Jahrbuch 2006 - Deutscher Böhmerwaldbund e.V.
Jahrbuch 2006 - Deutscher Böhmerwaldbund e.V.
Jahrbuch 2006 - Deutscher Böhmerwaldbund e.V.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Boden wurde mit Mühe und Schweiß urbar gemacht. Sogar feuchte Auwiesen<br />
wurden entwässert und die kultivierte Heimatflur dehnte sich immer weiter aus,<br />
sodass nur unfruchtbare Steinbuckelwiesen am Rand der Dorfflur als Hutweiden<br />
übrigblieben. Natürlich vergrößerte sich dadurch auch der Viehbestand und bessere<br />
Düngungs- und Pflegemaßnahmen ließen den Ertrag steigen. Dafür war in<br />
den Waldlerhäusern, welche nach den Plänen der Grundherrschaft erbaut werden<br />
mussten, zu wenig Platz. Auch in der Stadt Wallern, wo viele Bürger wie bekannt<br />
ertragreiche Viehzucht betrieben, war es ebenso. Die Stadt hatte eine der größten<br />
Molkereien des Landes. Dort verarbeitete man auch die Milch aus der ganzen<br />
Umgebung. So brauchte man Platz für das Heu und konnte es im Sommer bequem<br />
in einem Feldstadel lagern. Besonders die feuchten Wiesen an der Moldau<br />
konnten oft mit einem Anspann nicht befahren werden, weil die Tiere im moorigen<br />
Grund einsanken. Da musste man das Heu mit einer breiten Lattenholztrage<br />
oder mit einem zweiräderigem „Godern“ zur Scheune bringen. Im Winter aber,<br />
wenn der Boden beinhart gefroren war, und daheim in der Scheune der Heustock<br />
schon niedriger war, konnte man das Futter bequem mit dem Ochsen - oder Pferdeschlitten<br />
heimholen. Die Heustadel waren immer praktisch, ob man im Heugert<br />
bei einem Gewitter das kostbare Gut rasch in Sicherheit bringen konnte, beim<br />
Mittagessen ein schattiges, ruhiges Plätzchen fand, oder die Kleinkinder<br />
unbeschadet vor Fliegen und Bremsen dort ein Schläfchen hielten. Wer einmal<br />
ein Sommergewitter in so einer Scheune überstand, wenn die Regentropfen auf<br />
das Dach klopften und man sich geborgen und müde von der Arbeit im duftenden<br />
Heu ausstrecken konnte, bis der Regen vorüber war und ein vielfarbiger Regenbogen<br />
durch die Ritzen des Daches schimmerte, der erinnert sich sicher gern an<br />
die geborgene Obhut in so einem Feldstadel. Sie wurden auch nur mit einem<br />
Holzriegel oder mit zwei Eisenbändern am Tor, durch die man einen Holzpflock<br />
steckte, verschlossen. Jeder konnte so Zuflucht suchen, wenn es nötig war. Häufig<br />
wurde so eine Scheune im Sommer auch das Nachtlager eines „Fazierenden“<br />
(Bettlers), der tagsüber an die Türen der Häuser klopfte. Niemand dachte sich<br />
etwas dabei. So hat mir der Wind ein G’schichterl, welches in einem Heustadel<br />
spielt, zugetragen. Ich will es den Lesern als heitere Erinnerung weitergeben. Die<br />
Namen der Beteiligten sind von mir nur als unbekannte Schemen der Vergangenheit<br />
gewählt: An einem Sonntagnachmittag im Sommer ging der Seppl quer über<br />
die abgeheugten Wiesen in Richtung Moldau. Er wollte nach den schweißtreibenden<br />
Wochen der Heugertzeit in der Moldau baden und dabei nachsehen, ob<br />
sich nicht ein Fisch im Schilf des Altwassers verborgen habe, den man vielleicht<br />
„mit dem Fischgabei“ erwischen könnte. Als er am Feldstadel des Riedlbauern<br />
vorbeikam, sah er an der Rückseite der Scheune ein Fahrrad lehnen, das er nur zu<br />
gut kannte. Es gehörte dem Willi, der ihm bei der letzten Musi die begehrte Gretl<br />
ausgespannt hatte. Was hatte da sein Fahrrad zu suchen? Er musste nicht lange<br />
überlegen, denn ein verräterisch offener Spalt des Scheunentores ließ gar keinen<br />
