Jahrbuch 2006 - Deutscher Böhmerwaldbund e.V.
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Anna Kangler<br />
So gebot es der Anstand<br />
Die alten Leute unter uns Böhmerwäldlern werden sicher noch wissen, dass man<br />
früher daheim eine besondere Höflichkeitsform in der Anrede gebrauchte. (Vergleichbar<br />
mit dem „Sie“ heute) So sagte man z.B.: „Hobts guat gschlofm? Hobts<br />
„Ejs“ dos a ghörcht? I geh mit „Ejng“ hoam.“ Da war nicht die Mehrzahl gemeint!<br />
Man sprach ältere Leute und solche, vor denen man Achtung hatte wie<br />
Pfarrer, Lehrer, Forstherren, aber auch Tauf- und Firmpaten, Onkeln und Tanten,<br />
Großeltern, ja in manchen Familien auch die Eltern so an. Diese Anredeform<br />
erstreckte sich wahrscheinlich über einen weiteren bayerischen Sprachraum. Als<br />
ich nach Anger in Oberbayern kam, sprach mich der Altbürgermeister, der sich<br />
nebenbei mit Heimat - und Mundartforschung befasste, so an, er war höchst erstaunt,<br />
als ich ihm in der alten Höflichkeitsform antwortete. Seither galt ich was<br />
bei ihm. Auch an alte, feststehende Redewendungen kann ich mich noch erinnern,<br />
so an die Begrüßung, wenn Besuch ins Haus kam. Nehmen wir an, es kommt<br />
die Taufpatin – die „Goudin“.<br />
Patin: „Griaß di Goud!“<br />
Hausfrau: „Griaß Eng Goud a! Jo, dos is recht, daß s uns amol hoamsuachts. Hiaz<br />
sitzts Ejng nea ina und schnejts Eng a Brot o!“<br />
Bei diesen Worten nahm man den Brotlaib aus der Tischschublade und legte ihn<br />
mit einem Messer vor den Gast auf den Tisch.<br />
Patin: „Nu ha, zweng an Essen bin i jo nit do.“<br />
Hausfrau: „Nusa gehts, dos woaß ma jo e.“<br />
Dann schnitt sich der Besuch ein Stücklein Brot ab und aß es, während die Rede<br />
sich anderen Themen zuwandte.<br />
Bäuerliche Kultur<br />
In den Schränken alter Leute fanden sich noch Trachten aus der früheren Zeit, wo<br />
der Böhmerwald zu Österreich gehört hatte. Die Seiden- und Wollstoffe waren<br />
wertvoll und dauerhaft. Alte Hausgeräte zeugten von Fleiß und Können der Handwerker,<br />
Webmuster und Drucke wären erhaltenswert gewesen. Möbel, Bauernstuben<br />
und Dachgebälk zeigten alte überlieferte Kultur. Seit der Angliederung<br />
die Tschechoslowakei wurde aber ein langsamer Verfall und Niedergang dieser<br />
Dinge sichtbar. Es fehlte an Vorbildern und Vergleichen mit den deutschem Nachbarn.<br />
Kultur kann sich aber auch nur im Wohlstand erhalten und entfalten. Fortschreitende<br />
Verarmung zwingt die Bevölkerung, nur das Nötigste, Einfachste und<br />
Billigste zu erwerben und herzustellen. Diese Rückentwicklung war auch bei uns<br />
in Andreasberg festzustellen.<br />
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Leo Hans Mally<br />
Das Ampellegendchen<br />
Als die schöne Frau Agathe ein wenig müde von den schon weit in den Sommer<br />
gespannten Nächten am Lido heimfuhr, überfiel sie, als der Zug vom Gebirge her<br />
die erntesommerliche Landschaft durchraste, plötzlich die Sehnsucht nach Stille<br />
und Einsamkeit. Und da sie schon oft mit dem Gedanken gespielt hatte: ganz<br />
allein in einem stillen bergwarmen Sommerwinkel einige Wochen zu leben - stieg<br />
sie, als die weichen, dunklen Berge des Böhmerwaldes über den späten Kornfeldern<br />
blauten, mit all ihrem Gepäck und ihrer alten Dienerin an einer kleinen Station<br />
aus und mietete sich in einem bescheidenen kleinen Gasthause ein, vor dem<br />
die Linden eben verblüht waren und die Nächte warm und rauschend durch die<br />
kleinen Fenster sahen. Ihrem Manne, den eine große Geschäftsreise festhielt,<br />
schrieb sie, dass sie sich nach all dem bunten, jagenden Treiben am Meere müde<br />
fühle und dass sie sich hier in diesem Gebirgswinkel nach Sommerruhe sehne.<br />
So lebte nun Frau Agathe in den stillen Tagen, die blau und mit viel goldenen<br />
Wolken an den Berghängen vergingen, versonnen und einsam, die Wege waren<br />
von Sommerdunkel überrauscht und die Nächte mit großen nahen Sternen<br />
behangen. Es traf sich aber, dass in demselben Orte ein junger Doktor wohnte,<br />
der ein heimlicher Dichter war und in einem alten, halbverfallenen Jagdschlosse<br />
eine große Arbeit über alte Volkskunst schreiben wollte. Auf seinen Gängen war<br />
ihm nun schon oft die schöne träumende Frau begegnet, um die seine Gedanken<br />
kreisten, ehe er sich’s versah. Und wie es heimliche Dichter schon tun, hatte er<br />
gleich eine wehmütige Legende um Frau Agathe gewoben, von Weltflucht und<br />
kalter Enttäuschung, er bog dunkle Verse um ihre sehnsüchtigen Augen, wagte es<br />
aber nicht, sie auch nur zu grüßen, wenn sie irgendwo an einer Wegbiegung saß<br />
und mit ihrem Schirme verträumte Zeichen in den Wegsand kritzelte. Frau Agathe<br />
aber, zuerst ganz warm und still in dieses walddunkle Sommerleben geschmiegt,<br />
hatte schon lange ihre müden Gedanken in alle Wipfelwinde gedacht und fand es<br />
bereits ein bisschen langweilig, die einsame, stille Waldfrau zu spielen. Und so<br />
kam es, dass der junge scheue Mensch, der ihr täglich in den Weg lief, sich bald<br />
in ihre Gedanken verirrte. Nur war sie mehr klug als Dichterin und sie sann keine<br />
Geschichte um den jungen Mann, sondern fragte im Gespräche ihre Wirtin nach<br />
ihm und erfuhr alles, dass er ein junger Gelehrter sei, ein großes Werk schreibe<br />
und hier nach alten Kunsttümern suchte. So wusste sie, als sie ihn einmal im<br />
Walde nach einem Wege fragte, schon längst, was eine Frau von einem Manne,<br />
der sie begleiten darf, wissen muss, während er noch immer in seine wehmütige<br />
Geschichte versponnen war und ihr, verlegen und beglückt, Auskunft gab. Frau<br />
Agathe aber lenkte geschickt das Gespräch auf alte Volkskunst - sie wusste viel<br />
und hatte selbst manch wertvolles Stück in ihrem Heim und so waren es bald<br />
zwei Menschen, die vor alten Kapellen und wurmstichigen Truhen standen und<br />
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