualistisch geprägte Seminarerwartung<br />

nicht denunzieren sollten, <strong>sonder</strong>n in unser Verständnis<br />

gewerkschaftlicher Bildungsarbeit integrieren müssen. Überdies<br />

zeigen unsere Erfahrungen, dass diese Teilnehmer, die<br />

oft nicht organisiert sind, nach einer Orientierungszeit aus<br />

eigener Überzeugung einer Gewerkschaft beitreten; nicht<br />

selten kommen sie dann als gewerkschaftlich engagierte Kollegen<br />

zu weiteren Seminaren.“<br />

Die politischen Umbrüche Anfang der neunziger Jahre<br />

verursachten ein neue Krise, die die Inhalte der bisherigen<br />

Bildungsarbeit in Frage stellten. Horst-Dieter Zahn, bis 1994<br />

Schulleiter in Oberursel, warf die Frage auf: „Reicht es also<br />

noch aus, den Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital<br />

als den Grundwiderspruch zu orten, der die Gesellschaft<br />

prägt?“ Weiter resümierte Zahn, es gebe nicht mehr die<br />

„Gewissheit der Systemalternative“ und der Marxismus sei<br />

„nicht mehr Leitwissenschaft.“ Die Schlussfolgerungen, die<br />

aus dieser Erkenntnis gezogen wurden, prägten die Seminarangebote<br />

in der Folgezeit. Die neu formulierten Ziele laute-<br />

„ ... Wir meinen, dass über diese Gesellschaft nicht nur nicht genug,<br />

<strong>sonder</strong>n einfach viel zu wenig ausgesagt wird, wenn sie als Klassengesellschaft<br />

charakterisiert werden soll. ... Wir meinen, dass die Realität<br />

und das Bewusstsein, die man vor Jahren mit dem Begriff Klassengesellschaft<br />

meinte, heute in jeder Hinsicht sich so gewandelt haben,<br />

dass der Begriff in dieser Weise nichts mehr taugt. Strukturen<br />

sozialer Ungleichheit haben sich selber gewandelt; sie verlaufen nicht<br />

mehr entlang des Widerspruchs von Kapital und Arbeit.“<br />

„ ... Ist es für ein Haus der Gewerkschaftsjugend abstrus, abwegig, ein<br />

ten: Identität stärken, Analyse- und Kritikfähigkeit<br />

entwickeln, strategische<br />

Fantasie fördern!<br />

Neben den Problemen, die <strong>Jugend</strong>bildungsarbeit<br />

neu zu konstituieren, stehen<br />

seit den neunziger Jahren Finanzierungsfragen<br />

im Vordergrund. Die Instandhaltung<br />

und Erneuerung des denkmalgeschützten<br />

Gebäudes ist finanziell<br />

aufwendig. In den vergangenen Jahren<br />

wurde immer deutlicher, dass die Entscheidung,<br />

die notwendigen Investitionen<br />

zu leisten, nicht allein auf politischer<br />

Ebene getroffen werden kann. ■<br />

Quelle: „40 Jahre sind kein Alter“, Zum<br />

Jubiläum des Hauses der Gewerkschaftsjugend,<br />

Oberursel/Taunus, Juli 1994<br />

Das Haus der Gewerkschaftsjugend im Internet:<br />

www.hdgj.de<br />

„...Es ist Aufgabe des historischen<br />

Seminar zum Thema „Singles“ zu ma-<br />

Materialismus, zu zeigen, wie alles<br />

chen? Hat das überhaupt noch was mit<br />

kommen muss – und wenn es nicht<br />

kommt, zu zeigen, warum es nicht Arbeit zu tun? Natürlich nicht. Oder? Es<br />

kommen konnte....“<br />

hat mit Fragen der Kultur zu tun – Lebensstil,<br />

Kulturindustrie usw. – die nicht<br />

einen Randbereich ausmachen ... , <strong>sonder</strong>n von zentraler Bedeutung sind.“<br />

„ ... Die alten Gewissheiten haben ausgedient, die eherne Geschlossenheit<br />

gehört der Vergangenheit an.“<br />

Aus: Horst-Dieter Zahn, „Neue Ziele, neue Wege in der Bildungsarbeit“, Oberursel Juni 1994<br />

Foto: Jörg Lange


UM DEN DROHENDEN VERKAUF ZU VERHINDERN, BESETZTEN JUNGE GEWERKSCHAFTER-<br />

INNEN IM HERBST 1998 DAS HAUS DER GEWERKSCHAFTSJUGEND IN OBERURSEL. EINE<br />

BUNDESWEITE WELLE DER SOLIDARITÄT BEGLEITETE IHRE AKTIVITÄTEN.<br />

Gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit<br />

in der Diskussion<br />

Bei einer Arbeitstagung in Oberursel im September 1955 diskutieren die<br />

Gewerkschaftsjugendvertreter auch über die Formen der gewerkschaftlichen<br />

<strong>Jugend</strong>arbeit in den Betrieben: „Es ist bekannt, dass die Entwicklung<br />

der Gewerkschaft in ihrer Gesamtheit in entscheidendem Maße<br />

von dem Einfluss im Betrieb abhängt. (...) Vor allem ist es notwendig, eine<br />

wissenschaftlich einwandfreie Meinungsforschung im Betrieb als<br />

Grundlage für die gewerkschaftliche Betriebsarbeit zu betreiben, wie sie<br />

im Ausland, vor allem in Amerika, bereits praktiziert wird.“<br />

Diskutiert wurde auch über einen notwendigen Wandel der <strong>Jugend</strong>arbeit:<br />

„Soziologische Untersuchungen haben ergeben, dass etwa 60 bis 65<br />

Prozent der <strong>Jugend</strong>lichen an der Arbeit der <strong>Jugend</strong>verbände nicht interessiert<br />

sind. (...) Diese Tatsache zwingt zu der Frage, welche Interessen<br />

hat der <strong>Jugend</strong>liche und welche Forderungen stellt er an seine Freizeit.“<br />

Dazu wurden folgende Feststellungen getroffen:<br />

„a) Der <strong>Jugend</strong>liche von heute hat ein Verlangen nach Ordnung, Sicherheit,<br />

Einigkeit und Freiheit.<br />

b) Er steht den Institutionen und Organisationen sowie dem Staat fremd<br />

gegenüber.<br />

c) Die Wünsche und Interessen des <strong>Jugend</strong>lichen sind mit dem Beruf, dem<br />

persönlichen Aufstieg sowie der Chance, etwas zu werden und etwas zu<br />

sein, verbunden.<br />

d) Die freiwillige Einordnung in ein Kollektiv oder in eine Gemeinschaft ist<br />

zurückgetreten.“<br />

Für die künftige <strong>Jugend</strong>arbeit sollte als Ergebnis der Arbeitstagung eine veränderte<br />

Vorgehensweise entwickelt werden, die besser auf die Bedürfnisse<br />

der <strong>Jugend</strong>lichen eingehen sollte. Be<strong>sonder</strong>s gepflegt werden sollten<br />

bei der Altersgruppe der 17- bis 25-jährigen in Zukunft die „zeitnahe<br />

Geselligkeit“ sowie „zwischenmenschliche Beziehungen“; dabei wurde<br />

Koedukation als selbstverständlich betrachtet.<br />

Quelle: 4. Zentrale Arbeitstagung vom 28.–30. September 1955 – Hier: Berichterstattung<br />

Arbeitskreis II – Hat sich unsere <strong>Jugend</strong>gruppen- und <strong>Jugend</strong>bildungsarbeit bewährt?<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 11 RANDSPALTE<br />

konnten: „Die Störung in der Festhalle bewirkte lediglich, dass sich<br />

die Stimmung der Teilnehmer wesentlich hob. Die Störversuche<br />

während des Fackelzuges und anlässlich der Abschlusskundgebung<br />

waren bedeutungslos.“<br />

Der Bericht wertete das<br />

Verhalten der TeilnehmerInnen<br />

als unerwartet<br />

gut und diszipliniert.<br />

Bemängelt wurde<br />

lediglich der äußere<br />

Eindruck bei einigen:<br />

(...) die trotz vieler Hinweise,<br />

Gepäck und Kleidung<br />

jugendgemäß zu<br />

halten, in Straßenanzügen<br />

und mit Koffern kamen.“<br />

Die Organisation<br />

wurde im Allgemeinen,<br />

trotz einiger<br />

Probleme durch Arbeitsüberlastung,<br />

als<br />

mustergültig bezeichnet.<br />

Quelle: Bericht über das 1.<br />

Bundesjugendtreffen der<br />

Gewerkschaftsjugend vom 18.–20. Juli 1952 in Frankfurt am Main<br />

<strong>Jugend</strong>zeitschrift<br />

„Aufwärts“<br />

Im Januar 1955 erscheint die <strong>Jugend</strong>zeitschrift „Aufwärts“ der Abteilung<br />

<strong>Jugend</strong> des <strong>DGB</strong> erstmals in veränderter Form: Einmal monatlich<br />

in einem illustrierten Format mit einem Umfang von 24 Seiten.<br />

Der Preis für eine Ausgabe beträgt 30 Pfennig. Im Jahresbericht der<br />

Abteilung <strong>Jugend</strong> heißt es: „Seine bisher sozialkritische Tendenz<br />

wird der „Aufwärts“ auch in Zukunft beibehalten. Der durch den erweiterten<br />

Umfang gewonnene Raum soll der <strong>Jugend</strong>fortbildung zugute<br />

kommen. Be<strong>sonder</strong>s (...) die 14- bis 17-jährigen sollen mehr als<br />

bisher angesprochen werden.“<br />

Quelle: <strong>DGB</strong> Mitteilungen der Abteilung <strong>Jugend</strong>, Hamburg 19.1.1956<br />

Arbeitslose <strong>Jugend</strong><br />

im Osten<br />

„Schon 1948 haben die Sozialisten daraufhingewiesen, dass vom Jahre<br />

1953 an eine hohe Zahl von Schulabgängern vorhanden und ihre<br />

Eingliederung in den Arbeitsprozess be<strong>sonder</strong>s schwierig sein wird.<br />

Die Sozialisten haben verlangt, dass für die Unterbringung der <strong>Jugend</strong>lichen<br />

auf Lehr- und Arbeitsplätze rechtzeitig entsprechende<br />

Maßnahmen vorbereitet werden. Sie haben eine Reihe von Vorschlägen<br />

gemacht.<br />

(...) Erst 1953, also sozusagen in letzter Minute, hat sich über die Anregung<br />

von Sozialminister Maisel die Regierung mit der Frage der <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit<br />

beschäftigt und drei Maßnahmen beschlossen,<br />

die ihr entgegenwirken sollten. (...) Schließlich blieb nur die Erlassung<br />

eines <strong>Jugend</strong>einstellungsgesetzes. Dieses Gesetz wurde vom<br />

Nationalrat am 9. Juli 1953, also am Ende der vorjährigen Frühjahrssession<br />

in der letzten Sitzung als vorletzte Vorlage beschlossen. (...):<br />

Das <strong>Jugend</strong>einstellungsgesetz: Das Gesetz bestimmt, dass Dienstgeber<br />

mit mindestens fünf Dienstnehmern einen <strong>Jugend</strong>lichen und auf je<br />

weitere fünfzehn Dienstnehmer ebenfalls einen <strong>Jugend</strong>lichen und<br />

FORTSETZUNG SEITE 15 RANDSPALTE<br />

13


14<br />

<strong>DGB</strong>-JUGEND IN A KTION<br />

WER,WENN NICHT WIR!<br />

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik<br />

haben die Gewerkschaften massiv in einem<br />

Bundestagswahlkampf mitgemischt. Mit der<br />

großangelegten <strong>DGB</strong>-Aktion „Deine Stimme für<br />

soziale Gerechtigkeit“ votierten die Gewerkschaften<br />

nach 16 Jahren Kohl-Regierung für<br />

einen Politikwechsel. Die <strong>Jugend</strong> der Gewerkschaften<br />

schlossen sich zum <strong>Jugend</strong>bündnis „Wer,<br />

wenn nicht wir“ zusammen und setzten auf<br />

eine zukunftsfähige Politik.<br />

Das <strong>Jugend</strong>bündnis forderte sinnvolle Arbeit, Ausbildung und<br />

Bildung für jeden, die gerechte Verteilung des erarbeitenden Reichtums<br />

und den schonenden Umgang mit Umweltressourcen. Monatelang<br />

zogen die <strong>Jugend</strong>abteilungen des <strong>DGB</strong> und der Einzelgewerkschaften<br />

an einem Strang und mobilisierten ihre Kräfte für eine<br />

Politikwende. Höhepunkt der Anstrengungen war ein Aktions-Festival<br />

am 19. September 1998 in Frankfurt. In der SOLI, Ausgabe 6/<br />

1998, zogen die Beteiligten ein Resümee.<br />

Roland Schinko, Bundesjugendsekretär des <strong>DGB</strong>:<br />

„Man muss viele Jahre zurückschauen, um eine Aktion der <strong>DGB</strong><br />

<strong>Jugend</strong> ähnlichen Kalibers zu finden. Über 30.000 <strong>Jugend</strong>liche<br />

kamen nach Frankfurt, darunter viele Schülerlnnen und StudentInnen.<br />

In einigen Organisationsbereichen, in denen die <strong>Jugend</strong>arbeit<br />

seit langem am Boden liegt, war das Festival der Impuls für einen<br />

Neubeginn. Alle Mitgliedsgewerkschaften standen hinter dem Aktionstag.<br />

Ein Umstand, der, wie die Vergangenheit lehrt (Beispiel<br />

Panzerknacker), nicht selbstverständlich ist. Die <strong>Jugend</strong>abteilungen<br />

der <strong>DGB</strong> Landesbezirke konnten eingebunden werden und organi-<br />

Fotos: Jürgen Planert<br />

27.9.1998: Bundestagswahlen. sierten eine breite Unterstützung.<br />

Die 16-jährige Ära von Bundes- Anwesende Vorstandsmitglieder<br />

kanzler Helmut Kohl ist beendet.<br />

Die Koalition CDU/CSU<br />

und F.D.P. wird abgewählt.<br />

Das Wahlergebnis ermöglicht<br />

zeigten sich begeistert und waren<br />

voll des Lobes. Auch von den <strong>Jugend</strong>lichen<br />

höre ich sehr viel Posi-<br />

den Machtwechsel zur rottives. Zunächst skeptische Hauptgrünen<br />

Koalition unter Bundesamtliche, die nur zögernd Karten<br />

kanzler Gerhard Schröder<br />

(SPD). Ergebnisse: SPD 40,9%<br />

(298 Mandate), CDU/ CSU<br />

35,1% (245), Bündnis 90/Die<br />

abnahmen, mussten sich ob der<br />

unerwarteten Nachfrage auf dem<br />

„Schwarzmarkt“ versorgen. Festzu-<br />

Grünen 6,7% (47), FDP 6,2% stellen bleibt: Die <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> hat<br />

(44), PDS 5,1% (35).<br />

sich zurückgemeldet.<br />

(...) Nachdem die Bundestagswahlen<br />

vorüber sind, müssen wir nun unsere politischen Inhalte<br />

präzisieren und uns in der veränderten politischen Landschaft neu<br />

positionieren. Dazu bedarf es jetzt sehr viel konzeptioneller Kleinarbeit,<br />

die natürlich auch öffentlichkeitswirksam in Aktionen umgesetzt<br />

werden muss. Beides – Inhalt und Form – muss jetzt im Zentrum<br />

unserer Diskussionen stehen. Wir müssen deutlich machen,<br />

dass die <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> eine Vision von einer anderen Gesellschaft hat.<br />

Ich bedanke mich recht herzlich für Eure Unterstützung.“<br />

Steffen Kühhirt, Bundesjugendsekretär der ÖTV:<br />

„Grundsätzlich war die Aktion ein Erfolg. Die Wahlparade und<br />

das Konzert waren eine gelungene Mischung aus Politik und Spaß.<br />

Wir haben dort für eine offene, moderne Reformpolitik gestanden<br />

und Einfluss genommen. Das Wahlergebnis gibt uns recht. Kritisch<br />

zu betrachten ist die Aktion auf der Friedensbrücke. Das war keine<br />

Aktion des <strong>Jugend</strong>bündnisses, <strong>sonder</strong>n die von Einzelgewerkschaften.<br />

Diese Art, mit demokratischen Parteien umzugehen, ist nicht<br />

unsere Form der politischen Auseinandersetzung. Das Gesamtergebnis<br />

wurde dadurch allerdings nicht geschmälert. Bei dieser<br />

FORTSETZUNG AUF SEITE 18


FORTSETZUNG VON SEITE 13 RANDSPALTE<br />

bei mehr als 300 Dienstnehmern auf je 25 die 300 übersteigende<br />

Zahl der Dienstnehmer einen weiteren <strong>Jugend</strong>lichen einzustellen<br />

haben. Den <strong>Jugend</strong>lichen (14 bis 18 Jahre) werden Absolventen von<br />

