Arbeit als PDF anzeigen - Mzes - Universität Mannheim
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KAPITEL 1 EINLEITUNG<br />
Kapitel 1 Einleitung<br />
In der modernen liberalen Demokratie gilt die Abstimmung im Parlament <strong>als</strong> der fundamentale<br />
Mechanismus zum Treffen verbindlicher Kollektiventscheidungen. Diese Entscheidungen werden<br />
von einer Gruppe individueller Abgeordneter getroffen, die zumindest auf dem Papier über ein<br />
freies Mandat verfügen und nur ihrem Wählern in regelmäßigen Abständen Rechenschaft<br />
schuldig sind. Dennoch stellt sich die beobachtete Realität zumindest in parlamentarischen<br />
Demokratien anders dar: Abgeordnete einer Fraktion stimmen in der Regel geschlossen ab – an<br />
die Stelle des individuellen Abgeordneten sind die Fraktionen <strong>als</strong> fundamentale Akteure im<br />
parlamentarischen Alltag getreten. Die Wissenschaft hat dieser Entwicklung insofern<br />
Rechenschaft getragen, <strong>als</strong> sie Fraktionen meist <strong>als</strong> unitarische Akteure mit einheitlichen<br />
Präferenzen konzipiert, sowohl in Bezug auf inhaltliche Policy-Entscheidungen (Tsebelis 2002)<br />
<strong>als</strong> auch bei der Bildung von Regierungskoalitionen (Laver/Schofield 1990; Laver/Shepsle 1994;<br />
eine gewisse Lockerung dieser Annahme gibt es bei Laver/Shepsle 1996: 246-60).<br />
Parteiensoziologen hingegen betonen die Heterogenität und interne Interessenvielfalt in Parteien<br />
(Daalder 1983; Katz/Mair 1992a). Rational Choice Theoretiker schließlich sehen Politiker<br />
generell <strong>als</strong> individualistisch-rationale politische Unternehmer mit jeweils persönlichen<br />
Motivationen und Zielen. Angesichts dieser Interessenvielfalt kann die häufig angenommene<br />
Kohäsion von Parlamentsfraktionen nicht einfach <strong>als</strong> naturgegeben hingenommen werden sondern<br />
ist ihrerseits erklärungsbedürftig. Überraschenderweise gibt es zu diesem Baustein der Theorie<br />
von Parlamenten kaum aktuelle vergleichende Untersuchungen. Vielmehr gilt häufig immer noch<br />
implizit Samuel Beers berühmte Aussage über das britische Unterhaus aus der Mitte der 1960er:<br />
„[P]arty cohesion in Britain [...] in recent decades [...] was so close to 100 per cent that there was<br />
no longer any point in measuring it“ (Beer 1965: 350).<br />
An dieser Lücke setzt die vorliegende <strong>Arbeit</strong> an. Ihr Ziel liegt in einer theoretischen und<br />
empirischen Untersuchung des Ausmaßes und der Ursachen von Fraktionskohäsion in<br />
parlamentarischen Demokratien. Dieses Thema ist aus mehreren Perspektiven interessant. Erstens<br />
kann so die verbreitete aber nur selten empirisch nachgewiesene Annahme von Fraktionen <strong>als</strong><br />
unitarischen Akteuren überprüft werden. Zweitens kann eine solche Studie einen Beitrag zur<br />
neoinstitutionalistischen Theoriediskussion leisten, indem sie untersucht, wie das Verhalten<br />
individueller politischer Akteure durch die institutionelle Ausgestaltung des Parlamentsumfelds<br />
beeinflusst wird. Drittens schließlich kann eine empirische Untersuchung von Fraktionskohäsion<br />
einen Anknüpfungspunkt und eine gesicherte Argumentationsgrundlage für normative<br />
Überlegungen zur Wünschbarkeit kohäsiven Verhaltens von Parlamentariern bieten. Mit der<br />
normativen Forderung nach kohäsivem Verhalten einerseits oder nach weitreichender<br />
Unabhängigkeit individueller Parlamentarier in ihren Entscheidungen andererseits sind jeweils<br />
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