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Jahrbuch 2006 - Deutscher Böhmerwaldbund e.V.

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„Grejslert dazu - das Abenteuerfeld meiner Kindheit. Es gehörte schon Überwindung<br />

dazu, in diese nadelspitze Wirrnis der Zweige einzutauchen, das Knacken<br />

brechender Zweige zu hören und dabei ein Versteck zu suchen, oder die braunen<br />

Kappen der Pilze aus dem Moospolster herauszuschälen. Auch im Winter, wenn<br />

jedes Ästlein mit glasscharfen Eisspitzen gesäumt war und bei jeder Berührung<br />

in feinen Ton herabsprühte, war der Waldweg eine begehrte Schlittenbahn durch<br />

Kurven und Wendungen, doch nichts für ängstliche Gemüter. Nur im Frühling,<br />

wenn die grünen Zweige ihre weichen Nadeltriebe aufsetzten war das Dickicht<br />

des Jungwaldes nicht mehr ein abweisendes Knacken der Zweige, sondern ein<br />

lindes Anrühren, fast ein Streicheln durch die Jungtriebe an den Astspitzen.<br />

Das ungestüme Emporrecken der jungen Bäume war fast wie ein Spiegelbild<br />

meiner eigenen unbändigen Lebenslust in den Kindertagen. Die Jungbäume waren<br />

zwar größer als ich, aber jeder für sich ein Lichtfänger mit grünen Nadelarmen<br />

und einer sich ungestüm reckenden Spitze, die anzeigte um wie viel der<br />

Baum allein in diesem Frühjahr gewachsen war. Das verlockte dazu, die Astreihen<br />

zu zählen und mit dem eigenen Alter zu vergleichen - noch wusste ich<br />

nichts von Jahresringen, aber dass ein Baum uns Menschen in vielem überlegen<br />

ist, kam mir schon damals zum Bewusstsein. Der Jungwald wurde für mich nicht<br />

nur Spielplatz sondern auch Lernfeld, besonders wenn er sich bergaufwärts zur<br />

Lichtung eines Holzschlages weitete. Die altersgrauen Baumstrünke waren Ruheplatz<br />

und verlockten gleichzeitig zu Hüpf- und Fangespiel unserer Kinderschar.<br />

Riesige Räder von Pestwurzblättern boten Sammeltüten für Erdbeeren,<br />

Felixtrauben und Seidelbast sandten Duftwolken zu uns her, alte Brandstellen<br />

lockten als Fundorte von Morcheln und riesige Ameisenhaufen fesselten durch<br />

das geschäftige Treiben dieser Waldläufer. Hinter der abgeblätterten Borke eines<br />

Holzstockes scheuchten wir regenbogenfärbige Käfer und schwarze „Totengräber“<br />

auf und an den frisch angepflanzten Bäumchen entdeckten wir am Stamm<br />

oder in einer Rinde der Pflanzgrube den gefräßigen Rüsselkäfer, der die kleinen<br />

Pflanzbäumchen abnagte. Es machte Spaß ein Pärchen dieser Schädlinge, die in<br />

der Begattung wie zusammengewachsen erschienen, mit rohen Kinderfingern zu<br />

trennen und es machte Freude, Eidechsen auf grauen, erwärmten Steinen aufzuscheuchen<br />

und zu verfolgen. Und wenn wir gelegentlich ein abgeworfenes „Rehgwichtl“<br />

fanden, war es ein Schatz ebenso wie leere Schneckenhäuser, welche<br />

die Phantasie bei unseren Spielen anregten. Wenn wir dann in der Ferne den fiepende<br />

Ruf eines Rehkitzes hörten oder der Eichelhäher schnarrend über unsere<br />

Köpfe sauste, bekam der Wald immer neue Stimmen. Kein Wunder, dass wir das<br />

Lied der Vögel in unsere menschliche Sprache übersetzten „Zi-zi-zi - Muschkablüah!<br />

geht a schöns Dirnei für,“ sang der Buchfink, und „gurri – gurri – do“<br />

lockte der Waldtauberer als sicherer Frühlingskünder. Kuckuck und Drossel,<br />

Meisen und Schwarzplattl, alle meldeten sich in dem Waldkonzert und der Specht<br />

schlug den Takt dazu. Dann zog es uns auch weiter bergwärts, wo der Mischwald<br />

- wir sagten Hochwald dazu - seine Planken über die Hänge des Berges schob.<br />

Hier wuchsen sie, die schlanken, grauen Stämme der Fichten neben moosübergrünten<br />

Steinmoränen, junge und alte, knorrige und ebenmäßige, wie ein Heer<br />

feldgrauer Hüter über das Waldland. Unendlich hoch erschienen sie mir damals,<br />

denn ich wusste, dass man Häuser, Schiffe und Brücken aus ihrem Holz baute.<br />