Fachschulen, mittleren Lehranstalten und Hochschulen gleichgestellt,<br />

sofern ihre Abschlussprüfung nicht mehr als zwei Jahre<br />

zurückliegt; außerdem ist die Gleichstellung solcher Personen mit<br />

einem Jahr begrenzt. Die Hoheitsverwaltung, die Bundesbahn, die<br />

Postverwaltung, die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Vereine<br />

sind vom Gesetz ausgenommen; die Betriebe der öffentlichrechtlichen<br />

Körperschaften, der Vereine sowie des Bundes, der Länder<br />

und Gemeinden unterliegen jedoch dem Gesetz und sind somit<br />

einstellungspflichtig. Die <strong>Jugend</strong>lichen können als Lehrlinge, Arbeiter<br />

oder Angestellte eingestellt werden. Die Einstellung darf nicht<br />

zum Anlass genommen werden, um Erwachsene zu kündigen. Betriebe,<br />

die sich der Einstellung entziehen, haben für jeden <strong>Jugend</strong>lichen<br />

pro Monat eine Ausgleichstaxe zu bezahlen.“<br />

Aus: „Trotzdem“, Die Zeitschrift der Jungen Sozialisten, 7. Jg., Nr. 3, 1. März 1954<br />

Gegen<br />

Wiederbewaffnung<br />

Die Mehrheit der Gewerkschaftsjugend<br />

sowie die der Erwachsenenverbände<br />

lehnte die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik<br />

ab. Ihre Ablehnung brachten<br />

sie unter anderem durch Versammlungen,<br />

Demonstrationen, Artikel und<br />

Flugblätter zum Ausdruck. Das Parlament<br />

der Bundesrepublik nahm jedoch,<br />

trotz der Widerstände in großen Teilen<br />

der Bevölkerung, die sogenannten Pariser<br />

Verträge an und bejahte damit die<br />

Bildung einer bewaffneten Truppe in<br />

der Bundesrepublik.<br />

Im September 1955 erklärte die Gewerkschaftsjugend<br />

in einer Arbeitstagung:<br />

„Es ist unmöglich, diesen Beschluss<br />

des Parlamentes durch einen<br />

eventuellen Generalstreik rückgängig<br />

zu machen.“ Nach wie vor stand man<br />

jedoch einer Wiederbewaffnung ablehnend<br />

gegenüber. Weiter heißt es: „Aus<br />

der Entscheidung des Parlamentes ergeben<br />

sich aber für die gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit ganz konkrete<br />

und verantwortungsvolle Aufgaben, die nicht dadurch gelöst<br />

werden, dass man sich in den Schmollwinkel zurückzieht und auf<br />

seine ablehnende Haltung hinweist. Real und nüchtern muss die<br />

neue Entwicklung gesehen werden. Es gilt, sich darauf einzustellen.“<br />

Im einzelnen machte die Gewerkschaftsjugend folgende Vorschläge,<br />

der aktuellen Situation zu begegnen und die künftigen<br />

Wehrpflichtigen zu unterstützen:<br />

❚ Neue Formen der Gruppenarbeit<br />

❚ Verstärkter Bau von <strong>Jugend</strong>heimen<br />

❚ Sicherung der beruflichen Ausbildung<br />

❚ Sicherung des Arbeitsplatzes<br />

❚ Kontakt mit den Einberufenen<br />

❚ Berufliche Weiterbildung während der Dienstzeit<br />

❚ Staatsbürgerliche Weiterbildung während der Dienstzeit<br />

❚ Erziehungsformen vor und während der Militärzeit (Einordnung,<br />

Unterordnung)<br />

FORTSETZUNG SEITE 17 RANDSPALTE<br />

15


16<br />

Fotos: Jürgen Planert<br />

P ROGRAMM DES A KTIONS-F ESTIVALS<br />

„J UGENDBÜNDNIS FÜR EINE ZUKUNFTSFÄHIGE<br />

P OLITIK“ AM 19.9.1998<br />

IM F RANKFURTER W ALDSTADION<br />

Mit: Chumbawamba – Fury in the Slaughterhouse – Freundeskreis –<br />

Fettes Brot – Bell, Book & Candle – Guano Apes – Prinz Eisenherz feat.<br />

EMMA – Ingo Appelt – und weiteren Highlights<br />

D EMO ZUR F RIEDENSBRÜCKE<br />

Gegen 12.00 Uhr beginnt an allen Aktionsorten die Demonstration zur<br />

Friedensbrücke. Dort treffen sich die Demo-Züge gegen 12.30 Uhr zu<br />

einer letzten Aktion und zur anschließenden gemeinsamen Wahlparade<br />

zum Frankfurter Waldstadion. Die Wahlparade wird von etwa 20 Wagen<br />

begleitet und muss frühzeitig am Waldstadion eintreffen. Aus organisatorischen<br />

Gründen wird der Einlass ins Stadion verhältnismäßig viel Zeit in<br />

Anspruch nehmen.<br />

Fotos: Jürgen Planert<br />

Pressesplitter<br />

❚ „Die <strong>DGB</strong>-Kundgebung war geschmacklos, unanständig<br />

und menschenverachtend.“ Joachim Hörster, MdB,<br />

parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU Bundestagsfraktion<br />

❚ „Demokratiefeindlich und eine Vergeudung von Gewerkschaftsbeiträgen<br />

auf primitivem Niveau.“ CDU und<br />

F.D.P. in Hessen<br />

❚ „Minister ging unter Gejohle baden: Unter dem verdutzten<br />

Blick flüchtender Schwäne und Enten ging als erstes<br />

Bundesfinanzminister Theo Waigel über Bord.“ Wiesbadener<br />

Kurier<br />

❚ „Protest mit Witz und Spott: Das Frankfurter Bankenviertel<br />

gehört an diesem Sonnabend der Gewerkschaftsjugend.“<br />

Hannoversche Allgemeine Zeitung<br />

❚ „Wenn es bei dem Aktionsfestival der Gewerkschaftsjugend<br />

eine zentrale Botschaft gab, dann diese: Kohl muss<br />

weg.“ Stuttgarter Nachrichten<br />

❚ „... versuchten sie am Wochenende mit spektakulären,<br />

witzigen, frechen und konfrontativen Aktionen den Blick<br />

auf die aus ihrer Sicht vernachlässigten Interessen<br />

von jungen Menschen zu lenken.“ Süddeutsche<br />

Zeitung<br />

❚ „Die Polizei lobte die „gute Organisation“ der<br />

Veranstaltung. Trotz Straßensperrungen am Vormittag<br />

habe es „keine größeren Verkehrsprobleme“<br />

gegeben, sagte Polizeisprecher Karl-Heinz<br />

Wagner.“ Frankfurter Rundschau<br />

❚ „Schröder musste schmerzlich erkennen, dass es<br />

„Wer, wenn nicht Wir“ zuvörderst um einen Politikwechsel<br />

und nicht um einen Politikerwechsel<br />

geht.“ Neues Deutschland<br />

❚ „Mit viel Spektakel und fetziger Musik forderten<br />

30.000 <strong>Jugend</strong>liche das Ende der Ära Kohl: Und<br />

tschüß.“ Frankfurter Rundschau<br />

❚ „Scharf kritisierte der Präsident des Frankfurter


Einzelhandelsverbandes die gestrige Demonstration. Der <strong>DGB</strong> habe damit 30<br />

Arbeitsplätze vernichtet, sagte Frank Albrecht. Eine solche Demonstration dürfe<br />

es nie wieder geben.“ FAZ Sonntagszeitung<br />

❚ „Hässliches Schauspiel: Wenn er wenigstens geschwiegen hätte. Aber nein,<br />

der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Hessen holte im Gegenteil<br />

noch zu einer Belobigung aus: Großartig gelungen sei die Wahlkampf-Kundgebung<br />

gewesen.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />

❚ „Spektakulär, witzig und frech – so forderten rund 28.000 <strong>Jugend</strong>liche einen<br />

Politik- und Regierungswechsel.“ HNA Sonntagszeitung<br />

❚ „Stundenlang versank die Stadt in einem Verkehrschaos. Bürger, Einzelhandel,<br />

CDU und F.D.P. äußerten scharfe Kritik.“ Frankfurter Neue Presse<br />

❚ „<strong>DGB</strong>-Vorstandsmitglied Regina Görner wertete die Veranstaltung als einen<br />

Beweis, dass <strong>Jugend</strong>liche durchaus bereit seien, sich für ihre Anliegen politisch<br />

zu engagieren.“ Berliner Morgenpost<br />

❚ „Die Veranstaltung für die <strong>Jugend</strong>lichen war eine der größten Kundgebungen<br />

kurz vor der Bundestagswahl.“ Stuttgarter Zeitung<br />

❚ „Die Demonstranten, der <strong>DGB</strong> und der Dreck: Die Zusammenarbeit mit den<br />

Organisatoren hat reibungslos geklappt. Nur mit der Reinlichkeit hatten es die<br />

Demonstranten nicht so sehr.“ taz, die Tageszeitung<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 15 RANDSPALTE<br />

❚ Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft<br />

❚ Wehrdienstverweigerung<br />

„Es ist eine Illusion zu glauben, dass der größte Teil der <strong>Jugend</strong>lichen<br />

den Wehrdienst verweigern werde. Wenn auch widerstrebend, werden<br />

die meisten der Einberufung folgen. Es gilt, diese Menschen auf<br />

die Militärzeit vorzubereiten und den Kontakt mit ihnen aufrecht zu<br />

erhalten. Daraus wird sich für die Gewerkschaftsjugend die Verpflichtung<br />

ergeben, mit Stellen außerhalb der Gewerkschaften Gespräche<br />

zu führen und zu arbeiten.<br />

Jeder <strong>Jugend</strong>leiter sollte sich für seine Mitglieder verantwortlich<br />

fühlen und mitarbeiten, um ein Wiederaufleben des Militarismus zu<br />

verhindern. Nur selbstbewusste, kritische und entscheidungsfähige<br />

junge Menschen werden in einer kommenden Wehrmacht bestehen<br />

können.“<br />

Quelle: 4. Zentrale Arbeitstagung vom 28.–30. September 1955 – Hier: Vorlage<br />

für Arbeitskreis III – Wehrgesetzgebung<br />

Gegen Einschränkung<br />

des Reiseverkehrs<br />

in die Sowjetzone<br />

„Der Bundesjugendausschuss des Deutschen Gewerkschaftsbundes verfolgt<br />

mit großer Sorge die Kampagne, die die Machthaber in Mitteldeutschland<br />

seit Anfang Mai dieses Jahres gegen Reisen in die Bundesrepublik<br />

führen. Diese Kampagne reicht von Beschwörungen über<br />

Drohungen bis zum Verbot. (...) Der Bundesjugendausschuss protestiert<br />

schärfstens gegen diese erneute Einschränkung des Reiseverkehrs<br />

zwischen Mittel- und Westdeutschland. (...) Der Bundesjugendausschuss<br />

wird Mittel und Wege suchen, wie trotz der sowjetzonalen<br />

Behinderungen Begegnungen zwischen <strong>Jugend</strong>lichen von hüben und<br />

drüben in verstärktem Maße fortgesetzt und auch Reisen nach Mitteldeutschland<br />

ermöglicht werden können. Kontakte zum F<strong>DGB</strong>, der<br />

FDJ und anderen sowjetzonalen Zwangsorganisationen bleiben weiterhin<br />

undiskutabel.“<br />

Auszüge aus der Entschließung des Bundesjugendausschusses des <strong>DGB</strong> (12.6.1957) zu<br />

den sowjetzonalen Reisebeschränkungen<br />

Kontakte der<br />

Gewerkschaftsjugend zur<br />

sowjetischen Zone<br />

In einer Presseerklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 7.<br />

April 1959 werden Kontakte zum F<strong>DGB</strong> (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund)<br />

und zur FDJ (Freie Deutsche <strong>Jugend</strong>) im sowjetisch besetzten<br />

Mitteldeutschland ausdrücklich abgelehnt. Wörtlich heißt es:<br />

„Beziehungen zu den F<strong>DGB</strong>- und FDJ-Organen und -Beauftragten<br />

sind nach einmütiger Auffassung des Bundesvorstandes des <strong>DGB</strong> unvereinbar<br />

mit der Solidarität mit den um ihre Freiheiten ringenden arbeitenden<br />

Menschen in der Sowjetzone und Berlins.“<br />

Anfang des Jahres 1959 forderte die Bundesjugendkonferenz des Deutschen<br />

Gewerkschaftsbundes in Kassel, der <strong>DGB</strong> solle seine ablehnenden<br />

Beschlüsse in der Frage der Kontakte mit Organisationen der Sowjetzone<br />

überprüfen. In einer Erklärung mit dem Titel „Unteilbares<br />

Deutschland“ schreibt Werner Hansen im September des gleichen<br />

Jahres: „Als darüber hinaus die Gewerkschaftsjugend mit eigenen<br />

Vorschlägen für Kontakte mit der arbeitenden <strong>Jugend</strong> Mitteldeutschlands<br />

Initiative entwickelte, da ging ein lautes Geraune durch die<br />

Bundesrepublik. In angesehenen westdeutschen Zeitungen war zu le-<br />

FORTSETZUNG SEITE 19 RANDSPALTE<br />

17


18<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 14<br />

historischen Wahl war es richtig, dass<br />

wir uns eingemischt haben. Aber<br />

solch ein Mega-Event kann kein Modell<br />

für künftige <strong>Jugend</strong>arbeit sein.“<br />

Ralf Becker, Bundesjugendsekretär<br />

der BCE:<br />

„Eine Veranstaltung mit Höhen<br />

und Tiefen. Be<strong>sonder</strong>s gut hat mir<br />

die Wahlparade gefallen. Alles in allem<br />

bleibt festzuhalten: 30.000<br />

friedliche <strong>Jugend</strong>liche bei einem politischen<br />

Thema zu mobilisieren, hat<br />

schon lange niemand mehr geschafft.<br />

Glückwunsch, <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong>.<br />

Die Vielfalt der Veranstaltung ist leider<br />

bei den Medien nicht rüber gekommen,<br />

die Presse war sehr einseitig.<br />

Insgesamt war das <strong>Jugend</strong>wahlbündnis<br />

zu stark auf diese Abschlussveranstaltung<br />

geprägt. Ich hätte mir auch im Vorfeld mehr kleinere<br />

Events gewünscht.“<br />

Robert Günthner, Landesjugendsekretär des <strong>DGB</strong> in<br />

Bayern:<br />

„30.000 <strong>Jugend</strong>liche konnten mobilisiert werden. Aber wozu?<br />

Ein Konzert hätte auch anderweitig organisiert werden können. Die<br />

<strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong> war nicht sichtbar, die Aktionen waren ein schales Revival<br />

der Panzerknacker-Aktion von 1996. Die Abschlusskundgebung<br />

war peinlich, niveaulos und politisch desorientiert. Die <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong><br />

ist besser, als sie sich in Frankfurt darstellte.“<br />

Wer nicht ausbildet, muss zahlen<br />

1986 formulierte die Gewerkschaftsjugend ihre Forderungen zur<br />

Umlagefinanzierung und organisierte den „Aktionsherbst ´86“.<br />

Unter dem Motto „Stopp <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit – Wer nicht<br />

ausbildet, muss zahlen“ gingen von September bis November<br />

zwei Informationsbusse auf die Reise durch die Bundesrepublik.<br />

Beladen mit Infos über Ausbildungsmisere, Sozialabbau,<br />

Übernahme nach der Ausbildung und berufliche Bildung tourten<br />

die Gewerkschafter durchs Land, um die Aktionen der örtlichen<br />

<strong>Jugend</strong>gruppen zu unterstützen. Monatelang hatten die<br />

Ortsgruppen ihre Veranstaltungen vorbereitet und Daten über<br />

die Ausbildungsplatzsituation in ihrer Region gesammelt.<br />

Seinen Abschluss fand der Aktionsherbst ´86 am 15. November in<br />

Mainz mit einem Konzert der „Toten Hosen“ und der<br />

Hardrockgruppe „Me and the Heat“. Gleichzeitig diskutierten<br />

in einer Aktionskonferenz Gewerkschafter über die Erfahrungen<br />

der vergangenen zwei Monate und entwickelten Perspektiven<br />

für die weitere Arbeiten.<br />

Insgesamt zog die Gewerkschaftsjugend eine positive Bilanz: Bei<br />

der Aktion in rund 100 Städten wurden mehr als 100.000 <strong>Jugend</strong>liche<br />

angesprochen. Kritisiert wurde vor allem, dass die<br />

be<strong>sonder</strong>s problematische Situation von Mädchen und Frauen<br />

nicht genügend thematisiert wurde. Die Arbeitsgruppe „Quotierung<br />

von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen“ forderte Frauenförderpläne für<br />

die Gewerkschaften. Bundesjugendsekretär Klaus Westermann kündigte<br />

an, dass im nächsten Jahr das Thema „Zukunft der Arbeit“ verstärkt<br />

Foto: Jürgen Bindrim/laif<br />

Fotos: Jürgen Planert<br />

Ingo Schlüter, Landesjugendsekretär des <strong>DGB</strong> in Mecklenburg<br />

