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Jahrbuch 2006 - Deutscher Böhmerwaldbund e.V.

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die Henkelbildung nicht durch einen Ast, sondern<br />

durch einen schwächeren Baum, der neben<br />

einem stärkeren steht, geschieht. Eine solche<br />

Henkelbuche (Bild 4) steht an der Straße<br />

von Böhmisch-Röhren zur Säumerbrücke, unweit<br />

der Abzweigung des Weges nach<br />

Eleonorenhain. Hier hat der Henkel ungefähr<br />

die Länge von 34 Meter. Oft wird etwas als<br />

Verwachsung bezeichnet, was es gar nicht ist.<br />

Dies gilt immer von der Verwachsung zweier<br />

Bäume verschiedener Art. Die beiden Bäume<br />

werden dann nur mehr oder weniger aneinander<br />

gedrückt, dadurch verletzt und angeregt, Überwallungsgewebe<br />

zu bilden. Dadurch können<br />

Teile des einen Baumes vom anderen vollständig<br />

umschlossen werden, genau so wie man das<br />

öfter bei toten Gegenständen, wie Nägeln, Stangen<br />

oder Steinen sieht. Durch eine solche Überwallung<br />

werden oft sehr innige Verbindungen<br />

verursacht, die sich von einer echten Verwachsung<br />

kaum unterscheiden lassen. Stets aber<br />

bleiben die beiden Bäume, was Ernährung anbelangt,<br />

von einander getrennt. Auf eine interessante<br />

Art der Verwachsung möchte ich noch<br />

hinweisen. Es handelt sich um zwei Fichten, von denen das schwächere Exemplar<br />

spiralig um das stärkere herumgelegt ist. Eine Verwachsung, aber nur im Sinne<br />

von Umwachsung, hat an zwei Stellen stattgefunden. Die Krone des jüngeren<br />

Baumes ist durch den Stamm des älteren an der Ausbildung gehindert worden<br />

und ist daher unsymmetrisch, was auch die Ursache der spiraligen Verwachsung<br />

ist. Durch die Unsymmetrie wird dem Schnee auf der einen Seite eine größere<br />

Auflagerungsfläche geboten als auf der anderen. Infolge dessen wird das jüngere<br />

Stämmchen an den älteren und stärkeren Genossen fest angedrückt, gleichzeitig<br />

aber auch etwas zur Seite gedrückt. Wiederholt sich dies mehrere Jahre<br />

hintereinander, so muss der jüngere unbedingt in einer Spirallinie um den ältern<br />

gewunden werden. Eine sonderbare Verwachsung zweier Fichten unter gleichzeitiger<br />

Drehung steht im Tiergarten bei Waier, Bezirk Bischofteinitz (Bild 5).<br />

Die beiden Stämme, deren jeder ungefähr ¾ Meter im Umfange misst, sind am<br />

Grunde bis zur Höhe von 1 ½ Meter verschmolzen. Dann drehen sie sich um<br />

einander und laufen hierauf etwa 5 Meter parallel, sind aber an vier Stellen<br />

leiterförmig verwachsen. Kurz vor der Krone drehen sich die beiden Stämme<br />

nochmals um einander. Die Kronen der beiden Bäume sind vollkommen unsymmetrisch,<br />

was ja auch, wie wir oben gehört haben, die Ursache der Umdrehung<br />

ist. Warum dies nur zweimal im Leben der Bäume, geschehen ist und nicht zu<br />

einer spiraligen Verwachsung geführt hat, lässt sich allerdings schwer erklären.<br />

Ein besonders schöner und merkwürdiger Baum – eine Fichte – steht halbwegs<br />

zwischen den Böhmerwald-Ortschaften Böhmisch-Röhren und Neuthal, inmitten<br />

einer kleiner Wiese links von der Straße<br />

zwischen den genannten Orten, etwa in der<br />

Höhe des Neuthaler Moores. Wie Bild 6 zeigt,<br />

macht der Baum den Eindruck einer etwas breiteren<br />

Fichte. Wir haben es in diesem Falle mit<br />

einer so genannten Kandelaber-Weidfichte zu<br />

tun. Eine Weidfichte ist eine Fichte, die freistehend<br />

auf dem Weidefeld erwachsen ist. Das<br />

wäre an und für sich nicht Besonderes, obwohl<br />

solche Bäume in ihrem Wuchs meist schön ausgebildet<br />

sind. Das Auffallendste an unserem<br />

Baum ist aber die eigentümliche Ausbildung<br />

seiner Äste, die ihn zum Kandelaberbaum<br />

stempelt. Während sonst bei den Fichten die<br />

Seitenäste erster Ordnung meistenteils verhältnismäßig<br />

dünn bleiben, haben solche<br />

Kandelaberbäume die Neigung, diese<br />

bogenförmig aufzurichten und stammähnlich<br />

zu verdicken. Die aufgerichteten Seitenäste bilden<br />

dann meist Nebenwipfel aus. In unserem<br />

Falle sind aber die Kandelaberäste samt den<br />

Nebenwipfeln derart in die Krone eingeschlossen,<br />

dass äußerlich und von der Ferne bei dem<br />

regelmäßigen Wuchs kaum etwas zu bemerken<br />

ist. Es ist daher auch gar nicht möglich,<br />

den sonderbaren Bau des Baumes im Lichtbild festzuhalten. Die Skizze zeigt erst<br />

das Seltene des Baumes. Der Stamm besitzt, etwa einen halben Meter vom Boden<br />

entfernt, einen Umfang von 5,92 Meter. In einer Höhe von ungefähr 2 Meter<br />

entfaltet der Baum nach links drei und nach rechts zwei mächtige Kandelaberäste.<br />

Der unterste, nach rechts stehende, besitzt einen Umfang von 1,63 Meter<br />

und ist überdies gegabelt, sodass im ganzen sechs Nebenwipfel entstehen. Der<br />

Baum gehört Herrn L. Müller in Schönberg bei Böhmisch-Röhren, der sich in<br />

dankenswerter Weise bereit erklärt hat, ihn als Naturdenkmal zu erhalten. Zweck<br />

der vorstehenden Zeilen ist es, einige Typen merkwürdiger Bäume zu schildern<br />

und auf solche aufmerksam zu machen. Heute, wo in unseren Wäldern überall die<br />

ordnende Hand des Forstmannes waltet, ist die Entstehung eines Stelzenbaumes<br />

oder einer Verwachsung meist ausgeschlossen. Nicht allzu ferne ist die Zeit, wo<br />

wir solche Bäume nur mehr im Bilde kennen lernen werden. Aus „Waldheimat“<br />

5/1928<br />

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