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Fast überhörte ich das Rauschen der Zweige, so hoch war es über mir, oder ich<br />

nahm es als allgegenwärtig gar nicht mehr wahr, besonders wenn ich in der Gesellschaft<br />

anderer junger Leute durch den Wald wanderte. Eine solche Wanderung<br />

war meistens ein Gemeinschaftserlebnis mit dem Zielpunkt eines Berggipfels.<br />

Es musste schon ein besonders markanter Baum sein, der sich von den anderen<br />

abhob, damit er mir in der Erinnerung blieb. Da war eine der seltenen Tannen,<br />

die man wohl als Samenbaum am Rand einer Lichtung hatte stehen lassen. Ihre<br />

Äste waren nicht wie jene der Fichten durch die Schwere der Nadeln herabgedrückt.<br />

Die Äste dieser Tanne waren leicht nach oben geborgen. Die Krone des Baumes<br />

glich einer Lichtschale in deren Mitte nur der Gipfel zur Sonne strebt. Wenn im<br />

späten Frühjahr die seltene Baumblüte vorüber war, bildeten sich an den Astspitzen<br />

die kleinen Zapfen und leuchteten wie Karfunkel im Morgenlicht eines<br />

Sonnentages. Dass der Baum an seinem Stamm einen so genannten „Hexenbesen“<br />

(Schmarotzertrieb in der Borke) trug, machte ihn noch bemerkenswerter.<br />

Doch auch bei den Fichten gab es markante Einzelgänger.<br />

Am Rand der „Breiten Schleiße“, eines Wirtschaftsweges am Tussetberg, war an<br />

einer Fichte eine Blechtafel, auf welcher der Unfalltod eines Holzhauers gemalt<br />

war. Vor dem Bild hatte jemand die buschigen Äste weg geschnitten, aber links<br />

und rechts davon waren die Äste wie mit grauen Rauschebärten flechtenverhangen,<br />

dass man unwillkürlich an den Waldgnom „Das grawe (graue) Mannl“ dachte,<br />

wenn man davor, wie es früher der Brauch war, das Kreuz machte. Der Wald hatte<br />

hier eine verwunschene Zauberstimme.<br />

Ganz anders boten sich die alten Buchen an den Berghängen dar. Ihre hohe Zeit<br />

hatten sie im Frühling. Jeder von uns wusste, wo die ersten grünen Äste schon<br />

von weitem ihren Flitterschimmer aus dem Dunkel des Fichtenbestandes leuchten<br />

ließen. Sie waren die unübersehbaren Frühlingskünder. In unsagbarer Zartheit<br />

wanderte der gelbgrüne Schein von Ast zu Ast die Spitze abwärts. Jedes<br />

Blättchen schoss in fächeriger Faltung aus den braunen Knospenhüllen, und jedes<br />

war von einem Silberflaum eingefasst. Zärtlich und leise flüsternd wiegten<br />

sich die Äste im Blau. Man spürte förmlich das lebensvolle Wiedererwachen von<br />

Kraft und Saft im Stamm aufwärts steigen. Da zog es jeden hinaus, in Gruppen<br />

oder allein, diesen Anruf des Waldes zu neuer Lebenserfüllung kennen zu lernen.<br />

Auch für mich wurde eine solche Buche der Platz für die Erfüllung meiner Jugendliebe.<br />

Das zauberhafte Rascheln der Blätter, der duftgeschwängerte Luftstrom<br />

um den mächtigen Stamm und das knisternde dürre Laub auf dem weichen<br />

Moos wurden mir zur Kulisse meiner schönsten Jugendbilder. Mein ganzes Leben<br />

war diese alte Buche der Ort zärtlicher, unvergessener Erinnerung, - selbst<br />

wenn mich Jahre später das Gipfelstück einer anderen Buche fast zu Tode gebracht<br />

hat. Doch der Holzhackertod im geliebten Wald war mir vom Schicksal<br />

nicht bestimmt. Der Schatten spendende Platz unter einer Buche ist auch geradezu<br />

eine Schaubühne für neues Leben. Während sich die haarfeinen Triebe der Nadelbäume<br />

recht zaghaft am liebsten an einer alten Rahne (faulendes Holzstück)<br />

oder im Schatten einer vom Windbruch aufgestellten Wurzelscheibe ansiedeln,<br />

zeigen die Buchentriebe ihre prallen, putzigen Keimblätter im trockenen Waldboden<br />

auf. Manchmal tragen sie sogar noch Reste der braunen Eckernhülle und<br />

sehen dann wie verwunschene Zwerge aus. Doch sie strecken kräftig ihre Triebe<br />

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