Vorpommern:<br />

„Eine Aktion wie diese ist immer gut, weil dadurch eine bessere<br />

Akzeptanz der <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong> erreicht werden kann und wir wieder als<br />

Ansprechpartner für die <strong>Jugend</strong> präsent sind.“<br />

Jörg Hesse, Bundesjugendsekretär der DPG:<br />

„Die Aktion war durchweg positiv. Wir konnten deutlich über<br />

10 Prozent unserer Mitglieder nach Frankfurt mobilisieren. Darüber<br />

hinaus melden bisher drei Landesbezirke erhebliche Mitgliederzuwächse.<br />

Positiv finde ich vor allem, dass sich die <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> nach<br />

aufgegriffen werden sollte: „Diese Konferenz ist nicht der Schluss einer<br />

Kampagne, <strong>sonder</strong>n der Auftakt. Eine neue Phase beginnt, in der wir uns<br />

verstärkt in die Gestaltung der zukünftigen Arbeit einschalten wollen.“<br />

Quelle: ´ran, September 1986, 16. Jahrgang, Heft 9, 11 und 12


25.1.–18.2.1954 Viermächtekonferenz in Berlin über deutsche Wiedervereinigung<br />

endet erfolglos.<br />

25.3.1954 Die Sowjetunion deklariert die DDR als souveränen Staat.<br />

4.7.1954 Deutschland wird Fußballweltmeister: 3:2-Sieg über Ungarn.<br />

23.10.1954 Unterzeichnung der sogenannten Pariser Verträge. Mit<br />

deren Inkrafttreten am 5.5.1955 enden die alliierte Besetzung<br />

Westdeutschlands und das Besatzungsregime über die Bundesrepublik<br />

Deutschland. Die Bundesrepublik tritt der NATO bei.<br />

25.1.1955 Die Sowjetunion gibt bekannt, dass sie den Kriegszustand<br />

mit Deutschland als beendet ansieht.<br />

14.5.1955 Die DDR, Albanien, Bulgarien, Polen, Rumänien, die Tschechoslowakei,<br />

die UdSSR und Ungarn schließen ein Militärbündnis,<br />

den „Warschauer Pakt“.<br />

12.3.1957 DDR und Sowjetunion schließen ein Abkommen über die<br />

Stationierung russischer Truppen in der DDR.<br />

29.7.1957 Die Regierungen der drei Westmächte und der Bundesrepublik<br />

unterzeichnen in Berlin ein 12-Punkte-Programm zur deutschen<br />

Einheit (Berliner Erklärung): Forderung nach Viermächteverhandlungen<br />

und Abschluss eines Friedensvertrages mit einer frei<br />

gewählten gesamtdeutschen Regierung.<br />

1.4.1957 Einberufung der ersten Wehrpflichtigen zur Bundeswehr. Beginn<br />

der Diskussion über die Ausrüstung der Bundeswehr mit Trägersystemen<br />

für Kernwaffen. Am 1.7.57 werden die ersten drei Divisionen<br />

der Bundeswehr der NATO unterstellt.<br />

Jahren wieder in der Öffentlichkeit zurückgemeldet hat, denn wir<br />

brauchen einen starken <strong>DGB</strong>.“<br />

Thilo Kämmerer, Abteilung <strong>Jugend</strong> der IG-Metall:<br />

„Für uns war es eine ganz tolle Sache und ein Riesenimpuls<br />

für die IG Metall-<strong>Jugend</strong>. Alle Bezirke und fast alle Verwaltungsstellen<br />

waren mit großem Engagement dabei und wir hatten Probleme,<br />

alle Kartenwünsche zu erfüllen. Letzte Meldung: In diesem<br />

Jahr gab es 20 Prozent mehr Neuaufnahmen als im Vorjahr.“ ■<br />

25.3.1957 In Rom werden die sogenannten „Römischen Verträge“<br />

über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische<br />

Atomgemeinschaft (EURATOM) unterzeichnet.<br />

August 1961 Im August fliehen fast fünfzigtausend Menschen aus der<br />

DDR und Ost-Berlin in den Westen. Politiker des Warschauer Paktes<br />

geben am 5.8.1961 der DDR ihre Zustimmung zur Abriegelung der<br />

Fluchtwege nach West-Berlin. Am 13. des Monats beginnt der<br />

Mauerbau in Berlin und die Grenzen zur Bundesrepublik werden<br />

abgeriegelt. Drei Tage später protestieren die drei Westmächte vergeblich<br />

bei der sowjetischen Regierung wegen Verletzung des Vier-<br />

Mächte-Status von Berlin. Der Regierende Bürgermeister von Berlin,<br />

Willy Brandt, erreicht bei US Präsident Kennedy eine erneute<br />

amerikanische Garantieerklärung für Berlin. Die Teilung der Stadt<br />

ist jedoch nicht mehr rückgängig zu machen.<br />

7.8.1964 Der US-Kongress schafft die Voraussetzungen für ein militärisches<br />

Eingreifen der USA in den Vietnamkrieg.<br />

7.1.1966 In einer Erklärung unterstützt die Bundesregierung den<br />

Krieg der Vereinigten Staaten von Amerika in Vietnam.<br />

13.5.1966 Der Bundeskongress des <strong>DGB</strong> lehnt mit 251 gegen 182<br />

Stimmen jede Art von Notstandgesetzgebung ab.<br />

11.4.1968 Der SDS-Vorsitzende Rudi Dutschke wird bei einem Attentat<br />

schwer verletzt. Dies führt in vielen Teilen der Bundesrepublik<br />

zu Demonstrationen und teilweise blutigen Auseinandersetzungen<br />

mit der Polizei. Höhepunkt sind die studentischen Osterunruhen.<br />

20./21.8.1968 Beendigung des Prager Frühlings durch den Einmarsch<br />

von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei.<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 17 RANDSPALTE<br />

sen, dass nun auch die Gewerkschaftsjugend kommunistisch unterwandert<br />

sei.“ Hansen wehrt sich in der Erklärung gegen diese Unterstellung<br />

und beschreibt ausführlich die Beweggründe der westdeutschen<br />

Gewerkschaftsjugend, die Begegnung mit jungen Menschen in<br />

den Betrieben Mitteldeutschlands zu suchen.<br />

Hansen schreibt: „Diese Begegnungen sollten über die sogenannten Betriebsjugendausschüsse<br />

erreicht werden. (...) Die Gewerkschaftsjugend<br />

ging bei ihrem Vorschlag von der Situation der mitteldeutschen<br />

<strong>Jugend</strong> aus, die von führenden Funktionären der ostzonalen<br />

sogenannten Freien Deutschen <strong>Jugend</strong> selber offen angesprochen<br />

worden ist. Diese Funktionäre haben erst kürzlich erklärt, dass es der<br />

FDJ nicht gelungen sei, die Kluft zwischen der Führung und der Masse<br />

der Arbeiterjugend zu beseitigen. (...) Um diesen von der FDJ nicht<br />

erfassten Teil der arbeitenden <strong>Jugend</strong> der Zone – und nicht um irgendwelche<br />

Kontakte zu unbelehrbaren FDJ- oder F<strong>DGB</strong>-Funktionären<br />

– ging das Bemühen der westdeutschen Gewerkschaftsjugend.“<br />

In der Erklärung heißt es weiter: „Die jungen Gewerkschafter machten<br />

ihre Vorschläge, weil sie den kommunistischen Anbiederungsversuchen<br />

der FDJ und des F<strong>DGB</strong> in einer offensiven Auseinandersetzung<br />

begegnen wollen. Die Gewerkschaftsjugend neigt also mehr als die<br />

älteren Gewerkschafter zu einem offensiveren, demokratischen Denken,<br />

das auch die geistige Auseinandersetzung mit Gegnern der De-<br />

mokratie nicht scheut. Die Gewerkschaftsjugend will diese Auseinandersetzung,<br />

weil sie überzeugt ist, mit besseren Argumenten streiten<br />

zu können. (...) Die Gewerkschaftsjugend wird in der Frage der Wiedervereinigung<br />

positive Unruhe bleiben. Für sie ist, wie es in ihrer<br />

Entschließung heißt, die deutsche Wiedervereinigung in Frieden und<br />

Freiheit kein Lippenbekenntnis, <strong>sonder</strong>n eine ständig mahnende Verpflichtung.“<br />

Quelle: Auszüge aus einer Stellungnahme von Werner Hansen mit dem Titel „Unteilbares<br />

Deutschland“ zum Thema „Kontakte zur FDJ“<br />

DIE SECHZIGER<br />

Große Koalition und<br />

Notstandsgesetze<br />

OSTBERLINER<br />

AM TAG DER<br />

REPUBLIK IM<br />

„PIONIERPARK<br />

WUHLHEIDE“<br />

Foto: Arno Fischer 1957: JUNGE<br />

Die wirtschaftliche Rezession Mitte der sechziger Jahre mit hohem Haushaltsdefizit<br />

und schnell ansteigender Arbeitslosigkeit sowie die Sorge<br />

um das Anwachsen des Rechtsradikalismus waren wohl die wesentlichen<br />

Motive für den Entschluss der Politiker der beiden großen Parteien,<br />

Gespräche über eine zu bildende große Koalition zu führen.<br />

Am 1. Dezember 1966 wählte der Bundestag den bisherigen Ministerpräsidenten<br />

von Baden-Württemberg, Kurt Georg Kiesinger<br />

(CDU), zum Bundeskanzler. Noch am selben Tage stellte er sein Kabi-<br />

FORTSETZUNG SEITE 21 RANDSPALTE<br />

19


20<br />

KULTURTAGE DER GEWERKSCHAFSTJUGEND 1951<br />

IN RECKLINGHAUSEN<br />

K EIN TAG ÄLTER – D AS „ JUNGE FORUM“<br />

Das „junge forum“ (gegründet 1961) ist eine<br />

gemeinnützige GmbH, deren Gesellschafter zu<br />

gleichen Teilen die Stadt Recklinghausen und der<br />

<strong>DGB</strong> sind. Mit Sitz in Recklinghausen ist die Organisation<br />

bundesweit tätig im Bereich Theater,<br />

Musik, Radio, Film und in kulturpädagogischen<br />

Projekten mit dem Ziel der Förderung von Kunst<br />

und Kultur sowie von außergewöhnlichen Maßnahmen<br />

im kulturellen Bereich. Sich selbst bezeichnet<br />

das „junge forum“ als Plattform unvoreingenommener,<br />

offener Gedanken sowie als Ort<br />

kulturpädagogischer Praxis.<br />

Alles begann nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Arbeiterschaft,<br />

stolz auf ihre Traditionen, war der Meinung, dass Theater und Kultur<br />

nicht Privilegien einiger weniger Etablierter seien, <strong>sonder</strong>n für alle<br />

Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollen. Neben der Einrichtung<br />

der Ruhrfestspiele – Kultur für die Kumpel aus dem Revier –<br />

sollte auch das Kulturinteresse der <strong>Jugend</strong> gefördert werden. In den<br />

fünfziger Jahren wurden einmal jährlich Kulturtage der Gewerkschaftsjugend<br />

in den Großstädten des Ruhrgebietes organisiert. Hier<br />

trafen sich junge Gewerkschafter und führten auf, was in der Freizeit<br />

einstudiert worden war: Volkstanz, Chorgesang, Akkordeon-,<br />

GESPRÄCHSPARTNER DES JUNGEN FORUMS:<br />

DIE SCHRIFTSTELLER GÜNTER WALLRAFF (LINKS)<br />

UND ERICH FRIED (RECHTS) MIT DEM<br />

DAMALIGEN LEITER DES JUNGEN FORUMS<br />

MICHAEL BRAUN<br />

Mundharmonika- und sonstige Orchestermusik sowie Laienspiele.<br />

Auf Initiative von Horst Friese, beim <strong>DGB</strong> auch für kulturelle<br />

Arbeit zuständig, und mit Hilfe des Leiters der Ruhrfestspiele, Otto<br />

Burmeister, sowie des Kulturdezernenten der Stadt Recklinghausen,<br />

Gerd Holtmann, wurden die <strong>Jugend</strong>kulturtage der Gewerkschaften<br />

mit den Ruhrfestspielen in Recklinghausen verbunden. Eines der<br />

Ziele war, Jung und Alt aus allen Schichten an einen Tisch (vor eine<br />

Bühne) zu bringen, den Austausch zu fördern und kulturelle Horizonte<br />

zu erweitern. In diesem Sinne entwickelten sich die Angebote<br />

der <strong>Jugend</strong>kulturtage. Zu den Laienspielgruppen gesellte sich das<br />

FORTSETZUNG AUF SEITE 22


22.9.1972 Abstimmung über die von Bundeskanzler Brandt gestellte<br />

Vertrauensfrage. Das Kabinett enthält sich der Stimme, so dass<br />

233 Abgeordnete für und 248 gegen Brandt stimmen. Bundespräsident<br />

Heinemann löst noch am gleichen Tag den Bundestag auf.<br />

Damit wird der Weg zu Neuwahlen am 19. November 1972 frei.<br />

Die SPD erhält 45,8 % der Stimmen, CDU/CSU 44,9 % und FDP<br />

8,4 %. Am 14. Dezember wird Willy Brandt erneut zum Bundeskanzler<br />

gewählt und die sozialliberale Koalition wird fortgesetzt.<br />

27.1.1973 Unterzeichnung eines Waffenstillstandes zwischen USA,<br />

Nord- und Südvietnam und der Nationalen Befreiungsfront in Paris.<br />

1.7.1973 Der zivile Ersatzdienst wird dem Wehrdienst gesetzlich<br />

gleichgestellt.<br />

22.3.1974 Die Volljährigkeit wird von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt,<br />

die Ehemündigkeit der Frauen von 16 auf 18 Jahre<br />

heraufgesetzt.<br />

6.5.1974 Bundeskanzler Brandt erklärt im Zusammenhang<br />

mit der Spionageaffäre Guillaume seinen Rücktritt. Am 16.<br />

Mai wählt der Deutsche Bundestag Helmut Schmidt (SPD) zum<br />

neuen Bundeskanzler.<br />

13.1.1976 Die Novellierung des <strong>Jugend</strong>arbeitsschutzgesetzes führt<br />

für <strong>Jugend</strong>liche die 5-Tage-Woche, den 8-Stunden-Tag und die Erhöhung<br />

des Urlaubs von 24 auf 25 bis 30 Urlaubstage ein.<br />

10.12.1979 Das Bundesverfassungsgericht erklärt das Ausbildungsförderungsgesetz<br />

für grundgesetzwidrig und damit für nichtig.<br />

24.12.1979 Der ehemalige Studentenführer Rudi Dutschke stirbt in<br />

Dänemark an den Spätfolgen des Attentats von 1968.<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 19 RANDSPALTE<br />

nett der „Großen Koalition“ aus CDU/CSU und SPD vor. Vizekanzler<br />

wurde der Vorsitzende der SPD und Regierende Bürgermeister von<br />

Berlin, Willy Brandt.<br />

Die Diskussion um die Notstandgesetze begann bereits im Jahre 1958.<br />

Die Große Koalition griff das Problem wieder auf und verabschiedete<br />

die neu gestalteten Notstandsgesetze am 30. Mai 1968 mit der notwendigen<br />

Mehrheit gegen die Stimmen der FDP. Nun konnte der<br />

Notstand im Spannungs- oder Verteidigungsfall mit einer Zweidrittelmehrheit<br />

vom Bundestag oder vom Gemeinsamen Ausschuss des<br />

Bundestages und Bundesrates festgestellt werden. Gegner der<br />

Gesetze außerhalb des Parlaments waren vor allem Gewerkschaften<br />

und Studenten, die im ganzen Land Protestkundgebungen durchführten,<br />

weil sie einen nicht hinnehmbaren Machtzuwachs für den<br />

Staat erwarteten. In einem Sternmarsch auf Bonn am 11. Mai 1968<br />

protestierten rund 30.000 Menschen gegen die Notstandverfassung.<br />

Wirtschaft und Schule<br />

Im August 1964 beschäftigten sich <strong>Jugend</strong>leiter und <strong>Jugend</strong>sekretäre des<br />

