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POPMUSIK<br />

«am anfang war das wort,<br />

aber davor wurde gehustet.»<br />

Von Benedikt S<strong>art</strong>orius (Bild: zVg.)<br />

■ «Folgende Versuchsanordnung: Ich kippe eine<br />

Art sprachlichen Müll in die rotierende Trommel,<br />

und wenn ich dann genug einzelne kleine Teile da<br />

hineingegeben habe und die Kraft, die das Ganze<br />

am Rotieren hält, sie so weit an die Wand drückt,<br />

dass diese Teile dann gezwungen sind, miteinander<br />

Händchen zu halten, dann ergibt sich entweder eine<br />

Art alpine Landschaft oder Zuckerwatte.» Mit diesen<br />

Worten beschreibt Blixa Bargeld seine Performance<br />

«Rede/Speech». Der «sprachliche Müll» besteht<br />

aus Worten, Wortfetzen, markerschütternden<br />

Schreien, Sprachsequenzen und Geräuschen aus<br />

dem Brustkorb, die Bargeld mit seiner rotierenden<br />

Trommel – nichts anderes als zwei primitive Loop-<br />

Maschinen – überlagern, wiederholen und verfremden<br />

lässt.<br />

Faustisch Bargeld amtet im schwach ausgeleuchteten<br />

Bühnenraum als Conférencier, als Professor,<br />

der pseudo-wissenschaftlich auf Basis eines<br />

veralteten Konversationslexikons den Aufbau des<br />

Sonnensystems erklärt und in faustischer Manier,<br />

zusammen mit dem mephistophelischen Toningenieur,<br />

den Menschen mit einer Strassentaube kreuzt.<br />

«Was die Welt im Innersten zusammenhält»: Ist es<br />

das formatierte «Sunshine Radio», das Bargeld zur<br />

Techno-Parodie «Hey Cosmic Baby, Do You Wanna<br />

Dance» treibt? Ist es das Husten und Räuspern des<br />

soignierten Publikums, die den wichtigsten Teil des<br />

kosmischen Hintergrunds bilden? Ist das «Staunen»<br />

oder der «Zweifel» die wichtigere Komponente im<br />

Universum, wer behält im philosophischen Begriffs-<br />

Ringkampf die Oberhand? Schliesslich: Ist Bargeld<br />

der Demiurg, der Schöpfer, oder doch nur ein abgetakelter,<br />

komischer Dandy?<br />

Rollenmodelle Jedenfalls beherrscht Blixa Bargeld<br />

die beiden längst nicht mehr antagonistischen<br />

Rollenmodelle Pop und Hochkultur virtuos. Als Totengräber<br />

arbeitete er im alten Berlin, gründete die<br />

Industrial-Blaupause «Einstürzende Neubauten»,<br />

die in den frühen 80er Jahren mit Bohrmaschinen<br />

als Bühnenaccessoires den Krieg in die Städte<br />

brachte und mit ihrem letzten Migrations-Album<br />

«Perpetuum Mobile», unbändig und elegisch zugleich,<br />

zu neuer Stärke aufblühte. Im Nebenamt war<br />

Bargeld bis 2003 als Gitarrist von Nick Caves Bad<br />

Seeds beschäftigt, sorgte mit dem rudernden Auftritt<br />

in Caves Video zu «The Weeping Song» für einen<br />

urkomischen Moment in der Clipgeschichte und<br />

war eigentlich als Lustmörder für Kylie Minogues<br />

P<strong>art</strong> in «Where The Wild Roses Grow» vorgesehen.<br />

Und wenn Zeit fürs Theater sowie zum Bücher<br />

schreiben blieb, nur zu! Dass Bargeld in einer Szene<br />

in der «Rede/Speech»-DVD den Tonmischer einen<br />

«Experimentalfatzke» schimpft, darf so durchaus<br />

selbstironisch verstanden werden.<br />

Seit 2000 führt Blixa Bargeld «Rede/Speech»<br />

immer wieder auf. Ein Programm, das eher für die<br />

Stephen Hawkings als die Screaming Jay Hawkins<br />

gemacht zu sein scheint und das Publikum im Ungewissen<br />

lässt, was es denn eigentlich sein will und<br />

