art - Ensuite
art - Ensuite
art - Ensuite
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
BÜHNE<br />
kabarett lebt<br />
Von Michael Imoberdorf - Der schweizerische Kleinkunstpreisträger 2007,<br />
Joachim Rittmeyer, tritt im La Cappella auf. (Bild: zVg.)<br />
■ Gestern setzte ich mich vor den Fernsehapparat<br />
– Chips und Bier griffbereit – und begann gemütlich<br />
vor mich hinzuzappen. Irgendwann blieb<br />
ich hängen: Comedy. Nicht weiter verwunderlich.<br />
Denn Comedy hat TV-Hochkonjunktur. Die Sendung<br />
erinnert irgendwie an das Jüngste Gericht<br />
für Witze: Anhäufungen totgelachter Pointen, aus<br />
der Versenkung ausgegraben, wiederbelebt und<br />
geistlos aneinandergereiht. Das Saalpublikum, das<br />
sowohl optisch als geistig auch Talkshow-tauglich<br />
wäre, klatschte und lachte als hätte der Witzbold<br />
auf der Bühne gleichsam die platonische Idee jeglicher<br />
Komik überhaupt aus dem Reich der Ideen<br />
entführt und würde nun deren wahres Wesen enthüllen.<br />
Zwischen zwei kräftigen Schlucken Bier<br />
seufzte ich leise «ach früher».<br />
Die unoriginellen und konformistischen Comedyformate<br />
der Fernsehstationen lassen Zuschauer<br />
oft vergessen, dass es auch im «post-emilschen»<br />
Zeitalter herausragende Komiker gibt. Auch in der<br />
Schweiz bietet die Szene weit mehr als «Edelmais<br />
& Co.», «Punkt CH» usw. vermuten lässt. Joachim<br />
Rittmeyer, einer der bedeutendsten Schweizer<br />
Kabarettisten der Gegenw<strong>art</strong>, zeigt im La Cappella<br />
in Bern sein aktuelles Bühnenprogramm «Orientierungsabend».<br />
Dies ist für «Kabarettmuffel»<br />
eine gute Gelegenheit, eines der schönsten Theatergenres<br />
überhaupt, das Kabarett, wiederzuentdecken.<br />
Und Liebhaber der zehnten Muse dürften<br />
sich den Termin von Rittmeyers Gastspiel ohnehin<br />
schon lange vorgemerkt haben.<br />
Orientierungsabend Restriktiver Umgang mit<br />
Requisiten und eine (relativ) leere Bühne bilden<br />
den Rahmen für den «Orientierungsabend». Die<br />
Schlichtheit der Produktion lenkt die Konzentration<br />
der Zuschauer auf die handelnden Figuren.<br />
Die Zuschauer sind nicht abgelenkt und die Büh-<br />
nenfi guren müssen also nicht von Pointe zu Pointe<br />
springen, um die Aufmerksamkeit aufrecht zu<br />
erhalten, sondern können die Pointen kunstvoll<br />
entwickeln. Denn bei Rittmeyer ist der Weg (zur<br />
Pointe) das Ziel. Das Spiel ist mehr als Mittel zum<br />
Zweck. Und aufs Spielen versteht sich Rittmeyer.<br />
Geistreich und feinfühlig entwickelt und verwickelt<br />
er seine Figuren, spielt mit der Sprache, singt,<br />
«verzaubert».<br />
Alle vier Bühnenfi guren werden von Rittmeyer<br />
dargestellt. Dank seinem schauspielerischen Talent<br />
gelingt es ihm, jeder Figuren eine eigene Identität<br />
zu geben. Rittmeyer «destillierte» aus verschiedenen<br />
spezifi sch-schweizerischen Charakterzügen<br />
archetypische Verhaltensmuster, die er auf seine<br />
Bühnenfi guren überträgt. Die Figuren wirken so<br />
einerseits wie unnatürlich-<strong>art</strong>ifi zielle Karikaturen,<br />
andererseits aber menschlicher und natürlicher<br />
als «konventionelle» Bühnenfi guren. Während<br />
des gesamten Programms schweben die Figuren<br />
zwischen künstlich-ideeller und alltäglich-realer<br />
Welt, lassen sich aber weder in der einen noch der<br />
anderen festmachen. Die «Heimatlosigkeit» der<br />
Figuren und das Driften zwischen theatraler und<br />
natürlicher Welt lädt die Zuschauer ein, Personen<br />
aus dem eigenen Umfeld in die Bühnenfi guren<br />
«hineinzulesen». Die Evokation des Alltäglichen<br />
gepa<strong>art</strong> mit <strong>art</strong>ifi ziellen Übertreibungen gibt dem<br />
Theaterabend eine ironischen Grundstimmung.<br />
Übrigens Anfangs dieses Jahres wurde Joachim<br />
Rittmeyer von einer Fachjury mit dem Schweizer<br />
KleinKunstPreis 2007 (Goldener Thunfi sch)<br />
ausgezeichnet.<br />
Spieldaten und Informationen zum Stück: Ausblick<br />
Bühne in dieser Ausgabe von ensuite - kulturmagazin<br />
oder www.joachimrittmeyer.ch.<br />
veranstaltungen<br />
AUSBLICK BÜHNE<br />
La Cappella Theater in Bern<br />
Orientierungsabend<br />
Joachim Rittmeyer<br />
■ Die Interessegemeinschaft «Freunde des<br />
müssigen Experiments» kommt nach Bern. Theo<br />
Metzler, geistiger Vater und treibende Kraft des<br />
Vereins verspricht eine zeitechte Schlafwandlung<br />
auf die Bühne zu bringen. Wird das Experiment<br />
gelingen? Böse Zungen behaupten, der<br />
introvertierte Proband Bauchle werde auf der<br />
Bühne keinen Schlaf fi nden. Metzler zweifelt<br />
aber nicht an den Fähigkeiten seines Probanden<br />
- hat aber sicherheitshalber schon mal Baldriantee<br />
eingekauft. (mi)<br />
Text und Schauspiel: Joachim Rittmeyer<br />
Coaching und Supervision: Felix Kündig<br />
Endregie: Christoph Haering<br />
Spieldaten: Mittwoch, 28. März bis Samstag, 31.<br />
März täglich um 19:30h.<br />
Schlachthaus Theater Bern<br />
Gasthof zum erweiterten Suizid<br />
Von Sandra Forrer, Matto Kämpf, Nicolette Kretz<br />
und Ariane von Graffenried<br />
■ Das Schlachthaustheater hat keine Leichen<br />
im Keller vergraben. Noch nicht. Dies könnte sich<br />
aber bald ändern; der Gasthof zum erweiterten<br />
Suizid ist dort eingezogen. Im Februar wurde noch<br />
nicht gemordet; man hat sich mit einem Lotto an<br />
die Kellerluft akklimatisiert. Jetzt konzentrieren<br />
sich die «Suizidler» aber wieder auf ihre Kernkompetenzen:<br />
Suizid (im erweiterten Sinne) und<br />
Theater. Eine einzigen Maxime gilt: «Keine Texte<br />
die älter sind als dreissig Tage auf die Bühne!»<br />
Regie: Caroline Schenk und Dirk Vittinghoff<br />
Musik: Sandra Künzi<br />
Mit: Sandra Utzinger, Dominique Müller, N.N.<br />
Aufführungsdatum: 16. März, 22:30 h<br />
Sie wissen<br />
nicht wohin?<br />
abo@ensuite.ch<br />
ensuite - kulturmagazin Nr. 51 | März 07 7