<strong>DGB</strong> und junge Lehrer und Erzieher der GEW im Haus der Gewerkschaftsjugend<br />

mit den Problemen, die sich aus der notwendigen<br />

Annäherung von Wirtschaft und Schule ergaben. Die Tagung wurde<br />

vom damaligen Leiter des Hauses der Gewerkschaftsjugend, Edmund<br />

Duda und von Klaus Tümmler, Mitglied des Hauptvorstandes der<br />

GEW, geleitet.<br />

Frau Dr. Beelitz vom Deutschen Industrieinstitut in Köln und Herr Voelmy<br />

vom Berliner Verband der Lehrer und Erzieher referierten über das<br />

Thema „Wirtschaft und Schule“. Arbeitskreise diskutierten die Ausführungen<br />

der Referenten und kamen zu folgenden Ergebnissen:<br />

„1. Der Hauptschule fallen im Bereich der Hinführung zur Arbeitswelt folgende<br />

Aufgaben zu:<br />

a) Hinführung zur Berufswahlreife,<br />

b) Aneignung und Pflege von Arbeitstugenden,<br />

c) Entwicklung einer Positionsbewusstheit,<br />

d) Steigerung der technischen Sensibilität,<br />

e) Steigerung der technischen Intelligenz.<br />

2. Zur Erfüllung solcher Aufgaben bieten sich an:<br />

a) Kontakte mit Menschen aus der Arbeitsweit,<br />

b) Erarbeitung von Bildungseinheiten – Themenkreisen (z. B. Mensch<br />

und Ernährung, Mensch und Maschine),<br />

c) Betriebserkundung mit Vor- und Nachbereitung (Besuch einzelner<br />

Abteilungen),<br />

d) Durchführung von Arbeitsvorhaben (Planung, Kalkulation,<br />

Produktionsablauf),<br />

e) Betriebspraktika über mehrere Wochen,<br />

f) praktische Arbeit in den Lehrwerkstätten der Berufsschulen<br />

(Umgang mit Grundmaterialien mit einfachen Werkzeugen<br />

und Maschinen).“<br />

Auf der Grundlage dieser Überlegungen erarbeiteten die Teilnehmer-<br />

Innen der Arbeitstagung mögliche Konsequenzen für die Lehrerausbildung,<br />

be<strong>sonder</strong>s für das Lehramt an Volksschulen. So wurde ein<br />

Betriebs- oder Sozialpraktikum für Studenten der Erziehungswissenschaften<br />

für sinnvoll erachtet, ebenso ein Fachseminar „Arbeitslehre“.<br />

Zur Fortbildung der Lehrer und Erzieher im Beruf schlugen die<br />

TeilnehmerInnen Kurse, Seminare und Tagungen zur Arbeitslehre vor<br />

sowie die Schaffung von Kontakten zu verschiedenen Organisationen<br />

der Wirtschaft. Außerdem wünschten sich die <strong>Jugend</strong>leiter für ihre<br />

Ausbildung eine verstärkte Kenntnisnahme des sozialen Bereichs und<br />

forderten ein sechswöchiges Sozialpraktikum mit entsprechender<br />

Vor- und Nachbereitung.<br />

Im zweiten Teil der Tagung wurde eine Intensivierung der notwendigen<br />

Zusammenarbeit von <strong>Jugend</strong>sekretären und <strong>Jugend</strong>leitern des <strong>DGB</strong><br />

FORTSETZUNG SEITE 23 RANDSPALTE<br />

21


22<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 20<br />

politische Kabarett, begleitende Seminare wurden angeboten.<br />

Nach und nach wurden die Programme im Licht ihrer gesellschaftlichen<br />

Bedeutung betrachtet: <strong>Jugend</strong>liche sollten die aktive Gestaltung<br />

übernehmen und nicht passiv Kultur konsumieren. Sie sollten<br />

mitmachen, mitreden und ausprobieren. Vor allem war den Organisatoren<br />

wichtig, dass die Angebote nicht allein der Gewerkschaftsjugend,<br />

<strong>sonder</strong>n allen <strong>Jugend</strong>lichen zugänglich waren: Arbeitern,<br />

Auszubildenden, Studenten und jungen Arbeitslosen gleichermaßen.<br />

Nach und nach entwickelten sich die <strong>Jugend</strong>kulturtage der<br />

Gewerkschaften zu einem Forum, in dem sich <strong>Jugend</strong>liche aller<br />

Gruppierungen trafen. Daraus entstand 1961 das „junge forum“.<br />

Zunächst war das „junge forum“ in erster Linie eine Institution<br />

der Ruhrfestspiele. Junge Besucher wurden jedoch nicht nur an das<br />

Theaterprogramm der Festspiele herangeführt, <strong>sonder</strong>n eigene Inszenierungen<br />

und die Erweiterung<br />

des allgemeinen Programms<br />

sorgten mitunter für<br />

konstruktiven Aufruhr. Denn für<br />

das „junge forum“ war die Einbeziehung<br />

Andersdenkender<br />

und die Gestaltung von Kultur<br />

und Kunst in einem gemeinsamen,<br />

aktiven Prozess ausschlaggebend.<br />

Dass es dabei<br />

stets einige Klippen zu umschiffen<br />

gab, versteht sich von<br />

selbst. Die kontinuierliche Arbeit<br />

der Verantwortlichen führte<br />

1967 zum Erfolg: Das „junge<br />

forum“ erhielt mit Konrad<br />

„Conny“ Weber erstmals einen<br />

hauptamtlichen Geschäftsführer.<br />

In den Siebzigern emanzipierte<br />

sich das „junge forum“<br />

zunehmend und wurde zu einer<br />

rechtlich unabhängigen Einrichtung.<br />

Bis 1975 begleitete es<br />

regelmäßig die Darbietungen<br />

der Ruhrfestspiele, seit 1976<br />

entwickelte sich ein eigenständigeres<br />

Profil mit bundeswei-<br />

UND SPAß MACHT.“ (JUNGES FORUM)<br />

ten, unabhängigen Programmen.<br />

Heute arbeitet das „junge forum“ mit fünf MitarbeiterInnen<br />

unabhängig von den Ruhrfestspielen Recklinghausen, es existiert<br />

aber noch immer eine inhaltliche und organisatorische Bindung.<br />

Nach wie vor gibt es gemeinsame Projekte wie die Eröffnung der<br />

Festspiele am 1. Mai eines jeden Jahres (mit rund 150.000 Besuchern)<br />

sowie eine Konzertreihe während der Festspiele. Der Intendant<br />

der Ruhrfestspiele, Hansgünther Heyme, bezeichnete das<br />

„junge Forum“ als „Stachel im Fleisch der Festspiele“.<br />

Mittlerweile kennt der Wirkungsraum des „jungen forum“ keine<br />

nationalen Grenzen mehr und es ist als Veranstalter nicht nur<br />

während der Ruhrfestspiele aktiv. In Recklinghausen wurden die Aktivitäten<br />

durch „Impulse“, eine Veranstaltungsreihe der freien Theaterszene,<br />

die „Heimatklänge“, ein Festival der Weltmusik sowie<br />

durch das Programm „UnART“ erweitert, wo Musik, Theater, Co-<br />

medy, Kabarett und Literatur von artig bis unartig präsentiert werden.<br />

Ergänzt wird der Spielplan durch zahlreiche bundesweite Projekte,<br />

wo sich junge Menschen der verschiedensten Gruppierungen<br />

kulturell produzieren und weiterentwickeln sollen. Mit klassischen<br />

Elementen, aber auch mit modernen Gestaltungsformen drücken sie<br />

sich und ihre Vorstellungen für jeden Menschen hör-, seh-, und fühlbar<br />

aus, sei es durch Radio/Videoproduktionen, multimediale Installationen<br />

oder in Kooperation mit Künstlern.<br />

Zu den Aktivitäten gehört die Herausgabe des „Kulturinfo“, einer<br />

umfassenden Übersicht über die freie Musik- und Theaterszene<br />

in Deutschland, ebenso wie die Präsenz bei der Love Parade in Berlin,<br />

das <strong>Jugend</strong>kulturprojekt „Bilder aus der Zukunft“, das gemeinsam<br />

mit der <strong>Jugend</strong> der IGBCE auf der EXPO in Hannover präsentiert<br />

wird, oder der kulturelle Einsatz bei Veranstaltungen des <strong>DGB</strong> oder<br />

der Einzelgewerkschaften. Hervorgegangen aus der <strong>Jugend</strong>bewegung<br />

des <strong>DGB</strong> produziert das „junge forum“ seine Ideen natürlich<br />

auch für gewerkschaftliche Kreise. Allerdings grenzen sich die Verantwortlichen<br />

dabei klar ab: „Dabei ist das „junge forum“ keinesfalls<br />

das kulturelle Sprachrohr des <strong>DGB</strong>. Denn gerade Kunst und Kultur<br />

dürfen auf keinen Fall für tarif- oder gesellschaftspolitische Zwecke<br />

missbraucht werden. Der klassische Begriff der Arbeiterkultur ist<br />

überlebt und gehört auch beim „jungen forum“ der Vergangenheit<br />

an. Weder Show noch Effekte, noch Starkult oder agitatorische Einstimmung<br />

sollten so tief in die Erlebniswelt der Zuschauer eingreifen<br />

dürfen, dass die persönliche Handlungsfähigkeit und Urteilsfähigkeit<br />

verloren geht. Diese Verantwortung liegt natürlich in erster Linie<br />

beim Künstler – aber auch beim Veranstalter – also bei uns.“ ■<br />

Das „junge forum“ im Internet: www.kulturinfo.de<br />

„HASTE TÖNE“–<br />

ERSTES BUNDESWEITES<br />

TREFFEN FÜR ENGA-<br />

GIERTE MUSIK, 1980<br />

„DAS NIVEAU EINER BEGEGNUNG, DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT DER KUNST, IST DAS RESULTAT EINES DEMOKRATISCHEN UND<br />

EMANZIPATORISCHEN LERNPROZESSES. DIESEN IM SINNE DER GEWERKSCHAFTSBEWEGUNG ZU ORGANISIEREN, IST EINE SCHWIE-<br />

RIGE AUFGABE. DIE DARAN BETEILIGTEN KÖNNEN SICH NICHT SICHER SEIN, OB SIE ES RICHTIG MACHEN. ABER GERADE DAS IST<br />

ES, WAS UNS ZWINGT NACHZUDENKEN, NEU ZU ÜBERLEGEN, ZU FRAGEN UND ZU TRÄUMEN – FÜR EINEN WEG, DER ÜBERZEUGT


Der Terrorismus<br />

Aus einem Teil der studentischen Protestbewegung bildete sich nach 1968 eine<br />

terroristische Gruppierung: Die „Rote-Armee-Fraktion“ (RAF), die, nach<br />

den Namen ihrer Anführer, auch Baader-Meinhof-Gruppe genannt wurde.<br />

Die Aktivitäten der RAF beeinflussten das politische Klima in der Bundesrepublik<br />

der siebziger Jahre und auch später nachhaltig. Die Auseinandersetzung<br />

mit dem Terrorismus führte unter anderem zu einer Reihe von Änderungen<br />

im Strafprozessrecht, welche die Rechte von Angeklagten und Verteidigern<br />

einschränkten.<br />

Die Aktivitäten der RAF standen am Anfang unter einer sozialrevolutionären<br />

Zielsetzung und wurden durch ein Netz von Sympathisanten unterstützt.<br />

Die Mitglieder arbeiteten im Untergrund und beschafften sich durch<br />

Banküberfälle die finanziellen Mittel für ihren Kampf. Auf die Verhaftung<br />

einiger Anführer der Gruppe folgte eine Reihe von Brand- und Mordanschlägen,<br />

die ausschließlich der<br />

Freipressung der Inhaftierten<br />

dienen sollte. Auch aus der Haft<br />

riefen die Mitglieder zu neuen<br />

terroristischen Aktionen auf und<br />

setzten den Hungerstreik als<br />

Druckmittel ein.<br />

Am 9. November 1974 starb<br />

Holger Meins, Mitglied der Baader-Meinhoff-Gruppe,<br />

trotz<br />

Zwangsernährung an den Folgen<br />

eines Hungerstreiks. Protestaktionen<br />

und Anschläge in<br />

mehreren Städten waren die<br />

Folge. Am 29. November wurden<br />

Horst Mahler und Ulrike<br />

Meinhof zu 14 und acht Jahren<br />

Gefängnis verurteilt. Im Dezember<br />

besuchte der Schriftsteller<br />

Jean Paul Sartre Andreas Baader<br />

im Gefängnis in Stuttgart-<br />

Stammheim und kritisierte die<br />

Haftbedingungen.<br />

Der „Baader-Meinhof-Prozess“<br />

begann am 20. Mai 1975 in<br />

Stuttgart-Stammheim. Am 9.<br />

Mai 1976 wurde Ulrike Meinhof<br />

in ihrer Zelle tot aufgefunden. Erst am 28. April 1977 verurteilte das Stuttgarter<br />

Oberlandesgericht Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl<br />

Raspe zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Mit der Entführung von Arbeitgeberpräsident<br />

Hanns-Martin Schleyer im September 1977 versuchten Terroristen<br />

die elf Baader-Meinhof-Häftlinge freizupressen. Die internationale<br />

Verknüpfung des Terrorismus wurde deutlich, als am 13. Oktober 1977<br />

palästinensische Luftpiraten ein Flugzeug der Lufthansa entführten und<br />

die Freilassung der elf inhaftierten RAF-Mitglieder forderten. Am 18. Oktober<br />

stürmte eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutz GSG 9 in Mogadischu<br />

(Somalia) das entführte Flugzeug und befreite alle Geiseln. Am gleichen<br />

Tag begingen Baader, Ensslin und Raspe in Stammheim Selbstmord.<br />

Am folgenden Tag wurde der entführte Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin<br />

Schleyer tot aufgefunden. Das war der Beginn einer Großfahndung<br />

nach 16 namentlich bekannten Terroristen, die mehrere Jahre andauerte.<br />

Erst nach der Maueröffnung wurde der Verdacht bestätigt, dass einige der<br />

RAF-Mitglieder in der DDR Zuflucht gefunden hatten. 1990 wurden unter<br />

anderem die RAF-AussteigerInnen Susanne Albrecht, Inge Viett, Monika<br />

Helbing und Eckehard Freiherr von Seckendorff-Gudent in verschiedenen<br />

Städten der DDR festgenommen. Das Ministerium für Staatssicherheit war<br />

ihnen bei der Einbürgerung behilflich gewesen.<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 21 RANDSPALTE<br />

und Vertretern junger Lehrer und Erzieher der GEW erörtert. Möglichst<br />

bald sollten Begegnungstagungen in allen Landesverbänden<br />

stattfinden. Hier sollten sich die <strong>Jugend</strong>vertreter des <strong>DGB</strong> und junge<br />

Lehrer und Erzieher treffen, kennen lernen sowie eine mögliche<br />

gemeinsame Arbeit planen. Angestrebt wurde die Zusammenarbeit<br />

in folgenden Bereichen:<br />

„1.) Beschäftigung mit den Problemen der Neuformung des Erziehungsund<br />

Bildungswesens.<br />

2.) Erarbeitung und Auswahl von geeignetem Schulungsmaterial für die<br />

<strong>Jugend</strong>bildungsarbeit des <strong>DGB</strong>.<br />

3.) Mitarbeit von jungen Lehrern und Erziehern als Referenten und Leiter<br />

in den Veranstaltungen der <strong>Jugend</strong>sekretäre und <strong>Jugend</strong>leiter aller<br />

Art.<br />

4.) Unterstützung der <strong>Jugend</strong>sekretäre und <strong>Jugend</strong>leiter in allen methodisch-didaktischen<br />

Fragen ihrer Bildungsarbeit.“<br />

Quelle: Protokoll der Arbeitstagung „Wirtschaft und Schule“ vom 5.–8. 8.1963 im<br />

Haus der Gewerkschaftsjugend in Oberursel<br />

DIE SIEBZIGER<br />

Ausbildungsplatzmangel<br />

und <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit<br />

Mitte der siebziger Jahre begann die <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> verstärkt, sich mit <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit<br />

und Ausbildungsplatzmangel zu beschäftigen.<br />

Bei einer Arbeitstagung im November 1975 mit dem Titel „Gegenwärtige<br />

Tendenzen in der sozialen Lage der jungen Lohnabhängigen“<br />

wurde die Arbeit der Gewerkschaftsjugend zu diesen Themen kritisch<br />

betrachtet.<br />

Als ein Ergebnis der Arbeitstagung wurde festgestellt: „Innerhalb der Gewerkschaftsjugend<br />

sind in den letzten Jahren einige Grundlagen der<br />

gewerkschaftlichen <strong>Jugend</strong>arbeit zu wenig beziehungsweise zu unsystematisch<br />

diskutiert worden. So zum Beispiel das Verhältnis von<br />

Arbeitsplatzentwicklung und Qualifikationsanforderungen, das Verhältnis<br />

von einzelbetrieblichen Ausbildungsinvestitionen und gesamtwirtschaftlichen<br />

