[erscheint in: Poesie intermedial - Anselmo Fox

Mirjam Goller – 20
damit das Ende) des Subjekts führt zu einem Moment, in dem nicht zwischen einer
Übersensibilisierung durch Öffnung (und Tod) und Fühllosigkeit entschieden werden kann.
Es ist ein Moment zwischen Ästhetik und Anästhesie. 47 Es ist ein Moment, in dem zwischen
sinnlich und intelligibel nicht unterschieden werden kann. Es ist möglicherweise gerade dieser
Moment, der für das Poetische ausschlaggebend ist. Dieser Moment enthebt den Betrachter
oder den Leser durchaus seiner fest umrissenen Position und bringt ihn ins Schwanken. Diese
Enthobenheit ist Aspekt der klassischen Ästhetik und bringt die Kategorie des Erhabenen ins
Spiel.
Diese ist L №1 als Zitat und Umkehrung in den Überbauungen der Schneckenhäuser präsent.
Wenn Anselmo Fox’ überbaute Schnecken auf einem Komposthaufen umherkriechen, werden
nicht nur die sakralen Bauten in Bewegung gebracht, sondern auch der Betrachter entwurzelt.
Das doppelte Schwanken widerspricht den Bauten, die als erhabene Gebäude mit
Ewigkeitsbezug eindeutig verortbar sind, es widerspricht aber auch dem Konzept des
Erhabenen überhaupt.
Es herrscht hier eine Gleichzeitigkeit von Erhabenheit und Verkehrung von Erhabenheit, die
nicht dem modernistischen umgekehrten Erhabenen entspricht. Man kann angesichts der
winzigen Papiermodelle auch nicht von Kleinheit oder Niedlichkeit sprechen, denn der
historische Hintergrund des eingeschossenen Mauerwerks ist zu groß, zu erhaben. Die
Erhabenheit des historischen Kontextes wiederum funktioniert angesichts der Winzigkeit der
Papiermodelle nicht, so dass hier eine Gleichzeitigkeit von Unheimlichem und Vertrautem,
möglicherweise sogar Harmlosem auftritt, die der Kulturwissenschaftler Thomas Macho im
Zusammenhang mit einer anderen Arbeit bereits als eine Konstituente für die Kunst von Fox
ausgemacht hat. 48
Der Aspekt der Größe, der für die klassische Begriffsbelegung des Erhabenen konstitutiv ist,
wird hier verkehrt.
Es gibt noch eine zweite Doppelung, mit der Fox hier spielt. Sämtliche der ausgewählten
Gebäude verweisen in einen konkreten oder übertragenen Himmel. Die doppelte Anwesenheit
von Konkretem und Übertragenem, Realem und Trope, Urgrund und Getragenem zeigt eine
andere Grenzauflösung in eine ganz neue Atmosphäre.
Die Begegnung mit solchen Bauwerken in ihrer realen Größe versetzt den Betrachter in
Staunen und Verharren. Diese Bewegungslosigkeit angesichts von erhabener Größe, sei sie
übertragen, sei sie konkret im Vergleich mit Menschenmaß, ist jedoch gerade das, was die
47 Vgl. hierzu Cornelia Wild, "Unempfindliche Zustände. Zur Unverfügbarkeit des Wissens in der
Anästhesie", in: Betäubung – Plurale. Zeitschrift für Denkversionen 8 (2009) [in Vorbereitung]
48 Vgl. hierzu Thomas Macho, "Von innen (für Anselmo Fox). Text zur Ausstellung im Künstlerhaus
Bethanien", Berlin 2001, in : http://www.anselmofox.eu/de/schriften_anderetexte.html