Jahrbuch 2006 - Deutscher Böhmerwaldbund e.V.
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den; so kamen denn die Ritter erst nach ungeheurer Anstrengung ganz erschöpft<br />
auf den Gipfel des Dreisessel. Trotz des strengen Winters und der Unbilden des<br />
Wetters warteten die Ritter länger als einen Tag auf die Ankunft der drei Edelfräulein,<br />
doch sie kamen nicht. Da ahnten die Ritter, dass sie zum Narren gehalten<br />
worden waren und dass es den Edelfräulein nur darum zu tun war, dass die<br />
vor ihren Burgen lagernden Drachen getötet wurden. Sie verließen den Dreisessel<br />
im fürchterlichen Zorn und wanderten über das Dreieckmark zum<br />
Plöckensteinsee, dort streiften sie die Ringe von ihren Fingern und warfen sie<br />
unter Verwünschung der drei Edelfräulein in das Wasser.<br />
Seit dieser Zeit ist es mit der Ruhe der Edelfräulein dahin, sie wurden in den See<br />
verbannt. Alljährlich in der Dreikönigsnacht entsteigen sie den Fluten und wandern<br />
über Schnee und Eis auf den Gipfel des Dreisessel. Doch die Ritter finden<br />
sie nicht mehr. (Zusendung Grete Rankl)<br />
Zephyrin Zettl<br />
Das Roßwunder des heiligen Guntheri<br />
Wer auf seiner Wanderung durch den Böhmerwald in die Gegend der ehemaligen<br />
künischen Freibauern kommt, der versäume nicht, den St. Guntherfelsen, einen<br />
ungemein lohnenden Aussichtspunkt und eine geschichtlich bedeutsame Örtlichkeit<br />
aufzusuchen. Von Unterreichenstein oder Stubenbach kann man über Stadln<br />
und das Gut St. Gunther, im Volksmunde Danöd (Einöde) genannt, von Eisenstein<br />
oder Hartmanitz jedoch über Gutwasser, wo sich die Wallfahrtskirche zum<br />
heiligen Gunther befindet, dahin gelangen. Der Weg führt meist durch dunkle<br />
Fichten- und Föhrenwälder, stellenweise durch das hellere, liebliche Grün des<br />
Lärchenbaumes unterbrochen, voll frischem Harzesduft und frohem Vogelsang,<br />
wechselnd mit sonnigen Waldschlägen, in denen die Preiselbeere wuchert und<br />
die Himbeere rankt. Von den Feldern, die zu dem Einöder Gehöft gehören, führt<br />
der Pfad an einem mächtigen Wegkreuz vorüber, um bald zum St. Guntherfelsen,<br />
dem Stoa’riegl, wie ihn die Waldbauern nennen, abzubiegen. An dieser Stelle ist<br />
der Waldweg wohl gut ausgetreten, aber ziemlich steinig. Die spitzen Steine werden<br />
hier mit Vorbedacht stehen gelassen, weil es in besonderen Anliegen gut sein<br />
soll, diesen Teil des Weges auf den bloßen Knien rutschend zurückzulegen.<br />
Hart hallen Axtschläge an das Ohr. Holzhauer sind an ihrem schweren Tagewerk.<br />
Sehnige Gestalten lassen die Schrothacken auf einen der schon recht selten werdenden<br />
Baumriesen niedersausen. Bald gelangt man auf einen freieren Platz, der<br />
mit frischgrünem Rasen überdeckt ist. Eine schlichte, kalkgetünchte Kapelle, wie<br />
man solche häufig an Feldrainen und Landstraßen und auf einsamen Berghöhen<br />
antrifft, steht vor dem sich auftürmenden Steinriegel. Dies ist die Stelle, wo der<br />
Sage nach des heiligen Einsiedlers Gunther Klause gestanden haben soll. Die<br />
tausend Jahre, die seither vergangen sind, haben alle Spuren davon vertragen.<br />
Und der Urwald, der ringsum stand, hat sich nach Kriegsbrunst, Windbruch und<br />
Käferfraß oftmals erneut und ist schließlich wieder der Gewinnsucht zum Opfer<br />
74<br />
Das Steinerne Meer beim Dreisessel.<br />
Lichtdruckkarte: Alfons<br />
Adolph, Passau. Postalisch gelaufen<br />
1905. (Sammlung Reinhold<br />
Fink)<br />
gefallen. Nichts ist geblieben als<br />
der ragende Steinblock. Der steht<br />
noch wie zu Zeiten, da der heilige<br />
Gunther ihn bestiegen, um Ausschau<br />
zu halten nach den von ihm<br />
angelegten Siedlungen um den<br />
Kiesleitenberg oder nach aufsteigenden<br />
Wettern, oder nach heranwallenden<br />
Ordensbrüdern, nach<br />
streifenden Kriegshorden, nach<br />
frommen Pilgerzügen, oder nach<br />
frohgemuten Jagdtrossen. Der<br />
Felsen trotzt noch empor, so wie<br />
damals. Denn der Stein hat ein<br />
langsameres Leben als Baum und<br />
Forst oder gar als Mensch und<br />
Tier. Ein überwältigend schöner<br />
Rundblick öffnet sich von der<br />
Kuppe des Felsens aus dem schwelgenden Auge. Das Grün der Wiesenflächen<br />
wechselt mit dunklen Forsten. Ortschafen und Weiler lugen daraus hervor. Weit<br />
hinten zeigen sich die Umrisse des Karlsbader Gebirges, der Höhen bei Prag und<br />
des böhmischmährischen Grenzgebirges. Der Dreisessel, der Schöninger und der<br />
Libin grüßen aus nebliger Ferne, vor ihnen der Schreiner und der Kubany. Aus<br />
Norden schauen der Lackaberg, der Faulbaum, der Panzer und der mächtige Arber<br />
herüber und aus nachbarlicher Nähe der Mittagsberg, der Kiesleiten und das<br />
freundliche Ohetal, das von den Resten der mittelalterlichen Karlsburg überragt<br />
wird. Am Fuße des Felsens, der Kapelle gegenüber, ragt eine uralte Zwillingsfichte<br />
auf. Verrostete Nägel sind in ihren Leib getrieben und harziges Blut sickert<br />
dick aus den Wunden hervor. An den Nägeln hängen frische und verdorrte Kränze<br />
aus Tannenreisig, Heiligenbilder und - abgenützte Stallbesen. Wer wird sich<br />
wohl den Kopf zerbrechen, um den Zweck dieser Sachen zu erforschen? Der<br />
heilige Guntheri, dem all diese Dinge geweiht sind, wird schon wissen, was sie<br />
bedeuten sollen. Und denen, die mit voller Herzenskraft daran glauben, hat die<br />
Fürbitte des Heiligen, der sich auf die Wünsche der Waldbauern und auf ihr Wohl<br />
und Wehe gar gut versteht, unzähligemale geholfen in Stall und Haus, in Feld und<br />
Scheuer. Viele Wunder hat er getan, der heilige Guntheri, denn sonst hätte er ja<br />
nicht heilig werden können. Wunder, von denen sich, wer will, heut noch überzeugen<br />
kann. So kann man als Zeugnis eines hier schon zu Gunthers Lebzeiten<br />
geschehenen Wunders an der Gipfelplatte des Felsens noch die Trittspuren jener<br />
Hirschkuh wahrnehmen, die einst den heiligen Einsiedler nährte und die hier<br />
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