Interessen. Auch Forschungsergebnisse wurden dabei<br />

zu wenig nutzbar gemacht. Die ökonomische Entwicklung der<br />

letzten Zeit (Ausbildungsplatzmangel, <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit) hat<br />

einige Mängel der bisherigen Diskussion noch deutlicher gemacht<br />

und darüber hinaus einige Grundlagen unserer bisherigen gewerkschaftlichen<br />

<strong>Jugend</strong>arbeit in Frage gestellt.“<br />

Als Reaktion auf diese kritische Betrachtungsweise der gewerkschaftlichen<br />

<strong>Jugend</strong>arbeit wurden im Dezember 1975 und im April 1976<br />

„Strategiearbeitstagungen“ des Bundesjugendausschusses durchgeführt.<br />

Hier stellte sich die Frage nach einer gewerkschaftlichen Strategie<br />

in der anhaltenden Krise. Die TeilnehmerInnen sahen sich jedoch<br />

nicht in der Lage, die Qualifikationsprobleme so zu diskutieren, dass<br />

ein Thesenpapier hätte erarbeitet werden können. Sie beschlossen<br />

daher, im August eine spezielle Arbeitstagung des Bundesjugendausschusses<br />

durchzuführen. Diese sollte die Ergebnisse der Novembertagung<br />

1975 weiterführen und Bestandteil der Strategiediskussion<br />

werden. Es wurde ein Thesenpapier erarbeitet, das dem Bundesjugendausschuss<br />

zur Kenntnis gegeben wurde und als Grundlage für<br />

die weitere Vorgehensweise diente. Als Ergebnis dieser Diskussion<br />

wurde die Aktion „Stop <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit“ ins Leben gerufen.<br />

Die Abteilung <strong>Jugend</strong> des <strong>DGB</strong>-Bundesvorstandes veröffentlichte im September<br />

1977 eine Broschüre „Stop <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit“, die konkrete<br />

Handlungsmöglichkeiten für die <strong>Jugend</strong>funktionäre aufzeigte.<br />

Sie enthielt unter anderem Musterfragebögen zur Bestandsaufnahme,<br />

die über die konkrete Ausbildungs- und Arbeitsplatzsituation<br />

Auskunft geben sollten. Darüber hinaus gab die Broschüre Tipps für<br />

FORTSETZUNG SEITE 25 RANDSPALTE<br />

23


24<br />

‘ran<br />

12 ’87<br />

K LEINE C HRONIK DER ‘ RAN A UFMÜPFIGE<br />

‘ran<br />

10 ‘89<br />

Die Entstehung (197O)<br />

Die 70er Jahre begannen so turbulent, wie die 60er endeten.<br />

Nach den Studenten schlossen sich immer mehr arbeitende <strong>Jugend</strong>liche<br />

zur Lehrlingsbewegung zusammen und revoltierten<br />

gegen Missstände in der Ausbildung. Die damalige <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong>zeitschrift<br />

„Aufwärts“ nahm davon kaum Notiz. Als ihr Leiter Hans<br />

Dohrenbusch 1970 mit 66 Jahren in Pension ging, fand <strong>DGB</strong>-Vorstandsmitglied<br />

Franz Woschech, zuständig für <strong>Jugend</strong>, einen wesentlich<br />

jüngeren Mann für seine Nachfolge: den damals 33-jährigen<br />

Dieter Schmidt. Schmidt, seit 1965 Pressereferent in der Düsseldorfer<br />

<strong>DGB</strong>-Zentrale und Fernseh-, Hörfunk- und Buchautor,<br />

zeigte jedoch an der Fortführung des „Aufwärts“ kein Interesse.<br />

Schmidt wollte ein <strong>Jugend</strong>-Magazin als „Anti-Bravo“ konzipieren,<br />

das durch eine Mischung aus Pop und Politik auch <strong>Jugend</strong>liche ansprechen<br />

sollte, die mit den Gewerkschaften noch keine Berührung<br />

hatten. Vierfarbig, mit neuem Namen, ohne feste Ressorts und mit<br />

starkem Akzent auf Alltags- und Freizeitthemen sollte es sich formal<br />

an kommerziellen <strong>Jugend</strong>magazinen orientieren. Erst am Schluss<br />

sollten die Leser merken: Die sind irgendwie anders.<br />

Woschech unterstützte das Konzept und wider Erwarten akzeptierte<br />

es auch der <strong>DGB</strong>-Vorstand. Im Oktober 1970 erschien die erste<br />

Ausgabe der ´ran mit 66.000 Exemplaren, bis Ende des Jahres<br />

noch unter dem Namen „Aufwärts“. Äußerlich unterschied sich das<br />

Magazin jedoch deutlich von seinem Vorgänger: in Magazingröße,<br />

Farbigkeit, mit neuem Layout und auf Hochglanzpapier.<br />

Der Start<br />

‘ran erschien im gewerkschaftseigenen Bund-Verlag und wurde<br />

zweigleisig vertrieben: Einzelgewerkschaften kauften Großkontingente,<br />

die sie an ihre jugendlichen Mitglieder kostenlos verteilten.<br />

Einzelpersonen konnten das Magazin für den Preis von einer Mark<br />

direkt abonnieren. Um von gewerkschaftlichen Subventionen unabhängig<br />

zu sein, akquirierte der Verlag kommerzielle Anzeigen.<br />

Außerdem wurde ‘ran mit Mitteln des Bundesjugendplans gefördert.<br />

Als Herausgeber fungierte der <strong>DGB</strong> Bundesvorstand, nicht die<br />

Abteilung <strong>Jugend</strong>. ‘ran<br />

erhielt eine eigene Redaktion,<br />

die nur zum<br />

Teil aus Funktionären<br />

bestand und von freien<br />

Mitarbeitern unterstützt<br />

wurde. Damit<br />

war ‘ran die einzige Publikation<br />

des <strong>DGB</strong>, die<br />

sich ausdrücklich an<br />

Nichtmitglieder wandte<br />

und von einer unabhängigen<br />

Redaktion<br />

gemacht wurde.<br />

Bereits im ersten<br />

Jahr häuften sich die<br />

Proteste: Lehrlingsausbilder,<br />

Eltern und Gewerkschaftsfunktionäre<br />

waren geschockt von<br />

Bildern barbusiger<br />

Mädchen, freizügigen<br />

‘ran<br />

8 ’00<br />

A NTI-BRAVO<br />

‘ran<br />

1 ’87<br />

Ratschlägen und Kritiken, in denen der Papst als „Pillen-Paul“ bezeichnet<br />

wurde. Beim <strong>DGB</strong>-Vorsitzenden Heinz-Oskar Vetter und<br />

Vorstandsmitglied Franz Woschech stieß ‘ran auf Aufgeschlossenheit.<br />

Die Gegner aber wollten dem Blatt die gewerkschaftlichen Vertriebskanäle<br />

verschließen. Obwohl ´ran bei den Lesern eine hohe<br />

Akzeptanz fand, sorgten die Inhalte in den Reihen von Gewerkschaftern<br />

und Betriebsräten immer wieder für Empörung.<br />

Unterstützung und Kritik (1972–1979)<br />

Trotz aller Kritik forderten 1972 die Delegierten des <strong>DGB</strong>-Bundeskongresses<br />

den Vorstand auf, das Erscheinen von ‘ran sicherzustellen<br />

und finanziell zu unterstützen. Sie begrüßten das Magazin<br />

als „Möglichkeit für den <strong>DGB</strong>, die Bewusstseinsbildung jugendli-


cher Arbeitnehmer zu fördern“ und lobten Inhalt und Form. Über<br />

die Redaktion entschieden die Delegierten: „Die Unabhängigkeit<br />

muss beibehalten werden.“ Für die Rubrik „´ran nennt Namen“, die<br />

Unternehmerwillkür und Ausbeutung von Auszubildenden aufdeckte,<br />

erhielt das Magazin den mit 5.000 Mark dotierten Deutschen<br />

Journalistenpreis, der von der Deutschen Journalisten-Union (dju)<br />

und der IG Druck und Papier vergeben wurde.<br />

Immer wieder wartete die ´ran mit Enthüllungsgeschichten auf<br />

und wies beispielsweise 1974 in einer Serie Manipulationen bei<br />

‘Bravo’ nach. Zwei Jahre später deckte ´ran auf, dass ein im Freizeit-<br />

Magazin (Burda-Verlag) erschienenes Interview mit dem Popstar<br />

Neil Diamond gefälscht war. Auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk<br />

fand ‘ran Unregelmäßigkeiten und nannte die Namen der Beteiligten.<br />

Nachdem ‘ran veröffentlicht hatte, dass die Bravo-Ratgeber Dr.<br />

Korff und Dr. Sommer nicht existierten, startete das Magazin 1976<br />

mit der Berliner Psychologin Dr. Eva Jaeggi eine eigene Aufklärungsserie<br />

mit dem Titel „Auch Fummeln muss man lernen“. Das aus der<br />

Serie entstandene ‘ran-Taschenbuch wurde zum Bestseller des<br />

Bund-Verlages. Im Dezember 1979 traf ‘ran mit einem kirchenkritischen<br />

Cartoon zum<br />

Schwangerschaftsabbruch<br />

den „Lebensnerv<br />

der Einheitsgewerkschaft“,<br />

wie <strong>DGB</strong>-Vorsitzender<br />

Heinz-Oskar Vetter<br />

erklärte. Es kam zum<br />

Eklat, und die Redaktion<br />

wurde aufgelöst.<br />

Neuanfang<br />

(198O–1984)<br />

Zunächst übernahm<br />

Ulrich Preußer,<br />

Leiter der <strong>DGB</strong>-Pressestelle,<br />

die Verantwortung<br />

für ‘ran. Tatsächlich<br />

hatte Vetter bereits<br />

dessen Stellvertreter<br />

Dieter Gaarz verpflichtet,<br />

den Fortbestand<br />

von ´ran zu gewährleisten.<br />

Im April 1980 wurde<br />

Gaarz offiziell verantwortlicher Redakteur. Doch er hatte eine<br />

schwere Erblast zu tragen. Von der Lehrlingsbewegung war nur<br />

noch wenig spürbar und <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit sowie Ausbildungsplatzmangel<br />

nahmen bedrohliche Ausmaße an. Die Gewerkschaften<br />

mussten sparen, und sie sparten bei ‘ran, deren Auflage stetig<br />

sank. Mit einem höheren Anzeigenanteil versuchte das Blatt den<br />

wirtschaftlichen Niedergang aufzuhalten. Doch fortan füllten sich<br />

die Leserbriefspalten mit Kritik an Zigaretten-, Bundeswehr-, Neue<br />

Heimat- und Volkszählungsanzeigen. Im Frühjahr 1983 signalisierte<br />

der Bund-Verlag, dass er die Verluste der ‘ran nicht mehr tragen<br />

könne und erwog die Einstellung.<br />

Nachdem ‘ran im Oktober 1984 eine Werbebroschüre der Gewerkschaft<br />

als frauenfeindlich kritisiert hatte, beschloss der Vor-<br />

FORTSETZUNG SEITE 26<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 23 RANDSPALTE<br />

mögliche Initiativen und Aktionen der <strong>Jugend</strong>vertreter und -ausschüsse<br />

sowie für Betriebsräte und Vertrauensleute.<br />

Quelle: Bericht der Arbeitstagung „Qualifikationsentwicklungen – Grundlagen und Ursachen<br />

– strategische Konsequenzen für die Gewerkschaftsarbeit“ vom 29. August bis<br />

3. September 1976 im Haus der Gewerkschaftsjugend.<br />

DIE ACHTZIGER<br />

NATO-Doppelbeschluss<br />

Der am 12. Dezember 1979 von den Außen- und Verteidigungsministern<br />

der NATO zur „Nachrüstung“ gefasste Beschluss bestand aus zwei<br />

Elementen:<br />

1. Stationierung bodengestützter atomarer Mittelstreckenwaffen (108<br />

Pershing-II-Raketen und 464 Cruisemissiles) in Europa bis Ende 1983.<br />

2. Angebot an die Sowjetunion zu Verhandlungen mit den USA über die<br />

Mittelstreckenwaffen in Europa; das Ergebnis sollte über die Durchführung<br />

der Stationierung entscheiden.<br />

Die Verhandlungen begannen am 30. November 1981 in Genf. In Europa<br />

formierte sich eine breite Friedensbewegung, die die Regierungen<br />

zur Aufgabe der Nachrüstung drängten. Auch innerhalb der SPD<br />

BEI DER BLOCKADE EINER<br />

KASERNE IN BREMERHAVEN<br />

1983: DEMONSTRANT<br />

STELLT SICH NACKT DEM<br />

POLIZEIAUFGEBOT<br />

wuchs die Opposition gegen die Nachrüstung, die sich nach dem Regierungswechsel<br />

1982 verstärkte. Die CDU/CSU und FDP hielten am<br />

NATO-Doppelbeschluss fest. Die Grünen, seit März 1983 im Bundestag,<br />

waren Bestandteil der Friedensbewegung und bekämpften die<br />

Nachrüstung kompromisslos. Die Genfer Gespräche brachten keine<br />

Annäherung der amerikanischen und sowjetischen Positionen. Nach<br />

dem Beschluss des Deutschen Bundestages, der Stationierung zuzustimmen,<br />

brach die Sowjetunion die Gespräche ab.<br />

1985 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen und führten<br />

schließlich mit dem INF-Vertrag zum weltweiten Abbau aller amerikanischen<br />

und sowjetischen Mittelstreckenraketen. Unterzeichner am<br />

8. November 1987 des „Intermediate-Range Nuclear Forces“ (INF)<br />

waren US-Präsident Ronald Reagan und der sowjetische KP-Generalsekretär<br />

Michail Gorbatschow.<br />

Die Friedensbewegung<br />

Angesichts der weltweiten nuklearen Aufrüstung formierte sich in der Bevölkerung<br />

der westlichen Staaten eine breite Friedensbewegung. Sie<br />

drängte die Regierungen zum Rüstungsstopp, zur Rüstungskontrolle<br />

und Friedenssicherung. In der Bundesrepublik entwickelte sich die<br />

Friedensbewegung nach Verabschiedung des NATO-Doppelbeschlus-<br />

FORTSETZUNG SEITE 27 RANDSPALTE<br />

Foto: Martin Langer<br />

25


26<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 25<br />

stand der IG Bau-Steine-Erden, das Großabonnement des <strong>Jugend</strong>magazins<br />

aufzukündigen. Im Januar 1985 wurde Chefredakteur Dieter<br />

Gaarz suspendiert. Begründet wurde das mit einem satirischen<br />

Beitrag über Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der geschmacklos<br />

und diffamierend sei.<br />

‘ran<br />

9 ’94<br />

Umstrukturierung und „Gelbe Hand“ (1985–1988)<br />

Neuer Chefredakteur wurde der 33-jährige Wolfgang Römisch,<br />

bis dahin zuständig für die Zeitschrift „Solidarität“ der Abteilung<br />

<strong>Jugend</strong>. Er änderte den Untertitel der ´ran in „Das politische <strong>Jugend</strong>magazin“.<br />

