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38<br />

<strong>art</strong>ensuite<br />

Chinafenster.<br />

Ji Dachun und<br />

Liu Ye<br />

Kunstmuseum<br />

Bern, Hoderstrasse<br />

8-12. Geöffnet<br />

Dienstag<br />

10:00-21:00 h,<br />

Mittwoch bis<br />

Sonntag 10:00-<br />

17:00 h.<br />

Bis 1. April.<br />

Grell / pastell<br />

■ «Jööö, das ist süss…», entfährt es<br />

einer Besucherin vor Liu Yes «Little<br />

Match Seller», einem in Pastellfarben<br />

gehaltenen, grossformatigen Gemälde.<br />

Es zeigt ein vom Eiswind gebeuteltes<br />

Mädchen, das behutsam inmitten<br />

von puderzuckrigem Schneegestöber<br />

ein Lichtlein zwischen seinen Hän-<br />

Sylvia Mutti<br />

den vor dem Verlöschen schützt. Aus<br />

der gegenüber liegenden Wand wird<br />

das Mädchen mit den Schwefelhölzern<br />

aus einem Portrait seines geistigen<br />

Vaters, Hans Christian Andersen,<br />

beäugt. Wunderschöne Kinderbuchillustrationen,<br />

die mit ihrem gewinnenden<br />

Kindchenschema mit grossen<br />

Kulleraugen und z<strong>art</strong>en Farben jeden<br />

in ihren Bann ziehen. Doch der Kontrapunkt<br />

im gleichen Raum lässt mehr<br />

erahnen als blosse Ästhetik: Vor tiefdunklem<br />

Blau hängt eine z<strong>art</strong>e Figur<br />

mit alabasterfarbener Haut mitten im<br />

Gemälde. Die kindlich wirkende Frau<br />

mit anmutigen langen Gliedmassen<br />

hat nichts an ausser einem weissen<br />

Slip und blutroten High-heels, während<br />

sich ihr Pendant in einem anderen<br />

Gemälde ebenso nackt doch<br />

mit einer Gerte ausgerüstet dem Betrachter<br />

präsentiert. Hier herrschen<br />

zweifellos die Waffen der Frau. Diese<br />

Diskrepanz zwischen niedlich und<br />

verstörend abgründig in den vier Gemälden<br />

des ersten Raumes durchzieht<br />

die gesamte Präsentation von Liu Yes<br />

Arbeiten.<br />

Gemeinsam mit Ji Dachun bildet<br />

er einer der beiden Flügel des<br />

«Chinafensters» im Kunstmuseum<br />

Bern. In der von Bernhard Fibicher<br />

kuratierten Schau zeigen zwei Maler<br />

aus Peking ihre Werke, die auf den<br />

ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten<br />

aufweisen. Bindeglied ist jedoch<br />

das mehrschichtig Hintergründige,<br />

das sich nach dem ersten, flüchtigen<br />

Blick offenb<strong>art</strong> und das kunterbunte<br />

Œuvre Liu Yes in die Nähe der zu-<br />

rückhaltend z<strong>art</strong>en Feinmalerei von Ji<br />

Dachun rückt. Zitiert Ye mit Vorliebe<br />

Ikonen der westlichen Kunst wie<br />

beispielsweise die geometrischen Abstraktionen<br />

Mondrians und vermengt<br />

sie mit kitschig greller Farbgebung<br />

und stereotypen, comic<strong>art</strong>igen Figuren,<br />

dann erinnert dies sehr an chinesische<br />

Propaganda-Kunst. Dachun<br />

hingegen interpretiert die traditionelle,<br />

fernöstliche Malerei neu: Vor<br />

einfarbigem, hellem Hintergrund und<br />

vertikaler Signatur in chinesischer<br />

Schrift entfalten sich beispielsweise<br />

Blumen und Vögel. So verletzlich sie<br />

scheinen, so versehrt sind sie tatsächlich.<br />

Rote Farbe entpuppt sich als blutige<br />

Spur. Was zuvor noch z<strong>art</strong>e Verästelungen<br />