sein soll. Sicher ist, «dass es jedes Mal anders raus<br />

kommt. Das ist so lose alles. Manchmal kommt einfach<br />

irgendwas raus. Schauen wir mal. Manchmal<br />

kommt halt nichts raus.»<br />

Blixa Bargeld führt «Rede/Speech» am 6. März in<br />

der Dampfzentrale auf.<br />

Eine Aufzeichnung der Performance, aufgenommen<br />

am 23. Mai 2003 in Berlin, ist auf DVD erhältlich.<br />

INSOMNIA<br />

BERN, MEIN BERN<br />

Von Eva Pfi rter<br />

musik<br />

■ Man kann an der Stadt, in der man lebt, immer<br />

etwas auszusetzen haben. Manchmal wirkt<br />

das eigene Zuhause eng und klein und langweilig.<br />

Die immer gleichen P<strong>art</strong>ies, die, kaum haben<br />

sie begonnen, wieder enden, können nerven.<br />

Die Strassen und Häuser der eigenen Stadt können<br />

grau und öde wirken. Manchmal aber hat<br />

man Glück und fi ndet eine Heimat, in die man<br />

richtig verliebt ist. Die man auch nach Jahren<br />

noch am allerschönsten fi ndet, in deren Gassen<br />

man Schönheit fi ndet, die für andere scheinbar<br />

unsichtbar ist. Eine Stadt, die unendlich viele<br />

kleine Geheimnisse birgt, Geheimnisse, die noch<br />

entdeckt, Orte, die gefunden werden wollen.<br />

Das macht sie wohl aus, die Schönheit: die Möglichkeit,<br />

irgendwo da draussen etwas zu fi nden,<br />

nach dem man vielleicht gar nicht gesucht hat.<br />

Kann sein, dass einem das mit irgendeiner Stadt<br />

passiert. Aber keine Stadt ist wie Bern - glaubt<br />

mir, die ihr schon immer hier lebt! Keine Stadt ist<br />

wärmer, origineller und liebenswerter als Bern.<br />

Kürzlich war ich am frühen Abend in Zürich.<br />

Welche Hektik, welche Ungemütlichkeit herrschte<br />

rund um die Bahnhofsstrasse! Ich fl üchtete mich<br />

in den nächstbesten Intercitiy, der nach Bern<br />

fuhr und vertiefte mich in Zeitungen, während<br />

der Aargau an mir «verbi gfl oge isch». Kurz vor<br />

Bern legte ich alles lesbare weg und betrachtete<br />

die Stadt: ihre Brücken, die in gräulich-dämmrigen<br />

Abstufungen vor uns lagen; die schönen<br />

roten Trämmli, die wie Spielzeugzüge darüber<br />

hinweg rollten; weit unten die Aare; das stolz<br />

über allem thronende und leuchtende Münster.<br />

Ich kenne keine andere Stadt, die einen so begrüsst.<br />

Keine. Auf jeder Zugfahrt, die zu Hause<br />

endet, überkommt mich ein grosses Glücksgefühl.<br />

Kennt ihr das? Und auf jeder Zugfahrt<br />

kurz vor der Berner Brücke, über die der Zug in<br />

Schiefl age dahinrattert, bin ich die einzige, die<br />

den Kopf nach dem Fenster reckt, die Schönheit<br />

Berns betrachtet und nicht anders kann, als zu<br />

lächeln. Manchmal lassen andere Reisende kurz<br />

ihre Fachmagazine sinken, heben den Kopf und<br />

schauen mich verwundert an. Warscheinlich<br />

denken sie, ich sei Touristin und sähe zum ersten<br />

Mal das Berner Münster. Dann stecken die<br />

Mitfahrenden den Kopf wieder zwischen die mit<br />

Werbung bedruckten Seiten und lesen, bis sie im<br />

betongrauen Bahnhof ankommen - ohne etwas<br />

von der Magie des Moments bemerkt zu haben.<br />

Und ich – ich wundere mich jedes Mal aufs Neue,<br />

dass niemand sieht, was ich sehe. So ist das,<br />

wenn man verliebt ist.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 51 | März 07 21

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