Römisch legte dem Bund-Verlag ein Konzept zur Weiterführung<br />

der <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong>zeitschrift vor. Darin beschrieb er die Situation<br />

des Blattes: „Die Abonnentenzahlen sinken, ein Großteil der<br />

Einzelabonnenten bezieht die Zeitschrift vermutlich eher aus nostalgischen<br />

(...) Gründen denn unter dem Gesichtspunkt der Brauchbarkeit<br />

bzw. einer notwendigen Informationsquelle. Die gewerkschaftlichen<br />

<strong>Jugend</strong>funktionäre identifizieren sich kaum noch mit<br />

dem Blatt.“<br />

Die Arbeitsgruppe des <strong>DGB</strong>-Presseausschusses, die 1985 Thesen<br />

zur Neuordnung des gewerkschaftlichen Zeitungs- und Zeitschriftenwesens<br />

vorlegte, stellte ‘ran in Frage: „... warum (soll) der<br />

<strong>DGB</strong> ein <strong>Jugend</strong>magazin herausgeben, das niemand braucht und<br />

keiner will?“ Gefordert wurde ein neues Konzept, mit dem die Redaktion<br />

innerhalb von zwei Jahren die Auflage deutlich erhöhen<br />

oder das Blatt einstellen sollte.<br />

Im September 1985 übernahm ‘ran die in Frankreich von „SOS<br />

Racisme“ ins Leben gerufene Antirassismusbewegung „Touche pas<br />

mon pote“ und eröffnete unter dem Titel „Mach’ meinen Kumpel<br />

nicht an“ eine regelmäßiges Forum. Fortan erschienen unter der<br />

mehrseitigen Rubrik Berichte über rassistische und ausländerfeindliche<br />

Tendenzen und es wurde auf Aktionen hingewiesen, die für<br />

einen verständnisvollen Umgang zwischen Deutschen und Ausländern<br />

warben. Die „Gelbe Hand-Aktion“ stieß nicht nur bei Lesern<br />

auf große Resonanz und wurde vom <strong>DGB</strong>-Vorsitzenden Ernst Breit<br />

ausdrücklich gelobt.<br />

Im Oktober 1987 vollzog sich abermals ein personeller Wechsel<br />

an der Spitze des Magazins: Römisch wechselte als Leiter in die Kulturabteilung<br />

des <strong>DGB</strong> und wurde von dem 34-jährigen Gustav<br />

Wilden abgelöst, der Römisch bereits nach seinem Wechsel zur ‘ran<br />

bei der „Solidarität“ nachgefolgt war. Für die „Gelbe Hand-Aktion“<br />

‘ran<br />

7 ’00<br />

erntete ‘ran 1998 offizielle Anerkennung: „Metall“, das Mitgliederorgan<br />

der IG Metall, zeichnete die Rubrik mit dem Sonderpreis ihres<br />

Reportagewettbewerbs aus. Das Preisgeld von 5.000 Mark gab die<br />

Redaktion an beispielhafte Initiativen weiter. Im gleichen Jahr wirbelte<br />

eine under-cover-Reportage erneut Staub auf. Fünf Wochen<br />

lang hatte ‘ran-Redakteurin Anne Graef in einer Bonner Putzkolonne<br />

mitgearbeitet und ihre Erfahrungen geschildert. Diese Reportage<br />

beschäftigte anschließend die Arbeitsgerichte.<br />

Einstellungsabsichten (1989–1992)<br />

Im Februar 1991 ging Gustav als ÖTV-Sekretär nach Düsseldorf.<br />

Vier Monate später, während derer ‘ran-Redakteur Ulrich Kalhöfer<br />

die Verantwortung hatte, übernahm Klaus-Jürgen Eichhorst.<br />

Auch er hatte bis dahin die „Solidarität“ betreut. Die Schwierigkeiten<br />

bei ´ran lagen in erster Linie in der Finanzierung. Der Verlag<br />

wollte die Verluste nicht weiter tragen und verlangte die Kon<strong>soli</strong>dierung.<br />

Die Redaktion machte Mitte 1991 mit neuem Gesicht noch<br />

einmal deutlich: Das Konzept von ‘ran kann nur ein professionelles,<br />

politisches und provokantes Magazin sein, das die Konkurrenz auf<br />

dem Medienmarkt nicht scheut. Leser und Medienexperten bestätigten<br />

diese Einschätzung. Im November einigten sich <strong>DGB</strong> und<br />

Bund-Verlag darauf, der Redaktion für die Erprobung dieses Konzeptes<br />

eine einjährige Prüfungsphase einzuräumen.<br />

Das Weiterbestehen der ‘ran wurde auf einer Vorstandssitzung<br />

des Bund-Verlages vorerst sichergestellt. <strong>Jugend</strong>verantwortliche in<br />

<strong>DGB</strong>, Gewerkschaften und Redaktion hatten ein Konzept erarbeitet,<br />

durch das sich ‘ran innerhalb von zwei Jahren finanziell kon<strong>soli</strong>dieren<br />

sollte und das ein verbessertes Service-Angebot für die Gewerkschaftsjugend<br />

beinhaltete. Neben verstärkten Bemühungen, Anzei


gen zu akquirieren und die Zahl der Abonnements zu erhöhen, kündigte<br />

das Konzept eine intensivere Berücksichtigung von Themen<br />

aus Arbeitswelt und Gewerkschaftsarbeit an. ■<br />

Quelle: ´ran, Das <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong>magazin im Spannungsfeld von <strong>Jugend</strong> und Gewerkschaft,<br />

Uwe Hellner, Schüren Presseverlag, Marburg 1994, Seite 92–107<br />

ran im Internet: www.ranmagazin.de<br />

‘ran<br />

Sonderheft<br />

‘93<br />

Mach´ meinen Kumpel nicht an<br />

„Touche pas mon pote“ – Hände weg von meinem Kumpel! So steht es auf Hunderttausenden<br />

von kleinen Plastikhänden, die sich französische Rassismus-Gegner stolz an die Brust heften.<br />

Der neue Button ist das Symbol von „SOS-Rassismus“. Die Bewegung wurde von jungen Franzosen<br />

und in Frankreich geborenen Ausländerkindern gegründet. Nach durchschlagendem Erfolg<br />

daheim sucht sie nun neue Anhänger<br />

in den europäischen Nachbarländern.<br />

‘ran und die Gewerkschaftsjugend starten<br />

die Aktion in der Bundesrepublik.<br />

„Ausländer raus“ lesen wir an Häuserwänden<br />

und Bretterzäunen. Arbeitslosigkeit<br />

und viele unserer Probleme wären gelöst,<br />

wenn diese Leute wieder in ihre Länder verschwinden würden, will man uns einreden – manche<br />

offen und brutal, die anderen versteckt durch ihre politischen Taten.<br />

Wir wissen, unsere ausländischen Kolleginnen und Kollegen haben wesentlich dazu beigetragen,<br />

dieses Land wieder aufzubauen. Sie haben ein Recht, mit ihren Familien hier zu leben und zu<br />

arbeiten. Wir wollen gemeinsam – deutsche und ausländische Mitbürger – auch unsere Zukunft<br />

gestalten. Im Streit für Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit brauchen wir jeden<br />

und jede. Um dieses Land lebenswert zu gestalten, bleib hier Mehmet, Ayse, Sergio, Rosa, Carlos,<br />

Elephteria ...<br />

Und dich, Martina und Thorsten, Andrea und Wolfram, fordern wir auf: Misch Dich ein! Lach<br />

nicht mit, wenn dumme Türkenwitze erzählt werden. Beschwer Dich, wenn ein Ausländer in<br />

der Kneipe kein Bier bekommt. Geh dazwischen, wenn unsere ausländischen Freunde belästigt,<br />

bedroht und geschlagen werden. Reiß sie ab, diese widerwärtigen Aufkleber „Ausländer<br />

raus“. Steck Dir unseren Button „Mach meinen Kumpel nicht an“ an die Jacke. Dokumentiere:<br />

Ich mach nicht mit bei Ausländerfeindlichkeit und Rassismus.<br />

Aus: ´ran, September 1985, 15. Jahrgang, Heft 9, Seite 7<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 25 RANDSPALTE<br />

ses. Die nur locker organisierte Bewegung umfasste ein breites Spektrum<br />

von gesellschaftlichen Gruppen, wie zum Beispiel die Gewerkschaften,<br />

kirchliche Organisationen, Initiativen von Wissenschaftlern,<br />

Ärzten, Journalisten, Parteien wie die Grünen, die DKP, Teile der SPD,<br />

aber auch Gruppen der CDU.<br />

Wichtige Themen innerhalb der Friedensbewegung waren auch der Umweltschutz<br />

und Frauenrechte. Die vielen lokal bezogenen Aktionen<br />

und die Zusammensetzung der Akteure, die aus allen sozialen Schichten<br />

stammten, trugen wesentlich zu dem breiten Erfolg in der Bevölkerung<br />

bei. An den großen Demonstrationen Anfang der achtziger<br />

Jahre nahmen bis zu 500.000 Menschen teil. Kurz vor der Schlussentscheidung<br />

über die Raketenstationierung veranstalteten die Gruppen<br />

der Friedensbewegung eine Aktionswoche, an der sich nach Schätzungen<br />

der Veranstalter rund drei Millionen BundesbürgerInnen beteiligten.<br />

Ein weiterer Grund für die Unterstützung in der Bevölkerung lag in der<br />

Angst vor der atomaren Bedrohung, deren „Beherrschbarkeit“ zunehmend<br />

bezweifelt wurde. Hinzu kam, dass bekannt wurde, dass<br />

die amerikanische Regierung über die Führbarkeit eines Atomkrieges<br />

nachdachte. Gewonnen werden konnte, so die Überlegungen, ein<br />

solcher Krieg nur dann, wenn die Auseinandersetzung auf Europa begrenzt<br />

bliebe. Die Befürchtung, Spielball von Washington und Moskau<br />

zu werden, verlieh dem Protest gegen die Aufrüstung zusätzliche<br />

Schubkraft.<br />

Auch wenn es nach dem Abbruch der Genfer Verhandlungen<br />

1983 zunächst so aussah, als seien die Bestrebungen<br />

der Friedensbewegung ohne Erfolg geblieben,<br />

waren die politischen Wirkungen doch beträchtlich. Die<br />

zur Massenbewegung avancierte Friedensinitiative führte<br />

schließlich zu einer öffentlichen Diskussion, die die<br />

Sicherheitspolitik bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes<br />

maßgeblich prägte.<br />

FORTSETZUNG SEITE 29 RANDSPALTE<br />

27


28<br />

G EWERKSCHAFTSJUGEND<br />

BRAUCHT INTERNATIONALE<br />

Z USAMMENARBEIT<br />

Internationale Solidarität, internationale Kontakte und grenzüberschreitende<br />

Unterstützung gehörten immer zu den wichtigsten<br />

Elementen gewerkschaftlicher Betätigung. Dabei wird die internationale<br />

Arbeit der Gewerkschaften von der Vision geleitet, dass für<br />

ähnliche Arbeit weltweit ähnliche Arbeitsbedingungen gelten sollen.<br />

Eine Perspektive, die angesichts der ungleichen Verteilung auf<br />

der Erde unrealistisch erscheint.Um so notwendiger ist eine kontinuierliche<br />

Arbeit, die eine gerechtere Verteilung der wirtschaftlichen<br />

Güter anstrebt. Die oft zitierte „Würde des Menschen“ wird<br />

nicht nur im unachtsamen Umgang miteinander in Frage gestellt,<br />

<strong>sonder</strong>n be<strong>sonder</strong>s durch mindere Entlohnung missachtet. Ein<br />

großer Teil der Menschheit verdient – so ein Weltbankbericht des<br />

Jahres 1990 – umgerechnet 1,70 Mark am Tag.<br />

In den sogenannten Billiglohnländern sind jedoch nicht nur die<br />

Entlohnungsbedingungen skandalös. Meist gibt es weder Krankenversicherung<br />

noch Unfallschutz. Gefährliche Arbeitsstoffe und Produktionsverfahren<br />

sowie Kinderarbeit sind häufig die Regel. Auf die<br />

Spitze getrieben werden die sozialen Ungleichheiten dadurch, dass<br />

es in vielen dieser Länder verboten ist, sich zusammenzuschließen,<br />

um so eine Verbesserung der Lebensbedingungen zu erreichen. Gewerkschaften<br />

und gewerkschaftliche Organisationsversuche werden<br />

unterdrückt, die Anerkennung durch Regierung oder Justizapparat<br />

wird ihnen verweigert – und in nicht wenigen Regionen dieser Erde<br />

Foto: Gabriela Battaglia<br />

S TAND U P F OR<br />

Y OUR R IGHTS<br />

NICARAGUA 1985<br />

Südafrika, Nicaragua, El Salvador, Mozambique – die Liste der Länder, in denen die <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> internationale<br />

Partner fand, ist lang. So lang, dass sich mit ihr allein Seiten füllen ließen. Be<strong>sonder</strong>e Kontakte gab es indes in<br />

den vergangenen Jahrzehnten immer wieder. So führte das Engagement der deutschen Gewerkschaftsjugend<br />

zugunsten des ANC und verfolgter südafrikanischer Gewerkschafter zu einer langfristigen Zusammenarbeit. Die<br />

Unterstützung des brasilianischen Dachverbandes CUT beim Bau der Bildungsstätte Escola Sul durch Baubrigaden,<br />

Spenden und Sachspenden und die daraus ebenfalls resultierende langjährige Zusammenarbeit ist bis heute<br />

Thema vieler gewerkschaftlicher Veranstaltungen. Die Globalisierung und vor allem die zunehmenden rassistischen<br />

Übergriffe im eigenen Land machen die Blicke über die eigenen Grenzen hinaus in Nachbarländer und in<br />

Regionen der so genannten Dritten Welt heute notwendiger als zuvor.<br />

werden Interessenvertreter bedroht, gefoltert oder sogar ermordet.<br />

Die Möglichkeiten, in solchen Staaten Einfluss zu nehmen, sind gering.<br />

Die internationalen Verbände der Gewerkschaften bemühen<br />

sich durch die Unterstützung der Partner-Organisationen in den jeweiligen<br />

Ländern, gegen solche Verhältnisse anzugehen.<br />

Junge Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter der Bundesrepublik<br />

Deutschland haben in der Vergangenheit nicht nur den gewerkschaftlichen<br />

Aufbau in vielen Ländern unterstützt. Ihre Solidarität<br />

galt und gilt vor allem den Befreiungsbewegungen, die sich<br />

zum Ziel gesetzt haben, demokratische Verhältnisse zu erkämpfen.<br />

Nicaragua-Solidarität<br />

Als 1979 Diktator Somoza in Nicaragua gestürzt wurde und<br />

der Aufbau einer neuen Gesellschaft begann, wurden die Demokratisierungsbemühungen<br />

über lange Jahre von der Gewerkschaftsjugend<br />

unterstützt. 1,2 Millionen Mark wurden für den Aufbau der<br />

neuen nicaraguanischen Gesellschaft gesammelt. Hunderte von<br />

jungen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern fuhren in das<br />

mittelamerikanische Land, um vor Ort mit anzupacken. Eine Reihe<br />

von Projekten vor Ort wurden explizit gefördert und finanziell sowie<br />

administrativ unterstützt. Die Solidarität mit der nicaraguanischen<br />

Bevölkerung wird bis heute fortgesetzt, auch wenn die politische<br />

Führung gewechselt hat.


10.10.1981 Massendemonstration der „Friedensbewegung“ mit 300.000 TeilnehmerInnen<br />

in Bonn gegen den NATO-Doppelbeschluss.<br />

10.6.1982 NATO-Gipfeltreffen in Bonn, gleichzeitig findet eine Friedensdemonstration<br />

mit 500.000 TeilnehmerInnen statt.<br />

1.10.1982 Der Bundestag wählt nach einem konstruktiven Misstrauensvotum<br />

gegen Helmut Schmidt (SPD) Helmut Kohl (CDU) zum sechsten Bundeskanzler.<br />

Diese Wahl wurde durch den Koalitionsbruch von SPD und F.D.P. möglich.<br />

Durch die Vertrauensfrage erreicht Kohl im Dezember die Auflösung des<br />

Bundestages und macht damit den Weg für Neuwahlen am 6. März 1983 frei.<br />

Bei den Wahlen erreichen CDU/CSU 38,8%, SPD 38,2% und die F.D.P. 6,9%<br />

der Stimmen. Mit 5,6% ziehen die Grünen erstmals in den Bundestag ein.<br />

April 1983 Die Ostermärsche wenden sich gegen die Überrüstung in Ost und<br />

West.<br />

22.10.1983 Höhepunkt einer Aktionswoche der Friedensbewegung gegen die<br />

NATO-Nachrüstung: Eine 108 kilometerlange Menschenkette zwischen Neu-<br />

Ulm und Stuttgart sowie eine Großkundgebung in Bonn. Am 22. November<br />

beschließt der Bundestag gegen die Stimmen von SPD und Grünen, am<br />

NATO-Doppelbeschluss festzuhalten.<br />

Gegen Apartheid<br />

Auch die Gewerkschaften Südafrikas erhalten noch immer <strong>soli</strong>darische<br />

Hilfe, die über Geldspenden hinausgeht. Zur Zeit des Apartheid-Regimes<br />

hat sich die Gewerkschaftsjugend dafür eingesetzt,<br />

dass Südafrika politisch und wirtschaftlich boykottiert wurde. Diese<br />

Forderung ist nicht am „grünen Gewerkschaftstisch“ in der Bundesrepublik<br />

Deutschland entstanden. Vielmehr haben südafrikanische<br />

Gewerkschafter immer wieder deutlich gemacht, dass dies der einzige<br />

Weg sei, von außen das Rassentrennungssystem in die Knie zu<br />

zwingen.<br />

Aber auch Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen sind<br />

die Folgen der Apartheid-Politik noch immer immens. Die Bekämpfung<br />

der Arbeitslosigkeit, Anhebung des Lebensstandards, Verbesserung<br />

des Bildungssystems sind nur einige Maßnahmen, die eine<br />

dauerhafte Demokratisierung unterstützen. 1997 waren in Südafrika<br />

FORTSETZUNG SEITE 30<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 27 RANDSPALTE<br />

