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JAZZ<br />

jazz mit heissem atem<br />

Von Benedikt Güntert (Bild: zVg.)<br />

■ Joe Zawinul, geboren in Wien 1932, ist trotz seines<br />

Alters nicht zu einer Legende des Jazz mutiert:<br />

Frisch wie ein Sportsmann führt er noch immer seine<br />

Band wie eine Akademie und treibt sie auf Tour<br />

zu Höchstleistungen.<br />

Seine Herkunft ist schon aussergewöhnlich für<br />

einen europäischen Jazz-Musiker: Zawinul wuchs<br />

auf zwischen Vaters Akkordeonklängen in einem<br />

Wiener Arbeiterviertel und Grossmutters kinderreichem<br />

Kleinbauerngut in Stadtnähe. Die zweite<br />

Grossmutter ist eine Sintiza aus Ungarn. Das Leben<br />

war h<strong>art</strong> und arm, die Musik jedoch das starke Band,<br />

das die Familie verknüpfte. So griff auch Josef früh<br />

zum Akkordeon, stimmte in die Volkslieder ein, und<br />

wurde mit seinem Gefühl für Rhythmen bald zu einem<br />

Leader der Stubenmusik. Am Konservatorium,<br />

kurz nach den Kriegsjahren, hörte er erstmals, was<br />

aus den Vereinigten Staaten kam. Dank den neuen<br />

Tönen von Fats Waller fi ng er Feuer für schwarzen<br />

Jazz, der ja auch im armen Milieu entstand. Er übte<br />

ihnen nach, spielte in europäischen Bands, doch<br />

Ende der fünfziger Jahre zog es ihn nach den USA,<br />

wo er sich bald dem grossen Canonball Adderley anschliessen<br />

sollte.<br />

Eine neue Schule begann für ihn. Bis er eines Tages<br />

- war es im wilden Umbruchjahr 68? – befand,<br />

er wolle nie mehr so tönen wie seine Lehrmeister. Er<br />

schweisste alle seine LPs ein und begann von vorn<br />

mit Spielen und Komponieren. Das war der Beginn<br />

einer gross<strong>art</strong>igen Epoche, die Geburt des Fusion-<br />

Jazz. Er war mitten in der kreativen jungen schwarzen<br />

New Yorker Jazz-Szene, begleitete Dizzy und<br />

Miles Davis. Der befand einmal zu seinen Rhythmen:<br />

«it’s not black, it’s not white, but it grooves harder<br />

than anything», zu seinen Bassläufen meinte er, niemand<br />

schreibe solche wie Zawinul. Der begann nach<br />

einer ersten Solo-LP («Zawinul» 1970) mit Trompeter<br />

Wayne Shorter und Bassist Jaco Pastorius zu<br />

spielen. Kurz darauf entdeckte die Welt hinter psychedelischen<br />

Plattenhüllen der Gruppe «Weather<br />

Report» eine neue Art von impulsivem Jazz. Fusion?<br />

Ja, da war Rock dabei, Psycho, Ethno… und der unbe-<br />

kannte, prägende Klang von Zawinuls elektrischem<br />

Keyboard, welcher den Stücken einen wilden Atem<br />

verlieh. «Weather Report» wurde zur ersten Jazzformation,<br />

die in Pop-Gefi lden Anklang fand, sogar<br />

deren Ch<strong>art</strong>s erklomm, mit Zawinuls Komposition<br />

«Birdland», einer Ode an New Yorks umstrittensten<br />

Club. Fast zwanzig Jahre später sollte er in Wien sein<br />

eigenes, neues Birdland eröffnen. (Ein heisser Tipp<br />

für Wien-Reisende!)<br />

Zawinul, den viele wie die übrigen Weather Reporter<br />

für einen Schwarzen hielten, und die meisten<br />

für den schwärzesten aller weissen Musiker, hatte<br />

den Jazz revolutioniert, hatte mit einem neuen<br />

Instrument, dem Keyboard, neue Phrasen und Energien<br />

eingeführt. Und war einer der wenigen europäischen<br />

Jazzer, die sich in der amerikanischen<br />

Jazzwelt durchsetzen konnten.<br />

Bei alledem pfl egte der starke Kerl noch ein anderes<br />

Leben, sein liebstes Hobby war und ist nämlich<br />

der Boxsport. Was der mit Musik zu tun hätte? «Beides<br />