Zweifel übrig. „Der Willi ist da drin - und sicher nicht allein“, blitzte es in seinem<br />
Hirnkastel. Vorsichtig, dass es ja nicht knarre, klemmte er sich durch das Tor. Da<br />
hörte er schon halblaute Stimmen und unterdrücktes Kichern vom Heustock herab.<br />
Dazu lehnte noch die einfache Holzleiter daran. „Da ist der Willi oben - und<br />
sicher nicht allein. Dem werd ich sein G’spusi versalzen. Aber wie?“<br />
62<br />
Der Seppl wusste wohl, dass mit dem Willi, der ihm an Körperkraft überlegen<br />
war, nicht gut Kirschenessen ist. Eine Rauferei mit einem „brünstigem“ Willi war<br />
nicht nach seinem Geschmack. Noch dazu drangen von oben immer lautere und<br />
unmissverständliche Stöhngeräusche an sein Ohr. Man kannte in unseren Dörfern<br />
das Wort Sex noch nicht, aber der Seppl wusste wohl, was sich über ihm<br />
begab. Da erfasste er heimtückisch einen alten Rechen, der neben dem Tor lehnte.<br />
Den Rechelstiel würde er dem Willi überziehen und schnell Reißaus nehmen.<br />
Ohne besondere Vorsicht kletterte er die Leiter hoch. Die Beiden hörten ihn ja so<br />
nicht! Aber dann kam ihm ein noch ärgerer Rachegedanke: Überall in den Dachsparren<br />
hingen kleine und größere graue Beutel der Wespennester ein großer Beutel<br />
genau in der Richtung aus der das Liebesstöhnen kam. Ein Ruck mit dem<br />
„Rechelhapp“ (vorderer Teil des Rechens) und ein gezielter Wurf nach vorne zu<br />
den stöhnenden Stimmen! Dann rutschte der Seppl schleunigst die Leiter hinab<br />
und war mit ein paar Sprüngen aus dem Stadel draußen und hinter dem buschigen<br />
„Krejslin“ an den ein Stapel leerer „Schwedenheuger“, wie sie damals zum Heudarren<br />
verwendet wurden, angelehnt war. Von diesem Versteck aus spähte er höhnisch<br />
feixend hervor. Eine Weile hörte er nur undefinierbare Schreie, dann stürzte<br />
die Gretl aus der Scheune. Mit ihrer Dirnlschürze schlug sie noch wild um sich<br />
und ihre Zöpfe wippten im Takt, wie sie in eiligem Lauf in Richtung des Dorfes<br />
lief. Dann kam der Willi heraus. Mit beiden Händen hielt er seine Hose fest und<br />
der „Pfoadstouß“ (Hemdansatz) wachelte nur so im Wind. Dann packte er sein<br />
Fahrrad und schob es in Richtung Moldau weiter. „Aufsitzen wird er schlecht<br />
können und vielleicht sucht er in der Moldau Kühlung für sein Hinterteil“, murmelte<br />
der Sepp. „Da geh ich lieber nicht zur Moldau hin, damit er ja nichts spannt,<br />
wer ihm die Liebeslust verdorben hat.“ Wie ich davon erfahren habe? - Nun, der<br />
böhmische Wind trägt einem Wunderliches und Amüsantes zu, wie es eben daheim<br />
passiert ist, - wo wir alle miteinander auch keine Engel waren.<br />
Rosa Tahedl<br />
Der Zauberkristall - Eine Erzählung aus dem<br />
Böhmerwald<br />
Zu jener Zeit, als der Böhmerwald noch ein unwegsamer Urwald war, in dem<br />
allerhand gefährliche Wildtiere lebten, bestanden dort nur wenige Dörfer. Damals<br />
lebte der Holzhauer Stutz mit seinem Sohn Girgl in der Nähe einer Glashütte,<br />
welche wegen des großen Holzbedarfs mitten im grünen Waldmantel der Berge<br />
als Rodungsinsel lag. Die Beiden waren fleißig dabei, die dicken Stämme zu fällen<br />
und für das Fuhrwerk zur Glashütte herzurichten. Sie konnten mit Hacke und<br />
Axt gut umgehen und waren mit ihrem bescheidenem Dasein zufrieden, bis der<br />
alte Stutz krank wurde und starb. Da musste der junge Girgl sich um einen neuen<br />
Helfer umsehen und kam zu einer größeren Holzfällerpartie, welche für den Hüttenherrn<br />
Bäume schlägerte. Girgl war fleißig und willig und bei den anderen bald<br />
63