einer Pflanze waren, gerät<br />

aus der Nähe zu bizarrer Knochen-<br />

und Organornamentik, während sich<br />

eine grün geschwungene Schnecke<br />

in einen Kothaufen verwandelt. Nicht<br />

alles ist in Wahrheit so wie es scheint.<br />

Ein Credo, das auch Lui Ye befolgt,<br />

dessen Figuren wie Schauspieler auf<br />

einer Bühne der heilen Welt agieren,<br />

übertrieben gute Miene zum bösen<br />

Spiel machen, doch stets vor dem<br />

Hintergrund farbintensiver Malerei,<br />

die dort ins Zentrum rückt, wo sich<br />

das mutige Nichts aufhält.<br />

Vier Fragen an Bernhard Fibicher,<br />

Kurator des «Chinafensters»<br />

im Kunstmuseum Bern<br />

Das «Chinafenster» präsentiert<br />

mit Ji Dachung und Liu Ye zwei<br />

Maler mit hintergründigen, aber<br />

auch humorvollen Arbeiten. Wie<br />

ist es zur Auswahl gerade dieser<br />

beiden Künstler gekommen?<br />

Das «Chinafenster» im KMB ist ja<br />

eine Folgeerscheinung der Ausstellung<br />

«Mahjong» und geht immer von<br />

Beständen der Sammlung Sigg aus.<br />

Im Falle des jetzigen «Chinafensters»<br />

könnte man von einem typisch chinesischen<br />

Kompromiss sprechen: Herr<br />

Sigg hat Liu Ye vorgeschlagen, ich den<br />

anderen Maler. Wir haben uns darauf<br />

geeinigt, dass es sich dieses Jahr<br />

– nach «Guangzhou» mit den Medien<br />

Fotografie, Video und Installation im<br />

Jahr 2006 – um zwei malerische Positionen<br />

handelt. Beide Maler stammen<br />

aus Peking, wo ja die Malerei immer<br />

noch eine sehr grosse Rolle spielt. So<br />

haben wir ein Gegengewicht zu Kanton<br />

(Guangzhou) geschaffen.<br />

Beide Künstler provozieren<br />

und öffnen in ihren Werken teilweise<br />

spielerisch Abgründe. Wie<br />

werden ihre Arbeiten in ihrer Heimat<br />

wahrgenommen? Beide arbeiten<br />

ja noch in Peking. Erleben sie<br />

so etwas wie Zensur?<br />

Beide Künstler arbeiten relativ<br />

frei in China und verkaufen auch an<br />

chinesische Privatsammler. Beide haben<br />

im letzten Jahr an Auktionen in<br />

Hongkong sehr hohe Preise erzielt.<br />

Der liberal orientierte Markt reagiert<br />

allerdings anders als die «Offizialität».<br />

Es kann schon sein, dass gewisse<br />

Gemälde von Liu Ye und Ji Dachun<br />

keine Chance haben, in eine staatliche<br />

Sammlung oder Ausstellung aufgenommen<br />

zu werden.<br />

China erlebt momentan einen<br />

Boom in der Kunstszene. Was<br />

macht Deiner Meinung nach die<br />

Faszination fernöstlicher Kunst<br />

aus? Inwiefern spielen die Interessen<br />

des westlichen Kunstmarktes<br />

eine Rolle?<br />

Chinesische Kunst erlebt heute<br />

einen weltweiten Boom. Das hängt<br />

ganz klar mit der Attraktivität dieses<br />

wachstumsstarken Landes zusammen.<br />

China ist ein Eldorado. Jeder erhofft<br />

sich, dort einen «Coup» zu landen,<br />

nicht nur die westlichen Firmen und<br />

Investoren, sondern auch die Kunsthändler,<br />

Galeristen und Sammler. In<br />

China kann man einen Künstler oder<br />

eine Künstlerin «entdecken», in die<br />

westliche Szene einführen und innert<br />

<strong>art</strong>ensuite März 03 | 07

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