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KULTUR & GESELLSCHAFT<br />

die CEOs blicken alle<br />

Von Peter J. Betts<br />

■ «Die CEOs blicken alle optimistisch in die Zukunft:<br />

der Gewinnoptimierung seien auch künftig<br />

keine Grenzen gesetzt» - dies eine Aussage aus<br />

einer Nachrichtenmeldung zur Eröffnung des WEF,<br />

des sogenannten Welt-Wirtschafts-Forums. Heute,<br />

wo es hier endlich (mit Ausnahme des Industrieschnees,<br />

natürlich) zu schneien begonnen hat:<br />

gegen Ende Januar. Im Flachland. Der Bericht des<br />

«Club of Rome» ist allerhöchstens noch Makulatur?<br />

Etwas wehmütig blicke ich zwei Postk<strong>art</strong>en in meiner<br />

Hand an: mir sehr liebe Erinnerungen an eines<br />

der kulturellen Projekte (ohne städtische Subvention)<br />

einer freien Gruppe in Bern (Perspektiven nach<br />

Davos): Eine hervorragende Performance, die viel<br />

zu reden und – vielleicht – zu denken gegeben hat.<br />

Zwei hochprofessionelle Fotos scheinbar – also für<br />

nicht Lesegewohnte (die Mehrzahl? immer mehr<br />

die Mehrzahl?) – vorerst völlig harmlosen Inhaltes<br />

(So hatten es erst auch die Verantwortlichen<br />

der Allgemeinen Plakat Gesellschaft gesehen:<br />

Wer LIEST schon, was auf Plakaten geschrieben<br />

steht???) Und dann kam sehr bald der Ruf aller<br />

rechten Leute nach Law and Order. Aber das hat ja<br />

Naegeli (nein, ich meine nicht den mit «ä», mit der<br />

Gasse oder der Eroberung der Waadt) mit seinen<br />

KiöR-Projekten in Zürich auch erleben müssen. In<br />

beiden Fotos sind Welt(!)formatplakate auf ordnungsgemässen<br />

Plakatständern in ordnungsgemässer<br />

Bernerplakatlandschaft abgelichtet. Beim<br />

ersten Foto, vor einem übervollen Berner Abfallkübel,<br />

mit umgestülptem McDonalds Pappbecher<br />

(auch rot – gelb, aber anstatt mit schwarz eben mit<br />

weiss, was jede Farbe spiegelt, statt alle zu schlucken)<br />

zuoberst, prangt auf dem Plakat gross der<br />

Satz: «Freiheit für Investoren!» Das zweite Foto<br />

vor neutralerem Hintergrund: «Zuviel Demokratie<br />

ist schlecht für das Geschäft.» Unten rechts auf<br />

beiden Plakaten, als tête carrée gewissermassen,<br />

das offi zielle quadratische blau-weisse Logo von<br />

«World Economic Forum» und unten links Tatort<br />

und Tatzeit: «WEF Annual Meeting 21 –25 January<br />

2004 Davos Switzerland». Heute hat es im Flach-<br />

land erstmals geschneit, heute habe ich erfahren,<br />

dass die Führer in Davos überzeugt sind, der Gewinnoptimierung<br />

seien keine Grenzen gesetzt, und<br />

dann auch noch, dass Herr Bush in seiner Rede zur<br />

Nation erstmals über Klimaerwärmung geschwafelt<br />

haben soll, und darüber, dass die Entwicklung<br />

von Maschinen mit «anderen» Energiequellen gefördert<br />

werden solle - damit die USA nicht mehr<br />

von ausländischen Erdöllieferanten und deren Terroristen<br />

abhängig sein müssten (der Querbezug<br />

zur Umweltproblematik eine unverbindlich beiläufi<br />

ge Garnitur am Schluss)... Während die Schneefl<br />

ocken trieben, las ich, wie der «Bund» sich im<br />

Titel zu Bushs Worten geäussert hat: «Rede eines<br />

Verlierers». CEOs sind keine Verlierer. Nie. CEOs<br />

setzen die Erhaltungssätze der Physik ausser<br />

Kraft? Einfach so? Obwohl die Thermodynamik<br />

lehrt, dass, wenn sich die Gesamtentropie eines<br />

geschlossenen Systems bei einem Prozess erhöht,<br />

dieser nicht umkehrbar, also irreversibel ist?<br />

