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[erscheint in: Poesie intermedial - Anselmo Fox

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Mirjam Goller – 18<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ziehen. Die Eigenheit des Spiels mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, ist darüber h<strong>in</strong>aus<br />

e<strong>in</strong>e weitere geme<strong>in</strong>same Größe.<br />

Die unscharfe Grenze zwischen Betrachter und Objekt – prom<strong>in</strong>enter Gegenstand der<br />

transdiszipl<strong>in</strong>ären Theoriediskussion des 20. Jh. 38 – ist auch Gegenstand e<strong>in</strong>es Entwurfs e<strong>in</strong>er<br />

neueren Ästhetik des Philosophen Gernot Böhme. Böhme zieht dazu den Begriff der<br />

Atmosphäre heran, die er als unabd<strong>in</strong>gbar für die Auslotung e<strong>in</strong>er nicht mehr klassischen<br />

Ästhetik sieht. 39 Die klassische Ästhetik bzw. die Ästhetik seit dem 18. Jahrhundert ist für ihn<br />

e<strong>in</strong>e "Theorie des Beurteilens von Kunstwerken […]. Sie ist e<strong>in</strong>e Sache des Intellekts und des<br />

Redens, nicht aber des Empf<strong>in</strong>dens" 40 . E<strong>in</strong>e neue Ästhetik muss für Böhme e<strong>in</strong>e der<br />

s<strong>in</strong>nlichen Wahrnehmung se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Aisthesis, e<strong>in</strong>e, die sich von der klassischen Ästhetik<br />

absetzen kann, weil diese weder als Beschreibungsoption, noch als Erfahrungsoption, noch als<br />

Produktionsoption mehr tauglich ist. Ähnlich wie bei Didi-Huberman f<strong>in</strong>det sich auch hier<br />

e<strong>in</strong>e sensorische Erweiterung der ans Visuelle geknüpften Ästhetik, ohne dass Böhme dies<br />

konkret am Körper oder genauer, an e<strong>in</strong>em bestimmten Körperteil und der damit verbundenen<br />

Wahrnehmungsspezifik, festmacht. Es wird nicht bestimmt, ob diese sensorische Erweiterung<br />

e<strong>in</strong>e haptische ist (wie bei Didi-Huberman durch skupturale Erfahrung motiviert) oder e<strong>in</strong>e<br />

akustische etc. Böhme arbeitet mit dem Begriff der Synästhesie und zieht für diese Kategorie,<br />

die gerade auf die Verunschärfung sensorischer und dann auch analytischer und deskriptiver<br />

Bereiche abhebt, Beispiele heran, die aus Musik, Architektur und auch der Warenästhetik<br />

stammen. 41 Es geht ihm, gerade im Gegenteil, um e<strong>in</strong>e Erweiterung, die jede s<strong>in</strong>nliche<br />

Wahrnehmung ermöglicht. Und anders als Didi-Huberman steht die <strong>in</strong>tellektuelle<br />

Wahrnehmung dabei der s<strong>in</strong>nlichen entgegen, während Didi-Huberman ke<strong>in</strong>en expliziten<br />

Unterschied zwischen e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nlichen und e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>telligiblen Wahrnehmung aufbaut. Im<br />

Gegenteil: Dass <strong>in</strong> Schädel se<strong>in</strong> ästhetische Wahrnehmung <strong>in</strong> der „Schädelschnecke“<br />

angesiedelt wird, zielt zwar auf e<strong>in</strong> das S<strong>in</strong>nliche und das Intelligible homogenisierendes<br />

Konzept, nicht aber auf e<strong>in</strong>e Lust an der Verunschärfung, die den Text von Böhme<br />

durchzieht. Während Didi-Huberman se<strong>in</strong>e neue Ästhetik im Genuss e<strong>in</strong>er Verb<strong>in</strong>dung aus –<br />

<strong>in</strong> traditionellen Kategorien gedacht – Körper und Geist sieht, die er vor allem <strong>in</strong> der Skulptur<br />

und daraus abgeleiteten Beschreibungskategorien sieht, 42 trifft Böhme se<strong>in</strong>e Entscheidung für<br />

e<strong>in</strong>e neue Ästhetik aus e<strong>in</strong>er Erweiterung des Körpers durch e<strong>in</strong>en Kontext. Böhme siedelt<br />

38<br />

Vgl. hierzu das Themenheft Beobachter – Plurale. Zeitschrift für Denkversionen 6 (2006).<br />

39<br />

Gernot Böhme, Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt/M. 1995.<br />

40<br />

Böhme, Atmosphäre, 15.<br />

41<br />

Böhme, Atmosphäre, vgl. bes. Kapitel "Synästhesien", 85- 98.<br />

42<br />

Die grundlegende Überlegung für se<strong>in</strong>en wohl bekanntesten Text Was wir sehen, blickt uns an, ist aus<br />

e<strong>in</strong>er skulpturalen Erfahrung heraus entstanden: Die basale Höhlung, die für alle weitere Wahrnehmung

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