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sonder-soli 2 (Page 1) - DGB-Jugend

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6<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 5<br />

schine eines Sägewerkes und trägt schwere Verletzungen davon.<br />

Strafe für den Unternehmer: 50 Mark!<br />

„Ausbeutung Tag für Tag, gesichert durch den Lehrvertrag“,<br />

schreibt die Essener Lehrlingsgruppe zum Ergebnis ihrer Fragebogenaktion<br />

zur Situation gewerblicher Lehrlinge; eine von zahlrei-<br />

chen Aktionen, mit denen Lehrlinge überall<br />

in der Bundesrepublik ihre Forderung<br />

nach einer Reform der Berufsbildung untermauern:<br />

„Unsere Fragebogenaktion hat<br />

ergeben: „77% der Lehrlinge machen berufsfremde<br />

Arbeiten, 16% werden teils<br />

massiv unter Druck gesetzt, 46% machen<br />

oft bis zu 20 Überstunden pro Woche,<br />

44% sind mit ihrer Ausbildung unzufrieden.“<br />

Eine spezielle Interessenvertretung<br />

¥ 1970 ¥<br />

Der Spiegel 18: 1969 wies BASF<br />

die Lehrlinge an, „sich vor keiner<br />

Arbeit zu drücken“, sich zum Aufsuchen<br />

der Toilette beim Ausbilder<br />

ab- und zurückzumelden“, „zeitig<br />

zu Bett zu gehen“, „immer an seine<br />

Zukunft zu denken“ und „froh<br />

und höflich zu grüßen“.<br />

der Lehrlinge gibt es nicht. Mit Beschwerden müssen sich die Lehrlinge<br />

an die Kreishandwerkerschaft oder die Industrie- und Handelskammer<br />

wenden: Die kontrolliert werden sollen, kontrollieren sich<br />

selbst.<br />

Der <strong>DGB</strong> erkennt, dass es in den Betrieben gärt und mahnt die<br />

Politiker Ende 1968 zum raschen Handeln: „Heute die Studenten.<br />

Morgen die Lehrlinge.“ Doch das neue Berufsbildungsgesetz, das<br />

der Bundestag 1969 verabschiedet, bleibt weit hinter den Forderungen<br />

der Lehrlinge zurück. Mit der Ruhe in den Betrieben ist es nun<br />

endgültig vorbei. Auch in den Gewerkschaften: Bei der vom <strong>DGB</strong> organisierten<br />

1. Lehrlingsdemonstration und -kundgebung im Juni 69<br />

in Köln kommt Maria Weber vom <strong>DGB</strong>-Bundesvorstand kaum zu<br />

Wort. Sprechchöre werden laut: „Diskussion statt Blabla.“ „Bisher<br />

haben wir nur den Mund gespitzt, jetzt wird gepfiffen“, heißt es bei<br />

einer Demonstration Hamburger Lehrlinge und Jungarbeiter im November<br />

1968 für mehr Mitbestimmung in Betrieb und Schule. Die<br />

Hamburger werden zu Vorreitern in Sachen Lehrlingsbewegung, sie<br />

veranstalten das erste Lehrlingshappening, ein „Feg-in“ in der City,<br />

geben bald eine eigene Zeitung heraus, die „LZ“, die auch an Kritik<br />

an bürokratischen Strukturen innerhalb der Gewerkschaft nicht<br />

spart, und sie gründen auch den ersten Lehrlingstreff, den sogenannten<br />

„Jour fix“.<br />

Nach seinem Vorbild entstehen Anfang der 70er Jahre überall in<br />

der Bundesrepublik Lehrlingszentren, „Jour fixe“ oder zumindest<br />

lose Arbeitsgemeinschaften. Zum Teil mit Unterstüt-<br />

zung der Gewerkschaften, manchmal aber auch<br />

gegen sie.<br />

Nicht nur in Großstädten organisieren sich die<br />

Lehrlinge, auch auf dem platten Land. Zum Beispiel<br />

in Neuwied. Gerd Andres: „Großbetriebe gibt es<br />

dort kaum, fast nur kleinere Krauter. Ein Lehrling<br />

musste im Einzelhandel 14 Tage lang Salami-Schimmel<br />

entfernen, ein anderer verbrachte die Hälfte seiner<br />

Ausbildung auf dem Bau, Schläge waren keine<br />

Seltenheit.“ Die Lehrlinge machen die Missstände<br />

Die Welt, 17.9.1957: „DIHT meint: Lehre kein Arbeitsvertrag“<br />

– Der Lehrvertrag ist kein Arbeitsvertrag,<br />

er regelt vielmehr ein Erziehungs- und<br />

Ausbildungsverhältnis. Diese Feststellung trifft<br />

der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) in<br />

einer Entschließung. Bedauerlicherweise sei<br />

durch die tarifvertragliche Festsetzung von Erziehungsbeihilfen<br />

ein Element in die Regelung der<br />

Lehrverhältnisse eingedrungen, das sich bei dem<br />

zunehmenden Mangel an <strong>Jugend</strong>lichen störend<br />

bemerkbar mache. Die Höhe der Erziehungsbeihilfe,<br />

die fälschlicherweise als „Lehrlingslohn“ bezeichnet<br />

werde, gewinne bei der Werbung um<br />

den <strong>Jugend</strong>lichen zunehmende Bedeutung und<br />

beeinflusse die Berufswahlentscheidung nachteilig.<br />

Der DIHT vertritt daher die Auffassung, dass<br />

die Regelung der Erziehungs- und Ausbildungsbeihilfen<br />

nicht in den Lohn- und Tarifverträgen<br />

erfolgen soll.<br />

öffentlich und nennen Namen. Die Unternehmer wehren sich natürlich<br />

dagegen, an den Pranger gestellt zu werden, zum Beispiel in Essen<br />

mit den sogenannten „Lehrlingsprozessen“.<br />

Die Qualität der Ausbildung ist öffentliches Gesprächsthema.<br />

Der <strong>DGB</strong> bemüht sich, mehr auf die Forderungen seiner jungen Mitglieder<br />

einzugehen, und erklärt das Jahr 1971 zum „Jahr der jungen<br />

Arbeitnehmer“. Gerd Andres: „Als wir mit unserer Gruppe in der <strong>Jugend</strong>sendung<br />

,direkt' im Fernsehen auftraten, kam das im Westerwald<br />

erstmal einer halben Revolution gleich. Nachdem wir einem<br />

Handwerksmeister, der regelmäßig seinen Lehrling schlug, eine Ehrenurkunde<br />

für außerordentlich effiziente Ausbildungserfolge überreichten<br />

und das ganze mit Flugblättern und Presseartikeln öffentlich<br />

machten, meinten anfangs noch viele, wie kann man nur einen<br />

ehrbaren Handwerksmeister so mit Dreck beschmeißen. Aber mit<br />

der Zeit hatten wir immer mehr Leute auf unserer Seite. Selbst der<br />

Pastor sprach in der Kirche über die Missstände. Wir merkten bald,<br />

dass unsere Aktionen einiges im öffentlichen Bewusstsein in Gang<br />

setzten. ■<br />

Anne Graef (´ran, Juli 1987, 17. Jahrgang, Heft 7, Seite 43–45)

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