Neuordnung der<br />

Metall-Ausbildung<br />

Mitte der achtziger Jahre vereinbarte die IG-Metall nach zähen Verhandlungen<br />

mit den Arbeitgebern eine Neuordnung der industriellen<br />

Ausbildungsberufe. Die bislang 42 Metallberufe wurden zu<br />

sechs „neuen“ mit insgesamt 16 Fachrichtungen zusammengefasst:<br />

Industrie-, Werkzeug-, Zerspannungs-, Konstruktions-, Anlagen-<br />

und Kraftfahrzeugmechaniker. Die Ausbildungsdauer beträgt<br />

einheitlich dreieinhalb Jahre. Die „neuen“ Berufe zeichnen<br />

sich durch eine berufsfeldbreite Grundausbildung aus. Die Spezialisierung<br />

auf die letztendlich ausgeübte Tätigkeit sollte erst sehr spät<br />

in der Ausbildung erfolgen. Damit sollte eine einseitige Ausrichtung<br />

vermieden und die Flexibilität bei Arbeitsplatzwahl und<br />

-wechsel erhöht werden.<br />

Quelle: ´ran, Ausgabe 1, Januar 1985<br />

Die Frauenbewegung<br />

Im Zusammenhang mit der amerikanischen<br />

Bürgerrechtsbewegung und der europäischen<br />

Studentenbewegung entstand Ende der<br />

1960er Jahre eine neue Frauenbewegung. Im<br />

Unterschied zur historischen Frauenbewegung<br />

stand erstmals nicht in erster Linie die rechtliche<br />

Situation von Frauen im Vordergrund, <strong>sonder</strong>n<br />

die feministische Frauenbefreiung und ihr<br />

Recht auf Selbstbestimmtheit.<br />

Obwohl das Grundgesetz Männer und Frauen<br />

verbindlich gleichsetzt, blieb die tatsächliche<br />

Diskriminierung in der Gesellschaft bestehen.<br />

In der Ausbildung und bei der beruflichen Entwicklung,<br />

der Entlohnung und in vielen anderen<br />

Bereichen waren Frauen weiterhin benachteiligt.<br />

Der Kampf der Frauen gegen die Vorherrschaft<br />

der Männer in Staat und Gesellschaft<br />

fand ihren Ausdruck unter anderem bei<br />

der politischen Diskussion um die Abschaffung<br />

des sogenannten Abtreibungsparagraphen<br />

218, die bis heute immer wieder geführt wird.<br />

Mit Frauenzentren, Frauencafés und Frauenhäusern<br />

für misshandelte Frauen sowie der<br />

1977 von Alice Schwarzer gegründeten Frauenzeitschrift<br />

„Emma“ etablierte sich die feministische Frauenbewegung<br />

und wurde zu einem wichtigen Teil der alternativen Bewegung,<br />

die sich in den 70er Jahren formierte. Anfangs erfasste die<br />

neue Frauenkultur lediglich einen Bruchteil der Frauen in der Bundesrepublik.<br />

In den folgenden Jahren entwickelte sie jedoch zunehmend<br />

eine breite politische und gesellschaftliche Relevanz, die bis<br />

heute ihre Wirkung nicht verloren hat. Die Frauenbewegung hat Anteil<br />

an der Entstehung der Partei der Grünen und beeinflusste die<br />

anderen Parteien und vor allem auch die Gewerkschaften.<br />

Die <strong>DGB</strong>- <strong>Jugend</strong><br />

und die Kultur<br />

Als ein Ergebnis des Reformprozesses beschloss die Gewerkschaftsjugend<br />

im November 1982 ein dreijähriges Kulturprojekt. Die Initiative<br />

sollte mit gewerkschaftlich organisierten <strong>Jugend</strong>gruppen neue<br />

Ideen für Kulturarbeiten entwickeln und diese unter Anleitung in die<br />

FORTSETZUNG SEITE 31 RANDSPALTE<br />

29


30<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 29<br />

noch immer rund 52 Prozent der <strong>Jugend</strong>lichen im erwerbsfähigen<br />

Alter von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie leben unter<br />

Bedingungen extremer sozialer Unsicherheit und Armut.<br />

Auch im Ausbildungssektor wirkt das Erbe der Apartheid<br />

fort: Beschränkter Zugang und erhebliche Qualitätsunterschiede<br />

im Ausbildungssystem sind auch heute noch für viele<br />

<strong>Jugend</strong>liche in Südafrika Realität. Die Zielsetzung von organisierten<br />

Maßnahmen der Gewerkschaftsjugend war und<br />

ist deshalb, sich gemeinsam über <strong>Jugend</strong>arbeitslosigkeit auszutauschen<br />

und mögliche Lösungsansätze zu erarbeiten.<br />

Polen<br />

Die Gewerkschaftsjugend hat die polnische Gewerkschaft<br />

„Solidarität“ gleich am Anfang ihres oppositionellen<br />

Daseins unterstützt. Auch als die „Solidarnosc“ ‘’ verboten<br />

wurde, blieben die Verbindungen erhalten. Eine Mittelkürzung<br />

für den deutsch-polnischen <strong>Jugend</strong>austausch konnte<br />

verhindert werden. Zwischen einigen Gewerkschaften und<br />

<strong>DGB</strong>-Landesbezirken existieren kontinuierliche Kontakte zur<br />

Solidarnosc-<strong>Jugend</strong>. Seit 1991 ist die <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong> durch ein<br />

Mandat des Deutschen Bundesjugendringes (DBJR) im<br />

Deutsch-Polnischen <strong>Jugend</strong>rat vertreten.<br />

Frankreich<br />

Seit 1996 wurde die deutsch-französische Zusammenarbeit intensiviert.<br />

Es entwickelte sich eine enge und kontinuierliche Zusammenarbeit<br />

mit der Gewerkschaft CFDT. Darüber hinaus bestehen<br />

Kontakte zur CGT und zur FO. Im Haus der Gewerkschaftsjugend<br />

wurde ein vielschichtiges Serviceangebot aufgebaut, welches den<br />

<strong>Jugend</strong>austausch der beiden Länder unterstützt. Dazu gehört unter<br />

anderem eine gemeinsame deutsch-französische Arbeitsgruppe mit<br />

der CFDT, in der Kontakte geknüpft und vertieft, inhaltliche Fragen<br />

bearbeitet sowie Fortbildungen angeboten werden.<br />

Internationaler Austausch<br />

Wer weiß schon, wie spanische <strong>Jugend</strong>liche ihre Zukunft beurteilen,<br />

wenn in etlichen Gegenden Spaniens jeder zweite <strong>Jugend</strong>liche<br />

nach der Schule ohne Arbeit und Ausbildung ist? Wie sehen israelische<br />

<strong>Jugend</strong>liche die Bundesrepublik Deutschland? Wie leben<br />

russische <strong>Jugend</strong>liche nach Glasnost und Perestroika, der Öffnung<br />

der Grenzen und dem Zusammenbruch der sowjetischen Einheit?<br />

Der internationale politisch-kulturelle <strong>Jugend</strong>austausch gehört zur<br />

Arbeit der Gewerkschaftsjugend. Den eigenen Horizont zu erweitern,<br />

sich offen machen für andere Kulturen, für andere politische<br />

Ansichten, verstehen, dass die deutsche Art, Arbeit und Leben zu<br />

bewältigen, nicht die einzige Möglichkeit ist, sich gesellschaftlich<br />

zu betätigen – das sind einige Ziele der internationalen Austausch-<br />

Maßnahmen. Dabei geht es nicht allein um die individuelle Erweiterung<br />

des Horizontes: Internationaler Austausch bedeutet Völkerverständigung,<br />

Abbau von Spannungen und Vorurteilen sowie aktive<br />

Mitarbeit an der Friedenssicherung.<br />

Investition in die Zukunft – Weltjugendtreffen Jamaika 1991<br />

Fünf Tage lang hielten sich jugendliche GewerkschafterInnen<br />

aus aller Welt 1991 auf der Karibikinsel Jamaika auf, wo das bislang<br />

letzte Weltjugendtreffen der Gewerkschaftsjugend stattfand. Der<br />

<strong>DGB</strong> und seine Gewerkschaften stellten mit 394 Delegierten die<br />

„Die Leistungsfähigkeit internationaler<br />

<strong>Jugend</strong>arbeit wird sich in den nächsten<br />

Jahren daran messen müssen, ob<br />

es gelingt, den Abstand zwischen den<br />

internationalen und den nationalen<br />

Arbeitsebenen der <strong>Jugend</strong>verbände<br />

und -gremien zu verkürzen und mit<br />

geringeren finanziellen und personellen<br />

Kapazitäten auf die Herausforderungen<br />

zu reagieren“, hieß es 1998 im<br />

Bericht der <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong> zur Bundesjugendkonferenz.<br />

größte Gruppe unter den etwa 2.400 TeilnehmerInnen aus 74 Ländern.<br />

Auch bei der konkreten Soli-Arbeit kam das größte Projekt im<br />

Rahmen des Weltjugendtreffens von der <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong>. Sie brachte<br />

einen Rundfunk-Sender mit auf die Insel. Für die Dauer des Treffens<br />

strahlte eine deutsch-jamaikanische Redaktion rund um die Uhr ein<br />

viersprachiges Radioprogramm aus. Nach dem Treffen bleibt der<br />

Sender auf der Insel. Kurze Zeit später nahm „Radio Mona“ als fünfter<br />

Radiosender auf Jamaika den regelmäßigen Sendebetrieb auf.<br />

Über die Erfahrungen während des Aufenthaltes und über die<br />

Lebensumstände jamaikanischer ArbeiterInnen berichtete die SOLI,<br />

Zeitschrift der <strong>DGB</strong> <strong>Jugend</strong>, im September 1991. Hier einige Auszüge<br />

aus der Dokumentation:<br />

Viele junge Jamaikaner wandern aus, weil ihnen ihr Land keine<br />

Perspektiven bieten kann. Jamaika ist ein Entwicklungsland, das Leben<br />

ist teuer, die Verdienstmöglichkeiten gering und es gibt ein<br />

großes Gefälle zwischen Arm und Reich. Jeder dritte Jamaikaner lebt<br />

Foto: Klaus-Jürgen Eichhorst<br />

AUF DEM WELTJUGENDTREFFEN<br />

IN JAMAICA


unterhalb der Armutsgrenze von weniger als 220 Mark im Monat.<br />

Von jedem in Jamaika erwirtschafteten Dollar müssen 60 Cent für<br />

die Schulden des Landes aufgebracht werden. Die Regierung der<br />

Karibikinsel hat größte Schwierigkeiten, eine Balance zwischen den<br />

Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und einer ausreichenden<br />

Grundversorgung der eigenen Bevölkerung zu finden.<br />

Die TeilnehmerInnen konnten ihr theoretisches Wissen über die<br />

Lebensbedingungen der Menschen in Entwicklungsländern in Jamaika<br />

mit eigenen Augen verifizieren und brachten gleichzeitig der<br />

zum britischen Königreich gehörenden Inselrepublik dringend<br />

benötigte Einnahmen ins Land. Für die GewerkschafterInnen aus<br />

den Industrieländern war das Zusammentreffen mit den KollegInnen<br />

eine wichtige Erfahrung. Das findet auch Heike Paul vom Bezirksjugendausschuss<br />

der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen<br />

(HBV) aus Berlin(-Ost): „Ich habe erfahren, wie Gewerkschaften<br />

in anderen Ländern arbeiten und welche Probleme es gibt.<br />

Vor allem habe ich gelernt, dass es wichtig ist, über den eigenen<br />

Tellerrand zu schauen.“ Ihre Kollegin Anne Lange aus Hameln ergänzt:<br />

„Unsere Probleme werden in Diskussionen mit den Gewerkschaftern<br />

aus der Dritten Welt relativiert.“ „Be<strong>sonder</strong>s die Konferenz<br />

über Gewerkschafts- und Menschenrechte ist mir unter die Haut gegangen“,<br />

berichtet Ute Ellbracht. Sie sei berührt gewesen von den<br />

Berichten der Kolleginnen und Kollegen aus den Entwicklungsländern,<br />

deren Rechte oft genug mit Füßen getreten werden. Allein in<br />

den letzten 15 Monaten vor dem Treffen wurden, einem IBFG-Bericht<br />

zufolge, weltweit 264 Gewerkschafter ermordet, weil sie gewerkschaftliche<br />

Rechte einforderten.<br />

Im Mittelpunkt stand der Austausch gemeinsamer Erfahrungen.<br />

Regina Görner, damals im <strong>DGB</strong> Bundesvorstand zuständig für <strong>Jugend</strong>fragen,<br />

bezeichnete das Weltjugendtreffen als eine „Investition<br />

in die Zukunft“. Die GewerkschafterInnen, die an den Weltjugendtreffen<br />

teil genommen hätten, würden mit dem Bewusstsein nach<br />

Hause fahren, dass die Probleme der Menschheit nur global zu lösen<br />

seien. Diese Erkenntnis sei das, „was die Gewerkschaften für die Zukunft<br />

brauchen“, so Regina Görner. ■<br />

13.12.1984 In der deutschen Botschaft in Prag treten 40 DDR-Flüchtlinge in<br />

den Hungerstreik, um ihre Ausreise in den Westen zu erzwingen. Im Januar<br />

des folgenden Jahres kehren die letzten von insgesamt 350 Flüchtlingen in<br />

die DDR zurück, nachdem ihnen Straffreiheit und die Bearbeitung ihrer<br />

Ausreiseanträge zugesichert wurde.<br />

10.3.1985 Michail Gorbatschow wird Generalsekretär der KPdSU.<br />

22.5.1985 Die NATO-Verteidigungsminister einigen sich in Brüssel auf eine<br />

Verstärkung der konventionellen Rüstung.<br />

26.4.1986 In einem Kernkraftwerk in Tschernobyl schmilzt der Reaktorkern<br />

und verursacht die bisher größte bekanntgewordene Katastrophe in der<br />

Geschichte der Kernenergie. Auch in der Bundesrepublik werden erhöhte<br />

Strahlungswerte gemessen.<br />

9.6.1987 Trotz großem Polizeiaufgebot fordern rund 3000 Menschen in<br />

Sprechchören in Ostberlin Freiheit und den Abriss der Mauer.<br />

1.10.1988 Michail Gorbatschow wird zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets<br />

gewählt.<br />

1.2.–12.5.1989 28 Gefangene der Rote-Armee-Fraktion (RAF) treten in einen<br />

Hungerstreik, um die Zusammenlegung der RAF-Gefangenen zu erreichen.<br />

2.5.1989 Ungarn beginnt mit dem Abbau der Grenzbefestigungen zu Österreich.<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 29 RANDSPALTE<br />

Praxis umsetzen. Insgesamt wurden zehn Kulturgruppen betreut.<br />

Themen waren Theater, Video, Foto und Gipsskulpturen. In einem<br />

Interview mit der ´ran beschrieb der Leiter des Projektes, Jürgen<br />

Krings, die Motivation: „Wichtig ist es, dass sich die <strong>Jugend</strong>lichen<br />

mit ihrer erlebten Wirklichkeit auseinander setzen sollen. In welchem<br />

sozialen Umfeld leben und arbeiten sie, welche Wünsche und<br />

Bedürfnisse haben sie. Genau an diesem Punkt muss auch die Gewerkschaftsarbeit<br />

ansetzen.“<br />

Mitte der achtziger Jahre gab die Abteilung <strong>Jugend</strong> eine Broschüre über<br />

Erfahrungen gewerkschaftlicher <strong>Jugend</strong>kulturgruppen heraus. Damit<br />

sollten Anregungen gegeben werden und die <strong>Jugend</strong>lichen<br />

wurden ermuntert, selbst kulturell etwas auf die Beine zu stellen.<br />

Quelle: ´ran, 1. Februar 1985<br />

Die <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong><br />

und der Frieden<br />

Auch die Gewerkschaftsjugend war aktiv an der Friedensbewegung beteiligt<br />

und organisierte eine Reihe von Aktionen. So radelten zum<br />

Beispiel im Mai 1985 junge GewerkschafterInnen für den Frieden<br />

quer durch die Bundesrepublik. Sie demonstrierten damit für ein<br />

atomwaffenfreies Europa. Hunderte junge Menschen nahmen teil<br />

und verteilten von Rosenheim über Bremerhaven bis Mainz Flugblätter,<br />

legten Kränze an KZ-Gedenkstätten nieder und bestritten<br />

zahlreiche Veranstaltungen. Auf der Abschlusskundgebung in Mainz<br />

unterstrich <strong>DGB</strong>-Vorstandmitglied Ilse Brusis die Forderungen der<br />