braucht vollste Konzentration und Intelligenz.»<br />

Zwischen den Welten war er zeitlebens: zwischen<br />

Stadt und Land, zwischen Wien und New York und<br />

heute Kalifornien, zwischen Sport und Musik. Zwischen<br />

seiner Familie und Musikern aller erdenklichen<br />

Herkünfte fühlte er sich am wohlsten. Nach der<br />

Aufl ösung von «Weather Report» begann er denn,<br />

junge Talente aus aller Welt um sich zu scharen. CDs<br />

wie «Mi Gente» oder «Lost Tribes» in den neunziger<br />

Jahren zeigten, welch wundervoll originelle, funkige<br />

Welt-Musik er mit seiner gescheiten, humorvoll<br />

strengen Führung zu verdichten vermochte.<br />

75 wird Zawinul dieser Tage, noch immer ist er<br />

stämmig wie ein Boxer, und diese zweite Natur ist<br />

die Saftwurzel dieses Mannes, der noch lange nicht<br />

seine Legende zelebrieren will. Auf jede Tournee<br />

bringt er neue Jungtalente aus seiner Kaderschmiede<br />

mit, gewissermassen der Zawinul-Akademie. Auf<br />

der Bühne wird er sie zum Äussersten treiben und<br />

den Wahn ihrer Improvisationen geniessen.<br />

Joe Zawinul & The Zawinul Syndicate spielt in<br />

der Mühle Hunziken am 13.3.2007, 21:00 h<br />

JAZZ IN BERN<br />

musik<br />

VIKTORIA TOLSTOY<br />

IM THEATER NATIONAL<br />

■ Jazz-Puristen rümpfen die Nase, sobald eine<br />

nordische Jazzsängerin, dazu noch «blond», auf<br />

die Bühne steigt. Den einen ist es zu poppig, den<br />

anderen zu wenig hitverdächtig, weitere schreien:<br />

«Das ist alles nur Marketing.» Sicher, das Publikum<br />

wurde in den letzten Jahren überfl utet, die<br />

Musikindustrie hatte einen Markt entdeckt. Trotzdem<br />

sind es immer nur wenige, die überleben –<br />

und Viktoria Tolstoy steht erfolgreich mitten drin.<br />

Ihr Urgrossvater war der Sohn des berühmten<br />

Leo Tolstoi im noch russischen Zarenland – doch<br />

das wird sich auf die Musik nicht auswirken. Er<br />

Bild: zVg.<br />

heiratete eine Schwedin und sie blieben seit dem<br />

Ende des 19. Jahrhunderts in Schweden sesshaft.<br />

Viktoria ist also Schwedin und 1974 in Sigtuna, in<br />

der Nähe von Stockholm geboren – vielleicht deswegen<br />

blond. Auch dies hat mit der Musik nicht<br />

viel zu tun.<br />

Ihr Vater, ebenfalls ein schwedischer Jazzmusiker,<br />

führte sie in die Jazzwelt ein und gab ihr die<br />

musikalische Ausbildung gleich selber. Entdeckt<br />

wurde sie Mitte der 90er Jahre in einem Stockholmer<br />

Club und erhielt darauf einen Plattenvertrag.<br />

Der St<strong>art</strong> glückte, zwei Jahre später folgte ein<br />

pop-orientiertes weiteres Album und dies katapultierte<br />

sie an die Spitze der Hitlisten. Weitere Alben<br />

folgten, diesmal produziert und mitgeschrieben<br />

vom Landesmann Esbjörn Svensson. Mit dessen<br />

Formation e.s.t. war sie dann auch gleich auf<br />

Tournee. Von da an war sie mit den grossen auf<br />

der Bühne: Zum Beispiel Ray Brown oder McCoy<br />

Tyner. Und dies zu Recht: Die Frau kann singen<br />

und hat ziemlich Feuer in der Musik. Ihr Jazz ist<br />

poppig, aber nicht «blond». Empfohlen sei hier ihr<br />

letztes Album: «Pictures Of Me».<br />

Die Jazz-Organisation BeJazz bringt Viktoria<br />

Tolstoy am 23. März, im Rahmen der Jazz Classics<br />

Bern, um 20:00 h ins Theater National. (vl)<br />

Infos: www.bejazz.ch / Telefon 031 311 25 94<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 51 | März 07 17

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