[erscheint in: Poesie intermedial - Anselmo Fox
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Mirjam Goller – 14<br />
der Zeitkunst Video, der Vorgang der Selbsthervorbr<strong>in</strong>gung ebenso wie der Vorgang der<br />
Sichtbarmachung. Dies alles spielt sich ab im Rahmen des Verborgenen und im Rahmen e<strong>in</strong>es<br />
Kunstzitats, Malevičs schwarzem Quadrat, jener ungerahmten Ikone der 1920er Jahre, die<br />
hier zum schwarzen Würfel weitergedacht ist, zum plastischen Gebilde, aber ebenso im<br />
Ikonenw<strong>in</strong>kel hängen mag und damit e<strong>in</strong> sakrales Kunstdiktat abgibt. Kunst birgt Kunst und<br />
br<strong>in</strong>gt Kunst hervor. Dies bleibt aber nicht bei sich selbst – auch nicht <strong>in</strong> der Gummizelle des<br />
Vorführraums des Schneckenvideos –, sondern ist aufgeladen (und beladen) mit Kulturgut<br />
und Kulturballast und vor allem Wissen über Kunst. Vom Dunkel e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>ovorführsaals bis<br />
zum pornographischen Blick und der Reduktion auf das Geschlechtliche: Verschiedene<br />
Konditionierungen des Sehens s<strong>in</strong>d hier enthalten und sie werden vom Unsichtbaren <strong>in</strong>s<br />
Sichtbare gelockt.<br />
Und dies sche<strong>in</strong>t der Punkt zu se<strong>in</strong>, an dem die Epoche der Postmoderne aufhört und nicht<br />
mehr weiter kann: Sie hat gezeigt, wie es (alles) gemacht ist und gemacht wird und stellt dies<br />
aus. Die Postmoderne ist die Epoche der Oberfläche, des Sichtbaren und der Entblößung. 31<br />
Die Geschichte der Schnecke als Metafigur der Imag<strong>in</strong>ation bezieht sich ebenfalls aufs<br />
Sichtbare und als Bild auf die Sichtbarmachung der Hervorbr<strong>in</strong>gung.<br />
<strong>Anselmo</strong> <strong>Fox</strong> hört hier jedoch ke<strong>in</strong>eswegs auf.<br />
Hat die performative Installation L №1 offen gezeigt, auf welchem – buchstäblichen und<br />
metaphorischem – Grund und Boden Kunst entsteht, zieht sich Malevičs Schnecke schon <strong>in</strong>s<br />
Dunkel e<strong>in</strong>es Gummigehäuses zurück. Der Betrachter wird gerade von jenem angezogen, was<br />
er nicht sieht, und wird zum Sehen e<strong>in</strong>geladen. Er sieht, wie etwas, der weiche Körper der<br />
Schnecke, der aus se<strong>in</strong>em kalkigen Gehäuse hervorkriecht, sichtbar wird. Der Betrachter wird<br />
Zeuge und Enträtsler e<strong>in</strong>es doppelten Geheimnisses: Er lüftet den Gummivorhang und kann<br />
sehen, wie die Kunstmetapher Schnecke von e<strong>in</strong>er geschickten Hand aus ihrem Gehäuse<br />
hervorgelockt wird. Es ist gerade die Unsichtbarkeit, die dem Betrachter se<strong>in</strong>e Bl<strong>in</strong>dheit zeigt<br />
und damit Sehen fördert. Und so ist auch die Unsichtbarkeit e<strong>in</strong> Thema, das <strong>in</strong> <strong>Fox</strong>' Arbeiten<br />
immer wieder zu f<strong>in</strong>den ist. 32 Das Unsichtbare der Schnecke ist nicht nur das unergründliche<br />
Innere ihres Kalkhauses, sondern auch alles, was sich unter ihrer kriechenden Sohle verbirgt.<br />
Das Latente als das Eigentliche zu betrachten und als wertvoller als das Manifeste, ist e<strong>in</strong>e<br />
Denkfigur der klassischen Moderne, die als e<strong>in</strong>e Epoche der Tiefe der Postmoderne erst den<br />
31<br />
Vgl. zur Entblößung der Entblößung als postmodernistisches Verfahren Mirjam Goller, "Flüssige<br />
Körper.“<br />
32<br />
Vgl. hierzu auch <strong>Anselmo</strong> <strong>Fox</strong>, "Geschoss und Engel. Blick <strong>in</strong> die Geometrie e<strong>in</strong>es Tötungsdeliktes.<br />
Fotografisch dokumentierte plastische Arbeit und Aufsatz", <strong>in</strong>: böse – Plurale. Zeitschrift für Denkversionen 3<br />
(2003), 291-204.