Auch in der «Welt» (als abgeschlossenem System)<br />

wächst die Entropie. Der Endwert dieses Wachstums<br />

wäre beispielsweise dann erreicht, wenn sich<br />

sämtliche Temperaturunterschiede ausgeglichen<br />

hätten: Wärmetod. Anders ausgedrückt: wenn der<br />

Gewinnoptimierung keine Grenzen gesetzt sind:<br />

Wo müssen Prozesse begrenzt werden, damit in<br />

unserem geschlossenen System der Endwert des<br />

Entropiewachstums, der Zustand grösstmöglicher<br />

Unordnung, nicht erreicht wird? Ich blättere<br />

im Schlusstext von «Grenzen des Wachstums»,<br />

wo die Initianten ihren Bericht, im Lichte der Reaktionen<br />

darauf, kritisch würdigen (S. 165-176):<br />

«... sind wir davon überzeugt, dass eine rasche<br />

und grundlegende Besserung der gegenwärtigen<br />

gefährlich unausgewogenen und sich verschlechternden<br />

Weltlage die Hauptaufgabe ist, vor der die<br />

Menschheit steht... ... Dies setzt ein gemeinsames<br />

Bemühen ohne Rücksicht auf ihre Kultur, ihr Wirtschaftssystem<br />

oder ihren Entwicklungsstand voraus.<br />

Die Hauptverantwortung liegt dabei bei den<br />

industriell entwickelten Nationen, nicht weil diese<br />

magazin<br />

ein besseres Verständnis für die Erfordernisse<br />

eines wahrhaft humanen Lebens haben, sondern<br />

weil sie das Wachstumssyndrom erzeugt haben<br />

und noch immer auf der Spitze des Fortschrittes<br />

stehen, auf dem das Wachstum beruht... ... Wir sind<br />

schliesslich überzeugt, dass jeder vernünftige Versuch,<br />

einen dauerhaften Gleichgewichtszustand<br />

durch geplante Massnahmen herbeizuführen,<br />

letztlich grundsätzlicher Änderung der Wert- und<br />

Zielvorstellungen des Einzelnen, der Völker und<br />

auf Weltebene von Erfolg gekrönt sein wird...»<br />

1972. Indikativ. Makulatur? Das Umsetzen des Not-<br />

Wendigen eine Frage des kulturellen Bewusstseinsstandes?<br />

Eine andere wunderbare Performance<br />

geht mir durch den Kopf. Auch KiöR. Noch (!) steht<br />

beim Bollwerk auf der Passarelle «der Rettungsring»,<br />

Betonplastik von Claude Kuhn. Der Künstler<br />

hat hier ein Forum gestaltet, das jeder Passantin,<br />

jedem Passanten bei Bedarf Geistesnahrung geboten<br />

hat. Sie konnten sich beispielsweise fragen:<br />

«Wohin komme ich, wenn ich mir beim Schwimmen<br />

in der Aare, in Not geraten, einen Betonrettungsring<br />

über den Kopf stülpe?» Claude hätte vermutlich<br />

lediglich fein gelächelt; vielleicht hätte er in<br />

besonders kommunikativer Stimmung gesagt:<br />

«Eben.» War am Ende sein Beitrag zum kulturellen<br />

Bewusstseinsstand hier folgende kleine Gedankenkette:<br />

«Bei diesem ständigen Verkehrsfl uss<br />

hier unten wirkt jeder Rettungsring wie in der Aare<br />

ein Betonklotz um den Hals. Wenn wir dieser Art<br />

von Mobilität nicht wirkungsvoll begegnen...» Mit<br />

der neuen Gestaltung des Bahnhofplatzes könnte<br />

formal – und dadurch vielleicht doch ein bisschen<br />

wirkungsvoll? - die Grundproblematik in Gang<br />

kommen. Die Gestaltung der Überlebensaussichten:<br />

eine Frage des kulturellen Bewusstseinsstandes?<br />

Ein Forum für solche Gestaltung überfl üssig?<br />

Draussen inzwischen eine dünne Schneedecke:<br />

Weiss, das alle Farben spiegelt. Und in den kommenden<br />

Tagen ist mit zunehmender Kälte zu rechnen.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 51 | März 07 29

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