Gewerkschaftsjugend: „Wir verlangen von den Regierungen der<br />

USA und der UdSSR, eine zunächst 300 km breite atomwaffenfreie<br />

Zone zwischen den Blöcken zu vereinbaren. Wir verlangen, dass sie<br />

ein Zeichen setzen, dass sie die Ernsthaftigkeit ihrer Verhandlungen<br />

unter Beweis stellen.“<br />

Der <strong>DGB</strong> rief 1985 nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichtes in<br />

Hamm das Bundesarbeitsgericht in Kassel an. Die Hammer Richter<br />

hatten entschieden, dass Arbeitnehmer, die sich am 5. Oktober<br />

1983 an der <strong>DGB</strong>-Aktion „Fünf Mahnminuten für den Frieden“ beteiligt<br />

hatten, rechtswidrig handelten. In der Urteilsbegründung<br />

hieß es: Wer im Betrieb dem <strong>DGB</strong>-Aufruf gefolgt war, hat sich rechtlich<br />

betrachtet einer „objektiv unzulässigen, politisch motivierten<br />

Arbeitsniederlegung schuldig“ gemacht.<br />

1986 bezog der <strong>DGB</strong> klare Stellung gegen die Pläne der Bundesregierung,<br />

sich an der „Strategic Defense Initiative“ – kurz SDI-Projekt –<br />

zu beteiligen. Das amerikanische Forschungsprojekt zur Stationierung<br />

von Waffen im Weltraum stieß beim <strong>DGB</strong> auf wenig Unterstützung.<br />

In einem Positionspapier dazu heißt es: „Die Aufrüstung des<br />

Weltraumes hält Forschung und Wissenschaft von der Lösung der<br />

dringenden Probleme der Menschheit ab. Der Nutzen militärischer<br />

Forschung und Entwicklung für den zivilen Bereich ist relativ gering.<br />

Daraus folgt: Es ist volkswirtschaftlich erheblich sinnvoller, Forschungsmittel<br />

direkt in die Entwicklung der notwendigen zivilen<br />

Technologien zu investieren.“<br />

Quelle: ´ran, Jahrbände 1985 und 1986<br />

12. Bundesjugendkonferenz<br />

des <strong>DGB</strong><br />

Im November 1985 fand in Köln die 12. Bundesjugendkonferenz<br />

des <strong>DGB</strong> statt. 140 Delegierte aus 17 <strong>DGB</strong>-Gewerkschaften diskutierten<br />

die Arbeit der vergangenen vier Jahre und wollten über nicht weniger<br />

als 187 Anträge beschließen. Nach zum Teil heftigen und kontroversen<br />

Diskussionen mussten allerdings weit über die Hälfte der Anträge zur<br />

FORTSETZUNG SEITE 33 RANDSPALTE<br />

31


32<br />

1992 FUHREN 12O JUGENDLICHE DURCH E UROPA<br />

B OTSCHAFTER FÜR EIN OFFENES<br />

UND SOZIALES E UROPA<br />

Ein internationales Fest<br />

an ungewöhnlichem Ort:<br />

Im Juni 1992 treffen sich<br />

<strong>Jugend</strong>liche aus allen Teilen<br />

Europas in Frankfurt an der<br />

Oder. An der deutsch-polnischen<br />

Grenze sind für<br />

zwei Tage alle Kontrollen<br />

außer Kraft gesetzt. Der Anlass:<br />

Drei Wochen lang fuhren<br />

120 <strong>Jugend</strong>liche mit<br />

Foto: Petra Schulz<br />

dem Zug durch die Länder<br />

der EU und ihrer östlichen Nachbarländer. Die <strong>Jugend</strong>lichen aus<br />

den Gewerkschaften der EU-Länder wollten für ein grenzenloses<br />

Europa werben.<br />

Glanzvolle Städtenamen beherrschen die Etappenziele des europäischen<br />

<strong>Jugend</strong>zuges: Kopenhagen, Amsterdam, Brüssel, Paris,<br />

Barcelona, Mailand, Wien, Prag, Göteborg und wieder Kopenhagen.<br />

Einzige Ausnahme: Mit der Auswahl der deutsch-polnischen<br />

Grenzstadt Frankfurt an der Oder/Slubice soll den jungen Europäer-<br />

Innen die Lage in der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung<br />

gezeigt werden. Doch zuvor haben die „Züglinge“<br />

einiges zu erleben.<br />

Dunkle politische Wolken brauen sich beim Start des Zuges im<br />

dänischen Kopenhagen zusammen. Die Auseinandersetzungen<br />

über die Beteiligung Dänemarks an der Europäischen Union gehen<br />

so weit, dass extreme politische Flügel von rechts und links mit einer<br />

Störung der Auftaktveranstaltung drohen. Nicht einmal vor<br />

Morddrohungen gegen den dänischen Ministerpräsidenten<br />

schrecken sie zurück. So wird die öffentliche Veranstaltung in Kopenhagen<br />

kurzfristig abgesagt; die zuvor zwischen den Organisationen<br />

im Europäischen Gewerkschaftsbund ausgehandelte<br />

Europäische <strong>Jugend</strong>charta tritt über Amsterdam und Brüssel den<br />

Weg nach Paris an.<br />

K OPENHAGEN ➣ A MSTERDAM ➣ B RÜSSEL ➣ B ARCELONA ➣ M AILAND ➣ W IEN ➣<br />

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit<br />

Schon während dieses ersten Teilstücks der rund drei Wochen<br />

dauernden Reise gibt es endlose Diskussionen. Die TeilnehmerInnen<br />

aus Belgien, der CSFR, aus Dänemark, Deutschland, Frankreich,<br />

Großbritannien, aus Irland, Italien, Malta und den Niederlanden,<br />

aus Österreich, Polen, Schweden und Spanien diskutieren schnell,<br />

dass die politische Botschaft der ZugteilnehmerInnen an die europäischen<br />

Völker auch in die Öffentlichkeit getragen werden muss.<br />

Die Zugleitung des Europäischen Gewerkschaftsbundes hatte das<br />

ganz anders geplant. Weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit<br />

sollte die Charta in den jeweiligen Gastgeberländern lediglich<br />

von den Gewerkschaftsspitzen unterzeichnet werden, die Fahrt<br />

dann weitergehen zum nächsten Ort. Kurz vor Erreichen der französischen<br />

Hauptstadt aber führen die schwierigen Diskussionen<br />

schließlich zum Erfolg. Am Place Boubou, gleich neben dem weltberühmten<br />

Centre Pompidou, werden kurze Zeit später die politischen<br />

Forderungen und die Workshopergebnisse der Pariser Öffentlichkeit<br />

vorgestellt.<br />

Am Abend eine innereuropäische Grenze, die sich für einige<br />

Teilnehmer beinahe als unüberwindlich erweist: Die drei Solidarnosc-Mitglieder<br />

Elizabeth, Christina und Bogdan dürfen die spanische<br />

Grenze nicht passieren, zwischen Spanien und Polen existiert<br />

kein Reiseabkommen. Erst nach langen Verhandlungen und persönlichen<br />

Bürgschaften von Gewerkschaftsfunktionären der spanischen<br />

CC.OO und UGT kann die Reise weiter gehen. Mitten hinein in den<br />

Generalstreik der beiden Gewerkschaften. Mitten hinein? Mitnichten.<br />

Statt ins Zentrum Barcelonas werden die „Züglinge“ mit Bussen<br />

in ein Kloster gefahren. In der rund zwanzig Kilometer ausserhalb<br />

liegenden Abtei informieren spanische Kollegen über die Hintergründe<br />

des Generalstreiks, unten in der Stadt wird währenddessen<br />

ein lokaler Streikführer brutal festgenommen.<br />

Mailand, Wien, Prag, keine be<strong>sonder</strong>en Vorkommnisse. Doch<br />

halt: Während die Zugbesatzung in Prag ihre Delegationspflichten<br />

erledigt, rauben offensichtlich gut organisierte und vorbereitete Diebesbanden<br />

den Zug aus. Auch das ist ein Teil europäischer Realität.<br />

Einige besitzen am Abend nur noch, was sie am Leibe tragen.<br />

Unterschiedliche Erfahrungen mit Grenzen stehen kaum 24<br />

Stunden später im Mittelpunkt der Diskussion, die in Frankfurt/Oder<br />

stattfindet. Während die einen gerade erfahren haben, dass man EU-<br />

Staaten teilweise ohne Pass und Personalausweis durchqueren kann,<br />

haben die anderen noch im Sinn, welche Schwierigkeiten sie an der<br />

spanischen Grenze hatten. Manche erinnern sich an die Rechtsextremisten,<br />

die die in Frankfurt/Oder ankommenden polnischen Busse<br />

mit Steinen bewarfen.<br />

Die Idee einer multikulturellen Gesellschaft, eines Europa ohne<br />

Grenzen – im Zug der europäischen Gewerkschaften durch Europa<br />

war all das Realität. Die Idee zog sich wie ein roter Faden auch durch<br />

P RAG<br />

Foto: Petra Schulz


➣ F RANKFURT/ODER ➣ S LUBICE ➣<br />

Foto: Udo Böhlefeld<br />

viele der Veranstaltungen<br />

an der Reiseroute<br />

der 120<br />

jungen GewerkschafterInnen.<br />

Heinz-Werner Meyer,<br />

damals Vorsitzender<br />

des DeutschenGewerkschaftsbundes,<br />

zog<br />

– sicher stellvertretend<br />

für die Meinung vieler Beteiligter in Frankfurt/Oder – sein Fazit:<br />

„Grenzen, das bedeutet immer auch Misstrauen gegenüber demjenigen,<br />

der auf der anderen Seite der Grenze steht. Und Misstrauen ist von<br />

jeher Ausgangspunkt kalter oder heißer Auseinandersetzungen gewesen.<br />

Mit der Überwindung dieser Grenzen, mit der Ablehnung von Ausländerfeindlichkeit<br />

und dem Aufbau von Freundschaft und Vertrauen<br />

kann diese Stadt ein Symbol für die Grenzüberschreitung zur Zukunft<br />

werden!“ ■<br />

G ÖTEBORG ➣ K OPENHAGEN<br />

13.5.1989 Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking beginnen mehrere<br />

tausend Studenten einen Hungerstreik. Am 4. Juni beendet das chinesische<br />

Militär mit einem blutigen Massaker die Proteste. Die Angaben<br />

über Zahl der Toten schwanken zwischen 2500 und 7000.<br />

August 1989 In der ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin sowie<br />

in den Bonner Botschaften in Budapest und Prag versuchen hunderte<br />

DDR-Flüchtlinge ihre Ausreise in den Westen zu erreichen.<br />

September 1989 Immer mehr Ausreisewillige halten sich in ungarischen Auffanglagern<br />

auf. Am 11. des Monats genehmigt Ungarn die Ausreise aller<br />

Flüchtlinge in den Westen. Tausende treffen in Bayern ein. Gleichzeitig<br />

gehen die sogenannten Montagsdemonstrationen in Leipzig und anderen<br />

Städten weiter. Bundesaußenminister Genscher verkündet, dass alle Botschaftsflüchtlinge<br />

ausreisen können. Am 1. Oktober beginnt die erste<br />

Massenausreise. Fast 7000 Flüchtlinge treffen in der Bundesrepublik ein.<br />

2.10.1989 Mit Gewalt beendet die Volkspolizei in Leipzig die mit rund<br />

20.000 TeilnehmerInnen bisher größte Demonstration für mehr Demokratie.<br />

Am 9. des Monats duldet die Volkspolizei eine Demonstration mit<br />

mehr als 50.000 TeilnehmerInnen. Der Aufruf „Wir sind das Volk – Keine<br />

Gewalt“, der über den Rundfunk verbreitet wird, verhindert blutige Zusammenstöße<br />

mit den Sicherheitskräften.<br />

4.–10.11.1989 In Ostberlin demonstrieren rund 500.000 Menschen. Am 9.<br />

November gibt Günther Schabowski, Mitglied des Politbüros, überraschend<br />

die Öffnung der Grenzen zur Bundesrepublik und Westberlin bekannt.<br />

Am Abend drängen Tausende von OstbürgerInnen nach Westberlin.<br />

Am Morgen des 10. November besuchen Hunderttausende die grenznahen<br />

Städte und Westberlin. Bei einer Kundgebung vor dem Schöneberger<br />

Rathaus prägt der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt den Satz:<br />

„Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört.“<br />

28.11.1989 Bundeskanzler Helmut Kohl legt ein „10-Punkte-Programm zur<br />

Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas“ vor, das letztendlich<br />

zur Wiedervereinigung führen soll.<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 31 RANDSPALTE<br />

Weiterberatung an den Bundesjugendausschuss überwiesen werden.<br />

Dies zeigt, dass der Gewerkschaftsjugend die Klärung wichtiger<br />

politischer Probleme mehr wert ist als die sture Bewältigung von Antragspaketen.<br />

Die wichtigsten Themen waren „Zukunft der Arbeit“,<br />

„Neue Technologien“, „Berufliche Bildung“ und „internationale Solidarität“<br />

unter anderem mit Nicaragua und der unterdrückten schwarzen<br />

Bevölkerung in Südafrika. Erhebliches Gewicht wurde auch auf die<br />

Klärung der Frage gelegt, mit welchen anderen politischen Gruppen<br />

die Gewerkschaftsjugend zusammenarbeiten soll. Die unterschiedlichen<br />

Standpunkte zur Bündnispolitik wurden in den Medien zur „Zerrissenheit“<br />

der Gewerkschaftsjugend hochgespielt.<br />

In den entscheidenden gewerkschaftlichen Fragen zeigten die Delegierten<br />

Geschlossenheit: Eine Entschließung gegen die von der Bundesregierung<br />

angestrebte Aushöhlung des Streikrechts durch die Änderung<br />

des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes wurde einstimmig angenommen.<br />

Bereits zu Beginn der Konferenz hatte das für <strong>Jugend</strong>arbeit<br />

zuständige <strong>DGB</strong>-Bundesvorstandsmitglied Ilse Brusis großen Beifall für<br />

die deutlichen Worte gegen den Abbau von Gewerkschaftsrechten bekommen:<br />

„Wir lassen nicht zu, dass die Situation der Arbeitnehmer<br />

Stück für Stück verschlechtert wird. Wir lassen nicht zu, dass unsere gewerkschaftlichen<br />

Handlungsmöglichkeiten Stück für Stück beschnitten<br />

werden. Wer den § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes so ändern will,<br />

dass mittelbar von Arbeitskämpfen Betroffene kein Geld mehr von den<br />

Arbeitsämtern bekommen sollen, will die Gewerkschaften kampfunfähig<br />

machen! Das werden wir uns nicht gefallen lassen!“<br />

Mahnende Worte richtete <strong>DGB</strong>-Vorsitzender Ernst Breit an die jungen<br />

GewerkschafterInnen. Untersuchungen hätten gezeigt, dass die<br />

Gewerkschaften an Rückhalt in der <strong>Jugend</strong> zu verlieren. Die gewerkschaftliche<br />

<strong>Jugend</strong>arbeit müsse daher an die speziellen Bedürfnisse der<br />

<strong>Jugend</strong> anknüpfen. „Dazu gehören auch solche, die nicht politischer<br />

Art sind. Ich rede damit nicht einer Freizeit- und Reiseorganisation das<br />

Wort. Aber ich sage: Gewerkschaftliche <strong>Jugend</strong>arbeit muss auch Spaß<br />

machen – vor allem denjenigen, die wir als Mitglieder gewinnen wollen“,<br />

meinte der <strong>DGB</strong>-Chef. Die Aufgabe der <strong>Jugend</strong>funktionäre des<br />

<strong>DGB</strong> sei es, die Bedürfnisse, Hoffnungen und Ängste <strong>Jugend</strong>licher an<br />

die Gewerkschaften weiterzugeben. Das erfordere zwingend den nötigen<br />

politischen Freiraum.<br />

Dass es innerhalb der Gewerkschaftsjugend noch nötigen Bewegungsraum<br />

gibt, zeigte die Zusammensetzung der Konferenz: Das<br />

Durchschnittsalter betrug 27 Jahre, nur ein Fünftel der Delegierten war<br />

weiblichen Geschlechts. Die ausländischen Kolleginnen und Kollegen<br />

kamen auf ganze zwei Delegierte. Man darf gespannt sein, inwieweit<br />

die <strong>DGB</strong>-<strong>Jugend</strong> hier in den kommenden Monaten etwas näher an die<br />

selbstgesetzten Ansprüche herankommt.<br />

Aus: ´ran, Dezember 1985, 15. Jahrgang, Heft 12, Seite 50<br />

Foto: Manfred Vollmer<br />

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